Mendelssohn: Oktett für Streicher Op.20

  • Hallo Taminoaner,


    Mendelssohns Oktett für Streicher Op.20 ist sicherlich eins der Meisterwerke der Kammermusik und entstand ohne Vorbild!


    Dieses neue Thema starte ich da ich seitens des Forum auf Empfehlungen hoffe, da ich derzeit noch keine Aufnahme besitze.


    Desweiteren soll es natürlich zur Diskussion über das Werk anregen.


    Gruß

  • Tag,


    ich empfehle etwas, was es mit gehöriger Wahrscheinlichkeit wenn, dann als "... of the Century" oder ähnlich auf CD gibt: das MELOS-Ensemble, London. Zu LP-Zeiten eine der überdauernden 'Referenzproduktionen' (Decca). Warmer, klarer und intensiver Streicherklang, etwas dichtes Stereo-Panorama. Nach einer anderen Produktion habe ich mich nie mehr umgesehen.


    MfG
    Albus

  • Ich bin vor allem von Einspielungen auf historischen Instrumenten angetan, vor allem weil da nicht die Gefahr der ermüdenden Verwendung von Zuckerguss herrscht:



    und


    Gruß,
    Gerrit

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  • Hallo!


    Das Streichoktett ist neben der Sommernachtstraum-Ouvertüre der erste ganz große Wurf Mendelssohns als Komponist - im Alter von 16 Jahren.
    Seine Jugendkompositionen wurden bei den Sonntagsmatineen in seinem Elternhaus am Stadtrand von Berlin uraufgeführt. Bei den ersten Aufführungen des Oktettes (später auch in Leipzig und Paris) spielte der Komponist übrigens die 2. Bratsche. Schumann schreibt in seinen "Erinnerungen an Felix Mendelssohn-Bartholdy": "Sein Liebstes aus seiner Jugendzeit war ihm wohl das Oktett; er sprach mit Freude von der schönen Zeit, da es entstanden."
    Gewidmet ist das Werk Eduard Rietz, Mendelssohns Geigenlehrer.


    Mendelssohn hatte tatsächlich für diese Komposition kein Vorbild (lediglich Spohrs Doppelquartette waren vergleichbar), aber durch die Komposition von mehreren Streichersymphonien die nötige Übung, um dieses kompositorisch und klanglich hervorragende Werk zu schaffen. Es ist viersätzig: allegro moderato, ma con fuoco - andante - scherzo. allegro leggierissimo - presto.
    Über die Musik kann man (muß man ?) ins Schwärmen geraten, der dritte Satz sei nun herausgegriffen:
    "Das ganze Stück wird staccato und pianissimo vorgetragen, die einzelnen Tremulandoschauer, die leicht aufblitzenden Pralltriller, alles ist uns neu, fremd und doch so ansprechend, so befreundet, man fühlt sich so nahe der Geisterwelt, so leicht in die Lüfte gehoben..." sagt Mendelssohn selber über den dritten Satz. Kompositorisch gestaltet er das Scherzo zu einem Sonatenhauptsatz um, den Platz des Trios nimmt die Durchführung ein. Bei den ersten Aufführungen setzte nach diesem Satz meist spontaner Beifall ein, und der dritte Satz wurde dann üblicherweise sofort da capo wiederholt.


    Die von Albus zurecht sehr gelobte Einspielung mit dem Melos Ensemble London ist der interpretatorische Höhepunkt dieser Doppel-CD:

    Sie kostet (bei Amazon) nur 10 Euro und ist eine Empfehlung von mir für alle, die sich mit den essentiellen Kammermusikwerken für 7-8 Ausführende beschäftigen möchten.


    Ich besitze zudem noch die Einspielung des Gewandhausquartetts mit dem Berliner Streichquartett. Auch diese höre ich gerne.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Die genannte Aufnahme mit Heifetz muß man als Heifetz-Jünger natürlich haben, auch wenn sie ein wenig nach 1+7 klingt. Aber mich wundert, daß die wunderschöne Aufnahme der Academy of St. Martin-in-the-Fields (ich habe allerdings "nur" eine Schallplatte davon: ZRG 569, Decca-argo) hier noch nicht erwähnt wurde!


    Gruß,


    Lagenwechsel

  • ...wohl kaum bekannt, aber hörenswert und überzeugend, weil feurig, jugendlich, pieksauber, schwungvoll die CD mit dem Marlboro-Ensemble Laredo, Schneider, Steinhardt, Dalley, Rhodes und Parnas. Und das noch live! (CD-Nr. SMK 46251/Marlboro, früher auch LP)

  • ...doch nicht live! Aber trotzdem...


    Félix Mendelssohn-Bartholdy (1809-1847)
    Octuor mi b majeur Op. 20
    New York, 30th Street Studio, 2/4/1965
    Jaime Laredo, Violon - Arnold Steinhardt, Violon - John Dalley, Violon - Alexander Schneider, Violon
    Michael Tree, Alto - Samuel Rhodes, Alto
    Leslie Parnas, Violoncelle - David Soyer, Violoncelle
    Columbia- ML6248 ou MS6848 (LP) CBS- MP 38763 (LP) CBS- MP 387653 (LP)
    Sony- SMK 46251 (CD)

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  • Hallo,
    Richard und Pius schreiben, dieses Oktett sei ohne Vorbild geschaffen. Ich weiß nicht genau, was damit gemeint ist, aber was konnte Mendelssohn mit dieser Eintragung im Autograph seiner Partitur gemeint haben: „Dieses Oktett muß von allen Instrumenten im Style eines symphonischen Orchesters gespielt werden. Pianos und Fortes müssen genau eingehalten und schärfer betont werden als gewöhnlich in Werken dieses Charakters“? (Auf den Inhalt komme ich später.)



    Zitat

    Richard schreibt: Dieses neue Thema starte ich da ich seitens des Forum auf Empfehlungen hoffe, da ich derzeit noch keine Aufnahme besitze.


    Desweiteren soll es natürlich zur Diskussion über das Werk anregen.

    Ich versuche es umgekehrt und beginne mit der Komposition selbst, bevor ich mich an die fragen der Interpretation wende.


    Nun zu meinem persönlichen Empfinden dieses Werkes gegenüber:


    Wenngleich ich bezüglich dieses Oktetts die oben geschilderte Meisterschaft und Hervorhebung nicht in dieser Intensität teilen kann, deutet sich m.E. an, dass Mendelssohn ein Komponist war, der sehr kraftvoll geschrieben hat, mit großer Dichte und organischem Fluss. Dies bezeugt auch der erste Satz dieses Werks. Er wirkt ja ziemlich ausgedehnt, aber nie leer. Ich finde die Themen nicht sonderlich schön, eher etwas „grau“; sie sind aber sicher und fließend miteinander verbunden und bewirken innerhalb ihres Gesamtverlaufs ein geschlossenes Bild.


    Auch die Themen des zweiten Satzes sprechen mich in ihrer Melodik nicht sonderlich an; dieser Satz bezieht seine Kraft aber aus einem gewissen sphärischen Gefühl, das durch leichte Anzeichen harmonischer Offenheit entsteht.


    Zum dritten Satz: Wenngleich ich kein großer Anhänger dritter Sätze in der Epoche der Klassik bin, halte ich eben diesen Abschnitt für den besten dieses Werks. Er ist forsch, klar und wirkt sehr ausgeglichen und reif, vielleicht auch: hell und warm. Das ist wirklich ein gelungener Satz des jugendlichen Komponisten.


    Der schnelläufige vierte Satz ist ein typischer Schlussatz: Das Ende beginnt bereits mit seinem Anfang. Die Melodien hauen mich ästhetisch nicht gerade um, aber wie auch der erste ist er stimmig, kraftvoll und ungezwungen.


    Fazit: Für einen 16-Jährigen ist die Sprache des Oktetts eine ziemlich reife. Nichts wirkt albern, unwichtig und aufgesetzt. Das Gefühl habe ich nicht bei vielen (jungen) Komponisten. Dennoch höre ich dieses Stück nicht allzu oft; mich sprechen, wie gesagt, die Melodieführung, die Themen nicht sonderlich an, schon nach kurzer Zeit nerven sie mich – eine Geschmackssache.


    Nun zur Interpretation:


    Da die Themen sich in ihrer Art nicht sonderlich voneinander absetzen (die alte und wichtige Frage der Kontrastarmut bei Mendelssohn – ein interessantes, eigenes Thema), wirkt diese Musik m.E. am besten, wenn sie sehr deutlich, auch rhytmisch abgesetzt und betont, gespielt wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sie verwaschen klingt, was so manches Mal der Fall ist. Vor einiger Zeit habe ich eine gute Aufnahme im Radio gehört, die auf Betonungen und Phrasenabstimmungen großen Wert gelegt hat. Leider weiß ich nicht, welche Einspielung dies war. Ich finde, das Oktett ist sehr interpretationssensibel.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Seit dem letzten Beitrag, 2007 , also vor 6 Jahren , hat sich nicht viel getan - oder doch ?
    Es gibt Wiederauflagen einiger ältere Einspielungen, wo ich aber nicht weiß, ob sie nicht schon 2007 - damals noch in der Originaledition verfügbar waren .


    EINE Einspielung indes ist neueren Datums: Jene mit dem Ensemble "I Solisti Filarmonici Italiani". Von der alten Virgin-veritas-Aufnahme mit "Hausmusik London" unterscheidet sie sich durch ein anspringenderes, direkteres und plastischeres Klangbild mit mehr Attacke, bzw höherer Dynamik.
    Ein italienisces Mendelssohn-Bild gewissermassen, ohne britischen Schönfärber. Mir gefällt die cpo Neuiafnahme recht gut - indes werden wir hier vielleicht dereinst die Einschätzung von Felix Meritis lesen können (?)

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein italienisces Mendelssohn-Bild gewissermassen, ohne britischen Schönfärber. Mir gefällt die cpo Neuiafnahme recht gut - indes werden wir hier vielleicht dereinst die Einschätzung von Felix Meritis lesen können (?)


    Nein, leider - das muss ich (ausnahmsweise ;) ) passen. Diese Aufnahme habe ich nicht. Vom Oktett habe ich überhaupt vergleichsweise wenige Aufnahmen, da das Werk so perfekt und eindeutig ist, dass beinahe alle das Werk adäquat einspielen (meine "Sorgenkinder" sind die Streichquartette op. 44). Meine tatsächliche Lieblingsaufnahme ist vom Ensemble "Hausmusik", aber nur in der re-masterten Ausgabe hier:


  • Ich stoße leider erst jetzt auf diesen Thread über MENDELLSOHN's Streicheroktett op. 20, wohl eines der interessantesten Werke MENDELSSOHNs, und angesichts des frühen Enstehungsjahres 1825 ein unglaublich reifes Werk des 16-jährigen Komponisten. Es wurde für die Besetzung eines doppelten Streichquartetts konzipiert, aber als eine einzige Einheit auftretend, und zwar mit völlig gleichberechtigten Instrumentalisten. MENDELSSOHN packte in dieses Werk all seine überquellenden musikalischen Ideen, und er war selbst mit dem Ergebnis dieser Komposition sehr zufrieden, und dem Vernehmen nach zählte diese sogar zu seinem Lieblingswerk. Diese Besetzung ist wohl auch bis heute ein Unikum geblieben. Jedenfalls ist mir kein vergleichbares Werk bekannt.


    Unter den vielen Einspielungen, die es von diesem berühmten Oktett schon gab und noch gibt, dürfte wohl kaum ein Weg an der Decca-Aufnahme mit den führenden Mitgliedern der ACADEMY OF ST. MARTIN-IN-THE-FIELDS in der Besetzung HUGH MAQUIRE, NEVILLE MARRINER, TREVOR CONNAH, IONA BROWN, Violine, STEPHEN SHINGLES und KENNETH ESSEX, Viola, und KENNETH HEATH und DENIS VIGAY Violoncello, vorbeiführen. Eine wunderbar homogene Besetzung fabelhafter englischer Instrumentalisten. Die Interpretation ist sehr lebendig, ja spritzig und geschliffen im besten Sinne des Wortes, im Andante darf man sich an einem wunderbar erfülltem Musizieren erfreuen. Eine Interpretation, die auch heute noch eine absolute Spitzenstellung einnehmen dürfte!

    wok


  • Ich besitze eine gute Aufnahme mit dem Kreuzberger Streichquartett, eine meiner ersten CDs, die inzwischen fast 30 Jahre alt ist.
    Anscheinend ist sie nur noch im Rahmen dieser Sammlung erhältlich.

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  • Hallo,


    ich habe das Werk gestern live gehört in Nürnberg im "Hochschulkonzert Con Brio" - Ausführende: 4 Lehrende und 4 Studierende.


    Vom Werk und der engagierten Interpretation war ich sehr angetan; was die Melodik angeht teile ich die Meinung im Beitrag Nr. 11 nicht, die Themen sind sehr einprägsam und m. E. typisch Mendelssohn - die Bekanntheit des Werks spricht deshalb für sich.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Es gibt drei Möglichkeiten, das mendelssohnsche Oktett Es-Dur Op. 20 einzuspielen: Entweder ist es ein bestehendes Ensemble, dem acht Musiker angehören oder zwei Streichquartette kommen zur Aufnahme zusammen. Mögglich ist auch, dass acht Einzel-Musiker vor den Mikrophonen spielen.


    In dieser SACD interpretieren engagiert "mit Klarheit, Feuer und Ausdruckskraft", wie der Rezensent des Fono Forums schreibt, das finnische Streichquartett Gringolts mit den Musikern des englischen Quartetts Meta4 in dieser Aufnahme aus dem Jahr 2020.

    Es ist zudem das Oktett C-Dur Op. 7 von George Enescu enthalten.


    Übrigens: In der Sendung Diskothek des Schweizerischen Radios, in der verschiedene Aufnahmen miteinander verglichen werden ohne zu wissen, wer die Interpreten sind, erhielt diese SACD in zwei Sendungen zu den Oktetten von Mendelssohn und Enescu von den Juroren die Siegerkränze.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928