Richard Strauss für Aussteiger

  • Zitat

    Zemlinsky und Schreker (von Schreker kenne ich nur ganz wenig) sind nicht schräger als Salome oder Elektra, daran kann es hier nicht liegen.


    Die Fehleinschätzung der Woche. Schreker ist völlig atonal (zumindest klingt er so) und kann nicht entfernt mit Strauss verglichen werden. Auch Zemlinsky ist viel schwerer zu verdauen als Strauss!



    Zitat

    So gab ein Musikgeschichtler auf mein Drängen zu, dass er Busoni "sympatischer" finde als Strauss.


    Da kommt es darauf an, worauf sich die Sympathie bezieht. Aber welche Strauss-Oper würde ich weniger gerne hören wollen als den Doktor Faustus? Dabei wird er vermutlich rein vom musikalischen Gewicht her einige Konkurrenten hinter sich lassen. Aber er vermag kaum zu gefallen und das ist immer noch der wichtigste Aspekt bei einer Oper...



    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus
    Aber welche Strauss-Oper würde ich weniger gerne hören wollen als den Doktor Faustus? Dabei wird er vermutlich rein vom musikalischen Gewicht her einige Konkurrenten hinter sich lassen. Aber er vermag kaum zu gefallen und das ist immer noch der wichtigste Aspekt bei einer Oper...


    Also mir gefällt er.

  • Zitat

    Original von Theophilus


    Die Fehleinschätzung der Woche. Schreker ist völlig atonal und kann nicht entfernt mit Strauss verglichen werden. Auch Zemlinsky ist viel schwerer zu verdauen als Strauss!


    Seit wann kennst Du Musik von Strauss, seit wann von Zemlinsky (vermutlich 30 Jahre gegen 3 oder so)? Wieviele Opern von Zemlinsky hast Du auf der Bühne gesehen?
    Ich maße mir (u.a. weil ich Strauss nicht gut kenne) an, das einigermaßen unbedarft beurteilen zu können. Salome und Elektra sind länger, dissonanter und keineswegs eingängiger als "Eine florentinische Tragödie" (bei vergleichbar düster-dekadenter Handlung). Auch "Der Zwerg" fand ich beeindruckend, während ich mich im Rosenkavalier von drei schönen Stellen abgesehen ohne Ende gelangweilt habe (und ich kannte keins der Stücke vorher).
    Schreker ist, aber dazu sollten die Experten etwas sagen, ganz gewiß nicht "atonal" i.S. Schönbergs, also schon gar nicht "völlig atonal", bzw. ist dann Elektra auch atonal. Oder mein Höreindruck ist völlig daneben? (oder verwechlse ich Komponisten, hier nicht ganz auszuschließen; ich bin gerade nciht in der Nähe meiner CDs)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • also nach heutigem sprachgebrauch ist schreker nicht atonal.
    schönberg geht em ende seiner harmonielehre auf akkordverbindungen bei schrekers "der ferne klang" ein, ich weiß aber nicht mehr, welche begriffe er dabei verwendet, atonal aber nicht (wenn ich nicht ganz verkalkt bin).


    dass zemlinsky und schreker weniger publikumswirksam sein dürften, wird wohl durch die aufführungszahlen ihrer opern belegt werden können, oder?


    braunfels, der ultra-harmlose ist jedenfalls viel weniger "atonal" als schreker und zemlinsky und hat beim publikum (zum glück) noch weniger gunst.

  • JR:


    Zitat

    Schreker ist, aber dazu sollten die Experten etwas sagen, ganz gewiß nicht "atonal"


    Nein, natürlich ist er das nicht. Man kann bei ihm von einer "erweiterten Harmonik" reden, ein "spezielles Markenzeichen" seiner Harmonik ist das chanchieren zwischen den Tonarten, eine Art "fliessender Wechsel". Noch Schönberg arbeitete in seinen "Gurre-Liedern" ähnlich.
    Auch Zemlinsky bediente sich dieser Methode und BEIDE verlassen in keinem ihrer mir bekannten Werke den tonalen Bereich. Durch meine Lehrerin Grete von Zieritz, die von 1926 bis 1931 Schülerin Schrekers war, weiss ich, daß er den
    Absichten Schönbergs und seiner Anhänger skeptisch gegenüber stand.


    Im Übrigen bitte ich darum, den abgenutzen Begriff "atonal" wirklich nur
    im dafür zuständigen Kontext zu benutzen. Danke

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

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  • Hallo Theophilus,
    richtig: Fehleinschätzung der Woche - aber Deinerseits: Schreker ist keineswegs atonal. Seine Harmonik löst sich durch Tonartenüberlagerungen, modale Elemente zeitweise von der Funktionstonalität - im System (wenn auch nicht im Endergebnis) Debussy vergleichbar.
    Zumindest "Der ferne Klang", "Die Gezeichneten" und "Der Schatzgräber" dürfen eigentlich niemanden verschrecken, der behauptet, "Salome" und "Elektra" zu mögen.


    Zitat

    Aber welche Strauss-Oper würde ich weniger gerne hören wollen als den Doktor Faustus?


    Was mich betrifft: Alle... :hahahaha:




    Hallo Kurzstueckmeister,
    Schande über mich: den Busoni habe ich vergessen. Der "Faustus" ist natürlich ein Meilenstein der Oper im 20. Jahrhundert: Hier passt alles: Das Libretto ist hervorragend, die Musik in ihrer Ausgewogenheit von Ausdruck und Formensprache einfach perfekt. Übrigens schätze ich auch "Die Brautwahl" sehr: Das wäre eine ideale Repertoireoper für das gebildete Publikum!
    Insoferne gehören für mich aus der fraglichen Zeit an Opernkomponisten in die erste Güteklasse, wenn wir einmal vom ohnedies anerkannten Berg und von Bartóks "Blaubart" absehen, Janácek, Busoni, Schreker (mit "Schatzgräber" und "Irrelohe").


    Ein kleiner Irrtum schleicht sich nur bei Deiner Braunfels-Bewertung ein. Ich nehme an, als Wiener gehst Du dank der Volksopern-Produktion von den pfitznernden "Vögeln" aus. Braunfels hat sehr viele Gesichter gehabt: Sein "Te Deum" klingt stark nach der Schreker-Richtung, "Der Traum ein Leben" geht in die Korngold-Richtung, "Verkündigung" schlägt wiederum einen neoklassizistischen Weg ein und erinnert mich stellenweise eher an Hindemith als an einen Zuspätromantiker.



    Hallo Johannes,
    völlig d'accord, was Zemlinsky betrifft. Wobei: Die "Florentinische Tragödie" ist meiner Meinung nach wirklich ein großer Wurf, der "Kreidekreis" auch; die anderen Opern begeistern mich weniger (aber der "Kandaules" ist mir immer noch wesentlich lieber als "Daphne", "Danae" und Konsorten).


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    dass zemlinsky und schreker weniger publikumswirksam sein dürften, wird wohl durch die aufführungszahlen ihrer opern belegt werden können, oder?


    braunfels, der ultra-harmlose ist jedenfalls viel weniger "atonal" als schreker und zemlinsky und hat beim publikum (zum glück) noch weniger gunst.


    Das ist eben die Frage. Wenn Johannes (Guercoeur) recht hat, wurden die von ihm genannten Stücke vor ca. 1933 vergleichbar häufig (oder sogar öfter) als Straussens Werke gegeben. Aber ich habe keine Ahnung, ob das stimmt bzw. wie genau sich so etwas belegen läßt. (Man muß einräumen, dass die Schreiber von Booklets für "vernachlässigte" Komponisten vermutlich nicht immer völlig objektiv sind...). Andererseits darf man den Einfluß der 1000 Jahre, der unterschwellig teils bis in 60er wirkte, nicht unterschätzen (etwa durch nur leicht gemilderte, weiterhin negative Kommentare in Konzertführern, z.B. auch zu Mahler usw.)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes,
    es stimmt: Zemlinsky nicht so sehr, aber Schreker und Korngold entfesselten einen Boom sonder gleichen. Sogar Klemperer sah sich durch den Druck des Publikums zu einer Schreker-Uraufführung (war es nicht "Irrelohe"?) genötigt, obwohl er den Komponisten nicht sonderlich schätzte.
    Übrigens liefen auch Kreneks "Jonny" und Weills "Dreigroschenoper" den Strauss-Produkten (mit Ausnahme von "Rosalektra") davon.


    Die gegenwärtige Publikumswirksamkeit geht meiner Meinung nach immer noch auf die immerhin 1000 Jahre lang unterbrochene Aufführungstradition zurück, von der natürlich Strauss extrem profitierte.
    :hello:

    ...

  • Es mag ja sein,daß Schreker,Braunfels,Krenek und Zemlinsky


    ganz tolle Komponisten waren.Aber wer interessiert sich dafür,


    außer einer elitären Minderheit von "Fachleuten".


    Der Rosenkavalier füllt seit fast 100 Jahren,die Opernhäuser


    in der ganzen Welt.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Hallo Herbert,

    Zitat

    Der Rosenkavalier füllt seit fast 100 Jahren,die Opernhäuser


    Verzeih, aber es liegt mir so auf der Zunge bzw. in den Fingern, daß ich nicht anders kann: Dieses Argument erinnert mich an den Satz meines hoch verehrten Kompositionslehrers, dem ich in einer Diskussion einmal vorhielt, daß die Symphonien von Nielsen immer noch häufiger gespielt würden als die seines Idols Fartein Valen. Auf meinen Einwand sagte Antonio Bibalo: "Ja, genau, fresst Sch...e, eine Milliarde Fliegen kann nicht irren."
    Abgesehen davon: Du bist sicher auch der Überzeugung, daß die "Lindenstraße" ein bedeutenderes Filmkunstwerk ist als Ingmar Bergmans "Das siebente Siegel", denn zweifellos wird die "Lindenstraße von einer breiteren Öffentlichkeit geschätzt als das Meisterwerk des schwedischen Regisseurs.
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    die Lindenstraße ist ein schlechter Vergleich.Die Opernhäuser


    bestanden ja schon etwas vor der TV-Ära.Und ich wiederhole


    immer wieder: Die Musik wurde schon,so lange es Musik gibt,


    für ein Publikum gemacht.Jeder Komponist war wenig froh,


    wenn die Opernhäuser oder Konzertsäle,bei den Aufführungen


    seiner Werke leer blieben.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • HH:


    Zitat

    Der Rosenkavalier füllt seit fast 100 Jahren,die Opernhäuser


    Na und ? Ich bin ziemlich überzeugt davon, daß ein nicht kleiner Prozentsatz des Opernpublikums mehr auf das "gesellschaftliche Ereignis" als auf die Musik achtet. In Jahrzehnten eingeübte Verkaufsstrategie zeigt da ihre Wirkung.


    Kein Musiker von Rang bestreitet heute z.b. noch ernsthaft, daß Schoecks "Penthesilea" inspirierter ist als "Salome" und "Elektra" zusammen, und trotzdem wird sie nicht aufgeführt...


    Die Aufführungen in 3 Häusern in Berlin sind weitgehend am "Publikumsgeschmack" orientiert und dementsprechend ist das klingende Ergebnis, nämlich :kotz:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zumal, werter Herbert,


    man sollte, wenn man schon solche - meiner Meinung nach wenig über die Werke aussagende - Gegenüberstellungen in der Aufführungshäufigkeit und scheinbaren Beliebtheit macht, nicht nonchalant übersehen oder -gehen, dass ein Schreker, ein Zemlinsky, ein Korngold, ein Wolpe, ein Schulhoff und wer sonst noch in unseren Breiten durch eine barbarische Zeit Mitte des 20. Jahrhunderts einfach von den Spielplänen getilgt wuden, während ein Strauss beispielsweise politisch dieses "Problem" nicht hatte. Wenn ich mir den Erfolg der (gekürzten, aber dennoch musikalisch sehr guten) Salzburger Produktion von "Die Gezeichneten" etwa anschaue: Das gibt Hoffnung, dass das Stück doch hier und da auf den Spielplänen sich wieder etablieren wird können.


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

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  • Hallo Herbert,


    das freut mich. Ich wünsche Dir ebenso aufrichtig, einmal eine Aufführung dieses Stückes erleben zu dürfen (bei mir waren es bisher zwei verschiedene, ich habe keine bereut - den Rosenkavalier habe ich bisher nur einmal gesehen, danach lüstete es mich nicht nach mehr ;)).


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    es stimmt: Zemlinsky nicht so sehr, aber Schreker und Korngold entfesselten einen Boom sonder gleichen. Sogar Klemperer sah sich durch den Druck des Publikums zu einer Schreker-Uraufführung (war es nicht "Irrelohe"?) genötigt, obwohl er den Komponisten nicht sonderlich schätzte.
    Übrigens liefen auch Kreneks "Jonny" und Weills "Dreigroschenoper" den Strauss-Produkten (mit Ausnahme von "Rosalektra") davon.


    Nund ist das zeitgenössische Publikum ja auch nicht der entscheidende Richter (genausowenig wie das spätere), es kann gewiß auch sehr zeitgebundene Sachen geben ("Jonny spielt auf" scheint ja völlig verschwunden, ich habe auch noch nie was draus gehört). Mir ging es indes gar nicht um Wertungen, sondern nur um die Zugänglichkeit. Ich kannte von Zemlinsky die Lyrische Sinfonie, von Strauss dei bekannten sinf. Dichtungen und flüchtig Salome und fand die florentinische Tragödie und Der Zwerg keineswegs schwieriger oder sperriger als Rosenkavalier, sondern kurzweiliger. (Andererseits ist nachvollziehbar, warum für eine gewisse Klientel Rosenkavalier ein Favorit ist) Ich hatte die alle drei vor ca. 3 Jahren mit wenigen Monaten Abstand auf der Bühne gesehen. Es ist selbstverständlich völlig o.k., wenn Theophilus das anscheinend anders erlebt. Aber hier vermute ich eben sehr stark, dass Strauss verständlicherweise einfach viel länger und besser gekannt wird, während in meiner Situation m.E. ein "naiverer" Zugang möglich war.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)

  • Hallo Herbert,
    nein, nein, die "Lindenstraße" ist schon der perfekte Vergleich: Die "Lindenstraße" entspricht dem "Rosenkavalier" und "Reich und schön" der "Arabella". Wird von vielen Leuten gerne konsumiert, ist auch dazu gedacht, von möglichst vielen Leuten konsumiert zu werden, um damit Quote und also Geld zu machen, ist aber als ganzes nicht so gar viel wert.


    Abgesehen davon: Warst Du nicht einer von den heftigen Fischer-Dieskau-Befürwortern? Dieser Fischer-Dieskau hat sich ganz schön stark gemacht für Schoeck. Er hat ihn leider jämmerlich gesungen, aber wenn ich davon ausgehe, daß FiDi nicht ein ganz vertrottelter Sänger ist, der am liebsten Mißerfolge bucht, muß an diesem Schoeck doch was dran sein.


    Und es ist so, das kann ich Dir sagen - auch wenn Du in Unkenntnis, wie Du ja zugibst, die "Penthesilea" uninteressant findest. Diese "Penthesilea" ist eine der besten und radikalsten Literaturopern, die komponiert wurden. Schoeck verwendet ein fragmentiertes Orchester, in dem eine Armee von Klarinetten, Trompeten und Posaunen den Ton angibt, dazu kommen Klaviere, Schlagzeuge und tiefe Streicher. Die Harmonik basiert auf einer bis zur Atonalität erweiterten Polytonalität, der Klang ist oft wie zum Schrei geballt. Nur die hymnischen Stellen formt Schoeck zu dunkel leuchtenden Melodieströmen von großer Kraft und Schönheit.
    Das Wunderbare an "Penthesilea" ist, daß diese Oper keinen Takt hat, in dem Schoeck, anders als sein "Elektra"-Kollege, in süßliche Klischees fällt oder mit Tonmalereien irgendwelche Sensationslüste bedient.
    Ich kann Dir also nur den Rat geben, Dich mit diesem Meisterwerk auseinanderzusetzen. Du versäumst nämlich etwas, wenn Du es nicht machst!


    Und warum wird's dann nicht aufgeführt? Ganz einfach: Weil Schoeck den Text über lange Strecken als Melodram sprechen lässt. Die meisten Sänger sind keine so guten Sprecher, daß sie Kleist'sche Verse deklamieren könnten, die schon gestandenen Schauspielern größere Probleme bereiten. Eine Fehlkalkulation von Schoeck? - Mag sein. Aber eine, vor deren Genialität ich mich tief verneige.


    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin


    Zitat

    Hallo Theophilus,
    richtig: Fehleinschätzung der Woche - aber Deinerseits: Schreker ist keineswegs atonal. Seine Harmonik löst sich durch Tonartenüberlagerungen, modale Elemente zeitweise von der Funktionstonalität - im System (wenn auch nicht im Endergebnis) Debussy vergleichbar.
    Zumindest "Der ferne Klang", "Die Gezeichneten" und "Der Schatzgräber" dürfen eigentlich niemanden verschrecken, der behauptet, "Salome" und "Elektra" zu mögen.


    Glaube ich nicht, im Gegenteil. Du potenzierst nur noch die Fehleinschätzung von JR. Wie ihr Theoretiker empfindet und was ihr Hochgestochenes über die Werke von euch gebt, ist dem durchschnittlichen Opernbesucher so etwas von fremd und Wurscht, das glaubt ihr nicht!


    Wir hatten vor einigen Jahren den Faustus in Graz. So viele verstörte Gesichter wie in der Pause jener Premiere habe ich auf einen Haufen noch nicht gesehen. Es war schon fast komisch, aber mit derartiger Musik kann man auf Dauer keinen breiteren Hörer- bzw. Seherkreis gewinnen, das ist extremes Spezialgebiet für Narren und Liebhaber (oder auch umgekehrt ;) ). Dabei ist es völlig unerheblich, wie hoch das Werk einzuschätzen ist, es wird immer ein Stück für einen sehr kleinen Kreis von Interessenten bleiben.



    Zu Franz Schreker ( hallo Guercoeur :hello: ):
    Mir ist auch völlig egal, wie Schreker vom Musiktheoretiker eingeordnet wird, für den Normalhörer ist das atonal, und die Diskussion hier darüber zeigt nur, wie weit wir uns in unserem Zirkel von jeglichem breiteren Publikumsempfinden bereits entfernt haben (hey, wir sind ja doch elitär! ;) ).
    Ich kann mich aber noch an ein Interview erinnern, das Marcel Prawy mit Maria Schreker-Binder geführt hat. Sie war die Witwe von Franz Schreker und hat einige seiner Opern gesungen (z.B. zusammen mit Richard Tauber im Fernen Klang). Sie erzählte, dass die Partien nicht nur technisch sehr anspruchsvoll zu singen waren, viel schlimmer war jedoch, dass sie vom Lernen her angeblich zum Schwersten gehören, was es auf der Opernbühne gibt. Da es keinerlei herkömmliche Melodien gibt, mussten die Rollen Ton für Ton auswendig gelernt werden, was ungeheuer aufwändig war. Und wenn das schon für eine Sängerin schwer zu erfassen ist, wie erschlagen muss dann der arme durchschnittliche Opern-Abonnent sein. Für den ist das atonal, egal welch schöne musiktheoretische Erklärung der Fachmann dafür auch immer geben mag.



    JR schrieb:

    Zitat

    Auch "Der Zwerg" fand ich beeindruckend, während ich mich im Rosenkavalier von drei schönen Stellen abgesehen ohne Ende gelangweilt habe (und ich kannte keins der Stücke vorher).


    Da fragt man sich halt schon, was er von einer Opernvorstellung erwartet. Wir haben hier ein gehaltvolles Stück, eine höchst unterhaltsame Handlung - heiter, besinnlich und auch tragische Anklänge - und letztlich tolle Musik. Da finden sich nicht einfach drei schöne Stellen, sondern drei Höhepunkte der gesamten Opernliteratur. Ich weiß ehrlich nicht, was eine Oper noch mehr leisten soll, und schon gar nicht, wie man sich dabei ohne Ende langweilen kann. Ich hoffe für ihn, dass es eine lausige Vorstellung war...



    BBB schrieb:

    Zitat

    Die Aufführungen in 3 Häusern in Berlin sind weitgehend am "Publikumsgeschmack" orientiert und dementsprechend ist das klingende Ergebnis, nämlich :kotz:


    Ich wehre mich gegen diesen völlig unzulässigen Schluss. Als wenn eine gegenteilige Orientierung plötzlich zu überragenden klindenden Ergebnissen führen könnte. Höchstens an Häusern, bei denen die Akustik sich mit zunehmend leerendem Publikumsraum verbessert!



    Und weil Edwin gerade wieder einmal so etwas heiteres von sich gab:

    Zitat

    Und es ist so, das kann ich Dir sagen - auch wenn Du in Unkenntnis, wie Du ja zugibst, die "Penthesilea" uninteressant findest. Diese "Penthesilea" ist eine der besten und radikalsten Literaturopern, die komponiert wurden. Schoeck verwendet ein fragmentiertes Orchester, in dem eine Armee von Klarinetten, Trompeten und Posaunen den Ton angibt, dazu kommen Klaviere, Schlagzeuge und tiefe Streicher. Die Harmonik basiert auf einer bis zur Atonalität erweiterten Polytonalität, der Klang ist oft wie zum Schrei geballt. Nur die hymnischen Stellen formt Schoeck zu dunkel leuchtenden Melodieströmen von großer Kraft und Schönheit.
    Das Wunderbare an "Penthesilea" ist, daß diese Oper keinen Takt hat, in dem Schoeck, anders als Strauss, in süßliche Klischees fällt oder mit Tonmalereien irgendwelche Sensationslüste bedient.
    Ich kann Dir also nur den Rat geben, Dich mit diesem Meisterwerk auseinanderzusetzen. Du versäumst nämlich etwas, wenn Du es nicht machst!


    Und warum wird's dann nicht aufgeführt? Ganz einfach: Weil Schoeck den Text über lange Strecken als Melodram sprechen lässt. Die meisten Sänger sind keine so guten Sprecher, daß sie Kleist'sche Verse deklamieren könnten, die schon gestandenen Schauspielern größere Probleme bereiten. Eine Fehlkalkulation von Schoeck? - Mag sein. Aber eine, vor deren Genialität ich mich tief verneige.


    Eine bessere Begründung, warum diese "Oper" nie ein Erfolg werden kann, konnte beim besten Willen nicht geschrieben werden.

    :hahahaha:


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


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  • Hallo Theophilus,


    Zitat

    Glaube ich nicht, im Gegenteil. Du potenzierst nur noch die Fehleinschätzung von JR. Wie ihr Theoretiker empfindet und was ihr Hochgestochenes über die Werke von euch gebt, ist dem durchschnittlichen Opernbesucher so etwas von fremd und Wurscht, das glaubt ihr nicht!


    Wir hatten vor einigen Jahren den Faustus in Graz. So viele verstörte Gesichter wie in der Pause jener Premiere habe ich auf einen Haufen noch nicht gesehen. Es war schon fast komisch, aber mit derartiger Musik kann man auf Dauer keinen breiteren Hörer- bzw. Seherkreis gewinnen, das ist extremes Spezialgebiet für Narren und Liebhaber (oder auch umgekehrt ). Dabei ist es völlig unerheblich, wie hoch das Werk einzuschätzen ist, es wird immer ein Stück für einen sehr kleinen Kreis von Interessenten bleiben.


    wie sagte doch einst Oscar Wilde so schön: "Ich habe einen einfachen Geschmack, ich gebe mich nur mit dem Besten zufrieden." Busonis "Doktor Faustus" ist aus vielerlei Gründen eine meiner Lieblingsopern. Zum einen wegen des literarisch hervorragenden Librettos, das man - ebenso wie das von Pfitzners "Palestrina" - fast schon eigenständig als Theaterstück aufführen könnte (und das qualitativ weit, weit über vielen Texten weitaus populärerer Opern steht). Busoni hat sich klugerweise an die alte Volkssage gehalten und nicht versucht, Goethes Jahrtausendwurf zu veropern, so musste er nicht gegen ein übermächtiges Vorbild ankämpfen und sich eventuelle Vorwürfe anhören, dass er sich an einem nationalen Heiligtum vergangen habe. Zum anderen: seine Musik strahlt für mich etwas ganz Paradoxes aus, eine Art spröder Sinnlichkeit und geisterhafter Schönheit, vielleicht ein Erbe seiner deutsch-italienischen Herkunft. Ich muss andere nicht missionieren, der "durchschnittliche Opernbesucher" mag sich von mir aus "Cav" und "Pag" im Doppelpack reinziehen oder zum 1000. Mal en suite in die "Zauberflöte" rennen. Popularität spricht nicht grundsätzlich gegen eine Sache, aber auch nicht unbedingt für sie.


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher


    Ich möchte dir deine Freude an dieser Oper in keinster Weise schmälern. Es ist gut, dass auch sie ihre Fans hat (was mich darauf bringt, dass ich meine Aufnahme auch einmal wieder abstauben könnte). Du befindest dich da lediglich in einem sehr erlauchten, kleinen Personenkreis. Ich glaube nicht, dass mehr als ein Promille der deutschsprachigen Bevölkerung überhaupt von der Existenz dieser Oper weiß, vom Rest der Welt ganz zu schweigen. Und von diesem einen Promille wird nur ein kleiner Teil echte Fans ausmachen.


    Aber das ist ja egal. Es erhebt sich aber die Frage, warum diese doch so gute Oper dann vom Publikum nicht angenommen wird. Ich sehe zwei Gründe. Einer wurde vor langer Zeit hier schon diskutiert. Ich meine, dass es sich um Musik handelt, die sich von einem breiteren Verständnis zu weit entfernt hat, als dass sie jemals "populär" werden könnte. Sie ist nur etwas für jene, die sich seehr ambitioniert mit ihr auseinandersetzen.
    Der zweite Grund liegt in deinem Satz: "Zum einen wegen des literarisch hervorragenden Librettos, das man - ebenso wie das von Pfitzners "Palestrina" - fast schon eigenständig als Theaterstück aufführen könnte." ich bin der festen Überzeugung, dass Oper in erster Linie nicht vertonte Literatur sein sollte. Sie wird dadurch eher gehemmt als gefördert und die missglückten Beispiele sind viel zahlreicher als die wenigen Parade-Ausnahmen. Oper hat andere Gesetze als Theater, und damit sind gute Theaterstoffe fast zwangsläufig eher mäßige Opernstoffe (wenn sie nicht von genialischen Librettisten in eine passende, operngerechte Form gebracht werden - siehe Falstaff). Wie schaut das hier beim Faustus aus? Einfach gesagt: er ist auf der Bühne sehr fad. Hätte JR sich darüber beschwert, ich hätte nicht widersprochen, sondern seine Empfindungen akzeptiert. Es gibt kaum brauchbare dramatische Handlung, die Musik ist oft sehr sperrig und dann wieder langatmig, der Spektakel-Wert für die Bühne sehr gering. Es mag die Auseinandersetzung mit Inhalt und Musik sehr ergiebig sein, aber ich kann verstehen, warum sich das breite Publikum das nicht antun will. Da muss man wirklich ein aktives Interesse daran haben. Der Gewinn mag dann aber ein großer sein.



    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Guten Morgen.


    Zitat

    Original von GiselherHH
    ...Popularität spricht nicht grundsätzlich gegen eine Sache, aber auch nicht unbedingt für sie...


    Absolut richtig. Allerdings spricht Unpopularität ebensowenig zwingend für eine Sache.


    Für mich als interessierten Laien ist erstaunlich, wie häufig manche in diesem Forum immer wieder in Elite-Gefilde abdriften. Die breite Masse sieht zwanghaft Lindenstraße, die Auskenner widmen sich dem siebenten Siegel (dann bin ich insofern wenigstens auf der sicheren Seite, Lindenstraße läuft bei mir nicht, das siebente Siegel ist einer meiner Lieblingsfilme. Immerhin). Populäres ist dann folgerichtig als Ganzes "nicht gar so viel wert". Der "Publikumsgeschmack" als solcher führt somit quasi zwangsläufig zu Ergebnissen, die zum Speien sind.


    Allerdings, und das ist noch ein wenig erstaunlicher, ist breiter Erfolg auch nicht per se von Übel. Also Mahler, der ja nun wirklich rauf und runter gespielt wird, ist beispielsweise grundsätzlich in Ordnung - Popularität hin oder her.


    Es geht eben stets um das persönlichen Empfinden.


    Ich verdanke diesem Thread jedenfalls wieder einige Anregungen, welche Opern ich dringend noch mal hören sollte. Dankeschön.


    :hello:


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Hallo Theophilus,


    weil Du Dich in Deinem Beitrag an die (uns) Musiktheoretiker wendest, möchte ich zunächst vorwegschicken, daß ich mich auf keinen Fall als solchen bezeichne, sondern als "emotionalen Hörer". Habe auch kaum musikalische Vorbildung (durch Elternhaus oder Schule) mitbekommen und keine musikwissenschaftliche Ausbildung genossen. Nein, von Anfang an interessierte mich - als nicht vorbelasteter Hörer - die Musik, die mich emotional berührte, fesselte, beeindruckte.
    Und auf dieser Schiene möchte ich Dir auch antworten: von der Warte des unvoreingenommenen, für unbekanntes Musikrepertoire offenen Hörers aus.


    Zitat

    Wir hatten vor einigen Jahren den Faustus in Graz. So viele verstörte Gesichter wie in der Pause jener Premiere habe ich auf einen Haufen noch nicht gesehen.


    Meine Erfahrungen diesbezüglich gehen genau in die entgegengesetzte Richtung. Ich beziehe mich hier allerdings nicht auf Vorstellungen von Busonis 'Doktor Faust', sondern auf die in meinem ersten Beitrag genannten Werke von Zemlinsky, Schreker, Korngold, Stephan usw:


    In den etwa zwei Jahrzehnten, in denen ich gerne und oft unzählige Konzerte und Opern besucht habe, sind mir denn doch ab und zu ein paar dieser - von Dir als schwer verdaulich eingestuften - Stücke auf der Opernbühne "begegnet" - und zwar in mehreren Städten im Umkreis meines Wohnortes: in Frankfurt, Mannheim, Darmstadt, Wiesbaden, Kaiserslautern ...
    Ganz besonders gut in Erinnerung geblieben, ist mir eine Inszenierung von Zemlinskys 'Der Zwerg' am Mannheimer Nationaltheater, die über mehrere Jahre (mit Unterbrechungen) erfolgreich lief. Und da ich diese Produktion nicht nur einmal, sondern (immer in Begleitung mit verschiedenen Freunden) mehrmals besuchte und dabei während und nach der jeweiligen Vorstellung die Reaktionen des (Normal-!) Publikums aufmerksam begutachtete, ist mir auch heute noch die enorme Begeisterung beim Applaus sowie in Gesprächen einzelner Zuhörer nach der Vorstellung, die ich im Vorübergehen mit großer Freude registrierte, in bester Erinnerung geblieben.
    Ähnlich verhielt es sich in weiteren Vorstellungen des hier besprochenen Raritäten-Repertoires der oben genannten Beispiele. Eine Verwirrung oder gar Verstörung eines überforderten Publikums habe ich in den Aufführungen, die ich besuchte, nicht erlebt.


    Und speziell zu Deiner, auch von mir als völliges Fehlurteil gewertete Ansicht, ein "Normalhörer" (was das auch immer sein mag) würde Schrekers Musik als atonal empfinden:


    Edwin schrieb:

    Zitat

    Zumindest "Der ferne Klang", "Die Gezeichneten" und "Der Schatzgräber" dürfen eigentlich niemanden verschrecken, der behauptet, "Salome" und "Elektra" zu mögen.


    Diese Äußerung kann ich nur bestätigen. Ich würde sogar noch weitergehen: Für mich hat Schrekers Musik - insbesondere 'Der ferne Klang' - überhaupt nichts Sperriges, Dissonantes oder Unverständliches, sondern sie besitzt - ganz im Gegenteil - Sinnlichkeit, Schönheit, Poesie, wie ich sie z. B. in den in wunderbarsten Farben leuchtenden und schillernden Werken Debussys ('La Mer') und Ravels ('Daphnis et Chloé') wiederfinde.


    Zur weiteren Illustration hier zwei kurze Zitate aus dem Musiklexikon (Riemann):
    1. zu 'Elektra' von Strauss:
    Ein zweiter Einakter, Elektra, treibt die kühne Dissonanzbehandlung bis an die Grenzen des Tonalen weiter.
    2. über Wesenszüge des Theatralikers Schreker, insbesondere zu 'Der ferne Klang':
    ... das Verhältnis der teils scharf deklamierenden, teils melodisch geschwungenen, immer aber sinnlichen, gelegentlich sogar italienisierenden Gesangslinie zum in schillerndem Farbenspiel oszillierenden Orchester ...


    Eine Anmerkung noch zu dem Schlagwort 'Musik nur für ein Spezialisten-Publikum':


    Theophilus schrieb:

    Zitat

    mit derartiger Musik kann man auf Dauer keinen breiteren Hörer- bzw. Seherkreis gewinnen, das ist extremes Spezialgebiet für Narren und Liebhaber (oder auch umgekehrt ;) ). Dabei ist es völlig unerheblich, wie hoch das Werk einzuschätzen ist, es wird immer ein Stück für einen sehr kleinen Kreis von Interessenten bleiben.


    Dem widerspricht doch ganz eindeutig die in meinem ersten Beitrag eingebrachte und später von Edwin bestätigte Tatsache, daß zumindest die großen Opern Schrekers, Korngolds und Braunfels' vor dem Aufführungsverbot (ab 1933) solch immense Erfolge beim Publikum (sowie der Presse) gefeiert haben, daß sie sogar in einzelnen Fällen die Häufigkeit der Aufführungen Straussscher Opern übertrafen! Es handelte sich also mitnichten um ein "Spezialisten-Publikum", sondern um dieselbe Zuhörerschaft, die Strauss, Puccini, Wagner usw. goutierte.
    Und ich denke, was das heutige Publikum betrifft, ist es doch mittlerweile ganz andere - tatsächlich atonale, zwölftönige usw. - Kaliber gewöhnt.


    :hello:
    Johannes

  • Zitat

    Original von Theophilus
    Zu Franz Schreker ( hallo Guercoeur :hello: ):
    Mir ist auch völlig egal, wie Schreker vom Musiktheoretiker eingeordnet wird, für den Normalhörer ist das atonal, und die Diskussion hier darüber zeigt nur, wie weit wir uns in unserem Zirkel von jeglichem breiteren Publikumsempfinden bereits entfernt haben (hey, wir sind ja doch elitär! ;) ).


    "Mir ist völlig egal, ob Cezanne abstrakt malt oder nicht, für mein Empfinden malt er abstrakt." "Mir ist völig egal, ob der der Kölner Dom gotisch oder barock ist, ich finde ihn irgendwie barock." Sorry, aber das grenzt langsam an Humpty-Dumpty, der gegenüber Alice darauf bestand, dass Worte die Bedeutung haben, die er selbst für sie festlegt. "Atonal" ist kein sehr scharf umgrenztes Wort (vgl. ein etwas älteres posting von Edwin), aber es bedeutet nun leider mal nicht "gefällt mir nicht", selbst wenn 80% des Publikums beide Attribute auf ähnliche Stücke anwenden.


    (edit: ) Der Blick in ein benachbartes Gebiet wie Kunstgeschichte zeigt, das dort niemand auf die Dreistigkeit käme, seinen persönlichen Geschmack oder seine Gewohnheiten derart überzubewerten wie es das ein großer Teil des Opernpublikums tut. Woran das liegt, weiß ich nicht. Vielleicht weil man nicht ins Museum geht, um den Pelz und die Juwelen der Gattin auszuführen. Das scheint mir aber kein ausreichender Grund.


    Die Idee, dass der größte Teil des Publikums Strauss schlicht und einfach besser (weil viel länger) kennt als Zemlinsky oder Schreker kommt Dir gar nicht? Dass es einfach zu faul und geistig träge für etwas anderes ist? Ich verstehe nicht, wie man so engagiert eine weitverbreitete Trägheit und Beschränktheit, die auch noch stolz auf diese fragwürdigen Eigenschaften ist (das nennt man dann Borniertheit), verteidigen kann und ihr eine höhere Richtigkeit bzw. im Zweifel das letze Wort zuschreiben will. Es fehlt nur noch das "gesunde Volksempfinden", die allseits zuverlässige Richtschnur in moralischen und ästhetischen Fragen... Das gibts in der Schärfe wohl wirklich nur in der Oper.


    Zitat


    JR schrieb:


    Da fragt man sich halt schon, was er von einer Opernvorstellung erwartet. Wir haben hier ein gehaltvolles Stück, eine höchst unterhaltsame Handlung - heiter, besinnlich und auch tragische Anklänge - und letztlich tolle Musik. Da finden sich nicht einfach drei schöne Stellen, sondern drei Höhepunkte der gesamten Opernliteratur. Ich weiß ehrlich nicht, was eine Oper noch mehr leisten soll, und schon gar nicht, wie man sich dabei ohne Ende langweilen kann. Ich hoffe für ihn, dass es eine lausige Vorstellung war...


    IIRC eine Götz-Friedrich-Inszenierung, aus den 80ern, gesehen an der Deutschen Oper Berlin ca. 2003, extrem bunt, und mir war nie klar, ob sie ironisch oder ernstgemeint sein sollte (vielleicht sollte es sowohl denjenigen die pompöse Ausstattung lieben als auch denen, die das Werk nur in leicht ironischer Distanz ertragen könne, recht gemacht werden). Vielleicht liegt es auch einfach daran, dass mir weibliche midlife-crisis als Problem einfach zu fern steht :D
    Du willst aber anscheinend lieber leicht pikiert sein, dass mir eine deiner Lieblingsopern nicht besonders gefallen hat, als zu verstehen, um was es eigentlich geht: Nämlich gar nicht um die relative Qualität der Stücke, sondern darum, dass ein in diesem Repertoire unerfahrener Hörer keineswegs Zemlinsky "atonal" und Strauss toll finden muß. Nochmal, wieviel länger und besser kennst Du Strauss' Werke als Zemlinskys? Das soll kein Vorwurf sein, denn selbstverständlich ist Strauss viel bekannter, aber es zeigt doch einfach, dass es keineswegs eine unbefangene Reaktion ist, egal wieviele in derselben Situation sind und sie daher teilen.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Theophilus
    Ich glaube nicht, dass mehr als ein Promille der deutschsprachigen Bevölkerung überhaupt von der Existenz dieser Oper weiß, vom Rest der Welt ganz zu schweigen.


    Das gilt für jede Art von Kunst: Für Goethes Faust, Schillers Gedichte, Wong Kar Wais und Tarkowskijs Kunstkino, Rodins Plastiken, Malerei. Das gilt sogar auch für Mode, Inneneinrichtung, ganz zu Schweigen von der Politik! Die große Mehrheit hat keinen Geschmack.


    Wenn Popularität ein Kriterium für gute oder schlechte Kunst ist, dann sind die Rolling Stones, Michael Jackson, Hedwig Courths-Mahler, Ikea, Arnold Schwarzenegger und Sylvester Stallone die bedeutendsten Künstler... :no:

  • Zitat

    Die Idee, dass der größte Teil des Publikums Strauss schlicht und einfach besser (weil viel länger) kennt als Zemlinsky oder Schreker kommt Dir gar nicht?


    Die gilt aber nur für einen Teil der Strauss-Opern (Rosenkavalier und Salome habe ich hier in Aachen schon in jeweils drei verschiedenen Inszenierungen gesehen). Die für meine Ohren unglaublich schöne Musik der Danae kann man so gut wie gar nicht mehr live erleben und auf eine Aufführung der Daphne im Umkreis von 300 Kilometern warte ich auch schon seit 20 Jahren. Insofern sind einige Opern von Strauss heutzutage fast weniger präsent als Schrekers oder Zemlinskys Bühnenwerke.

    Im Übrigen zeigt mir dieser Thread wieder einmal, wie subjektiv die Wahrnehmung von Musik sein kann. Handwerkliche Meisterschaft wird Richard Strauss wohl niemand absprechen wollen - und inwieweit einen seine Musik dann wirklich bewegt, ist eine Frage der persönlichen Disposition.
    Ich habe neulich wieder einmal per Zufall die "Vier letzten Lieder" im Radio gehört (großartig gesungen von Jessye Norman) und muß gestehen, daß ich alleine für "Im Abendrot" den kompletten Schostakowitsch nebst Brittens Gesamtwerk (Edwin :baeh01: ) ohne Zögern in die Tonne kloppen würde...


    Auf andere Werke wie die Alpensinfonie, die Domestica oder sogar den Eulenspiegel kann ich hingegen ganz gut verzichten, auch für mich ist das überschätzte Musik. Aber die findet sich für meinen subjektiven Geschmack bei vielen Komponisten der ersten Garde, ich brauche z.b. auch die Eroica oder Schumanns Rheinische nicht zu meinem Glück.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo,
    man sollte auch einmal die Dirigenten erwähnen.
    Die meisten Aufnahmen vom Rosenkavalier stammen
    von Karl Böhm,gefolgt von Carlos Kleiber.Gleichzeitig
    sind sie auch die Dirigenten,welche die häufigsten
    Wozzeck-Einspielungen gemacht haben.Machten
    sie sich die Arbeit dieser Produktionen,um ein primi=
    tives Publikum zu bedienen?


    (Der Dirigent,der Penthesilea uraufführte,war auch
    ein großer Strauss-Dirigent,und leitete zwei Opern-
    Uraufführungen von ihm.)


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • hm, ich wollt es ja als zu arrogant zurücknehmen, aber JR hats schon zitiert.


    ehrlich gesagt kenne ich den durchschnittlichen opernbesucher gar nicht. wenn wir hier miteinander diskutieren sollte ja die jeweis andere aussage nicht komplett wurscht sein, sondern ein anreiz, darauf zu antworten.


    da meine meinung aber ganz sicher nicht von der anzahl der personen abhängt, die ähnlich denkt, ist für meine meinung der durchschnittliche opernbesucher natürlich schon komplett wurscht.

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Wohingegen dem Musikinteressierten der durchschnittliche Opernbesucher so etwas von fremd und Wurscht ist ...
    :baeh01:


    Die Frage ist bloß, wer die Wildsau und wer die teutsche Eiche ist, an der sie den Wanst wetzt... ;)


    Interessant ist auch, dass in einer Gruppe wie dem Opernpublikum, die sich selbst gern als elitär auffasst, der schnöde Durchschnitt auf einmal ausschlaggebend sein soll. :rolleyes: ;)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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