Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse

  • Zitat

    Original von Glockenton
    GiselherHH:
    Ich kann mich an eine gleichzeitige Fernseh- und Rundfunkübertragung der Eroica erinnern, die wesentlich lebendiger und spontaner klang, als die mir bis dahin bekannte Schallplatte aus den 70ern und die mich sehr begeistert hat.
    Ich weiss noch, dass damals Bundeskanzler Helmut Schmidt im Publikum sass.
    Leider wird man an einen Mitschnitt dieses Konzerts heute wohl kaum herankommen.?


    Das war das Jubiläumskonzert zum Hundertsten der Philharmoniker - und einen Mitschnitt habe ich irgendwo noch auf einer Cassette. Fragt sich nur, ob die noch abspielbar ist...

  • Hallo,


    auf der Website der Zeitschrift "Classical Record Collector" ist ein sehr interessanter (und langer) Aufsatz über HvK, betitelt "The Karajan Case", zu lesen. Hier der Link: wehwehweh.classicrecordcollector.com/Article2.asp


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo Giselher,


    der Link will nicht...


    (Später noch einmal versucht konnte der Server doch gefunden werden!)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    also bei mir hat es sofort gefunzt...


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo,


    eigentlich habe ich zu Karajan keine wirklich Beziehung. Als ich aufwuchs, war HvK eben die ganze Zeit als der Dirigent irgendwie unentrinnbar vorhanden. Mir geht es da vielleicht wie anderen, die groß wurden und keinen anderen Bundeskanzler als Kohl kannten. Gleichwohl war mir HvK nicht nahe oder sympathisch. Ich empfand ihn ein wenig als Dirigenten-Darsteller - eben weil er so prägend war.


    Nun habe ich mir jedoch trotzdem die Biographie von Osborne gekauft und wühle mich durch deren Seiten. Un bezüglich der hier mehrfach angesprochenen Verstickung während der Nazi-Zeit lässt mich Osborne leicht ratlos zurück. Demnach war HvK Parteimitglied, aber kein tätiges; überhaupt erscheint er demnach als ein (stiller) Anti-Nazi. Werde ich da durch Osborne verblendet, bin ich zu doof, zu erfassen, was der Mann da schreibt, oder woran hakt es?


    Im Übrigen ist meine Sicht auf den Maestro bezüglich seiner Einspielungen zwiespältig. Ich besitze seine erste Beethoven-Stereo-Gesamteinspielung, die ich grundsätzlich nicht missen möchte (gegenüber der 5. und 7. von Carlos Kleiber allerdings als langweilig, nahezu ein wenig unbeseelt empfinde). Strauss schätze ich sehr, aber nicht, wenn er von Karajan dirigiert wird. Da ist zu viel Zauber, zu viel Klang und Effekt dabei; dadurch werden für mein Empfinden die weniger schönen, oberflächlichen Aspekte bei Strauss noch betont (dagegen: Kempe! oder auch das "Heldenleben" von Rattle). Bei Bruckner habe ich nur die 4. und 7. unter Karajan. Wobei mir die 7. zusagt, die 4. dagegen überhaupt nicht. Und am allerschlimmsten: HvK plays Bach. Johann Sebastian wird da zum Romantiker gedehnt. Das geht gar nicht.


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Zitat

    Werde ich da durch Osborne verblendet, bin ich zu doof, zu erfassen, was der Mann da schreibt, oder woran hakt es?


    Es hakt daran, daß Osborne eine Beschönigungs-Strategie betreibt. Stell Dir einfach die Frage: Wie wahrscheinlich ist es, daß Goebbels einen stillen Anti-Nazi als Gegengewicht zu Furtwängler aufbaut?
    Offenbar war Goebbels etwas doof.
    Nun wissen wir aber, daß Goebbels keineswegs doof war. Ein Verbrecher, aber nicht doof.
    Also...

    ...

  • Wobei Karajan wohl primär (wie die allermeisten Leute nach 1933) aus opportunistischen Gründen "der Partei" beitrat (Karajan schien von der Macht als solches eher fasziniert zu sein als von den konkreten nazistischen Ideen). Der Status als PG sollte vor allem seine Karriere fördern. Allerdings haben auch Dirigenten, die nicht PGs waren (Böhm, Knappertsbusch, Rosbaud, auch Wilhelm Furtwängler) Dirigate zu "Führers Geburtstag", Parteiveranstaltungen sowie Auslandskonzerte in besetzten Länden übernommen. Man konnte also auch Aushängeschild des III. Reiches sein, ohne selbst Nazi oder PG zu sein. Karajan war eine Spielfigur im Intrigengeflecht des Reichspropagandaministers, der durch das Aufbauen eines jungen Konkurrenten (mit entsprechend gelenkter Pressekampagne) Furtwängler im Sinne der Machthaber gefügiger machen sollte, Furtwängler reagierte, wie Goebbels vorausgesehen hatte, mit Paranoia und versuchte, "Herrn K." wo es ging Steine in den Weg zu legen (und das bis zu seinem Tode 1954).


    Aber Karajans Karriere geriet schon bald (1940) ins Stocken, als eine "Meistersinger"-Aufführung wegen des angetrunkenen Sachs (Rudolf Bockelmann) aus dem Ruder lief und Karajan erst nach einer gewissen Zeit das Orchester wieder in den Griff bekam. Pech für ihn, dass sich ausgerechnet in dieser Vorstellung der "Führer" höchstpersönlich ein Bild von ihm und seinen dirigentischen Fähigkeiten machen wollte. Das Urteil fiel dann auch entsprechend aus und Furtwängler blieb Hitlers Lieblingsdirigent.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat


    Original von lohengrins


    HvK plays Bach. Johann Sebastian wird da zum Romantiker gedehnt. Das geht gar nicht.


    Romantiker? Wenn das wenigstens dabei herausgekommen wäre...


    Gerade habe ich in seine DG h-moll Messe von 73/74 hineingehört.
    Für mich hört sich das nach dem kuriosen Ergebnis einer ignoranten Einstellung gegenüber den damals schon bekannten Ergebnissen der historischen Aufführungspraxis an.
    "Gloo-hoo-hoo-hoo----ho-ho-ho-ho--hoo-ri-hi-ja-ha i-hin ex......."
    Also bitte! :no:
    Und dann ständig diese aufdringlich registrierte Continuoorgel... :rolleyes:
    Das Orchesterritornell vom Christe eleison klingt für mich wie eine Legato-Tonsosse, mit der sehr erfolgreich verhindert wird, dass man Bachs Musik als "Rede in Tönen" auffassen könnte.
    Dass es immer noch Herrschaften gibt, die bedauern, dass sich so etwas wie HIP überhaupt entwickelt hat, kann ich angesichts dessen nur schwer verstehen.
    Ich bin ja auch nostalgisch, aber wer so etwas immer noch voll verteidigt und Bachinterpreten wie Harnoncourt oder Leonhardt in Grund und Boden schreibt ( wie es ein Harnoncourt-Hasser in einem amerikanischen Forum leider mit hoher Bach-Sachkenntnis ständig tut) dem sperrt doch seine eigene Nostalgie die Ohren zu, sorry. X(
    Man höre doch nur einmal, wie sich dieses "Gloria in excelsis Deo" etwa bei Gustav Leonhardts oder Herreweghes zweiter Aufnahme im Vergleich dazu anhört.


    Aus heutiger Sicht sehe ich z.B. den Bachinterpreten Karl Richter in mancherlei Hinsicht durchaus im historischen Irrtum, auch bei solchen o.g. Melismen, die er nicht als Figuren der Klangrede, sondern wohl mehr als Sechszehntelketten sah.
    Aber selbst wenn ich das so meine, dann muss ich doch heute trotzdem sagen: Es waren oftmals grossartige, mit viel Emotion und Hingabe gespielte "Irrtümer"!
    Das konnte mich als jungen Menschen sehr mitreissen, und ich bin Richter für diese Bach-Erlebnisse heute noch dankbar.


    Mit Herbert von Karajans Bach hingegen konnte ich mich auch in meiner jugendlichen Pre-HIP-Zeit nicht anfreunden.
    Damals habe ich dazu gesagt: Der spielt über alles hinweg.


    Wie konnte es dazu kommen, dass ein Musiker wie er die Barockmusik derart spielen liess?
    Vielleicht könnten Informationen über seinen manchmal autoritären Charakter hier weiterhelfen, denn Kritik an seinem Musizieren mochte er überhaupt nicht.
    Möglicherweise betrachtete er alle damaligen HIP-Bestrebungen schon als einen gegen ihn oder wenigstens gegen seine Legato-Stil gerichteten Affront.
    Bei der Leidenschaft, mit der er diesen immer wieder vertrat, musste er das vielleicht auch so sehen.


    Der Orchestermusiker Helmut Mebert ( BPO) erinnert sich -nicht in diesem speziellen Zusammenhang- auf einer DVD an wie folgt:


    Zitat


    "Er (Karajan) duldete eigentlich keinen Widerspruch. Und er hat ja `mal gesagt:Ich bin nicht geboren, Anweisungen zu empfangen, sondern welche zu geben. Und das hat er dann auch praktiziert. Er hat in seinem Leben erreicht was er wollte, und was er gefordert hat, war eigentlich auch richtig gut...Und das Orchester ist ihm auch wirklich gerne gefolgt.


    Oder Simon Rattle in einem Interview der "Zeit":


    Zitat


    Ich habe ihn nicht sehr oft getroffen, aber im Gespräch war er ohne Eitelkeit, sehr professionell. Nur einmal war ich dumm genug, ihm am Telefon zu erzählen, dass ich Mozart auf historischen Instrumenten dirigierte. Er sagte: "Ich weiß nicht, Mr. Rattle, in welchem Stil Sie Mozart spielen, ich weiß nur, dass ich Mozart im Mozart-Stil spiele." Und dann hat er den Hörer aufgelegt. Das war unser letztes Gespräch.


    Von brennender Neugier auf neue Ergebnisse anderer Interpreten zeugt das nicht gerade...
    Er war eben sehr - auch mit einigem Recht- von sich überzeugt, was ja auch ein Teil dessen war, was sein grosses Charisma ausmachte.


    Und trotzdem meine ich, dass er -wie von mir weiter oben im Thread schon beschrieben- ein unerreichter Klangmagier im Sinne des Wortes "Klang"war, von dem man auch heute noch lernen kann.
    Einem Dirigentenschüler hat er beigebracht, dass man den noch rohen Klang erst wie aus einem Granitblock herausmeisseln müsse.
    Wenn man ihn erst einmal in den Händen hielte, könne man ihn wie eine Masse formen.Erst danach habe man einen Ausgangspunkt, um mit der eigentlichen Interpretation hinsichtlich Dynamik usw. arbeiten zu können.


    Konzertmeister Daniel Stabrawa ( BPO)


    Zitat

    Der wusste mit dem Klang des Orchesters umzugehen. Er konnte mit seinem Finger den Klang wie eine Masse modulieren und verändern.


    Seine musikantischen Beethoven-Symphonien 3, 5, und 9 mag ich sehr, auch wenn sie ganz anders klingen als etwa Harnoncourts Interpretationen.
    Von der Hingabe und vom Temperament her finde ich Karajans Beethoven immer noch vorbildlich.
    Diese strahlenden, wagnerisch massiven Blechbläser ( z.B. im dritten und vierten Satz der Fünften) gehen mir immer noch unter die Haut, selbst wenn es in Beethovens Zeit gewiss nicht so geklungen haben kann.


    Sicher kann man ihm vorwerfen, dass sein Interpretationskonzept recht einseitig von einem Ideal geprägt war.
    Nicht jede Komposition ist für Sostenuto, Legato und Vollklangästhetik geeignet, vor allem nicht Bach, Händel oder Mozart.
    Wenn es aber zu diesem Ideal passte, dann sind seine Interpretationen m.E. durchaus Sternstunden.
    Hier möchte ich seinen Sibelius, Grieg und auch Wagner nennen ( habe bisher noch keine von ihm dirigierte Wagneroper im Bestand, sondern nur Orchesterwerke)


    Ich bin also sehr dafür, in Sachen Hvk differenziert zu diskutieren und Licht und Schatten seines künstlerischen Vermächtnisses in den Vordergrund zu stellen.
    Nie sollte man vergessen, dass man in 30 Jahren die hochgepriesenen Interpretationen des Jahres 2006 mit einiger Wahrscheinlichkeit absurd finden wird...


    Sicher gibt es in HvKs Biografie nicht nur Licht( ich denke da z.B. an seine Harnoncourt-Blockaden in Berlin und Salzburg), aber ich scheue mich davor, gerade in Sachen Nazi-Vergangenheit vorschnell richtend den ersten Stein zu heben. Ich habe damals nicht gelebt.


    Zusammenfassend muss ich dem Berliner Geiger mit den wenigen o.g. Einschränkungen rechtgeben:


    Zitat

    ...und was er gefordert hat, war eigentlich auch richtig gut.


    Also insgesamt doch: :jubel:


    Grüsse :hello:
    Glockenton


    GiselherHH
    Vielen Dank für den sehr interessanten "Geschichtsunterricht".
    Hast Du empfehlenswerte Literatur über HvK im Bestand ?

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Tut mir leid, aber ich finde Karajans Beethoven genauso nichtssagend, leblos und stur geradeaus interpretiert wie seinen Bach.


    Mich wundert, daß sich jemand wundert, warum Karajan immer wieder so heftig angefeindet wird. Jemand, der derartig öde Interpretationen abgeliefert und sich gleichzeitig selber als sakrale Figur inszeniert hat, fordert die Häme doch gerazu heraus! Wie meinte mein erster Oboenlehrer (ein unglaublich vitaler Musiker) mal angesichts der preussischen Märsche mit K.und den Berliner Bläsern: "Nicht mal Märsche kann der dirigieren!"


    Erträglich finde ich Karajan nur bei Puccini (es gibt eine recht gute Boheme unter seiner Stabführung). Aber da kann man als Kapellmeister auch nicht so sonderlich viel kaputtmachen.


    Keine Frage, auf der Liste der unsympathischsten Dirigenten steht Karajan bei mir auf Platz 1. Und auf Platz 2 folgt der alte Grantler und Orchesterschinder Böhm.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Dieser Thread hat wirklich mal mein Interesse an HvK geweckt. Ich bin bis jetzt mit ihm eigentlich nie näher in Berührung gekommen.


    Früher war für mich Karajan der Dirigent schlechthin - ohne ihn eigentlich zu kennen, aber der Name allein und was man über ihn hörte, faszinierte mich auf eine gewisse Art. Ich glaube es war in 3sat - dort kamen dann eine zeitlang Karajan-Einspielungen im Fernsehen, die ich mir anschaute und einfach nur unheimlich schwülstig fand. In meinen Augen bedienten sie jedes Klischee, was so ein Orchester mit seinem Dirigenten bieten kann (was vielleicht aber auch dafür spricht, wie sehr HvK dieses Bild geprägt hat!): 5 Kontrabassisten in Reihe, die seelenruhig über ihre Saiten streichen und dabei ihre Töne aus den Tiefen des Urmeeres hinaufbeschwören; Dutzende von Geigern, die sich elegisch ihren Melodien hingeben, etc...
    Diese Bilder kennen bestimmt viele hier und wissen vielleicht auch was ich meine. Mich haben sie in diesem Moment jedenfalls eher abgeschreckt.


    Dennoch wollte ich Karajan letztendlich eine Chance geben und kaufte mir vor einigen Jahren für noch relativ viel Geld die neuere Aufnahme des Brahms-Requiem, mit der ich mich einfach überhaupt nicht anfreunden konnte. Ich erwartete zwar eine eher "schwere" Aufnahme (wie man's bei diesem Requiem ja eigentlich auch erwartet), aber das was ich hörte, war mir dann doch ein bisschen zu viel des Guten.
    Nachdem ich dann die Aufnahme von Herbert Kegel entdeckt hatte, verschwand Karajan für mich im Nirvana meiner Sammlung.


    Gestern kramte ich ihn wieder raus um noch einmal in die Aufnahme hinein zu hören. Ursprünglich wollte ich sie nämlich in diesen Thread stellen, in dem es um Aufnahmen geht, die man am besten gar nicht mehr hören möchte. Letztendlich hat mir dann aber das, was ich auf der CD gehört habe, doch gar nicht mehr so schlecht gefallen.


    Durch Zufall steht dieser Thread gerade heute relativ weit oben und der hat mich jetzt einfach noch neugieriger gemacht - vor allem auf die Beethoven-Sinfonien aus den 60er Jahren. Werde mir die wohl demnächst mal zulegen und unbedingt mal ein bisschen was daraus hören (wobei ich die bis jetzt sowieso noch nicht so gut kennen).


    Viele Grüße jedenfalls und danke für das "Neugierig machen" ;),
    Benjamin


    PS: Mit Mozart möchte ich ihn vielleicht trotzdem nicht hören *g*.

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Tut mir leid, aber ich finde Karajans Beethoven genauso nichstsagend, leblos und stur geradeaus interpretiert wie seinen Bach.


    Und das behaupte ich immer von seiner Mozartaufnahmen. :yes:


    LG, Paul

  • Hallo Giselher,
    nur kurz, um nicht Alfreds Mißmut zu wecken: Böhm war PG (Quelle: Michael Kater, die mißbrauchte Muse).
    Karajan war wohl der typische Fall eines Opportunisten, sicherlich kein begeisterter Nazi, sondern einer, der alles mitmachte, um groß herauszukommen. Ihn aber auf "stillen Gegner" umzufärben, ist grotesk.
    :hello:

    ...

  • Hallo Edwin,


    vielen Dank für die Info. Dass Böhm Nazi-Sympathisant war, wusste ich, dass er auch PG war, nicht. Ein Gegner des Regimes war HvK, wie die allermeisten damaligen Deutschen, sicher nicht, da stimme ich Dir zu.


    :hello:


    GiselherHH


    @ Glockenton:


    Über Karajan gibt es viele Biographien, die von Richard Osborne ist sicher die umfangreichste (weil penibelste). Über Karajan als Interpret (und Mensch) erfährt man wohl am meisten aus dem Buch "...ein seltsamer Mann" von Wolfgang Stresemann, dem langjährigen Intendanten der Berliner Philharmoniker. Und das oben von mir erwähnte Buch von Uehling beschäftigt sich vor allem mit seiner diskographischen Hinterlassenschaft.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Hallo zusammen,
    ich bin nun auch überhaupt kein Freund von HvK. Mit den außerkünstlerischen NS-Geschichten sollte man allerdings eine wenig vorsichtig umgehen. HvK war (laut M. Kater) sogar doppelt PG: er hat sich in Anif angemeldet und ein weiteres mal in Ulm. Eine der beiden Mitgliedschaften ist später gestrichen worden (nicht von ihm). Knappertsbusch, der sich später gerne als Opfer der Nazis dargestellt hat (ebenfalls bei Kater nachzulesen) hat sich nach Kräften an der Entfernung des Juden Bruno Walter beteiligt. Vor Hitlers Machtergreifung. Warum? Nun, er war auf dessen Posten in München scharf, den er ja dann auch bekommen hat. Von HvK habe ich dergleichen bislang nicht vernommen. Auch sehe ich mich als Jahrgang 1963 außerstande, über dergleichen zu rechten. Was aber wohl die wenigsten wissen: Der Begriff "Wunder Karajan", mit man ja auch heute noch ausgesprochen großzügig umgeht, stammt aus der NS-Zeit. Ein Journalist bezeichnete Karajan im Auftrag des Rosenberg-Ministeriums so nach einer Tristan-Aufführung, um Furtwängler nach Kräften zu ärgern. Die musikalische Hinterlassenschaft HvK's ist für mich weitestgehend nichtssagend. Die bei EMI erschienene Hänsel und Gretel-Einspielung ist hinreissend, die erste DGG Einspielung von Sibelius' Tondichtungen ebenfalls aber sonst? Angesichts von hunderten und aberhunderten von Tonträgern, die der Mann hinterlassen hat ist die Lust, nach Begeisterndem zu suchen nicht sehr ausgeprägt. Aber möglicherweise ist das eine Reflexopposition meiner Generation gegen die Übermacht von Bernstein, Böhm und Karajan in den 1970er Jahren, die uns abwechselnd als das jeweils absolute nonpulsultra angedient wurden.
    Seinen Fans gegenüber nix für ungut.
    Beste Grüße vom Thomas

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Als HvK noch jung war, fuhr er oft nach dem Concertgebouw um Mengelbergs Dirigat zu studieren. Weiß einer, ob da Einflüße zu bespüren sind?


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Keine Frage, auf der Liste der unsympathischsten Dirigenten steht Karajan bei mir auf Platz 1. Und auf Platz 2 folgt der alte Grantler und Orchesterschinder Böhm.


    Hallo Bernd,


    Du willst wohl unbedingt hier rausfliegen oder? :D


    Karajans Beethoven aus den 60ern hat IMO auch wieder Licht- und Schattenseiten: Aus dem Stehgreif würde ich die 4. als die gelungenste bezeichnen, die 3. fand ich scheußlich (bis auf die g-moll-Variations-Einlage im Finalsatz, die irgendwie an enen Slawischen Tanz vom Antonin erinnert). Im Unterschied zu Furtwängler lag ihm Pathos wohl nicht so (auch die 9. finde ich von H.K. nicht besonders), sein Schönklang passt aber in der 6. und eben auch in der etwas in die Richtung gehenden 4.
    Karajan und Mozart ist dagegen wohl nicht so die glücklichste Kombination :D (wobei ich nicht über seine frühen Opernaufnahmen schreiben kann, da ich die nicht kenne)


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Hallo Stefan,


    beide gehören halt zu den wenigen Figuren der Musikszene, die mich regelrecht anwidern. Karajan meinte, er müsse permanent als Halbgott posieren, und von Böhm weiß ich, daß gestandene Orchestermusiker (Solobläser) vom WDR sich krank meldeten, wenn der Maestro zum Gastdirigat nach Köln kam, weil sie schlichtweg Angst vor seinem Sadismus hatten. Und so etwas im Zusammenhang mit MUSIK finde ich ganz schrecklich. Der Mann muß ein unglaubliches Ekelpaket gewesen sein. Probenausschnitte, die ich mal in der Glotze gesehen habe, bestätigen das.


    Und wenn ich mir dann bei beiden anschaue, was die menschlichen Extravagenzen über weite Strecken musikalisch für Ergebnisse gezeitigt haben...


    Es stimmt natürlich, daß es von Karajan und von Böhm einige ordentliche bis sehr gute Aufnahmen gibt. Aber das sind in meinen Augen ein paar seltene Lichtblicke in einem ansonsten sehr dunklen Tunnel.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,


    an der Stelle muss ich natürlich wieder Furtwängler bringen. Habe ihn auch schon in Proben dermaßen ausrasten gehört - ich meine, Toscanini war noch ein "ulkiger Choleriker", so einer, der daheim rumtobt, obwohl niemand mehr auf ihn hört; Furtwängler und Böhm waren da doch mehr wie durchgeknallte Ausbilder beim Militär.
    Karajan war ja nicht so ein schlimmer Finger, was die Proben betrifft. Aber diese Aufnahmen seiner Konzerte mit dem speziellen Licht und der Kameraführung erinnern doch an eine Mischung aus kitschigem Heimatfilm (wegen der Farben) und den Jesus-Film des versoffenen und verwirrten amerikanischen Schauspielers da (Mel G.)
    Böhm hat mich die letzten Tage etwas mit seiner Jahreszeiten-Einspielung versöhnt (die ist einfach :jubel: ), sonst konnte er durchaus auch nicht mit umwerfenden Sympathien punkten. Und wegen meiner Furtwängler-Allergie habe ich mir ja schon was in einem anderen Thread anhören dürfen :D


    :hello:
    Stefan


    PS: ASM kann ich übrigens auch nicht mehr sehen/hören. Laut ihrer neuen Cover-Bilder spielt sie mittlerweile alles alleine ein - das Klavier bei den Sonaten, zusätzlich das Cello bei den Trios und die Violinkonzerte verlangen ihr sogar das ganze Orchester ab 8o:hahahaha:
    PPS: Glaube, wir brauchen wieder mehr Anti-Threads; macht einfach zu viel Spaß :D

    Viva la libertà!

  • Hallo Thomas,

    Zitat

    Knappertsbusch, der sich später gerne als Opfer der Nazis dargestellt hat (ebenfalls bei Kater nachzulesen) hat sich nach Kräften an der Entfernung des Juden Bruno Walter beteiligt.


    Dann wollen wir aber auch die ganze Wahrheit sagen: Knappertsbusch flog in München wieder hochkant hinaus, weil er bei der Nennung der Namen Hitler, Goebbels und Göring gerne das Präfix "Scheiß-" verwendete und es den mit ihm befreundeten hohen Offizieren irgendwann nicht mehr gelang, das mit erhöhtem Alkoholpegel zu erklären. (Und so etwas kenne ich wiederum nicht von Karajan.) Knappertsbusch wurde dann nach Wien abgeschoben, wo Baldur von Schirach seine schützende Hand über ihn hielt.


    :hello:

    ...

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner

  • Das kommt jetzt auf deine Definition von "bedeutend" an, immerhin standen bzw. stehen so ziemlich alle großen Dirigenten dieser Welt irgendwann mal vor diesem Klangkörper.


    Für mich ist ein Rattle aufgrund seines Einsatzes für zeitgenössische Musik und der Aufführung derselben mit den Berliner Ph., sowie seiner ( wenn auch eigenwilligen ) Leseart der "Standard-Repertoires" musikalisch genauso bedeutend, nur halt nicht so Massenwirksam, genauso wie ein Abbado ( nur um mal auf die Chefdirigenten seit HvK einzugehen ).


    Wenn du "bedeutend" mit "massenwirksam" gleichsetzt sollte man sich wirklich Gedanken oder sogar Sorgen über den Sinn der Kunst im Allgemeinen und der Musik im Speziellen machen.


  • Hallo Herbert,


    leider könntest Du Recht haben - das ist allerdings dann ein Armutszeugnis für die Gegenwart [und deren Lockenwickler] und eine düstere Prognose für die Zukunft. Aber Abbado ist mir doch lieber als H.K., viele werden das wohl anders sehen...


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Also für mich war Abbado der letzte.


    Rattles Interpretationen, das war ja schon oft Gegenstand der Diskussion, fallen in letzter Zeit immer mehr seinem egozentrischen Verhaltensmustern zum Opfer.


    Vielleicht liegt es am Anspruch, der an die Berliner Phil und aber auch den damit verbundenen Ruhm zusammen.
    Das Orchester versaut seine Chefdirigenten :stumm::D


    (Obwohl, wie ist das wohl bei den Wienern???)

  • Hallo Barezzi,


    warum leider?


    Kaum vorzustellen, dass es Karajan nicht gegeben hätte. Welch herber Verlust wäre das gewesen.


    Herbert hat recht, Karajan war der wirklich letzte Chefdirigent der Berliner Philharmoniker mit großer Bedeutung.


    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Zitat

    Original von Barezzi
    Toscanini war noch ein "ulkiger Choleriker", so einer, der daheim rumtobt, obwohl niemand mehr auf ihn hört...


    Hallo Stefan,


    "Toss the Ninny" (Spitzname, den ihm Beecham gegeben hat="Wirf den Deppen") hat seinen autoritär-diktatorischen Charakter durchaus auch in den Orchesterproben ausgelebt. Ich habe selbst einige seiner Probenmitschnitte und dort flippt er mit schöner Regelmäßigkeit aus. Da wird dann die "Madonna Santissima" bemüht, die Musiker sind "stupido" oder "idiota". Als das Orchester zu langsam spielt, bemerkt er: "Carri, carri" und imitiert dann das Blöken von Ochsen. Einmal soll er einem Musiker mit seinem Taktstock sogar fast ein Auge ausgestochen haben.


    Fellini hat über solche Maestri-Unarten einen schönen Film gedreht ("prova d´orchestra"). Aber die Zeiten von Pultdiktatorn sind ja wohl endgültig passé...


    Grüße


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)


  • Ganz ehrlich, musikalisch könnte ich ohne das Vermächtnis eines HvK sehr gut leben, nicht zuletzt weil für mich seine Leseart schlicht und ergreifend Nichtssagend ist. Bevor wieder das Argument mit dem "Zeitgeist" u.ä. kommt, ich verstehe diesen Thread als Analyse der Auswirkungen HvKs auf die heutige Zeit, was auch seine musikalischen Ansichten mit in den Vergleich zieht, immerhin sind diese das Hauptkriterium bei einem Musiker.
    Sein großes Erbe liegt in der Massenaufbereitung ( sprich CD ) von klassischer Musik, welche sowohl Segen als auch Fluch für die Branche ist da dadurch das musikalische Niveau hinter der Massentauglichkeit zurückdrängt, andererseits Leuten wie uns die Möglichkeit gegeben wird viele unterschiedliche Interpretationen und ein großes Werkspektrum kennenzulernen, aber "wir" sind halt eine Minderheit, insofern muss man sich die Frage stellen ob es wirtschaftlich und künstlerisch wirklich von Vorteil war was Karajan geleistet hat.


    p.S. Es wäre mal schön wirkliche Argumente der "Karajan-Befürworter" zu lesen, sprich: WARUM soll er der letzte "bedeutende" (chef?-)Dirigent der B.Ph. gewesen sein?

  • @ Liebestraum: Leider, da ich es schade fände, wenn keine bedeutende Musiziererei mehr bei den Berlinern stattfinden wird.


    @ Gieselherr: Ich meinte damit eher die letzte Phase, in der ihn die meisten mit seinem Getobe gar nicht mehr ernst nahmen und er eher eine unabsichtliche Witzfigur abgab. Stelle mir das in etwa wie in einer Karikatur von Matthias vor - bei Böhm gelingt mir das nicht, da wirkt es immer nur despotisch, nicht skurril...


    @ Michael: Zustimmung auf ganzer Linie :yes:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Hallo Edwin,
    den Kna hatte ich erwähnt, weil es zum einen die musikalische Leistung eines Musikers gibt, zum anderen die menschliche Seite. Kna steht auf der Liste der von mir verehrten Dirigenten ganz oben. Idealisieren tue ich ihn deshalb aber nicht. Was den Rauswurf aus München betrifft: Deine Deutung ist mir neu. Nach Katers Beschreibung war ich davon ausgegangen, daß er absolut nicht in der Lage war, seinen Geschäftsbereich wirtschaftlich zu führen, auch soll man sich überseine sattsam bekannte Probenfaulheit beklagt haben.. Gleichviel: er wird auf meinem Penatensims weiter stehen bleiben. Schin seines Bruckner's wegen!
    Beste Grüße vom Thomas

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo Barezzi,


    wichtig sind doch wohl die Ergebnisse,
    die der"ulkige Choleriker"Toscanini hinterlasseen hat.
    Da sind die großartigen GA.von : "Un ballo in maschera",
    "Aida",Otello",den herrlichen "Falstaff"und das Requiem.
    Das alleine schon sind unumstrittene dirigentische Meister-
    leistungen,die Maßstäbe setzten,und beispielgebend
    nachfolgende Dirigenten,einschließlich Karajan formten.
    Das müßtest Du eigendlich als "Barezzi" zu schätzen wissen.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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