Bach auf´m Cembalo (Solostücke)

  • Hallo, liebe Tamis!


    Bin akut auf der Suche nach ein paar Solo-Clavier-Stücken vom guten alten Johann Sebastian B.... Davon gibt es ja viele Aufnahmen, aber ich suche einschränkend nach Aufnahmen, die nicht mit Konzertflügel gemacht wurden (obwohl es davon sicher einige exzellente Aufnahmen gibt), sondern mit dem Clavier, das zu Bachs Zeit populär war: dem Cembalo. Ich denke da z.B. an Karl Richter, dessen Bachspiel ich i.A. sehr mag und meistens auch "aktuelleren" oder "historisierenden" Interpreten vorziehe.


    Gibt es da akut etwas auf CD? (Auf Schallplatte habe ich da ein paar Sachen, aber eben nicht digitalisiert). Oder gibt es vergleichbare Alternativen zu Karl Richter, die Bach auch auf dem Cembalo spielen? (Was ist z.B. von den Brillant-Aufnahmen mit Pieter-Jan Belder zu halten?)


    Gruss,


    Hendrik

  • Hendrik schrieb


    [Zitat]Ich denke da z.B. an Karl Richter, dessen Bachspiel ich i.A. sehr mag und meistens auch "aktuelleren" oder "historisierenden" Interpreten vorziehe.[/Zitat]


    Hallo Hendrick, das Cemablospiel Richters (historische Aufführungspraxis hin oder her) ist mir persönlich einfach zu fett. Es kommt mir vor, wie Kammermusik von einem Wagner-Orchester gespielt.
    Wenn es schon was "altes" für Cemabalo sein soll, versuch es doch einmal mit Kirkpatrick:



    etwas jüngeren Datums (und ausserdem sehr preisgünstig ist die Aufnahme der Goldberg-Variationen mit Kenneth Gilbert von 1986:



    mein ganz persönlicher Favorit in Sachen Bach/Cembalo ist jedoch Trevor Pinnock, wobei es allerdings gut sein kann, daß dir dessen Spiel "zu trocken" erscheinen könnte:


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • BBB schrieb:


    [Zitat] das Cemablospiel Richters (historische Aufführungspraxis hin oder her) ist mir persönlich einfach zu fett. Es kommt mir vor, wie Kammermusik von einem Wagner-Orchester gespielt.
    [/Zitat]


    Hmm... Dann hast Du noch nicht die Brandenburgischen Konzerte mit Karajan gehört...


    Scherz beiseite: Wahrscheinlich ist es gerade das Fette, was ich am Bachspiel - auch auf der Orgel - von Karl Richter so mag. Auch seine sonstigen Orchesteraufnahmen haben die Mischung aus "leicht romantisierend", "historisierend", "musikalische Aussagekraft", "werks-orientiert", "trotz modernem Orchester nicht philharmonisch aufgebläht", die ihn unverwechselbar machen und die ich ausserordentlich schätze. So etwas fehlt mir leider oft bei den Verfechtern der historischen Aufführungspraxis - deren Bemühen oft nur philologischen Wert hat.


    Leider sind seine Cembalo-Aufnahmen z.Z. nicht als CD erhältlich - daher suche ich nach einer Alternative, die KR eben nahekommt. (N.B.: Offensichtlich kennt niemand die genannte niederländische Aufnahme - Pieter-Jan Belder wird ja hochgelobt.)


    Trevor Pinnock kenne ich, ebenfalls Andreas Staier, beide mag ich aber nicht sehr. Ralph Kirkpatrick lohnte sich sicher mal anzuhören, Kenneth Gilbert kenne ich überhaupt nicht. Nochmal die Frage: Ähnlichkeiten zu Karl Richter feststellbar?


    Gruss,


    Hendrik

  • Hallo,


    Ich glaube nicht, daß es irgend jemand gibt, der
    Karl Richter "ähnlich" wäre.
    Er war schon zu Lebzeiten eine Legende und unverwechselbar, wenn auch nicht unangefochten, aber vielleicht macht gerade dies seinen Ruf aus.
    Seine Interpretationen waren nicht "fett" sie hatten, im Gegensatz zu manchem heutigen, "Körper" :yes:



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    Kenneth Gilbert steht im Ruf staubtrocken und akademisch zu spielen, aber da wirst Du wohl selber hineinhören müssen.


    Gruß aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Jaaa, "Körper" ist der richtige Ausdruck für seinen Stil.


    Und wenn Kenneth Gilbert staubtrocken und akademisch spielt, dann bleiben seine CDs beim Händler im Regal stehen. Auch und gerade bei Bach braucht die Musik "Körper" - sonst wäre es mir ein Leichtes, den Notentext (!) einzuscannen, die entsprechenden Informationen in ein MIDI-File umzuwandeln und mal eben über Soundkarte und MIDI-Schnittstelle auf mein Digitalpiano zu übertragen. Geht wunderbar, aber es fehlt eben der musikalische Körper (und - mit Verlaub - das könnte ich von Hand wirklich besser).


    Soweit bin ich schon: Karl Richter ist nicht zu ersetzen (habe ich mir sowieso schon gedacht). Aber das beantwortet immer noch nicht meine Frage nach Pieter-Jan Belder...


    Gruss,


    Hendrik

  • Oh, das ist doch mal ein Thema, zu dem ich etwas beizutragen habe!


    Es war im Jahre des Herrn ´87, Adam hatte gerade Eva zum ersten Mal erblickt, beide waren ziemlich verschossen ineinander, und an die Schlange war noch nicht gedacht -, es geschah im Jahr ´87, dass ich meine erste Klassik-Musikkassette (sic!) erwarb: Bachs Cembalokonzerte, gespielt von Trevor Pinnock und dem English Concert. Lange Zeit blieb diese Aufnahme, in die ich beinahe so verschossen war wie Adam in Eva, auch meine einzige; da kam einfach nichts ran, nicht mal in die Nähe.


    Etwas Ahnungslosigkeit und lebensgeschichtliche Obertöne waren bei dieser Begeisterung sicher im Spiel (gekauft hab ich den Schatz in London, auf meinem ersten Urlaub ohne Eltern...); aber neulich habe ich mir dieselbe Aufnahme noch einmal geholt, jetzt als CD-Tripeldecker, und die Musik ist immer noch der Hammer, und die Aufnahme - verglichen mit Kipnis/Marriner auf Sony - völlig zu Recht ein Klassiker, nach Einschätzung seriöser Kritiker unübertroffen. Wer Bach mag und dies nicht kennt, hat was verpasst.


    Bachs Musik für Cembalo Solo ist ja äußerst weitläufig - neben den Goldberg-Variationen wären hier unbedingt zu nennen: Italienisches Konzert; Englische Suiten; Französische Suiten (ein Europäer, der Herr Bach!); sowie die Partiten. Allesamt Gipfelwerke, ohne Frage. Aber da ich die Partiten am liebsten habe und damit dieser Beitrag nicht wegen Überlänge von überhaupt niemandem mehr gelesen wird, beschränke ich mich hier eben auf die Partiten.


    Wie üblich beim Zahlenmystiker Bach sind es sechs an der Zahl (ebenso wie die Brandenburgischen Konzerte, ebenso wie die Cello- und Violin-Soli usf.) und keine hingerotzten Werkchen wie die Stücke eines Telemann, sondern mit größter Sorgfalt ausgearbeitet und in mancher Hinsicht revolutionär. Atemberaubende Musik ,wie es sie zuvor (und danach...?) für das Cembalo nicht gegeben hat. Nicht umsonst hat Bach selbst seinen Partiten, über deren Wert er sich offenbar im klaren war, die Opuszahl 1 eingeräumt!


    Daher sollte man für dieses Werk nicht zu irgendeiner gerade günstigen Aufnahme greifen - deren es natürlich viele gibt, auch wirklich gute, wie die von Scott Ross bei Erato. Herrn Ross, einem draufgängerischen Amerikaner, der Frankreich liebte und das Motorradfahren und tragisch früh verschied (an Aids, glaube ich) - Herrn Ross habe ich lange gelauscht und manche glückliche Stunde dabei gehabt.


    Infame Kritiker aber setzten mir den Floh ins Ohr, die Aufnahme von Trevor Pinnock (seine zweite dieses Werks, bei Hänssler) sei noch viel besser... und dass der Name Pinnock in meinem Ohr den allerbesten Klang hat, dürfte nach obigem auf der Hand liegen. Also nahm ich Herz und Geldbeutel in die Hand - und ward enttäuscht. Sicher, Pinnocks Spiel besitzt Reife und Wohlklang, ist technisch ohne Tadel und musikalisch von äußerster Sorgfalt. Doch fehlt mir hier jene Inspiration, jener für Bach so wichtige Wille zur Grenzüberschreitung, die ich bei Scott Ross bewundert hatte.


    So schüttelte ich meine Faust gegen die britische Klassik-Mafia (Gramophone! oh, Gramophone! auch dir ist nicht zu trauen!) und wollte es nun erst recht wissen. Und stieß - eher zufällig - auf eine Aufnahme, die fast zeitgleich mit Pinnocks erschienen ist, im Bachjahr 2000, aber kaum von der Kritik beachtet worden ist. Diese Einspielung ist - und ich übertreibe nicht - schlicht sensationell, wörtlich: die Sinne berückend.


    Ich spreche von Siegbert Rampes Partiten bei Virgin Veritas. Was kann ich tun, damit Ihr Euch diese Aufnahme wirklich anhört? Mit Superlativen zu klotzen ist nicht meine Art. Wenn hier die Rede davon war, Bachs Musik brauche "Körper", so bekommt sie bei Rampe soviel Physis, soviel kraftstrotzende, feinnervige Vitalität, dass einem Augen und Ohren davon übergehen. Was dieser Mann an Klängen aus seinen Cembali herausholt, das ist absolut verblüffend und lässt das beschauliche Registerspiel eines Pinnock meilenweit hinter sich stehen.


    Da er nicht nur Virtuose auf den "Clavieren" ist, sondern erstrangiger Musikwissenschaftler und Barockspezialist, hat er ein ganz eigenes Verständnis der Musik, das er einem im Beiheft wortgewandt erklärt . So kann man beim Hören seinen Kopf anstrengen, man kann aber auch die Analyse beiseite stellen und die Kraft, den Körper, die Leidenschaft, die Subtilität dieser Musik als sinnliches Erlebnis genießen. Das ist soweit entfernt von den üblichen Vorurteilen gegen das Cembalo (hier keine "Nähmaschine", sondern ein Wunderwerk an Klangfarben) und grobmotorische Barockmusik (hier ein stetes Spiel belebender Agogik), wie ich es noch nie gehört habe.


    Ihr merkt, ich bin hingerissen. Würde mich interessieren, ob das jemand nachvollziehen kann?


    Fragt:
    Buxtehude


    (Übrigens, wer lieber Orchestermusik mag, sollte unbedingt zu Rampes Einspielung der "Brandenburgischen Konzerte" mit La Stravaganza greifen, ebenfalls bei Virgin, und ebenfalls eine Offenbarung.)

  • Hallo Hendrik,



    Hendrik schrieb:

    Zitat

    (Was ist z.B. von den Brillant-Aufnahmen mit Pieter-Jan Belder zu halten?)


    ich habe die Goldberg-Variationen mal im Vergleich zu Ton Koopmann, Pierre Hantai, Gustav Leonhard und Christiane Jaccottet gehört und muß sagen, dass sich der Billig-Belder gar nicht so schlecht schlägt. Ich würde ihn sogar vor Koopmann , Jaccottet und Leonhard setzen (in dieser Reihenfolge). An die Aufnahme mit Hantai reicht er allerdings nicht heran.
    Allerdings muß ich dazu sagen, dass ich kaum mehr als die Goldberg-Variationen am Cembalo ertragen kann: die Ausdrucksstärke bzw. Möglichkeiten sind mir (in der Regel) etwas zu gering (allerdings scheint das ja, folgt man Buxtehudes Antwort, durchausnicht notweniges Muß zu sein).


    Gruß
    Uwe

  • Hallo Buxtehude,


    vielen Dank für Deine Ausführungen zu Siegbert Rampe. Dem ist kaum noch etwas hinzuzufügen. Die Cembale-Einspielung der Partiten der Clavierübung I ist meines Erachtens kaum zu toppen. Hör Dir aber bei Gelegenheit auch mal die Einspielungen des von Rampe angeführten Ensembles "La Stravaganza" - Brandenburgische Konzerte, Musikalisches Opfer - an. Da Rampe sich auch als Musikwissenschaftler ausgezeichnet hat, wie Du richtig feststellst, sind auch die Begleittexte zu seinen CD's außerordentlich kompetent.


    Beste Grüße

  • Hallo tom,


    mal abgesehen, dass Genosse Buxtehude sich vor über einem dreiviertel Jahr das letzte Mal hier sehen lassen hat und möglicherweise auch nicht wiederkommt, so hat er doch selber schon auf Rampes Einspielung der Brandenburgischen hingewiesen. Mußt nur seinen Beitrag bis ganz an´s Ende lesen....


    :hello:
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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  • Hi,


    na ja, an sich ist diese Doppelung ja unschädlich! Darüberhinaus hat sie sogar noch etwas Gutes:


    Man kann nämlich gar nicht oft genug auf den sträflich vernachlässigten Siegbert Rampe hinweisen.


    Beste Grüße aus der Landeshauptstadt Hannover

  • Ciao Hendrik,


    da ich mich hier schon mehrfach quasi als Edelfan Richters geoutet habe, möchte ich nun keine neue Hymne anstimmen, sondern Dir aus meinem Fundus vier Bach'sche Cembalokonzerte anbieten (selbstredend gratis), die Karl Richter gelegentlich der Ansbacher Bach-Woche 1958 eingespielt hat.


    Falls Du interessiert bist, melde Dich einfach !


    Gruß,


    Gerd

  • Es gibt eine sehr gute Aufnahme am Cembalo vom Wohltemperierten Klavier von Davitt Moroney -(Label: Musique dábord) - sehr empfehlenswert
    maxmax

  • Das Wohltemperierte Klavier finde ich von Bob van Asperen hervorragend gespielt. Die Aufnahme ist echt schön!



    Von Davitt Moroney habe ich neulich wieder die Aufnahme der "Kunst der Fuge" angehört und bin nach wie vor begeistert. Etwas seltsam finde ich (das ist aber kein Problem), dass man bei der Aussteuerung der Aufnahme die hohen Frequenzen so forciert hat - was aber nur bedeutet, dass man beim Abspielen die Höhen (Treble) sehr weit zurückdrehen kann.


    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Kenneth Gilbert steht im Ruf staubtrocken und akademisch zu spielen...


    Alfred


    Finde ich gar nicht. Hat m. E. die richtigen Tempi und spielt sauber und strukturiert. Höre gerade DG Archiv "Preludes, Fantasies & Fugues" von 1986 (schon DDD). Gerade die Präludien aus dem "kleinen" Büchlein für Wilhelm Friedemann sind phantastische Preziosen, und Gilbert spielt sie nicht zu "gefühlig" - das ist nicht staubtrocken oder akademisch, das ist imho angemessen.

  • Hallo erstmal,


    diese Einschätzung der Aufnahme von Kenneth Gilbert möchte ich bestätigen. Gerade an den kleinen Präludien und Fughetten zeigt sich die Meisterschaft Bachs, aus ganz wenig Material richtiggehende Kunstwerke zu schaffen, und Gilbert spielt diese Stücke gehaltvoll und musikalisch ausgeformt, aber eben nicht romantisiert - was dieser Musik durchaus guttut.


    Beste Grüße,
    Wolfgang