Fade, lasch und langweilig ...: auf diese Dirigenten kann man getrost verzichten

  • Herzlichen Glückwunsch zu diesem internationalen Schlachtfest von Toscanini bis Thielemann.


    Muß ich jetzt meine CDs mit all diesen furchtbar Überschätzten auf den Mist werfen, da mich all diese fachmännischen Urteile geradezu einschüchtern? Nicht zu reden von den vielen Live-Erinnerungen aus Oper und Konzertsaal in über 40 Jahren?


    Ich biete als weitere Opfergaben ad libitum Bruno Walter,Klemperer, Knappertsbusch, Fritz Busch, Kussewitzky, Fritz Reiner oder auch, wenns gefällig, Furtwängler und Bernstein an.


    Ach die Geschmäcker, sie sind so unberechenbar wie ein Hurrican.


    In aller Devotion
    Florian

  • Hallo Florian,


    aber es zwingt dich doch niemand hier, deine Justus-Frantz-CDs
    mit persönlicher Widmung bei ebay zu versteigern !
    Wenn dir gefällt, was du hörst, seis dir völlig unbenommen. Ich würd mir auch nicht durch jemanden reinreden lassen, der einfach nur einen anderen Musikgeschmack hat als ich. Wie gesagt, der thread hier bietet keinen Anlass, indigné zu sein... :hello:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo BigBerlinBear,


    Der Hinweis auf Justus Frantz erschließt sich mir nicht. Ich habe gut 2500 CD gestapelt, darunter befindet sich keine einzige dieses Herrn. Ich habe auch nie eines seiner Konzerte besucht. Allein der Name ist mir geläuifig.


    Bevor ich das Forum mit meinen Bemerkungen beglückte, habe ich alle Einträge zu diesem Thema hintereinander gelesen. Und da mir die Dirigenten-Szene durchaus bekannt ist, fragte ich mich nach dieser Lektüre etwas irritiert: Ja du liebe Güte, wer bleibt denn jetzt noch übrig, den nicht der Bannstrahl der Überschätzung durchbohrt? Alsdann mutierte meine Irritation in leichte Ironie, die sich zu einem Thread zu formen versuchte. Schade, daß meine schwachen Worte bei Dir den Eindruck erweckten, ich sei indigné. Mitnichten. Ich war eher amüsiert. Denn ich finde dieses Thema eher putzig als erkenntnisfördernd - schon allein wegen der vielen Geschmäcker. Schlimm?


    Mit Kratzfuß
    Florian

  • Zitat

    Original von florian
    Ja du liebe Güte, wer bleibt denn jetzt noch übrig?



    Furtwängler natürlich... :]


    Die Pauschalverdammung diverser Pultheroen sollte man nicht wirklich ernst nehmen, denn da ist viel rein persönliche Abneigung dabei. Jeder der Herren dürfte auch ansprechende Leistungen erbracht oder einen Komponisten haben, der ihm persönlich liegt. Selbst bei Karajan :D


    Von helmutandres hätte ich mir ein paar erklärende Worte zu seinem Rundumschlag gewünscht. Hat er überhaupt einen Dirigenten übersehen? :rolleyes:

  • Florian:


    Zitat

    Denn ich finde dieses Thema eher putzig als erkenntnisfördernd


    Genauso sollte es zumindest sein, denn das Thema ist einfach ungeeignet, sich mit heiligem Bierernst darüber zu verbreiten ! :D


    Es sagt allenfalls etwas über Vorlieben und Abneigungen der hier postenden User aus, nicht mehr und nicht weniger. Also wen vermisste ich bislang bei den
    Dirigenten, die eigentlich nur unter "2te Garnitur" einzustufen sind ? Giulini hab ich hier noch nicht gesehn, (von dem GIBT es übrigens "langweilige" Einspielungen und achja, an Ferenc Fricsay hat sich offenbar auch noch keiner rangetraut....

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Also ich verstehe nicht warum hier eine solche Diskussion entsteht.
    Meiner völlig unmaßgeblichen Meinung ist es eine persönliche Sache
    wen ich als Dirigent schätze oder nicht, aber den Stab zu brechen auch
    über Maestri der 2.Reihe käme mir nicht in den Sinn. X(
    Vor allem mit einer Namensnennung das ist doch wie an den Pranger
    gestellt. :stumm:
    Viele der genannten Namen sind solide Kappellmeister, aber die soll es
    auch geben.
    Frei nach dem Motto. "LEBEN und LEBEN LASSEN".
    So harte Urteile hier zu treffen ist nicht mein Ding, da ich es zum Teil auch r e s p e k t l o s finde. ;(


    SCHÖNEN SONNTAG aus München.
    8)

    mucaxel

  • Hallo zusammen,


    ich glaube Threads wie dieser und der über die Egomanen waren einfach überfällig. Mit wachsender Begeisterung habe ich die Beiträge gelesen, bis Missverständnisse als heiteres Schlachtfest aufkamen. ‚Mucaxel’, ich verstehe dein Anliegen, gehe aber doch in eine andere Richtung: Die Dirigenten stehen so im Druck und gleichzeitig untereinander in Konkurrenz, sich gerade über die Medien behaupten zu müssen, dass das zu seltsamen Auswüchsen führt und nur hilfreich sein kann, wenn sich dies wie in diesen Threads einmal entlädt.


    Den Dirigenten der 1. Garnitur wäre zu sagen: Ihr müsst euch nicht immer beweisen und gegenseitig übertrumpfen, wer viele Orchester gleichzeitig spielt, wie oft pro Jahr um die Welt reist und so weiter. Das macht euch nur selbst kaputt. (Siehe zu diesem Thema den kürzlich erschienenen, allerdings oft auch etwas kitschigen Film „Wie im Himmel“).


    Den Dirigenten der 2. Garnitur: Versucht nicht, dies Verhalten der „Großen“ nachzuahmen, dann macht ihr euch nur lächerlich. Eure Chance liegt da, wenn es gelingt, vor Ort eine Begeisterung zu wecken, die in den großen zur Routine gewordenen Stätten oft verloren gegangen ist.


    Also, nur weiter so, und wenn nicht jetzt, dann später!


    Viele Grüße,


    Walter

  • ich weiß nicht, ob es heute unter den "großen" auch noch so üblich ist, die Kollegen herunterzumachen, um selbst ganz oben zu sein.


    Mir scheint, in früheren Zeiten haben einige Leute bewußt andere ins schlechte Licht gerückt, oder sich über andere gestellt - vor allem, sie haben diese Diskussionen eher selbst entfacht.


    gibt es wirklich unter den Jüngeren noch jenen Futterneid, daß Rattle über Thielemann über Jansons etc. Gerüchte bzw. Urteile ausstreut?


    Am ehesten zähle ich jetzt noch Harnoncourt dazu, der ja alles besser weiß als seine Kollegen und darüber spricht, und daher mein absolutes Mißtrauen hat...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Ich glaube man sollte drei Dinge explizit festhalten:


    Alle genannten Meinungen sind rein subjektiv - nicht messbar - und erheben keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit.


    Die Einteilung Dirigenten 1. und 2. Kategorie halte ich persönlich für irreführend - in der Regel wir hier nicht die Qualität des Dirigats beurteilt - sondern wie fest der Dirigent bei den Tonträgerkonzernen im Sattel sitzt, bzw welchen Chefdirigentenposten er einnimmt.


    Letztlich ist die Meinung des Forenmitglieds (also auch meine) davon geprägt (oder sollte man sagen getrübt ?) davon - welches Repertoire der Dirigent abdeckt - und ob das mit dem persönlichen Geschmack des "Rezensenten" kompatibel ist.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salut,


    sofern überhaupt ein Urteil möglich und erlaubt ist, so scheint mir dies eher aus der Perspektive der ausübenden Musiker kommen zu dürfen. Was hier "bewertet" wird, sind Ergebnisse. Die kann ein Musikliebhaber, der sonst keine Ahnung von der Materie hat, sich persönlich geprägt einordnen. Nicht aber die tatsächliche Leistung: Wer kann das Gefuchtel denn richtig deuten? Werk weiß, ob jener Dirigent auch mit diesem Orchester geprobt hat, oder ob er "nur" das Konzert leitet? Sieht denn jemand - außen den Profis hier - ob Einsätze richtig gegeben werden?


    Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Eine der Unarten ist, mehrere Chefdirigenten-Positionen gleichzeitig einzunehmen. Man halte sich vor Augen: Mariss jansons, den ich für einen der begabtesten seiner Generation halte, ist gleichzeitig in München und Amsterdam, dazu gibt er weltweit Gastspiele - und das mit schwierigen Stücken wie Symphonien von Mahler und Bruckner. Das kann nicht funktionieren. Niemand, der so viel dirigiert, hat genug Zeit, die Werke auszudeuten und reifen zu lassen. Menge ersetzt Qualität. Man höre sich an, wie risikobereit und tollkühn Jansons in seiner Osloer Zeit war, und wie sehr er jetzt zum Routinier geworden ist.
    Detto Rattle - der zwar nur ein Orchester leitet, aber ebenfalls Konzerte sammelt und niemals an seine Zeit von Bournemouth und die ersten Jahre Birmingham heranreicht.

    ...

  • Ich finde auch, dass es eine persönliche Sache ist, jemand nicht zu mögen - obwohl ... bei Lawrence Foster hat es mir wirklich noch nie gefallen, wenn er dirigiert hat.


    Ich habe gegen diese drei eine große persönliche Abneigung, ich finde/fand sie unerträglich. Vielleicht bringt es dieser Beruf mit sich, dass man sich selbst überschätzt - aber gleich fällt mir ein Gegenbeispiel ein: man muss sich nur den Unterschied anschauen und anhören, wenn Abbado spricht und wenn Muti spricht: Abbado absolut überzeugend und authentisch, Muti vergleichsweise ungebildet und selbstverliebt.


    Bei Karajan bin ich sehr im Zwiespalt. Einerseits völlige Abneigung, andererseits gibt es manche Ergebnisse, für die ich ihn verehre (Meistersinger mit Kollo, Adam, Schreier). "Karajan" ist schon etwas lange her, aber ich vergesse nicht die lächerlichen Videoaufnahmen im Musikverein mit den Statisten statt echtem Publikum (z. B. bei Bruckner-Symphonien), aber es hat dann ganz gut zu den langweiligen musikalischen Ergebnissen gepasst. Vieles von Karajan finde ich einfach nur lähmend. Da bringt es mir auch nichts, wenn es "klangschön" ist. In manchen Phasen hätte ich über Karajan gesagt, "wer braucht den". Es gab musikalisch gesehen viele wichtigere und bessere Dirigenten.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • ...hab' ich leider wirklich nicht gewusst, dass der gute Simon sich in Bournemouth herumgetrieben hat, als ich in der Wiege lag.


    Abgesehen davon mag ich den "Wischmopp" sehr und halte ihn auch grundsätzlich für einen sehr guten Dirigenten (wie bei allen anderen nicht für alles und jedes) - sein "Pelleas" in Salzburg hat mir gut gefallen. Damit bin ich offenbar nur hier im Forum in der Minderheit, beim Publikum offenkundig nicht (ja,ja - wieder ein Beweis, dass es mit der Kultur den Bach runtergeht).


    Irgendwie vermute ich aber auch, dass Rattle hier ein Problem hat wie viele aktuelle SängerInnen - sie werden abgelehnt, weil sie als Persönlichkeiten in den heutigen Medienbetrieb passen und dessen Möglichkeiten nutzen.
    Zudem dürfte er jünger sein, als die meisten Forianer - auch das spielt möglicherweise mit (anerzogener Glaube an einen notwendigen Habitus in Ausübung einer bestimmten Funktion).

  • Vielleicht ein paar kurze Bemerkungen zu Karajan (sollte sich der Focus aber dann auf ihn fixieren, dann bitte ich im Karajanthread :
    Was ist dran an Karajan ? - Versuch einer Analyse
    weiterzuposten)


    Karajan war aus meiner Sicht iner der horvorragendsten und bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts - das musste auch Leute anerkennen, die ihm nicht sonderlich gewogen waren.


    Er selbst war ein Technikfreak - und es ist eine Ironie des Schicksals, daß die digitale - und somit rauschfreie Tonaufzeichnung erst gergen Ende seiner Karierre sich durchzusetzen begann. Somit begann er alle bereits durch ihn eingespielte Werke erneut auf Tonträger zu bannen.
    Leider hatte er zu diesem Zeitpunkt seinen Zenit bereits übeschritten - und das ist zu hören. Seine Allmacht war dahin - dies manifestiert sich bei senen Opernaufnahmen der letzten Jahre - er war nicht mehr in der Lage eine Sängerriege in jener Qualität zu requirieren, wie 25 zuvor - teils weil seine Bedeutung geschwunden war - teils - weil es solch Sänger eben nicht mehr gab....


    Dazu kamen noch Angiffe von Leuten, denen er weltanschaulich suspekt war und von jenen, denen Perfektion, elitäre Attitüde und Perfektionsstreben immer schon ein Dorn im Auge war.


    Man darf aber nicht vergesen, daß das gesellschafliche Wertesystem zu Karajans Blütezeit ein anderes war.


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von martello


    Irgendwie vermute ich aber auch, dass Rattle hier ein Problem hat wie viele aktuelle SängerInnen - sie werden abgelehnt, weil sie als Persönlichkeiten in den heutigen Medienbetrieb passen und dessen Möglichkeiten nutzen.
    Zudem dürfte er jünger sein, als die meisten Forianer - auch das spielt möglicherweise mit (anerzogener Glaube an einen notwendigen Habitus in Ausübung einer bestimmten Funktion).


    Wie heißt es doch so schön: Es gibt keine alten und jungen Dirigenten, sondern gute und schlechte! (Okay, im Original hatte Otto Rehhagel diesen Satz auf Fußballer bezogen, aber auf Dirigenten u.a. kann man ihn auch wunderbar anwenden ;) )


    Für mich persönlich (der ein ganzes Stückchen jünger ist als Rattle) ist es vollkommen irrelevant und uninteressant, ob jemand "in den heutigen Medienbetrieb" paßt oder nicht.
    Mich interessiert es, ob jemand etwas "auszusagen" hat oder nicht. Bei der Vielzahl der hervorragenden Stereo-Aufnahmen (wobei die Stereo-Ära über ein halbes Jahrhundert andauert und entsprechend viel "Output" lieferte) reicht mir ein "08/15-hat man alles schon einmal gehört" nicht aus, um eine entsprechende CD zu kaufen.


    Wenn ich sehr wenige Rattle-Aufnahmen in den CD-Regalen stehen habe, dann liegt das schlicht und ergreifend daran, daß ich zu viel Mittelmaß von ihm hörte. So einfach kann manchmal eine Begründung sein...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Das kann ich aus der Sicht des Opernfreundes nur unterstreichen. Ich kenne keinen anderen Dirigenten, dessen Einspielungen nahezu alle immer im oberen Qualitätsbereich liegen, etliche sind IMO Referenz. Es mag im Einzelfall sicher bessere Aufnahmen geben, aber ich habe beim Kauf einer Karajanschen Opern GA noch nie einen regelrechten Reinfall erlebt.
    Ein eigenartiges Phänomen ist aber, daß er inzwischen oft ignoriert wird. Beispiele siehe Ring und Parsifal thread. Beide Aufnahmen gehören in die Spitzengruppe, wurden aber auch hier eher am Rande erwähnt. "Merkwürd’ger Fall!"

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Ich kann Dir und Alfred nur zustimmen. Als Referenz würde ich u.a. seine Aufnahmen von Don Carlo (1978), Turandot (1981) oder die Bruckner-Symphonien (1988/89) bezeichnen - und das sind alles die von vielen kritisierten späten Aufnahmen!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Misha


    Das kann ich aus der Sicht des Opernfreundes nur unterstreichen. Ich kenne keinen anderen Dirigenten, dessen Einspielungen nahezu alle immer im oberen Qualitätsbereich liegen, etliche sind IMO Referenz. Es mag im Einzelfall sicher bessere Aufnahmen geben, aber ich habe beim Kauf einer Karajanschen Opern GA noch nie einen regelrechten Reinfall erlebt.
    Ein eigenartiges Phänomen ist aber, daß er inzwischen oft ignoriert wird. Beispiele siehe Ring und Parsifal thread. Beide Aufnahmen gehören in die Spitzengruppe, wurden aber auch hier eher am Rande erwähnt. "Merkwürd’ger Fall!"


    Wie Alfred schon sagte, bringt es nicht viel hier einen Karajan-thread weiterzuführen. Aber der Ring (den ich nur sehr auszugsweise kenne) dürfte niemals unumstritten gewesen sein, allein wegen etlicher ziemlich fragwürdiger Entscheidungen bei der Sängerbesetzung.
    Ich glaube, die wenigsten werden je die Professionalität Karajans in Zweifel gezogen haben. Was viele (m.E teils zu Recht) stört, ist, dass man aufgrund seiner hervorragenden Beherrschung von PR und marketing-Instrumenten mitunter den Eindruck gewinnen muß, er sei der einzige bedeutende Dirigent zwischen 1950 und 1985 gewesen.
    Wenn man in den 80er Jahren als Jugendlicher anfing sich für klassische Musik zu interessieren, konnte man den Eindruck erhalten, die einzigen wichtigen Dirigenten seien Karajan und Bernstein (und kaufte dann am besten die teils schrottigen Digitalaufnahmen dieser Zeit, die Karajan selten von seiner besten Seite zeigen). Aber das ist schlicht ein Marketingeffekt.
    Die wirklich bedeutenden Dirigenten des 20. Jhds. sind eh alle im 19. geboren ;)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Die wirklich bedeutenden Dirigenten des 20. Jhds. sind eh alle im 19. geboren


    Das ist aber auch ne sehr reaktionäre Behauptung. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Lassen wir einmal den Karajan, den auch ich für einen der überschätztesten Dirigenten halte (als Mravinskij-Fan habe ich nichts gegen Perfektion, aber sehr viel gegen Seelenlosigkeit und Glätte) in seinem Thread - ich möchte mich dem von martello wacker verteidigten Simon Rattle zuwenden. Ich möchte hier versuchen, eine leichte Differenzierung anzubringen.

    Rattle war eine Naturbegabung, was rhythmische Sicherheit anlangt. Als praktisch sämtliche vorhandenen britischen Dirigenten behaupteten, die Erste Symphonie von Peter Maxwell Davies sei unaufführbar, weil niemand die Untergliederungen der rhythmischen Abläufe so darstellen könne, dass ein Orchester eine Stunde lang das korrekte Zusammenspiel schafft, zog Davies einen blutjungen Dirigenten aus dem Ärmel, der ihn am Royal College of Music mit Strawinskijs "Geschichte vom Soldaten" fasziniert hatte. Tatsächlich schaffte es Rattle, dem BBC Symphony Orchestra die Erste Symphonie von Davies beizubringen, sie aufzuführen und in der Folge auf Platte einzuspielen. Diese Aufnahme ist nicht nur eine der besten, die es von Davies Werken überhaupt gibt, sie ist auch eine der besten von Rattle.


    In der Folge arbeitete Rattle ausgezeichnet in Bournemouth, wovon seine 10. Mahler ein beredtes Zeugnis ablegt, wurde nach Birmingham engagiert und schaffte es, ein gutes Provinzorchester zu einem Weltklasseensemble zu machen. (Etwas Ähnliches erreichte Rattles etwas älterer Konkurrent Mariss Jansons in Oslo.) Niemand soll also behaupten, es sei nichts dran an Rattle, er sei nur ein Produkt der Werbung. Wer so spricht, hat keine Ahnung von den Mechanismen des Musikbetriebs bzw. hat er die falsche Optik.
    Also: Rattle wurde nicht großartig gepusht von Stardirigenten, Plattenfirmen oder Agenturen. Am Anfang war Rattle ein ganz normaler Dirigent, der nur durch sein Können beeindruckte und das Glück hatte, bei einem allerdings nur regional bedeutenden Orchester Chefdirigent zu werden.
    Diese Position nützte Rattle zuerst einmal, um die Werke aufzuführen, die er für wesentlich hielt, also nicht Repertoire rauf und runter spielen, sondern Dienst an der (subjektiven) musikalischen Werteskale. Die Aufnahmen aus dieser ersten Zeit in Birmingham dokumentieren Erstklassiges (das meiste von den Britten-Einspielungen, Janáceks "Sinfonietta"), Normales (Ravel, Strawinskij) und Missverstandenes bzw. Missglücktes ("War Requiem", Messiaen, Schostakowitsch). Ganz, wie man es von jedem guten Dirigenten am Anfang seiner Karriere erwartet.


    Dabei sprang Rattle fast hektisch von Werk zu Werk, machte Uraufführungen des absonderlichsten Repertoires und kümmerte sich um Werke, an die sich sonst niemand heranwagte, etwa Nicholas Maws höchst bedeutendes Orchesterwerk "Odyssey". Normales und entlegenes hielten sich die Waage - wenn nicht sogar das Entlegene stärker vertreten war.


    Der Niedergang Rattles begann IMO in dem Moment, als er ins Geschäft kam. Er erweitete sein Blickfeld in Richtung normales Repertoire und absolvierte hastig ein Stück nach dem anderen. Statt auf die Besonderheiten eines bestimmten Werkes einzugehen, entwickelte Rattle gewisse Manierismen der Orchesterbalance (z.B. zeitweise übertrieben prominente Nebenstimmen), der Temporelationen und des Gesamtklanges, die er als "Rattle-Stil" pflegt und jedem Werk aufpfropft, egal, ob es nun passt oder nicht. Wenn es passt, kann das Ergebnis immer noch fuminant sein, wenn es nicht passt (Messiaen, Orff), ist das Resultat IMO knapp an der interpretatorischen Bankrotterklärung. Dazu kommt, dass der anfangs kollegiale Rattle immer mehr sich selbst inszeniert.
    Als er in Wien erstmals dem jubelnden Publikum die eben aufgeführte Partitur der eben erklungenen Mahler-Symphonie entgegenhielt und so den Applaus auf das Werk lenkte, war das eine imponierende Geste. Mittlerweile schließen Eingeweihte Wetten ab, ob er wieder die Partituren hochheben wird - und wenn ja: Nach jedem Werk oder nur am Schluss.
    Kurz: Diese gespielte Bescheidenheit ist widerlich geworden, sie ist, wie Rattles Interpretationen, zur Pose degeneriert.


    Damit ist Rattle, den ich im Anfang fast als neuen Bernstein verehrte, zu einem eitlen Poseur geworden. Das macht mich persönlich weniger zornig als traurig. Was für ein unglaubliches Talent ist hier verkommen und dem Kommerz zum Opfer gefallen!

    ...

  • Man mag von Karajan halten, was man will, das er einer der Großen war steht außer Frage, das nicht alles, was er brachte, gut war, ebenso.
    Ich habe ihn mehrmals hören können (Brahms, Mahler, Strauss) und warjedesmal vom Ergebnis fasziniert. Rattle ist meiner Meinung nach überschätzt; einen langweiligeren Mozart hab´ich nie gehört, dagegen steht ein großartiger Berlioz (Romeo+Julia).


    Gruß Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Na gut, wenn's munter über Karajan weiter geht, dann will ich auch mal ;) :


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Er selbst war ein Technikfreak - und es ist eine Ironie des Schicksals, daß die digitale - und somit rauschfreie Tonaufzeichnung erst gergen Ende seiner Karierre sich durchzusetzen begann. Somit begann er alle bereits durch ihn eingespielte Werke erneut auf Tonträger zu bannen.
    Leider hatte er zu diesem Zeitpunkt seinen Zenit bereits übeschritten - und das ist zu hören. Seine Allmacht war dahin - dies manifestiert sich bei senen Opernaufnahmen der letzten Jahre - er war nicht mehr in der Lage eine Sängerriege in jener Qualität zu requirieren, wie 25 zuvor - teils weil seine Bedeutung geschwunden war - teils - weil es solch Sänger eben nicht mehr gab....


    Zugegeben, ich habe keine digitale Opernaufnahme mit Karajan, kenne auch nur recht wenige, aber bei etlichen sinfonische Aufnahmen kann ich nicht erkennen, daß Karajans Zenit überschritten gewesen sein soll-stellenweise ist imo sogar das Gegenteil der Fall.


    Man braucht nicht nur Karajans letzte Aufnahme, Bruckners 7., als Gegenbeispiel anführen, sondern da ist eine ähnlich beeindruckende Bruckners 8., eine 9. Sinfonie von Gustav Mahler (wo Karajan vollkommen auf "Verkitschung" verzichtet), da ist Holst-The Planets, da ist viel gutes von Richard Strauss dabei.


    Okay, Holst und Strauss schmeicheln dem "Klangästheten" Karajan und wurden wahrscheinlich deswegen für das damals neue Medium Compact Disc ausgewählt, aber was Karajan zu Mahler und Bruckner zu sagen hatte, ist anerkannter Maßen mehr als nur konkurrenzfähig und zeigt mir, daß der "greise Karajan" in seinen letzten Lebensjahren sehr wohl in der Lage war, den "schönen Klangbrei" zu vergessen und sich in den Dienst des Komponisten zu stellen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hi


    Zitat

    Man mag von Karajan halten, was man will, das er einer der Großen war steht außer Frage, das nicht alles, was er brachte, gut war, ebenso.


    Das würde ich entschieden bestreiten. Er war praktisch nie schlechter als sehr gut, nur war auch bei ihm nicht alles in dem Maße außergewöhnlich oder herausragend, wie das in seiner medialen Hochblüte quasi als selbstverständlich hingestellt wurde.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Maazel kann verdammt gut sein - ich habe eine 5. Bruckner unter ihm, die sagenhaft ist. Er kann aber auch grauenhaft sein - sein Mahler-Zyklus etwa ist IMHO der überflüssigste von allen...


    Hallo Edwin,


    beziehst Du das auf seine CD-Einspielung oder auf den Zyklus mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks?


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Hallo Musikfreunde,


    wenn man diesen Thread ließ muß man sich schon sehr wundern, welche großen Namen hier erwähnt werden, die IMO für diesen Thread absolut fehl am Platze sind.


    ?( Gerade die Dirigenten die im wesentlich aussagekräftigeren Thread LIEBLINGSDIRIGENTEN unter den ersten 10 stehen sind hier in den Beiträgen massig vertreten.


    Dies sind unsere TAMINO-Lieblingsdirigenten nach einem Zwischenstand vom 25.02.2006:
    1.Kleiber, Carlos
    2.Bernstein
    3.Böhm
    4.Karajan
    5.Klemperer
    6.Furtwängler
    7.Harnoncourt
    8.Abbado
    9.Fricsay
    10.Solti


    Auf diese Dirigenten wollen wir doch alle nicht verzichten, wie der Zwischenstand in Alfred´s Liste zeigt !


    ;) Ja, so haben wir abgestimmt. Deshalb ist es schon sehr seltsam, das nun gerade diese Dirigenten als fade, langweilig, überschätzt und verzichtbar genannt werden.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Robert,
    ob Toscanini nach dem Krieg nur noch ein Marketingereignis war,
    kann man ja sehr gut an den Einspielungen nachprüfen.
    Die Aufnahmen wurden wenig geschnitten,und auch nicht,
    wie heute meistens,durch technische Manipulation frisiert.
    Ich habe z.B. :La mer,oder die Tondichtungen von Strauss
    so durchsichtig und elektrierend nie mehr gehört,wie von dem"Alten."
    Dazu kommen die großartigen Aufnahmen einiger Verdi-Opern.
    Ich würde mich ohne die Toskanini-Edition ärmer fühlen.


    (Ähnliches gilt auch für Fritz Reiner.)


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Herbert,


    ich beziehe mich in erster Linie auf die mE fundierte Kritik in Horowitz Toscanini-Biographie und auf meine Kenntnis der Beethoven-Symphonien. Toscaninis Opernrepertoire habe ich nie bewußt gehört, da ich (derzeit) kein Interesse an diesen Opern habe, von Mozart abgesehen. Dort vermisse ich ihn aber keine Sekunde. Und - ehrlich gesagt - ich verspüre auch nicht gerade ein Bedürfnis, ihn mit anderem Repertoire zu hören. Zum einen, weil ich mehr Kammer- und Klaviermusik sammle, zum anderen, weil ich andere Dirigenten bevorzugen würde.


    Sein Vorkriegs-Beethoven mit dem BBC SO und dem NYPO ist anders als die späteren Aufnahmen, nicht so starr, eisig und leblos. Beethoven mit Klimaanlage schrieb mal jemand auf seiner Webseite.


    Bei Debussy ziehe ich Inghelbrecht, Desormieres, Coppola vor (um keine aktuellen Dirigenten zu nennen).

  • Hallo Barezzi,
    ich beziehe die Maazel/Bruckner-Wertung auf einen (nicht im Handel erhältlichen) Mitschnitt der V. mit den Wiener Philharmonikern (nicht die Decca-Aufnahme, die ist schlimm!).
    Andererseits habe ich eine VIII. Bruckner mit ihm - grauenhaft!


    Hallo Herbert, hallo Robert,
    Toscanini bei Verdi in allen Ehren: Da hat er den richtigen Biß, sein Otello ist für mich immer noch unübertroffen.
    Aber bei Debussy? - Viel zu robust, zu sehr auf Effekt ausgerichtet. Man vergleiche mit Inghelbrecht oder, von den jüngeren Dirigenten, mit Boulez. Diesem klar strukturierten Klangzauber hat Toscanini wenig entgegenzusetzen.


    :hello:

    ...

  • Karajan kann schon deshalb nicht langweilig sein, weil wir uns noch 17 Jahre nach seinem Tod so herrlich über ihn streiten.


    Wirklich langweilig ist A. Davis. Neulich hörte ich seine fünfte Symphonie von Vaughan Williams. Einschläfernd.


    Thomas

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