Bedeutende Tschaikowski-Dirigenten der Vergangenheit

  • Tschaikowsky war wohl immer zentral in Celis Repertoire. Aus seiner Münchener Zeit gibt es Aufnahmen der Symphonien 4-6 und der Nussknacker-Suite


    Ich mochte Celibidaches Tschaikowski auch immer gern. Trotzdem lege ich ihn seltener auf als andere, weil ich ihn gar nicht so sehr als Tschaikowski-Dirigenten abgespeichert habe.


    Es gibt neben den in der EMI-Box veröffentlichten Aufnahmen noch einen späten Mitschnitt der Fünften von 1993 aus Bremen, die sage und schreibe knapp 61 (!) Minuten dauert, also noch etwa vier Minuten langsamer ist als die etwas ältere "offizielle" Aufnahme (die ja auch nur ein Mitschnitt ist):



    Diese Interpretation ist also in etwa zwanzig Minuten langsamer als Mrawinski. :whistling: Vielleicht hat sich EMI auch deswegen dagegen entschieden, dieses extremste Tondokument des Celibidache-Spätstiles herauszubringen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Obwohl Mrawinski bekanntlich gebürtig Aristokrat war, hat sein Dirigierstil für meine Begriffe so gar nichts genuin Aristokratisches an sich. Mir kommt er vielmehr knallhart und entschlackt vor, was mich eben an die frühe Sowjetzeit zwischen 1917 und etwa 1927 erinnert, nicht an den späteren Stalinismus, der ja dann auch wieder zur pathetischen Überhöhung neigte.

    Ich habe ja sehr viele Aufnahmen von Mrawinsky, lieber Joseph, bin ein Mrawinsky-Sammler, also auch Aufnahmen von Mozart, Beethoven, Brahms, Bruckner bis hin zu Honnegger und Debussy. Dass er die Musik entschlackt und pathetische Überhöhung meidet, ist evident und auch, dass Leningrad am Anfang, bevor der Terror kam, sehr modernistisch war, das Orchester hat sogar Anton Webern gespielt (!) - vielleicht ist das bei Mrawinsky auch eine Reaktion auf diese Neigung zum Pathetischen durch die Propaganda des Stalinismus? Russische Dirigenten aus der Epoche sind alle in diesem sowjetischen Milieu sozialisiert, aber eben auch individuell sehr anders finde ich, z.B. Roshdestwensky (den Du ganz zu Recht auch anführst) oder Kondrashin. Kondrashin dirigiert die 10. Schostakowitsch fast schon "romantisch" im Vergleich mit Mrawinsky. Mrawinskys Musizierhaltung bei den Klassikern mit dieser Phrasierungsgenauigkeit erinnert an einen Pianisten - mir fällt da jetzt Svjatoslav Richter ein, der vom Typ her ähnlich unbeugsam ist. Und sehr klangsinnig sein bei Debussy kann Mrawinsky auch. Es gibt in der Erato-Box dankenswerter Weise eine Übersetzung der CD, wo er (auf Russisch) spricht über die Welt und Natur. Da hebt er die Bedeutung der Pausen hervor (Stille-Tod) - kaum ein Dirigent dirigiert so aufregende, sprechende Pausen wie Mrawinsky. Er stellt sich da als introventierter, grüblerischer Mensch dar mit einer ziemlich düsteren Sicht auf die Welt. Dass er ideologischen Bombast und musikalisch-rhetorische Effekte verabscheut, das wundert einen deshalb nicht. Ich habe übrigens den Mitschnitt mit der 5. Tschaikowsky aus Wien aus Japan (Altus-CD gebraucht) bestellt. Die Altus-CDs sind klanglich wirklich super.

    Diese Interpretation ist also in etwa zwanzig Minuten langsamer als Mrawinski. :whistling: Vielleicht hat sich EMI auch deswegen dagegen entschieden, dieses extremste Tondokument des Celibidache-Spätstiles herauszubringen.

    Bekanntlich lehnte Celi selbst CD-Veröffentlichungen und Aufnahmen ab - für ihn war eine Aufführung nur im Moment der Aufführung zu hören. Warum hat man das nicht zumindest berücksichtigt und die verschiedenen so unterschiedlichen Mitschnitte herausgebracht? So, mit dieser Veröffentlichungspolitik, wird man Celi sicher nicht gerecht!


    P.S.: Dadurch wird auch noch der völlig falsche Eindruck erweckt, Celi wäre es um die "Langsamkeit an sich" gegangen - eine Art "Entschleunigungsprogramm". Das stimmt aber eindeutig nicht und man weiß es auch, wenn man nur seine Schriften gelesen hat. Aber schade, dass es das Bremer Konzert nicht auf CD gibt - das ist ein aufregend intensiver, fast schon depressiver Tschaikowsky. Da braucht man nur die ersten Minuten zu hören, und man ist gefesselt!


    Ein schönes Wochenende wünscht
    Holger

  • Mit seiner Frau Wiktorija Postnikowa legte er außerdem eine Gesamtaufnahme der drei Klavierkonzerte vor.


    Wie Du weisst bin ich grosser FAN des Dirigenten Roshdestwensky.
    ;)8-) Aber es kann nicht immer alles perfekt sein.


    Bei den Klavierkonzerten (Aufnahmen Decca) mit den Wiener Sinfonikern bringt Roshdestwensky sogar einen russisch anmutenden Orchesterklang, der keine Wünsche offen lässt und dass man sich fragt, wie er das mit den Wienern hin bekommen hat. Aber die Wahl des viel zu langsamen Tempos ist für mich geradezu fürchterlich... vielleicht liegt es an seiner Frau Postnikowa um sie technisch nihct zu sehr zu überfordern; oder seine allgeimeine Tschaikowsky-Auffassung ?
    Das Klavierkonzert Nr.3 mit Postnikowa/Rosch stellt in dieser Aufnahme für mich (mit 18:14), der von Graffmann/Szell und Gilels/Maazel geprägt (mit 15:10) ist, eine Katastrophe dar.


    Sieht Roshdestwensky in Tchaikowsky den reinen Klassiker ?
    Auch seine Sinfonien-GA mit dem Symphonieorchester des Kulturministeriums der UdSSR (Melodiya/Eurodisc-LP_BOx) hatte ich mal besessen und hat mich im Vergleich zu Swetlanow und Karajan schon damals nie begeistern können.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Bernsteins letzte DG-Aufnahmen der Sinfonien Nr. 4 - 6 (DG 1987 - 1989, DDD) stellen für mich ein manchmal nur schwer zu geniessendes Programm dar auf dass ich mich nihct immer einlassen kann. Aber was die Emotionalität und Gefühl angeht, gibt es kaum vergleichbares. Denn Bernstein stellt in seiner breiten Darstellung absolute Rekordzeiten auf ... besonders bei der Pathetique.
    Francesca da Rimini bäumt er für eine Länge 27:42 zu einem riesen Klanggemälde auf ...
    Dennoch muss man den Wahnsinn gehört haben !


    - hier nur die Abb der Sinfonie Nr.6 -
    Die Spieldauer ;( = 22:34 - 8:29 - 9:52 - 17:12 = #58:31



    DG, 1987, DDD



    :thumbup: Wie es richtig Emotional und Gefühlvoll, auch in "normalem" Tempo geht, hat Bernstein in seiner famosen Sinfonien-GA mit den New Yorker PH (SONY, 1960 - 1975) gezeigt.
    Ich habe gestern die Patetieque gehört und war gefasht ... :angel: was für eine TOP-Interpretation.
    Besonders eindrucksvoll auch die gekonnte Steigerung im 3.Satz mit fabelhaften Pauken, die sogar deutlich prägnanter aufgenommen sind, als in Soltis "harter" Aufnahme.


    Die Sinfonie Nr.1 "Winterträume" ist zusammen mit Bernstein, Ormandy und Swetlanow meine Favoritenaufnahme. ( - Aufnahme 1970 Philharmonic Hall New York)
    Sinfonie Nr.2 ( - Aufnahme 1967 Philharmonic Hall New York)
    Sinfonie Nr.3 ( - Aufnahme 1970 Philharmonic Hall New York)
    Sinfonie Nr.4 ( - Aufnahme 1975 Manhattan Center New York)
    Sinfonie Nr.5 ( - Aufnahme 1960 Manhattan Center New York)
    Sinfonie Nr.6 ( - Aufnahme 1964 Manhattan Center New York)



    :!: Ja --- Bernstein darf als bedeutender Tschaikowsky-Dirigent in diesem Thread keinesfalls fehlen !
    Die SONY/CBS-GA der Sinfonien ziehe ich den Einzelaufnahmen bei DG unbedingt vor ... alle mit den New Yorker PH:



    SONY, 1957 (Romeo&Julia), 1960 - 1975, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang