Beethoven, Klaviersonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate", CD (DVD)-Renzensionen und Vergleiche (2017)

  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106, "Hammerklavier-Sonate"
    Michael Leslie, Klavier
    AD: 2008
    Spielzeiten: 9:53-2:32-15:41-2:37-8:52 --- 39:35 min.;

    Das müsste eine "Pfleid-Recording" sein, lieber Willi. Ich habe einige davon, u.a. die Diabelli-Variationen mit Leslie. Interpretatorisch ist das sehr gut, klangtechnisch war ich davon allerdings nicht so überzeugt.


    http://www.sengpielaudio.com/A…echnikPfleidrecording.pdf


    Ich schaue nachher mal nach, ob ich auch die "Hammerklaviersonate von ihm habe!


    Einen schönen Feiertag wünscht :hello:
    Holger

  • Nein, hatte ich noch nicht, lieber Holger. Schönen Dank für den Tipp. Aber jetzt noch einen Tipp für dich:


    Hier ist sie noch etwas günstiger:



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Schon gesehen? :)



    Schöne Sonntagsgrüße
    Holger


    Bereits am 03.01. hatte ich auf diese Neuerscheinung im Thread „Kommende Neuerscheinungen“ hingewiesen ... ;)


    Gruß
    Holger

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Gerade sehe ich: Bei jpc ist die CD zur Einführung auch preisreduziert. Bei Amazon muss man ja, falls man kein Prime nutzt, noch 3 Euro Porto draufrechnen. Dann ist jpc doch etwas günstiger. :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Bei Amazon muss man ja, falls man kein Prime nutzt, noch 3 Euro Porto draufrechnen. Dann ist jpc doch etwas günstiger.


    Richtig, aber wenn man Prime-Kunde ist und so viele CD`s kauft wie ich, lohnt sich das allemal. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr,. 29 B-dur "Hammerklaviersonate"
    Paul Lewis, Klavier
    AD: 2005/2006
    Spielzeiten: 11:35-2:43-18:27-12:49 --- 45:24 min.;


    Paul Lewis ist temporal wesentlich moderater als Michael Leslie und auch noch langsamer als Steven Kovacevich, die ich zuletzt vor einigen Monaten besprochen hatte.
    Er spielt das Ganze in einem großen, majestätischen Bogen, wobei er die zeitlichen Bewegungen vorzüglich ausführt, besonders das herausragende Ritartando am Schluss des Hauptthemas II (Takt 32 bis 34) im Verein mit den dynamischen Bewegungen, dem großen Crescendo poco a poco (Takt 11 bis 15), den häufigen Dynamikwechseln im Hauptthema II (Takt 17 bis 22), dem anschließenden Crescendo (Takt 24 bis 27 und dem abschließende Diminuendo (ab Takt 31).
    Auch der Übergang zum Seitenthema im Hauptthema III (ab Takt 39) sowie das Seitenthema selbst sind vom Feinsten. Er erweist sich hier wieder einmal als ein großer Legatospieler.
    In der 2. Phase des Seitenthemas (ab Takt 64 mit Auftakt) spielt er die kleinen Ritardandi ganz ausgezeichnet sind es die Bögen mit den Oktavierungen, die so wunderbar hervortreten.
    Auch die wundersame Schlussgruppe mit dem lyrischen ersten Gedanken (ab Takt 100) den Gewichtigen Ganzen-Akkorden im Mittelteil und dem staccatoförmigen 2. Gedanken spielt er wirklich mitreißend. Natürlich wiederholt er auch die Exposition.
    Auch in der Wiederholung kann sein kontrastreiches Spiel in Tempo und Dynamik nur gelobt werden.
    Dem schließt sich eine kraftvolle Einleitung der Durchführung an, die dann durch ein Pianissimo-Tal in eine neuerliche Steigerung in zwei kraftvollen glockenförmigen Oktavsprüngen zum Kern der Durchführung hin ausläuft.
    Im Kern der Durchführung setzt er die 4 Einsätze des Fugatos deutlich voneinander ab, ohne den Fluss zu unterbrechen, wobei er die dynamische Steigerung von der Mitte des 1. Einsatzes (Takt 144) aus bis zum Beginn des 3. Einsatzes organisch in die Entwicklung einfließen lässt.
    Im zweiten Fugato-Abschnitt ab Takt 177 mit Auftakt lässt er die Achtelsekund leicht durch die Oktaven hüpfen, bis die ff-Akkorde ab dem zweiten Themeneinsatz in c-moll (Takt 181) das Regiment übernehmen und in einer schier endlosen ff-Figur über fast 20 Takte dennoch im sog. Stillstand ab Takt 197 in einem grandios gespielten Diminuendo-Ritardando zur Ruhe und zum Stillstand kommen.
    Dann spielt Lewis ein wirklich berührendes, tief in den musikalischen Kern vordingendes Cantabile-Espressivo (ab Takt 201 nach dem Doppelstrich) und im letzten Teil der Durchführung ( zur Reprise hin) wunderbare Intervallsprünge. Ich bin, nicht erst seit dieser Aufnahme, der Meinung, dass man diese Entwicklungen besser darstellen kann, wenn man nicht in der Hauptsache versucht, die Metronomvorgaben Beethovens zu erfüllen, wenngleich der eine oder andere hoch virtuos veranlagte Pianist (z. B. Korstick), es doch schafft, in diesem Abschnitt zum Kern vorzudringen.
    Lewis hat hier den Zwang nicht, in der Reprise aus einem hohen Tempo heraus , z. B. in der Modulation der Reprise (ab Takt 234 mit Auftakt, die temporalen Bewegungen zu gestalten, er kann sich aus einem weniger hohen Tempo heraus die Verläufe optimal gestalten und wiederum ein einem herausragenden Diminuendo-Ritardando (Takt 264 bis 267) auslaufen.
    In einer neuerlich kontrastreichen Rückleitung gelangt er dann wieder zum berückenden Seitensatz, der, wie es gehört die nötige Ruhe und Gelassenheit ausstrahlt, wobei hier die Oktavierungen unterbleiben, in der dritten Seitensatzphase (ab Takt 313) jedoch wieder auftauchen und in die rhythmisch und dynamisch kontrastreiche und sehr ausdrucksvolle Schlussgruppe übergehen,, der er eine ebenfalls grandios gespielte Coda folgen lässt.


    Im Scherzo ist Paul Lewis etwa zeitgleich mit Stephen Kovacevich, aber etwas langsamer als Michael Leslie und deutlich langsamer als Michael Korstick.
    Dynamisch spielt er, wie schon im Kopfsatz sehr aufmerksam den Vorgaben der Partitur entsprechend und bildet die Akzentverschiebungen von der Phrasenmitte in den ersten 12 Takten zum Phrasenanfang in den ersten vier Takten des Mittelteils (ab Takt 15 mit Auftakt und ab Takt 31 mit Auftakt in der Wiederholung) sehr deutlich ab. Auch an solchen Beispielen sieht man die frappierende mathematisch genaue Architektur des Sonatensatzaufbaus in Beethovens Klaviersonaten.
    Im Trio zeigt sich wieder wie in etlichen ähnlichen Hörbeispielen, dass etwas weniger im Tempo mehr ist in Bezug auf die Transparenz der Wiedergabe, hier speziell bezogen auf die Achteltriolen in der Begleitung, die in schöner Regelmäßigkeit mit den Themen-Oktavakkorden die Oktaven wechseln.
    Auch das Presto geht in seiner Struktur klar und deutlich ins Ohr des Hörers, und wieder ist das dynamisch exakte Spiel des Pianisten zu loben.
    Im Scherzo II tritt die zusätzliche Achtel bei dieser klugen Tempogestaltung klar und deutlich hervor und fällt nicht unter den Tisch wie bei manchen, wie ich finde, zu schnellen Scherzos. Lewis spielt auch den temporal kontrastreichen Schluss (nach einem berührenden "poco ritartando" das Presto mit den originellen vier Schlusstakten auf dem hohen Niveau des bisher Gespielten.
    So klingt es m. E., wenn der Pianist partiturtreu spielt und dabei sein hohes Können ganz in den Dienst der Musik stellt.


    Im Adagio ist Paul Lewis deutlich langsamer als Stephen Kovacevich un noch deutlicher langsamer als Michael Leslie, aber ebenso deutlich schneller als Michael Korstick.
    Dynamisch ist das sehr beeindruckend. noch mehr aber nimmt mich die musikalische tiefe seines Spiels gefangen, ganz entspannt, nicht zu sehr nach außengekehrt, aber dennoch spannungsreich empfinde ich es, wie er kleine und große Bögen, aber auch die Non-Legato-Abschnitte zu einer ganz großen Bewegung zusammenfasst und in den ersten schier überirdischen, von innen leuchtenden Bogen (Takt 14/15) hineinfließen lässt und es dann trotz des Zurückfallens in das traurige fis-moll weiter fließen, um wenige Takte später den Bogen nochmals leuchten zulassen, diesmal in einer zusätzlich Oktavierung nach oben- wunderbar!
    Und dann stimmt er den bewegteren, aber ebenso tieftraurigen "con grand espressione"-Teil an (ab Takt 28 mit Auftakt), wo es wogt, dann aber, wie aus dem Nichts sich auflöst (Takt 33 in der zweiten Sechzehnteltriole) und zu dieser einmaligen überirdischen Überleitung zu jenem himmlischen Seitenthema geformt wird, das mich seit vielen Jahren gepackt hat. Lewis spielt das trotz der enormen musikalischen Dichte sehr klar und gleichzeitig sehr berührend.
    Und das himmlische Seitenthema selbst ist eine Offenbarung bei einem hochlyrischen Pianisten wie Paul Lewis, und er führt ganz organisch dieses Seitenthema über die schon früher beschriebenen signalartigen Sext-Terz-Kombinationen, hier in Takt 63 und 65/66 in die Durchführung hinein, die geprägt ist von den originellen aufsteigenden Sechzehntelfiguren und zudem der kürzeste Teil des Adagios ist, in hellen Es-dur beginnt und im letzten Viertel wieder im fis-moll endet und im Smorzando (Takt 86) versinkt und Platz macht für die Reprise, in der Beethoven das Thema wieder in neuem Gewande präsentiert, zunächst in den spektakulären Zweiunddreißigstelläufen in der hohen und ganz hohen Oktave, die kontrastiert werden von dreistimmigen , später auch vierstimmigen Akkorden, die zwischen Quinte und Dezime changieren un d im Bass unerbittlich den Takt schlagen. Grandios, wie Lewis das spielt in teilweise weit ausladenden dynamischen Bewegungen, am Ende dieser Sequenz in wunderbaren, gleichsam sich ständig wandelnden Figuren und Oktavierungen auslaufen, bevor in einer neuerlichen Auflösung in Takt 108 mit Auftakt zunächst wieder das "grand espressione und dann die ebenfalls gewandelten überirdischen Überleitung wieder ankündigt, auf dem Wege dahin im Bass von großen Intervallsprüngen kontrastiert. Lewis führt mit großer Ruhe und gleichzeitig leidenschaftlichem Spiel wiederum kongenial zum himmlischen Seitenthema (ab Takt 129)hin, , das am Ende wieder über unsere schon bekannten Sext-Terz-Kombinationen zur wundersamen Coda hinführt, in dem noch einmal kurz das Seitenthema auftaucht, dann aber in einer furiosen Steigerung untergeht, Lewis spielt das auch furios mit drei hammerharten sehr dichten Zweiunddreißigstel-Sextolen am Ende von Takt 165, bevor das Hauptthema mit langem Atem und einem ausgedehnten ritardando alles wieder unter dem wunderbaren Bogen zur Ruhe bringt und nach einem letzten Crescendo das lange Geschehen mehr und mehr zusammensinkt und in einem wunderbaren ätherischen Fis-dur, Morendo in einem letzten gebrochen Akkord vergeht.
    Ein überragend gespielter Satz!


    Das einleitende Largo des Finales spielt Lewis, wie ich meine, in angemessenem Tempo, wiederum die dynamischen Akzente sorgfältig ausführend. Auch das anschließende Allegro (ab Takt 3) spielt er überschaubar und dynamisch in den entsprechenden Kontrasten.
    Auch im "tenuto"-Teil (Takt 9 un f 10) spielt er mit reduziertem Tempo und präzisen Abstufungen in den Zweiunddreißigstel und Achteltriolen und lässt es organisch in den hochrhythmischen "a tempo"-Teil (Takt 10, Forts.) einfließen. Weil er diesen Abschnitt ganz langsam beginnt, ist sein Accelerando um so größer und gefällt mir über die Maßen. Auch das Crescendo ist außerordentlich.
    Im I. Teil des Allegro risoluto,. der Exposition des Themas in B-dur, Tat 16 bis 84, liest der Hörer dank des maßvollen Tempos und es rhythmisch wie dynamisch präzisen Spiels wie in einem offenen Buch und kann immer besser erkennen, mit welchen raffinierten Mitteln hier den Fortgang des Satzes überschaubar gestaltet, mal in den Sechzehntelläufen durch Basstriller am jeweiligen Taktanfang strukturiert, mal durch wiederholte identische Sechzehntelfiguren im Bass, mal durch die Verlagerung des Themas in die hohe Oktave. Wenn der Pianist als oberste Maxime die möglichst schnelle und virtuose Bewältigung des höchstschwierigen Satzes im Sinn hat, ist dieser Aufbau kaum nachzuverfolgen, kommt der Hörer ein um's andere Mal ins Schwimmen (und der Pianist manchmal auch). Paul Lewis macht das hier, wie ich finde, ganz im Sinne des Zuhörers sehr transparent.
    In diesem Sinne geht es im II. Teil, Takt 85 bis 152der Vergrößerung in es-moll, weiter. Hier trägt er der Gestaltung des Gehaltes durch hochdynamische Sforzandoketten und kreuz und quer über die Oktaven hüpfende Trillerketten Rechnung, wobei er die dynamischen Bewegungen in den Fluss mit einbindet, wobei dieser durch die kunstvoll eingestreuten Viertel- und Achtelpausen immer wieder kurz stockt, aber immer wieder weitergeht.
    Im III. Teil, dem Rücklauf des Themas in h-moll, Takt 153 bis 207, gestaltet er die verschiedenen Stilmittel Beethovens auch sehr transparent, in der ersten Hälfte im "cantabile" die langen Bögen in den Halben und Vierteln, von den Sechzehntelläufen darunter kontrastiert, anschließende die Sechzehntelläufen oben, dann wieder gewechselt, und im zweiten Teil durch die schon vorher einmal angewandten Repetitionen von gleichen oder ähnlichen musikalischen Sechzehntelfiguren in stets verschiedenen Lagen.
    Im IV, Teil schließlich, Takt 208 bis 249, in dem das Thema umgekehrt wird und der die Mitte (und den Höhepunkt) des Allegro risoluto markiert, wie ich schon früher einmal ausführte, erweitert Beethoven sein Repertoire an musikalischen Mitteln, indem er nicht nur kleinere oder größere Figuren auf gleicher oder unterschiedlicher Höhe wiederholen lässt, sondern auch unterschiedlich lange Tonfolgen in beiden Oktaven parallel laufen lässt, z. B. in Takt 220 oder 222 oder schließlich ähnlich strukturierte Figuren gegenläufig spielen lässt, so ab Takt 229, schließlich endend in diesen beispiellosen wilden Trillersprüngen Takt 242 bis 246. Paul Lewis setzt all das, wie ich meine, absolut gekonnt und sachdienlich um und endet diesen auch von der Schwierigkeit her absoluten Höhepunkt des Satzes in donnernden Fortissimoakkorden.
    Auch den V. und kürzesten Teil, jene ruhevolle "Insel, die Durchführung des zweiten Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, spielt Lewis sehr anrührend, mit klarem, die3sseitigen Ton ganz im Bachischen Stile, wie ich finde.
    Den VI. und längsten Teil, bestehend aus drei Abschnitten, zuerst die gleichzeitige Ausführung beider Themen in B-dur, dann zweifache Ausführung des 1. Themas in B-dur, schließlich die Schlussankündigung der Durchführung in B-dur, schließt Lewis voll konzentriert und "ben marcato" mit gestiegenem dynamischen Niveau und rhythmischer Kraft an.
    Hier fährt Beethoven noch einmal alles auf, was ihm an Gestaltungsmitteln zur Verfügung steht, und Lewis fährt noch einmal alles an Können auf, was ihm zur Verfügung steht. Zusammen ergibt das ein atemberaubendes Procedere, das Lewis mit der grandios gespielten unglaublichen Coda zu einem würdigen Ende führt.
    Eine herausragende Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    John Lill, Klavier
    AD: ?
    Spielzeiten: 11:34 - 2:52 - 24:39 - 13:15 --- 52:16 min.;


    John Lill legt sehr moderate Spielzeiten vor, wie wir es von allen seinen bisherigen Aufnahmen kennen. Jedoch bei den meisten bisher von mir besprochenen Aufnahmen gehörte er in die Spitzengruppe, bei den Sonaten Nr. 1, 2 und 3 habe ich ihn bisher als absolute Referenz gesehen, und bei der Nr. 11 hatte ich bisher nur Artur Schnabel über ihm eingeordnet. Lediglich bei den Sonaten Nr. 14 (Mondschein) und Nr. 26(Les Adieux) sah ich ihn weiter hinten.


    Auch in der Hammerklavier-Sonate spielt er den Kopfsatz in moderatem Tempo, noch etwas langsamer als Paul Lewis, jedoch wesentlich langsamer als Michael Leslie, dynamisch jedoch auf den Punkt mit einem wunderbar kraftvollen, sonoren Klang und exakten dynamischen Bewegungen und prachtvollen Steigerungen sowie im Hauptthema II (Takt 17 bis 34) mit einem grandiosen abschließenden Diminuendo-Ritardando.
    Auch im Hauptthema III ab Takt 35 und der anschließenden Überleitung mit dem Crescendo-Diminuendo hinein in die 1. Phase des Seitenthemas sind vom Feinsten. Das Seitenthema selbst gestaltet er in er 1. und 2. Phase (Takt 47 mit Auftakt bis Takt 74) und den eingeflochtenen Oktavierungen sehr anrührend, wiederum die vielfältigen dynamischen Akzente und Crescendi sorgfältig ausspielend und die temporalen Kontrasten flüssig aneinander reihend. Dem schließt sich in seinem hohen Niveau die 3. Phase des Seitensatzes an, die er in einer langen Steigerung zum Fortissimo hin auslaufen lässt.
    In der unglaublich gespielten Schlussgruppe (ab Takt 100) senkt er nochmal das Tempo, was zu diesem tiefen Vordringen in den musikalischen Kern führt: "dolce ed espressivo", wie es gehört. Und dann die Steigerung unter dem Triller: das kann auch in diesem moderaten Tempo äußerst mitreißend wirken, wenn man es so intensiv spielt wie John Lill und dann im kurzen Übergang Takt 122 bis 124a diese beiden exakt gespielten Sforzandopiani- das erinnert mich in seiner Andersartigkeit, von der Länge und der Dynamik her, an den Übergang zur Wiederholung der Exposition an die andere große B-dur-Sonate, die von Schubert und die Diskussionen darum. Zuletzt hatte ich am vergangenen Wochenende mit Gerhard Oppitz darüber diskutiert, der die Wiederholung bei Schubert vehement verteidigte, mit dem Argument, dass man diesen einmaligen dynamischen Höhepunkt des Satzes doch nicht guten Gewissens wegfallen lass en dürfte.
    Bei Beethovens Hammerklaviersonate hat es meines Wissens diese Diskussion gar nicht gegeben. Vielleicht gib t es sie ja in zwanzig Jahren bei Schuberts B-dur-Sonate auch nicht mehr.
    Die Wiederholung der Exposition spielt John Lill genauso überzeugend wie die Exposition selbst, und wie vor, auch genau so transparent im Klang, dass man die Struktur blendend durchschauen kann.
    Die Einleitung der Durchführung spielt er mit großer Kraftentfaltung und lässt die Fermatentakte 121b und 123b auf dem Fortissimo lange ausschwingen, was den dynamischen und temporalen Kontrast zum Durchführungsbeginn noch erhöht. Zu Beginn des Durchführungskerns gestaltet auch er die f-fp-Akkorde schön glockig.
    Dann spielt er die vier Einsätze des Fugatos ab Takt 138 mit Auftakt, Takt 147 mit Auftakt, Takt 156 mit Auftakt und Takt 167 mit Auftakt und die entsprechenden musikalischen Begleitfiguren so deutlich, dass man die Struktur klar erkennen kann.
    Desgleichen verfährt er mit dem zweiten Teil des Fugatos, in dem die Themenauftakte in der Dominate von c-moll, dann in c-moll, dann in der Dominante von Es-dur und dann in Es-dur auch deutlich hervortreten, spielt dann im Es-dur-Abschnitt eine fantastische Steigerung zum Stillstand hin (ab Takt 197), der in einem berührenden Diminuendo-poco Ritardando ausläuft, und das anschließende Cantabile-Espressivo , gestaltet er, sozusagen immer noch im "Stillstand-tempo", atemberaubend, bevor er den letzten Durchführungsteil zelebriert, mit den "Quasi-Glissandi", mit denen er ab Takt 224 zur Reprise überleitet- grandios!
    Die Reprise, durch die Modulation des Themas nicht deckungsgleich mit der Exposition, ist für mich in dem moderaten Tempo mit dem noch dazukommenden Ritardando (ab Takt233) in diesem Abschnitt wie eine Offenbarung, die in ihrer Sanglichkeit sehr packend ist und die er, wie im Hauptthema II der Exposition, in eine unglaubliche Steigerung überführt, hier ab Takt 241. Hier steigert Beethoven (und mit ihm John Lill) das Ganze noch durch die dreimalige Oktavierung des Spitzentons auf dem Forte- und dann abermals das unvergleichliche Ritardando-Diminuendo, das der Rückleitung und dem dann folgenden ausführlichen Seitensatz (Letzterer ab Takt 279) vorausgeht: welcher herrliche Gesang zieht da wieder an uns vorüber, mit d en meisterlich ausgesungenen dynamischen Bewegungen und ausgespielten temporalen Rückungen und dann die ellenlange Steigerung über das zurücksinkende Cantabile zur Schlussgruppe hin, der dann direkt zu einer der grandiosesten Codas führt, die m. E. je komponiert worden sind- und John Lill spielt das mit dem gleichen großen Atem, mit dem er den ganzen Kopfsatz gespielt hat und der uns atemlos macht-
    Welche eine Interpretation!!!


    Auch im kurzen, aber doch in seiner rhythmischen und dynamischen Vielfältigkeit überraschenden Scherzo, allein- bei Beethoven auch wiederum nicht, führt uns John Lill in seiner interpretatorischen Sorgfalt sicher durch die Partitur, allein schon der Unterschied in den dynamischen Akzenten, im 1. Thementeil und in der Fortsetzung (Takt 1ff und Takt 7 ff.) Betonung auf den Taktwechseln, und im Mittelteil (Takt 15 ff.) und in der Wiederholung (Takt 31 mit Auftakt bis Takt 33) Betonung auf der Drei in der zweiten Takthälfte, kommt sehr deutlich zum Tragen. Dabei ist ein besonderer Höhepunkt die Gestaltung der Taskte19 mit Auftakt bis 22, in denen er aus dem Piano ein berückendes Diminuendo spielt, ebenso in der Wiederholung, hier Takt 35 mit Auftakt bis 38.
    Das Trio spielt er so transparent, dass jeder Ton an seinem Platz zu vernehmen ist. Bei anderen Pianisten, die das Scherzo zu schnell spielen, ist das nicht der Fall.
    Er schließt das Trio mit einem mitreißenden Presto-prestissimo ab, wobei weniger das Grundtempo, sondern vielmehr die Entwicklung sowohl temporal als auch dynamisch wichtig ist.
    Im Scherzo II (ab Takt 112) hört man die zusätzliche Achtel im Alt mit seltener Klarheit und dem Gewicht, das ihr gebührt. Auch das wiederkehrende Presto und das am Schluss noch einmal wiederholte Thema des Scherzo II schließt er auf hohem Niveau ab.


    Das Adagio sostenuto spielt John Lill langsam, zwar nicht so langsam wie Michael Korstick, aber erheblich langsamer als Paul Lewis, und selbst noch langsamer als Grigory Sokolov bei seiner ersten Aufnahme vor 43 Jahren, im gleichen Jahr, als Swjatoslaw Richter die Hammerklaviersonate im Juni 1975 dreimal innerhalb von 16 Tagen aufnahm, am 2., 11. und 18. Juni in Prag, Aldeburgh und London, wie ich später in diesem Thread noch darlegen werde.
    John Lill jedenfalls spielt von Anfang an mit großer Ruhe, gleichzeitig spannungsreich, aus einem tiefen Pianissimo heraus, gleichzeitig die sanften dynamischen Bewegungen und kleinen Crescendi in der mezza voce aufmerksam nachzeichnend.
    Wie aus dem Nichts lässt er jenen berührenden Bogen in Takt 14/15 wie eine langsam aufgehende Sonne emporsteigen (Adorno nennt es: "Wie aus unermesslicher Tiefe geholt, führen die beiden Oktaven aus der A-dur-Terz zu dem überwältigenden fis-moll-Thema - tiefe Trauer in erhabener Ruhe" vgl. Wikipedia). Gerade an diese erhabene Ruhe denke ich bei Lills Interpretation. Und noch einmal, wieder durch die Dur-Auflösung in Takt 22 auf der Eins erscheinen diese zwei hellen Takte, diesmal sogar in einer doppelten Oktave, um gleich darauf wieder die Gegenrichtung und Gegenstimmung, die tiefe Trauer, zurückzufallen.
    Die darauffolgende Sequenz, die mit "con grand' espressione" überschriebene Steigerung spielt Lill, wie vorgeschrieben, in Takt 27 in der Begleitung mit drei Staccato-Oktavakkorden. Das macht noch lange nicht jeder Pianist, und immerhin bin ich jetzt bei der Besprechung der 41. Aufnahme.
    Diesen drei Akkorden lässt Lill dann eine ebenfalls aus dem tiefen Pianissimo kommende dynamisch moderate, aber dennoch bewegte Steigerung folgen, die er organisch in die überirdische Überleitung zum himmlischen Seitenthema fließen lässt. In diesem Tempo ist das ein fast zögerndes, leises Vorantasten- faszinierend!
    Das himmlische Seitenthema selbst spielt er unglaublich abgeklärt im Pianissimo mit gleichwohl eingeflochtenen sanften dynamischen Akzenten auf der Sechzehnteltriole in Takt 49 am Ende und im Crescendo ab Takt 52, und auch das folgende Crescendo ab Takt 55 entwickelt er ganz kleinschrittig, ebenso die folgenden Figuren in den Zweiunddreißigsteln ab Takt 59- ganz zögerlich, aber auch ganz spannungsreich, am Ende der Sequenz (in Takt 62/63 und Takt 65/66 wieder die schon öfter angesprochenen Erkennungsintervalle Sext-Terz, die hier auf die nahende Durchführung hinweisen.
    Ich habe es mal aufgeschrieben: Korstick beginnt die Durchführung bei 10:32, Lill bei 9:10 min. In der kurzen Durchführung, die geprägt ist v on den Sechzehntel-Aufwärtsgängen ab Takt 72, lässt er weiter spannende Ruhe walten, wobei er weiter sorgfältig die hier schon signifikant vergrößerten dynamischen Kontraste darstellt, die aber bis auf as Forte in Takt 81 immer noch sehr moderat sind und sanft auslaufen in dem dynamisch sehr tiefen diminuendo-smorzando in Takt 85/86, zur Reprise hin.
    Die folgende Reprise mit ihren in stetem dynamischen Auf und Ab befindlichen Zweiunddreißigstelfiguren und Achtel- sowie Sechzehntelakkorden in der Begleitung, spielt er weiterhin mit großer Ruhe, aber einem innerlich schneller wirkenden Tempo trotz gleicher Schlagzahl, aber welche eine geniale Sequenz, ein großer Bogen , bestehend aus 17 Takten , die sich aus vielen Einzelbögen zusammensetzen, bestehend aus 24 Zweiundreißigstel-Noten in den ersten beiden Takten und endend in sechs Bögen aus jeweils drei Zweiunddreißigstel-Noten + sechs Zweiunddreißigstel-Pausen in den letzten vier Takten, wobei sich die Intervalle innerhalb dieser Sequenz sich in den Zweiunddreißigstel-Figuren ständig ändern, in den letzten vier Takten zudem aus Oktavwechseln bestehend- ein unglaubliches Konstrukt, das Beethoven da geschaffen hat, und so unglaublich klingt es auch, in den letzten vier Takten zudem in der hohen Oktaven und dann noch dreimal oktaviert, und Lill spielt das m. E. genauso faszinierend, wie Beethoven es komponiert hat. Das darf man einfach nicht schnell spielen, dann ist m. E. der ganze Zauber, der dieser Passage innewohnt, dahin.
    Wer glaubt, das sich das nicht mehr steigern könnte, der irrt, denn Beethoven schließt, als ob das nichts wäre jetzt ein über neun Takte gehendes "poco a poco ritardando" an, das natürlich bei diesem "Anfangstempo" ganz speziell ist, und diesmal erscheint der wunderbare "Dur-Bogen" in einer sich ständig verlangsamenden Sequenz- genial- und Lill bekommt das glänzend hin!
    Und im anschließenden "a tempo", diesmal nicht eigens Mit "con grand espressione" überschrieben, aber in der nunmehr noch höheren Lage von Lill unverändert mit höchstem Ausdruck gespielt, erhält es die gleiche Intensität und die Überschrift erscheint erst sechs Takte später, wodurch das Ganze den Charakter einer Wiederholung erhält und nunmehr langsam in die musikalisch etwas geänderte überirdische Überleitung übergeht, von Lill auch wieder mit allen dynamischen Bewegungen äußerst expressiv gespielt in einer letzten langen Steigerung wieder zum himmlischen Seitenthema strebend.
    Dieses spielt er wieder atemberaubend. Auch hier ist die Steigerung wieder lang, stetig, aber keineswegs überbordend und langsam, ganz langsam, sich zur Coda vortastend, die in diesem sehr ausgedehnten Satz mit 34 Takten fast ein Fünftel des ganzen Satzes ausmacht, wenigstens, was die Taktzahlen angeht.
    Und in dieser ebenfalls, ich kann es nicht anders sagen, als genial zu bezeichnenden Coda, lässt Beethoven nochmals, in verkürzter Form und in ganz anderem Verlauf, als man es sich vorstellen möchte, das himmlische Seitenthema auftreten. Und dieses tumultöse Ende des Seitenthemas, das direkt im tieftraurigen Hauptthema versinkt, veranlasst auch John Lill, jetzt endlich das Forte erschallen zu lassen,, denn außer an dieser Stelle kommt es ja nur zweimal kurz in der Durchführung vor. Und ein letztes Mal erscheint das lange Ritardando mit dem herrlichen hohen Bogen, wieder von Lill kongenial vorgetragen.
    Und dann dieses Schluss-Diminuendo- ich habe es selten so konsequent dynamisch ins Nirwana lenken gehört- atemberaubend, und es hat mich genauso massiv ergriffen wie etwas bei Sokolov und Oppitz.


    Auch im Largo lässt John Lill der Musik die Zeit, die ihr in der Partitur von Beethoven gewährt wurde, desgleichen im "un poco piu vivace". Auch im Allegro stimmt das temporale Binnenverhältnis, wie ich finde, so wie im tenuto, und das "a tempo" ab Takt 10 habe ich in meiner Erinnerung noch nicht in einem so langsamen Anfangstempo gehört. Ich müsste dazu nochmal Sokolov nachhören und mich dann dazu hier noch einmal melden. Aber dieses langsame Tempo macht Sinn. Lill behält auf dieses Weise das temporale Binnenverhältnis der Sätze genau im Auge.
    Das gilt auch für den I. Teil der Fuga, Takt 16 -84, die Exposition in B-dur, wo es laienhafte Ohren wie meine mühelos schaffen, beide Stimmen trotz der fugativen Anordnung und der zuwiderlaufenden Tonfolgen sowie der unterschiedlichen Rhythmen , parallel zu verfolgen, zumal John Lill auch nach wie vor äußerst transparent spielt.
    Auch der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es moll, Takt 85 bis 152, mit den donnernden Sforzandoketten und den vielen stufenartig angeordneten Trillerketten, sind gut zu verfolgen und erlauben einen Blick in Beethovens mirakulöse Kompositionswerkstatt.
    Dem schließt sich der III. Teil, der Rücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207 an, das Cantabile mit den langen Bögen im ersten Abschnitt und den begleitenden baugleichen und ähnlichen Sechzehntelfiguren in der Begleitung.
    Der IV. Teil der Fuga, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, erschließt sich auch von Mal zu Mal mehr, auch wenn ich jetzt schon seit 9 Wochen keine Hörsitzung der Hammerklaviersonate mehr durchgeführt habe, aber so schwierig Faktur dieses Fuga-Teils auch sein mag, dur die Wiederkehr gleicher Tonbausteine in verschiedenen Tonhöhen mit typischen Rhythmusabschlüssen oder strukturierenden Trillern, wird es wieder einfacher, und damit dem Hörer nicht ganz die Puste ausgeht (und vielleicht auch dem Interpreten ), hat Beethoven ja am Ende dieses Teils die wilden Trillersprünge komponiert und daran im Anschluss den
    V. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, die große Atempause in dieser Fuga, Takt 250 bis 278, diese wunderbare "sempre dolce cantabile" im Bachischen Stil. John Lill spiel sie so einfach und natürlich, dass es schon wieder grandios ist.
    Der VI. Teil, quasi ein Dreifach-Abschnitt, ist zugleich der längste, von Takt 279 bis Takt 366, zuerst die Verarbeitung des 1. und 2. Themas gleichzeitig, und dann ab Takt 294 die zweifache Verarbeitung des 1. Themas und schließlich ab Takt 349, die Schlussankündigung der Durchführung, alle Abschnitte in B-dur.
    Zugleich ist dieser Teil auch ein kompositorischer Höhepunkt, durchgehend mit Sechzehntelfiguren bestückt, die aber ständig die Oktave wechseln oder in beiden Oktaven verlaufen, das Thema durchführen oder die Begleitfiguren beinhalten. Es ist eine Freude, ab er auch eine anspruchsvolle Aufgabe, dem musikalischen Fortgang aufmerksam zu folgen. Ich tue es sehr gerne.
    Und wieder einmal führt mich der Pianist an das Ziel, das Beethoven nach vielen Kurven, >Hindernissen und Schwierigkeiten hingestellt hat, eine unglaubliche Coda, wie ich eine zweite noch nicht gefunden habe, auch nicht das Schlusspresto der Appassionata, das ja hauptsächlich virtuos ist.
    ich finde, diese Coda hat nochmal alles, Virtuosität und Ausdruck, und Lill hat beides und er schließt mit einer wundervollen langen Fermate.


    Auch ihn möchte ich meinen Referenzen zurechnen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Valentina Lisitsa, Klavier


    AD: 2010?, Hannover
    Spielzeiten: 10:36 - 2:32 -15:39 - 10:36 --- 39:23 min.;


    Valentina Lisitsas Vortrag fesselt vom ersten Moment an. Sie beginnt in zügigem Tempo, das so nicht genauer vorauszusagen ist, weil die einzelnen Teile des Youtube-Videos nicht nach Sätzen eingeteilt sind. Genauer kann ich das dann am Ende des Satzes einordnen.
    Sie eröffnet mit einem veritablen Fortissimo, wie ich ja schon von verschiedenen Videos weiß, ist es bei ihr ähnlich wie etwa bei Mitsuko Uchida. Beide Damen verfügen über ein kerniges Fortissimo.
    Valentina Lisitsa zeigt aber dann auch gleich im Hauptthema I, Takt 1 bis 16, wie sicher sie di dynamischen Kontraste ff-p gestaltet und wie genau sie die temporalen Bewegungen nachzeichnet, hier z. B. das Ritardando in Takt 8 und das "a tempo" in Takt 9ff mit Auftakt.
    Auch die folgende Steigerung ab Takt 11 ist vom Feinsten. Diese mündet in das Hauptthema II (ab Takt 17 bis Takt 23) taktweise auftauchen und steigert dann ab Takt 24, auch in der Oktavierung grandios, schließlich ab Takt 31 bis Takt 34 in einem berückenden Diminuendo-Ritardando auslaufend.
    In der Überleitung (ab Takt 39) steigert sie moderat, um im darauffolgenden Diminuendo ab Takt 45 gleich wieder auf das Piano am Beginn der ersten Phase des Seitensatzes zuzusteuern. Diese 1. Phase mit den wiederholten Oktavierungen ist ein Paradebeispiel für ihr klares, hier kristallines Spiel. Auch die kurze 2. Phase mit den gedrängten Tempowechseln und den weiten Tonintervallen gestaltet sie ganz überlegen, ebenso wie die 3. Phase ab Takt 75, die dann wieder wie die 1. Phase, weitgehend legato vorgetragen wird. Auch hier ist ohrenfällig, wie klar sie die liegenden Akkorde der Begleitung hervortreten lässt.
    Auch die Schlussgruppe mit dem betörenden Cantabile dolce ed espressivo ab Takt 100 und der anschließenden spektakulären Steigerung über dem Triller ab Takt 106, die in ihren pianistischen Schwierigkeiten nicht ohne ist, spielt sie äußerst souverän und auch in der im 2. Gedanken der Schlussgruppe zunehmenden strukturellen Dichte mit äußerster Klarheit und Transparenz.
    Dann wiederholt sie die Exposition mit der gleichen Klarheit und dem gleich hohen Ausdruck wie zuvor.
    Die Einleitung der Durchführung spielt sie dann mit großer Dynamik, um dann gleich subito ins Pianissimo zu gehen (Takt124 und diese Einleitung dann mit einer weiteren dynamischen Kontrastbildung abzuschließen. Die beiden Akkord-Oktaven am Beginn des Durchführungskerns (Takt 133/34 und 135/36) gestaltet sie moderater, als ich es schon gehört habe. Aber so gefällt es mir auch.
    Die erste Hälfte des Fugatos mit den vier Einsätzen in Takt 138 m. A. (mit Auftakt), 147 m. A., 156 m. A. und 167 m. A. spielt sie mit ordentlichem temporalen Impetus in präzisem Non-Legato. Am Ende dieser ersten Hälfte macht sie dann auch eine Zäsur in Form eines deutlichen kurzen Ritardando und lässt dann eine zweite Hälfte folgen mit den vier Themenauftakten in den Dominaten von c-moll, dann c-moll, dann Dominate von Es-dur, dann Es-dur mit, wenn das noch möglich ist noch tieferem Ausdruck als zuvor und einem abschließenden grandiosen Stillstand mit Diminuendo-Poco Ritardando, wie ich es, so glaube ich, noch nicht gehört habe- überragend!! Auch das anschließende Cantabile espressivo gehört zur Spitze dessen, was ich bisher gehört habe. Im letzten Durchführungsteil (ab Takt 214 bis 226 (zwischen den beiden Doppelstrichen baut sie noch einen temporalen Kontrast auf.
    Die Reprise spielt sie mit der Modulation des Themamaterials auf dem gleichen hohen Niveau wie die Exposition und schließt das Hauptthema II wieder mit einem berückenden Ritardando ab.
    Auch die Rückleitung und der neuerliche Seitensatz (im ersten Teil diesmal ohne Oktavierungen), aber im weiteren Verlauf mit der gleichen Vehemenz wie zuvor, vor allem in der hochdynamischen Schlussgruppe und in der unglaublichen Coda, wo sie nochmal ihr ganzes dynamisches Potential an den Tag legt- eine unglaubliche Interpretation, im Vergleich mit ihren Vorgängern in diesem Thread, John Lill und Paul Lewis um eine Minute schneller.


    Auch im Scherzo ist sie schneller als die beiden Herren, spielt wieder dynamisch und rhythmisch sehr prägnant und m. E, partiturgetreu. Das Trio ist sensationell. Sie spielt es nach eher harmlos anmutendem Beginn im Semplice Takt 47ff mit zunehmendem dynamischen Impetus und großartiger Präzision in den Achteltriolen (ab Takt 48 mit Auftakt und einem atemberaubenden Presto ab Takt 81 bis 112).
    Im Scherzo II ab Takt 122 ist sie, wie wenige andere, in der Lage trotz des hohen Tempos die zusätzliche Achtel im Alt deutlich vernehmbar zu spielen, was ihr dank ihrer schier grenzenlosen Technik leicht von der Hand zu gehen scheint. Auch der Schluss mit dem neuerlichen Presto ist grandios wie der ganze Satz.


    Das Adagio sostenuto eröffnet sie in ruhigem Fluss mit klarem diesseitigen Klang, schneller als John Lill. Den Vergleich mit Paul Lewis muss ich am Ende des Adagios machen. Den ersten hohen Bogen in Takt 14/15 spielt sie mit ähnlich hohem Ausdruck wie ihre beiden Vorgänger, wobei sie wiederum sehr sorgfältig die dynamischen Kurven der Partitur beachtet. Auch der zweite Bogen in Takt 22/23 ist sehr berührend in seiner leuchtenden Strahlkraft und dann wieder in den traurigen Fluss zurückgehend. Auch der nächste Abschnitt "con grand' espressione, die man bei ihr in reichem Maße spürt und den sie auch bewegter spielt, vor allem in den Sechzehntel-Triolen ab Takt 31, und der dann nahtlos in die überirdische Überleitung zum Seitenthema übergeht, ist ganz große Pianistik.
    Die Überleitung, die sie nochmal etwas schneller nimmt, schüttelt mich richtig durch. Jedes Mal, wenn ich durch eine Interpretation in diese emotionale Ausnahmesituation komme, fühle ich ein großes Glücksgefühl, und deswegen wird mir gewiss etwas fehlen, wenn ich mit der Hammerklaviersonate durch bin, und das wird ja nicht mehr lange dauern, denn zwei Drittel meiner Aufnahmen habe ich ja schon besprochen.
    Das himmlische Seitenthema spielt sie auch schneller als Lill und vor allem natürlich als Korstick, aber es bleibt natürlich sehr spannungsreich.
    Bis zum Beginn der Durchführung braucht sie 5:41 gegenüber 10:32 bei Korstick!
    Die kurze Durchführung spielt sie auch recht zügig und in den Sechzehnteltonleitern sehr ausdrucksstark.
    Bei ihrem höheren Grundtempo kommt natürlich das Diminuendo-Smorzando in Takt 85/86 sehr deutlich retardiert. Die Reprise, in den ersten 17 ausladenden Takten mit diesen unglaublichen Zweiunddreißigstel-Oktavwechseln und den ebenfalls durchlaufenden Dynamikwechseln (diminuendo-crescendo) spielt sie mit stetem Zug und höchstem Ausdruck, schließlich in dem sperrigen neuntaktigen Ritardando (Takt 104 bis 112) auslaufend, in der Mitte dieser Sequenz wieder mit dem berührenden hohen Bogen. Wegen ihres höheren Grundtempos ist dieses riesige Ritardando natürlich umso deutlicher.
    Im "a tempo"-Abschnitt mit den Sechzehntel-Intervall-Wechseln über mehrere Oktaven erreicht sie erneut einen unglaublichen Ausdruck, vor allem in der abschließenden langen Steigerung (Takt 122 bis 129). Das gilt auch für das erneute himmlische Seitenthema und die wundersame Coda, mit dem letztmalig auftauchenden Seitenthema, das sich in einer furiosen Steigerung auflöst, hier mit großem Ausdruck gespielt und ein letztes Mal dem Hauptthema Platz macht (ab Takt 166), das direkt wieder in das lange Ritardando übergeht.
    Trotz des deutlich schnelleren Tempos ist auch dies m. E. eine grandiose Interpretation des Adagios, in dem sie mit gegensätzlichen temporalen Mitteln wie Lill und Lewis zum Ziel kommt.


    Im Largo geht sie dann ebenfalls ab Takt 2 "un poco piu vivace deutlich flotter zu Werke als ihre beiden Vorgänger. Mit unglaublichem Schwung geht sie in das Allegro risoluto, hier im I. Teil in die Exposition B-dur, Takt 16 bis 84.
    Diese spielt sie mit klarem Klang, so dass die Struktur trotz des hohen Tempos gut zu verfolgen ist. Rhythmus und dynamische Verläufe bringt sie dabei gut übereinander, weil sie auch in diesem Höchstschwierigkeiten-Satz den Überblick behält.
    Auch der II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, tritt klar hervor. Auch hier kann man sich anhand wiederkehrender musikalischer Bausteine gut orientieren. Im ersten Abschnitt ist in der Sforzandokette ab Takt 102 ihr höchstdynamischer Zugriff zu bewundern, die multiplen Triller und das einmalige diminuendo, hier ab Takt 126.
    Der III. Teil, der Themenrücklauf in h-moll, Takt 153 bis 207, stellt auch in ihrer Interpretation, in der sie souverän mit hohem Tempo vorangeht und den komplizierten Rhythmus noch etwas eckiger gestaltet, als andere es schon getan haben, einen musikalischen Höhepunkt im Finale dar, zusammen mit dem IV. Teil, der Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, der mir besonders gefällt, weil der angestrengte Zuhörer hier klar die musikalischen Strukturen vor sich sieht, und den sie in einem un glaublichen Triller-Veitstanz auslaufen lässt.
    Welch ein Kontrast dann der V. Teil, die Durchführung des zweiten Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, in dynamischer wie in temporaler, aber auch in rhythmischer Hinsicht: ein Legato-Gesang in diesem wilden Satz, eben typisch Beethoven, und Valentina Lisitsa teigt wiederum, dass sie nicht nur spannend sondern auch entspannt spielen kann, bevor es in den größten Abschnitt geht, den VI. dreigeteilten mit dem gleichzeitig gespielten 1. und 2. Thema, dann dem zweifachen Spielen des 1. Themas und schließlich der Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, Takt 279 bis 366.
    Valentina Lisitsa bewältigt auch diese absolute Höchstschwierigkeit ohne, wie ich finde, die geringsten Schwierigkeiten mit unerschütterlicher Ruhe und gleichzeitig sehr hohem Tempo Alle Strukturen konnte ich in diesem Abschnitt gut mitlesen- überragend!
    Diesen beispiellosen Schlusssatz schließt sie mit einer wundersamen Coda der Extraklasse ab.
    Ich finde, mit dieser Interpretation ist Valentina Lisitsa als Vertreterin der schnelleren Gangart, auch dank ihrer herausragenden Pianistik und ihres hohen Ausdrucksvermögens, in der Referenzklasse gut aufgehoben.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich finde, mit dieser Interpretation ist Valentina Lisitsa als Vertreterin der schnelleren Gangart, auch dank ihrer herausragenden Pianistik und ihres hohen Ausdrucksvermögens, in der Referenzklasse gut aufgehoben.

    Lieber Willi,


    ich habe nur mal kurz reingehört. Natürlich hat Lisitsa die manuellen Fähigkeiten, diese Sonate mühelos zu spielen. Aber schon zu Beginn ist mir das zu unverbindlich glatt. Mir scheint, dass sich ihr ein tieferes Grundverständnis für Beethovens Syntax doch nicht erschlossen hat. Höre mal zum Vergleich Pollini 1989 in Salzburg oder 2007 in Paris (auch bei Youtube). Pollini hat dasselbe Tempo und er spielt den Kopfsatz sehr klassisch ohne Übertreibungen. Aber welch entscheidender Unterschied: Bei Pollini hört man gleich zu Beginn die Kontrastierungen der in ihren schroffen Gegensätzen aufeinanderprallenden Motive, die dynamisch das Geschehen antreiben. Lisitsa spielt darüber hinweg - die Musik fießt irgendwie so dahin. Das klingt bei Lisitsa alles rund und schön, aber für meinen Geschmack auch ziemlich glatt - der Komponist dieser Musik könnte bei ihr auch Chopin und nicht Beethoven heißen. Der langsame Satz ist sicherlich schön empfindsam gespielt aber klingt mir gleichermaßen eher nach einem Chopin-Nocturne als nach Beethoven. Die Fuge spielt sie - ich habe natürlich nicht zu Ende gehört - mir wiederum einfach zu glatt und unverbindlich. Das ist alles selbstverständlich technisch perfekt. Aber wo ist da die eigene interpretatorische Note? Um zwei andere Vertreter der russischen Pianistenschule zu nennen: An Sokolovs Salzburger Aufnahme kann man sich reiben und bei Lazar Berman ist auch nicht alles restlos gelungen - aber sie haben ein unverwechselbares persönliches Profil, was das Zuhören ungemein spannend macht. Das vermisse ich letztlich bei Lisitsa.


    Deswegen finde ich Deine Einstufung unter die "Referenzen" vielleicht doch etwas zu hoch gegriffen. :D
    :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Da kann man mal sehen, lieber Holger, wie unterschiedlich die Wahrnehmungen sein können. :D
    Ich habe die Interpretation Valentina Lisitsas in den letzten Jahren immer wieder gehört, und sie ist mir von Mal zu Mal mehr ans Herz gewachsen, und jetzt letztlich beim intensiven Hören konnte ich zu keinem anderen Ergebnis kommen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Hallo Willi, hallo Holger,


    mir ging es beim Anhören des Videos ähnlich wie Holger.


    Meine Referenz ist von Gilels (1983), Lisitsas Spiel hinterläßt bei mir echte Ratlosigkeit und Enttäuschung.


    Wie Holger schon fragte:


    Zitat

    Aber wo ist da die eigene interpretatorische Note?


    Es grüßt


    Karl

  • Lieber Willi,


    ich habe die Karte für das Pollini-Konzert mit op. 106 am 10.9. in der Kölner Philharmonie - ganz vorne am Podium, Block A! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

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  • Lieber Holger, das ist ja schön. In dieser Sache sende ich dir noch eine Mail.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Louis Lortie, Klavier
    AD: 10./11. 12. 1994 The Snape Maltings, Aldeburgh


    Spielzeiten: 10:53 - 2:37 - 17:18 - 12:09 --- 42:57 min.;


    Heute komme ich nun zur Aufnahme von Louis Lortie, dessen Gesamtaufnahme ich im April letzten Jahres anschaffte:
    Louis Lortie, * 27. 4. 1959, ist ein französisch-kanadischer Pianist, der in Montreal geboren wurde.:
    https://www.concerti.de/wp-con…lortie-elias3_300x233.jpg
    Er debütierte mit 13 Jahren beim Montreal Symphony Orchestra und drei Jahre später beim Toronto Symphony Orchestra. Er arbeitet schon mit vielen bedeutenden Dirigenten und Orchestern in Amerika, Europa und Asien zusammen.
    Die Beethoven Sonaten nahm er in den Neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und in der ersten Dekade dieses Jahrhunderts beim Label Chandos auf.


    Louis Lortie beginnt mit kraftvollem , aber nicht überbordendem Spiel, spürt sogleich die dynamischen Verläufe sorgfältig nach und ist etwas langsamer als Gerhard Oppitz und Valentina Lisitsa. Wie wir später noch sehen werden, hat er aber nicht einen so großen Tempokontrast zwischen dem Kopfsatz und dem Adagio sostenuto wie Gerhard Opptiz, sondern ist da eher an Valentina Lisitsa dran.
    Wie dem auch sei, seine dynamischen Kontraste gefallen mir bis dahin sehr gut. Auch das Hauptthema II (Takt 17 bis 34) gefällt mir in den schrofferen dynamischen Kontrasten sehr gut, und auch das lange Diminuendo-ritardando ab Takt 31 gefällt mir ausnehmend. Das hat nicht jeder so prägnant gespielt.
    Sehr schön fällt auch die Überleitung zum Seitenthema aus (Takt 39 bis 46), und das Seitenthema selbst (ab Takt 47) in der 1. Phase zeichnet er in den Diskantbögen, namentlich in den zusätzlichen Oktavierungen besonders luzide und zart mit sanften dynamischen Bewegungen im tiefen dynamischen Bereich. In der 2. Phase (ab Takt 63) zeichnet er sehr schön die temporalen Schwankungen , die "poco ritardandi") und die kontrastierenden "a tempo"-Stellen.
    In der 3. Phase schließlich (ab Takt 74 besticht er wie in der 1. Phase durch den natürlichen Fluss in seinem Ausdruck und ab Takt 87 durch eine kraftvolle Steigerung.
    Die Schlussgruppe (ab Takt 100) beginnt er im 1. Gedanke mit einem hauchzarten "cantabile dolce ed espressivo" quasi vom anderen Stern, wie man es wirklich nicht alle Tage hört und mündet über Takt 106 in dem mit einem langen Triller unterlegten Crescendo dann ab Takt 112 in den 2. Gedanken im veritablen Fortissimo, an dessen Ende uns in Takt 122 und 124 die beiden Subito-forte-piano-Figuren in die Wiederholung der Exposition überleiten.
    Diese spielt er dann genauso ausdrucksstark und Kontrastreich wie zuvor. Am Ende der Wiederholung spielt er in Takt 121a bis 124a eine kraftvolle Durchführungseinleitung, die er mit zwei zurückhaltenden Fanfaren-Akkorden zum Kern der Durchführung hin abschließt.
    Das Fugato ab Takt 138 mit Auftakt beginnt er in sehr verhaltenem Pianissimo, spielt dann im zweiten Einsatz ab Takt 147 in schönes "piu crescendo" und ist im dritten Einsatz ab Takt 156 beim Forte angelangt, das er dann auch im vierten Einsatz ab Takt 167 durchzieht.
    Auch den zweiten Teil des Fugatos mit den viermaligen Themenauftakt zuerst in der Dominante von c-moll ab Takt 177, dann in c-moll ab Takt 181, dann in der Dominante von Es-dur ab Takt 186 und schließlich in Es-dur ab Takt 189, spielt er sehr ausdrucksstark, in den letzten beiden Themenauftakten mit äußerster Kraftentfaltung und endet in einem wunderbaren Diminuendo-poco ritardando, ansatzlos in das betörende cantabile-Expressivo (ab Takt201 nach dem Doppelstrich hineingleitend. Ich finde, dieses Cantabile-Espressivo gehört wohl zu den stärksten Eingebungen Beethovens im Kopfsatz, und, wie mir scheint, findet Lortie es wohl auch und schließt diesen letzten Durchführungsteil mit einem großartig gespielten Glissando-Crescendo ab.
    Zu Beginn der Reprise, in der Modulation, habe ich längst nicht von jedem Pianisten, ein derart prägnantes Ritardando gehört- grandios! Und im Fortgang der Modulation spielt er eine grandiose Steigerung, die er nach dem parallel in beiden Oktaven abwärts führenden Oktavgang in einem berückenden Diminuendo-ritardando auslaufen lässt und über die neuerlich berührend Rückleitung mit ihrer schönen Steigerung in den großartigen Seitensatz führt. Diesen lässt er wieder organisch fließen, hier ohne Oktavierungen, hinein in die Temporückungen "poco ritardando-a-tempo". Daran schließt er ab -takt 332 wieder die wundersame Schlussgruppe an, beginnend in dem herrlichen Cantabile über die Trillersteigerung in die grandiose Coda hinein, die er mit aller Kraft und Raffinesse in ihren vielfältigen rhythmischen und dynamischen Kontrasten auskostet.
    Ein grandios gespielter Kopfsatz!


    Im Scherzo ist er etwas langsamer als Gerhard Oppitz und Valentina Lisitsa. Hier achtet er von Anfang an sorgfältig auf die kurzen dynamischen An- und Abstiege, die sich in Thema und Mittelteil unterscheiden. Das spielt er in Rhythmus und Dynamik sehr, sehr sorgfältig und um Längen besser als mancher Andere, der das Scherzo ungefähr auf einer Dynamikstufe durchspielte.
    In dem etwas geringeren Tempo und Lorties hohem technischen Vermögen treten die Achteltriolen im Trio (ab Takt 47) deutlich hervor. Auch die dynamischen Verläufe in den langen Bögen im Dreiertakt stellt er sehr präzise dar.
    Im Presto hat er keinerlei Schwierigkeiten mit den synkopisch verzahnten musikalischen Figuren in Diskant und Bass.
    Im Scherzo II (ab Takt) kann man die zusätzliche Achtel im Alt sehr gut vernehmen, und es macht einfach große Freude, diesem engagierten präzisen rhythmischen und dynamischen Spiel zu lauschen, auch, weil er diesen kleinen Satz mit vollem Ernst spielt. Gerade dadurch gelingt er so gut.
    Ebenfalls grandios gespielt!


    Im Adagio sostenuto ist Louis Lortie deutlich langsamer als Valentina Lisitsa aber in noch erheblicherem Maße schneller als Gerhard Oppitz.
    Erspielt in berührendem Pianissimo und betont sanft die dynamischen Bewegungen in feinsten Nuancen.
    Ein erster leuchtender Höhepunkt ist der wunderbare Bogen in Takt 13/14, auch wieder mit sanfter Hervorhebung der dynamischen Spitze, ein zweiter der gleiche Melodieteil, hier, in Takt 22/23, jedoch oktaviert, und in Takt6 25/26 im Espressivo zum ersten Mal auftauchenden absteigenden Intervalle in Form verminderter Quarten.
    Das "con grand' espressione ab Takt 28 mit Auftakt, die sehr lange Überleitung zum himmlischen Seitenthema, die sich von da an im Ausdruck ständig steigert und in eine zweiten Sequenz ab Takt 36, dem "crescendo poco a poco", den Weg in die himmlische Dimension schon weist, spielt er adäquat, zuerst verhalten und abgeklärt, und dann, ab Takt 36, diesem hochemotionalen Sphärenwechsel, mich wiedermal tief erschütternd.
    Auch im "a tempo", dem eigentlichen Seitenthema, das geringfügig schneller ist, als die überirdische Überleitung, hält er die große Ruhe bei, lässt die Musik auch in der Steigerung ab Takt 55 im gleichen Tempo atmen, wieder dynamisch zurück gehen, sich an die Durchführung quasi herantasten.
    In dieser lässt er die zunehmende Bewegung in den Sechzehntel-Tonleitern organisch erblühen, dann wieder zurückgehen und im Smnorzando in Takt 86 fast zum Erliegen kommen und in die expressive Reprise mit den langen Bögen in den vielen Intervallwechseln in den Zweiunddreißigsteln übergehen, eine Sequenz, die ihresgleichen sucht in ihrer Expressivität und ihrem unerbittlichen Voranschreiten.
    Und das spielt er grandios, diesen im Grunde einzigen großen Bogen, unter dem sich die vielen Intervallsprüngen in sanftem dynamischen Wiegen vereinigen, bis es ab Takt 104 in einem riesigen Ritardando immer langsamer wird und (fast) zum Stillstand kommt, in seiner Mitte den anrührenden Bogen, den wir schon aus den Stellen 13/14 und 22/23 kennen in der etwas tieferen Lage noch einmal zum Leuchten bringend und am Ende vor der "grand' espressione"-Übergang auslaufend, wo hier der melodische Bogen in der Oktav eine Quart höher liegt. Lortie spielt auch diese hohe Lage wunderbar, die Spitzentöne richtig funkeln lassend, den überirdischen Teil in der etwas geänderten musikalischen Form wieder zum Leuchten bringend und in das himmlische Seitenthema fließend. Auch das Seitenthema spielt er wieder sehr ausdrucksvoll, nach dem langen Diminuendo ab Takt 144 dann ab Takt 154 in die große, musikalisch teilweise unglaublich dichte Coda übergehend, in der noch einmal kurz das Seitenthema auftaucht, aber in einer unerhört dramatischen Steigerung quasi zerbröselt wird, und ein letztes Mal in das Thema übergeht, das aber sofort im langen Ritardando verlangsamt wird und nach einem letzten Crescendo in einem veritablen Morendo dann endgültig zum Stillstand kommt.
    Eine wirklich grandiosen Interpretation des Adagios!


    Im Largo und der Schlussfuge ist Louis Lortie deutlich langsamer als Gerhard Oppitz und viel langsamer als Valentina Lisitsa, aber ebenso deutlich schneller z. B. als Grigory Sokolov. Auch das Allegro und das Tenuto passen sehr gut dazu.
    Den I. Teil des Allegro risoluto, die Exposition des Themas in B-dur, Takt 16 bis 84, spielt Louis Lortie in einem ruhigen Tempo in sehr transparenten Klang, sogfältig abgestufter Dynamik und plastisch ausgebildetem Rhythmus, der hier noch in teilweise fließenden Bewegungen verläuft.
    Der II. Abschnitt, die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, mit dem im zweiten Abschnitt stampfenden Rhythmus und erhöhter Dynamik in Verbindung mit den zunehmenden Trillern auf allen Ebenen, tritt unter Lorties klarem Spiel ebenfalls deutlich hervor. Auch der Wiederholungscharakter der vielen verschiedenen Figuren, die sich aus ähnlichen Oktavgängen, auf und abstrebenden Sechzehntel-Tonleitern zusammensetzen, ist hier deutlich zu vernehmen.
    Im III. Abschnitt, dem Rücklauf des Themas in h-moll, Takt 153 bis 207, und dem
    IV, Abschnitt, der Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, treten auf- und abstrebende Figuren und Tonleitern gegeneinander auf, wir der Fortgang immer wieder von scheinbar willkürlich auftretenden kurzen Trillern unterbrochen, die aber bei genauem Hinhören ebenso strukturierend wirken, ebenso wie die nicht willkürlich, sondern mit voller Absicht über den Fortgang verteilten Achtel-Pausen. Nicht umsonst wurde Beethoven ja auch schon mal als "größter Rhythmiker aller Zeiten" bezeichnet.
    Lortie spielt das alles sicher und prachtvoll, einschließlich des wilden Schlusses dieses vierten Abschnittes mit den kreuz und quer springenden Triller-Intervallen.
    Den dann folgenden V.. Abschnitt, den Wendepunkt und den ruhigen Punkt des Atemholens, einem nur 29 Takten währenden, der Durchführung des 2. Themas in D-dur, diese herrliche Preziose im Bachischen Stil, spielt Lortie ganz einfach und natürlich und vielleicht gerade deshalb so ausdrucksvoll, in einem berührenden Ritardando auslaufend.
    Den dann folgenden umfangreichen VI. Abschnitt, dreifach untergliedert, zuerst die gleichzeitige Behandlung des 1. und 2. Themas, dann das zweifache Spielen des 1. Themas und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, spielt Lortie in der ihm eigenen Souveränität Klarheit und Zeiteinteilung einer "klassischen Mitte", sehr gut zu verfolgen, von der Schwierigkeit her eine Art "Königsetappe", wie man bei der Tour de France sagen würde.
    Dem schließt er die wundersame Coda an, um nochmal einen Vergleich zu wagen, so etwas wie den "Schlussanstieg nach Alpe d'Huez".


    Ich hätte nicht gedacht, dass ich den "Neuen" gleich bei den Referenzen verorten würde, aber dem ist wohl so.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    eben bekomme ich eine Mail von Köln-Musik, dass Pollini das Konzert am Montag, 10.9. abgesagt und den Termin auf den 22.1.2019 verschoben hat - die Karten behalten ihre Gültigkeit. Mit unserem Treffen in Köln wird es also am Montag leider nichts. Sehr schade!


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich habe noch nicht in meine Mails geschaut. Gut, dass du dich gemeldet hast, dann kann ich jetzt in Köln anrufen und mein Hotelzimmer stornieren. Morgen vormittag um 11.OO Uhr geht es nach Bonn zu dem Beethoven-Schubert-Marathon.
    Übrigens bin ich am 22. Januar schon fast eine Woche in Indien. Da wird es also nichts mit Pollini. Vielleicht hat deine Frau ja Lust mitzufahren. Ich hätte ja noch eine Karte.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber Willi,


    ich habe Dir von unterwegs eine SMS geschrieben gestern! Von unserem italienischen Bio-Eiskonditor (das Eis ("Gelate mio") ist wirklich exquisit, das beste in Münster!), der ein Musikliebhaber ist, erfuhr ich gestern, dass sie auch ein Ersatzkonzert mit einem jungen Pianisten anbieten. Ich bleibe natürlich bei Pollini. :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

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  • Lieber Holger,


    die SMS habe ich erhalten, vielen Dank dafür. Was das angelbliche Ersatzkonzert für das ausgefallene betrifft, so ist deine Eismann wohl nicht richtig informiert. Das Konzert fällt ersatzlos aus und wird im Januar nachgeholt. Der Eismann hat vielleicht gedacht, dass es mit dem Kölner Konzert so ähnlich läuft wie mit dem am letzten Montag (3. 9.), das Igor Levitt mit den beiden Beethovensonaten übernehmen konnte, weil er selbst mit der Hammerklaviersonate unterwegs war. Aber hier in Köln wird das nicht so sein.
    Übrigens höre ich die Hammerklaviersonate morgen Nachmittag von Dénes Várjon, neben Werken von Berg, Liszt und Kurtag. Heute Nachmittag wird er die Sonate Nr. 28 A-dur op. 101 von Beethoven, die Fantasie C-dur op. 17 von Schumann und die Sonate h-moll S 178 von Liszt spielen. Auch nicht schlecht.
    Das Eröffnungskonzert gestern Abend hatte es auch in sich, wie du in meinem neuen Thread nachlesen kannst.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • die SMS habe ich erhalten, vielen Dank dafür. Was das angelbliche Ersatzkonzert für das ausgefallene betrifft, so ist deine Eismann wohl nicht richtig informiert. Das Konzert fällt ersatzlos aus und wird im Januar nachgeholt.

    Ja lieber Willi! Er hat aber angerufen bei KölnMusik um noch eine Karte zu bekommen. Dann haben sie ihm gesagt, er könnte auch eine für dieses Konzert haben für den "Einspringer". Wollte er natürlich nicht! Gefunden darüber im Netz habe ich aber auch nichts.


    Hier ist er zu sehen:


    https://gelatomio.de/


    Es läuft immer klassische Musik - instrumental und Oper. Wir können uns da ja mal treffen - ist nicht weit vom Stadttheater entfernt und wirklich gemütlich. Auch der Cappuccino ist original - wirklich Spitze! :)


    Deinen Bericht lese ich heute Abend, denn ich bin gleich eingeladen zu einem Sommerfest in einem Flüchtlingsheim. So was ist immer sehr nett - sie geben sich wirklich Mühe! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    dies habe ich gerade von der Homepage der Kölner Philharmonie kopiert:



    P.S. Jetzt muss ich mich umziehen, um wenigstens noch ein halbes Stündchen am Rhein entlang zu "walken".

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • So, heute Abend habe ich noch einen "Neuen":


    Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Jean Muller, Klavier
    AD: 2007-2009


    Spielzeiten: 10:55 - 2:43 - 19:51 - 11:21 --- 44:50 min.;


    Jean Muller, der am 11. 12. 1979 in Luxemburg geboren wurde, hat verschiedene internationale Preise gewonnen und verschiedene Aufnahmen gemacht.
    Sein Vater Gary war Klavierlehrer. Er war erst 6 Jahre alt, als er am Konservatorium von Luxemburg die ersten Klavierstunden erhielt. Mit 15 verbrachte er ein Semester bei Teofils Bikis in Riga, Lettland, bevor er seine Studien in Brüssel, Paris und München, bei Gerhard Oppitz und Michael Schäfer u. a. fortsetzte. Er erhielt außerdem Anleitung von Anne Queffélec, Leon Fleisher, Janos Starker und Fou Ts'ong.
    Übers.: William B.A.
    Weiteres in dem umfangreichen Artikel kann man hier lesen: https://en.wikipedia.org/wiki/Jean_Muller

    Jean Muller ist im Kopfsatz etwa zeitgleich mit Louis Lortie, dessen Aufnahme vor 25 Jahren entstand, während Jean Muller die Hammerklaviersonate vor etwa 10 Jahren aufnahm.
    Muller erzeugt sogleich hochdynamischen, vollgriffigen Klang, spielt in den langen Bögen ein schönes Legato, könnte aber das erste Ritardando (Takt 8) etwas mehr verlangsamen, um den Kontrast zum gleich darauf folgenden "a tempo" etwas deutlicher zu gestalten. Das Crescendo (ab Takt bis zum Forte in Takt 16 ist jedoch ohne Fehl und Tadel, ebenso wie die dann folgenden Dynamikwechsel, und er schließt das Hauptthema II (Takt 17 bis 34) mit einem zutreffenderen längeren Ritardando (Takt 32 bis 34) ab.
    Das Hauptthema III Takt 35 bis 46 ist rhythmisch und dynamisch sehr zutreffend. Das dann folgende Seitenthema mit den mehrfachen Oktavierungen in der 1. Phase, den Tempowechseln in der 2. Phase und den mehrfachen abwärts führenden Achtelmotiven lässt er schön fließen, hier ebenfalls wieder von mehrfachen Oktavierungen gekennzeichnet und die Achtelfiguren durch kurze Crescendi hervorgehoben.
    Die zweigeteilte Schlussgruppe mit dem dolce ed espressivo Cantabile im 1. Gedanken (Takt 100 bis 105) und dem Trillercrescendo und den hochdynamisch kontrastierenden Staccati in dem zusätzlich oktavierten Diskant spielt er mitreißend.
    Dann wiederholt er selbstverständlich die Exposition, Und ich meine, dass er beim zweiten Mal das Ritardando in Takt 8 genauso spielt, wie es gehört. Auch die weiteren Hauptthementeile, den langen Seitensatz und die Schlussgruppe spielt er abermals sehr überzeugend, einschließlich der Einleitung der Durchführung.
    Auch den Kern der Durchführung spielt er sehr transparent im Klang und die einzelnen Einsätze des Fugato (ab Takt 1389 sehr deutlich, wobei dank seines differenzierten Spiels die Themenverläufe in allen vier Einsätzen sehr gut zu vernehmen sind.
    Das gilt auch für den zweiten Abschnitt des Fugatos ab Takt 177, mit Fortissimo beginnend, in dem der Auftakt des Fugatothemas viermal durchgeführt wir, erst in der Dominanten von c-moll, dann in c-moll, drittens in der Es-dur-Dominanten und viertens in Es-dur, wobei der den vierten, den Es-dur-Abschnitt sehr gewissenhaft im "sempre-ff" ausführt und damit schon temporal den "Stillstand" (ab Takt 197) vorbereitet, den er wirklich fast bis zum Stillstehen spielt- grandios!
    Und um so wirkungsvoller klingt dann das Cantabile (ab Takt 201) mit dem "espressivo"-Abschnitt (ab Takt 209). Großartig auch, in welchen dynamischen Kontrast er den letzten Durchführungsteil (ab Takt 214) setzt und ihn mit den vier Glissandotakten 223 bis 226 adäquat abschließt.
    Und die modulierte Reprise spielt er wieder mit sorgfältig ausgeführten Dynamischen und temporalen Kontrasten, wobei hier wieder auf die ausgezeichnet gespielten Ritardandi (Takt 234 und ab Takt 264) hinzuweisen ist.
    Auch die Rückleitung hin zum neuerlichen Seitensatz nimmt wieder ganz für sich ein, der Seitensatz des gleichen, hier in der 2. Phase ohne Oktavierung, was aber der Expressivität keinen Abbruch tut.
    Auch die Tempowechsel in der 2. Phase sind wieder vorbildlich, ebenso wie die wieder abwärts strebenden Achtelbögen in der 3. Phase und die Schlussgruppe, die ansatzlos mit den Oktavwechseln ab Takt 350 in die Coda übergeht, in der alles an Schwierigkeiten vertreten ist, was Beethoven sich hier ausgedacht hat, angefangen von den Oktavwechseln, gekoppelt (ab Takt 351 mit einer Sforzandokette über 11 Takte) und dann doppelte Triller über mehrere Takt mit Crescendo und Diminuendo, Achtellegatobögen und schließlich die letzten 29 Takt schier endlose Dynamikwechsel, fast durchgehend "subito", aber dann, von Takt 398 bis 403, ein "sempre diminuendo" bis hin zum "ppp", und wieder typisch Beethovensch die letzten Beiden Takte Fortissimo- grandios, auch vom Pianisten!!


    Im Scherzo ist Muller langsamer als Lortie, arbeitet im Scherzo sorgfältig die unterschiedlichen Betonungsstrukturen in Thema, Fortsetzun g, Mittelteil und Wiederholung heraus, dabei gerät ihm allerdings in der Wiederholung das hohe Themenmotiv im Takt 25/26, statt pp wohl eher zum mf, vielleicht dem Überschwang des Livekonzertes geschuldet.
    Das Trio spielt er rhythmisch sehr prägnant und auch dynamisch kontrastreich und schließt mit einem intensiven Prestissimo (Takt 112) ab Von seinem Tempo her kann man die Achteltriolen sowohl in der Basslage als auch im Diskant mühelos unterscheiden..
    Er hat im Tempo alle Zeit der Welt, die zusätzliche Achtel im Alt so klar zu spielen, dass man sie mühelos vernehmen kann.
    Bis auf die eine Stelle im Scherzo (auch in der Wiederholung), in der er m. E. zu laut ist, ist sein Vortrag auch in diesem Satz durchaus überzeugend.


    Im Adagio ist Jean Muller deutlich langsamer als Louis Lortie, aber auch um ungefähr ebenso viel schneller als z. B. Gerhard Oppitz. Aber auch in der anfänglichen "mezza voce" setzt er die bis zu siebenstimmigen Akkorde unverrückbar in den Raum, gibt der Musik die nötige Weite, sich majestätisch zu entfalten. Sie schwingt mit einem traurigen Klang, aber auch mit großer Ruhe, und erzeugt, in der Durauflösung Takt 13 bis 16, jenen unglaublichen Stimmungskontrast, als wenn aus einem dunkelgrauen Himmel plötzlich und mit aller Kraft und Wärme die Sonne strahlend hervorbricht, und Jean Muller gelingt diese Wirkung besonders gut, ebenso nach der zwischenzeitlichen Verdunklung wieder der zweite Wandel, hier in der Oktavierung Takt 22/23.
    Sehr eindringlich spielt Muller darauf auch das "con grand espressione, wieder musikalisch unheimlich dicht und expressiv, ja auch leidenschaftlich, und mündet schließlich in eine überirdische Überleitung, von der ich schon so oft gesprochen habe, die mich aber jedes Mal wieder ergreift, und in Mullers Lesart tut sie es besonders stark.
    Das himmlische Seitenthema in D-dur erhebt sich im Originalgewand in der tiefen Oktave in Takt 45 mit Vierteln und Achteln, begleitet von Sechzehnteln, in einem majestätischen Choral, um dann in Takt 47 oktaviert zu werden, un dim Wege der inneren Beschleunigung mit Sechzehnteln und Achteln, begleitet von gebundenen Sechzehnteltriolen, wiederum zwei Takte später oktaviert, und allmählich in einem Crescendo auflebend. Genauso spielt es Jean Muller und leitet dann "una corda" zur Durchführung über, die aber in gleichem ruhigen Duktus beginnt, in dem sich quasi der ganze Satz bis jetzt und bis auf wenige Ausnahmen befunden hat.
    Hier gestaltet er auch das Wechselspiel zwischen den aufstrebenden Sechzehntel-Tonleitern und den Oktavgängen im Thema und der kurzzeitigen Fortepassage (ab Takt 72), in der etwas mehr Bewegung aufkommt, sehr prägnant, und lässt dann nach dem letzten Forte (Takt 81) das Geschehen dynamisch und temporal wieder auslaufen, in den Takten 85 und 86 dann in einem Diminuendo-Smorzando zur Reprise übergehend,
    die in ihrer expressiven Form mit den endlosen Zweiunddreißigstel-Intervall- und Oktavwechseln in ständigen dynamischen Auf- und Ab-Bewegungen weiterhin stark durchführende Züge hat, wie ich finde. Diese kunstvollen Themenveränderungen mit immer wieder changierenden, sie umgebenden
    Figurationen gehören sicherlich zusammen mit der Arietta aus op. 111 zum Höchsten, was die Klavierliteratur überhaupt zu bieten hat und weisen in ihrer Auflösung, oder besser gesagt Weiterentwicklung der Form, weit, weit in die Zukunft. Am Ende dieser langen Zweiunddreißigstelsequenz führen sie direkt in ein weiteres Phänomen, das der späte Beethoven zu bieten hat, und das der versierte Pianist, der aus einem langsamen Adagio heraus, wie hier Muller in Form eines neuntaktiges Ritardando, auch gewissenhaft und spannungsreich durchhält, gekrönt noch einmal von jener zauberhaften Durauflösung, die uns versichert, dass wir uns auch tatsächlich in der Reprise befinden- grandios, wie er das macht.
    Und die direkt mit einem Crescendo aus dem Piano beginnende lange Überleitung zum abermaligen himmlischen Seitenthema spielt Jean Muller ebenso wie Gerhard Oppitz von Anfang an im "con grand' espressione", die feinen kleinen temporalen Einsprengsel, die Beethoven hier vorgenommen hat, wie eine Sechzehntel-Sextole und drei Sechzehnteltriolen i n Takt 116 und eine einzelne Zweiunddreißigsteltriolen in Takt 121, organisch in den musikalischen Fluss ein bindend.
    Dann bringt er das himmlische Seitenthema nach einem Ritardando-a tempo in Takt 129, erneut zum Erblühen, sozusagen eine Reprise auch des Seitenthemas.
    Nach den erneuten Signal-Intervallen (siehe frühere Rezensionen (Takt 148 und 150) lässt er die wundersame Coda folgen (ab Takt 154) mit einer komprimierten Form des ganzen Satzes mit Thema, Seitenthema, Auflösung desselben, mit dem langen Ritardando und dem abschließende morendo ähnlichen Verhauchen- ein Schluss, den man bei anderen Komponisten vergeblich sucht.
    Muller spielt die tumultöse Zersetzung des Seitenthemas mitreißend, ebenso den kurzen reprisenförmigen Anklang, das letzte Aufbäumen und das Morendo. Mich wundert, dass man von einem Pianisten, der das Adagio so spielen kann, bei uns noch nicht so viel gehört hat.


    Das Largo spielt er ebenfalls in maßvollem Tempo, das un poco piu vivace deutlich schneller und das Allegro (ab Takt 3) dann doch schon sehr zügig, bevor er über Tempo I (Takt 8) und tenuto (Takt 9) wieder deutlich abbremst. Das anschließende a tempo (Takt 10) sowie accelerando und Prestissimo und Ritardando sind auch temporal und dynamisch durchaus partiturgerecht.
    In der Fuga spielt er den I. Teil, die Exposition in B-dur (Takt 16 bis 84), sehr transparent, im vorgegebenen Tempo und sehr aufmerksam die dynamischen Wendungen verfolgend und die rhythmischen Bewegungen vollziehend.
    Den II. Teil, die Vergrößerung des Themas in es-moll (Takt 85 bis 152), spielt er mit den vielen Intervallläufen, vielfältigen Trillern, dynamischen und rhythmischen Bewegungen ebenfalls sehr übersichtlich und mit unverändert gleichmäßigem Vorwärtsdrang.
    Den III. Teil schließlich, den Rücklauf des Themas in h-moll (Takt 153 bis 207), mit dem schönen Cantabile-Beginn und den wiederholten Seufzer-Motiven, spielt er unverändert transparent, obwohl der Bau der Struktur immer dichter wird, aber er verhilft nach wie vor zum Durchblick.
    Ebenso geschieht es mit dem IV. Teil, der Umkehrung des Themas in G-dur (Takt 208 bis 249), der immer wieder, trotz dichten musikalischen Gewebes, durch ständig parallel laufende gleiche oder ähnliche Figuren, die sich in moderaten Auf- oder Abwärtsschritten durch die Oktaven schlängeln und dadurch einen unverwechselbaren Rhythmus prägen, dem Hörer zeigt, wo er sich gerade in der Partitur befindet. Diesen Teil schließt Muller mit einer glänzenden Bewältigung der sprunghaften Triller-Intervalle ab.
    Womit wir beim V. Teil der Fuga, der Durchführung des zweiten Themas in D-dur (Takt 250 bis 278) wären. Dieser wunderbar lyrischen Cantabile-Gesang im Bachischen Stil, sozusagen das große Atemholen in der Mitte der Fugateile, gelingt Jean Muller, wie ich finde, auch über die Maßen.
    Der VI. Teil schließlich, in Wirklichkeit in drei weitere Unterabschnitte eingeteilt (Takt 279 bis 366), die gleichzeitige Ausführung des 1. und 2. Themas, dann die zweifache Ausführung des 1. Themas und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, alles in B-dur, kann durchaus auch als Höhepunkt der Fuga angesehen werden, und ich bin auch ein wenig stolz darauf, dass es mir von Mal zu Mal besser gelingt, diesem nur auf den ersten Blick heillosen Chaos zu folgen. man muss sich in jedem Abschnitt auf das Thema konzentrieren, das gerade an der Reihe ist, ferner auf zwei weitere Merkmale der Beethovenschen Kompositionsweise, die gerade in diesem kolossalen Satz hilfreich sind, das sind die kleinen, stets in einer Aufwärts- oder Abwärtsbewegung Themenbausteine einerseits und die Triller andererseits. ich erinnere mich in diesem Zusammenhang gerne an eine Aussage, die der Musikjournalist Christoph Vratz in dem heute vor 14 Tagen in Bonn auf dem Beethovenfest begonnenen Sonatenmarathon in seinen jeweiligen Einführungen, speziell auch in die Hammerklaviersonate machte: er sagte, Beethovens zahlreiche Triller in seinen späten Sonaten seien keineswegs nur Verzierungen, sondern funktionelle Bausteine des Ganzen. Hier in der Fuga wird es klingende Wahrheit und im letzten,
    dem 7. (9.) Teil der Fuga, der unglaublichen Coda (Takt 367 bis 400, entfaltet Beethoven sie noch einmal in ihrer ganzen, durchaus futuristisch klingenden Pracht, und Muller entfaltet sie vor uns, und
    Jean Muller entfaltet sie vor uns.
    Ich möchte ihn mit dieser Aufnahme durchaus in der Spitzenklasse der bisher gehörten Aufnahmen ansiedeln.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 29 B-dur op. 106 "Hammerklavier-Sonate"
    Igor Levit, Klavier
    AD: 1/2/2013
    Spielzeiten: 10:13 - 2:29 - 17:04 - 11:26 --- 41:12 min.;


    Ich hatte die CD Levits längere Zeit verlegt, habe sie aber nun wiedergefunden und kann jetzt die Sonate Nr. 29 besprechen:


    Igor Levit spielt den Kopfsatz erheblich schneller als Paul Lewis und auch noch etwas schneller als Valentina Lisitsa, allerdings nicht ganz so schnell wie etwa Friedrich Gulda oder gar Michael Korstick.
    Allerdings vergisst er trotz des doch zu den Schnellen gehörendes Tempos im Hauptthema I und II keineswegs die Ritardandi (Takt 8 und Takt 32 bis 34. Sein Vortrag ist in Tempo, Dynamik und Rhythmus höchst eindrucksvoll und kontrastreich.
    Auch der zweite Themeneinsatz im Hauptthema III ab Takt 35, die darauffolgende Überleitung die 1. Phase des Seitensatzes sind geprägt von genauer Ausführung der zahlreichen dynamischen Bewegungen, von hoher Virtuosität, die er aber, wie ich finde, ganz in den Dienst der Sache stellt, und von einem äußerst transparenten, in den Oktavierungen wunderbar luziden Klang und von daher auch höchst ausdrucksvoll.
    In der 2. Seitensatzphase (Takt 63 bis 74) lässt er sich auch die Zeit für die mehrmaligen Tempowechsel (poco rit.- a tempo etc), und in der 3. Phase setzt er den lyrischen Legatofluss der 1. Phase fort und kombiniert ihn auf das Trefflichste mit den wiederholten eingestreuten Oktavierung in den ganz hohen Diskant (Takt 81, 83 und 89 und verbindet dies ab Takt 87 mit einer prachtvollen dynamischen Steigerung.
    Die anschließende Schlussgruppe gestaltet er in ihrem 1. Gedanken äußerst kantabel, baut dann organisch das herrliche Trillercrescendo ein (Takt 106 bis 111), um im 2. Gedanken der Schlussgruppe ab Takt 112 die Oktavakkorde im Diskant mit synkopierende Bassachteln wunderbar zu kontrastieren.
    Natürlich wiederholt er nach den beiden Subito-Fortepiano-Figuren Takt 122a und 123a die Exposition.
    In der Einleitung zur Durchführung führt er die beiden Fermatentakte 121 und 123 besonders lang aus, was um so schöner kontrastiert mit dem Subito-Pianissimo im nächsten Takt. Dieser fällt sehr beeindruckend aus, und auch der Rest der Einleitung mit sempre pp und Crescendo sowie den Fanfarenakkorden in Takt 133/34 sowie 135/36 gefallen mir sehr gut.
    Vorbildlich musiziert ist ebenfalls der 1. Teil des Durchführungskerns mit den vier Einsätzen im Fugato, die er rhythmisch sehr prägnant spielt und vor allem in dem musikalisch dichten Satz sehr transparent, den dynamisch-temporalen Impetus der Durchführung betonend.
    Vor dem zweiten Teil des Fugatos in Takt 176 retardiert er kurz, was mir gut gefällt, um mit neuem Schwung in den ersten Fortissimotakt mit dem 1. Auftakt des Themas in der c-moll-Dominante zu gehen. Auch hier arbeitet er die Kontraste in der Betonung: schwer im Auftakt - leicht in der anschließende Bogenkette, sehr schön heraus, ebenfalls im 2. Auftakt in c-moll, dann im 3. Auftakt in der Es-dur-Dominante, bevor es in dem letzten Auftakt in Es-dur (ab Takt 189) zunächst im schweren "sempre-ff" bleibt, bis zum "Stillstand" (ab Takt 197), den er ebenfalls grandios spielt und organisch über das wunderbare "poco ritardando" in die Cantabile-Sequenz gleiten lässt, und dann ins Espressivo (ab Takt 205). Auf dem gleich hohen Niveau spielt er den letzten Durchführungsteil (ab Takt 214 (Doppelstrich) mit den dynamischen Kontrasten und den letzten vier Takten im Glissando (Takt 223 bis 226), überleitend zur Reprise.
    Diese spielt er dann mit dem gleichen Vorwärtsdrang, wie auch mit dem gleichen Kontrastreichtum , all den Tempomodifikationen und dem hochdynamischen Hauptthema II(hier ab Takt 248), dass er wider mitreißend spielt und auf einem wunderbaren Diminuendo-Ritardando (Takt 264 bis 266) auslaufen lässt und Rückleitung und Seitenthema erneut anschließt. Hier macht er in Takt 268 auf der zweiten Viertel eine besonders lange Fermate vor der interessanten Rückleitung.
    Der Seitensatz verliert auch in der Wiederholung nichts von seinem Reiz, so wunderbar gestaltet er die langen einleitenden Legatobögen einerseits, den kurzen Mittelteil mit den Tempowechseln andererseits und schließlich in der 3. Phase die neuerlichen Bögen, hier wieder mit den Oktavierungen in den ganz hohen Diskant, anschließend dem anrührenden Cantabile dolce ed espressivo und der tollen Schlussgruppe, die nun ihrerseits in eine, wie wir inzwischen wissen , in eine grandiose Coda mündet, die er nachgerade herausragend spielt.


    Im Scherzo ist Igor Levit schneller als Paul Lewis und etwa gleichauf mit Valentina Lisitsa. Die rhythmischen Feinheiten und Verschiebungen bringt er partiturgerecht rüber, dynamisch ist er an der Obergrenze, aber noch tolerierbar.
    Im Trio offenbart sich eine Schwierigkeit für den Hörer. Da Levit das genauso schnell durchzieht wie das Scherzo, sind die Achteltriolen im Bass nur noch schwer zu unterscheiden. Im Diskant stellt sich das etwas besser dar.
    Das Presto spielt er rasant, aber dennoch außerordentlich exakt.
    Im Tempo II macht sich sein Tempo nicht negativ bemerkbar. Hier ist die zusätzliche Achtel in der Altlage (ab Takt 122) sehr gut zu vernehmen, vielleicht, weil sie ja auch im Diskant liegt und die Noten im Diskant sowieso transparenter klingen, bei jedem Tempo. Positiv hervorzuheben sind auch seine dynamischen Bewegungen im unteren, dem Pianobereich.
    Das lange Ritardando (ab Takt 164) und das anschließende Presto sind wieder vom Feinsten.


    Im Adagio ist Igor Levit um gut 1 1/2 Minuten langsamer als Valentina Lisitsa, aber auch um über eine Minute schneller als Paul Lewis.
    Er spielt das Thema aus dem Pianissimo heraus sehr berührend mit traurigem Ausdruck, mit sanften dynamischen Bewegungen auch im Crescendo (ab Takt 8) und einem wunderbar von innen leuchtenden lyrischen Bogen in der Durauflösung Takt 14/15, geht dann in der Wiederholung des 2. und 3. Melodieteils wieder in die traurige Ausdrucksebene zurück, bevor ein neuerlicher, hier oktavierter Bogen in Takt 22/23 aufscheint, wieder in dieser verhaltenen Art, noch leiser als beim ersten Mal.
    Wenn ich das noch bemerken darf, so fällt anhand der letzten beiden Taktangaben, auch im Vergleich zu Schubert und seiner B-dur-Sonate wiederum auf, wie mathematisch exakt wiederkehrende gleiche Motive bei Beethoven immer ins Zweiersystem passen, bei Schubert eigentlich durchweg nicht. In dessen Überlegungen spielt das mathematische Zweiersystem in der Struktur seiner Sonaten überhaupt keine Rolle .
    Levit spielt dann die sehr lange Überleitung zum 2. Thema, die "con grand' espressione überschrieben ist und im ersten Teil im fis-moll verbleibt, und im zweiten Teil (ab Takt 36 mit Auftakt) in der Durauflösung diesen für mich überirdischen, terrassenförmig in der Oktave ansteigenden Ausdruck annimmt, verbunden mit einem zweimaligen Crescendo (ab Takt 36 und ab Takt 42 mit Auftakt), sehr berührend und mit tiefem Ausdruck.
    Das himmlische Seitenthema selbst, nach dem Ritardando-Diminuendo-Übergang (Takt 44), spielt er herausragend, in ruhigem, langsamen Pulsschlag, der immer gleich bleibt, auch in der Phase der "inneren Beschleunigung" (ab Takt 49 in den Sechzehnteltriolen im Bass.
    Bis zum Eintritt der durchführungsartigen Sequenz (ab Takt 69) hat Igor Levit 6.14 Minuten gespielt im Vergleich zu Michael Korstick, der bis dahin 10:32 gespielt hatte, also beinahe doppelt so lange- ein Zeichen dafür, wie unterschiedlich langsam die Interpreten hier diese ersten knapp 70 Takte anlegen können.
    Den von Sechzehnteltonleitern geprägten Durchführungsteil spiel Levit mit der notwendigen dynamischen Bewegung, bleibt dabei immer im Fluss und arbeitet auch die dynamischen Kontraste fein heraus, lässt diese Sequenz dann in einem berückenden Diminuendo smorzando auslaufen.
    Dann folgt der rätselhafte reprisenförmige Abschnitt (ab Takt 87, aus dem pp heraus), geprägt durch 17 lange Takte mit Zweiunddreißigstel-Figuren, die in den verschiedensten Formen Oktavwechsel beinhalten und dynamisch sehr kontrastreich sind, durchlaufend kontrastiert von Achtel- und Sechzehntel-Akkorden im Bass.
    Igor Levit spielt auch diesen Abschnitt grandios und zeichnet wiederum die dynamischen Bewegungen sorgfältig nach, ebenso den sozusagen zurückschreitenden Abschnitt ab Takt 104, in dem in dem großen Ritardando der wunderbare Bogen in der Durauflösung wiederholt wird, bevor das Geschehen wieder in das dunklere Thema zurückfällt- alles in diesem Ritardando.
    Dann der "grand' espressione-Abschnitt mit den fortwährenden dynamischen Bewegungen und der erneuten Überleitung zum Seitenthema- diesmal höher im Diskant als an der ersten Position (vor. ab Takt 27). An dieser Stelle bis zum Eintritte des Seitenthemas durchmisst die Musik riesige Intervalle , vor allem im Bass, aber auch bis hoch in den Diskant (Takt 113 bis 130).
    Levit spielt das in ruhigem, schreitendem Rhythmus mit größtmöglichem Ausdruck- wunderbar!
    Das himmlische Seitenthema ist in seiner Lesart wiederum zum Niederknien, herrlich auch wieder die Oktavierungen des Themas im Diskant.
    Die teilweise siebenstimmige "una corda"-Sequenz ab Takt 146 mit Auftakt, immer wieder hier auch die beiden "Erkennungsintervalle" : Sexte-Terz, wie sie immer an den Schnittstellen vorkommen führt dann zu einer Coda, wie sie in einem Adagio wohl nur bei Beethoven vorkommen kann: das Adagio auf engstem Raum, erst das Hauptthema, dann das Seitenthema, dann in einem tumultösen Crescendo die "Zerstörung desselben"- grandios, wie auch Levit das hier macht, dann wieder das Hauptthema mit dem Ritardando, das kurze "a tempo", das letzte Crescendo-diminuendo und schließlich das unglaubliche Morendo!
    Ein herausragend gespielter Satz! Wenn man sich wundert, warum dieser junge Mann (er ist 31) vor 5 Jahren so eine Aufnahme zustande brachte (da war er 26) muss man sich auch vor Augen führen, dass vor 50 Jahren der damals 26jährigen Daniel Barenboim schon seine erste Gesamtaufnahme der Beethovensonaten fertiggestellt hatte, die damals mindestens so viel Aufsehen erregte wie die Aufnahme der fünf letzten Sonaten Beethovens durch Levit vor fünf Jahren.


    Im finalen Largo-Allegro risoluto ist Igor Levit wiederum um mehr als eine Minute schneller als Paul Lewis und um eine Minute langsamer als Valentina Lisitsa.
    Im largo schlägt er ein maßvolles Tempo ein, im "in poco piu vivace desgleichen, ebenso im Allegro (Takt 3 bis 8). Auch das "tenuto" ist m. E. genau im richtigen Tempo. Auch das "a tempo" (Takt 10) höre ich m. E. genau in dem Tempo, in dem es notiert ist, auch hier, wie schon vom Beginn der Sonate an mein Eindruck, dass Igor Levit sich so gut an die Partitur hält, wie es möglich und vor allem sinnvoll ist.
    In der Fuga spielt er den 1. Teil, die Exposition, Takt 16 bis 84, spielt er mit apollinischer Klarheit und Transparenz, so dass man die häufigen rhythmischen, dynamischen und temporalen Wendungen schon diese für den ungeübten Laien äußerst schwer zu durchschauende dichte Struktur doch mit einiger Übung sehr gut verfolgen kann.
    Der 2. Teil die Vergrößerung des Themas in es-moll, Takt 85 bis 152, der längste einzelne Abschnitt, dichter als sein Vorgänger, dafür leichter zu lesen durch viele ähnliche Sexten-, später Oktavengänge, wiederholte Sechzehntelfiguren, im Weiteren lange Sforzandoketten, schließlich Triller in bis zu drei Ebenen gleichzeitig und immer wieder markante Aufwärtsgänge im hohen Diskant.
    Igor Levit spielt auch hier gewohnt souverän und transparent.
    Der 3. Teil, der Rücklauf des Themas in h-moll, Takt 153 bis 207, zunächst mit einem kurzen Cantabile, dann immer wieder mit Halben und Vierteln, kontrastiert von durchlaufenden Sechzehnteln, zeigt nach parallel oder in die gleiche Richtung verlaufenden Sechzehntelfiguren im zweiten Abschnitt gegenläufige Figuren und ist so gut nachzuverfolgen.
    Der 4. Teil schließlich, die Umkehrung des Themas in G-dur, Takt 208 bis 249, ist leichter nachzuverfolgen durch seinen Wechsel nach Dur und wiederum nacheinander auftretenden gleiche Sechzehntelfiguren, die sich auf- oder abwärts durch die Oktave bewegen. In der zweiten Hälfte dann wieder teilweise gegenläufige Sechzehntelfiguren und zum Schluss eine Anhäufung von beispiellosen Trillersprüngen- spätestens hier weiß man (auch als Interpret), dass es dieser Fugateil in besonderer Weise in sich hat. Levit spielt auch diesen Teil äußerst souverän und abgeklärt, auch und vor allem die abschließenden Trillersprünge.
    Nun die Atempause, der 5. Teil, die Durchführung des 2. Themas in D-dur, Takt 250 bis 278, gleichzeitig der mittlere Teil von insgesamt neun Einzelteilen, wenn man bedenkt, dass der 6. Teil aus drei Unterabschnitten besteht.
    Dieser kurze Abschnitt im Bachischen Stil zeigt hier, das Bach dem Pianisten keineswegs fremd ist. Er spielt diese kurze Sequenz berührend, ohne sentimental zu wirken, eben "dolce cantabile".
    Schließlich folgt der große 6. Teil, wie gesagt mit drei Unterabschnitten, zunächst das 1. und 2. Thema gleichzeitig, Takt 279 bis 293, dann das 1. Thema zweifach, Takt 294 bis 348, und schließlich die Schlussankündigung der Durchführung, Takt 349 bis 366, alle drei Unterabschnitte in B-dur.
    Dieser riesige Teil ist sicherlich der pianistisch in all seiner Schwierigkeit einsame Gipfel eines riesigen Massivs, in dem alle bereits geschilderten Schwierigkeiten, seien es wilde Sechzehntelketten, Triller, Sforzandoketten, Sprünge, dynamische Kontraste, rhythmische Haken etc.
    Igor Levit meistert all dies vorzüglich.
    Dann folgt als Schlussanstieg, sozusagen das "Alpe d' Huez" der Klaviersonaten, als 7. Teil, die unvergleichliche Coda. Hier betont er noch einmal alles und jedes, das in der Coda steckt, einer Coda, die vom pianistischen Schwierigkeitsgrad her doch noch eine andere ist als die Schlusscoda der B-dur-Sonate von Schubert, mit der ich ja auch zur Zeit das Vergnügen habe, und das darf ruhig wörtlich verstanden werden.
    Hier denke ich, habe ich wieder eine Referenzaufnahme gehört, eine vom Tempo her sicherlich der "klassischen Mitte" zugehörige und von der Pianistik her absolut in die Spitze gehörend.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Ich hatte die CD Levits längere Zeit verlegt, habe sie aber nun wiedergefunden und kann jetzt die Sonate Nr. 29 besprechen:

    Lieber Willi, genau davor grauts mir! Besonders prekär ist, wenn man irgendwann mal umgezogen ist und die Ordnung der CDs ändert. Man denkt, alles ist wie es war, aber die kleinen Veränderungen sind tückisch - denn man fängt nämlich plötzlich an zu suchen... :D Danke für Deine schöne Besprechung! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Danke, lieber Holger,


    das Suchen nach irgendwelchen CD's und vor allem nach meinem Handy isr mir schon zum täglichen Brot geworden. Nun will ich aber wahrscheinlich heute wieder zur anderen B-dur-Sonate wechseln und in den nächsten Tagen zwei neue Pianisten vorstellen (also neu in meinen Threads), einen mit und einen ohne Wiederholung der Exposition im Kopfsatz.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Vin Bernd Glemser, lieber Damiro, kenne ich wohl diese Aufnahmen der Klavierkonzerte:

    aber ich wüsste nicht, dass er auch die Hammerklaviersonate aufgenommen hätte. Oder ist mir da irgendwas entgangen?


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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