Richard Wagner: Parsifal

  • ...letztes WE (beim Querlesen durch div. überregionale Feuilletons) entdeckt:


    Es ist jetzt eine (bei jpc nicht grade preiswerte) Aufnahme herausgekommen, die offenbar längere Zeit nicht erhältlich war !
    (Jedenfalls erwähnt sie Parsifal-Sammler Joseph II. wohl nirgends, und auch in Theophilus`Auflistung ist sie nicht dabei)


    Mitwirkende: Martha Mödl, Gustav Neidlinger, Frithjof Sentpaul, Otto von Rohr, Wolfgang Windgassen
    Dirigent: Ferdinand Leitner
    Aufnahmejahr: 1954


    ...hab...räusper...recht fix quergelesen - weiß aber noch, daß der Rezensent die Textverständlichkeit ALLER Darsteller herausstellte !


    :hello:

  • Vielen Dank für diesen hochinteressanten Hinweis!


    Hier der Link zur Aufnahme:



    Parsifal: Wolfgang Windgassen
    Kundry: Martha Mödl
    Amfortas: Gustav Neidlinger
    Gurnemanz: Otto von Rohr
    Klingsor: Heinz Cramer
    Titurel: Frihjof Sentpaul


    Die verloren geglaubte Aufnahme stammt scheinbar aus dem Nachlaß von Martha Mödl persönlich.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nachdem live aus Bayreuth der Schlussakt des "Parsifal" erklungen ist (m.E. insgesamt eine nicht ganz so packende Interpretation wie die letzte mit Pierre Boulez), suche ich noch immer nach einer Erklärung, warum Wagner dem sog. Dresdner Amen als Gralsmotiv eine so herausgehobene Bedeutung verliehen hat.
    Wenn - laut Wikipedia - das Dresdner Amen ursprünglich in Messen der katholischen Hofkirche in Dresden eine mehrstimmig gesetzte Antwort des Chores war, könnte ich verstehen, wenn es etwa von Schubert oder Bruckner in ihren Messen zitiert worden wäre. Warum machten aber sowohl Mendelssohn als auch Richard Wagner davon Gebrauch?


    Jener tat dies zu Beginn seiner letzten Symphonie, die er aus Anlass des Jubiläums der Reformation komponierte. Wusste er nicht, dass es ein katholisches Motiv ist?
    Dieser tat es in seiner letzten Oper, die er bewusst als Bühnenweihfestspiel titulierte, und zwar sehr ausgiebig. Weder stand er jedoch dem katholischen Glauben nahe (machte er sich nicht über Liszts Frömmelei als Abbé sogar lustig?) noch schrieb er meines Wissens ein einziges geistliches Werk im eigentlichen Sinn. Wenn man die Hypothese, er habe sich damit - altersweise - mit Mendelssohn versöhnen wollen, nachdem er über eben jenen Komponisten hergezogen war wie kein anderer Kollege, als zu gewagt verwirft, findet man auf Anhieb keinen plausiblen Grund.


    (Warum Klaus Doldinger das Motiv in seiner Musik zum Kino-Hit "Das Boot" verwandte, wäre sicher ebenfalls eine reizvolle Frage.)

  • Na, Parsifal, das ist doch auch mal was.


    Den hab ich sogar schon zweimal in live erlebt, einmal Barenboim/Kupfer, Berl.St.u.d.L.; einmal Bayerische Staatsoper, mit der armen Lipovsèk als Kundry (sie ritt auf einem Holzpferdchen eine Art Sommer-Sprungschanze hinab). Der Berliner Parsifal hatte es auch nicht besser; da die Blumenmädchenszene unter lauter Monitoren (ohne leibhaftige Mädchen) spielte.


    Ich hatte immer schon Probleme mit dieser Oper; vor allem Kundrys wegen - eine monströse Waldhexe wird zur mütterlich-magischen Kurtisane und dann zur Nonne. Ich finde diese Partie und die darin ausgedrückten Absichten einfach abscheulich und ertrage sie nicht. - Hier sind ja leider auch wenig Frauen im Thread.


    Der Syberberg-Film verlegt, wenn ich recht erinnere, die Handlung auf die zur Landschaft vergrößerte Totenmaske Wagners. Es ist eine sehr ansprechende, naiv, aber subtil und voller Umsicht der Legendenhandlung folgende Umsetzung, im Playback z.T. Schaupielern in den Mund gelegt - Edith Clever als Kundry und ein wirklicher Knabe als Parsifal (wenn er zum ersten mal singt, vergißt man das nicht). - Ich finde die obigen Beiträge erheiternd - Peter Hoffmann sei Mittelmaß; aber Herr Botha großartig (das will ich auf der Bühne sehen).


    (Herzeleide - als zullendes Kind/ zog sie Dich auf)


    Ich liebe den Parsifal-Stoff; aber dann gleich von Wolfram oder Chrétien. Natürlich hat Wagner mit seinem Amfortas eine ganze Lawine von Leidenspathos für die Spätromantik losgetreten. Aber wenn nicht London, sondern Fischer-Dieskau das singt, hört man etwas besser auf den Sünden-und Erlösungsquark, der hier doch mehr rhetorisch-opulent behauptet als wirklich seelisch umgesetzt wird (quasi ein Doctor De Profundis).


    Die peinlichste Stelle der Oper ist für mich immer die Schein-Peripetie in Akt II:


    "Amfortas! Die Wunde" und all das "Verderberin! Weiche von mir!", gewürzt durch die ekelhafte Ingredienz des Eingeständnisses der Dame, am Kreuz den Erlöser ausgelacht zu haben. - Wie gesagt, für einen denkenden Menschen schwer erträglich.


    Wenn es nach der Liebe erstem Kuß anders weiterginge; gerne. Aber dieses steif-pathetische Wortgeklaube aus der katholischen Morallehre; und der schöne Karfreitagszauber, verdorben durch das Zerrbild des "dienenden Weibs" :kotz: ("die entsündigte Natur" :hahahaha:)


    Ich mißtraue daher auch denjenigen Einspielungen, die dieses Mysterium so betörend zum Klingen bringen (natürlich Kna´ 51 und 62). Den Parsifal hat der Wagner ja eigentlich für Ludwig II. von Bayern geschrieben (Maximilian II. und sein Sohn changieren beide in der Amfortas-Figur; denn Ludwig geht natürlich nicht im reinen Toren allein auf). - Aber das als Lösung angebotene Caritas-/amor-dei-Klischee ist weder der Liebe noch Wagners würdig. Es ist penetrant reaktionär, und das kann auch die Musik nicht wieder gutmachen.

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Es gibt seit kurzem zwei neue Aufnahmen vom "Parsifal", die höchst kontrovers diskutiert werden:


    Zum einen die Gergiev-Aufnahme, die scheinbar besonders sängerisch herausragend ist (René Pape als Gurnemanz!), während das Dirigat als Schwachstelle genannt wird:



    Zum anderen eine Aufnahme von Tiroler Festspielen Erl unter Gustav Kuhn (da soll angeblich eine Orgel [!] dabei sein):



    Kennt jemand eine oder gar beide und könnte ein kurzes Statement abgeben?


    :hello:

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    – Luís de Camões

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  • Nicht zu Ostern, sondern am
    26. Juli 1882
    – Im Bayreuther Festspielhaus wird Richard Wagners „Bühnenweihfestspiel“ in 3 Aufzügen Parsifal uraufgeführt
    mit Amalie Materna • Hermann Winkelmann • Theodor Reichmann • Emil Scaria • Karl Hill • August Kindermann • Stumpf • Anton Fuchs • Mathilde Keil • Hermine Galfy • Franz Mikorey • Adolf von Hübbenet • Pauline Harson • Johanna Meta • Corrie Pringle • Johanna André • Luise Reuss- Belce,
    Dirig. Hermann Levi.



    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)


  • Mein kurzes Statement: Beide langweilig.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ich mißtraue daher auch denjenigen Einspielungen, die dieses Mysterium so betörend zum Klingen bringen (natürlich Kna´ 51 und 62).


    Da bist Du, verehrter Farinelli, eben in Deine eigene Falle getappt. Wenn man wie Du so sehr dem Wort verhaftet ist, kann man einer adäquaten Interpretation natürlich nichts abgewinnen.


    Der Sünden- und Erlösungsquark gehr mir bisweilen auch auf die Nerven, nur sind mir der Text und die Handlung inzwischen völlig gleichgültig, jedenfalls, wenn es um die religiöse Aussage geht.
    Die Genialität des Komponisten Wagner kann ich geniessen, auch wenn mir dabei immer Friedrich Nietzsches Urteil in den Ohren klingt: "In jeder seiner Opern kommt ein altes Weiblein vor, das erlöst werden möchte."


    Nur, was würdest Du zu einem atheistischen Malergenie sagen, der meint, er müsse, nur weil er die unterliegende Leidensgeschichte für Humbug hält, die Kreuzigungsgruppe mit einem fröhlich lächelnden Jesus malen?
    Warum also sollte sich ein Dirigent nicht an das Sujet halten?

  • Hallo,
    kürzlich sah ich in Lübeck eine Parzifal-Aufführung. Lohnt sich.


    Hallo Lohengrin,


    bist Du da als nächster Verwandter nicht etwas voreingenommen?
    Gleichwohl, kannst Du Näheres berichten vom Parzival oder vom Parsifal?


    MfG
    hami1799

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  • Ich hatte immer schon Probleme mit dieser Oper; vor allem Kundrys wegen - eine monströse Waldhexe wird zur mütterlich-magischen Kurtisane und dann zur Nonne. Ich finde diese Partie und die darin ausgedrückten Absichten einfach abscheulich und ertrage sie nicht. - Hier sind ja leider auch wenig Frauen im Thread.

    Als Frau kann ich dazu nur sagen, dass ich da kaum große Probleme mit habe, es gibt so viele scheußliche Frauenfiguren in Opern, dass ich es hier nicht noch problematischer finde, als sonst. Mir kommt es immer vor als rege man sich über Nichtigkeiten auf...was sollte ich tun, wenn ich jede Opernfigur dermaßen analysieren würde...was sind deiner Meinung nahc eigentlich die darin ausgedrückten Absichten?
    Sicherlich ich bin auch kein Fan der Parsifal-Geschichte in Wagners Version, das Libretto halte ich für unsäglich (gilt auch für andere), aber ich halte es da wie hami und ignoriere den Text weitestgehend (mache ich bei anderen Opern auch).
    Bei Wagner ertrage ich eher die Elsa-Figur nicht.

    "Die Glücklichen sind neugierig."
    (Friedrich Nietzsche)

  • Hochverehrter Hamicus,


    wie du - unter "Gestern in der Oper" - nachlesen kannst, habe ich mir ja sogar einmal wieder den Parsifal angeschaut und -gehört. Ansonsten kann ich deinem Gedankengang nicht ganz folgen. Ich meinte meinen Satz nicht als Ratschlag an den Dirigenten, die Partitur zu verfremden. Ich habe sagen wollen:


    Selbst eine so eindringliche Umsetzung (wie etwa Kna ´62) kann meine Vorbehalte nicht restlos ausräumen. - Ich formulierte das z.B. mit Blick auf Mahlers VIII., die ich, wenn sie gut wiedergegeben wird (etwa durch Maurice Abravanel), vorbehaltlos in mich aufnehme (trotz aller Vorbehalte gegen den Schluß des Faust II und Mahlers diesbezügliche Ambitionen). Wenn Parsifal mit der Longinuslanze in der Gralsburg erscheint, so teilt sich mir zuletzt die hier nötige allumfassende Erlösungsapotheose nicht mit; und zwar aus dramaturgischen wie musikalischen Gründen.


    :hello:

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  • Ich mißtraue daher auch denjenigen Einspielungen, die dieses Mysterium so betörend zum Klingen bringen

    Aber wie, hochverehrter farinellus, hattest Du da nicht den Dirigenten im Auge?


    Allerdings, Deine Ausführung
    "Wenn Parsifal mit der Longinuslanze in der Gralsburg erscheint, so teilt sich mir zuletzt die hier nötige allumfassende Erlösungsapotheose nicht mit;
    und zwar aus dramaturgischen wie musikalischen Gründen.",
    verstehe ich als Kritik an Wagners dramaturgischen Fähigkeiten, aber nur an diesen, denn Deine Fortsetzung " Es ist penetrant reaktionär, und das kann auch die Musik nicht wieder gutmachen"
    scheint an der Musik ja nichts aussetzten zu wollen.


    Deinen Hamicus verzeihe ich Dir, auch wenn ich die italienische Variante wegen des stummen Hs vorgezogen hätte. Sehr nett!


    MfG

  • So geht es, lieber hami, wenn man zu schnell schreibt; dann schreibt man unbedachten Unsinn (ich nämlich, im letzten Beitrag).


    Eigentlich ergreift micht der Parsifal wie Mahlers Faust-Schluß; nämlich abstrakt. Faust ist mir dabei ziemlich egal, und so ergeht es auch dem reinen Toren.
    Von allem abgesehen, ist es eine heikle Sache, diesen Helden die ganze Zeit als stummen Beobachter auf die Bühne zu stellen (Akt 1). Man vergißt ihn inzwischen (das war Wagner natürlich bewußt, wie schwierig es wäre, neben dem bühnenwirksam sich windenden Leidens-Amfortas ein Zuschauerinteresse an der tabula rasa seiner faden Tenorrolle wachzuhalten).


    Nun hat mich, wie ich mich wohl erinnere, das Schlußtableau des Berliner Parsifal sehr wohl gerührt, nämlich musikalisch. Es ist aber ja eigentlich eine Chorstelle. Was dieser Rührung gleichwohl fehlt, ist die dimensionale Durchdringung des Dramas - so wie man z.B. am Ende der Elektra auch die entgrenzte Erleichterung und Erlösung der mörderischen Tochter mitempfindet. - Im Parsifal steht alles unabgearbeitet neben einander. Amfortas soll von seiner Wunde erlöst sein - nun ja. Seine psychologisch ziemlich undankbare, statische Leidenshaltung rührt mich nicht. - Parsifals großer Auftrittsruf - "Die Wunde schließt der Speer nur, der sie schlug", diese similia-similibus-Arzeney, vermittelt sich mir nicht (auch wegen der musikalischen Kürze der Sentenz). Es erinnert mich höchstens an die Despina in der Cosi fan tutte mit ihrem Mesmerismus. Daß ein heilsamer Speer überhaupt schwärende Wunden schlagen kann, scheint schon fraglich. Wie man aber eine derat "tief" begriffene Verwundung wie dem Amfortas seine anläßlich von Kundrys Kuß mit einem katholischen Heiltum wundertätig will heilen können, das entzieht sich meiner Nachempfindung. Das findet eben musikalisch auch nicht statt; es steht als dramaturgisch schlecht begründete Behauptung im Raum (so wie Kundrys angebliche Bekehrung).


    Ziemlich anders ergeht es mir da bei Mahlers Faust-Schlußszene. Das ist doch ein ganz anderes Ergriffensein von der Erlösungsgeste, eine ganz andere Durchdringung von Text und Musik auch, und trotz "männlich"-metrisierter Finalschürzung eben auch ein Bekenntnis zum "Ewig Weiblichen", also das wirklich krasse Gegenteil vom Parsifal mit seiner verblödeten Männergesellschaft. Die große allumfassende Liebe, die Mahler (mit Goethe) in Musik setzt, scheint mir etwas anderes zu sein als die schopenhauerisierte Caritas als Willensverneinung und Weibsverteufelung um einer (männlichen) Reinheit willen, die doch nur ein ritualisiertes Beisichsein des (männlichen) Geistes anpeilt, übrigens ein seiner katholischen Liturgie entkleidetes, gänzlich erstarrtes "Ich bin, der ich bin". - So unterschiedlich kann das ästhetisierte Christentum ausfallen.


    :hello:

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  • Lieber farinelli,


    beim Parsifal ergeht es mir ähnlich wie bei den Erzählungen Karl Mays. Ich versuche über den naivistischen, simplifizierten Moralkodex dieser beiden Superegomanen hinwegzudenken und genieße hier das literarische Geschick des Einen und dort die musikalische Genialität des Anderen.
    Die daraus resultierende Ergriffenheit ist dann eher der Kunst zuzuschreiben, als dem Inhalts und ich unterscheide mich in dieser Hinsicht sehr von Hamlets Mutter. "Mehr Inhalt, wen´ger Kunst" ist aber leider heutzutage zum Wahlspruch einiger wenigen begabten und einer großen Menge unbegabter Opernregisseure geworden, meiner war es nie.


    Der einstens fatale Speer, der die schwärende Wunde heilt? Ja, was ist das? Ruchloser Missbrauch der Manneskraft schließlich durch Selbstentmannung gesühnt? Oder der Versuch, den Teufel mit Belzebub auszutreiben mit anderen Mitteln?


    "Nur eine Waffe taugt", das war für uns Jünger in den Siebzigerjahren immer der Höhepunkt, aber doch eher im Hinblick auf die Leistung des Tenors. Das Schicksal der Ritter-Psychopaten hat mich nie berührt und Kundrys Erlösung ebenfalls nicht. Ergriffen war man trotzdem.


    Es war eben das Wunder Wagner, das mir früher die Ostertage vergoldet hat.


    :hello:

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  • 1976, im Jahre des einhundertjährigen Jubiläums der Ring-Premiere“ erschien Hartmut Zelinskys Wagner-Dokumentation. Darin steht u.a. folgende Kritik, eher mehr eine Beschimpfung des Publikums, auf jeden Fall für mich eine vollkommen absurde Argumentation:


    Zitat

    Wie muß es zudem um die Kritikfähigkeit und -willigkeit einer sich für christlich haltenden Gesellschaft stehen, wenn sie es seit Jahrzehnten und auch noch im Jahre 1976 zuläßt, billigt und vielleicht sogar gutheißt, daß am Karfreitag in Opernhäusern und im Radio mit schöner Regelmäßigkeit der Parsifal gegeben wird, der das raffinierteste und ausgeklügeltste Kunstprodukt der neueren europäischen Kulturgeschichte genannt werden muß und dessen Wirkung von Wagner genau so berechnet wurde, wie sie, aus beschreibbaren Gründen eingetreten ist. Parsifal hat mit dem Karfreitag (…) nicht das Geringste zu tun, sondern er ist konzipiert auf die Vernichtung des Karfreitag oder doch zumindest des zu diesem gehörenden Christentums und biblischen Christus hin. Dessen Reinigung und Erlösung von aller alexandrinisch-judaisch-römisch despotischen Verunstaltung (…) steht gerade hinter der Schlußformel Erlösung dem Erlöser. Darin besteht der Erlösungsanspruch, den Wagner durch den Parsifal anmeldete und der ihm bis heute von einer unvermindert mythossüchtigen und in keiner Weise gegen kalkulierte Verführung gefeiten Öffentlichkeit abgenommen wird.“ Gefunden in Christian Thielemann: Mein Leben mit Wagner

    .


    MUSIKWANDERER

  • Wie dem auch sei, auch ich habe mich jetzt erstmals näher mit Parsifal befasst und habe geplant, 2017 an Karfreitag (14. April) Parsifal an der Berliner Staatsoper im Schillertheater zu erleben. Vorbereitend habe ich mir diese Aufnahme von der Metropolitan Opera New York angeschafft und in den letzten beiden Nächten zu Gemüte geführt:



    Amfortas: Bernd Weikl
    Titurel: Jan Hendrik Rootering
    Gurnemanz: Kurt Moll
    Parsifal: Siegfried Jerusalem
    Klingsor: Franz Mazura
    Kundry: Waltraud Meier
    u. a.
    Metropolitan Opera Chorus
    Metropolitan Opera Orchestra
    Dirigent: James Levine
    Regie: Otto Schenk
    AD: 1993


    Was soll ich sagen? Der Funke ist sofort übergesprungen. Die Musik hat mich voll in ihren Bann geschlagen, was sicherlich hauptsächlich dem großartigen Dirigat James Levines, seinem Orchester und dem vorzüglichen Chor zuzurechnen ist, aber auch Kurt Moll, der mich als Gurnemanz zutiefst beeindruckt hat, sowie der großartigen Waltraud Meiier als Kundry. Auch Siegfried Jerusalem als Parsifal hat mich zu der Frage verleitet, warum er hier im Forum ab und zu so heruntergemacht wird.
    Franz Mazura kannte ich bisher nicht, er gab aber m. E. einen hinlänglich überzeugenden Klingsor. Auch Bernd Weikl als Amfortas konnte mich durchaus für sich gewinnen.
    Nun wird ja noch viel Wasser den Rhein herunterfließen, bis ich mich dem Opernbesuch gewappnet fühle, und so habe ich noch einige DVD's zur weiteren Vertiefung bestellt, u. a. auch die Aufnahme von 2015 aus der Berliner Staatsoper. Da weiß ich dann sofort, was auf mich zukommt. Und schließlich habe ich ja in meinem Bestand noch zwei CD-GA's, eine ebenfalls mit Jimmy Levine aus Bayreuth (Hofmann, Sotin, Meier, Estes) und eine, die wohl so etwas wie Referenz-Status genießt, mit Sir Georg, Fischer-Dieskau, Hotter, Frick, Kollo, Kelemen und Ludwig. Irgendwann in den nächsten Wochen werde ich dann hier auch eine ausführlichen Hör- (und Seh-)bericht einstellen.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P. S.: Meine Mitwirkung an der alljährlichen Karfreitagsliturgie werde ich wohl absagen, ohne Angst zu befürchten, an Karfreitag in Berlin dem Untergang des (chtristlichen) Abendlandes beizuwohnen.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Zufällig bin ich auf diese CD gestoßen: PARSIFAL Für Klavier vierhändig bearbeitet von Engelbert Humperdinck. Es spielen Ana Marija Markovina und Cord Garben. Die Aufnahme entstand 2012 bei Steingruber in Bayreuth. Ich habe Freude daran. Interessant ist, dass Humperdinck mehr das Bühnenweihfestpiel betont denn die Abgründe, die sich durch Kundry auftun. Zwei Klaviere sorgen für Fülle des Klangs. Wenigsten stört diesmal der Gesang nicht. :D Die Raffinesse der Lisztschen Opernparaphrasen erreicht Humperdinck nach meinem Eindruck nicht. Letztlich kommt er etwas naiv rüber. Die einzelnen Nummer sind so überschrieben:


    1 Vorspiel
    2 Amfortas
    3 Das Heilthum
    4 Der Schwan
    5 Einzug in die Gralsburg
    6 Das Liebesmal
    7 Klingsor und Parsifal
    8 Die Blumenmädchen
    9 Herzeleide
    10 Charfreitagszauber
    11 Titurels Todtenfeier
    12 Die Erlösung


    Die Spielzeit beträgt 74 Minuten und 24 Sekunden.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • "Parsifal" war lange Zeit meine Lieblingsoper (sofern man dies bei diesem "Bühnenweihfestspiel" überhaupt so sagen kann). Sehe ich mir die uralten Beiträge in diesem Thread an, habe ich mich wohl 2007 zum ersten Mal intensiv damit auseinandergesetzt. Damals musste es natürlich die Einspielung von Karajan sein, die ich mir, seinerzeit sündteuer, geleistet habe. Es folgten in rascher Abfolge weitere Aufnahmen, darunter Solti, Kubelík, Goodall und natürlich diverse von Knappertsbusch (von dem ich mittlerweile wohl sämtliche habe). Um 2010 herum muss dann die gewaltige, 33 CDs umfassende Box "The Great Operas from the Bayreuth Festival" ins Haus gekommen sein.



    Auf der Amazon-Seite steht zwar etwas von einem Erscheinungsdatum 2013, aber das kann nicht stimmen, wie man auch an älteren Rezensionen erkennen kann. Sie scheint eher im Juni 2008 erstmals erschienen zu sein, wie ich gerade feststelle. Jedenfalls ist in ihr natürlich auch eine "Parsifal"-Aufnahme enthalten, und zwar die einzeln derzeit gar nicht mehr so einfach erhältliche von den Bayreuther Festspielen 1985 unter der Leitung von James Levine:


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    Ich muss zugeben, ich habe sie lange Zeit kaum beachtet (was auch an der Masse der Box gelegen haben kann). Im engeren Sinne handelt es sich um keine "echte" Live-Aufnahme, sondern um einen Zusammenschnitt verschiedener Aufführungen im Juli und August 1985 aus dem Festspielhaus Bayreuth. Dies geht schon daraus hervor, dass die Radioübertragung des Bayerischen Rundfunks vom 26. Juli 1985 mit Matthias Hölle in der Rolle des Titurel war, während in der Philips-Einspielung Matti Salminen diesen Part übernahm. Laut Aufführungsdatenbank der Bayreuther Festspiele sang Salminen lediglich am 4., 7., 16. und 20. August, was natürlich nicht ausschließt, dass auch andere Aufführungen und die Proben herangezogen wurden, schließlich ist der Titurel nun wirklich keine der großen Rollen und kommt kaum vor.


    Die sonstige Besetzung der Hauptrollen lautet wie folgt:


    Amfortas: Simon Estes
    Gurnemanz: Hans Sotin
    Parsifal: Peter Hofmann
    Klingsor: Franz Mazura
    Kundry: Waltraud Meier


    Was uns aus heutiger Sicht fast traumhaft erscheint, mag in den 80er Jahren nicht unbedingt als das Nonplusultra gegolten haben. Mit mittlerweile 33-jährigem zeitlichen Abstand muss man aber wohl konstatieren: das ist schon wirklich gut bis hervorragend. Hauptkritikpunkt könnte Hofmann sein, wobei der hier womöglich seine beste Vorstellung der Titelrolle abliefert und auch die Studioeinspielung unter Karajan hinter sich lässt. Er war ab 1976 der primäre Bayreuther Parsifal in den beiden Inszenierungen von Wolfgang Wagner (bis 1981) und Götz Friedrich (ab 1982); 1989 schied er dort als Siegmund aus. Bei Estes wurden diverse Vokalverfärbungen angeführt - angesichts seiner guten Rollendurchdringung verzeihlich (übrigens sein letztes Jahr in Bayreuth, wo er 1978 als Holländer debütierte). Mazura, der von der Tonträgerindustrie nicht eben begünstigt wurde (er sang in Bayreuth u. a. auch Gurnemanz, Gunther und Alberich), liegen gerade die Schurken wie Klingsor (damit in Bayreuth erstmals 1975, zuletzt 1995). Herausragend dann wohl Sotin (er sang den Gurnemanz in Bayreuth zwischen 1975 und 1999!) und auch die junge Meier, die erst 1983 in Bayreuth debütiert hatte (ebenfalls als Kundry).


    Was die Aufnahme aber wirklich besonders macht, ist das Dirigat. Levine nimmt sich viel mehr Zeit als üblich. 1 h 59 m für den ersten Aufzug, 1 h 15 m für den zweiten und 1 h 24 m für den dritten, insgesamt als sage und schreibe 278 Minuten. Da mir noch einige seiner anderen "Parsifal"-Dirigat vorliegen, kann konstatiert werden: langsamer war auch er sonst nicht. Die vergleichsweise blutleere New Yorker Studioaufnahme von 1992 mit Domingo ist neun Minuten flotter, aber kommt nicht im Mindesten an die Bayreuther Live-Aufnahme heran. Allein fürs Vorspiel zum ersten Aufzug benötigt Levine 16:23 - zum Vergleich: Knappertsbusch braucht 1962 in seinem ebenfalls bei Philips erschienen Live-Zusammenschnitt gerade mal 11:57. Das Pathos liegt Levine. Die Verwandlungsmusik und die gewaltige Chorszene im Gralstempel haben wohl nie majestätischer geklungen. Die Bayreuther Akustik ist beim "Parsifal" schon sehr passend. Ich neige mittlerweile dazu, diese Aufnahme auch denjenigen von Knappertsbusch vorzuziehen. Hans Hotter ist 1962 schon einigermaßen schwer erträglich und hat merklich seine Mühe. Jess Thomas würde ich jetzt auch nicht soweit über Hofmann stellen. Klanglich kann die 62er Stereoaufnahme nicht mithalten; von den diversen Monomitschnitten ganz zu schweigen.


    Ob seit Levines Abgang ein ähnlich großartiger "Parsifal" in Bayreuth erklang? Am ehesten wohl noch Sinopoli (1994-1999) und Haenchen (2016-2017), beide aber völlig konträr zu Levine. Interessant ist übrigens auch Eugen Jochum, der den "Parsifal" von 1971 bis 1973 dort dirigierte und einen radikalen Ansatz wählte mit sehr flotten Tempi, der an Boulez denken lässt. Dort sang auch Mazura einen formidablen Gurnemanz. Ob das jemals offiziell auf CD erscheinen wird, sei mal dahingestellt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich habe mich erstmal für die Liveaufnahme entschieden, und werde dann eine Cd anhören. Fünf Stunden auf einmal wäre zu lange.

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

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  • Zitat von Klassikfan1

    Fünf Stunden auf einmal wäre zu lange.

    Na na, wir wollen es ja nicht übertreiben ;)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Den Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper, den sich Klassikfan1 ausgesucht hat, zeichnet eine Besonderheit aus. Karajan wollte, dass die Kundry als eine gespaltene Person auch von zwei Solistinnen dargestellt wird. In diesem Falle sind es Elisabeth Höngen beim Erscheinen auf dem Gralsgebiet im ersten und dritten Aufzug und Christa Ludwig als die Verfüherin in Klingsors Reich im zweiten Aufzug. Das kann man machen oder auch nicht. Selbst hänge ich der Idee nicht nach. Für mich geht die größere Faszination von einer gebündelten Darstellung durch ein und dieselbe Sängerin aus. Doch nun kommts! Als die Kundry auftritt, ist es nicht die Höngen sondern Martha Mödl. Wenn ich mich richtig erinnere, ist es die Höngen erst, wenn Kundry singt "Ich - helfe nie!" Der Mitschnitt war zuerst bei Arkadia (Foto) herausgekommen und wurde danach von RCA veröffentlicht. In beiden Dokumenten gibt es drei Kundrys. Mir ist es immer ein Rätsel gewesen, warum das so ist. Fehlte ein Stück Band, was vorkommt? (Bei der Bühnenaufführung war es nach meinen Infomationen durchgehend die Höngen.) Es hätte es vermerkt werden müssen, was in beiden Fällen nicht geschah. Arkadia trage ich das nicht so nach wie der mächtigen RCA. Wahrscheinlich hat die auch nur ohne Prüfung übernommen, was es schon gab.


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  • Das ist ja wirklich mal kurios! Das wusste ich gar nicht.

    Rundfunkmitschnitt vom 1. April 1961 - vielleicht ein Aprilscherz? :D


    Das Archiv der Wiener Staatsoper verzeichnet auch nur die Höngen und die Ludwig.


    Ich habe mich um diese Aufnahme nie wirklich bemüht, da sie technisch wohl nicht sonderlich gut klingt. Mein Einstieg in den Parsifal war trotzdem Karajan, allerdings mit seiner berühmten Studio-Einspielung von 1979/80, die ich anfangs liebte, später kaum mehr beachtete und heute wohl wieder mehr wertschätze.

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    – Luís de Camões

  • Mit "Parsifal" in 3D soll die Bayreuther Bühne verschwinden *

    Für 2023 planen die Festspiele in Bayreuth einen "Parsifal" in 3D, berichtet T-online unter Berufung auf dpa. Dazu US-Regisseur Jay Scheib: "Im besten Fall wird man nicht immer sagen können, was echt ist und was nur virtuell." Wagner habe das Orchester verschwinden lassen, sagte er. "Ich denke, unser Job wird sein, das Theater verschwinden zu lassen oder zumindest so nah wie möglich an diese Erfahrung heranzukommen."


    * Das wäre womöglich auch eine Lösung :stumm:

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Eine Frage zum Parsifal. Mit dieser Wagneroper habe ich bisher immer Verständnisprobleme gehabt. Was will uns Wagner damit sagen? Ist das eine Versöhnungsoper mit einer Aussage wie in der Ringparabel? Ist sie religiös - immerhin hat Franz Liszt als rehabilitierter Minorist (und nicht nur er) Vorbehalte gegen dieses Bühnenweihfestspiel gehabt? Oder ist es einfach sein Abschied von der Bühne ohne religiösen Hintergrund?

    Ich habe Parsifal bisher nur einmal gesehen, in Dresden in einer Inszenierung von Theo Adam. Und bin ratlos aus dem Opernhaus herausgekommen. Ich werde selbstverständlich die TV-Übertragung nutzen und versuchen, mein Verständnis zu vertiefen. Wer kann mir mit einer allgemeinverständlichen Erläuterung dabei helfen?

    Ich weiß, es ist ein Armutszeugnis, wenn ausgerechnet ein Strauss´scher Theaterdirektor diese Frage stellt.

    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Was will uns Wagner damit sagen? Ist das eine Versöhnungsoper mit einer Aussage wie in der Ringparabel?

    Ob eine Antwort auf so eine Frage einem bei der Rezeption immer hilft, weiß ich nicht. Aber Wikipedia hilft bei der Antwort


    Intention Wagners

    Wagners Parsifal enthält religiöse Elemente wie weihevolle Musik, Monstranzenthüllung (Gral), Taufe und christliches Abendmahlsritual. Bereits in seinen Züricher Kunstschriften (Das Kunstwerk der Zukunft, Oper und Drama) entwickelte er die Idee, den Kern des Religiösen durch Kunst zu verdeutlichen. In Religion und Kunst schreibt er zusammenfassend:

    Wagner erklärte, dass er zur Transformierung seiner gleichnishaften Botschaft, Erlösung und Regeneration der Menschheit durch Mitleid – dargestellt durch den suchenden Parsifal und den leidenden Amfortas –, eine Kunstform gewählt habe, die mit religiöser Symbolik eine „entrückende Wirkung auf das Gemüt“ ausüben solle.



    Die Thematik würde mir den Genuss des Werkes ziemlich erschweren .... aber es gilt chacun à son ....

  • Eine Frage zum Parsifal. Mit dieser Wagneroper habe ich bisher immer Verständnisprobleme gehabt. Was will uns Wagner damit sagen?


    Das ist eine ziemlich komplexe Frage, die man m. E. nicht leicht beantworten kann. Ich finde solche Fragen generell schwierig. Was will uns z. B. Mozart denn mit dem "Don Giovanni" sagen? Musiktheaterwerke von Rang zeichnen sich ja häufig gerade dadurch aus, dass sie hinter der offensichtlichen Handlung noch Bedeutungsebenen haben - bei Wagner gilt dies wohl ganz besonders, und zwar beileibe nicht nur im "Parsifal".


    Ist sie religiös - immerhin hat Franz Liszt als rehabilitierter Minorist (und nicht nur er) Vorbehalte gegen dieses Bühnenweihfestspiel gehabt? Oder ist es einfach sein Abschied von der Bühne ohne religiösen Hintergrund?


    Den religiösen Hintergrund kann man m. E. recht gesichert feststellen. Würde man hypothetisch annehmen, dass Wagner das Stück ohne religiösen Hintergrund konzipiert hätte, so müsste man gleichzeitig annehmen, dass er ein ziemlicher Stümper war, weil die religiöse Thematik in dem Stück einen solchen Raum einnimmt, dass sie als bloße Folie für andere Inhalte ungeeignet ist.


    Umgekehrt würde man dem Stück sicherlich Unrecht tun, wenn man es einfach nur als Wagners Eigenversion einer katholischen Messe deuten würde.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

  • Eine Frage zum Parsifal. Mit dieser Wagneroper habe ich bisher immer Verständnisprobleme gehabt. Was will uns Wagner damit sagen? Ist das eine Versöhnungsoper mit einer Aussage wie in der Ringparabel? Ist sie religiös - immerhin hat Franz Liszt als rehabilitierter Minorist (und nicht nur er) Vorbehalte gegen dieses Bühnenweihfestspiel gehabt? Oder ist es einfach sein Abschied von der Bühne ohne religiösen Hintergrund?

    Deine Frage, lieber La Roche, scheint aus einer großen Ratlosigkeit zu kommen, das Verständnis von Wagners "Parsifal" betreffend. Also ist sie für mich ernst zu nehmen, und in diesem Sinn möchte ich versuchen, Dir eine Antwort darauf zu geben.


    Der Schlusstext des Bühnenweihfestspiels lautet: "Erlösung dem Erlöser". "Erlösung" ist die zentrale Leitidee in Wagners Gesamtwerk. Hier im Parsifal ist es nicht, wie sonst, eine sich im Tod opfernde Frau, die einen Mann erlöst (wie etwa im "Holländer"), sondern ein Mann, der die ganze menschliche Gemeinschaft und Christus selbst, wie er im Gral indirekt gegenwärtig ist, die Erlösung bringt. In einem Gespräch mit Cosima ging Wagner auf den Parsifal-Schluss wie folgt ein:

    "Nein, nein, ich habe mir heute gesagt, es ist doch sehr merkwürdig, daß ich mir dieses Werk für die höchste Reife habe erspart; ich weiß, was ich weiß und was darin ist ...". Cosima fährt fort: "er deutet mehr an dann, als er ausspricht, den Gehalt dieses Werkes, "Erlösung dem Erlöser" - und wir schweigen, nachdem er gesagt: "Gut, daß wir allein sind."


    Die Welt ist für Wagner erlösungsbedürftig. Das Christentum konnte diese Erlösung nicht bringen, es hat darin versagt. Statt seiner bedarf es eines "Neudeutschen Christentums", und in seiner Entwicklung und seinem Aufbau kommt der Kunst die entscheidende Initialzündung dafür zu. Wagner ist dieser Idee in seiner Schrift "Kunst und Religion" in ausführlicher Weise nachgegangen. Dahinter steht sein stark von Schopenhauer geprägtes Weltbild. Die Welt ist, weil vom Willen getrieben, bis zum Grund ihres Wesens schuldbeladen und deshalb erlösungsbedürftig. "Wer kann", so Wagner, "ein Leben lang mit offenen Sinnen und freiem Herzen in diese Welt des durch Lug, Trug und Heuchelei organisierten und legalisierten Mordens und Raubes blicken, ohne zu Zeiten mit schaudervollem Ekel sich von ihr anwenden zu müssen."


    Parsifal ist, weil Erlösung nur durch eine Negation des Willens zum Leben, einer Lösung von allen sinnlichen Handlungsmotiven und einer bedingungslosen Hingabe an das Mitleid als Motiv des Handelns kommen kann, eine typische Schopenhauer-Figur. Wagner sah seine Lebensaufgabe als Künstler und Komponist darin, den Geist und den religiösen Kerngehalt des Christentum auf die Kunst zu übertragen, - seine musikalische Kunst natürlich in erster Linie. Hierzu meinte er:


    "Man wird sagen, daß da, wo die Religion künstlich wird, der Kunst es vorbehalten sei, den Kern der Religion zu retten, indem sie die mythischen Symbole, welche die erstere im eigentlichen Sinne als wahr geglaubt wissen will, ihrem sinnbildlichen Werte nach erfaßt, um durch ideale Darstellung derselben die in ihren verborgene tiefe Wahrheit erkennen zu lassen."

    "Parsifal" ist also von der ihm zugrundeliegenden kompositorischen Intention, seiner Anlage als Bühnenweihfestspiel und seiner musikalischen Aussage her als ein Ins-Werk-Setzen dieser Notwendigkeit zu verstehen, Religion in Kunst umzusetzen.

    Was damit einhergeht, fasst Wagner in die Worte:

    "So dürfte uns, die wir die, durch Erkenntnis des Verfalles des menschlichen Geschlechtes errungene Siegesgewißheit des Willens über sich selbst mit unsrem täglichen Speisemahle feiern, das Untertauchen in das Element jener symphonischen Offenbarungen als ein weihevoll reinigender Akt selbst gelten."


    Höher kann man die gesellschaftliche Relevanz des Kunstwerks, von der sich Wagner in der Hochzeit seines kompositorischen Schaffens immer leiten ließ und die er konsequent verfolgte, wahrlich nicht treiben.

  • Umgekehrt würde man dem Stück sicherlich Unrecht tun, wenn man es einfach nur als Wagners Eigenversion einer katholischen Messe deuten würde.

    Als nicht einmal getaufter Atheist vermag ich mich schwer in religiöse Themen einzufühlen, das ist eine fremde Welt für mich. Ich gebe aber zu, mich an Teilen der musikalischen Welt des Parsifal berauschen zu können, ohne den Inhalt zu verstehen. Ich bezweifle bereits jetzt, daß mir die inhaltliche Deutung der bevorstehenden Bayreuther Inszenierung hilft, meine Verständnisprobleme klären zu können. Was solls, der Karfreitagszauber wird mich wie immer berauschen. Man braucht Musik nicht deuten zu müssen, um Gefallen daran zu finden. Sicher bin ich nicht der einzige Musikliebhaber, der so fühlt und denkt. Aber sicher gibt es Musikliebhaber, die sich von der evtl. Neudeutung bestimmte Sichtweisen erwarten. Ich habe selbst die Inszenierung von Theo Adam nicht verstanden.

    Damit ihr wißt, was für ein Banause ich bin: Selbst zum Parsifal greife ich nicht zum Wein, sondern trinke kühlschrankkaltes Edelpils aus Köstritz. Norm: Pro Akt eine Flasche. Mitunter finde ich es schade, daß Opern meist nur 3 oder 4 Akte haben.


    Na dann Prost und viele Grüße von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Auf die Frage, ob er Rotwein oder Weißweinbevorzuge, erklärte Brahms augenzwinkernd: „Weißwein, und nachher Rotwein, damit der's nicht übelnimmt.“


    Der eigentliche Witz ist ja die Begründung für die Wahl. Da dies keine wissenschaftliche Arbeit ist, gibt es auch von mir keine Quellenangabe dazu.

    Die Quelle dürfte das Buch "Johannes Brahms privat - Tafelfreuden und Geselligkeit" der beiden Lübecker Brahms-Forscher Renate und Kurt Hofmann aus dem Jahre 2002 sein, 2019 in einer erweiterten Neuauflage im Florian Noetzel-Verlag erschienen.


    Ich finde solche Fragen generell schwierig. Was will uns z. B. Mozart denn mit dem "Don Giovanni" sagen? Musiktheaterwerke von Rang zeichnen sich ja häufig gerade dadurch aus, dass sie hinter der offensichtlichen Handlung noch Bedeutungsebenen haben - bei Wagner gilt dies wohl ganz besonders, und zwar beileibe nicht nur im "Parsifal".

    Mal angenommen, man könnte die Frage "Was will uns der Künstler mit seinem Kunstwerk sagen?" erschöpfend beantworten, dann würde sich (mir zumindest) gleich die nächste Frage anschließen: Warum hat er das dann nicht einfach gesagt sondern statt dessen den ganzen Aufwand mit dem Kunstwerk getrieben?

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

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