Teodor Currentzis, Exzentriker aus Griechenland

  • Die Partitur eines Komponisten ist kein Trittbrett zur eitlen Selbstdarstellung, jedenfalls innerhalb der Welt der echten Kunst.


    Dieser Erkenntnis will sich der Herr Currentzis offensichtlich nicht fügen. Er sollte besser versuchen, mit echtem Können zu überzeugen, statt sich im Mätzchenmachen zu ergehen.


    Gerade das, lieber Glockenton, wird heute (und früher) ja laufend gemacht und wir bekommen das ja auch nur ansatzweise mit. Bei den Konzerten und ihrer anschliessenden Presse wird`s einem schon klarer. Die Frage scheint auch nicht, wo die Grenzen liegen, denn die fliessen. Wie hier, geht`s um den Einzelfall, jedenfalls eine Zeitlang. Bis eben der Ruf vollends "versaut" ist Wir sehen aber auch, dass die Kritiker den Event und derer sind allmählich einige, zur Profilierung nutzen und so das Schwert der Kritik abstumpfen lassen. Und die Konkurrenz unter den Künstlern ist immer grösser und es geht um immer mehr Geld.


    Solche Leute wie Currentzis testen aus, was sie sich leisten können - es ist ein hohes, aber auch begrenztes Risiko - auch für sie selbst, was allerdings durch Mehrjahresverträge mit zuverlässigen, z.B. staatlichen Arbeitgebern "formal- rechnerisch" gemildert werden kann. Currentzis würde in der Unterhaltungsindustrie deutlich mehr Geld verdienen können, allerdings unter einer gewissen Risikozunahme.
    Das alles hat zunächst einmal mit Können noch nichts zu tun.....


    MlGD.

  • Zitat

    Bertarido: Wie er sich dabei kleidet ist mir ebenso egal wie das fehlende Schuhwerk bei einer Violinistin,


    Da es vermutlich keine zwei Geigerinnen gibt, die barfuß auftreten, nehme ich an, lieber Bertarido, dass wir beide die Geliche meinen, patricia Kopatchinskaja, die ich auch schon in einem Konzert live erlebt habe.
    Sie war aber ansonsten sehr elegant gekleidet, hat sich beim Spiel sehr anmutig und rhythmischsehr sicher bewegt und sich vor allem im Gegensatz zu einer von mir auch sehr verehrten Pianistin, der Chinesin Yuja Wang ungleich gesünder fortbewegt. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Mir ist das alles viel zu negativ, weil ich volle Opernhäuser erlebe, ausverkaufte Abokonzerte, mehr und mehr Klassik "Open air", eine lebhafte Stadtteilszene mit qualitativ guten Jazz (Antolini), Stadteiloper mit jungen Sängern im ersten Engagenment, Akademisten oder Hochschulabsolventen.


    Nichts ist negativ.


    VG
    Justin

    Ich verliere nie! Entweder ich gewinne oder ich lerne. (Unbekannt)

  • Anderen gingen schon mit drei Kindern zum Altar. Während der Priester noch redete, fragte das eine Kind laut " Mama, wann ist denn der endlich fertig - können wir gehen?", während andere aus der Brautgemeinde mit ihrem Mobiltelefon beschäftigt waren....



    Die Segnung der Kinder (Markus):
    "13 Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an.
    14 Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasst die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht; denn solchen gehört das Reich Gottes.
    15 Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.
    16 Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie."


    Die Text-Fettung stammt von mir, der übrigens keiner Kirche und keiner Glaubensgemeinschaft angehört.


    Ich finde, dass die Kinderfrage Respekt verdient, schon, weil sie offen und ehrlich gestellt gewesen ist. Was hätte wohl Jesus dazu gesagt? Nicht der verbieterische und humorlose Betschwestern-Jesus, sondern der Jesus des Jahres 2018. Er hätte wohl genau so gesprochen wie nach dem Bibel-Text, den ich sehr modern und prophetisch finde. :) Warum sich also über die Kinder aufregen? Fragen wir lieber danach, warum sie in diesem geschilderten Gottesdienst offenbar nicht erreicht wurden. Und das gilt ja, wie zu lesen ist, nicht nur für Kinder.


    Doch zum Thema zurück: Hat Currentzis eigentlich Kinder? :D

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Im Feuilleton der SZ von heute findet man eine Kritik von Reinhard j. Brembeck zum Konzert mi der 4. und 6. Sinfonie mit der Überschrift: "Auf dem Sprung. Teodor Currentzis feiert Salzburg mit Beethovens 4. und 6. Sinfonie unwiderstehlich das Leben"


    Die Kritik endet mit dem letzten Satz ….." Verständlich, dass dem Publikum nichts anderes übrig beleibt, als zu jubeln."


    VG
    Justin

    Ich verliere nie! Entweder ich gewinne oder ich lerne. (Unbekannt)

  • Wenn in Salzburg am Sonntag 26.8. das Gastorchester mit dem "phiharmonischen Wohlfühlklang" B-Phil Beethovens op92 mit dem zukünftgen Chef Kiril Petrenko "in gewöhnter Manier, mit ultrapräzisen Einsätzenn, best ausgebildeten Bläsern, in den richitgen Tempis und für konservative Hörer in minimaler Unterschied zu gewohnten Interretationen und in doch sensationeller, nie gehörter Weise " den ultimativen Kontrapunkt zu T.C. setzt, ist alles wieder in bester Ordnung und dieser Thread kann geschlossen werden.

    Wer nicht bis übermorgen warten will, kann sich das Eröffnungskonzert der Berliner Philharmoniker unter ihrem designierten Chefdirigenten auch heute schon im Radio anhören: https://www.ndr.de/ndrkultur/e…oniker,sendung794936.html

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Sagitt meint:


    Nach 14 Jahren der Zugehörigkeit zu diesem Forum werde ich nach wie vor als "Besucher"gekennzeichnet. Was mich stören sollte, finde ich im Gegenteil sehr angemessen: es signalisiert meine Distanz zu diesem Forum. Ich bin ein weißer, alter Mann, war 30 Jahre Jura – Professor und schäme mich zugleich, dieser Alterskohorte zugeleitet zu werden. Dieses reaktionäre Gedankengut ist nicht meines.



    Provokateure habe ich in der Musik immer geliebt. Welchen Aufstand gab es seinerzeit gegen Glen Gould. Er hat auf den Plattencovers die Kritik der deutschen Besserwisser herrlich parodiert und dennoch, seinen(unmöglichen) Beethoven spannender als die Masse der konventionellen Interpretationen. So unverschämt, wie er die Sonaten op.10 spielte, so "falsch", wie er nach allgemeiner Meinung die Appassionata ruinierte, sagte mir diese Interpretationen durchaus zu. Ich konnte darin viel von Beethovens Wildheit erkennen. Harnoncourt war in seinen ersten Jahrzehnten überwiegend auch sehr umstritten. Seine unkonventionelle Aufführung der Wassermusik oder der vier Jahreszeiten höre ich nach Jahrzehnten immer noch gerne. Es ist nicht die Schnelligkeit der Interpretation, die mich überzeugt (Gardiner und Göbel haben öfters gehetzte Wiedergaben dokumentiert), sondern die Leidenschaft, zu der auch ein sehr schnelles Tempo gehören kann. Deswegen ist die Aufnahme von Zehetmair aus .dem Jahre 1986 für mich immer noch die Referenz der Kreutzer – Sonate.


    Und daher ist es nahe liegend, dass ein Dirigent wie Currentzis mein Interesse erweckt. Das fing schon mit seiner ersten Veröffentlichung an: Dido and Aneas. Wie geschrieben: es ging vor allem um die tiefe Leidenschaft. So unglaublich berühren wie Simone Kermes mit dem Lamento habe ich es nie wieder gehört, aber auch die furiosen Auftritte der Hexen haben mich sehr beeindruckt.


    Seit dieser Zeit schätze ich die meisten von ihm außerordentlich. Die da Ponte-Opern sind für mich maßgeblich. Als ich den ersten Beethoven von Currentzis hörte (Luzern 2017), von erschlagen. Selbst der von mir so sehr verehrte Scherchen (auch ein "Exzentriker“) wurde in den Schatten gestellt. Bei Beethoven gehört auch Furtwängler zu den Exzentrikern. Die Aufnahmen, die er im Krieg gemacht hat, von der fünften, der siebten und vor allem der neunten sind teilweise extrem exzentrisch und für mich von einer kaum aus haltbaren Spannung beseelt.


    Das Konzert aus blonden habe ich gehört, die zweite fand ich höchst erfreulich, die Fünfte weniger beeindruckend. Es ist annehmbar, dass der Zyklus von Sony veröffentlicht werden wird. Ich bin darauf gespannt.


    Wegen einiger hervorragender Schreiber wie Willy oder Herr Hofmann bin ich nach wie vor gerne bei tamino, aber als Besucher, mehr Identifikation wäre mir unangemessen.

  • Reaktionäres Gedankengut ist meines auch nicht. Was bei mir zählt ist Ehrlichkeit. Nigel Kennedy ist ein sehr ehrlicher Musiker, Glenn Gould sowieso. Seinem unkonventionellen Ansatz verdankt man tiefe Einblicke in die Musik, gerade auch dann, wenn man sagen muss: so kann man das eigentlich nicht spielen. Bei HIP dagegen habe ich den Eindruck - und dafür steht vielleicht der Currentzis-Beethoven -, dass es nur noch darum geht, sich gegenseitig an Extremismus zu überbieten, weil die Sache irgendwie ausgereizt ist und man eigentlich nichts mehr Substanzielles zu sagen hat. Da muss ich sagen, höre ich von den Russen immer noch lieber Mrawinsky, dessen Beethoven ich nach wie vor musikalisch aufregend finde. Mrawinsky ist die musikalische Ernsthaftigkeit und Unbestechlichkeit in Person. Und er steht nun wahrlich nicht im Verdacht, Beethoven zu verbürgerlichen und zu verharmlosen. Ich habe mir auch Harnoncourts letzten Beethoven gekauft. Das ist natürlich hoch respektabel, aber ich mag diese Barockisierung von musikalischer Klassik letztlich nicht und finde sie anachronistisch. Ich höre mir das einmal an und denke: interessant. Aber nochmals hören brauche ich das dann nicht. Da geht es mir mit Mrawinsky anders. Den höre ich immer wieder und das mit Gewinn. Falls der Currentzis-Beethoven tatsächlich auf CD erscheint, werde ich sie mir kaufen. Bevor ich diesen Interpretationsansatz verdamme, will ich ihn erst einmal kennenlernen. Skeptisch bin ich aber. Die ganz großen Beethoven-Interpreten sind jedenfalls erfahrungsgemäß die, welche es nicht nötig haben, sich interessant zu machen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Schön, dass wir wieder beim Thema zurück sind. Wenngleich es da ja eigentlich nur um die Rezension eines Auftritts geht, den wohl keiner von uns gehört und gesehen hat. Ggf. müssen wir den Threadtitel ändern, denn zu Currentzis scheint es Diskussionsbedarf zu geben.Die Videoausschnitte habe ich bereits kommentier, mir gefällt der Ansatz überhaupt nicht. Das gilt aber auch für alles, was ich von Norrington gehört habe. Indes hat Sagitt ein paar gute und richtige Dinge angesprochen, die das Thema sinnvoll differenzieren.


    Zunächst die Bilderstürmer: es gab imer die Aufreger, die enfant's terribles. Gould war sicher so einer, Samson Francois unstreitig, ebenso Ivo Pogorelich und natürlich auch Nigel Kennedy. Schaut man genau hin, so entzündete sich die Kritik an Kennedy an Kleidung und Auftreten. Musikalisch fand ich ihn immer exzellent. Auch gehörte er zu der Sorte Musiker, die aufgrund ihrers Auftretens eine andere Interessentengruppe angesprochen hat und für klassische Musik interessiert. Sein crossover mit Jazz war gewiss nicht neu. Samson Francois etwa, Keith Jarret, Friedrich Gulda oder Benny Goodman, die taten das auch. Oder Andre Previn.
    Glenn Gould verdient seinen Ruf bis auf den heutigen Tag zurecht. Wenngleich, ja gerade bei diesem Pianisten Platten entstanden sind, mit denen ich nicht einverstanden bin. Das Wohltemperierte Klavier etwa. Hingegen die Brahms-Intermezzi, Beethovens op.32, Bachs Goldberg-Variationen, das sind alles Platten für die Ewigkeit. Wen schert's da, dass der Pianiost gerne auf einem abgesägten Klavierhocker saß?
    Dieses sowohl als auch scheint mir auch für Currentzis zu gelten: seinen Don Giovanni finde ich herausragend. Seinen Beethoven, klingt er auch weiterhin so wie ind den Hörschnipsel wäre für mich überhaupt keine Kaufoption.



    Worüber also aufregen? Ich meine, am ehesten über den musikalischen Ansatz (was das oben genannte Beispiel betrifft). Zum Auftreten habe ich meine persönliche Meinung, die allerdings für das Gesamturteil nicht schlachtentscheidend ist.
    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Thomas Pape: Hingegen die Brahms-Intermezzi, Beethovens op.32, Bachs Goldberg-Variationen, das sind alles Platten für die Ewigkeit.


    Meinst du wirklich Beethovens op. 32, lieber Thomas, das Lied "An die Hoffnung"? Ich wusste wohl, dass Glenn Golud beim Spielen leise brummt, aber dass er sich beim Singen selbst begleitet, das wusste ich nicht. :D
    Ich habe hier ein schönes Beispiel von op. 32:


    Peter Schreier singt es, begleitet von Walter Olbertz, auch zu haben in dieser Box:


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Nee, die drei Sonaten op. 31, Will, Du bist aber auch kleinlich. Aber op. 109 ist bei Gould auch unglaublich.
    Liebe Grüße vom Thomas
    (von meinem iPhone, daher ohne den üblichen Winkeemojo)

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Thomas,


    hast du meinen grinsenden Smiley nicht gesehen? :D


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S. Aber immerhin hat Beethoven doch ein wunderschönes op. 32 komponiert.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Luzern hat eines der größten Podien, die ich kenne, und das ist bei jeder Mahlersinfonie proppevoll und dennoch transparent wie ein Kammerorchester, nicht so ein dumpfes Gewummere wie bei der von mir eingestellten Aufnahme der Fünften Beethoven mit Currentzis und seinem Orchester.

    Allerdings sollte man dabei auch berücksichtigen, dass die Qualität des oben eingestellten Videos sowohl in Bild als eben auch in Ton eher mäßig ist. - Überhaupt habe ich den Eindruck, dass wir hier sehr viele Dinge in den etwas über vierminütigen Clip hineindeuten, die er so einfach nicht hergibt. Ich meine, Currentzis ist mit der 5ten zügig unterwegs, dass sind andere auch bei Beethoven inzwischen auch (zuletzt der nicht unbedingt als typischer HIP-Dirigent bekannte Kyrill Petrenko bei der Saisoneröffnung der Berliner Philharmoniker mit Beethovens op.92; siehe hier). Es gibt eine Tanz-Performance von Sasha Waltz, auch John Neumeier hat in seiner neuesten Choreographie an der Hamburger Staatsoper Beethoven "vertanzen" lassen. Dass es sich bei seinem Ensemble, dem MusicAeterna um eine Gurkentruppe handelt, kann ich den einschlägigen Aufnahmen (Dido and Aeneas, Mozart/da Ponte-Zyklus, Schostakowitsch 14te etc.) nicht unbedingt anhören. Und immerhin setzt sich auch eine Weltklasse-Geigerin, wie Patricia Kopatchinskaja in dieses Orchester, wenn es Mahler spielt:



    Und schließlich der "globalgalaktische" Bogen von Currentzis und seinem Beethoven-Bild über Trump zum allgemeinen Zustand unserer Welt ist zwar durchaus intelligent und nachdenkenswert, aber ist er auch richtig?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo,


    wenn ein Dirigent aus früheren Tagen etwas Neues ausprobieren wollte, hat er sich - wie Otto Klemperer - modernen Kompositionen zugewandt oder selbst Musikstücke - wie Bernstein - komponiert.


    Hier kann sich jeder mit Ruhm bekleckern, würde mich freuen, in der Gegenwart davon Kenntnis nehmen zu dürfen.


    Wenn ein Dirigent oder Künstler jedoch nichts Besseres weiß bzw. kann, als sich am schöpferischen Gedankengut eines Komponisten zu vergreifen, kann ich darin keine rühmliche Leistung erkennen, eher das Gegenteil.


    Für mich ist und bleibt es eine charakterliche Haltung, wie man mit den bekannten Werken der Klassik umgeht.


    Es grüßt


    Karl

  • Wenn ein Dirigent oder Künstler jedoch nichts Besseres weiß bzw. kann, als sich am schöpferischen Gedankengut eines Komponisten zu vergreifen, kann ich darin keine rühmliche Leistung erkennen, eher das Gegenteil. Für mich ist und bleibt es eine charakterliche Haltung, wie man mit den bekannten Werken der Klassik umgeht.

    Genau! - Weil wir auch so wahnsinning genau darüber Bescheid wissen, dass die Sicht eines Klemperers, eines Furtwänglers, eines Karajans viel dichter an Wollen und Willen eines Mozart, eines Beethoven oder Bruckner sind, als die Sichten von Harnoncourt, Gardiner oder eben Currentzis. Merkwürdig genug, dass sich auch Klemperer, Furtwängler, Karajan etc. manchmal so sehr in ihren Interpretationen unterscheiden ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Hallo Michael,


    wo wird der immanente Interpretatonsspielraum einer Komposition überschritten?


    Für mich dort, wo der Eindruck vorherrscht, daß es in Selbstdarstellung oder gewollter Verfremdung endet.


    Die Entscheidung darüber trifft man - ohne Anspruch auf Allgemeingültigkeit - für sich.


    Nette Grüße


    Karl

  • Gerade die Klassik fordert den Sinn für die Form, also Distanznahme von den Affekten als Vehikel emotionaler Bedürfnisbefriedigung. Die Überbetonung des Affektiven zeugt von einem Individualismus, wie er prägend ist für den heutigen Populismus: Aufhebung ästhetischer Distanz ist das Ziel in der Erreichung größtmöglicher Nähe. Und die ereignet sich in einem durch und durch affektiven Vortragsstil. Wenn man nun so weit geht, das Bemühen um Klassizität und um einen harmonischen Ausgleich als Establishment zu betrachten und die Affektiertheit um jeden Preis als Revoluzzergebärde, dann wären wir beim Beethoven-Populismus von heute. Bei all dem darf man aber auch nicht ganz vergessen finde ich, dass Currentzis Russe ist. Vielleicht gibt es da einen Nachholbedarf in Sachen HIP, der manche Übertreibung erklärt und auf uns einfach anders wirkt, weil unsere westliche Kultur weiter ist. Und dass Russen zum Überschwang, zur Überemphase neigen, kann man schon bei Gogol lesen. Nur warum solche HIP-Exzesse von uns gesucht oder vehement abgelehnt werden, hat dann letztlich mehr mit uns als mit Currentzis zu tun.

    ich dachte bisher, dass Currentzis Grieche ist ?(


    Ob die HIP in Beziehung mit Betonung von Affekten zu setzen wäre, bin ich mir nicht sicher. HIP könnte auch als Gegenströmung zu einer "affektbetonten" und "romantischen" Lesart Beethovens angesehen werden, welche also im Unterschied dazu versucht Deutlichkeit, Sprödheiten auch gleichsam plebejische Züge in Beethoven Werken erfahrbarer zu machen, was von erforderlicher ästhetischer Distanz nicht allzuweit entfernt wäre ... also könnte gegebenenfals sogar in Richtung als Sachlichkeit tendieren..

  • ich dachte bisher, dass Currentzis Grieche ist ?(


    Ob die HIP in Beziehung mit Betonung von Affekten zu setzen wäre, bin ich mir nicht sicher. HIP könnte auch als Gegenströmung zu einer "affektbetonten" und "romantischen" Lesart Beethovens angesehen werden, welche also im Unterschied dazu versucht Deutlichkeit, Sprödheiten auch gleichsam plebejische Züge in Beethoven Werken erfahrbarer zu machen, was von erforderlicher ästhetischer Distanz nicht allzuweit entfernt wäre ... also könnte gegebenenfals sogar in Richtung als Sachlichkeit tendieren..

    Currentzsis wird bei Wikipedia als "griechisch-russischer" Dirigent bezeichnet. Geboren ist er in Athen, aber seine musikalische Prägung und Wirkung lag in Russland. :D


    HIP war ja ursprünglich eine Bewegung zur Interpretation von Barockmusik. Der Barock betont die Affekte, das kommt aus der Rhetorik. Die rhetorikkritische Romantik dagegen verabscheut den Affekt. Ich sehe die Wiederentdeckung der Rhetorik ja auch positiv und verstehe was Du meinst. Das Problem ist die Übertreibung. Dann verschwindet nämlich der positive Aspekt der Sinnverdeutlichung, den musikalische Rhetorik hat. Wenn alles betont wird ist nichts mehr betont. Dann schlägt Pointierung in Uniformität um und die pure Affektiertheit bleibt übrig. Das hat die Rezension ja auch gezeigt. Es kommt immer auf das rechte Maß an, das ein Harnoncourt in der Regel eben hatte. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das griechische Wikipedia bezeichnet Currentzis als "griechischen Dirigenten", das russische bezeichnet ihn als "griechischen und russischen Dirigenten". Vermutlich besitzt er beide Staatsbürgerschaften.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • also das Tempo stimmt beim Currentzis schon, der entsprechende Drive (wenn er denn realisiert würde) gehört dazu, (Järvi ist doch etwas latschig) - aber im Übrigen sicher total daneben ...

  • Falls jemand doch noch Lust hat und der Hinweis nicht schon kam: Das oben von Joseph II erwähnte BBC-Proms Konzert gibt es hier zum Nachhören. (zuletzt aufgerufen am 26.08.2018)

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • wo wird der immanente Interpretatonsspielraum einer Komposition überschritten? Für mich dort, wo der Eindruck vorherrscht, daß es in Selbstdarstellung oder gewollter Verfremdung endet.

    Das ist schon richtig: Man kann Beethoven natürlich weder beliebig schnell, noch beliebig langsam spielen und die Übergänge an den Grenzen sind fließend. Auch dem späten Sergio "Schaut her, wie ich den Laden trotz des Tempos noch zusammenhalten kann!" Celibidache könnte man insofern ebenfalls einen gewissen Hang zur Selbstdarstellung und gewollter Verfremdung unterstellen. Was Currentzis angeht, kann ich wie gesagt dem obigen Clip mediokrer Qualität einfach zu wenig entnehmen, weiß aber natürlich auch, dass der Mann sagen wir mal "eigen" ist. Trotzdem, was er zu Beethovens op.36 zu sagen hat (siehe obigen Link), wirkt auf mich nicht so sehr nach Selbstdarstellung oder Verfremdung.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Celibidache könnte man insofern ebenfalls einen gewissen Hang zur Selbstdarstellung und gewollter Verfremdung unterstellen

    .
    Das könnte man nich nur, das hat man auch durchaus getan. Teilweise - wie das unter kulivierten Klassikliebhabern üblich ist - auch unter die Gürtellinie, man ist oft sehr persönlich geworden. Andrerseits hat "der Maestro" auch eine gewisse Schar an bedingungslos bewundernden Jüngern um sich scharen können.
    Im Austeilen war er auch nicht heikel. Karl Böhm nannte er "Kartoffelsack", Toscanini "Notenfabrikl", Abbado "unbegabt"


    Aber die Ursachen hierfür sind bekannt und sollten - so das nicht ohnedies schon geschehen ist - im CELI Thread behandelt werden...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Im Austeilen war er auch nicht heikel. Karl Böhm nannte er "Kartoffelsack", Toscanini "Notenfabrikl", Abbado "unbegabt"


    …. und damit noch längst nicht genug: Dem SPIEGEL 28/1979 sind weitere Entgleisungen Celis zu entnehmen; so nannte er dort Karl Böhm "ein Nichts", Karajan verglich er mit Coca-Cola, Knappertsbusch sei "ein ganz schlechter Musiker" gewesen, und Sawallisch nannte er in fröhlicher Überheblichkeit einen "Langstreckenspezialisten in Mezzoforte". Nicht zuletzt bekam auch der damals noch junge Chailly seinen Teil ab: "Tritt er einmal vor ein Orchester, so ist das schädlich, beim zweiten Mal entsetzlich" und schließlich beendete er seinen Rundumschlag mit einer Schelte auf den renommierten Münchner Kritiker Joachim Kaiser, der kurz zuvor unter dem Titel "Glanz und Grenzen" ein paar kritische Worte in Richtung Celi gewagt hatte: " …. der kennt doch seine Grenzen selber nicht, er ist ein ganz schlechter Klavierspieler und ein Dilettant, ein Karajan-Anbeter, der im eigenen Loch begraben ist."


    Diese "beleidigte Leberwurst" hat es wohl nie so recht verkraftet, daß er nicht Chefdirigent der Berliner Philharmoniker geworden ist. Immerhin hatte er, nach Furtwänglers von den Alliierten verordneter Zwangspause 1945 und dem Tod von Leo Borchard, der versehentlich von einem US-Soldaten erschossen wurde, die Philharmoniker provisorisch übernommen und, durchaus erfolgreich, durch die schwierigen ersten Nachkriegsjahre geführt. Nachdem aber Furtwängler überraschend, nach seiner "Entnazifizierung", die Philharmoniker wieder übernahm, schwanden seine Chancen dahin, und Karajan konnte und wollte er nicht verzeihen, daß dieser schließlich 1955 Furtwänglers Nachfolger in Berlin wurde. Sicher gab es noch weitere Ursachen für Celibidaches Zorn auf das musikalische Establishment, doch das sollte, wie es Alfred vorgeschlagen hat, im Celi-Thread behandelt werden.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • und dem Tod von Leo Borchert, der versehentlich von einem US-Soldaten erschossen wurde


    "Versehentlich", lieber nemorino, ist aber vornehm ausgedrückt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • "Versehentlich", lieber nemorino, ist aber vornehm ausgedrückt.

    Lieber Rüdiger,


    ich hatte "versehentlich" geschrieben, weil ich die Geschichte nicht weiter ausbauen wollte. "Versehentlich" trifft natürlich nur sehr bedingt zu. Borchard (ich hatte eben den Namen irrtümlich falsch geschrieben) kam mit dem Auto am 23.8.1945 von einer Veranstaltung und hat ein Haltezeichen des US-Militärs bei der Einfahrt in den amerikanischen Sektor von Berlin missachtet (das war ganz sicher "versehentlich", denn es war bekannt, daß die Sieger zu dieser Zeit nicht lange fackelten). Daraufhin eröffneten die Soldaten ohne Vorwarnung das Feuer.
    Der Vorfall war natürlich der Nervosität der Siegermächte in den ersten Nachkriegsmonaten zuzuschreiben, die überall Sabotage, Verrat und deutsche Widerstandskämpfer (Werwölfe) vermuteten. Auf ähnliche Art kam auch der Komponist Anton Webern in Mittersill ums Leben.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • zurück zum eigentlichenThema:
    mich würde interessieren wie die einschlägige Kritik das Konzert mit Beethovens Sym 7 der B-PHil mit Petrenko am 26.8. in Salzburg beurteilt.
    Hat jmd schon Informationen?


    VG
    Justin

    Ich verliere nie! Entweder ich gewinne oder ich lerne. (Unbekannt)

  • zurück zum eigentlichenThema


    Wenn wir schon genau sein wollen:
    Das eigentliche Thema dieses Thread lautet "Currentzis scheitert in Salzburg an Beethoven - Rezension in der FAZ"
    Was hat das mit Petrenko zu tun? :D


    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich nehme an, lieber Nemorino,


    dass Justin mit einerm möglichen Scheitern Petrenkos den Faden des Scheiterns fortspinnen wollte. Wenn man jedoch dem Kritiker Peter Sommeregger Glauben schenken darf, hat dies wenig Aussicht auf Erfolg:


    https://klassik-begeistert.de/…oven-philharmonie-berlin/


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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