Robert Schumann und Heinrich Heine. Eine künstlerische Begegnung und ihre liedmusikalischen Folgen

  • Die Rose, die Lilie, die Taube, die Sonne,
    Die liebt' ich einst alle in Liebeswonne.
    Ich lieb' sie nicht mehr, ich liebe alleine
    Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine;
    Sie selber, aller Liebe Wonne (Heine: „Bronne“),
    Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne.
    (Ich liebe alleine die Kleine, die Feine,
    Die Reine, die Eine, die Eine.)


    Man kann diesen lyrischen Text und Schumanns Komposition darauf als von dem Geist, der lyrisch-musikalischen Grundaussage dieses Zyklus abweichend betrachten. Dietrich Fischer-Dieskau hat das getan, wenn er in seinem Schumann-Buch meint, dieses Lied „kontrastiere lebhaft“ zu dem „Morbid-Sentimentalen“ der vorangehenden Komposition, insofern der Text „etwas aus dem gegebenen Zusammenhang „herausfalle“ und hinzufügt: „Denn dieses atemlose kurze Glücksgeständnis will zur Bitternis und Wehmut des Zyklus nicht recht passen“.


    Nun steht das Lied in seinem klanglichen Charakter und seiner musikalischen Aussage in der Tat in einem starken Kontrast zum vorangehenden und auch zum nachfolgenden. Gleichwohl würde ich nicht von einem „Herausfallen“ aus dem Zyklus sprechen. Schumann hätte dieses Gedicht Heines ja, wie er das im Folgenden immer wieder getan hat, in der Abfolge im „Lyrischen Intermezzo“ überspringen und zum nächsten, also zu „Wenn ich n deine Augen seh´“, übergehen können. Das hat er in diesem Fall aber nicht getan, und der Grund dafür ist eigentlich einsichtig.
    Ihm geht es in seinem „Dichterliebe“-Zyklus um die liedmusikalische Gestaltung und dimensionale Auslotung des Themas „Liebe“, wie es in all seiner Vielfalt im lyrischen Ich bei Heine Gestalt annimmt. Und zu dieser Vielfalt gehört, neben all dem Sehnen, Seufzen und Leiden, auch das Sich-hinein-Steigern in das Bekenntnis von Liebe und den damit einhergehenden emotionalen Rausch. Das kann bei Heine zwar nur ein punktuelles Ereignis sein, eines, das nicht von Bestand ist und rasch wieder in sich zusammenfällt. Aber es gehört zu diesem Bild des lyrischen Ichs hinzu, wie es Schumann auf der Grundlage seiner Rezeption und Interpretation der Heine-Lyrik entworfen und zur inspiratorischen Quelle der Liedmusik seines Zyklus gemacht hat.


    Das Berauscht-Sein in der Erfahrung von Liebe, das sich hier, im zyklischen Kontext betrachtet, diesseits aller potentiellen Erfüllung ereignet, drückt sich in einem wie von einem Rausch beflügelten Fluss der lyrischen Sprache aus, der auf ausdrucksstarke Weise immer wieder in seiner daktylischen Beschwingtheit über die kurzen metrisch-jambischen Phasen hinweg eilt und sich im Gestus der sich gleichsam überstürzenden Reihung entfaltet. Schumanns Liedmusik, die „munter“ vorgetragen werden will, greift diese spezifischen, die lyrische Aussage wesenhaft konstituierenden prosodischen Gegebenheiten des Gedichts nicht nur voll und ganz auf, sie potenziert sie sogar noch. Dies dergestalt, dass sie sich aus einem einzigen melodischen Motiv generiert, das sich wie atemlos in immer neuen Anläufen entfalten will, dabei aber zu keinen neuen Formen zu finden vermag und deshalb stets auf sich selbst zurückfällt.
    Es ist das Wesen dieser rauschhaften Verzückung, das Sich um sich selbst Drehen des lyrischen Ichs in seiner Erfahrung von Liebe, das Schumann hier auf faszinierende, weil klanglich erfahrbar werdende Weise liedmusikalisch erfasst, umgesetzt und dabei Heines Lyrik in ihrer Sprachlichkeit und in ihrem poetischen Potential bis in die Tiefe ausgelotet hat. Indiz dafür ist die Tatsache, dass er den lyrisch-sprachlichen Gestus der Reihung intensiviert, indem er zum Prinzip der Wiederholung greift. Die Worte „Ich liebe alleine die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine, die Eine“ hat er, dabei aus dem sprachlichen Fundus Heines schöpfend, seiner Liedmusik hinzugefügt.


    Das melodische Motiv, das die Liedmusik maßgeblich prägt, weil sich die Vokallinie in ihrer Struktur als eine Wiederholung und Fortentwicklung bei mehrfacher Wiederholung dieses Prozesses präsentiert, erklingt gleich am Anfang der auftaktig einsetzenden melodische Linie auf den Worten „Die Rose, die Lilie“ und wiederholt sich sofort bei den nachfolgenden Worten „die Taube, die Sonne“. Es besteht aus einem Quartsprung, einer Tonrepetition auf einer um eine Terz abgesenkten tonalen Ebene und einer Rückkehr zu dieser Repetition nach einem zwischengelagerten Sekundfall. Der melodische Akzent liegt dabei, in Gestalt einer leichten Dehnung, auf dem ersten und dem vierten deklamatorischen Schritt im jeweiligen Takt, so dass sich ein daktylischer Rhythmus ergibt, der das lyrische Metrum reflektiert. Die Harmonik Beschreibt dabei eine Rückung von der Tonika D-Dur zur Subdominate und von dort zur Dominante A-Dur, womit die Überleitung zur Wiederholung dieser Figur geschaffen ist. Fast durchweg bewegt sich die Harmonisierung der melodischen Linie des Liedes in dieser schlichten Weise im Raum der Tonika und ihren Dominanten. Nur wenige Male ereignen sich kurze Rückungen nach e-Moll, vor allem in der Melodik auf den Schumann dem Heine-Text beigegebenen Worten, und dies bezeichnenderweise bei den Worten „ich liebe alleine“ und „die Reine, die Eine“.


    Dieser melodischen Figur wohnt in ihrem von Tonrepetitionen geprägten Auf und Ab im engen Intervall eine Sekunde in insistierend-nachdrücklicher Gestus inne, der in der Wiederholung eine besondere Eindringlichkeit entfaltet. Man empfindet das als Ausdruck der Emphase, mit der das lyrische Ich, so wie Schumann es verstanden wissen will, sein Liebesbekenntnis hinaus in die Welt sendet. Und wie wenn es dabei Atem schöpfen müsse, senkt sich die melodische Linie bei den Worten „Die liebt' ich einst alle in Liebeswonne“ aus der tonalen Ebene eines „Cis“ und „D“ in oberer Mittellage zu der eines „Fis“ in tiefer Lage ab. Dies freilich unter Beibehaltung des deklamatorischen Gestus, was sich darin zeigt, dass sich diese Absenkung der melodischen Linie ebenfalls in deklamatorischen Tonrepetitionen ereignet und dann, bei dem Wort „Liebeswonne“ einen expressiv gedehnten Fall beschreibt. Auf den Silben „Liebes“ liegt ein gedehnter Sekundfall.


    Das bewegt sich noch im Rahmen des liedkompositorisch Üblichen. Auf dem zweiten Teil des Kompositums „-wonne“ ereignet sich jedoch melodisch Ungewöhnliches: Die Silbe „won“ erhält noch einmal eine Dehnung in Gestalt eines Sechzehntel-Sekundfalls und mündet auf der letzten Silbe in eine Staccato-Tonrepetition. Und sowohl die Harmonik, wie auch der Klaviersatz reflektieren und verstärken diesen Akzent, der als Ausdruck der tiefen Empfindungen des lyrischen Ichs diesem Wort melodisch verliehen wird. Die Harmonik beschreibt eine Rückung von einem wehmütig innigen e-Moll, das noch mehrfach in dieser Intention erklingen wird, über einen verminderten Akkord aus den Tönen „Gis-D-Fis“ hin nach A-Dur, was nun wiederum als harmonischer Auftakt zum neuerlichen Erklingen der melodischen Grundfigur auf den Worten „Ich lieb´ sie nicht mehr“ dient. Und im Klaviersatz ereignet sich ebenfalls Ungewöhnliches. Bislang bestand er aus einer viermaligen Aufeinanderfolge von Einzelton und bitonalem Akkord im Wert eines Sechzehntels. Im Bass herrschte Schweigen. Nun aber beschreiben die Sechzehntel dort eine Aufstiegsbewegung, während bitonale Sechzehntel-Terzen im Diskant dies auf einer fallenden Linie tun.


    Auch wenn sich in dieser liedmusikalischen Gestaltung des Wortes „Liebeswonne“ große Emotionen des lyrischen Ichs ausdrücken, die melodische Fallbewegung auf dem zweiten Vers, in die das eingebettet ist, wirkt – und das auch in ihrer Harmonisierung – durchaus wie ein Atemholen der Liedmusik. Und die setzt nun mit dem dritten Vers erneut im emphatisch-insistierenden Gestus des Liedanfangs ein. Dabei ereignet sich wiederum Bedeutsames. Die melodische Linie führt die Grundfigur, mit der sie einsetzt, nicht zu Ende aus, sondern lässt sie bei dem Sekundfall auf den Worten „nicht mehr“ abreißen und in eine Sechzehntelpause münden. Das verleiht dieser lyrischen Aussage einen starken Akzent. Danach aber setzt die melodische Linie diese Entfaltung in ihrer Grundfigur in gewohnt intensiver Weise fort, indem sie wieder zweimal wiederholt, um am Ende, bei den Worten „Die Kleine, die Feine, die Reine, die Eine“ erneut in den Fall überzugehen, wie man ihn schon vom zweiten Vers her kennt, einschließlich der Dehnung in Gestalt eines Sechzehntel-Sekundfalls mit nachfolgender Tonrepetition auf dem Wort „eine“.


    Die Vokallinie auf den Worten „Sie selber, aller Liebe Wonne“ mutet vom unmittelbaren Höreindruck her an, als finde die Melodik hier zu einer neuen Figur. Sie steigt aus dem Ansatz auf der tonalen Ebene eines tiefen „E“ in tatsächlich neuer Weise, nämlich mit zwei Dehnungen auf „aller“ und „Liebe“ in mittlere Lage empor. Aber dann, mit dem wieder in eine Repetition mündenden Sechzehntelfall auf dem Wort „Wonne“ kehrt sie wieder zu einem alten Gestus zurück und beschreibt auf den Worten „Ist Rose und Lilie und Taube und Sonne“ die melodische Grundfigur. Dies allerdings in einer gleichsam ausgeweiteten, in der Expressivität gesteigerten Gestalt. Die Sprung- und Fallbewegungen, die sich im melodischen Original der Figur über das Intervall einer Sekunde ereignen, nehmen nun das einer Terz und sogar einer Quarte ein. Die Worte „Lilie“ und „Taube“ entfalten auf diese Weise in ihrer Wiederkehr eine stark gesteigerte und darin das Sich-Hineinsteigern des lyrischen Ichs in sein Liebesbekenntnis reflektierende musikalische Ausdruckskraft.


    Und dieser Haltung des lyrischen Ichs entspringt auch die melodische Linie auf den der Liedmusik von Schumann beigegebenen Worten. Sie mutet wie eine emphatische Steigerung jener an, die auf dem letzten Original-Heine-Vers liegt. Bis zu den letzten Worten, nämlich der Wiederholung von „die Eine“ bewegt sie sich nur in deklamatorischen Tonrepetitionen, wobei bei „alleine“ zunächst ein Quartsprung zur Ebene eines hohen „E“ erfolgt, sich danach ein Quintfall zur Ebene eine „A“ in mittlere Lage ereignet, und nach einem neuerlichen Quartsprung beschreibt die melodische Linie wieder einen Quintfall. Die Fallbewegungen drei Fallbewegungen enden also auf einer sich jeweils um eine Sekunde absenkenden tonalen Ebene, und das bewirkt, dass der nach einem Terzsprung einsetzende melodische Bogen auf der Wiederholung der Worte „die Eine“ eine starke Expressivität entfaltet. Zweimal liegt auf dem Wort „Eine“ eine Dehnung. Zunächst ist es ein Sechzehntel-Sekundfall auf der Silbe „ei“, dann aber wird daraus eine ritardando auszuführende lange Dehnung in Gestalt eines punktierten Viertels, das über einen Sechzehntel-Sekundfall in einen Quartfall übergeht, so dass die melodische Linie auf dem Grundton endet. Die Harmonik beschreibt hierbei eine Rückung von der Dominante in die Tonika A-Dur.


    Die ohne eine Pause ruhelos, rasch und wie getrieben dahineilende, dabei nicht einmal eine halbe Minute in Anspruch nehmende und sich in der Emphase gegen Ende hin steigernde melodische Linie hat zur Ruhe gefunden. Das sechstaktige Nachspiel wirkt mit seinen aus dem sprunghaften Wechsel von Einzelton und zwei-, bzw. dreistimmigen Akkorden bestehenden Grundfiguren, mit denen es durchweg die melodische Line begleitete, nun, als wirke der diese antreibende Geist der Hektik in ihm noch fort, wobei die Harmonik permanent zwischen der Subdominante und der Tonika moduliert, bis dann das Klavier auch zur Ruhe finden kann: In Gestalt der Aufeinanderfolge eines jeweils fünfstimmigem A-Dur- und D-Dur-Akkords.

  • Wenn ich in deine Augen seh',
    So schwindet all' mein Leid und Weh;
    Doch wenn ich küsse deinen Mund,
    So werd' ich ganz und gar gesund.


    Wenn ich mich lehn' an deine Brust,
    Kommt's über mich wie Himmelslust;
    Doch wenn du sprichst: Ich liebe dich!
    So muß ich weinen bitterlich.


    Das lyrische Ich ist mit diesen Versen nach dem monologischen, sich im Raum der seelischen Innenwelt entfaltenden verzückten Kreisen um die Erfahrung des Verliebt-Seins zum nach außen gerichteten, sich wieder der Perspektive des Du öffnenden Sprechen über seine Liebe zurückgekehrt. Und bemerkenswert ist: Dieses Sprechen bleibt trotz seines Ansprache-Charakters weiterhin wesenhaft monologisch, und die Gedanken und Empfindungen, die darin Ausdruck finden, sind dementsprechend ichzentriert. Für dieses Ich ist die Erfahrung von Liebe, aus eben dieser Ich-Perspektive reflektiert, eine eminent beglückende, eine, die „Leid und Weh“ schwinden lassen, ja seelische Gesundheit bringen und „Himmelslust“ bescheren kann. Aber wenn das Du in seinem existenziellen Eigensein als Partner und Quell dieser Erfahrungen in diese ichzentrierte Sphäre einbezogen wird, bricht alles zusammen. Sie enthüllen sich, weil dessen Worten in Gestalt des Liebesbekenntnisses kein Vertrauen geschenkt werden kann, als reine Fiktion. Und dem Ich bleibt nur noch das bitterliche Weinen.


    Hört man Schumanns Liedmusik auf diese Verse, so empfindet man sie, ganz unmittelbar und noch diesseits jeglichen analytisch-reflexiven Eintauchens in sie, als diesem lyrischen Ich in seinem Wesen und seiner Grundhaltung voll und ganz gerecht werdend. Ein Dreivierteltakt liegt ihr zugrunde, G-Dur ist als Grundtonart vorgegeben, und sie soll „langsam“ vorgetragen werden. Die monologische Haltung, in der sich die Erfahrung von Liebe aus der ichbezogenen Perspektive artikuliert, schlägt sich in einer Melodik nieder, die in kleine, jeweils in eine Pause mündende Zeilen untergliedert ist, vom deklamatorischen Gestus der Tonrepetition geprägt wird und in die sich, eben in ihren Pausen, das Klavier wie zur Bestätigung und Bekräftigung dieser Haltung mit ebenfalls repetitiven akkordischen Figuren hineindrängt, die die melodische Bewegungen wiederholen oder neue antizipieren. Bis dann am Ende der Liedmusik, den Einbruch der Realerfahrung in den Raum der subjektiven Emotionen reflektierend, Melodik und Klaviersatz von ihrem Gestus der Repetition im wesenhaft undialogischen Nebeneinander ablassen und sich nun im Einklang einem schmerzlichen Abgesang hingeben.


    Es gibt zwar kein Vorspiel. Gleichwohl macht das Klavier deutlich, dass es hier mit dem, was es zu sagen hat, eine gewichtige Rolle einnimmt. Es schlägt einen G-Dur-Akkord an, den es den ganzen Takt über hält, und die Singstimme setzt nach einer Achtelpause mit der Deklamation der melodischen Linie auf dem ersten Vers ein. Sie besteht anfänglich aus einer silbengetreuen Tonrepetition auf den Worten „Wenn ich in deine“, wobei durch eine Punktierung des Achtels auf dem Wort „deine“ eine leichte Dehnung liegt, die es klanglich hervorhebt. Zu den Worten „Augen seh´“ beschreibt die melodische Linie einen, wiederum in eine kleine Dehnung mündenden Terzsprung, fällt danach aber wieder in die Ausgangslage und den Gestus der Tonrepetition zurück. Bei dem Terzsprung setzt das Klavier wieder mit der Artikulation seiner G-Dur-Akkorde im Wert von Achteln ein und lässt diese in repetierender, also den Gestus der melodischen Linie übernehmender Weise erklingen, und in der Achtelpause derselben vollzieht es sogar den Terzsprung mit nachfolgendem Terzfall nach. Man empfindet dies als eine Bestätigung und Bekräftigung dessen, was die melodische Linie gerade zum Ausdruck brachte.


    Dieses Prinzip, der Singstimme zunächst nur eine klangliche Basis zu bieten, dann aber, die Pausen nutzend, in akkordscher Gestalt selbst melodische Bewegungen zu vollziehen, praktiziert das Klavier jeweils bei den beiden ersten Versen beider Strophen. Es bestärkt dabei die melodische Linie in ihrem Grund-Gestus der deklamatorischen Tonrepetition, den man durchaus als Folge des Willens auffassen und verstehen kann, der Aussage Nachdrücklichkeit und Gewicht zu verleihen. Das, was das lyrische Ich hier zum Ausdruck bringt, ist eine existenziell höchst bedeutsame und gewichtige Erfahrung seiner Liebe, und das schlägt sich im insistierenden, silbengetreu-deklamatorischen Verharren der melodischen Linie auf der gerade eingenommenen tonalen Ebene nieder.
    Oder steckt noch mehr dahinter? Will Schumann dieses lyrische Ich auf diese Weise darstellen als ein Wesen, das sich in diese existenziellen Erfahrungen regelrecht versteift, weil sie seinen kostbarsten Besitz darstellen?


    Bei den Worten „So schwindet all' mein Leid und Weh“ wiederholt sich jedenfalls diese melodische Bewegung mit Tonrepetition, eingelagertem Sprung - der nun sogar, weil es um „leid und Weh“ geht, sogar ein Quartsprung ist – und nachfolgendem Rückfall auf die tonale Ausgangsebene. Das Klavier begleitet nun aber nicht mit einem lang gehalten Akkord, sondern mit zwei von Pausen getrennten Akkorden im Wert eines Viertels und eines Achtels. Und damit reagiert es nun tatsächlich auf die lyrische Aussage, denn es ist ein e-Moll- und ein a-Moll-Akkord, den es erklingen lässt, - ihre seelische Tiefe damit klanglich ausleuchtend. Bei den beiden ersten Versen der zweiten Strophe kehrt das Klavier aber wieder zu seinem Prinzip der Begleitung mit taktfüllendem Akkord und nachträglichem Kommentar in der Pause für die Singstimme zurück. Und diese deklamiert die lyrischen Worte wieder in dem für das Lied so typischen deklamatorischen Gestus der silbengetreuen Tonrepetition.


    Aber da es um andere lyrische Inhalte geht, ist die Struktur der melodischen Linie eine andere, und auch ihre Harmonisierung weicht von der des ersten Verspaares der ersten Strophe ab. Das hohe affektive Potential des Bildes vom „an die Brust lehnen“ führt dazu, dass die melodische Linie in ihrer anfänglichen Tonrepetition gleich zwei Dehnungen aufweist und dann nach einem Quartfall in einen Sekundanstieg übergeht, der bei dem Wort Brust in einen Sekundfall mündet, der mit einer ausdrucksstarken Rückung vom H-Dur dieser Melodiezeile nach e-Moll verbunden ist. Und der nachträgliche, ebenfalls in e-Moll stehende akkordische Kommentar des Klaviers stellt auch nicht eine Wiederholung der letzten melodischen Schritte dar, sondern eine Art klangliche Imagination des emotionalen Gehalts dieses Bildes. Auch beim zugehörigen Vers „Kommt's über mich wie Himmelslust“ beschreibt die melodische Linie, in H-Dur harmonisiert, nach der Tonrepetition wieder diesen Sekundanstieg mit dem in e-Moll mündenden Sekundfall am Ende, nun ist er allerdings, um den Wortteil „Himmels-“ mit einem Akzent zu versehen, leicht rhythmisiert..


    Höchst aufschlussreich und vielsagend, was die Rezeption von Heines Lyrik und das Bild anbelangt, das er in diesem Zyklus vom lyrischen Ich gestaltet, ist die Art und Weise, wie er den Einbruch der realen Gegebenheiten der Liebesbeziehung in die Bilderwelt, die das lyrische Ich sich davon entworfen hat, liedmusikalisch aufgreift und umsetzt. Heine selbst verleiht dem ja, wie das typisch für seine Lyrik ist, durch die formale Anlage der Versgestalt einen durchaus schroffen Charakter: Er eröffnet den zweitletzten Vers mit dem eine Erwartungshaltung weckenden konditional-temporalen Wort „wenn“ und lässt ihn mit dem klassischen Geständnis „ich liebe dich“ enden, was den letzten Vers in seinem Gehalt für den Leser zu einer Art Schock-Erlebnis werden lässt.


    Schumann verweigert sich dieser poetischen Intention Heines. Das wird schon auf den ersten Blick daran deutlich, dass er in der Anlage der entsprechenden Melodiezeilen die Versgliederung Heines nicht übernimmt. Auf den Worten „doch wenn du sprichst“ liegt eine eigene kleine Melodiezeile, bei der sich die melodische Linie, in e-Moll harmonisiert, aus einer silbengetreuen Tonrepetition am Ende um eine kleine Sekunde absenkt und in eine lange Dehnung mündet, der eine Pause folgt, in der das Klavier ritardando einen Fall von Achteln über das Intervall einer Terz vom oberen Diskant bis in den Bass erklingen lässt. Diese Zeile weist in ihrer Anlage, und auch dadurch, dass der kleine Sekundfall mit einer harmonischen Rückung in verminderte Gis-Harmonik verbunden ist, den musikalischen Charakter einer Eröffnung auf.


    Die lyrisch-sprachliche Ruptur Heines überspielt Schumann liedmusikalisch, indem er aus den Worten „Ich liebe dich, so muß ich weinen bitterlich“ nicht nur eine Melodiezeile macht, sondern diese sogar so anlegt, dass sich die melodische Linie deklamatorisch gleichförmig entfaltet, also nach den Worten „ich liebe dich“ keinen irgendwie gearteten Bruch aufweist. Sie setzt mit einem Terzsprung in mittlerer Lage ein, hält mit einer ritardando vorzutragenden kleinen Dehnung auf der ersten Silbe von „liebe“ kurz inne, geht danach mit einem Sekundfall zu einer Tonrepetition über, um anschließend, und das alles in gleichförmig silbengetreuer Deklamation, eine sich absenkende, wieder ansteigende und in einen lang gedehnten doppelten Sekundfall bei dem Wort „bitterlich“ mündende Bewegung zu beschreiben.


    Das Klavier folgt, nun in vollem Einklang mit der Singstimme, dieser Bewegung mit bitonalen und dreistimmigen Akkorden im Diskant und im Bass. Bemerkenswert aber ist, was sich harmonisch hier ereignet. Die Worte „ich liebe dich“ sind in a-Moll harmonisiert, auf dem Wort „weinen“ liegt ein Dominantseptakkord in der Tonart „A“ und bei dem Wort „bitterlich“ beschreibt die Harmonik eine Rückung von der Tonika G-Gur zur Dominante und wieder zurück. Die melodische Linie ist also in einer Weise harmonisiert, die den durch die Semantik des lyrischen Textes geweckten Erwartungen widerspricht: Das klassische Liebesgeständnis ist in Moll-, das Wort „bitterlich“ in Dur-Harmonik gebettet. Und hinzukommt, dass sich im sechstaktigen Nachspiel aus sich in der tonalen Ebene absenkenden und am Ende zu einem Einzelton abmagernden Akkordrepetitionen eine mehrfache Rückung von der nun als Dominantseptakkord fungierenden Grundtonart G-Dur nach der Subdominante C-Dur ereignet, bis sich am Ende ein G-Dur-Schlussakkord einstellt.


    Was wollte Schumann mit dieser musikalischen Gestaltung des Liedschlusses sagen, und welches Bild, welches Verständnis des lyrischen Ichs steht dahinter?
    Man darf wohl die Tatsache des Überspielens der lyrisch-sprachlichen Ruptur und der Überführung der Harmonik in den Dur-Bereich einschließlich ihrer Öffnung in die Subdominante im Nachspiel als musikalisches Bild von einem lyrischen Ich verstehen, das unter der Unerfülltheit seiner Liebe zum Du zwar leidet, sich aber zu diesem Leiden bekennt. Dies allerdings nicht, wie Heine selbst dies mit den seinen schroffen lyrischen Brüchen verstanden wissen will, mit dem Unterton der Anklage, sondern in stiller Duldsamkeit.

  • Ich will meine Seele tauchen
    In den Kelch der Lilie hinein;
    Die Lilie soll klingend hauchen
    Ein Lied von der Liebsten mein.


    Das Lied soll schauern und beben
    Wie der Kuß von ihrem Mund,
    Den sie mir einst gegeben
    In wunderbar süßer Stund'.


    Ein überaus subtiles metaphorisches Spiel ereignet sich in diesem Gedicht. Da ist ein Eintauchen der Seele in den Kelch der Lilie, die zum Symbol der Reinheit geworden ist und in diesem Zusammenhang mit Maria identifiziert wurde. Ein Bild des Eingehens in naturhaft zarte und reine Schönheit. Daraus aber soll, so wünscht dich das lyrische Ich dies, ein Lied hervorgehen, das in seinem „Schauern und Beben“ die Erfahrung des Kusses vom Mund der Geliebten zu vergegenwärtigen vermag. Und das beinhaltet: Das Symbol übersinnlicher Reinheit wird mit einer eminent sinnlichen Erfahrung assoziiert, wie es ein Kuss darstellt, dies in der Absicht, die Liebe in die Sphäre von übersinnlich-reiner Schönheit zu überhöhen. Und die Subtilität dieser Verse weist noch eine weitere Dimension auf: Es ist die der Poesie. All das, was hier metaphorisch imaginiert wird, steht unter dem Vorbehalt der Worte „wollen“ und „sollen“. Aus dem als Willens-Akt intendierten „Eintauchen“ „soll“ ein Lied hervorgehen, eine lyrisch-poetisches Gebilde also, - wie es dieses Gedicht selbst darstellt. Und es „soll“ mit seinen spezifischen künstlerischen Mitteln die Erfahrung von Liebe zum Ausdruck bringen, wie sie sich in „wunderbar süßer Stund´“ ereignet hat.


    Heine spielt hier also nicht nur mit einer im Grunde antagonistischen Metaphorik, er macht darüber hinaus auch noch ein Spiel mit sich selbst als Poet und Künstler, denn das „Lied“, das aus dem Eintauchen in den „Kelch der Lilie“ hervorgeht, ist ja doch im Grunde sein eigenes, das nur, um es gleichsam artifiziell zu adeln, der Lilie in den Mund gelegt wird. Für Robert Schumann stellen diese Verse also eine gleichsam doppelte kompositorische Herausforderung dar: Er muss die subtile Zartheit der Metaphorik erfassen, dabei beachten, dass sie unter dem Vorbehalt einer Absichtserklärung steht, also wesenhaft imaginativ ist, zugleich aber fordert die Tatsache, dass das „Lied“, in dem „der Kuss“ eine klangliche Vergegenwärtigung erfahren soll, nicht ein wirklich erklingendes ist, sondern ebenfalls nur ein Wunschgedanke für das lyrische Ich, eine angemessene Berücksichtigung.


    Diese Komposition, die in h-Moll als Grundtonart steht, einen Zweivierteltakt aufweist und „leise“ vorgetragen werden soll, präsentiert sich ihren Hörern im ersten unmittelbaren Eindruck als eine überaus schöne und zarte Liedmusik, die sich in einer in arpeggienhaften Klavierklang eingebetteten wehmütig-lieblichen Melodik ergeht und darin von einem schwärmerischen Gestus beflügelt wirkt. In all dem wirkt sie wie die vollkommene, den Geist und die Metaphorik des lyrischen Textes adäquat erfassende Repräsentation des lyrischen Textes auf der Ebene der Musik. Und der in die Details ihrer Faktur gehende Blick kann sehr wohl die Berechtigung dieses dem unmittelbaren Eindruck entspringende Urteil erweisen. Es zeigt sich dabei, dass Schumann dem Anspruch, den Heines Verse an einen Liedkomponisten stellen, voll und ganz gerecht zu werden vermochte.


    Die Komposition ist als Strophenlied angelegt. Die beiden Variationen, die die melodische Linie im ersten und im letzten Vers der zweiten Strophe aufweist, sind durch die deklamatorischen Erfordernisse des lyrischen Textes, bzw. der Kadenz am Liedende bedingt und für die musikalische Aussage von nur geringem Gewicht. Das Prinzip der Wiederholung deklamatorischer Gesten, das ihre Struktur sehr stark prägt, erweist sich dem analytischen Blick als Niederschlag der Semantik des lyrischen Textes, - der Prädominanz der Worte „wollen“ und „sollen“. Auf dem ersten Verspaar der Strophe setzt die melodische Linie mit einer Tonrepetition ein, in der die Worte „will“ und „Kelch“ eine kleine Dehnung tragen und dadurch einen Akzent erhalten. Am Ende geht sie dann, eben diese Willensabsicht reflektierend, in eine Aufstiegsbewegung über, die bei dem Wort „tauchen“ zwar noch einmal, dies um die Bindung an die Wiederholung der Bewegung beim zweiten Vers herzustellen, in einen Terzfall über, dort aber endet sie dann tatsächlich in einem Sekundanstieg auf dem Wort „hinein“, dem eine Dreiachtelpause folgt. Aber es ist ja ein hochgradig affektiv aufgeladener Willensakt, den das lyrische Ich hier bekundet. Und so beschreibt die melodische Linie vor diesem Anstieg am Ende bei den Worten „Seele“ und „Kelch der Lilie“ einen kleinen, leicht gedehnten bogenförmigen Fall.


    Aber nicht nur darin schlägt sich der affektive Gehalt des lyrischen Textes und seiner Metaphorik nieder, das geschieht auch in der Harmonik. Die melodische Linie ist in h-Moll harmonisiert und vollzieht von dort aus eine kurze Rückung nach Fis-Dur. Diese ereignet sich bei den durch eine bogenförmige melodische Dehnung ohnehin schon hervorgehobenen Worten „Seele“ und „Lilie“ und verleiht diesen einen weiteren musikalischen Akzent durch das Herausheben aus der affektiven Aura der Moll-Harmonik. Das ist ein Vorgang der sich in diesem Lied immer wieder ereignet, und ganz offensichtlich ist er von höchster Relevanz für die musikalische Aussage der ganzen Liedkomposition. Beim zweiten Verspaar vollzieht die Harmonik eine Rückung von g-Moll über A-Dur nach Fis-Dur, worin die Melodiezeile auch endet, nicht aber, ohne dass die Harmonik vorher noch einmal zum Tongeschlecht Moll (h-Moll) zurückgekehrt ist. Die melodischen Schritte auf den Worten „die Lilie“ und „Lied von der Liebsten“ sind in Moll harmonisiert, und hier bestätigt sich nun definitiv der Eindruck, der sich hinsichtlich der Funktion des Tongeschlechts Moll von vornherein einstellte: Es bringt nicht schmerzliches Leiden zum Ausdruck, vielmehr evoziert es mit seiner spezifischen Klanglichkeit, die es der melodischen Linie verleiht, die Anmutung von liebevoller Zärtlichkeit und seelenerfüllter Innigkeit, in denen das lyrische Ich in der Haltung, die Schumann ihm beigeben möchte, sich artikuliert.


    Und auch der klangliche Beitrag, den der Klaviersatz zur Liedmusik liefert, intensiviert und steigert diese Anmutung. In seiner Struktur ist er einschließlich des Nachspiels arpeggienhaft angelegt, entfaltet also eine zarte, filigrane und zugleich dichte Klanglichkeit, in die die Singstimme wie eingebettet wirkt. Darin erschöpft er sich aber nicht. Die Zweiunddreißigstel, die aus dem Bass aufsteigen, werden gleichsam gerahmt durch eine Folge von Achteln in Diskant und Bass, und alle zusammen senken sich in der tonalen Ebene von ihrem Ansatz in den einzelnen Takten her jeweils um eine Sekunde ab. Der Klaviersatz beschreibt auf diese Weise eine leicht ausgeprägte Gegenbewegung zu der aufwärtsgerichteten Tendenz, die der melodischen Linie in den Zeilen auf den ersten drei Versen innewohnt und lässt sie damit umso markanter hervortreten. Zugleich antizipiert er damit den Gestus der melodischen Linie am Ende des Liedes, denn auf dem vierten Vers geht diese in einen Fall über.


    Während der Klaviersatz in der Begleitung der Singstimme darauf angelegt ist, der melodischen Linie in der Aufeinanderfolge der Arpeggien-Figuren ein sie tragendes, zugleich aber auch ihre Aussage akzentuierendes und bereicherndes Fundament zu schaffen, geht er im siebentaktigen Nachspiel dazu über, eine eigene Aussage zu entfalten. Mit einem Mal zeichnet sich in der Oberstimme der Arpeggienfolge eine von der tonalen Ebene eines „Fis“ in tiefer Lage ansteigende, sich bis zu einem „H“ in oberer Lage erhebende und dann langsam wieder bis zum Ausgangspunkt „Fis“ absinkende Linie ab, die am Ende mit Vorschlägen verziert ist und in eine ritardando erfolgende Abwärtsbewegung übergeht. Die Harmonik vollzieht dabei anfänglich noch die für das Lied so typischen Rückungen aus dem Moll- in den Dur-Bereich (h-Moll, Fis-Dur, e-Moll, Fis-Dur), verbleibt aber am Ende ganz und gar im Bereich des Tongeschlechts Moll (e-Moll und h-Moll).


    Vielsagend – wie ja fast der Regelfall bei Schumann – ist dieses Nachspielt. Vernimmt man es auf dem Hintergrund der Melodik dieses Liedes, dann meint man mit einem Mal das „Lied“ zu hören, das in den imaginativen Wunschbildern des lyrischen Ichs von der Lilie hauchend hervorgebracht werden soll. Es ist in der Tat eine liedhafte melodische Figur, die die Arpeggien des Klaviers im Nachspiel klanglich zeichnen, und sie hebt sich in ihrer Geschlossenheit von der Melodik des Liedes ab, die in ihren immer wieder aufs Neue zu Aufstiegsbewegungen ansetzenden, und darin den Impetus des Wollens und Sollens verkörpernden Melodiezeilen eine solche figural geschlossene Struktur nicht aufweist.


    Das Klavier bringt also zustande, was der melodischen Linie der Singstimme in ihrer Gebundenheit an das lyrische Wort versagt bleiben muss. Und darin erweist sich die Tiefgründigkeit von Schumanns liedkompositorischem Umgang mit Heines Lyrik.
    Das „Lied“ ist bei Heine ja ein imaginäres, ein Wunschgebilde im Rahmen der sich in der Phantasie des lyrischen Ichs entfaltenden Bilderwelt. Die melodische Linie der Singstimme kann also davon nur sprechen, erklingen lassen aber kann sie sie nicht.
    Das kann das Klavier dann aber im Nachspiel, und dabei, andeutungsweise freilich nur, vernehmen lassen, wie es in seinem „Schauern und Beben“ Reflex und Niederschlag der „wunderbar süßen Stund´“ ist.
    Und könnte nicht, so fragt man sich hier, am Ende des Liedes, die arpeggienhafte Klanglichkeit des Klaviersatzes von Anfang an Niederschlag dieses „Schauerns und Bebens“ sein?

  • Im Rhein, im heiligen (Heine: schönen) Strome,
    Da spiegelt sich in den Well'n
    Mit seinem großen Dome
    Das große, heilige Köln.


    Im Dom da steht ein Bildnis,
    Auf gold´nem Leder gemalt;
    In meines Lebens Wildnis
    Hat's freundlich hineingestrahlt.


    Es schweben Blumen und Eng'lein
    Um unsre liebe Frau;
    Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
    Die gleichen der Liebsten genau.


    Es ist ein um Grunde ungeheuerliches, mit der Anmutung der Blasphemie spielendes Ereignis, das im Zentrum dieser Verse steht: Die Begegnung des lyrischen Ichs mit dem Bild der Geliebten im Bildnis des Antlitzes der Jesu-Mutter Maria. Und es wird von Heine ganz bewusst, in der Absicht, es zu überhöhen nämlich, auch noch in einen großen, christlich-religiös konnotierten Rahmen gestellt, der in der ersten Strophe in geradezu kunstvoller Weise lyrisch-deskriptiv dadurch aufgebaut wird, dass sich Bild des Kölner Doms aus seiner Spiegelung in den Wellen des seinerseits großen und geschichtsträchtigen Stromes Rhein erhebt.
    Das Ereignis selbst wird von Heine in der für seine Lyrik typischen Weise einer mit dem Diminutiv arbeitenden und die Grenze zum lyrischen Kitsch tangierenden, aber nicht wirklich überschreitenden Idyllik dargestellt, wobei er offen lässt, wie weit beim lyrischen Ich das Hineinstrahlen des Bildnisses in dessen „Lebens Wildnis“ eines ist, das im religiösen Gehalt gründet, oder in der Ästhetik, oder in beidem. Das aber macht gerade die ganz spezifische Subtilität dieses Gedichts aus. Denn sein letzter Vers bezieht seinen Gehalt eben daraus: Die „Liebste“ erfährt in der Identitätserfahrung mit dem religiös aufgeladenen, in diminutivisch-idyllischer Sprache skizzierten Bild Marias ihrerseits eine die Sphäre der religiösen Transzendenz streifende Überhöhung.


    Schumann hatte sich liedkompositorisch schon einmal mit einem Fall einer rheinromantisch ausgerichteten Behandlung des zentralen lyrischen Themas „Liebe“ bei Heine auseinandergesetzt: Im siebten Lied seines Opus 24 („Berg' und Burgen schaun herunter“). Während es dort aber „nur“ um die in den Wassern des Rheins erfahrene Fragwürdigkeit der Geliebten ging, sah er sich hier einer ungleich höheren Herausforderung gegenübergestellt: Eben dieser von Heine mit einem blasphemischen Spiel in Gestalt einer religiösen Aufladung der Metaphorik erfolgenden und in die Transzendenz weisenden lyrischen Aussage.


    Er hat sie nicht nur angenommen, sondern auch in einer Weise kompositorisch gestaltet, bei der die Liedmusik die lyrische Aussage sogar ihrerseits noch überhöht, indem sie mit ihren Mitteln das dieser innewohnende poetische Potential voll und ganz ausschöpft und in seinen Dimensionen vertieft. Das dafür erforderliche liedkompositorische Instrumentarium bezieht er, ganz an der religiösen Dimension von Heines Versen ansetzend, aus einem Rückgriff auf die Musiksprache Johann Sebastian Bachs. Von daher erweist sich auch die Tatsache als durchaus konsequent, dass er aus dem „schönen Strom“ Rhein einen „heiligen“ gemacht hat.


    Der Liedmusik liegt ein Viervierteltakt zugrunde, sie steht in e-Moll als Grundtonart, und sie soll „ziemlich langsam“ vorgetragen werden. Sie begegnet ihren Hörern als vielgestaltiges, überaus reizvolles und beeindruckendes, weil zwischen gleichsam gewichtig-gravitätischem Gestus und leichtfüßig-lieblicher Entfaltung changierendes klangliches Gebilde. Und schon darin erweist sie sich im ersten Höreindruck als eine, die den lyrischen Text in seiner sich zwischen großer Architektur, religiösen Glaubensinhalten und zärtlichen Emotionen in Betrachtung eines Antlitzes sich entfaltenden Metaphorik voll und ganz reflektiert. Es gibt darin den deklamatorisch-gravitätischen, immer wieder auf dem ersten Taktschlag mit Dehnungen auftretenden und darin vom Klavier unterstützten Gestus des melodischen Linie, aber dieselbe geht dann mit einem Mal zu einer bogenförmig angelegten und kleinen gebundenen deklamatorischen Schritten sich entfaltenden Bewegung über, in die das Klavier nun seinerseits mit Oktaven und Terzen einstimmt. Bis dann am Ende der eine und der andere liedmusikalische Gestus zu einer wunderbaren Einheit zusammenfinden, - musikalischer Niederschlag der Tatsache, dass sich im lyrischen Ich eine Synthese von religiöser Erfahrung und liebeerfüllter Emotionalität ereignet.


    Wie sehr die Musiksprache Bachs in die Liedmusik Eingang gefunden, sie in ihrer Klanglichkeit geprägt und in ihrer Aussage bereichert hat, das wird gleich am Anfang bei der ersten Strophe vernehmlich und erfassbar. Die melodische Linie steigt aus tiefer Lage in deklamatorisch gewichtigen und sich wiederholenden Schritten in der tonalen Ebene langsam an, wobei auf dem ersten Taktschlag, also auf den Worten „Rhein“, der ersten Silbe von „heiligen“ eine Dehnung in Gestalt einer punktierten und regulären halben Note liegt, und auf dem Wort „Strome“ sogar einer den ganzen Takt einnehmenden ganzen Note. Die Tonrepetition auf dem Wort „heiligen“ erhält dabei einen musikalischen Akzent dadurch, dass die Harmonik eine Rückung vom anfänglichen e-Moll nach H-Dur vollzieht.


    Ganz und gar den Geist Bachs atmend tritt dabei der Klaviersatz auf. Im Bass besteht er aus einer jeweils den ganzen Takt in Anspruch nehmenden und forte auf dem ersten Taktschlag einsetzenden Oktave. Im Diskant aber aus einer immer wieder neu ansetzenden Fallbewegung von Achteln und punktierten Vierteln, die dem gravitätischen Gestus von melodischer Linie und Klavierbass gleichsam kontrapunktisch entgegentreten. Dieser kontrapunktische Geist im Zusammenspiel von Melodik und Klaviersatz prägt die Liedmusik klanglich in der ganzen ersten Strophe. Und in der dritten erfährt dies sogar noch eine Steigerung und klangliche Intensivierung, weil die Liedmusik der zweiten integriert werden muss.


    Bei allen Versen der ersten Strophe behält die Melodik diesen Gestus der deklamatorisch gewichtigen Entfaltung bei. Auf den Worten „Da spiegelt sich in den Well´n“ beschreibt die Vokallinie einen Fall in deklamatorischen Schritten, der mit Ausnahme der kurzen Tonrepetition auf „in den“ durchweg im Wert von halben Noten erfolgt. Wie bei der ersten Zeile mündet diese wiederum gewichtige melodische Bewegung in eine lange, den ganzen Takt einnehmende Dehnung auf dem Wort „Well´n“. Die Harmonik beschreibt dabei eine Rückung aus der Dominante H-Dur zur Tonika e-Moll und verleiht auf diese Weise diesem letzten, aus der Tonrepetition hervorgehenden Sekundfall besonderes Gewicht. Und das erfährt sogar noch eine Steigerung dadurch, dass das Klavier während der Dehnung und in der nachfolgenden halbtaktigen Pause für die Singstimme den gerade erfolgten Fall der melodischen Linie mit Einzeltönen, Sexten und Oktaven fortsetzt.


    Auf dem zweiten Verspaar der ersten Strophe wiederholt die melodische Linie diese Bewegungen in genau der gleichen Weise, und auch das Klavier behält beim dritten Vers seinen Gestus der Begleitung mit den überaus gewichtigen, orgelpunktartig auftretenden Oktaven am Taktanfang und den daraus hervorgehenden rhythmisierten Fallbewegungen von Achteln und punktierten Vierteln bei. Beim vierten Vers intensiviert es sogar diesen Gestus noch. Nun erklingt auf dem ersten und dem dritten Schlag des Vierteltakts eine Oktave, so dass bei „das große heilige Köln“ jedes Wort und jede Silbe vom Klaviersatz aus einen Akzent erhält. Und nicht nur das: Gleichzeitig ereignet sich im Diskant ein Auf und Ab von Achteln und punktierten Vierteln auf sich absenkender tonaler Ebene, die fallende Linie der Melodik mitvollziehend und akzentuierend.


    Die zweite Gedichtstrophe spricht das im Zentrum der lyrischen Aussage stehende „Bildnis“ zunächst einmal nur in narrativer Weise an, ohne auf dessen Inhalt einzugehen. Allerdings deutet sie auch schon an, dass dessen Inhalt ein für das lyrische Ich höchst bedeutsamer ist. Für die Liedmusik hat das zur Folge, dass sie von dem durch die Metaphorik der ersten Strophe geprägten gewichtigen, mit Bedeutsamkeit aufgeladenen und von Moll-Harmonik dominierten Gestus ablässt. Die melodische Linie setzt zwar in beiden, jeweils ein Verspaar beinhaltenden und wieder durch eine halbtaktige Pause voneinander abgehobenen Melodiezeilen erneut mit deklamatorisch gewichtigen Schritten ein: Einer mit einem auftaktigen Sext-, bzw. Sekundsprung eingeleiteten gedehnten Tonrepetition mit nachfolgendem, in eine neuerliche Dehnung mündendem Sekundsprung bei den Worten „Im Dom, da steht“ und „In meines Lebens“. Und das hat ja auch seinen guten Sinn, ist hier doch noch einmal der bedeutsame „Dom“ sprachlich gegenwärtig und dann das das ebenso bedeutsame Thema „Leben“. Dementsprechend behält auch das Klavier am Anfang der beiden Melodiezeilen seine Begleitung der melodischen Linie mit am Taktanfang angeschlagenen Oktaven bei.


    Aber die Liedmusik weiß, anders als der lyrische Text, in dieser Strophe schon, was dieses „Bildnis“ für das lyrische Ich zu sagen hat und was dieses zunächst nur in allgemeiner Weise andeutet. Und so ereignet sich denn in der Harmonisierung der melodischen Linie gleich am Anfang ein bedeutsamer Wandel. Zwar fordert der „Dom“ noch einmal das Tongeschlecht Moll. Aber nun ist es ein a-Moll, und das fungiert, gleichsam sein tongeschlechtliches Gewicht verlierend, als Dominante zur nachfolgenden Rückung nach D-Dur. Und das Tongeschlecht Dur übernimmt nun die dominierende Funktion in der Harmonierung der melodischen Linie auf den Versen der zweiten Strophe. Zwar ereignen sich noch zwei Mal kurze Rückungen in den Moll-Bereich, die sind aber der Aussage des lyrischen Textes geschuldet. Im letzten Vers spricht der lyrische Text in retrospektivischer Weise „des Lebens Wildnis“ an, und Schumanns Liedmusik reagiert in ihrer tiefreichenden Textgebundenheit darauf natürlich. Aber diese Rückungen ins Tongeschlecht Moll treten, eben weil sie retrospektivisch generiert sind, nur als punktuelle, nicht wirklich musikalisch gravierende auf. Sie sind eingebettet in eine zwischen D-Dur und G-Dur modulierende und dann nach E-Dur rückende Harmonik. Und das letzte Moll bei dem Sekundsprung der melodischen Linie auf den ersten beiden Silben des Wortes „hineingestrahlt“ erfährt bei dem neuerlichen Sekundsprung auf den beiden nachfolgenden Silben eine harmonisch höchst markante Kompensation: In Gestalt einer Rückung nach G-Dur.


    Und auch in der melodischen Linie ereignet sich Bedeutsames, die lyrische Aussage der dritten Gedichtstrophe gleichsam Antizipierendes. Sie lässt schon im ersten Vers der zweiten Strophe, bemerkenswerterweise nach den Worten „im Dom, da steht“ und mit dem Auftauchen des Wortes „Bildnis“, von ihrem deklamatorisch gewichtigen Gestus ab und geht zu einer gebunden-kleinschrittigen, in bogenförmiger Weise sich entfaltenden Bewegung über. Auf dem Wort „Bildnis“ liegt ein leicht gedehnter, legato auszuführender Terzsprung, der danach in einen Sekundfall übergeht. Diese bogenförmige Bewegung ereignet sich, dieses Mal aber nicht mit einer Dehnung, sondern einer Tonrepetition auf ihrem Höhepunkt, auf den Worten „goldenem Leder“ noch einmal, nun aber auf einer um eine Sekunde abgesenkten tonalen Ebene, und durchweg vollzieht das Klavier diese melodischen Figuren in Gestalt von Oktaven mit und die Harmonik vbeschreibt dabei jeweils eine Rückung von D-Dur nach G-Dur. Am Ende mündet die melodische Linie nach einem Sekundfall in eine lange, den ganzen Takt einnehmende Dehnung auf der zweiten Silbe des Wortes „gemalt“, und das Klavier setzt die Fallbewegung der melodischen Linie mit Terzen bis in die nachfolgende halbtaktige Pause für die Singstimme weiter fort.


    Die Liedmusik hebt sich auf dem ersten Verspaar der zweiten Strophe in ihrer gebunden ruhigen Entfaltung, ihrer Dur-Harmonisierung und der daraus hervorgehenden Anmutung von Lieblichkeit deutlich von der der ersten Strophe ab, ohne freilich darin in einen Kontrast zu dieser zu treten. Das hat Schumann dadurch vermieden, dass er sie mit dem kurzen Aufgreifen des gewichtigen deklamatorischen Gestus am Anfang an diese anbindet, so dass man sie nun in ihrem neuen Gestus als Ausdruck der Hinwendung des lyrischen Ichs von der Perspektive des großen Raums und des gewaltigen Gebäudes hin zur bildnishaften Miniatur im Innern desselben empfindet. Und darin reflektiert die Liedmusik ja auch den Perspektivwechsel, wie er sich in der zweiten Gedichtstrophe ereignet. Es ist also nur konsequent, wenn die melodische Linie und der Klaviersatz beim zweiten Verspaar noch einmal die strukturell gleichen Bewegungen vollziehen. Aber da hier ein Robert Schumann am Werk ist, der mit seiner Liedmusik der lyrischen Aussage bis in ihre feinsten semantischen Bereiche nachgeht, ist es keine simple liedmusikalische Wiederholung, was sich beim zweiten Verspaar ereignet.


    Da das lyrische Ich retrospektivisch von seines „Lebens Wildnis“ spricht, greift die melodische Linie in ihrer bogenförmigen Entfaltung nun in höhere Lage aus, und das Klavier folgt ihr darin im Diskant zwar ebenfalls, nun aber in Gestalt von Einzeltönen und mit einer dazu in Kontrast tretenden, weil gegenläufig erfolgenden und klanglich gewichtigen Bewegung von Terzen im Bass. Und zwei Mal ereignet sich nun eine harmonische Rückung in den Moll-Bereich, die man aber nur als eine kurze, die vergangene Lebenswildnis reflektierende klanglich Eintrübung empfindet, zumal der melodische Sekundsprung auf dem zweiten Teil des Kompositums „hineingestrahlt“ in G-Dur harmonisiert ist.


    Aber erneut erweist sich die Liedmusik als ein typisches Schumann-Werk. Das Klavier will sich nicht mit dieser Rückkehr der Melodik in den Frieden und die Harmonie abfinden, wie sie sich in der Begegnung des lyrischen Ichs mit dem „Bildnis“ einstellt. Im viertaktigen Zwischenspiel lässt es im Gestus der Liedmusik der ersten Strophe einen auf dem ersten und dem dritten Taktschlag erfolgenden Fall von ausnahmslos chromatisch eingetrübten Akkorden erklingen, in den sich auf rhythmisierende Weise einzelne Achtel hineindrängen. Die Begegnung des lyrischen Ichs mit dem Marienbildnis ist eine, die keine objektiv betrachtende ist, sondern eine, die ganz und gar in die seelische Welt vergangener und gegenwärtiger Liebeserfahrung eingebettet ist und von daher ihren spezifischen Charakter bezieht. Und das Klavier will, darin der liedkompositorischen Intention Schumanns gehorchend, darauf zwischenspielmäßig hinweisen.


    Aber da sind die lieblich-zärtlichen, geradezu idyllischen, eine ganz und gar intakte Welt evozierenden lyrischen Bilder der dritten Strophe. Und so kehrt denn die Liedmusik in Melodik und Klaviersatz zum in der zweiten angeschlagenen Gestus zurück. Und das Großartige, tief Beeindruckende und die Größe dieser Komposition Ausmachende ist: Man empfindet das als eine Integration und darüber hinaus sogar als eine Potenzierung dessen, was die erste und die zweite Strophe zu sagen haben. Bei den Worten „Es schweben Blumen und Eng'lein / Um unsre liebe Frau“ beschreibt die melodische Linie drei Mal einen kleinen, jeweils mit einer Dehnung versehenen Bogen, der legato auszuführen ist, und dann, bei „unsre liebe Frau“, schwingt sie sich in eben diesem Gestus in höhere Lage auf, wobei nun dieser Bogen durch Einlagerung eines Sechzehntel-Sekundsprungs einen melismatischen Charakter annimmt. Bei den Worten „Blume“, „Englein“ und „Frau“ vollzieht die Harmonik eine Rückung von E-Dur nach a-Moll und verleiht dem melodischen Sekundfall, der auf ihnen liegt, die Anmutung von Zartheit und Lieblichkeit. Das Klavier greift in der Begleitung der Singstimme im Bass zwar auf die Oktaven der ersten Strophe zurück, lässt im Diskant aber einen klanglich zart klingenden Wechsel von Akkorden im Wert von halben Noten erklingen, denen jeweils ein Achtel nachfolgt. Und den melismatischen Bogen auf „unsre liebe Frau“ vollzieht es sogar mit, um ihn in seiner klanglichen Wirkung zu steigern.


    Beim dritten Vers wirkt die melodische Linie wie der Inbegriff von liebevoller Zärtlichkeit. Zwei Mal beschreibt sie einen dreifachen Terzfall, wobei der erste in eine Dehnung mündet, der zweite in eine Tonrepetition und der dritte aus einer neuerlichen Dehnung heraus erfolgt. Schumann intensiviert die klangliche Wirkung, die von dieser melodischen Figur ausgeht, indem er das Wort „Lippen“ wiederholen lässt und den Terzfall, der beim ersten Mal in tiefer Lage auf ihm lag, nun auf einer um eine ganz Oktave angehobenen tonalen Lage noch einmal erklingen lässt. Das Klavier begleitet diese zweimalige Fallbewegung der melodischen Linie mit einer ebenfalls fallend angelegten Folge von Terzen und Sexten, und die Harmonik beschreibt erst eine Rückung von a-Moll nach d-Moll, bei der Wiederholung aber eine von d-Moll nach C-Dur, so dass das Wort „Wänglein“ am Ende in Dur-Harmonik gebettet ist.


    In dieser Harmonisierung setzt auch die melodische Linie auf den Worten des letzten Verses ein. In ihrer ruhigen, in einem Auf und Ab von deklamatorischen Sekundschritten erfolgenden Entfaltung auf sich langsam absenkender tiefer Lage reflektiert sie die Tatsache, dass das lyrische Ich das Bekenntnis, die Züge der Geliebten in jenen Marias wiedergefunden zu haben, in geradezu sachlich konstatierendem Gestus an die verzückte Beschreibung des Bildnisses anhängt. Es ist im Grunde eine Ungeheuerlichkeit, was hier geschieht, aber sie kommt lyrisch-sprachlich einfach und bescheiden daher. Das lyrische Ich will sie nicht als solche verstanden und aufgefasst wissen, und Schumann drückt dies in eben dieser sich von der vorangehenden emphatischen Melodik deutlich abhebenden Vokallinie aus, die sich in kleinen, sich nur um eine Sekunde erhebenden Bogenbewegungen ritardando in tiefe Lage absenkt und dort in einer Dehnung endet.


    Aber bemerkenswert ist: Diese Dehnung liegt auf einem „Dis“, und sie ist in H-Dur, der Dur- Dominante zur Grundtonart e-Moll harmonisiert. Das ist ein offener Schluss der Melodik, und die Liedmusik will damit bekunden: Es ist noch nicht alles gesagt zu dem, was das lyrische Ich gerade bekundet hat. Und es ist, Schumanns liedkompositorischem Grundkonzept entsprechend, das Klavier, das den hier noch gebotenen Kommentar gibt, in einem der Sache angemessenen, nämlich siebzehntaktigen Nachspiel.
    Im Gestus der ersten Liedstrophe setzt es ein, mit den schweren, den ganzen Takt einnehmenden Oktaven im Bass und einer Folge von Achteln und punktierten Vierteln im Diskant, in der sich die Melodik dieser Strophe abzeichnet. Dann aber senkt dich das alles, als wenn diese Melodik mehr und mehr zerbrechen würde, in chromatische Tiefen ab, um am Ende, wenn dieser stockend rhythmisierte Fall im Ritardando die tonale Ebene eines tiefen „Ais“ erreicht hat, mit einem nur kleinen Sekundsprung über die Dominante H-Dur zu einem fermatierten e-Moll-Akkord zu finden.


    Wie soll man das auffassen und verstehen?
    Will das Klavier, weil Schumann seinen Heine hier so verstanden hat, mit seinem so markant rhythmisierten Auftritt und dem Abgang am Ende sagen, dass die Erfahrung der Wiederkehr der lieblichen Madonna im Bild der Geliebten, wie sie das lyrische Ich im letzten Vers zum Ausdruck bringt, eine sehr wohl gültige und berechtigte ist?
    Man kann das durchaus so verstehen.

  • Was an Heines Text schwer zu verstehen ist und mich an diesem Lied immer am meisten interessierte - wie kam Heine auf die Formulierung »Auf gold´nem Leder gemalt ...«?
    Bei jedem Liederabend taucht vor meinem geistigen Auge stets Stefan Lochners »Madonna im Rosenhag« auf, weil die letzte Liedstrophe so schön passt, aber Lochners Bild war meines Wissens nie im Kölner Dom, und er hat es auf Holz gemalt ...

  • Zu Deiner Frage, lieber hart:


    Heines Gedicht nimmt Bezug auf ein Bild Stefan Lochners. Er malte es 1445 für die Ratskapelle St. Maria in Jerusalem in Köln. Im Jahre 1810 kam das Bild dann in den Kölner Dom, und Heine fühlte sich, als er davorstand, zu diesen Versen inspiriert. Es ist allerdings auf Holz gemalt. Wie Heine auf "Leder" kommt, ist mir auch nicht so recht erklärlich. Aus dem - zwangsläufig - großen Abstand, in dem er es sah, könnte der rauhe Untergrund aber durchaus den Gedanken "auf goldenem Leder gemalt" nahegelegt haben.


    Hier ein Link dazu:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Stefan_Lochner_003.jpg

  • Es ist aber dieses Bild Lochners, das vor meinem geistigen Auge erscheint ...
    Das passt exakt zum Text dieser Strophe, ist aber auf Holz gemalt.



    Es schweben Blumen und Eng'lein
    Um unsre liebe Frau;
    Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
    Die gleichen der Liebsten genau.

  • Das ist zwar ganz bestimmt nicht das Marienbild, in dem Heine, als er ihm im Dom zu Köln als Betrachter gegenüberstand, mit einem Mal das Antlitz seiner Geliebten aufscheinen sah. Aber es ist verständlich, dass es Dir, wie Du sagst, lieber hart, „vor Deinem geistige Auge erscheint“, wenn Du Schumanns Lied hörst. Diese Maria ist noch lieblicher als die auf dem Altarbild im Kölner Dom, und es schweben auch viel mehr Englein um sie herum. Und was mich stutzig macht: Hier sind auch die um sie schwebenden Blumen zu sehen, von denen Heine spricht. Auf dem Kölner Bild vermag ich sie nicht zu finden. Ob er doch, als er dieses Gedicht verfasste, Lochners Madonna im Rosenhag vor Augen hatte?


    Übrigens: Bei Robert Franz heißt es:
    „Im Dom, da steht ein Bidnis,
    Auf goldenem Grunde gemalt;“
    Er hat wohl, wie Du auch, Anstoß an dem „gold´nen Leder“ genommen, das ja, wie er wohl wusste, nicht den wirklichen Malgrund darstellt.


    Ich weiß nicht, ob Du seine Vertonung dieser Heine-Verse kennst. Aber ein Vergleich mit dem Schumann-Lied ist hochinteressant, in vielerlei Hinsicht aufschlussreich und wirft eine Menge Fragen auf, über die nachzudenken sich lohnt.
    Ich habe mich auf dieses Lied von Robert ja eingelassen und ließ meine Ausführungen dazu in die Feststellung münden:
    Den Einbruch der erotisch-sinnlichen Immanenz in die verklärte Transzendenz und die Verschmelzung von beiden, wie er sich bei Heine hier ereignet, vollzieht Robert Franz liedmusikalisch nicht mit.
    Eigentlich hatte ich vor, hier, in diesem Schumann-Thread, immer dann, wenn ein Heine-Gedicht vorliegt, das auch von Robert Franz in Liedmusik gesetzt wurde, eine vergleichende Betrachtung anzustellen. Aber meine Ausführungen zu den Schumann-Liedern haben inzwischen einen solchen Umfang angenommen, dass ich denke, ich sollte nicht übertreiben und mich mehr in Zurückhaltung hier im Forum üben.
    Und so beschränke ich mich denn für interessierte Leser auf die Bereitstellung eines Links:


    Robert Franz. Seine Lieder, in Auswahl vorgestellt und betrachtet

  • Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht,
    Ewig verlor'nes Lieb, ich grolle nicht.
    Wie du auch strahlst in Diamantenpracht,
    Es fällt kein Strahl in deines Herzens Nacht.
    Das weiß ich längst.


    Ich grolle nicht, und wenn das Herz auch bricht,
    Ich sah dich ja im Traume (Heine: Traum),
    Und sah die Nacht in deines Herzens Raume (Heine: Raum),
    Und sah die Schlang', die dir am Herzen frißt, -
    Ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist.
    Ich grolle nicht.


    Schumann hat durch Textwiederholungen und eine Umstellung Eingriffe in den Originaltext Heines vorgenommen. Die Worte „Das weiß ich längst“ hat er an die erste Strophe angehängt, den ersten Vers der ersten Strophe am Anfang der zweiten wiederholt und am Ende derselben „Ich grolle nicht“ angefügt. Die erste Strophe endet bei Heine mit dem vierten Vers, denn beide Strophen bestehen bei ihm aus vier, mit Paarreim verbundenen Versen, und der erste Vers der zweiten Strophe lautet: „Das weiß ich längst. Ich sah dich ja im Traum“. Es ist offensichtlich, und die Liedmusik lässt dies in aller Deutlichkeit vernehmen, dass es Schumann darum ging, die Aussage „ich grolle nicht“, die bei Heine im Kontext des Bildes vom „gebrochenen Herzen“ steht und mit den Anklagen gegenüber der Geliebten eine Begründung und Rechtfertigung erfährt, in eine exponierte Position zu bringen, dergestalt, dass an die Stelle des zweimaligen Auftauchens bei Heine ein sechsmaliges tritt. Er will das lyrische Ich, so wie er es in seiner Rezeption von Heines Lyrik aufgefasst und verstanden hat, liedmusikalisch als eines präsentieren, das sich in der permanenten Wiederholung der Worte „ich grolle nicht“ auf geradezu autosuggestiv anmutende Weise Selbstbewusstsein gegenüber einem Du aufbaut, das die eigene Liebe nicht erwidert, weil in seines „Herzens Raume“ Nacht herrscht.


    Seine Liedmusik bringt dies mit einer geradezu grobschlächtig-deklamatorisch angelegten Melodik und einem auf unnachgiebige Nachdrücklichkeit ausgerichteten, weil sich in permanenten Tonrepetitionen ergehenden Klaviersatz auf höchst eindrückliche Weise zum Ausdruck. Und weil auch in der Melodik das Prinzip der Repetition eine dominante Rolle spielt, wäre man fast geneigt, die Liedmusik Schumanns in diesem Fall als ein wenig grob gestrickt anzusehen. Vermutlich ist dies der Grund, weshalb Werner Oehlmann zu der Auffassung gelangte, dass die „Direktheit des Gefühlsausdrucks in der in der einfach, fast roh geformten Melodie“ und die „primitive Achtelbegleitung des Klaviers“ „heute nicht mehr zu überzeugen“ vermöchten. Er fügt freilich, damit den kompositorischen Rang des Liedes ansprechend, hinzu, dass „die Kraft der harmonischen, durch Ketten von Durchgangsdissonanzen hinfließenden Entwicklung“ „zu bewundern“ bleibe. (Reclams Liedführer, S.371/72)


    Nun ist allerdings ein herausragendes Merkmal dieses Liedes, dass es neben dieser Grob-Gestricktheit von Melodik und Klaviersatz eine hochkomplexe , in permanenten Fortschreitungen auf der Basis unaufgelöster Septakkordfolgen sich entfaltende Harmonik aufweist. Und ich denke, dass man dies bei einem Robert Schumann als ein ganz bewusst so angelegtes Neben- und Ineinander betrachten sollte. Wenn er dieses lyrische Ich Heines als ein hier ostentativ selbstbewusst und als gegenüber einem fragwürdigen Du sich selbst behauptend darstellen wollte, dabei aber sehr wohl weiß, dass hinter diesem grobschlächtig lauten, im musikalischen Forte und auf der klanglichen Basis der Grundtonart C-Dur erfolgenden Auftritt ein seelisch und gedanklich hochkomplexes Wesen steht, dann ist diese in ihren Fortschreitungen höchst unstabile Harmonik doch wohl als ein Infrage-Stellen dieses grundtonartlichen C-Durs und damit der Grobschlächtigkeit des mit der Parole „Ich grolle nicht“ auftretenden lyrischen Ichs zu verstehen. Schumann erweist sich, wie ich finde, hier wieder erneut als ein Liedkomponist, der mit seiner Musik im interpretatorischen Umgang mit dem lyrischen Text tief in dessen emotionale Dimensionen vorzudringen und diese zu erfassen vermag.


    Mit im Klavierbass mezzoforte ausgeführten Achtel-Akkordrepetitionen in C-Dur setzt das Lied ein. Die melodische Linie auf den Worten „ich grolle nicht“, die, ebenfalls mezzoforte vorgetragen, schon im ersten Takt einsetzt, wirkt mit ihrem doppelten Sekundfall in tiefer Lage und dem nachfolgenden Quartsprung, als würde sie in diese Akkordrepetitionen regelrecht einfallen, sich hineindrängen. Und der Quartsprung am Ende dieser Figur verleiht, da er in eine Dehnung mündet und mit einer Rückung in die Subdominante F-Dur verbunden ist, dem Wort „nicht“ einen starken, geradezu trotzig daherkommenden Akzent. Bei den Worten „und wenn das Herz auch bricht“ kommt durch den aus einer Tonrepetition hervorgehenden verminderten, in eine lange Dehnung mündenden und in f-Moll harmonisierten Quartsprung auf dem Wort „Herz“ eine Anmutung von Schmerzlichkeit in die melodische Linie, sie behält aber ihren konstatierenden Gestus bei, wie in dem zum C-Dur zurückkehrenden Terzfall auf den Worten „auch bricht“ vernehmlich wird. Eine halbtaktige Pause für die Singstimme folgt nach, und sie trägt mit dazu bei, dass sich der Eindruck einer für die Liedmusik gleichsam programmatischen Funktion dieser Melodiezeile einstellt.


    Und man sieht sich darin bestätigt dadurch, dass Schumann sie – abweichend von der strophischen Form des lyrischen Textes – am Anfang der zweiten Liedstrophe in unveränderter, also auch den Klaviersatz umfassender Gestalt wiederholt. In ihr drückt sich die Grundhaltung des lyrischen Ichs in seiner Liebe zum Du aus, wie sie sich nun in seiner inneren Entwicklung, wie sie Schumann in seinem Zyklus aus seinem Verständnis dieses Ichs liedmusikalisch darstellen will, eingestellt hat. Es ist die eines radikalen Bruchs. Und das ereignet sich liedmusikalisch in Gestalt einer im Gestus des markanten Konstatierens auftretenden Melodik, die vom Klaviersatz darin mittels beharrlich insistierender Akkordrepetitionen unterstützt wird. Auch die Harmonik geriert sich mit ihrem Beharren auf der Grundtonart C-Dur mit nur kurzer Rückung in die Subdominante als Unterstützerin. Nicht durchgehend freilich. Mit ihrer Rückung in den Bereich der chromatischen Verminderung will sie vernehmen lassen, dass dieses lyrische Ich in all seiner trotzig daherkommenden Selbstbehauptung ein leidendes ist.


    Und die programmatische Funktion dieser Melodiezeile erweist sich nun darin, dass sich diese das seelische Innenleben des lyrischen Ichs reflektierende Brechung des markant-konstatierenden deklamatorischen Grundtons der Melodik durch eine instabile, von der soliden und klaren Grundtonart C-Dur sich lösenden und im Gestus der Fortschreitung in die chromatische Verminderung vordingende Harmonik immer wieder aufs Neue ereignet. Gleich beim zweiten Vers der ersten Gedichtstrophe vernimmt man das auf eindringliche Weise. Schumann wiederholt, weil es ihm eben um dieses von tiefem Leid erfüllte Innenleben des Ichs geht, abweichend von Heine die Worte „Ewig verlor'nes Lieb“. Und er setzt dabei auch noch das kompositorische Mittel der Steigerung der liedmusikalischen Expressivität ein. Der melodische Sprung, der sich nun nach einer neuerlichen Tonrepetition bei dem Wort „verlor´nes“ über das größere Intervall einer Quinte ereignet, findet beim zweiten Mal auf einer um eine Quarte angehobenen, und die melodische Linie in hohe Lage führenden tonalen Ebene statt, und er ist überdies mit einer ausdrucksstarken harmonischen Rückung von der Grundtonart-Parallele a-Moll in die Subdominante d-Moll verbunden.


    Die melodische Fallbewegung, die nachfolgend auf den ebenfalls wiederholten Worten „ich grolle nicht“ liegt, entfaltet große Expressivität, weil sich sie sich, auf der tonalen Ebene ansetzend, auf der die Dehnung auf dem Wort „Lieb“ liegt und damit unmittelbar an sie anschließend, in identischer Gestalt auf einer um eine Quinte abgesenkten Ebene wiederholt und in tiefer Lage endet. Das Wort „grolle“ trägt dabei jeweils eine lange Dehnung. Aber es wohnt diesem doch beachtlichen, weil sich insgesamt über das Intervall einer Septe erstreckenden Fall keine Schmerzlichkeit inne. Er ist durchweg in G-Dur harmonisiert, und am Ende, auf dem letzten, in eine Dehnung mündenden Sekundfall zu dem Wort „nicht“ hin, ereignet sich, wie um die Aussage zu bekräftigen, eine harmonische Rückung in die Grundtonart C-Dur.


    Die Liedmusik auf den drei nachfolgenden Versen reflektiert in ihrer stark von Tonrepetitionen auf ansteigender tonaler Ebene geprägten Melodik die Tatsache, dass das lyrische Ich hier zum Gestus der anklagenden Ansprache an das Du übergegangen ist. Auf den Worten „wie du auch strahlst“ und „es fällt kein Strahl“ liegt jeweils die gleiche melodische Bewegung, nämlich eine dreifache deklamatorische Tonrepetition mit nachfolgendem, in eine Dehnung mündendem Quartsprung. Aber beim zweiten Mal setzt sie um eine verminderte Sekunde angehoben an, was mit einer harmonischen Rückung vom anfänglichen a-Moll nach h-Moll verbunden ist und eine markante Steigerung der Expressivität mit sich bringt.
    Es sind gravierende Vorwürfe, die das lyrische Ich hier erhebt, und die Liedmusik lässt die Nachdrücklichkeit vernehmen, in der das geschieht. Und von daher ist es nur konsequent, dass die melodische Linie dieses Prinzip der Wiederholung ihrer Bewegungen auf tonal angehobener Ebene bei den Worten „in Diamantenpracht“ und „in deines Herzens Nacht“ erneut zur Anwendung bringt und bei den Worten „das weiß ich längst“ schließlich mit einer ritardando auszuführenden deklamatorischen Tonrepetition in einer langen, nun endlich mit einer harmonischen Rückung von h-Moll nach G-Dur verbundenen Dehnung endet.


    Dieser Schluss der ersten Liedstrophe, der ja von Schumann durch eine Übernahme von Worten aus dem ersten Vers der zweiten Gedichtstrophe zustande kommt, bringt in dieser seiner liedmusikalischen Gestalt stärker, als dies Heine mit seinen lyrischen Worten intendierte, die Haltung einer fast schon trotzig anmutenden Selbstbehauptung des lyrischen Ichs zum Ausdruck. Und bezeichnend ist, dass er in der Dominante harmonisiert ist, die sich in den während der langen melodischen Dehnung auf dem Wort „längst“ erklingenden Akkordrepetitionen modulatorisch zur Dominantsepte erweitert. Auf diese Weise öffnet sich die Liedmusik zur Wiederholung des in der Grundtonart C-Dur harmonisierten programmatischen Eingangsverses und bekundet darin eben dieses Bild vom lyrischen Ich, wie es Schumann aus Heines Gedicht herausgelesen hat.


    Die melodische Linie auf den Versen „Ich sah dich ja im Traume / Und sah die Nacht in deines Herzens Raume“ ist, mit Ausnahme der durch den lyrischen Text bedingten deklamatorischen Schritte und kleinen Dehnungen in ihrer Grundstruktur und ihrer Harmonisierung (a-Moll, d-Moll) mit der auf dem zweiten und dritten Vers der ersten Strophe identisch und entfaltet ihre Expressivität vor allem durch den aus den Tonrepetitionen hervorgehenden Quartsprung, der bei der Wiederholung auf einer um eine Quarte angehobenen tonalen Ebene erfolgt, was den Worten „Herzens Raume“ eine starke Eindringlichkeit verleiht. Das durch ihren insistierenden Gestus der deklamatorischen Tonrepetition innewohnende Ausdruckspotential wird von Schumann nun bei den Versen vier und fünf seiner zweiten Liedstrophe genutzt, um der Liedmusik eine außerordentlich hohe Expressivität zu verleihen.


    Bei den Worten „und sah die Schlang´, die dir am Herzen frißt“ verharrt die melodische Linie repetierend in sieben deklamatorischen Schritten auf der Ebene eines hohen „D“ und beschreibt dann zu dem Worten „Herzen“ hin einen äußerst expressiven, weil in die Lage eines hohen „A“ führenden Quintsprung, wo sie sich einer kleinen Dehnung überlässt, um dann bei dem Wort „frißt“ mit einem Sekundfall in eine neuerliche Dehnung überzugehen, die, um die Schmerzlichkeit des Bildes zum Ausdruck zu bringen, in g-Moll harmonisiert ist. Weil sich die melodische Linie bei den Worten „Ich sah, mein Lieb, wie sehr du elend bist“ erneut um eine Sekunde absenkt und sich wieder in permanenten, in verminderte Harmonik gebetteten Tonrepetitionen entfaltet, kommt ein eindringlich-bitterer Ton in die Liedmusik, der aber dann durch die Feststellung des Elend-Seins mit der Harmonisierung des doppelten melodischen Sekundfalls abgemildert wird. Das wiederholte „ich grolle nicht“ weist dieses Mal, anders als bei seinem ersten Auftreten in der ersten Strophe, in seiner melodischen Gestalt und seiner Harmonisierung die Anmutung einer definitiven Feststellung auf. Beim ersten Mal folgt auf eine neuerliche Tonrepetition ein in eine Dehnung mündender Sekundfall, wobei die Harmonik eine Rückung von der Dominant-Septe von „E“ nach F-Dur beschreibt.


    Bei der Wiederholung ereignet sich die Repetition eine Terz tiefer, und nun geht die melodische Linie mit einem Quintfall und einer harmonischen Rückung von der Dominante in die Tonika zum Grundton C in tiefer Lage über und überlässt sich dort einer langen, das Taktende überschreitenden Dehnung, derweilen das Klavier bitonale Quinten erklingen lässt, die sich im viertaktigen Nachspiel erst zu Oktaven, dann zu dreistimmig-repetierenden Akkorden erweitern und am Ende in einem Fall einer Sexte, einer Terz und eines Einzeltons in einen G-Dur-Akkord münden, dem ein C-Dur-Schlussakkord nachfolgt.
    Das Klavier unterstreicht damit die in der Melodik am Ende zum Ausdruck gebrachte Entschlossenheit des lyrischen Ichs.

  • Und wüßten's die Blumen, die kleinen,
    Wie tief verwundet mein Herz,
    Sie würden mit mir weinen,
    Zu heilen meinen Schmerz.


    Und wüßten's die Nachtigallen,
    Wie ich so traurig und krank,
    Sie ließen fröhlich erschallen
    Erquickenden Gesang.


    Und wüßten sie mein Wehe,
    Die goldnen Sternelein,
    Sie kämen aus ihrer Höhe,
    Und sprächen Trost mir ein.


    Sie (Heine: Die) alle können's nicht wissen,
    Nur Eine kennt meinen Schmerz;
    Sie hat ja selbst zerrissen,
    Zerrissen mir das Herz.


    Es ist das aus dem verwundeten Herzen und dem tiefen seelischen Weh des lyrischen Ichs heraus erfolgende Ansprechen von heilen, zarten, dem Menschen Freude und Trost spendenden Gebilden der Außenwelt, von dem dieses Gedicht in drei von seinen vier Strophen wesentlich geprägt ist. Es erfolgt freilich im sprachlichen Konjunktiv, und darin bekundet das lyrische Ich das Bewusstsein dass sich die Erfahrung einer von außen kommenden tröstlichen Zuwendung nicht ereignen wird. Und so entfaltet denn die indikativische Aussage des letzten Verses die Härte, mit der die Realität den Wunschbildern allemal entgegentritt. Der nüchtern konstatierende Gestus der beiden Schlussverse steht in einem harten Kontrast zur Zartheit und Lieblichkeit der lyrischen Bilder, von denen der größte Teil des Gedichts lebt.


    Schumann hat mit dieser Wahl des zweiundzwanzigsten Gedichts aus dem „Lyrischen Intermezzo“ als unmittelbare Nachfolge von „Ich grolle nicht“ (Nr.18) drei Gedichte übersprungen, darunter „Das ist ein Flöten und Geigen“, was deutlich macht, dass es ihm in seinem Liederzyklus um das liedmusikalische Aufzeigen einer inneren Entwicklung des lyrischen Ichs in seiner liebeerfüllten Beziehung zum Du geht. Nach dem selbstbewussten, musikalisch fast grob auftretenden und den Bruch mit dem Du verkündenden lyrischen Ich begegnet man hier nun einem, das sich nach Trost und heiler Welt sehnt und diesen Bruch in tiefer Verbitterung und im Rückzug in monologische Einsamkeit zum Ausdruck bringt. Und wie das durchweg der Fall ist, akzentuiert und intensiviert die Liedmusik auch in diesem Lied, darin die Tiefen von Semantik und Metaphorik auslotend, die lyrische Aussage und verstärkt in diesem Fall den Kontrast, der sich im lyrischen Text zwischen den ersten drei Strophen und der letzten ereignet, dergestalt dass auf eine geradezu lieblich-idyllisch anmutende Liedmusik eine folgt, die in schroffe und harte Klanglichkeit ausbricht und darin, vor allem in der schweifenden Chromatik des Nachspiels, ein wenig an Schumanns „Kreisleriana“ erinnert.


    Formal betrachtet handelt es sich in diesem Fall um ein variiertes Strophenlied, dem ein Zweivierteltakt zugrunde liegt und das in a-Moll als Grundtonart steht. Dass die ersten drei Strophen in Melodik, Klaviersatz und Harmonik weitgehend identisch sind, ist liedkompositorisch nur konsequent, erfolgt doch das konjunktivische Ansprechen der seelischen Außenwelt von Blumen, Nachtigallen und „Sternelein“ aus der gleichen Grundhaltung des lyrischen Ichs heraus. Die letzte Strophe erzwingt freilich geradezu eine Abkehr von dieser die ersten drei Strophen beherrschenden Liedmusik, und Schumann hat diese, darin seiner liedkompositorischen Intention folgend, in einer Weise vollzogen, die in ihrer Radikalität auf markante Weise über das hinausgeht, was der lyrische Text als solcher nahelegt. Es ist von daher durchaus wahrscheinlich, dass das Ersetzen des Wortes „die“ durch „sie“ kein Versehen ist, sondern von ihm ganz bewusst vorgenommen worden ist. Es schafft, indem es mit dem pluralen Personalpronomen „sie“ die Bindung zwischen der letzten und den drei vorangehenden Strophe stärker abschwächt, eine lyrisch-sprachliche Grundlage für ihr sich von der vorangehenden auf schroffe Weise distanzierendes liedmusikalisches Eigensein.


    Die Liedmusik der ersten drei Strophen begegnet ihren Hörern wie der Inbegriff einer geradezu Entzücken hervorrufenden Lieblichkeit. Zweimal beschreibt die melodische Linie auf den ersten beiden Versen eine Fallbewegung in Gestalt partiell repetierender und in Sekundintervallen erfolgender Sekundschritte. Das Klavier begleitet sie dabei mit einer Folge von Figuren, bei denen im Auf und Ab von Zweiunddreißigsteln die Terz, die Quarte und die Sexte eine dominante Rolle einnehmen, so dass sich ein überaus filigraner klanglicher Raum für ihre Entfaltung bildet. Die beiden Melodiezeilen sind sich in ihrer Grundstruktur zwar ähnlich, Schumann setzt die zweite aber auf bedeutsame Weise von der ersten ab. Er lässt sie nicht nur auf einer um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene ansetzen, er modifiziert darüber hinaus auch ihre Struktur und ihre Harmonisierung, und dies in der musikalischen Interpretation der lyrischen Aussage. Bei den Worten – um von der ersten Strophe auszugehen – „Wie tief verwundet mein Herz“ schwächt er den markanten, sich aus der permanenten Tonrepetition ergebenden Fall ein wenig ab und lässt die melodische Linie durch eine kleine Dehnung bei „tief“ und einen Sekundfall bei „verwundet“ sich gleichsam fließender absenken. Und außerdem ist sie nun, nach dem a-Moll der ersten Zeile, im Tongeschlecht Dur harmonisiert, mit einer markanten Rückung vom anfänglichen F-Dur nach B-Dur bei den Worten „mein Herz“. Dem Bekenntnis des lyrischen Ichs, seine seelische Befindlichkeit betreffend, wird auch diese Weise starker Nachdruck verliehen.


    Bei den beiden nachfolgenden Versen wirkt die Liedmusik, als würde sie die lyrisch-konjunktivischen Aussagen der beiden ersten aufgreifen und sie inhaltlich füllen und erläutern. Denn die melodische Linie beschreibt nun keine in hoher Lage ansetzende und sich darin sogar noch steigernde Fallbewegung mehr, sondern entfaltet sich zunächst, also bei den Worten „sie würden mit mir weinen“, in Gestalt von deklamatorischen Sekund- und Terzschritten in mittlerer tonaler Lage, und dies in E-Dur-Harmonisierung, der Dominante zur Grundtonart a-Moll. Aber schon am Ende dieses Verses bleibt es nicht dabei. Es ist das Wort „weinen“ , das eine Abkehr von diesem melodischen und harmonischen Gestus bewirkt. Die Seelenlage des lyrischen Ichs drängt sich wieder in die Liedmusik, und so beschreibt denn die melodische Linie zu dem Wort „weinen“ hin einen Sekundsprung, verharrt dort in einer, nun wieder in Moll (a-Moll) gebetteten Tonrepetition, um danach beim letzten Vers dieser ersten Strophe“, auf dieser tonalen Ebene ansetzend, erneut eine Fallbewegung im Gestus der beiden ersten Melodiezeilen zu beschreiben, jenem von in Sekunden fallenden deklamatorischen Tonrepetitionen also. Und weil es eben um das Bekenntnis des Seelenschmerzes des lyrischen Ichs geht, ist die melodische Linie auch hier, wie die auf dem zweiten Vers, in Dur (E-Dur) harmonisiert, das aber beim melodischen Sekundsprung zu dem Wort „Schmerz“ hin wieder von der den musikalischen Geist dieses Liedes verkörpernden Grundtonart a-Moll verdrängt wird.


    Es ist die zwischen Klage und Anklage permanent oszillierende Grundhaltung des lyrischen Ichs, so wie Schumann es sieht und liedkompositorisch verstanden wissen will, die sich in dieser Struktur der Melodik und ihrer Harmonisierung auf der klanglichen Grundlage eines sich in flirrend-lieblicher Klanglichkeit entfaltenden Klaviersatzes bei den ersten drei Strophen niederschlägt. Bei der vierten und letzten Strophe nimmt es mit dieser Klanglichkeit ein hartes und geradezu schroffes Ende. Bei den Worten „Sie alle können´s nicht wissen“ beschreibt die melodische Linie wieder die Fallbewegung, die auf allen ersten Versen der vorangehenden drei Strophen liegt. Sie ist nun aber nicht in a-Moll, sondern in A-Dur harmonisiert, das beim Einsatz der nächsten Melodiezeile auf den Worten „Nur Eine kennt meinen Schmerz“ eine kurze Rückung nach d-Moll vollzieht, das aber alsbald von B-Dur und im kurzen Zwischenspiel von C-Dur abgelöst wird. Auch hier ist die melodische Fallbewegung strukturell identisch mit der auf den vorangehenden zweiten Strophenversen, sie setzt allerdings nun nicht auf einer um eine Sekunde angehobenen, sondern um eben eine solche abgesenkten tonalen Ebene ein, und das verleiht ihr die Anmutung eines stärkeren In-sich-gekehrt-Seins des lyrischen Ichs.


    Das ist aber nur für einen Augenblick der Fall, Denn was das Ich dort vorfindet, ein zerrissenes Herz nämlich, veranlasst es zu einem deklamatorisch schroffen Ausbruch in bittere Klage. Bei den Worten „sie hat ja selbst zerrissen“ bleibt die melodische Linie zunächst beim Gestus der Tonrepetition, geht jedoch dabei zweimal zu Dehnungen auf den Worten „hat“ und „selbst“ über, und danach erfährt das Wort „zerrissen“ durch einen verminderten Sekundfall und -sprung und die Tatsache, dass das Klavier mit einem Mal von seinen Zweiunddreißigstel-Figuren ablässt und den verminderten Sekundsprung auf den Silben „-rissen“ mit zwei Staccato-Akkorden begleitet, wovon der eine ein ebenfalls verminderter, der andere eine in F-Dur ist, eine starke Akzentuierung, die es, auch weil hier ein Crescendo vorgeschrieben ist, klanglich regelrecht herausragen lässt. Und die Sechzehntel-Pause, die nachfolgt, verstärkt noch diesen Eindruck, dass die Liedmusik hier regelrecht ins Stocken geraten ist, - Ausdruck der tiefen Erbitterung, in der sich das lyrische Ich in diesem Augenblick wiederfindet.


    Und auch die letzte Melodiezeile will wohl so verstanden werden. Sie soll ritardando vorgetragen werden. Auf dem Wort „zerrissen“ liegt nun eine Tonrepetition aus einem auftaktigen deklamatorischen Sechzehntel, einem nachfolgenden gedehnten, weil punktierten Achtel und einem neuerlich verminderten und wieder in ein Sechzehntel mündenden Sekundfall, wobei das Klavier wieder jeden dieser deklamatorischen Schritte und auch die nachfolgende Kombination aus Sekundfall und „-sprung auf den Worten „mir das Herz“ mit dreistimmigen Akkorden und einem Einzel-Sechzehntel in markant-akzentuierender Weise begleitet. Die Harmonik vollzieht dabei eine Rückung von der verminderten Tonart „B“ nach a-Moll, und auch sie trägt zu der hohen Expressivität, die die Liedmusik bei den beiden letzten Melodiezeilen entfaltet, in der Weise bei, dass sie bei den beiden letzten deklamatorischen Schritten, dem Sekundsprung in mittlerer Lage auf den Worten „das Herz“, erst eine kurze Rückung in die Dominante E-Dur beschreibt, der dann aber sofort wieder ein das Wort „Herz“ betreffendes a-Moll nachfolgt.


    Und was sich nun unmittelbar danach ereignet, im sechstaktigen Nachspiel nämlich, ist ein geradezu furioser, zweimal nach oben ausbrechender, danach wieder zurückfallender und sforzato ausgeführter Sturm von Sechzehntel-Triolen in Gestalt permanenter Sprünge auf und ab, wobei die Harmonik, mit einem „A“ als Orgelpunkt, von der Tonika a-Moll aus nach der Subdominante d-Moll und der Dominante E-Dur ausgreift, um schließlich in einer einsamen A-Oktave im Bass zu enden.
    Schumann nutzt hier, wie er das in seinen Liedkompositionen so gerne tut, das Klavier zur klanglichen Evokation der seelischen Innenwelt seines lyrischen Ichs, - und das auf höchst beeindruckende Weise.

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  • Das ist ein Flöten und Geigen,
    Trompeten schmettern darein (Heine: drein);
    Da tanzt wohl (Heine: ohne „wohl“) den Hochzeitsreigen
    Die Herzallerliebste mein.


    Das ist ein Klingen und Dröhnen,
    Ein Pauken und ein Schalmei'n;
    (Heine: Von Pauken und Schalmei´n)
    Dazwischen schluchzen und stöhnen
    Die lieblichen (Heine: guten) Engelein.


    Bitterer Sarkasmus bleibt dem lyrischen Ich nur, - bei diesem Erlebnis des „Hochzeitreigens“ seiner „Liebsten“, das sich auf rein akustische Erfahrungen beschränkt, da es sich aus der Situation des Draußen-Seins ereignet. Es kann aus dieser Distanz eines Ausgesperrten ein „Flöten und Geigen“ und das Schmettern von Trompeten vernehmen. Und Schumann, der in diesen lyrischen Text Heines stark eingegriffen hat, verstärkt diese existenzielle Erfahrung des Draußen-Seins dadurch, dass er das „Klingen und Dröhnen“ nicht, wie das bei Heine der Fall ist, kausal an die „Pauken und Schalmei´n“ bindet, sondern zu einem nicht näher definierbaren Geräusch werden lässt. Das verrät die kompositorische Intention, die seinem Lied zugrundeliegt schon vom Text her. Und das ist, neben den vielen Wiederholungen, die er vornimmt, auch bei der letzten Abänderung des Heine-Texts der Fall: Dem Ersetzen der „guten Engelein“ durch „liebliche“. Dem lyrischen Ich bleibt bei Heine in dieser seelisch tief verletzenden Erfahrung nur noch, auf sprachliches Benennen derselben zu verzichten und sich in die ironische Imagination zu flüchten, dass „gute Engelein“ an diesem Hochzeits-Klingen und –Dröhnen mit „Schluchzen und Stöhnen“ beteiligt sein könnten, - die eigene Situation des Beobachters von draußen in all ihrer Schrecklichkeit sozusagen stellvertretend reflektierend. Und dieses lyrische Bild intensiviert Schumann in seinem schmerzlichen Sarkasmus zum Ausdruck bringenden Gehalt dadurch, dass er aus den „guten“ „liebliche“ Engelein macht.


    Und hört man daraufhin sein Lied, so erfährt man die Sinnhaftigkeit all dieser doch recht weit gehenden Eingriffe in die zugrundeliegende Lyrik Heines: Man begegnet einer Liedmusik, die in dem geradezu irrwitzig anmutenden Taumel ihres tänzerischen sich um sich selbst Drehens nicht nur die reale Situation, sondern auch die existenzielle Befindlichkeit des lyrischen Ichs darin erfasst und beides in einer Tiefe auslotet, die weit über die direkte lyrische Aussage hinausgeht, indem sie am Ende die schmerzliche Imagination, in die sich das lyrische Ich gesteigert hat, im Klavier-Nachspiel regelrecht zusammenbrechen lässt und mit der Mündung der wesenhaft vom Tongeschlechts Moll und der permanenten Modulation und Brechung eines sich hineindrängenden Durs geprägten Harmonisierung der melodischen Linie in reines D-Dur der realen Situation des lyrischen Ichs musikalischen Ausdruck verleiht. Nicht ohne Grund hat sich Dietrich Fischer-Dieskau bei diesem Nachspiel an Mahlers Lied „Des Antonius von Padua Fischpredigt“ erinnert gefühlt. Aber diesem geht die Schmerzlichkeit des existenziell relevanten Zusammenbruchs ab, die Schumanns Nachspiel so tief beeindruckend macht.


    In einem auftaktigen Sechzehntel-Sekundsprung setzt das Klavier im sechstaktigen Vorspiel mit einer Folge von Sechzehntel-Figuren ein, die sich aus mittlerer in hohe Lage emporsteigern, dort einen Fall beschreiben, dann im permanentem Fließen erneut ansteigen, um dann wieder in eine Fallbewegung überzugehen. Das Klavier begleitet das mit einer auf der Grundklage eines Dreiachteltakts tänzerisch wirkenden Figur aus einem Achtel und einer Folge von zwei Sechzehntel- und einem Achtel-Akkord, im raschen Walzerrhythmus also. Das ist die Struktur des Klaviersatzes über die ganze Liedmusik hin, wobei die Sechzehntel-Folgen im Diskant neben dieser Figur, mit der sie im Vorspiel einsetzen, auch wellenlinienhafte Bewegungen in mittlerer Lage beschreiben und daraus mit einem Mal in einen rasanten Aufstieg über zwei Oktaven mit unmittelbar nachfolgendem Fall beschreiben können. Es ist ein wahrer klanglicher Wirbel, den das Klavier in diesem Lied entfaltet, und da dies ohne jegliche Unterbrechung und unter permanenter harmonischer Modulation auf der Grundlage von ebenso pausenlosen Walzer-Rhythmen geschieht, mutet all das wie ein aberwitzig zielloses Um-sich-selbst-Kreisen der Liedmusik an, in dem sich die melodische Linie auf eigenständige Weise zu entfalten versucht, ohne dass sie dabei ihrer Aussage das angemessene Gewicht zu verleihen vermöchte. Das Klavier dominiert die Liedmusik ganz und gar, und die vier Mal sich ereignenden Wiederholungen in der Deklamation von lyrischem Text wirken so, als versuche die melodische Linie sich auf diese Weise dagegen zu behaupten, ohne dabei allerdings großen Erfolg zu haben.


    Der nicht abreißen wollende Walzer-Tanzrhythmus imaginiert zwar das dem lyrischen Text zugrundeliegende Bild vom „Hochzeitsreigen“, aber die auf dieser klanglichen Basis sich entfaltende Liedmusik geht funktional weit darüber hinaus: Sie erweist sich als hochgradig differenzierter Niederschlag all der seelischen Regungen, die sich beim lyrischen Ich in dieser Erfahrung des sich um die Geliebte drehenden Hochzeitsgeschehens einstellen. Es muss ein tief verstörender Wirbel von Gedanken und Empfindungen sein, dem das lyrische Ich hier ausgesetzt ist, und eben das will die Liedmusik mit ihrem sie ganz und gar dominierenden und ziellos durch den tonalen Raum und die Harmonik wirbelnden Klaviersatz zum Ausdruck bringen.


    Ist es nur der Tatsache geschuldet, dass sich die melodische Linie auf der Grundlage und im klanglichen Raum des wirbeligen Klaviersatzes entfaltet, wenn sie den Eindruck macht, als wohne ihr die Anmutung von Mattigkeit und Resignation inne?
    Wenn man bedenkt, welch tief verstörende Erfahrung das lyrische Ich in dieser Situation macht, dann mutet es seltsam an, dass der melodischen Linie in ihrer deklamatorischen Entfaltung ebenfalls ein Dreiachtel-Rhythmus zugrundliegt und dass ihr jeglicher Gestus eines Sich-Aufbäumens in Gestalt expressiver und sprunghafter, im Auf und Ab über größere Intervalle sich erstreckender Bewegung abgeht. Allen Melodiezeilen liegt der Gestus zugrunde, mit dem die Liedmusik auf den beiden ersten Versen der ersten Strophe einsetzt: Nach einer rhythmisierten Tonrepetitionen erst auf einer mittleren, dann auf einer um eine Sekunde, eine Terz oder eine Quarte angehobenen tonalen Ebene ereignet sich ein gedehnter oder in eine Dehnung mündender Fall. Und anschließend wiederholt sich diese Bewegung noch einmal auf tieferer tonaler Ebene. Durchweg aber ist die melodische Linie geprägt von Tonrepetition auf zwei, nicht weit voneinander liegenden tonalen Ebenen und nachfolgendem Fall.


    Und eben dieses bewirkt, eben weil es sich permanent wiederholt und dabei die lyrische Aussage in wie eingeschränkt anmutender Weise reflektiert, diesen Eindruck von seelischer Mattigkeit und Resignation des lyrischen Ichs. Auf dem ersten Vers beider Strophen liegt die gleiche melodische Bewegung. Aus einer Tonrepetition in mittlerer Lage erfolgt über einen Quartsprung eine solche in oberer Mittellage, wobei die Harmonik von A-Dur nach d-Moll rückt. Danach ereignet sich zu dem Wort „Geigen“, bzw. „Dröhnen“ hin ein Terzsprung zum höchsten Ton des Lieds (einem „F“), dem ein gedehnter und auf der zweiten Silbe des Wortes in ein A-Dur mündender Sekundfall nachfolgt. Auch auf dem zweiten Vers (der im zweiten Fall eine Wiederholung des ersten darstellt) ereignet sich bei beiden Liedstrophen, den Worten „Trompeten“ , „Klingen und Dröhnen“ geschuldet, noch einmal diese von einem Quartsprung geprägte Bewegung. Aber auch hier geht das in eine im Dreiachteltakt rhythmisierte Tonrepetition mit einem in eine Dehnung mündenden Sekundfall am Ende über.


    Und dass Schumann dieses lyrische Ich wohl so verstanden und aufgefasst haben will, dass es in stillem Sich-Einfinden in die Situation, wie es die Übernahme des Tanzrhythmus in die melodische Linie zum Ausdruck bringt, das Geschehen in duldsam leidender Weise resignierend hinnimmt, das lässt sich daraus entnehmen, dass sich in der dritten Melodiezeile beider Strophen, also auf der Wiederholung der Worte „Trompeten schmettern darein“ und dem zweiten Heine-Vers „Ein Pauken und ein Schalmei´n“, die rhythmisierte melodisch-deklamatorische Tonrepetition mit nachfolgendem Fall noch einmal ereignet, - nun aber auf einer um eine Terz abgesenkten tonalen Ebene und am Ende in einen ausdrucksstarken, in die tiefe Lage eines „C“ führenden und mit einer Rückung von g-Moll nach C-Dur verbundenen Septfall mündend. Und in beiden Fällen lässt das Klavier ein aus einer aufschießenden Sechzehntel-Kette hervorgehendes fünftaktiges Zwischenspiel erklingen, bei dem es mit seinen Sechzehnteln auf wellenartiger Linie in mittlerer tonaler Lage verbleibt, als wolle es, auch in der zwischen g-Moll und D-Dur wechselnden Harmonisierung, diesen von seelischer Mattigkeit erfüllten Gestus der melodischen Linie aufgreifen und reflektieren.


    Auf dem dritten Vers beider Gedichtstrophen liegt die gleiche melodische Linie. Sie ist wieder von Tonrepetitionen geprägt, die auf der tonalen Ebene eines tiefen „D“ ansetzen, mit einem Quartsprung in mittlere Lage übergehen und nach einem Terzsprung einen gedehnten Sekundfall beschreiben, so dass die Worte „Hochzeitreigen“ und „stöhnen“ einen Akzent erhalten, zumal hier die Melodik eine Rückung vom vorangehenden g-Moll nach D-Dur beschreibt. Beim vierten Vers tritt wieder der Fall ein, dass bei der zweiten Liedstrophe die Wiederholung des dritten Gedichtverses („Dazwischen schluchzen und stöhnen“)
    an seine Stelle tritt. Das aber hat zur Folge, dass die melodische Linie, die sich zunächst in ihren deklamatorischen Schritten wiederholt, am Ende eine markante Variation erfährt. Auf den Worten „herzallerliebste mein“ liegt eine rhythmisierte Tonrepetition mit nachfolgendem Terzsprung, neuerlicher Repetition und anschließendem Quartfall, wobei die Sechzehntel im Klavierdiskant in hohe Lage emporsteigen und eine zweifach abgestufte Fallbewegung beschreiben, was der Aussage der Melodik einen starken Nachdruck verleiht. Die Harmonik macht dabei eine expressive Rückung von g-Moll nach F-Dur. Bei der Wiederholung der Worte „Dazwischen schluchzen und stöhnen“ findet nun der Terzsprung nicht statt. Stattdessen verharrt die melodische Linie auf der tonalen Ebene des „B“, in die sie auch hier, wie bei der ersten Strophe, mit dem anfänglichen Terzsprung übergegangen ist, und ergeht sich hier in fünffacher, einmal kurz rhythmisierter Tonrepetition, bevor dann bei „stöhnen“ ein Terzfall mit neuerlicher Tonrepetition nachfolgt. Das lyrische Bild erhält durch diesen gleichsam insistierenden Gestus der melodischen Linie eine starke musikalische Ausdruckskraft.


    Der Wiederholung der Worte „Die Herzallerliebste mein“ in der ersten Liedstrophe entspricht in der zweiten der letzte Vers der zweiten Gedichtstrophe. Entsprechen heißt: Melodische Linie, Klaviersatz und Harmonik sind identisch. Weil das Ausdruck der Grundhaltung des lyrischen Ichs ist, so wie Schumann es dem lyrischen Text Heines entnimmt, ist auch hier die melodische Linie vom deklamatorischen Gestus der Tonrepetition geprägt: Sie setzt mit einem Sekundfall ein, ergeht sich in fünffacher, durch kleine Dehnungen rhythmisierter Repetition und endet mit einem in eine Dehnung mündenden Sekundfall, bei dem die Harmonik eine Rückung vom anfänglichen Es-Dur nach F-Dur vollzieht. Es ist also die Dur-Parallele zur Grundtonart d-Moll, in der die melodische Linie am Ende harmonisiert ist.


    Wie will das verstanden werden?
    Kommt das lyrische Ich in seinem schmerzlichen, von Sarkasmus begleiteten Sich-Hineinsteigern in die Imagination einer Hochzeit seiner Geliebten hier schon auf den Boden seiner existenziellen Realität zurück? Die Liedmusik lässt einen das nicht so empfinden. Sie weist im Ausklingen der Melodik auf dem Grundton der Dur-Parallele ein offenes Ende auf. Und in diesem Eindruck wird man vom Klavier bestärkt. Denn dieses setzt noch während der Dehnung auf dem „F“ in tiefer Lage, in dem die Melodik ausklingt, mit seinem Nachspiel in Gestalt von im Diskant zweimal rasant aufsteigenden und wieder fallenden Sechzehnteln ein.


    Der erste Anstieg steht noch in F-Dur, beim nachfolgenden Fall ereignet sich aber eine Rückung nach B- Dur, und danach, wenn das Klavier diese Figur noch einmal erklingen lässt, geschieht das erst in E-Dur, danach in A-Dur Harmonik. In den sich anschließenden fünfzehn Takten schlägt es eine schweifend sich entfaltende Kette von Sechzehnteln an, die wie ein Wiedererklingen von Wesensmerkmalen der Liedmelodik wirkt, bevor diese Sechzehntel-Bewegungen erst in eine Wellenlinie übergehen und danach in ein sich im Intervall vergrößerndes Auf und Ab, das sich in der tonalen Ebene langsam absenkt, um schließlich in einem D-Dur-Akkord zu enden.


    Dur-Harmonik übernahm aber schon sieben Takte zuvor die Regie in diesem Nachspiel, das wohl als ein nochmaliges Durchlaufen des melodischen Geschehens zuvor aufgefasst und verstanden werden will. Nun aber mit einer Fortsetzung: Dem Zurückholen des lyrischen Ichs aus seinem schmerzlich-imaginativen Erleben der Hochzeit der Geliebten in die Faktizität des Getrennt-Seins von ihr.

  • Hör' ich das Liedchen klingen,
    Das einst die Liebste sang,
    So will mir die Brust zerspringen
    Vor wildem Schmerzendrang.


    Es treibt mich ein dunkles Sehnen
    Hinauf zur Waldeshöh',
    Dort löst sich auf in Tränen
    Mein übergroßes Weh'.


    Diese Verse Heines beziehen ihre poetische Aussage aus der Bipolarität zwischen sprachlich-epischem und lyrisch-evokativem Gestus. Sie erzählen eine kleine, sich aus dem Erklingen eines Liedchens ergebende Geschichte, bauen dabei aber ein hohes evokatives lyrisch-sprachliches Potential auf. Es bezieht seine Quelle aus der imaginativen Vergegenwärtigung längst vergangener Liebe und verdichtet sich in dem Bild eines von „dunklem Sehnen“ angetriebenen Ausbruchs aus der schmerzlichen Situation dieser Wiederkehr von Vergangenheit in die „Waldeshöhe“. Dort findet das lyrische Ich dann aber nicht wirkliche Erlösung aus dieser existenziellen Situation. Es ist nur ein Sich-Auflösen des seelischen Wehs in Tränen, das ihm hier vergönnt ist.


    Wie semantisch tiefgreifend und umfassend Schumann – im Unterschied zu Meyerbeer und Robert Franz, die sich kompositorisch ebenfalls auf diese Verse Heines eingelassen haben – diese aus der lyrisch-sprachlichen Bipolarität sich ergebende Eigenart der lyrischen Aussage in Liedmusik umgesetzt hat, das kann man im Hören auf beeindruckende Weise erfahren und erleben, - und man kann es in der analytischen Betrachtung ihrer kompositorischen Faktur aufzeigen und konkretisieren. Und diesbezüglich ist zunächst einmal festzustellen, dass sich die Liedmusik auf der Grundlage eines Zweivierteltakts entfaltet, in b-Moll als Grundtonart steht und „langsam“ vorgetragen werden soll. Aber bedeutsam ist vor allem, wenn es um die Beschreibung der spezifischen Eigenart der Faktur dieses Liedes geht, die Feststellung, dass sich die musikalische Aussage, darin ganz Schumann gemäß, im Zusammenspiel von Melodik und autonomem Klaviersatz konstituiert. Dies in der Weise, dass das viertaktige Klaviervorspiel, die melodische Linie auf den Versen der beiden Strophen und das elftaktige Nachspiel dazu einen eigenständigen Beitrag liefern und die Aussage der beiden Schlussverse, die Imagination des Sich-Auflösens des seelischen Wehs in Tränen, in die sich das lyrische Ich flüchtet, allererst dort, also im Nachspiel, musikalische Gestalt annimmt.


    Das Vorspiel gibt das „Liedchen“ vor. Und es ist ein überaus zartes, filigranes und liebliches, darin das Wesen der „Liebsten“ klanglich verkörpernd, so wie Schumann es dem lyrischen Ich Heines sozusagen in den Mund legen möchte. Auf einen auftaktigen Viertelton im Bass folgt zweimal pro Takt eine rhythmisierte Figur aus einem in hoher Diskantlage ansetzenden punktierten Achtel und zwei über sich langsam verkleinernde Intervalle fallenden Sechzehnteln, wobei sich in der Bewegung des punktierten Achtels eine Linie abzeichnet, sie sich dadurch als melodische Substanz, jenes im lyrischen Zentrum stehende „Liedchen“ eben, erweist, als sie von der melodischen Linie auf dem ersten Vers der ersten Strophe aufgegriffen wird.


    Den Tonrepetitionen auf den Worten „Hör' ich das Liedchen klingen“ liegt genau der gleiche Sekundfall zugrunde, und sie sind in der gleichen Weise, nämlich in Gestalt einer Rückung von b-Moll über D-Dur nach Es-Dur harmonisiert, wie das auch bei den Figuren der ersten beiden Takte des Vorspiels der Fall ist. Und wie eine Bestätigung dieser liedmusikalischen Identität mutet an, dass das Klavier die melodische Linie der Singstimme nicht nur hier, beim ersten Vers, sondern durchweg bis zum letzten mit eben dieser Figur begleitet, wobei allerdings die Rhythmisierung durch das einleitende punktierte Achtel weitgehend aufgegeben wird. Sie tritt nur dort wieder ein – und das ist bezeichnend für die enge interpretatorische Textbindung von Schumanns Liedmusik -, wo der lyrische Text vom „Schmerzensdrang“ und dem „übergroßen Weh“ des lyrischen Ichs spricht.


    Die Melodik des Liedes stellt sich kompositorisch als überaus kunstvolles Aufgreifen und Umsetzen der lyrischen Aussage und Metaphorik dar. Da ist einerseits das mit der „Liebsten“ assoziierte Lied, dem durch den Diminutiv, in dem es lyrisch auftritt, die Anmutung von Schlichtheit eigen ist. Und da sind andererseits die seelischen Regungen des lyrischen Ichs, die sich bei seiner erinnernden Vergegenwärtigung einstellen und sich als vieldimensional und hochkomplex erweisen. Schumann setzt diesen Sachverhalt in der Melodik auf die Weise um, dass er die Zeilen, die auf den vier Versen der Strophe liegen, paarweise zueinander in Bezug setzt, dergestalt, dass er melodische Strukturen wiederkehren lässt, sie aber in Richtung höherer Komplexität modifiziert. Das kann man durchaus als musikalischen Niederschlag dieser spezifischen Eigenart der lyrischen Aussage auffassen und verstehen.


    So ist das „Liedchen“ das in der ersten Melodiezeile der ersten Strophe aufklingt, ein in der Tat recht schlichtes: Eine silbengetreue dreimalige Tonrepetition, der zwei zweimalige Repetitionen nachfolgen, wobei sich die tonale Ebene jeweils um eine Sekunde absenkt. Bei der zugehörigen, weil sprachlich durch das Relativpronomen an sie gebundenen Melodiezeile auf dem zweiten Vers liegt eine komplexere melodische Struktur vor. Weil das Wort „einst“ die lyrische Aussage prägt, beschreibt die melodische Linie zu ihm hin einen ausdrucksstarken Quintfall, und geht auf ihm dann in eine es akzentuierende Dehnung über, die in Moll (b-Moll) harmonisiert ist. Da sich aber mit dem Wort „Liebste“ positive Erinnerungen verknüpfen, geht die melodische Linie zu ihm hin in einen kleinen Terzsprung über, der mit einer Rückung ins Tongeschlecht Dur (D-Dur) verbunden ist. Der Sekundsprung, der sich danach zu dem Wort „sang“ hin ereignet, mündet aber wieder in b-Moll-Harmonik. Die Vergegenwärtigung des „Liedchens“ ist für das lyrische Ich mit schmerzlichen seelischen Regungen verknüpft.


    Beim zweiten Melodiezeilen-Paar verfährt Schumann in gleicher Weise. Schon die dritte Melodiezeile erweist sich als eine Modifikation der ersten im Sinne einer Steigerung struktureller Komplexität. Wieder ereignen sich die drei- und zweimaligen Tonrepetitionen, nun aber nicht auf sich in Sekundschritten absenkender tonaler Ebene, sondern dieses Mal auf ansteigender, und zwar erst über einen verminderten Terz- und danach über einen Sekundsprung. Und vor allem: Die Harmonik vollzieht dabei eine Rückung von c- Moll nach G-Dur und wieder zurück.
    In all dem reflektiert die Liedmusik die lyrische Aussage: Dem Ich will in der erinnernden Vergegenwärtigung von liebeerfüllter Vergangenheit, wie sie sich im „Liedchen“ verdichtet, „die Brust zerspringen“. Und so beschreibt denn die nachfolgende und letzte Melodiezeile dieser ersten Strophe bei den Worten „von wildem“ wie die zweite nun erneut einen Quintfall. Aber dieses Mal ist es ein verminderter, und er setzt auf einer um eine verminderte Quinte angehobenen tonalen Ebene an, und auch die nachfolgenden, mit der zweiten Zeile identischen deklamatorischen Bewegungen (Terzsprung, Tonrepetition und Sekundsprung) auf dem Wort „Schmerzensdrang“ ereignen sich nun auf einer um eine Quarte angehobenen tonalen Ebene, sie sind allerdings in gleicher Weise harmonisiert.


    Bei der zweiten Strophe begegnet man diesem kompositorischen Prinzip der Gestaltung der melodischen Linie wieder, allerdings in strukturell gesteigerter Form. Und auch darin reflektiert es die lyrische Aussage, spricht doch das lyrische Ich hier in bildlich-expressiv gesteigerter Weise von einem Ausbruch aus der situativen Gebundenheit an die Erinnerungen und einer Befreiung davon im Strömen der Tränen. Wieder ist die melodische Linie geprägt von Tonrepetitionen und erweist sich darin als vom Geist der ersten, also der „Liedchen“-Melodiezeile geprägt. Aber die Modifikationen, die Sprünge in ihrer Entfaltung und die tonalen Ebenen, die dabei in Anspruch genommen werden, erweisen sie eben als liedmusikalischer Niederschlag der seelischen Regungen des lyrischen Ichs.
    Bei den ersten beiden Versen der zweiten Strophe verbleibt der lyrische Text in narrativ-deskriptivem Gestus. Und Schumanns Liedmusik reagiert in der Weise darauf, dass sich zwei Mal in der Melodik eine strukturell identische, nur in der tonalen Ebene und in der Harmonisierung sich unterscheidende Bewegung ereignet: Ein Quintfall, eine syllabisch exakte Tonrepetition und ein Quartsprung am Ende, also bei den Worten „Sehnen“ und „Höh´“. Die Harmonik verbleibt dabei, eben diesen gleichsam sachlich-deskriptiven Geist der lyrischen Aussage reflektierend, ganz und gar im Bereich des Tongeschlechts Dur. Sie rückt erst von F-Dur, nach B-Dur, dann von F-Dur nach Es-Dur.


    Aber diese Variation in der Harmonisierung der melodischen Linie verrät durchaus etwas von den seelischen Konnotationen, die mit diesem sachlich sich gebenden Gestus der lyrischen Aussage verbunden sind. Der hohe affektive Gehalt des zweitletzten Verses hat zur Folge, dass die melodische Linie nicht nur vom Gestus der Tonrepetition ablassen muss, sondern sich sogar, ein einmaliger Vorgang in diesem Lied, in einer melismatischen Figur äußert. Auf den Worten „sich auf in Tränen“ liegt ein melodischer Bogen, der mit einem Zweiunddreißigstel-Sekundanstieg einsetzt und danach in einen dreifachen Sekundfall übergeht, wobei die Harmonik am Ende eine Rückung von F-Dur nach Es-Dur vollzieht, so dass der letzte Sekundfall und mit ihm das Wort „Tränen“ einen starken Akzent erhalten.


    Wie als vollkommen zu Musik gewordene lyrische Sprache mutet die letzte Melodiezeile an. Mit einem auftaktigen Terzsprung setzt die melodische Linie ein und überlässt sich bei dem Wort „übergroßes“ einer langen Dehnung, die deshalb so hohe Ausdruckskraft entfaltet, weil sie sich in Gestalt von zwei sich um eine Sekunde absenkenden Tonrepetitionen ereignet, wobei auf den ersten Silben der beiden Wortteile jeweils eine Dehnung liegt und die Harmonik eine Rückung von b-Moll nach D-Dur beschreibt. Hinzu kommt, dass das Klavier hier mit einer in hoher Diskantlage ansetzenden und bis in den Bass reichenden Variante seiner Sechzehntelfall-Figur begleitet. Ein schmerzlicher, weil in b-Moll harmonisierter Sekundfall zu dem Wort „Weh´“ hin folgt nach.


    Bezeichnenderweise mündet dieses Ende der Melodik des Liedes nicht in eine sonderlich große Dehnung. Das „G“ auf dem Wort „Weh´“ hat nur den Wert eines Viertels, und das will sagen: Mit der Aussage der letzten Melodiezeile ist liedmusikalisch noch nicht alles gesagt, was vom Gehalt des lyrischen Textes her zu sagen ist. Das ist Sache des Klaviers, das dies damit deutlich macht, dass es die Folge der Sechzehntelfiguren, mit denen es die melodische Linie zuletzt begleitete, einfach fortsetzt und damit in bruchloser Weise das Nachspiel einleitet. Vier Takte lang bleibt es bei diesen Figuren, die allerdings in ihrer Gestalt permanent variieren, sich dabei in der tonalen Ebene absenken und harmonisch von c-Moll über b-Moll und D-Dur nach Es-Dur rücken. Mit dem fünften Takt setzt aber eine markante Wandlung in der Struktur des Klaviersatzes ein.


    Das Klavier lässt von den das ganze Lied über artikulierten Sechzehntelfiguren ab, und unter einem im Diskant repetierenden „G“ steigen langsam und wie bedrohlich anmutend aus tiefer Lage in chromatisch harmonischer Rückung Sechzehntel und Achtel nach oben, im Bass mit ebenfalls ansteigenden Oktavsprüngen begleitet. In den letzten vier Takten gehen sie, am Anfang begleitet von einem dissonant-verminderten B-Akkord, in eine Folge von wellenartig vom oberen Diskant bis in den Bass fallenden Sechzehnteln über. Sie münden am Ende in einen die Liedmusik beschließenden g-Moll-Akkord.


    Was sich in diesen letzten sieben Takten des Klaviernachspiels ereignet, will wohl so verstanden werden, dass das, wovon das Lied in den letzten beiden Melodiezeilen spricht, das Sich-Auflösen des „übergroßen Weh´s“ in Tränen, eine musikalisch-klangliche Imagination erfährt.
    Wie eine augenblickliche Befreiung vom Seelenschmerz mutet das durchaus an. Wie eine dauerhafte Erlösung davon im Sinne einer Überwindung freilich nicht.

  • Ein Jüngling liebt ein Mädchen,
    Die hat einen andern erwählt;
    Der andre liebt eine andre,
    Und hat sich mit dieser vermählt.


    Das Mädchen nimmt (Heine: heiratet) aus Ärger
    Den ersten besten Mann,
    Der ihr in den Weg gelaufen;
    Der Jüngling ist übel dran.


    Es ist eine alte Geschichte,
    Doch bleibt sie immer neu;
    Und wem sie just passieret,
    Dem bricht das Herz entzwei.


    Ein exemplarischer Fall von ironischem Sarkasmus, in den Heines Lyrik aus tiefer existenzieller Verbitterung ihres Autors immer wieder verfallen kann. Die „alte Geschichte“ ist ein unendlich banaler Fall einer über vier Stationen laufenden Geschlechterbeziehung, die unter dem Titel „Liebe“ läuft, sich aber letzten Endes als von ganz anderen Motiven geleitet erweist. Der lyrisch-sprachliche Sarkasmus erwächst daraus, dass Heine diese Geschichte in von dreifüßigen Jamben geprägten Versen erzählt, in deren gleichförmigem, banales lebensweltliches Alltagsgeschehen beinhaltendem Dahinfließen die Ungeheuerlichkeit des gebrochenen Herzens als wie beiläufig erwähnt erscheint. Seltsam und nicht recht erklärlich ist der Bruch in dieser rhythmischen Gleichförmigkeit des Fließens der lyrischen Sprache durch das Wort „heiratet“. Man muss bei einem Heine Absicht dahinter vermuten. Die metrische Exposition rückt den Akt der Heirat auf die Ebene schierer motivischer Vordergründigkeit. Wenn Schumann aus „heiratet“ „nimmt“ macht, so hat ihn wohl die Wahrung des Metrums dazu bewogen. Aber er hat – ungewollt? – die banale Gewöhnlichkeit des Aktes darin noch gesteigert.


    Wenn man Schumann immer wieder kritisch unterstellte, er habe sich gegenüber der Heineschen Ironie aus menschlichen Gründen reserviert verhalten oder sei nicht in der Lage gewesen, sie liedkompositorisch adäquat umzusetzen, so gibt es eine ganze Reihe von Heine-Kompositionen, die das auf subtile Weise widerlegen. Bei diesem Lied geschieht das aber mit geradezu schroffer Signifikanz. Die Liedmusik präsentiert sich in einer sich mechanisch gebenden, die immer gleichen Figuren in Melodik und Klaviersatz auf der Grundlage eines Zweiviertakts repetierenden, die harmonischen Rückung von Tonika, Unter- und Oberdominante geradezu exzessiv betreibenden und darin geradezu obszön anmutenden Banalität. Und das Nachspiel wirkt dadurch, dass es diesen liedmusikalischen Gestus auf die Spitze treibt, wie eine höhnische Bekräftigung dieses der Liedmusik zugrunde liegenden Geists.


    Er beherrscht sie allerdings nicht ganz und gar. Und darin erweist sich ihre kompositorische Größe. In dem Augenblick, wo sich in der Lyrik Heines der Einbruch des Ungeheuerlichen in die Banalität des lebensweltlichen Alltagsgeschehens ereignet, im lyrischen Bild vom „gebrochenen Herzen“ nämlich, wendet sich die Liedmusik davon ab: Die Melodik geht von ihrer permanent sich wiederholenden deklamatorischen Repetition im Auf und Ab von tonalen Ebenen in den Gestus einer in Sekundintervallen ritardando ansteigenden Linie über, und die Harmonik beschreibt mit einem Mal einen, angesichts der Grundtonart Es-Dur geradezu kühn anmutenden, Ausbruch in den Bereich von Des- und Ges-Dur, um von dort über eine weit ausgreifende Rückung in die Dominante B-Dur zur Tonika zurückzufinden. Schumanns Liedmusik ist in ihrem Sich-Einlassen auf Heines Ironie, anders als die darin sich als vordergründig-effektorientiert erweisende von Johann Hoven (Johann Vesque von Püttlingen), eine wirklich ihre poetische Tiefe auslotende und erfassende.


    Im fünftaktigen Vorspiel schlägt das Klavier einen tänzerisch-beschwingt rhythmisierten Ton an, den es das ganze Lied über in der Begleitung der Singstimme beibehält, und der erst in den letzten Takten des Nachspiels in eine Art rasant hüpfenden Taumel übergeht. Es ist fast durchweg die immer gleiche Figur, die das Klavier anschlägt: Auf einen auftaktigen Fall von Achteln im Bass folgt im Diskant eine Fallbewegung aus einem zumeist dreistimmigen Akkord und einem Achtel nach. Da der tiefe Ton des auftaktigen Achtelfalls auf dem ersten Schlag des Zweivierteltakts liegt, so dass dieser wie mit einer Art Rums einsetzt, mutet diese Figur rhythmisch ungeschlacht an, und dahinter steht natürlich kompositorische Absicht. Der Klaviersatz reflektiert in dieser seiner Struktur die Banalität des Geschehens, und in der Penetranz, mit der er sie beibehält, schlägt sich die Unerbittlichkeit im Ablauf des lebensweltlichen Alltagsgeschehens nieder. Und wenn das Klavier am Ende wie in eine Art sich im Kreis drehenden Taumel verfällt, empfindet man das wie einen höhnischen Kommentar dazu.


    Auch der melodischen Linie der Singstimme wohnt der Gestus des Beharrens auf der immer gleichen deklamatorischen Grundfigur inne. Man begegnet ihr schon in den ersten beiden, jeweils die beiden ersten Verse der ersten Strophe umfassenden Melodiezeilen. Die melodische Linie entfaltet sich in silbengetreuer Deklamation ausschließlich in Gestalt von Tonrepetitionen auf – in diesem Falle – über eine Terz und eine Quarte ansteigender tonaler Ebene und mündet am Ende in einen Quart-, bzw. einen Sekundfall. Die Harmonik beschreibt dabei Rückungen im Bereich von Tonika, Ober- und Unterdominante. Bei all dieser – natürlich gewollten – Simplizität in Melodik, Klaviersatz und Harmonik reflektiert die Liedmusik gleichwohl die Aussage des lyrischen Textes und setzt entsprechende Akzente. So ereignet sich bei der Anhebung der melodischen Linie über einen Quartsprung bei den Worten „einen Andern“ eine harmonische Rückung in die Subdominante Es-Dur, und auf diese Weise erfährt das Wort „Andern“ zusammen mit dem Quartsprung in hohe Lage eine markante Akzentuierung.


    Beim zweiten Verspaar der ersten Strophe wird dieser deklamatorische Gestus nicht nur beibehalten, er wird in der zugrundeliegenden Aussage-Intention noch intensiviert. Das beharrliche, wie mechanisch wirkende Repetieren, das die Banalität des Geschehens reflektiert, erfolgt nun bei den Worten „Der andre liebt eine andre“ auf nur noch zwei, durch eine Terz voneinander abgehobenen tonalen Ebenen, mit dem gleichen Quartfall am Ende wie bei der ersten Melodiezeile. Beim nachfolgenden Vers steigt dann die tonale Ebene, auf einem „G“ in mittlerer Lage ansetzend, zwei Mal um eine Sekunde an, mündet nun aber bei dem Wort „vermählt“ in einen Quintfall.


    Schumann hat in dieser Anlage nicht nur die Gleichförmig der vom Jambus beherrschten Metrik der Verse Heines aufgegriffen, er hat in dem Gestus des gleichsam lapidaren Feststellens der Sachverhalte die lyrische Aussage in der ihr zugrundeliegenden Intention des sachlichen Konstatierens noch intensiviert und gesteigert. Hier aber, bei diesem zweiten Melodiezeilen-Paar, wird deutlich, dass der Harmonik dabei eine wichtige Funktion zukommt: Schumann nutzt sie, um die kleinen Welten voneinander abzusetzen: Während die den „Jüngling“ betreffenden Verse in der Tonika und ihren Dominanten harmonisiert sind, stehen die den „Anderen“ betreffenden in B-Dur, f-Moll und C-Dur, und der Quintfall am Ende erhält einen starken harmonischen Nachdruck durch eine Rückung von der Dominante zur Tonika.


    Bei der zweiten Strophe entfaltet die Liedmusik eine sich steigernde Expressivität, um die semantischen Dimensionen der lyrischen Aussage bis in ihre Tiefe auszuloten. So bleibt die melodische Linie zwar weiterhin bei ihrem sich in silbengetreuen Repetitionen ausdrückenden konstatierenden Gestus, bei den lyrisch relevanten Worten vergrößern sich aber die Intervalle der Sprungbewegungen und zudem kommt das Prinzip der Wiederholung zum Einsatz, um der Aussage Nachdruck zu verleihen. So ereignet sich bei den Worten „nimmt aus Ärger“ ein ausdrucksstarker Septsprung in hohe Lage mit nachfolgendem Sekund- und Terzfall, und bei den beiden letzten Versen beschreibt die melodische Linie zwei Mal die gleiche, in hoher Lage einsetzende, ritardando auszuführende und in B- und F-Dur harmonisierte Fallbewegung auf einer sich in Sekunden absenkenden tonalen Ebene. In diesem Gestus des Fallens reflektiert sie zwar das Betrübliche des hier angesprochenen Vorgangs, aber sie tut das unter Beibehaltung ihres Grund-Gestus und ignoriert, indem sie die auf den Worten „Der ihr in den Weg gelaufen“ liegende melodische Bewegung beim nachfolgenden Vers unverändert wiederholt, die seelische Dimension seiner Aussage. Das übel Dran-Sein ist schließlich keine Kleinigkeit.


    Schumann folgt darin zwar der Aussage-Intention Heines, und er vertieft und intensiviert sie auch hier, indem er die melodische Fallbewegung ins Ritardando setzt und sie vom Klavier abweichend von der bisherigen Weise begleiten lässt. Er nimmt nun den hüpfenden Gestus aus dem Klaviersatz heraus und ersetzt ihn durch eine rhythmisch regelmäßige Folge von Achteln und Achtelakkorden, und bei der Wiederholung legt er gar auf die Worte „der Jüngling“ ein Legato von zwei Achtelakkorden und lässt nun den melodischen Fall, ungewöhnlich für diese Liedmusik, mit dreistimmigen, den Dominant-Charakter des F-Durs auf dem Wort „übel“ betonenden Akkorden begleiten. Darin reflektiert die Liedmusik die seelische Dimension der lyrischen Aussage und vertieft sie darin. Das geschieht aber, um den ihr poetisch-intentional innewohnenden Sarkasmus nur noch zu intensivieren, ihn ins geradezu Schmerzliche zu steigern.


    Bei der dritten Strophe steigert sich Schumann noch in dieser liedkompositorischen Absicht. Hier entfaltet der melodisch-deklamatorische Gestus der Tonrepetition seine volle Expressivität, den lyrischen Sarkasmus des Konstatierens von in seiner Banalität existenziell wahrlich Schrecklichem betreffend. Bei den Worten „Es ist eine alte Geschichte“ erstreckt sich der Fall der tonalen Ebene der Tonrepetitionen über ein ganze Oktave bis zu einem tiefen „B“, darin die in dem Wort „alt“ sich artikulierende historische Dimension der lyrischen Aussage aufgreifend. Die Harmonik verbleibt dabei durchweg im Bereich der Dominant-Sept-Tonalität, um dem auf den Worten „immer neu“ sich ereignenden, in der Tonika harmonisierten Quartsprung den erforderlichen musikalischen Akzent beizugeben.


    Dort nun, wo Heine selbst die Dimension des existenziell Schrecklichen und Erschütternden in die Lyrik einbrechend lässt, entfaltet auch Schumanns Liedmusik ihre stärkste Expressivität. Aber weil Heine seinen lyrisch-sprachlichen Gestus des gleichsam lakonischen Konstatierens beibehält und auf diese Weise den Sarkasmus auf die Spitze treibt, bewegt sich die melodische Linie auch hier in deklamatorischen Tonrepetitionen. Nur sind sie nun gleichsam auf die Spitze getrieben. Nach einem auftaktigen Terzsprung ereignen sie sich bei den Worten „Doch wem sie just passieret“ in höchst eindringlicher Weise ausschließlich auf der Ebene eines hohen „Des“ und sind dementsprechend in dem hier klanglich kalt wirkenden Des-Dur harmonisiert. Und bei den nachfolgend letzten und in ihrer Aussage erschütternden Worten wiederholt sich das auf einer um eine kleine Sekunde abgesenkten und nun in B-Dur harmonisierten tonalen Ebene. Aus dem in Ges-Dur stehenden Terzfall auf den beiden letzten Silben des Wortes „passieret“ wird nun auf der zweiten Silbe von „entzwei“ ein mit der Rückung von der Dominante B-Dur zur Tonika Es-Dur verbundener Sekundsprung hin zum Grundton in oberer Mittellage.


    Und das ist ein liedmusikalisch höchst bemerkenswerter Sachverhalt. Die Aussage „Dem bricht das Herz entzwei“ ist in dem Grad der Konkretion, die das Wort „entzwei“ mit sich bringt, eine von hohem affektivem Gehalt. Adäquat wäre dem eigentlich eine am Ende fallende und in Moll harmonisierte melodische Linie. Wenn Schumann sie aber mit einem Sekundsprung auf dem Grundton enden und mit einem aus der Dominante hergeleiteten Es-Dur-Akkord begleiten lässt, dann ist das ein liedmusikalisches Umsetzen der Haltung des sachlichen Konstatierens, die Heine hier ganz bewusst einnimmt, und sie zielt auf eine Steigerung von Heines Sarkasmus in Richtung einer Anreicherung mit der Komponente Bitterkeit ab.


    Das sich geradezu exzessiv in der tänzerisch-hüpfenden Grundfigur des Klaviersatzes ergehende und am Ende wie taumelnd darin zusammensinkende, dabei sich harmonisch im Raum von Tonika, Dominante und Subdominante wie im Kreis drehende Nachspiel wirkt in der Tat wie ein höhnischer Kommentar zu dem, was die Liedmusik in den beiden letzten Zeilen ihrer Melodik zum Ausdruck bringt.

  • Am leuchtenden Sommermorgen
    Geh' ich im Garten herum.
    Es flüstern und sprechen die Blumen,
    Ich aber wandle stumm.
    (Heine: Ich aber, ich wandle stumm.)


    Es flüstern und sprechen die Blumen,
    Und schaun mitleidig mich an:
    Sei unsrer (Heine: unserer) Schwester nicht böse,
    Du trauriger, blasser Mann.


    In überaus schönen und zarten, die florale Natur als beseelt erfahrenen Bildern artikuliert sich hier das lyrische Ich. Es fühlt sich angesprochen von Blumen, und das flüsternd und an einem „leuchtenden Sommermorgen“, eingebunden also in eine naturhaft heile Welt. Aber es wandelt stumm darin, kann und will nicht antworten auf die Ansprache, weil ganz und gar auf sich selbst und das eigene Liebesleid zurückgeworfen. Seine immer noch tiefe liebevolle innere Gebundenheit an die verloren gegangene Geliebte drückt sich aber darin aus, dass er sie als dieser heilen Naturwelt zugehörig fühlt und gar zu vernehmen meint, dass die Blumen für das Verhalten ihrer „Schwester“ ihm gegenüber um Verständnis bitten, aber auch Mitgefühl zeigen.


    Es ist die Erfahrung der Draußen-Stehens, der Einsamkeit im leidvollen auf sich selbst Zurückgeworfen-Sein, die das lyrische Ich als „trauriger blasser Mann“ in dieser leuchtenden naturhaften Sommermorgen-Welt macht, worauf die lyrische Aussage dieser Verse in ihrem kontrastiven Nebeneinander von schönen, in ihrer Beseeltheit heilen und wesenhaft gebrochenen, weil Leid und Einsamkeit reflektierenden Bildern hinausläuft. Und Schumanns Liedmusik greift diese Bipolarität der lyrischen Metaphorik in der Art und Weise, wie sie sich sprachlich artikuliert, und die daraus sich ergebende Aussage der Heine-Verse in einer Weise auf, die man als Rezipient derselben als nicht nur allumfassend, sondern darüber hinaus als die semantischen Tiefen auslotend und damit die lyrische Aussage bereichernd empfindet.


    Dem Lied liegt ein Sechsachteltakt zugrunde, die Grundtonart ist B-Dur, und es soll „Ziemlich langsam“ vorgetragen werden. Im zweitaktigen Vorspiel erklingen legato ausgeführte Fallbewegungen von Sechzehnteln, die sie sich über ein großes Intervall erstrecken, in der tonalen Ebene ihres Ansatzes am Anfang einen Oktavsprung in hohe Lage vollziehen, sich danach wieder absenken und sich harmonisch in ihrer Abfolge als eine Bewegung von dominantischem Ges über F zur Grundtonart B-Dur darstellen. Es ist eine klanglich überaus faszinierende, weil impressionistischen Geist atmende Evokation der mit den Worten „leuchtender Sommermorgen“ lyrisch generierten Situation, in der sich sie nachfolgende Melodik entfalten wird. Diese Klaviersatz-Figuren erklingen deshalb, in der Variante des Vorspiels, nicht nur in den Pausen für die Singstimme nach dem ersten Verspaar und zwischen erster und zweiter Strophe noch einmal, in ihrer Grundstruktur bilden sie den die melodische Linie begleitenden Klaviersatz, stellen die musikalische Substanz des elftaktigen Nachspiels dar und prägen, indem sie den klanglichen Raum für die melodische Linie schaffen, die Liedmusik und ihre musikalische Aussage ganz wesentlich.


    Man meint, dass sich die ganze Metaphorik des lyrischen Textes in ihnen wiederfindet, - nicht nur die Bilder des Sommermorgens und der flüsternd sprechenden Blumen. Auch des traurig wandelnden „blassen Manns“. Denn sie ergehen sich ja harmonisch nicht nur der Tonika und ihren beiden Dominanten, vielmehr greifen sie auf geradezu lebhafte Weise weit darüber hinaus, nicht nur beide Tongeschlechter in Anspruch nehmend, sondern auch einen harmonischen Raum durchstreifend, der die Tonarten Ges, Es, C , G und H umfasst, und dies in partiell harmonisch verminderter Gestalt. In dieser permanenten und im Quintenzirkel weit aufgreifenden Harmonik reflektiert die Liedmusik die ganze Bandbreite der Heineschen Metaphorik und lotet sie in ihrer semantischen Tiefe aus: Die florale Welt des heiter leuchtenden Sommermorgens und die seelische Innenwelt des einsam wandelnden und unter dem Verlust seiner Liebe leidenden lyrischen Ichs.


    Das leistet aber auch die Melodik in der Art und Weise, wie sie sich deklamatorisch entfaltet. Es geschieht auf überaus ruhige, die Gebundenheit der Schritte suchende und jegliche Sprunghaftigkeit meidende Weise. Schließlich ereignet sich die Artikulation der lyrischen Aussage im ruhigen Wandel durch einen Garten, und so ist denn die melodische Linie in markantem Umfang von deklamatorischen Tonrepetitionen geprägt. Aber schon die Tatsache, dass diese sich in rhythmisierter Form ereignen, lässt durchklingen, dass ein großes affektives Potential auf sie einwirkt. Vor allem aber manifestiert sich dies darin, dass diese melodisch-deklamatorischen Repetitionen am Ende der Melodiezeilen in vielen Fällen mit einem Sprung über ein kleines Intervall in einen Anstieg mit nachfolgendem Fall übergehen.


    Das geschieht allerdings, darin die lyrische Aussage reflektierend in unterschiedlicher Art und Weise und in variierender Harmonisierung. Nur dort, wo die lyrische Aussage eine schlicht konstatierende ist, bei den Worten „geh ich im Garten herum“ und „schaun mitleidig mich an“, beschreibt die – übrigens identische – melodische Linie ein Auf und ab in mittlerer Lage, das am Ende über einen Sekundsprung in eine kleine Dehnung mündet und in einer Rückung von c-Moll über F-Dur nach B-dur harmonisiert ist. Aber auch hier lässt die leichte anfängliche Moll-Eintrübung in der Harmonik vernehmen, dass in dieser Aussage des lyrischen Ichs untergründig eine seelische Regung mitschwingt, die am Ende in den Worten „trauriger blasser Mann“ konkretisiert wird.


    Wie tiefgehend sich Schumanns Liedmusik auf den lyrischen Text einlässt, dabei sowohl dessen formale Anlage, wie auch seine Semantik berücksichtigend, das zeigt sich in der Gestalt der beiden Liedstrophen. Sie weisen bei den beiden ersten Versen eine fast identische Liedmusik auf. Die Abweichungen in der melodischen Linie in Gestalt einer Tonrepetition auf „sprechen“ und einer kleinen Dehnung auf dem Wort „schaun“ in der zweiten Strophe sind deklamatorisch textbedingt. In dieser strukturellen Identität reflektiert die Liedmusik die Tatsache, dass Heine beide Strophen mit einer in im ersten Verspaar erfolgenden lyrischen Deskription der Szene, bzw. Situation einleitet, in der sich dann, und dies im zweiten Verspaar, die poetisch relevante Aussage ereignet. Und dementsprechend entfaltet die Liedmusik dann dort ihre je eigene Expressivität, die im Falle der zweiten Strophe eine höchst eindrückliche ist.


    Aber auch beim ersten Verspaar erschöpft sich die Liedmusik nicht im Gestus der situativ-konstatierenden Deskription. Die melodische Linie weist in der Art und Weise ihrer Entfaltung ein hohes affektives Potential auf. Dies dergestalt, dass auf den Worten „leuchtenden“, bzw. „flüstern und“ eine Tonrepetition mit anfänglicher Dehnung liegt und auf „Sommermorgen“, bzw. „sprechen die Blumen“ ein ausdrucksstarker Fall über eine Terz und eine Sekunde, der mit einer Rückung von der Grundtonart B-Dur in die Subdominante Es-Dur verbunden ist und diesen melodischen Fall und sein Zur-Ruhe-Kommen klanglich sinnfällig werden lässt. Die Tatsache, dass die den zweiten Vers der Strophen beinhaltende Melodik in einem Sekundanstieg endet, ist eben diesem lyrisch-sprachlichen Eröffnungscharakter des ersten Verspaares geschuldet, der sich bei der zweiten Strophe formal sogar in einem Doppelpunkt am Ende des Verses ausdrückt. Die melodische Linie öffnet sich in diesem mit einer harmonischen Rückung von der Dominante zur Tonika verbundenen und in eine Dehnung mündenden Sekundanstieg gleichsam für das, was nun liedmusikalisch nachfolgt.


    Und das ist in beiden Fällen in seiner musikalischen Aussage höchst Bedeutsames und in seinem klanglichen Charakter Beeindruckendes, wobei Schumann dem im Fall der zweiten Strophe sogar noch – und darin wieder auf die lyrische Aussage reagierend – einen Steigerungseffekt beigegeben hat. In der ersten Strophe beschreibt die melodische Linie erst eine leicht rhythmisierte, die Worte „flüstern“ und „sprechen“ akzentuierende Repetitionen auf der Ebene des Grundtons, geht danach mit einem doppelten kleinen Sekundschritt in eine Anstiegsbewegung über, um dann dem Wort „Blumen“ mit einem gedehnten Sekundfall starken Ausdruck zu verleihen. Der Harmonik kommt in dieser Melodiezeile eine bedeutsame, weil die Aussage der melodischen Linie nachdrücklich verstärkende Funktion zu. So erhält das Wort „sprechen“ durch eine Rückung von B-Bur nach Ges-Dur einen starken Akzent, und bei dem Wort „Blumen“ geschieht das durch eine im Rahmen der Grundtonart geradezu harmonisch abwegige Rückung von fis-Moll nach H-Dur.


    Bei den Worten „Ich aber wandle stumm“ schlägt sich in der Liedmusik die Befindlichkeit des lyrischen Ichs nieder, das in der sprachlichen Wendung „ich aber“ sein Ausgegrenzt-Sein gegenüber der heilen Sommermorgenwelt zum Ausdruck bringt. Die melodische Linie verharrt in Gestalt von Tonrepetitionen in mittlerer Lage, geht dann mit einem Sekundsprung in ein Auf und Ab über und endet über einen weiteren Sekundschritt in einer kleinen Dehnung. Die Repetitionen, die auf den Worten „ich aber“ liegen, sind in c-Moll harmonisiert, du das ist auch bei der melodischen Parallele der zweiten Strophe, also bei den Worten „und schaun“ der Fall. Dieses lyrische Ich ist von großer innerer Trauer erfüllt.


    Bei den beiden letzten Versen entfaltet die Liedmusik eine überaus zarte, geradezu berückende Klanglichkeit. Es ist das fein gestaltete lyrische Bild, das Sich-angesprochen-Fühlen des lyrischen Ichs durch die sich ihm behutsam und mitfühlend zuwendenden Blumen, das sie generiert. Und der Zauber, der von ihr ausgeht, ist maßgeblich bedingt durch die Harmonische Rückung, die sich hier ereignet. Es ist eine wahrliche überraschende. Vom B-Dur, in dem die vorangehende Melodiezeile endete, moduliert die Harmonik in einem knapp eintaktigen Zwischenspiel nach einem geradezu warm auftretenden G-Dur. Zart und behutsam entfaltet sich nun darin die „langsamer“ vorzutragende melodische Linie. Nach Tonrepetitionen auf zwei durch eine Terz voneinander abgehobenen tonalen Ebenen in mittlerer Lage, in denen sich der Aufforderungscharakter des Wortes „sei“ ausdrückt, beschreibt die melodische Linie auf dem Wort „böse“ einen gedehnten Terzsprung, der, weil er mit einer Rückung in die Dominante D-Dur verbunden ist, dem Wort einen sanften Akzent verleiht.


    Und die Blumen behalten diesen Ansprache-Gestus in Gestalt von deklamatorischen Repetitionen auf ansteigender und wieder fallender tonaler Ebene bei den Worten „Du trauriger, blasser Mann“ bei. Aber weil es etwas höchst Trauriges und Betrübliches ist, was sie darin zum Ausdruck bringen, tritt ein Ritardando in die melodische Linie, und sie setzt mit einem verminderten Sekundfall ein, der eine harmonische Rückung nach g-Moll zur Folge hat. Und auf den Worten „blasser Mann“ ereignet sich dann eine auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene eine längere Dehnung, die in einem Sekundfall am Ende, bei dem Wort „Mann“, in eine Dehnung mündet. Auch hier setzt die Harmonik einen starken Akzent. Das Wort „blasser“ ist in eine verminderte Fis-Tonalität gebettet, die wie der Inbegriff von klanglicher Blässe anmutet. Und danach vollzieht die Harmonik zu dem Wort „Mann“ hin eine Rückung nach F-Dur, die wie eine Bekräftigung der gerade getroffenen Aussage wirkt.


    Aber dieses F-Dur macht das „C“, mit dem die Vokallinie als Quinte zum Grundton endet, zu einem offenen Schluss der Melodik. Sie will nicht weiter ausführen, was mit diesem lyrischen Ich in seiner Verlorenheit mitten in der Welt des leuchtenden Sommermorgens nun werden wird. Dazu hat aber das elfaktige Nachspiel noch einiges zu sagen, das sich tatsächlich als Fortführung der Melodik gibt, setzt doch die erste der Fallfiguren, die das Klavier nun in Weiterführung des Klaviersatzes erklingen lässt, in F-Dur ein. Die nachfolgenden Figuren stehen in Moll (g-Moll, f-Moll) und greifen darin, wie auch in ihrer Struktur auf das Vorspiel zurück. Dann aber verkleinern sie sich in dem tonalen Raum den sie einnehmen, und sie generieren, nun ganz und gar in Dur harmonisiert und die Tonika mit ihren Dominanten umkreisend, in ihrer Folge eine melodische Linie, die entfernt an jene erinnert, mit der die Blumen das lyrische Ich angesprochen haben.


    Will das Klavier bekunden, dass das lyrische Ich in all seiner Trauer und seinem Leid gleichwohl Trost in der heilen Welt naturhaften Seins zu finden vermag?
    Man kann dieses Nachspiel so verstehen.

  • Will das Klavier bekunden, dass das lyrische Ich in all seiner Trauer und seinem Leid gleichwohl Trost in der heilen Welt naturhaften Seins zu finden vermag?
    Man kann dieses Nachspiel so verstehen.



    Ja, man kann diese Minute so verstehen ...

  • Schön, lieber hart, dass Du dieses Nachspiel auch so hörst!
    Es ist ja oft bei Schumann die – manchmal regelrecht spannende – Frage, was er mit seinen so bedeutsamen Nachspielen sagen will. Eigentlich, so dachte schon manchmal, ist der Begriff „Nachspiel“ bei ihm unangebracht, ja irreführend. Es wird ja dem Melodieteil des Liedes nichts im Sinne von Nachtrag und Ausklang beigegeben, vielmehr ist das, was das Klavier hier in die Liedmusik einbringt, substantiell relevanter Bestandteil derselben, wird doch hier oft erst die endgültige Antwort auf die Frage gegeben, wie Schumann die jeweilige lyrische Aussage verstanden hat, bzw. verstanden wissen will.


    Heine lässt dieses Gedicht offen enden, was die lyrische Aussage anbelangt. Vom lyrischen Ich erfahren wir nicht, wie es innerlich auf die imaginierte Ansprache durch die Blumen reagiert, in die es die Erkenntnis seiner augenblicklichen seelischen Befindlichkeit, ja seines Wesens hineinlegt. Und Schumann lässt deshalb die Melodik ja auch – im Sinne eines offenen Schlusses – auf der Quinte zum Grundton enden. Aber das kann ihm, und das ist bezeichnend für seinen liedkompositorischen Umgang mit Heines Lyrik, nicht genügen. Wenn Heine., darin seiner Grundhaltung als Mensch und Lyriker folgend, nicht zum Ausdruck bringen kann und will, dass der Mensch in der Begegnung mit der Natur Trost, ja vielleicht sogar Gesundung in seinem schweren seelischen Leid finden kann, so will Schumann ihm darin nicht folgen.
    Für ihn gibt es diese Erfahrung. Und das meint man im Nachspiel zu vernehmen, in dem das Lied erst zum Kern seiner musikalischen Aussage kommt.


    Aber wem sage ich das.
    Die Wunderlich-Aufnahme, die Du dankenswerterweise hier verlinkt hast, kannte ich nicht. Ich habe sie mit großer Freude und Bereicherung gehört, und das immer wieder.
    Vielen Dank dafür!

  • Ich hab' im Traum geweinet,
    Mir träumte, du lägest im Grab.
    Ich wachte auf, und die Träne
    Floß noch von der Wange herab.


    Ich hab' im Traum geweinet,
    Mir träumt', du verließest mich.
    Ich wachte auf, und ich weinte
    Noch lange bitterlich.


    Ich hab' im Traum geweinet,
    Mir träumte, du wär'st mir noch gut. (Heine: bliebest mir gut)
    Ich wachte auf, und noch immer
    Strömt meine Tränenflut.


    Ein in seiner Anlage, seiner lyrischen Sprache und seinen Bildern auf hochgradige Expressivität angelegter lyrischer Text. In stereotyp insistierender Weise setzen die drei Strophen ein. Im gleichen Gestus der Wiederholung folgt die Benennung des Trauminhalts, und dem schließt sich die der Folgen nach dem Erwachen an. Der darin sich bekundenden Haltung, der mit insistierender Beharrlichkeit erfolgenden Bekundung seiner Trauminhalte, entspricht die Steigerung der Expressivität in der sprachlichen Gestalt: Aus dem Fließen der Träne wird erst ein langes bitteres Weinen und schließlich sogar eine regerechte Tränenflut. Das mutet metaphorisch ein wenig stark aufgetragen an, und man wittert als Rezipient einen zum Mittel der Ironie greifenden und damit intentional emanzipatorischen Umgang des lyrischen Ichs mit seinem seelischen Leid, - ein spezifisches poetologisches Heine-Phänomen also.


    Wie immer dem sein mag, - Schumann hat in seiner Liedmusik auf diese Verse deren Aussage wörtlich genommen. Man vernimmt diese und versteht sie als hochexpressive, die Bilder von Traum und Erwachen aufgreifende und mit ihren Mitteln das affektiv-emotionale Potential bis in die Tiefe auslotende musikalische Evokation seelischen Leidens unter dem Verlust einer Liebe. Das kompositorische Mittel, das Schumann dabei zum Einsatz bringt, ist ein liedkompositorisch durchaus ungewöhnliches und darin höchst beeindruckendes: Eine rezitativisch auftretende, vom Klavier darin zunächst allein gelassene und nur gleichsam nachträglich mit einem lakonischen Kommentar versehene Singstimme, bis beide am Ende, beim Bild von der „Tränenflut“ ihren expressiven Höhepunkt erreichenden lyrischen Aussage dann doch noch zusammenkommen können.


    Es ist ein in seiner eigenartig fahlen, wie als Ausdruck tiefer Müdigkeit auftretenden und darin tief beeindruckenden Klanglichkeit eine für diesen Zyklus Schumanns geradezu repräsentative, weil für dessen liedkompositorischen Umgang mit Heines Lyrik typische Liedmusik. Er ist durchaus bereit, deren innere Brüche zu akzeptieren und kompositorisch zu berücksichtigen, wie sich das in vielen Liedern von Opus 48 vernehmen lässt und hier auch aufzuzeigen versucht wird. Aber dort, wo Heine seinen reflexiv gebrochenen, sich in die Ironie flüchtenden poetischen Umgang mit dem Thema „Liebe“ auf die Spitze zu treiben scheint, wie man dieses Gedicht durchaus lesen und verstehen kann, verweigert er sich ihm liedkompositorisch.


    Er nimmt, weil er sie sehr wohl erfasst hat, die der Lyrik Heines letzten Endes zugrundeliegende tiefe Ernsthaftigkeit der poetischen Auseinandersetzung mit dem Thema „Liebe“ ernst und liest diese Verse als Ausdruck einer den ganzen Menschen in seinem Fühlen und Denken ergreifenden Liebe, der gleichwohl die Erfüllung verwehrt ist. Daraus lässt sich sowohl die spezifische Faktur des Liedes mit ihrer eigenartigen Exposition der melodischen Linie gegenüber dem Klaviersatz erklären, wie auch die Tatsache, dass Schumann, offensichtlich mit Absicht, aus Heines „du bliebest mir gut“ ein „du wärst mir noch gut“ gemacht hat. Das Verlangen des lyrischen Ichs nach liebevoller Zuwendung drückt sich darin deutlicher aus.


    Diese Verse sind ein einsamer Monolog, der sich in der Situation eines hoffnungslosen Zurückgeworfen-Seins auf sich selbst ereignet. In der Eröffnung der Strophe mit den immer gleichen Worten drückt sich die tiefe Betroffenheit des lyrischen Ichs aus, zugleich aber kann sie in ihrer Eindringlichkeit als an das Du gerichtete Bitte um Gehör verstanden werden. Das aber gibt es nicht. Für Schumann lesen sich diese Worte als aus tiefer liederfüllter Einsamkeit kommend, und so versetzt er denn, um dem den adäquaten musikalischen Ausdruck zu verleihen, die melodische Linie in monodische Einsamkeit, darin den monologischen Charakter der lyrischen Sprache mit klanglichen Mitteln gleichsam erlebbar werden lassend.


    Man könnte sagen, er habe hier – kompositionstechnisch betrachtet – das Mittel des Secco-Rezitativs zum Einsatz gebracht und es sogar auf die Spitze getrieben, indem er ihm den Generalbass verweigert. Aber das „Auf-die-Spitze-Treiben“ geht ja noch weiter. Der Gestus des gleichsam sachlichen Statements, der dem Rezitativ gemeinhin eigen ist, geht der melodischen Linie völlig ab. Man vernimmt sie als Ausdruck von tiefem Leid und Seelenschmerz. Auf den Worten „Ich hab´ im Traum geweinet“ verharrt sie in fünf repetierenden deklamatorischen Schritten auf der Ebene eines „B“ in mittlerer Lage, wobei eine leichte Rhythmisierung dadurch zustande kommt, dass der zweite und der vierte Schritt eine kleine Dehnung trägt. Diese lang anhaltende Repetition verleiht der melodischen Aussage eine hohe Eindringlichkeit.


    Bei dem Wort „geweinet“ tritt Schmerzlichkeit in sie ein. Dies dadurch, dass sie einen verminderten, mit der Rückung von es-Mol nach ges-Moll verbundenen Sekundsprung beschreibt, der in eine größere Dehnung (punktiertes Viertel) mündet, und danach wieder über diese kleine Sekunde und in das es-Moll zurückfällt. Erst jetzt, in der fast zweitaktigen Pause für die Singstimme, meldet sich das Klavier zu Wort, und zwar mit einer leicht rhythmisierten Folge von fünf fünfstimmigen Akkorden, von denen der dritte den Wert eines Sechzehntels, die anderen den eines Achtels haben. Die Harmonik beschreibt dabei eine Rückung von es-Moll über B-Dur und wieder zurück. Angesichts Anmutung von Leid und Schmerz, die von der melodischen Linie ausgeht, wirkt dieser nachträgliche Kommentar des Klaviers geradezu lakonisch, - im Sinne einer kurzen Bestätigung der Aussage.


    In allen drei Fällen weist die melodische Linie auf dem ersten Strophen-Vers die gleiche Struktur auf. Allerdings verbleibt sie nur noch in der zweiten Strophe in ihrer so expressiven monologischen Einsamkeit. In der dritten gewährt ihr das Klavier einen lang gehaltenen es-Moll-Akkord als Begleitung. Das Bemerkenswerte, und die Größe dieser Komposition Ausmachende ist aber, dass sich ihr Aussage-Potential in seinem ganzen Umfang und seinen Dimensionen durch die melodische Linie entfaltet, die auf dem zweiten Vers liegt. Sie ist im Fall der zweiten Strophe ebenfalls mit der der ersten identisch, wird auch ohne Klavierbegleitung vorgetragen und in beiden Fällen wieder vom mit der fünftteiligen Akkordfolge kommentiert. Bedeutsam und vielsagend ist dabei aber, dass sie nun ganz und gar im Tongeschlecht Dur verbleibt und dabei eine Rückung von Ces nach Ges und wieder zurück beschreibt. Im Fall der dritten Strophe gehen Melodik und Klaviersatz allerdings beim zweiten Vers in einen anderen Gestus über, darin den lyrischen Sachverhalt reflektierend, dass hier das lyrische Ich von einem „Noch-gut-Sein“ des geliebten Du geträumt hat.


    Bei den beiden ersten Strophen ist der Traum ein tieftrauriger, bedrückender: Das Verlassen-Werden von der Geliebten oder gar deren Tod. Und so beschreibt denn die melodische Linie in beiden Fällen eine, wiederum aus einer deklamatorischen Tonrepetition hervorgehende, dabei nun aber in tieferer Lage ansetzende und sich in noch tiefere absenkende Bewegung. Dies geschieht in Sekundschritten, von denen einer sogar ein verminderter ist und bei dem Wort „verließest“ in seinem Fall-Gestus sogar noch durch einen Achtel-Doppelschritt verstärkt wird. Die Harmonik senkt sich dabei am Ende, bei dem Sekundanstieg der melodischen Linie auf den Worten „Grab“ und „mich“, vom anfänglichen es-Moll zum abgrundtiefen Ces-Dur hin ab. Und eben deshalb lässt das Klavier dieses Mal seinen Kommentar in dieser Tonalität erklingen und verleiht damit dem Schrecken dieses Traums den gebührenden Nachdruck.


    Wie tief Schumann sich auf diese Lyrik Heines eingelassen und liedkompositorisch in ihre poetischen Tiefen vorgedrungen ist, das zeigt sich darin, dass er auch beim zweiten Verspaar der ersten und zweiten Strophe im Bereich von Melodik, Klaviersatz und Harmonik das Prinzip der Wiederholung beibehält, dabei allerdings berücksichtigend, dass der vierte Vers einen je eigenen Gehalt aufweist. Der dritte ist wieder in allen drei Strophen zwar lyrisch-sprachlich nicht völlig identisch, wohl aber in den einleitenden Worten, und er entspricht darin, die zugrundeliegende poetische Intention betreffend, dem ersten Vers. Der melodischen Linie, die Schumann in den beiden ersten Strophen auf diesen dritten Vers gelegt hat und die mitsamt dem zugehörigen Klaviersatz identisch ist, wohnt eine von verhaltender Dramatik geprägte Binnenspannung inne. Die Worte „ich wachte auf“ werden auf einer zweimal repetierenden und dann in einen kleinen Sekundanstieg übergehenden melodischen Linie deklamiert. Dann folgt eine Zweiachtelpause, die eine Erwartungshaltung erzeugt, der das Klavier Nachdruck verleiht, indem es einen vierstimmigen e-Moll-Akkord anschlägt. Bei den nachfolgenden Worten „und die Träne“ und „und ich weinte“ setzt die melodische Linie erneut mit einer Tonrepetition auf der gleichen tonalen Ebene ein, beschreibt danach aber einen deutlich expressiveren Terzsprung mit nachfolgendem Sekundfall, der „Träne“ und „weinte“ mit einem Akzent versieht. Den verstärkt das Klavier danach wieder mit einem vierstimmigen Akkord, dieses Mal aber einem, der in as-Moll steht.


    Die Melodik auf dem vierten Vers der beiden ersten Strophen, die erneut ohne Klavierbegleitung deklamiert wird, weist ebenfalls eine strukturelle Ähnlichkeit auf: Nach einem Quartfall verharrt die Vokallinie in Gestalt von Repetitionen in tiefer Lage und beschreibt danach einen aus einem verminderten Sekundfall hervorgehenden Terzsprung, der die Worte „herab“ und „bitterlich“ mit einem starken Akzent versieht. Beide Male soll der Vortrag dieser Zeilen mit einem Ritardando versehen vorgetragen werden, aber weil die lyrische Aussage in ihrer sprachlichen Gestalt und in ihrem Gehalt jeweils eine andere ist, nimmt Schumann eine bemerkenswerte Modifikation vor. Da das erste Bild eine Bewegung beinhaltet, das Fließen der Träne nämlich, legt er auf das Wort „floß“ eine melodische Dehnung und lässt ihr nach dem Quartfall eine viermalige Repetitionen folgen, in der das Wort „Wange“ durch ein punktiertes Achtel im Rahmen von Sechzehnteln einen zwar nur kleinen, aber darin umso beachtlicheren Akzent erhält. Die Worte „(weinte) noch lange bitterlich“ beinhalten hingegen einen zeitlich dauerhaften Vorgang, was zur Folge hat, dass sich die melodische Linie nun, bei gleicher Grundstruktur, in Gestalt von deklamatorischen Schritten im Wert von Achteln und Vierteln entfaltet, der Einsatz nun keine Dehnung trägt und die Tonrepetitionen in tiefer Lage sich auf zwei beschränken.


    Schon im ersten Fall, also am Ende der ersten Strophe, bekundet das Klavier nach dieser ohne begleitende Aktivtäten seinerseits vorgetragenen Melodiezeile durch nachträglichen Kommentar, dass gerade liedmusikalisch Bedeutsames geäußert wurde und solches auch nachfolgt. Es lässt, wie immer nicht unmittelbar, sondern erst nach einer kurzen Pause nach dem Ende der melodischen Linie, eine Folge von zwei Akkorden erklingen, die sich im Umfang von der Drei- zur Vierstimmigkeit erweitern und eine Rückung von a-Moll nach G-Dur vollziehen, gefolgt von einer langen fermatierten Pause. Und im zweiten Fall, im Übergang von der zweiten zur dritten Strophe, wird daraus eine ganze, fast drei Takte einnehmende Folge von insgesamt neun Akkorden, die eine in ihrer harmonischen Kühnheit ausdrucksstarke Rückung von a-Moll über G-Dur, es-Moll und ges-Moll vollziehen, wobei der letzte es-Moll-Akkord so lange gehalten wird, dass sie Singstimme mit der melodischen Linie auf den Worten „Ich hab´ im Traum geweinet“ einsetzen kann, - nun also nicht mehr allein gelassen.


    Und es ist ja tatsächlich höchst Bedeutsames, was die Liedmusik nun in der dritten und letzten Strophe dieses Liedes zum Ausdruck zu bringen hat, - und deshalb von dem Prinzip der Wiederholung ablässt und nach dem ersten Vers eine neue Gestalt annimmt. Nach der Wiederholung der einleitenden Melodiezeile, die dieses Mal aber von dem aus dem vorangehenden Takt herüberklingenden fünfstimmigen es-Moll-Akkord getragen wird, beschreibt die melodische Linie bei den Worten „Mir träumte, du wärst mir noch gut“ nach einer anfänglich neuerlichen Tonrepetition und einem Sekundsprung einen kleinen nach unten gerichteten Bogen, der sie bei dem Wort „gut“ auf eine um eine Sekunde angehobene tonale Ebene führt, wozu das Klavier, das nun die Singstimme bis zum Ende begleitet, einen Des-Dur-Akkord beiträgt, was, da es gerade einen lang gehaltenen As-Dur-Akkord angeschlagen hatte, eine Rückung in die Subdominante bedeutet und diesem melodischen Sekundsprung – und damit dem Wort „gut“ – einen markanten Akzent verleiht.


    Die Worte „ich wachte auf“ werden auch dieses Mal in der gleichen Tonrepetition deklamiert, wie in den beiden vorangehenden Strophen, aber auf einer um eine Quinte angehobenen Ebene und nun in ges-Moll harmonisiert und vom Klavier mit über eine Oktave fallenden Achteln und Vierteln im Diskant begleitet. Dadurch, dass die melodische Linie hier auf der tonalen Ebene verbleibt, die sie mit dem Quartsprung auf den Worten „noch gut“ eingenommen hat und bei den Worten „und noch immer strömt meine“ die Repetition auf ihr in silbengetreuer Deklamation fortsetzt, wobei die Harmonik eine Rückung von ges-Moll nach des-Moll vollzieht, entfaltet die Liedmusik eine hohe Expressivität. Und den Gipfel erreicht sie dann beim letzten Wort „Tränenflut“. Die melodische Linie steigt um eine kleine Sekunde an, geht zu ihrer letzten Repetition über und überlässt sich bei der Silbe „-flut“ über einen Sekundfall einer langen Dehnung auf einem hohen „Es“.


    Das ist in Es-Dur harmonisiert, und das heißt: Die melodische Linie endet zwar auf dem Grundton der Dur-Variante der Grundtonart es-Moll, das Klavier aber will das nicht anerkennen und lässt einen ges-Moll-Akkord nachfolgen, womit es die Liedmusik in seinem sechstaktigen Nachspiel zu dem harmonischen Geist, in dem sie sich von Anfang an entfaltet hat, gleichsam zurückholt. Und dazu passt, dass es selbst wieder in seinen Gestus des Schweigens zurückfällt. Erst nach einer eintaktigen Pause lässt es die fünf Takte umfassende Figur erklingen, mit der es die einsame melodische Linie in der ersten und der zweiten Strophe immer wieder nachträglich kommentiert hat. Und nach einer neuerlichen, nun fast zweitaktigen Pause, fügt es zwei pianissimo hingetupfte Akkorde hinzu, - einen dominantischen in B-Dur und einen in der Grundtonart es-Moll.


    Der Traum vom „Noch-gut-Sein“ enthüllte sich ja schon im Erwachen als ein illusionärer. Und die melodische Linie bringt das mit ihrem Sich-Hineinsteigern in hohe Expressivität auch zum Ausdruck. Aber dem kleinen Augenblick der Hoffnung, der an ihrem Ende durch die Dur-Harmonisierung des Grundtons kurz aufblitzt, wird vom Klavier im Nachspiel wieder der Boden entzogen.
    Es ist wahrlich großartig, was Schumann mit seiner Liedmusik aus diesem Heine-Gedicht macht.

  • Allnächtlich im Traume seh' ich dich
    Und sehe dich freundlich grüßen,
    Und laut aufweinend stürz' ich mich
    Zu deinen süßen Füßen.


    Du siehest (Heine: siehst) mich an wehmütiglich
    Und schüttelst das blonde Köpfchen;
    Aus deinen Augen schleichen sich
    Die Perlentränentröpfchen.


    Du sagst mir heimlich ein leises Wort
    Und gibst mir den Strauß von Zypressen.
    Ich wache auf, und der Strauß ist fort,
    Und´s (Heine: Und das) Wort hab' ich vergessen.


    Das Thema Begegnung der Geliebten im Traum und Erwachen danach wird hier noch einmal aufgegriffen, und Schumann folgte darin Heinrich Heine, denn dieses Gedicht schließt sich im „Lyrischen Intermezzo“ unmittelbar an das vorangehende an. Heine verfolgt hier zwar eine ähnlich gelagerte lyrische Aussage, er greift das Thema aber anders auf und gestaltet es in lyrisch anderer Weise, das Ereignis der Begegnung von Traum und realer Tageswelt dieses Mal nicht Strophe für Strophe sich vollziehen lassend, sondern es langsam aufbauend, um es dann mit umso größerer Expressivität ans Ende des Gedichts zu setzen.


    Der Schock des Aufeinandertreffens von träumerischer Imagination liebevoller Begegnung mit dem Du mit der Realität der Beziehung zu ihm wird für das lyrische Ich stärker und schmerzlicher, weil er sich nach einer ganzen Folge von Traumbildern ereignet, bei denen Heine alle Register der metaphorischen und lyrisch-sprachlichen Expressivität zieht und sich dabei auf geradezu kühne Weise bis an die Grenze zum Kitsch vorwagt, so dass man nun – wieder einmal - nicht so recht weiß: Ist das nun Ausdruck wirklicher, ungebrochener und seelisch tiefer Empfindung, oder der Bruch einer solchen, wie er sich im ironischen Umgang mit ihr ereignet. Dabei gibt es diese lyrisch-sprachliche Aufrichtigkeit durchaus: In den Traumbildern von der „freundlich grüßenden“, das „blonde Köpfchen“ schüttelnden, heimlich „ein leises Wort“ sprechenden und einen „Strauß von Zypressen“ reichenden Geliebten.


    Aber schon dass Heine sie nicht „wehmütig“ das Ich ansehen lässt, sondern daraus ein „wehmütiglich“ macht, mutet verdächtig an. Und wenn er dann gar sein Ich sich „laut aufweinend“ nicht nur „niederstürzen“, sondern es dabei gar vor den „süßen Füßen“ landen lässt, dann lässt nicht nur das Bild, sondern auch die gewollt herbeigeführte Duplikation des Vokals „ü“ die Zweifel an der Redlichkeit der lyrischen Aussage wachsen. Von dem höchst gewagten, in seinem übertrieben artifiziellen, weil wesenhaft gekünstelten Charakter die Grenze zur dichterischen Unwahrhaftigkeit überschreitenden Kompositum „Perlentränentröpfchen“ einmal abgesehen. Das ist unzweifelhaft lyrisch-sprachlicher Kitsch, und er würde eigentlich dieses Gedicht zu einem fragwürdigen machen, würde er nicht von seinem Schluss her gleichsam aufgefangen: Der sprachlich lapidare Gestus, in dem die beiden letzten Verse auftreten, verleiht den – bewusst inszenierten - Ausrutschern in den lyrischen Kitsch mit einem Mal einen tiefen Sinn: Das Erwachen in der Realität der Liebe zum Du wird auf diese Weise umso schockierender.


    Schumann hat diese Verse Heines wohl so gelesen und in Liedmusik gesetzt. Diese nimmt sie wieder in dem Sinne wörtlich, dass sie jegliche Anmutung von Selbstironie, die sich bei den Aussagen des lyrischen Ichs sehr wohl einstellen kann, ganz und gar ausblendet. Sie weist in ihrer Faktur an keiner Stelle auch nur einen Anflug davon auf. Und das heißt: Schumann hat sie gleichsam vom Ende des Gedichts her komponiert und die an sich lyrisch fragwürdigen, dem großen Poeten Heine eigentlich nur auf der Ebene der Ironie zurechenbaren lyrischen Aussagen und Bilder in dem Sinne verstanden und liedmusikalisch umgesetzt, wie das gerade als mögliche Rezeption des Gedichts entworfen wurde. Man kann also im Vorhinein, also noch vor jeglichem, in der nachfolgenden analytischen Betrachtung zu erbringenden Nachweis feststellen, dass er der lyrischen Aussage liedkompositorisch voll und ganz gerecht geworden ist.


    Damit die Gefahr der Verzettelung umgangen wird, soll sich dieser Nachweis auf die diesbezüglich relevanten Merkmale der Liedkomposition beschränken. Zu ihren grundlegenden Eigenschaften: Sie steht in H-Dur als Grundtonart, und die Liedmusik entfaltet sich auf der Grundlage eines Zweivierteltakts. Aber schon hier wird deutlich, wie tief Schumann mit seiner Musik in die Lyrik Heines vorgedrungen ist. Der Zweivierteltakt wird nicht durchgehalten: Bei den Worten „laut aufweinend stürz´ ich mich“ und „deinen Augen schleichen sich“, den dritten Versen der beiden ersten Strophen also, tritt ein Dreivierteltakt an seine Stelle, was eine deklamatorisch-rhythmische und tempomäßige Hervorhebung der identischen Melodiezeilen zur Folge hat und darin die Funktion dieser Verse im Sinne eines Sich-Öffnens für die nachfolgende und höchst bedeutsame lyrische Aussage reflektiert. Und in diesem Zusammenhang erweist sich die kompositorische Behandlung des parallelen dritten Verses der dritten Strophe als weiteres Merkmal für die in die Tiefe gehende Umsetzung von Heines Lyrik in Liedmusik. Hier weicht Schumann nämlich von diesem Prinzip ab: Kein Umschlag vom Zweivierteltakt in den von drei Vierteln mehr und eine Abkehr von der der Wiederholung der melodischen Linie. Der Schock des Aufwachens muss in der Liedmusik angemessenen Niederschlag finden.


    Es gibt noch ein weiteres formales Merkmal, das dieses Lied als eine die semantische Tiefe der lyrischen Aussage erfassende Komposition ausweist. Es betrifft die Struktur der melodischen Linie. Sie präsentiert sich dem Blick in die Noten als ein eigenartig zerstücktes Gebilde. Obwohl sie eigentlich in der Aufeinanderfolge der deklamatorischen Schritte eine innere Bindung aufweist und infolgedessen auch in gebundener Weise gesanglich realisiert werden könnte, drängen sich permanent Viertel- und Achtelpausen in ihre Entfaltung. Auf dem Wort allnächtlich“ liegt eine Kombination aus Sekund- und Terzfall, der das Klavier im Diskant mit dreistimmigen dominantischen Fis-Dur-Akkorden begleitet. Bevor die melodische Linie auf den Worten „im Traume“ eine Sekunde höher ansetzend und nun in H-Dur, der Tonika also, ihre Bewegung fortsetzen kann, drängt sich eine Achtelpause in sie. Und so setzt sich das fort. Nach einer Viertelpause nach „Traume“ folgt auf „seh´ ich dich“ ein gedehnter Quartfall mit nachfolgendem Sekundsprung und eine nachfolgende Achtelpause; die Worte „und sehe“ werden mit einer Achtelpause vor und nach dem auf ihnen liegenden Terzfall melodisch eingegrenzt und hervorgehoben; und in noch markanterer Weise geschieht das bei den nachfolgenden Worten „dich freundlich grüßen“.


    Denn hier tritt zu dem die Zerstückung der Melodik bewirkenden Pauseneffekt noch der der Wiederholung eines Wortes hinzu. Wieder beschreibt die melodische Linie auf „dich freundlich“ die ganz offensichtlich ihr Wesen ausmachende Fallfigur über eine Sekunde und eine Terz oder eine Quarte. Nun unterbricht sie gar eine Viertelpause, bevor sie ihre Bewegung fortsetzen kann. Und fast möchte man annehmen, dass sie nun, um eben dies zu tun, noch einmal das Wort „freundlich“ aufgreift, es auf einem neuerlichen, um eine Sekunde angehobenen Quartfall wiederholt, um den Sekundfall auf dem Wort „grüßen“ anzufügen, - wobei sich eine harmonische Rückung von cis-Moll in die Dominante Fis-Dur ereignet, an die die Melodik des dritten Verses dann gleichsam auftaktig anschließt. Es ist die, der der zugrundeliegende Dreivierteltakt ihre herausgehobene Position in diesem Lied verleiht.


    Aber die Frage ist ja nun: Wie ist diese eigenartige Struktur der Melodik, die Stückelung der melodischen Linie in winzige Zeilen, die vom Klavier durchweg mit einer von keiner Pause unterbrochenen Folge von dreistimmigen Viertel- und Achtelakkorden im Diskant begleitet werden, zu erklären? Man darf wohl mit guten Gründen davon ausgehen, dass sich darin Schumanns, die semantische Tiefendimensionen erfassende Rezeption von Heines Lyrik niederschlägt. Die den beiden letzten Versen vorausgehenden lyrischen Traumbilder werden vom lyrischen Ich ja wesenhaft retrospektivisch artikuliert, - aus der mit den Worten „ich wache auf“ in schroff lapidarer Weise eingebrachten Situation tagesweltlicher Realität. Und Schumann nutzt nun, aus dem Erfassen dieses Sachverhalts heraus. die Ausdrucksmöglichkeiten, die ihm seine Liedmusik bietet, um das lyrische Ich als einen seine Traumwelt am Morgen danach in gleichsam kleinen Stücken rekonstruierenden Menschen darzustellen. Die Wiederholung der Worte „freundlich“, „schüttelst“ und „den Strauß“ in den drei Strophen enthüllt sich in diesem Zusammenhang mit einem Mal in ihrem tieferen Sinn.
    Man kann das, was hier stattfindet, eigentlich nicht anders als mit dem Wort „liedkompositorisch genial“ beschreiben, - genial, weil es die dem Gedicht zugrundliegende poetische Intention sozusagen musikalisch-klanglich sinnfällig werden lässt.


    Eine Beschreibung der Liedmusik auf den ersten beiden Versen der zweiten und der dritten Strophe ist nicht erforderlich, denn Schumann behält darin den im Falle der ersten Strophe dargestellten melodisch-deklamatorischen Grund-Gestus mitsamt der zugehörigen Harmonisierung und dem Klaviersatz bei. Eine genauere Betrachtung erfordert aber noch die Liedmusik auf dem zweiten Verspaar der drei Strophen. Denn hier ereignet sich liedkompositorisch Bemerkenswertes. Bei der ersten und zweiten Strophe, also bei den Worten „Und laut aufweinend stürz' ich mich / Zu deinen süßen Füßen“ und „Aus deinen Augen schleichen sich / Die Perlentränentröpfchen“ herrscht diesbezüglich liedmusikalische Identität, und dies bis in das fast dreitaktige, die bogenförmig sich entfaltende Folge der melodischen Figuren auf den ersten beiden Versen reflektierende Nach-, bzw. Zwischenspiel hinein.


    Heines Strophen sind in ihrer lyrischen Aussage so angelegt, dass sich im letzten Vers der beiden ersten Strophen eine die Grenze zur Fragwürdigkeit tangierende, wenn nicht gar überschreitende metaphorische Kulmination ereignet, - in Gestalt der „süßen Füße“ und der „Perlentränentröpfchen“. Schumann hat das – ausweislich seiner Liedmusik – offensichtlich genauso gesehen. Also stellt er dem letzten Vers eine Art melodische Ouvertüre voran: In Gestalt einer auf der Grundlage eines Dreiviertaltakts sich im Tempo und in der Rhythmik markant hervorhebenden und in Tonrepetitionen entfaltenden melodischen Linie, die in der tonalen Ebene langsam ansteigt und am Ende in einen Quartsprung mündet, der dann seinerseits die Melodik des letzten Verses einleitet, indem er ihren Gestus vorausnimmt.


    Denn das ist einer von über große Intervalle erfolgenden und in der tonalen Ebene sich absenkenden Folge von melodischen Fallbewegungen, denen nun wieder der Zweivierteltakt zugrunde liegt. Und beides, die Rückkehr zum für die Liedmusik konstitutiven Metrum und der Gestus des melodischen Falls über große Intervalle, ist höchst bemerkenswert. Denn diese Figur ist ja konstitutiv für die Melodik auf dem ersten Verspaar aller drei Strophen, und wenn sich nun auf den „süßen Füßen“ und den „Perlentränentröpfchen“ zweimal ein sich in der tonalen Ebene um eine Quarte absenkender Sextfall ereignet, der am Ende mit einem ritardando vorzutragenden Sekundfall gleichsam aufgefangen wird, dann werden diese metaphorisch problematischen lyrischen Bilder in die Melodik dieses Liedes eingebunden und wollen als Ausdruck wahrer Empfindungen des lyrischen Ichs verstanden werden, - frei also von jeglichem Verdacht auf Ironie.


    Bei den ersten beiden Versen der dritten Strophe entfaltet sich die melodische Linie im Gestus ihres Anfangs. Auch wenn sie auf den Worten „heimlich ein leises Wort“ eine neue Bewegung beschreibt, so ist es doch eine, die in dem für dieses Lied so charakteristischen Fall über die Quarte oder die Terz erfolgt. Auf den Worten „Du sagst mir“ und „du gibst mir“ liegt die gleiche melodische Figur wie auf „allnächtlich“, „du siehest“ und „du schüttelst“. Sie verkörpert die von zärtlicher Zuwendung geprägte Haltung, in der das lyrische Ich das geliebte Du in seinem Monolog anspricht. Beim dritten Vers ereignet nun aber eine Abkehr von der Melodik, die auf den entsprechenden Versen der beiden vorangehenden Strophen liegt. Dadurch, dass die Tonrepetitionen bei den Worten „ich wache auf“ nun in der tonalen Ebene nicht ansteigen, sondern auf der eines „Fis“ in tiefer Lage verbleiben und bei „auf“ in einer Dehnung mit nachfolgender Achtelpause gleichsam innehalten, wirkt der Eröffnungscharakter der Melodiezeile wie verstärkt. Dies lässt die aus dem Geist der Liedmusik dieser Komposition regelrecht ausbrechenden Charakter der letzten Melodiezeile umso markanter hervortreten.


    Und es ist unüberhörbar: Melodische Linie, Harmonik und Klaviersatz reflektieren hier in voll adäquater Weise die Lakonie des Einbruchs von Realität in die-imaginäre, heile und schöne Traumwelt, wie Heine sie mit seinem letzten Vers sprachliche Gestalt hat annehmen lassen. Und wie sehr es Schumann auf die Steigerung dieser Lakonie ankam, das lässt nicht nur die Liedmusik vernehmen, es zeigt sich auch darin, dass er aus dem Heineschen „und das“ ein lakonisch verkürztes „und´s“ gemacht hat. Dementsprechend hat er diese letzte Melodiezeile bogenförmig, das Intervall einer Quinte übergreifend angelegt, und ihr auf diese Weise besondere Expressivität verliehen. Die Steigerung der Lakonie erreicht er dadurch, dass er die Melodiezeile mit in der tonalen Ebene ansteigenden Tonrepetitionen einsetzen lässt und ihr anschließend sogar einen zweifachen Sekundanstieg gewährt, diesen dann aber bei den Worten „hab´ ich vergessen“ in einen geradezu schroff anmutenden, weil sich in Gestalt von zwei in der tonalen Ebene über eine Quarte Doppelrepetitionen ereignenden Sturz überführt. Die Harmonik beschreibt dabei eine ebenso expressive Rückung von einem anfänglichen E-Dur über Dis-Dur, gis-Moll und Fis-Dur, um am Ende den lakonischen, auf dem Wort „vergessen“ sich ereignenden Sekundfall mit nachfolgender Tonrepetitionen auf der Quinte zum Grundton in der Tonika H-Dur erklingen zu lassen.


    Das Klavier kann zu diesem bitteren Schluss der Melodik nur noch eine ebenso lakonische Folge von drei im Legato aufeinander folgenden und eine Rückung von der Dominante zur Tonika beschreibenden drei- und vierstimmigen Akkorden beitragen.

  • Aus alten Märchen winkt es
    Hervor mit weißer Hand,
    Da singt es und da klingt es
    Von einem Zauberland;


    Wo bunte Blumen blühen
    Im gold'nen Abendlicht,
    Und lieblich duftend glühen,
    Mit bräutlichem Gesicht;


    Und grüne Bäume singen
    Uralte Melodei'n,
    Die Lüfte heimlich klingen,
    Und Vögel schmettern drein;


    Und Nebelbilder steigen
    Wohl aus der Erd' hervor,
    Und tanzen luft'gen Reigen
    Im wunderlichen Chor;


    Und blaue Funken brennen
    An jedem Blatt und Reis,
    Und rote Lichter rennen
    Im irren, wirren Kreis;


    Und laute Quellen brechen
    Aus wildem Marmorstein.
    Und seltsam in den Bächen
    Strahlt fort der Widerschein.


    Ach, könnt' ich dorthin kommen,
    Und dort mein Herz erfreu'n,
    Und aller Qual entnommen,
    Und frei und selig sein!


    Ach! jenes Land der Wonne,
    Das seh' ich oft im Traum,
    Doch kommt die Morgensonne,
    Zerfließt's wie eitel Schaum.


    Die Wahl dieses Gedichts als Grundlage für das sich an „Allnächtlich im Traume“ anschließende Lied lässt erkennen, dass Schumann seiner „Dichterliebe“ durchaus eine, den zyklischen Charakter seines Opus 48 konstituierende lyrisch-textliche Basis zugrunde legen wollte, die eine thematisch sich entfaltende und zielgerichtete Konsistenz aufweist. Denn dieser Heine-Text, den Schumann der Ausgabe von 1827 entnahm (daher die vielen Textabweichungen von der späteren Edition des „Buchs der Lieder“) folgt im „Lyrischen Intermezzo“ nicht auf „Allnächtlich im Träume“, geht diesem, das darin die Nummer 56 trägt, als Nummer 43 vielmehr voraus. Schumann hat also ganz bewusst einen Rückgriff getätigt, und der Grund dafür ist offenkundig:
    Dieses Heine-Gedicht greift das gleiche Thema auf wie die beiden vorangehenden Liedern zugrundeliegenden Gedichte: Destruktive Begegnung einer imaginären, traumgeborenen, den Sehnsüchten des lyrischen Ichs Erfüllung bietenden und darin identitätsstiftenden Welt mit einer realen, die sich in ihrem Wesen und ihrer Gestalt als absolut kontrafaktisch erweist, was sich jeweils am Ende in einem schroff lakonisch angelegten letzten Vers oder Verpaar niederschlägt. Hier hat Heine dafür das lyrisch ausdrucksstarke Bild vom „Zerfließen wie eitel Schaum“ gefunden.


    Ohnehin entfaltet er in den sechs Strophen, die den beiden bekenntnishaften Schlussstrophen vorausgehen und eben diese imaginäre Gegenwelt zur realen entwerfen, eine geradezu zauberische, höchstes lyrisch-evokatives Potential aufweisende metaphorische Vielfalt. Allen Bildern ist der gerade ausschweifend phantasiegeborene Gegenwelt-Charakter zur faktischen Nüchternheit der Realität eigen: Alles findet in diesen Bildern von belebter Natur in seinem phantastisch vielfältigen, realweltliche Erfahrungen transzendierenden und darin ganz und gar eigene Gestalt und Dynamik entfaltenden Eigensein auf harmonische Weise zueinander: Blumen zeigen hier ein bräutliches Gesicht, grüne Bäume singen, Nebelbilder tanzen luftige Reigen, blaue Funken brennen auf Blättern und laue Quellen brechen aus wildem Marmorstein. Die sich als Erwachen ereignende realweltliche Erfahrung lässt all das zu „eitel Schaum“ werden.


    Solche poetisch phantastischen und mit höchster lyrisch-sprachlicher Potenz kreierten Bilder mussten einen musikalischen Lyriker Schumann geradezu beflügeln und zur Komposition einer adäquaten, die sprachliche Ebene und das evokative Potential der Metaphorik erfassenden und umsetzenden Liedmusik anregen. Und die ist ihm auch auf voll überzeugende und ihre Rezipienten faszinieren und beglücken könnende Weise gelungen. Und wenn man der Frage nachgeht, woraus diese Liedkomposition ihre Fähigkeit bezieht, ihre Hörer in Bann schlagen zu können, dann stößt man alsbald auf einen für ihre Melodik charakteristischen und darin das Wesen von Heines Lyrik gleichsam auf den Punkt bringenden Sachverhalt: Sie generiert sich aus nur zwei, aber permanente Variationen durchlaufenden, darin die Vielfalt der Metaphorik erfassenden und sie in ihrer Aussage gleichsam auf den Punkt bringenden melodischen Figuren.


    Man begegnet ihnen in exemplarischer Weise in der Liedmusik der ersten Strophe. Das neuntaktige Vorspiel gibt sie gleichsam in akkordischer Gestalt vor, und die melodische Linie übernimmt sie danach für die beiden Verspaare. Ein Sechsachteltakt liegt zugrunde, die Grundtonart ist E-Dur, und die Vortragsanweisung lautet „lebendig“. Das alles gilt, bis auf das „lebendig“, für das ganze Lied. Die Melodik der beiden letzten Strophen, der für die Gesamtaussage des Liedes große Bedeutung zukommt, was allein schon daraus ersichtlich ist, dass sie sich aus dem Hauptmotiv in gestreckter und gedehnter Form generiert, soll allerdings dann „Mit innigster Empfindung vorgetragen werden. Dieses erklingt auf den Eingangsversen in seiner originären Gestalt. Bei den Worten „Aus alten Märchen winkt es“ beschreibt die melodische Linie eine wellenartige Bewegung, dies allerdings in auf der Grundlage des Sechsachteltakts rhythmisiertem Ablauf, nämlich im Wechsel von deklamatorischen Schritten im Wert eines Achtels und eines Viertels. Aus einem Anstieg in Sekundschritten geht sie bei „Märchen“ in einen Quartfall über, von dem sie sich zu den Worten „winkt es“ zunächst mit einem Sekundsprung wieder erhebt, um danach aber aus einer Dehnung heraus in einen Sekundfall überzugehen. Das Klavier folgt ihr in dieser Bewegung mit ebenfalls rhythmisierten Akkorden, und die Harmonik beschreibt eine Rückung von E-Dur zur das Wort „Märchen“ hervorhebenden Subdominante A-Dur und wieder zurück.


    Die melodische Linie, die auf dem zweiten Verspaar der ersten Strophe liegt, ist in ihrer Grundstruktur jener auf dem ersten verwandt, weist sie doch ebenfalls einen Anstieg mit nachfolgendem Fall und einen Abschluss aus einer Sprungbewegung auf. Sie entfaltet sich aber in einem anderen deklamatorischen Gestus, der vor allem durch Tonrepetitionen geprägt ist. Bei den Worten „Da singt es und da klingt es“ mutet die melodische Linie an, als würde sie sich in Gestalt von solchen Repetitionen erst über einen Terz- und dann einen Quartsprung in hohe Lage emporschwingen, um danach bei den Worten „von einem Zauberland“ einen mit einem Sekundfall eingeleiteten weiteren kleinen Aufstieg zu beschreiben, der in eine, eben dieses Wort „Zauberland“ mit einem starken Akzent versehende expressive Kombination aus Oktavfall mit nachfolgendem Quartsprung mündet. Auch hier begleitet das Klavier mit Akkorden, die allerdings, um der Melodik auf dem starken lyrischen Bild von der „weißen Hand“ einen ruhigen klanglichen Raum zur Entfaltung zu bieten, länger gehalten werden. Die Harmonik verbleibt im Bereich der Tonika und ihrer Subdominante, beschreibt aber, und das ebenfalls bei diesem Bild, eine Rückung in die Dominante.


    Die Melodik der nachfolgenden Strophen ist in ihrer Struktur so vielfältig, dass man nirgendwo der Wiederkehr einer deklamatorischen Figur in ganz und gar identischer Gestalt begegnet. Die Bindung an den lyrischen Text und den Gehalt seiner Metaphorik, der sich Schumann verpflichtet fühlt, lässt dies nicht zu, so dass selbst dort, wo es für ihn inhaltlich angezeigt ist, bei den die beiden letzten Strophen einleitenden Worten „Ach, könnt' ich dorthin kommen“ nämlich, die melodische Figur auf den die Sechsergruppe der Strophen einleitenden Worte „Aus alten Märchen winkt es“ nur eine strukturelle, aber keine deklamatorische Identität besteht. Und doch empfindet man die Melodik mindestens der ersten sechs Strophen so, als sei sie aus den beiden Grundfiguren der ersten Strophe wie aus einer Keimzelle hervorgegangen und in ihrer Entfaltung von deren Geist beflügelt.


    Und das ist ja eigentlich nicht verwunderlich, atmen doch diese Strophen allesamt denselben lyrischen Geist, - den eines in seiner Metaphorik phantastischen Entwurfs einer Gegenwelt zur real faktischen des lyrischen Ichs. Und in der Beschwingtheit und der Aufwärtstendenz, die beiden melodischen Grundfiguren eigen ist, muten sie an, als würden sie eben diesen Geist zum Entwurf einer kontrafaktischen imaginären Welt verkörpern. Und umso beeindruckende ist dann, wie dieser Geist beschwingter Beflügelung in der letzten Strophe wie zu erlahmen scheint, - weil er in der Realität angekommen ist.


    Es ist nun gewiss nicht sinnvoll, in detaillierter Weise aufzuzeigen, wie sich in den einzelnen Strophen die Geburt der Melodik aus dem Geist der Grundfiguren ereignet. Von Belang ist eigentlich nur die Art und Weise, wie dabei jeweils die lyrische Aussage und die Metaphorik einfließen, und dies kann in exemplarischer Weise dargestellt werden. So entfaltet sich die zweite Strophe mit ihrem zentralen Bild von den „bunten Blumen“ ausschließlich aus dem Geist des zweiten Motivs, den die sich hebende und wieder fallende tonale Ebenen in beschwingter Weise gleichsam abtastenden Tonrepetitionen also. Die innere Beschwingtheit äußert sich dabei darin, dass die Repetitionen in Gestalt einer permanenten Folge von deklamatorischen Achteln und Vierteln erfolgen und sich zweimal, bei den Worten „blühen“ und „glühen“, ein Quartsprung zu einem hohen „Fis“ ereignet. Das Klavier entfaltet dabei geradezu impressionistische Klanglichkeit und beschränkt bei der Begleitung der Singstimme in Diskant und Bass im wesentlichen auf staccato angeschlagene Einzeltöne. Und die Harmonik weicht auch hier nicht von der für diese Liedmusik charakteristischen Tendenz ab, im Bereich der Tonika und ihren Unter- und Oberdominanten zu verbleiben, - hier freilich mit der Tendenz, letzterer den Vorzug zu geben.


    In der dritten Strophe ist die Metaphorik von Klängen bestimmt: Grüne Bäume singen, Lüfte klingen heimlich und Vögel „schmettern drein“. Schumann greift dies in der Weise auf, dass er die Melodik gleichsam singen lässt, und dies in einem geradezu jubelnd anmutenden Ton. Dazu greift er auf das erste Grundmotiv zurück und lässt es in modifizierter Gestalt, nämlich als Sekundanstieg mit nachfolgendem Sekundfall, gleich vier Mal hintereinander erklingen, wobei ein Steigerungseffekt dadurch zustande kommt, dass die melodische Figur beim dritten und vierten Mal auf einer um eine kleine Terz angehobenen tonalen Ebene ansetzt und sich dabei eine kühne harmonische Rückung ereignet.


    In dem akkordisch angelegten fünftaktige Zwischenspiel nach der zweiten Strophe ereignete sich eine Rückung von Fis-Dur nach G-Dur, und in dieser Tonart ist auch die Melodik auf den ersten beiden Versen der dritten Strophe harmonisiert, wobei jeweils zweimal eine Rückung von der Dominante D-Dur her erfolgt. Mit der Wiederholung der melodischen Figur auf angehobener tonaler Ebene beim zweiten Verspaar rückt die Harmonik aber nach Fis-Dur als Dominante zum nachfolgenden H-Dur. Und dies unvermittelt, ohne vorgeschaltete Modulation, was zur Folge hat, dass das Bild von den „schmetternden Vögeln“ in eine markant helle Klanglichkeit gebettet ist. Das Klavier begleitet die melodische Linie durchweg in dieser Strophe mit Akkorden in Bass und Diskant und folgt ihr damit in ihren Bewegungen.


    Das Bild von den aus der Erde hervor steigenden und dann einen wunderlichen Reigen tanzenden Nebelbildern greift Schumann dergestalt auf, dass er die melodische Linie zwar im Rückgriff auf die zweite melodische Grundfigur mit Tonrepetitionen einsetzen lässt, sie dann aber, darin die Bewegungen des lyrischen Bildes reflektierend, erst einen Fall in tiefe Lage beschreiben lässt, damit sie dort bei den Worten „aus der Erd´hervor“ ein Auf und Ab vollziehen kann. Dann aber, bei den Worten „Und tanzen luft'gen Reigen / Im wunderlichen Chor“ geht sie zu einem tänzerisch anmutenden, weil inTonrepetitionen von Achteln und Vierteln erfolgenden und eine ganze Oktave einnehmenden Aufstieg in hohe Lage über, von der sie sich dann wieder, nach einem Verharren dort in Sekundsprüngen auf und ab mit einem Quintfall zu dem Wort „Chor“ hin in untere Mittellage absenkt. Diesen Anstieg vollzieht das Klavier mit zweistimmigen Akkorden im Diskant mit, das Verharren der melodischen Linie in hoher Lage akzentuiert es danach aber mit einer Folge von drei- und vierstimmigen Akkorden, die eine harmonische Rückung von Fis- nach Cis-Dur und wieder zurück beschreiben.


    Wie impressionistisch hingetupft entfalten sich Melodik und Klaviersatz in der fünften Strophe, darin die beiden in ihrer punktuell-grazilen lyrischen Zeichnung hochgradig evokativen Bildern von den brennenden „blauen Funken“ und den in wirrem Kreise rennenden „roten Lichtern“ aufgreifend und in Musik umsetzend. Die melodische Linie bewegt sich in einem Auf und Ab von Tonrepetitionen auf nur zwei, durch eine Sekunde voneinander abgehobenen tonalen Ebenen, woraus sich zwei Mal, bei den Worten „brennen“ und „rennen“, ein klanglich hochexpressiver Ausbruch in Gestalt eines Quartsprungs ereignet, der jeweils mit einer harmonischen Rückung von Fis- nach Cis-Dur verbunden ist. Und auch das Klavier artikuliert sich, die melodische Linie begleitend, im Gestus impressionistischer Klanglichkeit: In nur kurz, nämlich als Achtel angeschlagenen bitonalen Akkorden und Einzeltönen im Diskant auf der Grundlage eines Aufs und Abs von Staccato-Achteln im Bass.


    Das Bild der nachfolgenden Strophe von den aus „wildem Marmorstein“ hervorbrechenden „lauten Quellen“ greift die Liedmusik hingegen in unmittelbarem Anschluss daran mit einer in immer neuen Anläufen sich in hohe Lage emporsteigenden Melodik auf, die in diesem Gestus die beiden Bilder vom „Hervorbrechen“ der Quellen und dem „seltsam“ in den Bächen strahlenden „Widerschein“ reflektiert. Eine Steigerung der ohnehin schon hohen Expressivität kommt dadurch zustande, dass die Aufstiegsbewegungen beim zweiten Verspaar um eine Sekunde angehoben einsetzt und die die Harmonik, die beim ersten Verspaar eine Rückung von Fis-Dur nach cis-Moll vollzog, nun eine von Ais-Dur nach dis-Moll beschreibt. Und das Klavier trägt zu all dem permanent repetierende sechsstimmige Akkorde im Diskant über nach oben steigenden Achteln und Vierteln bei. Und wie ein Akt des emphatischen Sich-Hineinsteigerns in diese Bilder, der aber begleitet wird von dem Wissen um ihren fiktiven Wunsch-Charakter und damit ihre Unerreichbarkeit wirkt der nachfolgende, in einer langen Dehnung auf einem hohen „Fis“ sich ereignende Ausruf „Ach“, der nach einer Dreiachtelpause um eine Quinte abgesenkt noch einmal wiederholt wird, begleitet durchweg von repetierenden H-Dur-Akkorden in der Dominantsept-Variante.


    Es ist das „Ach“, mit dem Heine die beiden letzten Strophen einleitet, der Klageruf also, in den das lyrische Ich angesichts der Unerreichbarkeit jener Welt ausbricht, in der es „aller Qual entnommen“ und „frei und selig“ sein könnte. Schumann hat ihn in melodisch expressiver, weil in Dehnung und Fall sich ereignender Weise an das Ende der sechsten Strophe gestellt und damit die Schmerzlichkeit der existenziellen Erfahrung, die den Aussage-Kern von Heines Gedicht bildet, gleichsam potenziert.


    Und die Liedmusik auf diesen Schlussstrophen führt das nun gleichsam aus und lässt es zur sinnlichen Erfahrung werden. Sie begegnet ihren Hörern als Wiederkehr der beiden melodischen Grundfiguren der ersten Strophe, dies aber in einer Weise, die in dem immer wieder neuen Anlauf zu einer deklamatorisch gedehnten und gestreckten Entfaltung so wirkt, als würde das lyrische Ich sich in die Schmerzlichkeit dieser existenziellen Erfahrung regelrecht versenken, um sie voll und ganz auskosten. Das ist von Heine hier so nicht explizit zum Ausdruck gebracht, aber es ist der Grund-Gestus seiner Liebeslyrik, und Schumann zeigt hier, wie tiefreichend er diesen erfasst hat.


    Die melodische Bewegung auf den Worten „Ach könnt´ ich dorthin kommen“ ist die Wiederkehr jener, die auf dem ersten Vers liegt, nur dieses Mal in gedehnter Weise, weil in Gestalt von punktierten Vierteln und einem stark gedehnten Sekundfall auf dem Wort „kommen“ deklamiert. Und die auf einer nur um eine Sekunde angehobenen, danach wieder zurückfallenden und in einen Terzfall mündenden Tonrepetitionen auf den Worten „Und dort mein Herz erfreu'n“ muten an, als wäre die melodische Bewegung auf den Worten „Hervor mit weißer Hand“ in Müdigkeit erstarrt. Und das ist der Gestus, in dem sich die Melodik auf allen nachfolgenden Versen dieser beiden letzten Strophen entfaltet, - bei den Worten „Und aller Qual entnommen, / Und frei und selig sein!“ sogar in Gestalt einer regelrechten Wiederholung.


    Die Melodik der letzten Strophe setzt auf den Worten „Ach, jenes Land der Wonne“ so ein, als hätte der anfängliche Klageruf „Ach“ der Figur, mit der das Lied einsetzt, die Kraft genommen, noch einmal ihren Aufstieg mit nachfolgendem Fall zu nehmen. Und das hat dann zur Folge, dass alle nachfolgenden melodischen Bewegungen mehr und mehr zum Gestus der deklamatorischen Repetition übergehen. Bei den Worten „Das seh' ich oft im Traum“ ereignet sich noch ein in eine Tonrepetition mündender Anstieg der melodischen Linie, und das wiederholt sich auf höherer tonaler Ebene und mit einer harmonischen Rückung von E-Dur nach A-Dur verbundenen Weise bei den Worten „Doch kommt die Morgensonne“.


    Dann aber kommt das große, typisch Heinesche Ereignis des lyrischen Bruchs, wie es die beiden letzten Verse zum Ausdruck bringen. Schumann setzt es in der Weise in Liedmusik um und steigert es in seiner Intensität, dass er sie in gleichsam resignative Lakonie verfallen lässt. Bei den Worten „Doch kommt die Morgensonne“ verbleibt die melodische Linie im Auf und Ab von Tonrepetitionen und in E-Dur mit einer Rückung nach A-Dur harmonisiert noch in tonal hoher Lage. Dann aber sinkt sie bei der Worten „Das seh' ich oft im Traum“, die Schumann, um eben diesen Effekt zu intensivieren, wiederholen lässt, wie von unendlicher Müdigkeit erfasst, erst in permanenten Tonrepetitionen erstarrend und dann bei dem Wort „eitel“ in einem aus einer kleinen Dehnung hervorgehenden dreischrittigen Fall über das Intervall einer Quinte in sich zusammen, um auf dem Grundton „E“ in tiefer Lage zu enden.


    Und wie zum Hohn lässt das Klavier im neuntaktigen Nachspiel die melodische Linie auf den ersten Worten des Liedes in akkordisch munterer Gestalt noch einmal erklingen, - freilich nicht, ohne sie, nachdem sie durch nachfolgende Pausen ins Stocken geraten ist, am Ende ebenfalls in lang gehaltenen Akkorden versinken zu lassen.

  • Die alten, bösen Lieder,
    Die Träume bös´ (Heine:schlimm) und arg,
    Die laßt uns jetzt begraben,
    Holt einen großen Sarg.


    Hinein leg' ich gar manches,
    Doch sag' ich noch nicht was;
    Der Sarg muß sein noch größer,
    Wie's Heidelberger Faß.


    Und holt eine Totenbahre,
    Und Bretter (Heine: Von Brettern) fest und dick;
    Auch muß sie sein noch länger,
    Als wie zu Mainz die Brück'.


    Und holt mir auch zwölf Riesen,
    Die müssen noch stärker sein
    Als wie der starke (Heine: heil'ge) Christoph
    Im Dom zu Köln am Rhein.


    Die sollen den Sarg forttragen,
    Und senken ins Meer hinab,
    Denn solchem großen Sarge
    Gebührt ein großes Grab.


    Wißt ihr, warum der Sarg wohl
    So groß und schwer mag sein?
    Ich senkt´ (Heine: legt') auch meine Liebe
    Und meinen Schmerz hinein.


    Dass Schumann diesen Heines „Lyrisches Intermezzo“ abschließenden und darin eine gleichsam selbstreferenzielle Funktion einnehmenden lyrischen Text auch als Grundlage für das Schlusslied seiner „Dichterliebe“ genommen hat, zeigt, wie stark es ihm darauf ankam, diesem seinem liedkompositorischen Werk einen auf Heines Lyrik gestützten und sich von deren dichterischen Aussagen herleitenden zyklischen Charakter zu verleihen.


    Heine rührt hier, rückblickend auf die vorangehenden vierundsechzig Gedichte, lyrisch-sprachlich die große Trommel, und das rhetorisch höchst geschickt. Denn es ist zunächst nur von gleichsam anonymen „alten bösen Liedern“ die Rede und davon, dass sie in einem „großen Sarg“ begraben werden sollen. Und das Wort „groß“ enthüllt sich dabei alsbald als eine Untertreibung, denn es beinhaltet das Format des „Heidelberger Fasses“, und diejenigen, die es tragen sollen, müssen zwölf Riesen sein, stärker noch als der heilige Christoph. Und erst am Ende erweist sich die Gigantomanie hinter all diesen riesenmäßigen lyrischen Bildern: Der Sarg muss dieses Format haben, weil er die Lyrik des Poeten Heine bergen soll, und das mitsamt der „Liebe“ und der „Schmerzen“, die ihren Inhalt bilden.
    Selbstironie gewiss. Aber eine von der typisch Heineschen Art: Sie weist allemal ein gehöriges Körnchen Wahrheit auf, - hier in der Einschätzung des eigenen lyrischen Werks.


    Schumann setzt mit seiner Liedmusik auf diese Verse an dem gigantomanischen Charakter der lyrischen Aussage und der sie transportierenden Bilder an. Und so ist denn auch alles gleichsam groß an ihr: Der Auftritt mit einem tatsächlich klanglich schrill anmutenden, sforzato ausgeführten und lang gehaltenen, weil mit einer Fermate versehenen cis-Moll-Akkord im dreitaktigen Vorspiel, einer Melodik, die sich, bis auf die Adagio-Wendung am Ende, gestisch in geradezu ungehobelter Weise, nämlich zumeist in Gestalt von sich in der tonalen Ebene auf und ab erfolgenden Tonrepetitionen entfaltet, und eines Klaviersatzes, der, diesen Gestus der Melodik voll und ganz unterstützend, im Diskant über weite Strecken von einer gleichsam grob angelegten Grundfigur geprägt ist: Einem Auf und Ab von drei partiell bitonal akkordischen Achteln, das in einen Aufwärtssprung über ein großes Intervall mündet.


    Aber da hier ein Robert Schumann am Werk ist, erschöpft sich die Liedmusik nicht in diesem Gestus: Sie steigert sich zwar darin so weit, dass sie der Singstimme eine bis in tiefe Lage reichende, sich dabei über eine Septe erstreckende und forte auszuführende melodische Fallbewegung abverlangt, aber am Ende, dort, wo es lyrisch um „Liebe“ und „Schmerz“ geht, vermag sie dann doch zu einem weichen, wehmütig-schmerzlichen Ton in Melodik und Klaviersatz zu finden. Und vor allem ist da noch das Nachspiel: Es beinhaltet in seiner Größe, den fünfzehn Takten die es beansprucht und in dem, was es darin zu sagen hat, die eigentliche Antwort auf all das, was sich lyrisch an Fragen und Problemen um das Thema „Liebe“ rankte und nun im „großen Sarg“ „begraben“ werden soll, - nicht in Erde natürlich, denn die wäre zu klein für Heines Lyrik. Es muss schon das gigantische Meer sein.


    Aber hat Schumann Heines subtile Selbstironie in diesem das Zentrum der lyrischen Aussage darstellenden Bild in seine Liedmusik einfließen lassen? Um es gleich vorweg festzustellen: Er hat es nicht. Und ich denke, dass er darin sein tief reichendes Verständnis von Heines Lyrik offenbart. Denn diese Selbstironie ist wesenhaft unaufrichtig. Das Leiden an der Liebe ist wahrhaft groß, und die „Lieder“, in denen es sich ausdrückt, werden im Rückblich zu Unrecht als „alt“ und „bös“ eingestuft. „Alt“ vielleicht schon, aber „bös“ und „arg“ nur im leiderfüllten Rückblick darauf, nicht in ihrer Wahrhaftigkeit. Schumanns Liedmusik hat das auch in dieser letzten Komposition, wie durchweg im ganzen Zyklus, sehr wohl erfasst und mit ihren Mitteln zum Ausdruck gebracht. Das soll, ohne sich im Detail zu verlieren, nachfolgend noch aufgezeigt und konkretisiert werden.


    Der Liedmusik liegt ein Viervierteltakt zugrunde, und sie soll „ziemlich langsam“ vorgetragen werden. Vier Kreuze sind vorgegeben, nicht E-Dur, sondern die Parallele cis-Moll erweist sich als Grundtonart. Das dreitaktige Vorspiel, in dem die Singstimme auftaktig einsetzt, mutet an, als wolle es den klanglichen Geist der nachfolgenden Liedmusik gleichsam programmatisch verkünden. Auftaktig schlägt das Klavier sforzato einen fünfaktigen, mit einer Fermate versehenen cis-Moll -Akkord an, und nach einer Achtelpause lässt es eine erst über eine Terz und dann über eine Quinte sich absenkende Folge von Oktavpaaren erklingen, die wiederum auftaktig auftreten, weil einem punktierten Viertel ein Sechzehntel vorgeschaltet ist. Und all das läuft fortissimo ab. Die Harmonik beschreibt dabei eine Rückung von cis-Moll nach Gis-Dur, um dann vor dem Einsatz der Singstimme noch einmal eine lang gehaltenen cis-Moll-Akkord erklingen zu lassen.


    Der Gestus, in dem sich die melodische Linie auf dem ersten Vers entfaltet und wie sie das auf den folgenden Versen, ja sogar in den ersten vier Strophen fortsetzt, erweist sich in der Tat als eine Einlösung dessen, was das Vorspiel programmatisch vorgegeben hat. Und das Klavier folgt ihm darin nicht nur, es akzentuiert ihn sogar, indem es mit den Figuren seiner Begleitung den ersten und den dritten Taktschlag markant hervorhebt. Der deklamatorische Gestus der Melodik ist ein durchweg auftaktiger, von dem in den Melodiezeilen der ersten vier Strophen nur an einer Stelle, nämlich bei der auf den Worten „holt einen großen Sarg“, abgewichen wird. Und das ist kein wirkliches Abweichen, denn es ist der sprachlichen Struktur des Verses geschuldet, der ausnahmsweise einmal mit dem die Aussage regierenden Verb eingeleitet wird.


    Diese Auftaktigkeit, die deklamatorisch aus der Aufeinanderfolge eines Achtels und eines punktierten Viertels besteht, wie man sie bei den Worten „Die alten bösen“ erstmals vernimmt und wie sie sich nun über vier Strophen hin mit bemerkenswerter Regelmäßigkeit ereignet, wobei der Auftakt auch mal aus einem Achtel-Sekundsprung bestehen und sogar den Wert eines Viertels annehmen kann, ist ganz offensichtlich musikalischer Niederschlag der energischen Entschiedenheit, in der das lyrische Ich in diesen Versen auftritt. Das tut es ja bis zum Anfang der fünften Strophe hin in einem sprachlich imperativischen, das Wünschen und Wollen eminent herausstellenden, sich dabei in geradezu gigantomanische Bilder hineinsteigernden sprachlichen Gestus. Und Schumanns Liedmusik greift dies in höchst beeindruckender, weil diese Haltung des lyrischen Ichs klanglich sinnfällig werdender Weise auf, potenziert sie sogar darin, indem sie die Melodik sich in fast schon penetrant anmutender Weise durchgehend in gleicher Weise entfalten lässt.


    Denn es ist ja nicht nur die Rhythmik der melodischen Linie, die diesen Geist der lyrischen Aussage reflektiert, es ist auch die Art und Weise, wie sie sich im tonalen Raum bewegt und entfaltet. Es ist der – und das praktiziert sie ebenfalls in auffälliger Konstanz und Beharrlichkeit – einer deklamatorischen Tonrepetition, die sich auf bemerkenswert weit auseinanderliegenden, von der Terz bis zur Oktave reichenden tonalen Ebenen ereignet. Auch das ist schon in der ersten Melodiezeile auf den Worten „Die alten bösen Lieder“ zu vernehmen: In der für die Liedmusik so charakteristisch rhythmisierten Weise beschreibt die melodische Linie einen in zwei Schritten repetierenden Fall über eine ganze Oktave, darin vom Klavier mit den für fast die ganze Liedmusik typischen sprungbetonten Figuren im Diskant und den ersten und dritten Takt betonenden Akkorden im Bass begleitet. Es ist wahrlich der Geist des lyrischen Ichs, wie es Heine in diesem Schlussgedicht seines „Lyrischen Intermezzos“ hat sprachliche Gestalt annehmen lassen, den man hier liedmusikalisch vernimmt.


    In allen vier, jeweils einen Vers beinhaltenden und durch eine Pause voneinander abgehobenen Melodiezeilen der ersten Strophe endet die melodische Linie über einen Quintfall auf einem tiefen „Cis“. Und ihre vorangehenden Bewegungen wiederholen sich dabei: Die Fallbewegung auf dem dritten Vers ist identisch mit der auf dem ersten, und auch der in Tonrepetitionen sich ereignende Sekundanstieg vor dem Quintfall auf den Worten „Die Träume bös und arg“ kehrt beim letzten Vers wieder. Die Harmonik beschreibt dabei jeweils Rückungen von cis- über gis-Moll und wieder zurück, und das Klavier setzt dabei mit seinen permanent sich wiederholenden, darin aber die Bewegungen der melodischen Linie zumeist mitvollziehenden Figuren markante Akzente auf den ersten und dritten Takt, so dass das tiefe „Cis“, das ja am Taktanfang erklingt, eine deutliche Hervorhebung erfährt. In der Beharrlichkeit, mit der diese sich wiederholenden melodischen Bewegungen immer wieder auf dem tiefen Grundton enden, mal in Gestalt einer Repetition, mal in einer Dehnung, drückt sich unzweifelhaft Entschiedenheit und Entschlossenheit aus.


    Nun hat in den nachfolgenden Strophen die jeweilige lyrische Aussage zur Folge, dass die melodische Linie auch andere, zu einem fixen Endpunkt hin ausgerichtete Bewegungen beschreiben muss, ihren Grundgestus des Aufs und Abs in Tonrepetitionen behält sie aber bei, bzw. kehrt, wenn sie einmal kurz davon abweichen musste, immer wieder zu ihm zurück. Beim ersten Verspaar der zweiten Strophe behält sie ihn mit dem anfänglichen Septfall bei den Worten „Hinein leg´ ich“ und dem nachfolgenden Sich-Senken der tonalen Ebene in Gestalt von Tonrepetitionen zunächst einmal unverändert bei. Bei den Worten „Der Sarg muß sein noch größer, / Wie's Heidelberger Faß“ geht sie dann zwar, um dem Wort „größer“ den angemessenen Akzent zu verleihen, in eine Aufstiegsbewegung über, und die Harmonik ist nun vom Tongeschlecht Moll abgewichen und ist zur Dur-Parallele der Grundtonart übergegangen, um bei dem Wort „Heidelberger“ eine kurze Rückung in die Dominante H-Dur zu beschreiben, am Ende ereignet sich aber wieder der aus der ersten Strophe sattsam bekannte, aus Tonrepetitionen erfolgende Fall hin zu einer Dehnung auf dem Grundton, womit das Wort „Fass“ in klanglich markanter Schwere erklingt.


    Ähnlich wie beim Bild vom in seiner Größe das Heidelberger Fass übertreffenden Sarg bewirkt das von den „zwölf Riesen“, dass die melodische Linie in der vierten Strophe noch einmal, und dies gar in einer gesteigerten Weise, in eine Aufstiegsbewegung übergeht. Auch hierbei behält sie aber ihren Grundgestus der auftaktartigen Tonrepetition bei und steigt bei den Worten „Als wie der starke Christoph“ über eine ganze Oktave bis zu einem hohen „Gis“ empor, um dann, nach einem Sextfall bei den Worten „Im Dom zu Köln am Rhein“, mit einem Doppel-Sekundanstieg wieder zu Tonrepetitionen mit nachfolgendem Quintfall überzugehen. Auch bei diesem die Gigantomanie des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringenden Bild erfolgt die Harmonisierung der melodischen Linie im Tongeschlecht Dur (Gis-Dur, Dis-Dur), und das Klavier verzichtet, um zur Expressivität der Melodik das Seine beizutragen, auf seine Grundfigur und lässt im Diskant eine Folge von Achtelketten erklingen, die sich in immer höhere Lage hinauf steigert.


    In der fünften Strophe bleibt das lyrische Ich noch bei seinen um den „Sarg“ kreisenden Bildern, und die Liedmusik hat also allen Grund, im Bereich der Melodik zunächst noch den Grundgestus der ersten vier Strophen beizubehalten. Und so liegt denn auf den Worten „Die sollen den Sarg forttragen“ die gleiche melodische Figur wie auf dem ersten Vers, dieses Mal nur mit einem Quartsprung eingeleitet. Aber weil in das zentrale lyrische Bild mit dem einleitenden „Denn“ des dritten Verses die Gedanken und Emotionen des lyrischen Ichs einzufließen beginnen, können die melodische Linie und der Klaviersatz nicht mehr bei dem Gestus verbleiben, in dem sie sich vier Strophen lang entfaltet haben. Schon vom Beginn der Liedmusik der fünften Strophe an begleitet das Klavier die melodische Linie mit drei- bis fünfstimmigen Akkorden in Bass und Diskant, und diese selbst geht mit einem Mal zu einer Geste über, die ihr bislang ganz fremd war: Bei dem Wort „hinab“ hält sie in ihren geradezu penetrant praktizierten Tonrepetitionen auf überraschende Weise mit einer Fermate inne. Und das Klavier tut das auch, indem es einen mit Vorschlag versehenen, lang gehaltenen und höchst dissonanten, weil aus den Tönen E, G, Ais, Cis und Eis gebildeten Akkord erklingen lässt.
    Liedmusikalisch wird vernehmlich: Das lyrische Ich rückt von seinem in der Metaphorik sich ausdrückenden gigantomanischen Habitus ab, tritt gleichsam hinter diesen Bildern mit seinem wahren Wesen hervor und kommt zum Kern seines Anliegens.


    Noch bleibt es mit den Worten „Denn solchem großen Sarge / Gebührt ein großes Grab“ bei seiner Metaphorik, liefert nun aber gleichsam ein Motiv für ihre Verwendung. Und die Melodik reagiert darauf in der Weise, dass sie ihren bislang praktizierten Grundgestus auf die Spitze treibt und damit auf seinen eigentlichen Kern bringt: Die über große Intervalle erfolgenden rhythmisierten Doppel-Tonrepetitionen senken sich in der tonalen Ebene in Sekundschritten langsam ab und enden über einen Quintfall auf jenem tiefen „Cis“, das in der ganzen ersten Strophe der Endpunkt ihrer Fallbewegung war. Und das Klavier folgt diesem melodischen Gestus der Reduktion auf den Kern, indem es nur noch mit lang gehaltenen zwei- bis achtstimmigen Akkorden in Bass und Diskant begleitet, wobei die Harmonik mit Rückungen von cis-Moll über dis-Moll und ein kurzes Gis-Dur zu cis-Moll zurückkehrt.


    Und dann ist das lyrische Ich ganz bei sich selbst, und alle Anfechtungen von ironischem Ausweichen davor, die Schumann ohnehin nicht ernst nehmen wollte, sind verflogen. Und die Liedmusik reagiert in der Weise darauf, dass auch sie einen geradezu abgrundtief anmutenden Ernst annimmt. Die mit deiner Folge von Ais-Oktaven eingeleitete Melodik auf den Worten „Wißt ihr, warum der Sarg wohl / So groß und schwer mag sein?“ wirkt in dem in tiefer Lage ansetzenden, im Intervall sich langsam steigernden und am Ende in einen hochexpressiven Legato-Oktavsprung mit eingelagertem Vorschlag mündenden Auf und Ab, das in der Dominantsept-Version der Tonart „Cis“ harmonisiert ist, wie eine hoch eindrucksvolle Ouvertüre zu der tiefernsten Schluss-Aussage der Liedmusik.


    Und diese ist dann, ihrem liedmusikalischen Wesen und ihrer Aussage entsprechend, ausdrücklich mit der Vortragsanweisung „Adagio“ versehen. Das ist angebracht, denn ihr ist ein wehmütig-schmerzlicher Ton eigen, und einer, der mit der in ein offenes Ende mündenden melodischen Linie auch die Anmutung eines perspektivlosen Verharrens in der gegenwärtigen existenziellen Situation aufweist. Bei den Worten „ich senkt´ auch“ setzt die melodische Linie zwar wieder mit einer auftaktigen Tonrepetition ein, jedoch scheint dem Auftakt nun die Energie genommen zu sein. Es ist ein sanfter, und er leitet eine melodische Bewegung ein, die nach einem kurzen Sich-Absenken über eine Sekunde bei dem Wort „Liebe“ in einen gedehnten Sekundfall in hoher Lage übergeht, der mit einer Rückung von A-Dur nach D-Dur verbunden ist und vom Klavier mit zwei entsprechenden fünf- und vierstimmigen Akkorden begleitet wird. Die Schlussworte „und meinen Schmerz hinein“ bewegen die melodische Linie zu einer leicht gedehnten Tonrepetition auf einer um eine verminderte Sekunde abgesenkten und mit einer Rückung nach Gis-Dur verbundenen tonalen Ebene, was mit einer Anmutung von Schmerzlichkeit verbunden ist. Danach erhebt sie sie zwar noch einmal um eine Sekunde, aber es fehlt ihr die Kraft, auf dem damit erreichten und in A-Dur harmonisierten „Cis“ zu verbleiben, so dass sie bei dem Wort „hinein“ einen in eine Dehnung mündenden Terzfall beschreibt. Er führt sie zu einem „A“ in mittlerer Lage, und wird vom Klavier mit einem lang gehaltenen fünfstimmigen Akkord in schmerzliches fis-Moll gebettet.


    Es ist ein weit offenes Ende, in das die Melodik dieses Liedes mündet, - weit insofern als das fis-Moll die Subdominante zur seiner Grundtonart darstellt und das „A“ die Terz zu deren Grundton. Schumann hat ganz offensichtlich dieses lyrische Ich Heines so verstanden, dass der Akt des Begrabens seiner Lieder in seiner bewusst-willentlichen Gewaltsamkeit es danach von wehmütig-schmerzlichen Gefühlen erfüllt und eigentlich ratlos, weil ohne jegliche Perspektive von Zukunft zurücklässt.


    Aber er kann und will dieses Ich nicht in dieser Rat- und Hoffnungslosigkeit zurücklassen. Hier meldet sich der Mensch im Komponisten Robert Schumann und dessen künstlerisch-liedmusikalischer Auseinandersetzung mit dem Lyriker Heinrich Heine zu Wort. Dessen sich immer wieder in die Ironie flüchtender existenzieller Fatalismus ist ihm zutiefst wesensfremd, so sehr er sich auch bemüht, all den Brüchen in seiner Lyrik liedmusikalische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.


    Und so gibt er denn seiner Liedmusik zu diesem letzten Gedicht des „Lyrischen Intermezzos“ ein langes, fünfzehn Takte umfassendes und darin eigentlich ein ganz und gar eigenständiges Werk für Klavier solo darstellendes Nachspiel bei. Zwar greift das Klavier darin das melodische Motiv auf den letzten Worten des lyrischen Ichs auf, jenes auf den Worten „ich senkt´ auch meine Liebe“ nämlich, aber es geht damit in ganz und gar eigenständiger Weise um und lässt den Komponisten großer Werke für es in Erscheinung treten.


    Das so Faszinierende und geradezu in Bann Schlagende an diesem Nachspiel ist, dass sich darin, nun mit einem Mal enharmonisch in die Grundtonart Des-Dur gewendet und sich in einem Sechsvierteltakt entfaltend, eine immer wieder aufs Neue ansetzende musikalische Ausfaltung des Terzfalls ereignet, in dem die melodische Linie endet.


    Aber dieses Mal ist das Ende eines, das sich harmonisch als Rückung von der Dominante As-Dur zur Tonika Des-Dur ereignet. Reinhold Brinkmann ( „Schumann und Eichendorff“, 1997) hat für dieses Nachspiel die sein Wesen wahrlich treffenden Worte gefunden:
    Es ist ein „ganzer Kosmos von Versöhnung“.

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  • Nach Frankreich zogen zwei Grenadier',
    Die waren in Rußland gefangen.
    Und als sie kamen ins deutsche Quartier,
    Sie ließen die Köpfe hangen.


    Da hörten sie beide die traurige Mär:
    Daß Frankreich verloren gegangen,
    Besiegt und geschlagen das tapfere Heer
    Und der Kaiser, der Kaiser gefangen.


    Da weinten zusammen die Grenadier´
    Wohl ob der kläglichen Kunde.
    Der eine sprach: »Wie weh wird mir,
    Wie brennt meine alte Wunde!«


    Der andre sprach: »Das Lied ist aus,
    Auch ich möcht mit dir sterben,
    Doch hab´ ich Weib und Kind zu Haus,
    Die ohne mich verderben.«


    »Was schert mich Weib, was schert mich Kind,
    Ich trage weit bess'res Verlangen;
    Laß sie betteln gehn, wenn sie hungrig sind -
    Mein Kaiser, mein Kaiser gefangen!


    Gewähr mir, Bruder, eine Bitt':
    Wenn ich jetzt sterben werde,
    So nimm meine Leiche nach Frankreich mit,
    Begrab' mich in Frankreichs Erde.


    Das Ehrenkreuz am roten Band
    Sollst du aufs Herz mir legen;
    Die Flinte gib mir in die Hand,
    Und gürt' mir um den Degen.


    So will ich liegen und horchen still,
    Wie eine Schildwach, im Grabe,
    Bis einst ich höre Kanonengebrüll,
    Und wiehernder Rosse Getrabe.


    Dann reitet mein Kaiser wohl über mein Grab,
    Viel Schwerter klirren und blitzen;
    Dann steig ich gewaffnet hervor aus dem Grab -
    Den Kaiser, den Kaiser zu schützen!«


    Dieser balladenhafte Text findet sich im mit „Romanzen “ überschriebenen Abschnitt des „Buchs der Lieder“, Kapitel „Junge Leiden“. Er trägt dort den Titel „Die Grenadiere“. Möglicherweise hat sich in ihm ein Erlebnis Heines niedergeschlagen, das ihn stark beeindruckte: Er erlebte in Düsseldorf die Rückkehr französischer Gefangener aus Russland. Er hat daraus ein balladesk-lyrisches Poem gemacht, das in narrativem Gestus einen sich an der Person Napoleons festmachenden französischen Patriotismus in einem Pathos verherrlicht, das in seiner Freiheit von jeglicher reflexiven Brechung für einen Heinrich Heine eigentlich höchst verwunderlich anmuten sollte, wüsste man nicht von der großen Liebe zu Frankreich und der tiefen, nie wirkliche Erfüllung findenden Sehnsucht nach Vaterlandsliebe, die den Menschen im Poeten Heinrich Heine bewegt und erfüllt haben.


    Was aber mag Schumann zum liedkompositorischen Griff nach diesem Heine-Text motiviert haben? Es gibt – soweit ich weiß – keine Quellenzeugnisse, die darüber Auskunft geben könnten, man ist also auf Vermutungen angewiesen. Und diesbezüglich ist wohl ein Sachverhalt aufschlussreich, der dieser Ballade zu großer Bekanntheit verholfen hat: Die höchst gelungene und in ihrem musikalischen Pathos beeindruckende Einarbeitung der „Marseillaise“ in die Komposition. Schumann muss wohl ebenfalls eine tiefe Sympathie für den von Joseph Rouget de Lisle im April 1792 verfassten und wesenhaft revolutionär-patriotischen Geist atmenden Gesang empfunden haben. Wie anders ließe sich erklären, dass er die Melodik in seinem „Faschingsschwank aus Wien“ in einem sie vor der Wiener Zensur verbergenden Dreivierteltakt untergebracht hat? Und auch in der Ouvertüre zum Entwurf des Singspiels „Hermann und Dorothea“ hat er ja noch einmal auf sie zurückgegriffen.


    Was aber die Musik auf diesen Heine-Text aller Kritik an vordergründigem Pathos enthebt und ihr liedkompositorische Größe verleiht, das ist die Tatsache, dass es Schumann - darin über Heine hinausgehend – gelungen ist, die im Zentrum der Ballade stehende narrative Szene ihrer historisch-situative Gebundenheit zu entheben und ihr gleichsam überzeitliche, allgemeine menschliche Relevanz zu verleihen. Wesentlichen Anteil daran hat in diesem Zusammenhang das viertaktive Nachspiel mit seiner markanten Brechung der Harmonik, in der sich die melodische Linie in der letzten Strophe in all ihrem so beeindruckenden Pathos entfaltet.


    Ein Viervierteltakt liegt der Liedmusik zugrunde, und „Mässig“ lautet die dürftige Vorgabe für ihren Vortrag. Das Tongeschlecht Moll, g-Moll als Grundtonart nämlich, ist der klangliche Raum, in dem sie sich über ihre vielen Strophen hin entfaltet. Aber als ihr Rezipient stellt sich einem dabei mehr und mehr der Eindruck ein, dass dieses Moll nur eine Art Ausgangsbasis ist, die dazu dient, unter Nutzung des kontrastiven Prinzips die Grundlage dafür zu liefern, dem Ausbruch in die Dur-Harmonik umso größere Expressivität verleihen zu können. Und Schumann hat dieses Prinzip auf höchst kunstvolle Weise liedkompositorisch gehandhabt, - nach der Methode einer gestaffelten Steigerung dieser Ausbrüche bis hin zur ganz und gar ungebrochenen Vorherrschaft des Tongeschlechts Dur in den beiden letzten Liedstrophen. Und dies bemerkenswerterweise nicht etwa in Gestalt der Dur-Parallele der Grundtonart g-Moll, sondern in einer geradezu rabiaten Wendung derselben nach G-Dur.


    Das dialogische Geschehen, das den narrativen Kern der Ballade darstellt, entfaltet sich im Rahmen der historischen Situation nach der Niederlage der französischen Armee im Russland-Feldzug Napoleons, wie sie sich in zwei Personen, die als „Grenadiere“ daran beteiligt waren, in russische Gefangenschaft gerieten und sich nach der Entlassung in „deutschem Quartier“ wiederfanden, auf gleichsam exemplarische Weise verdichtet. Schumann greift diese Anlage der Heine-Ballade in der Weise auf, dass er die Liedmusik in Melodik und Klaviersatz aus zwei Grundmotiven aufbaut, die sich – in typischer Balladen-Manier - zunächst in ihrer Grundstruktur präsentieren und danach in vielfaltige Interaktion miteinander treten, um am Ende von der sich gewaltig in Szene setzenden Marseillaise-Musik abgelöst, ja geradezu überwältigt zu werden.


    Schumann hat die strophische Gliederung der Heine-Ballade für die Binnengliederung seiner Liedmusik übernommen, und so erklingt denn ihr erstes Motiv in der ersten Strophe. Dass ihm eine grundlegende, eine Rahmenfunktion nämlich zukommt, wird nicht nur darin deutlich, dass die melodische Linie, ihre Harmonisierung und der zugehörige Klaviersatz in strukturell variierter Gestalt in der dritten und der fünften Strophe wiederkehren. Das Klavier lässt das in seinem nur dreitaktigen, aber klanglich markanten Vorspiel vernehmen. Es gibt den Geist dieses liedmusikalischen Rahmen-Motivs vor: Es ist ein wesenhaft militärmusikalischer. Aus einem sprunghaften Auftakt in Gestalt eines sich aus einem Viertel-Akkord legato lösenden Achtels geht eine Folge von den Vierteltakt rhythmisierenden partiell bitonalen punktierten Achteln und Sechzehnteln hervor, denen eine in Bass und Diskant synchrone Sechzehntel-Figur nachfolgt, die wie ein kleiner Trommelwirbel anmutet. Diese Rhythmisierung des dritten und vierten Schlags des Viervierteltakts prägt sowohl die melodische Linie, wie auch den Klaviersatz der ersten, wie auch dritten und – gleichsam abgeschwächt – der fünften Strophe, und sie dringt auch in mehr oder weniger ausgeprägter Weise immer wieder einmal in die Melodik jener Strophen ein, die vom zweiten Grundmotiv geprägt sind, - den deklamatorischen Tonrepetitionen, in denen sich die dialogische Melodik entfaltet.


    Es ist der militärische Geist, der in den aus der napoleonischen Armee gleichsam herausgefallenen und übrig gebliebenen Grenadier-Existenzen noch gegenwärtig ist und nachklingt, woraus sich die Liedmusik der ersten und der zugehörigen dritten und fünften Strophe generiert. Und er tritt als wesenhaft gebrochener auf, wie in der melodischen Linie und ihrer Harmonisierung auf beeindruckende Weise vernehmlich wird. Denn diese beschreibt in den auf den vier Versen der ersten Strophe liegenden und durch Viertelpausen, und einmal sogar zweien, deutlich voneinander abgehobenen Zeilen die immer gleiche Grundbewegung: Einen in g-Moll harmonisierten Anstieg in den militärischen Geist reflektierenden triolischen Tonrepetitionen und eine nachfolgende, ebenfalls durch eine Achtel-Folge rhythmisierte, nun aber in D-Dur harmonisierte Fallbewegung.
    Bemerkenswert daran ist: Nicht die aufsteigend angelegte Melodik steht im Tongeschlecht Dur, sondern die fallende. Es bringt die Grausamkeit des Faktischen zum Ausdruck, das Tongeschlecht Moll lässt hingegen die Dimension personaler Betroffenheit davon aufscheinen.


    Diese tritt erstmals mit der zweiten Strophe in den Text, freilich zunächst noch im gleichsam sachlich-narrativen Balladenton. Und so ergeht sich denn die melodische Linie bei den Worten „Da hörten sie beide die traurige Mär: / Daß Frankreich verloren gegangen“ in deklamatorischen Tonrepetitionen auf der Ebene eines tiefen „Es“, eines „D“ und eines „C“, und sie verbleibt harmonisch noch im Dur-Bereich, mit einer Rückung von Es-Dur nach „B-Dur. Aber schon die Nachricht, dass „Frankreich verloren gegangen sei“, löst bei den beiden Grenadieren Emotionen aus, und das drückt sich in der melodischen Linie mit einem Terzfall zu einem tiefen „B“ auf dem Wort „gegangen“ aus, und darin, dass die Harmonik eine Rückung in die Moll-Parallele zu dem B-Dur macht, in dem die gerade noch verweilte. Und wenn als Nachricht hinzukommt, dass „der Kaiser“ gefangen sei, beschreiben die Tonrepetitionen ein Sprung über eine Quarte zu einem „G“ in mittlerer Lage, die Worte „der Kaiser“ werden mit einem Ritardando wiederholt, die Harmonik rückt von g-Moll nach c-Moll, und am Ende mündet die melodische Bewegung in einen Terzsprung, der nun allerdings in D-Dur harmonisiert ist.


    Mit den beiden ersten Versen der dritten Strophe verbleibt der Balladentext immer noch im narrativen Gestus, was zur Folge hat, dass auf den Worten „Da weinten zusammen die Grenadier´ / Wohl ob der kläglichen Kunde“ die melodische Linie des ersten Verspaars der ersten Strophe mitsamt zugehörigem Klaviersatz und Harmonik liegt. Dann aber setzt der Dialog zwischen den beiden Grenadieren ein, der sich allerdings nur über das zweite Verspaar der dritten und die ganze vierte Strophe erstreckt. Danach wird er zum Monolog eines der Beiden, der nur einmal noch, nämlich bei den Worten „gewähr´ mir, Bruder, eine Bitt´“ erkennen lässt, dass dieser sich immer noch in einer dialogischen Situation sieht. Daraus löst er sich danach aber mehr und mehr und steigert sich in die monologisch-pathetische Emphase, die sich in die Vision des gewaffneten „Aus dem Grab-Steigens“ steigert, um seinen „Kaiser“ im Kampf um Thron und Reich zu unterstützen.


    Die Größe von Schumanns Komposition erwächst ganz wesentlich daraus, dass die Liedmusik auf höchst differenzierte Weise diesen Prozess mitvollzieht und damit vernehmen und erkennen lässt, wie tief sie sich auf Heines Balladentext eingelassen hat. Das geschieht vor allem in der Weise, dass sie im Fall des Grenadiers, der von der vierten Strophe an mehr und mehr in die Rolle des Protagonisten der poetischen Aussage wächst, den monologisch-pathetischen, also emotional aufgeladenen Ton in Melodik, Klaviersatz und Harmonik permanent anwachsen lässt, - bis hin zum Umschlag der Melodik in die der Marseillaise, der aber, eben weil es diesen langsam sich aufbauenden Prozess der Steigerung liedmusikalisch-pathetischer Expressivität gibt, in gar keiner Weise aufgesetzt wirkt, sondern eigentlich ganz folgerichtig anmutet, - auch das von Schumann auf kompositorisch höchst kunstvolle Weise gestaltet.


    Schon in der vierten Strophe setzt dieser Prozess ein. Dabei ist es zunächst „der Andre“, der in melodisch emotional aufgeladener Weise in Erscheinung tritt, wenn er bei den Worten „Das Lied ist aus“ die melodische Linie, mit einer Rückung von B- nach Es-Dur verbunden und vom Klavier mit lang gehaltenen Akkorden begleitet, in Sekundschritten ansteigen lässt, darin aber nach dem Wort „Lied“ mit einer ausdrucksstarken Achtelpause unterbrochen. Und das geht, im gleichen Gestus der ansteigenden Tonrepetition weiter bei den Worten „auch ich möcht´ mit dir sterben“. Dann aber enthüllt sich die vom Geist privat-existenzieller Bürgerlichkeit geprägte Haltung des „Anderen“, wenn er in Gestalt einer bogenförmig sich entfaltenden und, auch weil mit einer harmonisch kühnen Rückung vom vorangehenden Es-Dur nach A-Dur und D-Dur einhergehend, hochgradig expressiven melodischen Linie zu bedenken gibt: „Doch hab´ ich Weib und Kind zu Haus, die ohne mich verderben.“


    Aber sein Geselle ist aus anderem Holz geschnitzt. Man vernimmt das schon daran, wie er die Worte „Wie weh wird mir, wie brennt meine alte Wunde“ deklamiert, mit einer den anfänglichen Sekundanstieg noch einmal, nun aber in Tonrepetitionen wiederholenden und eine harmonische Rückung von der Subdominante über die Dominant-Septe zur Tonika F-Dur in Anspruch nehmender Art und Weise. Und in diesem Ton, darin sich sogar noch steigernd, antwortet er auch auf seinen von höchst menschlichen, aber aus seiner Sicht privatistisch denkenden und fühlenden Gesellen.


    Und Schumann bringt das auf höchst subtile Weise dadurch zum Ausdruck, dass er ihn bei der Deklamation der Worte „´Was schert mich Weib, was schert mich Kind, ich trage weit bess´res Verlangen“ in den Gestus der Melodik der ersten Strophe verfallen lässt, - derjenigen also, die vom Russland-Feldzug Napoleons und seinen Folgen erzählt, militärischen Geist also atmet. In ihrer Grundstruktur ist die melodische Linie – wenn auch leicht variiert und von Pausen unterbrochen – mit der auf den beiden Anfangsversen der Heine-Ballade identisch. Und auch das Klavier begleitet sie mit den im ersten Teil rhythmisierten und dann in eine Folge von Vierteln übergehende Folge von Akkorden. Die nachfolgende melodische Linie auf den Worten „Laß sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind“ wirkt in der starken Prägung durch Tonrepetitionen geradezu schroff. Umso deutlicher hebt sich davon die in ihrem sich über eine ganze Oktave erstreckenden Fall geradezu wehleidig anmutende Fallbewegung auf den Worten „mein Kaiser, mein Kaiser gefangen“ ab.


    Eindringlichkeit tritt in die Liedmusik in der sechsten Strophe. Die Vortragsanweisung lautet hier „Nach und nach bewegter“ , und bei der nachfolgenden siebten Strophe geht sie gar zu „schneller“ über. Der „Andere“ hat ein drängendes Anliegen an seinen Gesellen und leitet das mit den Worten „Gewähr mir, Bruder, eine Bitt´“ ein. Die Melodik reflektiert das dergestalt, dass sie ich in kleinen, wieder stark von Repetitionen geprägten Zeilen entfaltet, die am Ende in einen Sprung münden und in der tonalen Ebene ansteigen. Das Klavier begleitet hier mit unruhigen, steigend und fallend angelegten Achtel-Figuren im Diskant, und die Harmonik beschreibt, die starke innere Bewegtheit des Grenadiers zum Ausdruck bringend, geradezu kühne Rückungen in der Tonart und im Tongeschlecht: Vom anfänglichen Es-Dur über F- und B-Dur in den Bereich der Kreuztonarten G-Dur, D-Dur und bis nach A-Dur. Bezeichnend ist, wo die Rückung ins Moll erfolgt: Am Anfang und Ende der Zeile „Wenn ich jetzt sterben werde“ (c-Moll und g-Moll) und bei den Worten „begrab´mich“ (Rückung von c-Moll nach A-Dur).


    Die Liedmusik der siebten Strophe entfaltet sich in einem beeindruckenden Gestus der dramatischen Steigerung, und sie wirkt darin wie eine Vorbereitung und Hinführung zur pathetischen Emphase, mit der sie sich in den beiden letzten Strophen in den Marseilleise-Ton hineinsteigert. Drei Mal beschreibt sie bei den ersten drei Versen der siebten Strophe die gleiche Bewegung wie auf den anfänglichen Worten „Das Ehrenkreuz am roten Band“, also eine aus einer Tonrepetition in tiefer Lage hervorgehende und mit einer Rückung von g-Moll nach D-Dur verbundene Kombination aus Quartsprung und kleinem Sekundfall, wobei jedes Mal eine Zweiviertel- oder Dreiachtelpause nachfolgt und das Tempo des Vortrags sich permanent steigert. Und auch die letzte Melodiezeile auf dem vierten Vers behält eigentlich diesen Gestus bei, unterscheidet sich nur durch die Fortsetzung des Falls bei dem Wort „Degen“ am Ende.


    Bei der Liedmusik auf den beiden letzten Strophen hat Schumann, darin Heine liedmusikalisch wörtlich nehmend, keinerlei das Pathos in irgendeiner Weise brechende, irritierende oder gar infrage stellende Modifikationen am stürmischen Aufbruchs-Gestus des „Allons enfants“ vorgenommen. Harmonisch verbleibt sie durchgehend im Bereich der Tonika G-Dur und ihren beiden Dominanten. Er hat diesen Gestus sogar noch gesteigert, indem er den Klaviersatz in massiv auftretenden Akkordfolgen anlegt, die Worte „viel Schwerter klirren und blitzen“, die zunächst melodisch auf einer Kombination aus Repetition mit eingelagertem dreifachem Sekundfall deklamiert werden, auf einer charakteristischen Marseillaise-Fallfigur wiederholen lässt und den Worten „den Kaiser, den Kaiser zu schützen“ eine ritardando vorzutragende melodische Linie unterlegt, die in ihrem repetierenden Sekundfall und ihrer Harmonisierung von der Subdominante über die Dominante hin zur Tonika G-Dur einen bemerkenswert stark ausgeprägten Kadenz-Charakter aufweist.


    Was aber ereignet sich im Nachspiel?
    Es nimmt zwar nur vier Takte ein, reklamiert aber mit seinem klanglich kontrastiven, weil in Gestalt von stark gebrochener Harmonik erfolgenden Auftritt bemerkenswert großes liedmusikalisches Eigensein. Eine bogenförmig fallende und wieder steigende Aufeinanderfolge von Akkorden im Wert von halben Noten vernimmt man da, und diese mündet zwar am Ende in einen fermatierten G-Dur-Akkord, zuvor aber ereignen sich, dabei das Fortissimo des Schlussverses mit kontinuierlichem Decrescendo zurücknehmend, harmonische Rückungen, die durch das Eindringen von d-Moll, c-Moll und gar fis-Moll in das um die Dominanten kreisende und die ganze Liedmusik der beiden letzten Strophen beherrschende G-Dur alles liedmusikalisch Vorangegangene auf markante Weise infrage zu stellen scheinen.


    Wie kann man das verstehen? Ich denke:
    Schumann konnte Heine wohl, aus einem tief reichenden Verständnis seines Wesens als Lyriker heraus, das pathetische Sich-Ergehen in heroischer Vaterlandliebe und Napoleon-Verehrung nicht abnehmen, - wissend, oder zumindest ahnend, dass es sich dabei um einen poetischen Akt autosuggestiver Flucht in Wunschträume handelt.

  • Oben auf des Berges Spitze
    Liegt das Schloß in Nacht gehüllt;
    Doch im Tale leuchten Blitze,
    Helle Schwerter klirren wild.


    Das sind Brüder, die dort fechten
    Grimmen Zweikampf, wutentbrannt.
    Sprich, warum die Brüder rechten
    Mit dem Schwerte in der Hand?


    Gräfin Lauras Augenfunken
    Zündeten den Brüderstreit.
    Beide glühen liebestrunken
    Für die adlig holde Maid.


    Welchem aber von den beiden
    Wendet sich ihr Herze zu?
    Kein Ergrübeln kann's entscheiden -
    Schwert heraus, entscheide du!


    Und sie fechten kühn verwegen,
    Hieb auf Hiebe niederkracht's.
    Hütet euch, ihr wilden Degen.
    Grausig (Heine: böses) Blendwerk schleicht nachts (Heine: des Nachts).


    Wehe! Wehe! blut'ge Brüder!
    Wehe! Wehe! blut'ges Tal!
    Beide Kämpfer stürzen nieder,
    Einer in des andern Stahl. -


    Viel Jahrhunderte verwehen,
    Viel Geschlechter deckt das Grab;
    Traurig von des Berges Höhen
    Schaut das öde Schloß herab.


    Aber nachts, im Talesgrunde,
    Wandelt's heimlich, wunderbar;
    Wenn da kommt die zwölfte Stunde,
    Kämpfet dort das Brüderpaar.


    Heine und eine Ballade, die einen sagenhaften Bruderzwist zweier Rittersleut zum Gegenstand hat, bei dem es um die Liebe zu einer schönen Gräfin geht und der in einem blutigen, für beide den Tod mit sich bringenden Schwerterkampf endet?
    Hat man bei der mit dem Titel „Die Grenadiere“ versehenen Ballade noch den Eindruck, dass hinter ihr ein in keiner Weise ironisch gebrochener, vielmehr ernsthaft um das Thema Patriotismus kreisender poetischer Aussagewille steht, so ist man hier, bei dieser Ballade, die Heine mit „Zwei Brüder“ betitelt hat, schon nach wenigen Versen skeptisch. Das Eingangsbild, wie es die erste Strophe entwirft, erweist sich spätestens mit dem vierten Vers als reif für einen Hollywood-Schinken. Und so geht das weiter: Es geht nicht nur um „Zweikampf“, sondern um einen, der „grimm“ ist und „wutentbrannt“. Und spätestens, wenn man von dem Grund für dieses Spektakel erfährt und vernimmt, dass es um „Gräfin Lauras Augenfunken“ geht, einer Dame, die ausdrücklich als „adlig holde Maid“ eingestuft wird, weiß man woran man ist:
    Heinrich Heine präsentiert einem hier eine lyrisch-sprachlich perfekt ausgearbeitete, weil mit Ironie fein durchsetzte Satire auf den nostalgisch-verklärenden Umgang seiner Zeit mit dem Mittelalter.


    Und natürlich hat Schumann ihn darin durchschaut, - seinen Heine, dem er als Rezipient seiner Lyrik bis in die feinsten Verästelungen ihrer ironischen Brechungen gefolgt ist, ohne sich diese allerdings in allen ihren Erscheinungsformen für sich selbst als Mensch und Liedkomponist in unreflektierter Weise zu eigen machen zu wollen und zu können. Hier allerdings kann er das sehr wohl. Aber höchst aufschlussreich – und vielsagend für ihn in seiner Haltung als Komponist – ist, in welcher Weise er das tut. Nicht in der gleichsam grobschlächtigen, in der ein Johann Vesque von Püttlingen sie in Liedmusik umsetzt, vielmehr in einem kompositorisch höchst subtilen Zugriff auf sie.


    Seine Liedmusik auf diese Heine-Verse tritt ihrem Rezipienten in einer bemerkenswerten, im deklamatorischen Gestus der Melodik, ihrer Harmonisierung und dem zugrundeliegenden Klaviersatz fast schon banal anmutenden Schlichtheit entgegen. Und nicht erst am Ende, sondern wie in einem fortlaufenden Prozess des Stolperns über derlei liedmusikalisch banal anmutende, weil sich als melodische Übersteigerungen der textlichen Aussage präsentierende Passagen merkt man: Darin, in diesem ihrem klanglichen Charakter, reflektiert Schumanns Liedmusik Heines lyrisch-sprachliche Ironie.
    Tatsächlich nicht auf grobe, sondern hintersinnig feine Weise.


    Das soll nachfolgend an den diesbezüglich besonders relevanten strukturellen Merkmalen aufgezeigt werden. Zunächst aber die Angaben zu den formalen Merkmalen der Komposition. Sie steht in h-Moll als Grundtonart, ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde, sie soll „bewegt“ vorgetragen werden, und Schumann hat dem Manuskript die Notiz beigegeben: „Berlin. d. 24sten April 1840 geschrieben“. Zwar ist die Ballade durchkomponiert, gleichwohl atmet sie Strophenlied-Geist, - dies schon ganz allgemein ihrer kompositorischen Schlichtheit wegen. Die Liedmusik entfaltet sich in ihrer Melodik – von den Variationen einmal abgesehen – aus nur wenigen Grundmotiven, die die liedmusikalische Substanz von drei Strophen-Gruppen bilden: Die beiden ersten und die Strophen vier bis acht bilden eine Einheit, und davon hebt sich die andere Gruppe, die Strophen drei und vier umfassend, auf markante Weise ab.


    Es ist die, bei zwar identischer Harmonisierung, aber variierendem Klaviersatz, strukturell immer gleiche Bewegung der melodischen Linie, die die Anmutung von Strophenliedhaftigkeit dieser Ballade bewirkt. Auf diese Weise hat Schumann wohl ganz bewusst den volksliedhaften Geist der mittelalterlichen Sage musikalisch imaginiert, dies allerdings in einer Gestalt, die einem in der permanenten Wiederholung melodisch-deklamatorischer Figuren mitsamt zugehörigem Klaviersatz wie eine Perversion desselben vorkommt, zumal darin immer wieder einmal gar nicht volksliedhafte Elemente theatralischer Expressivität eingelagert sind. Mit gutem Grund spricht Dietrich Fischer-Dieskau mit Bezug auf die Melodik mit der Hellsichtigkeit dessen, der sich vortragsmäßig damit auseinanderzusetzen hatte, höchst treffend von einem „melodischen Deklamationsstil in Fraktur.“


    Die erste Liedstrophe – sie ist wie alle folgenden mit den Strophen der Heine-Ballade identisch – entfaltet sich nach einem nur eintaktigen, aus einem synchronen oktavischen Achtelsturz in Bass und Diskant bestehenden Vorspiel aus nur einer melodischen, jeweils ein Verspaar umfassenden melodischen Figur. Diese besteht aus einem rhythmisierten, weil in der Folge von punktierten Vierteln und Achteln erfolgenden Anstieg der melodischen Linie in Tonrepetitionen über das Intervall einer Oktave mit anschließendem Terzfall und Sekundanstieg. Das Klavier begleitet das mit munteren Auf und Ab-Figuren aus Terzen im Diskant, und die Harmonik beschreibt eine Rückung von der Basis h-Moll in den Bereich der Dur-Dominante und bis hinunter nach A-Dur und D-Dur, bevor sie wieder zu h-Moll zurückkehrt. Dieser Klaviersatz wird in seiner einfachen Grundstruktur von dreigliedrigen Achtelfiguren im Bass und Oktavenfolgen im Wert von halben Noten im Bass fast die ganze Liedmusik hindurch beibehalten, und erst in den beiden letzten Strophen, in denen es um die Zeit „viel Jahrhunderte“ später geht, tritt ein anderer Satz an seine Stelle, - freilich einer, der ebenfalls strukturell schlicht angelegt ist und ohne große Modifikationen bis zum Ende die melodische Linie begleitet: Eine von Achtelpausen unterbrochene Folge von Achtelakkorden.


    Das ist für Schumann ungewöhnlich und lässt sich sonst in dieser Form in seinen Liedern und Balladen nicht finden. Und wenn dann an zwei Stellen, nämlich bei den Worten „Schwert heraus, entscheide du!“ und „Beide Kämpfer stürzen nieder, / Einer in des andern Stahl“ mit einem Mal Ungewöhnliches passiert, der Klaviersatz nämlich von dieser simplen Wiederholung immer gleicher Figuren abweicht und dadurch tonmalerische Elemente in die Liedmusik treten, die eine auffällige Expressivität und die Anmutung einer Übertreibung der liedmusikalischen Aussage mit sich bringen, dann wird deutlich: Dieser strukturell auffällig schlicht angelegte Klaviersatz zielt, zusammen mit der in ähnlicher Weise gestalteten Melodik auf eine ironische Verfremdung von Heines Balladentext ab, eine Art Persiflage desselben.


    Wie diese, die Melodik der ersten Strophe prägende Figur des in rhythmisierten Doppelschritten erfolgenden Anstiegs über eine Oktave in den Strophen fünf bis acht wiederkehrt, so ist das auch bei der Melodik der zweiten Strophe der Fall. Man empfindet sie wie eine Art Umkehr der ersten, denn auf den Worten „Das sind Brüder, die dort fechten / Grimmen Zweikampf, wutentbrannt“ senkt sich die melodische Linie, in hoher Lage ansetzend, über das Intervall einer None in tiefe Lage ab, und dies wiederum in dieses Mal allerdings nur partiell rhythmisierten Doppelschritten. Diese Beibehaltung des deklamatorischen Grund-Gestus in der zweiten und der späteren sechsten und achten Strophe und einer Harmonisierung, die über Rückungen zwischen e-Moll und h-Moll am Ende in Fis-Dur mündet, ist es eben, die für einen melodisch und harmonisch so hochgradig differenziert ausgerichteten Robert Schumann auffällig sein muss und durchaus die Charakterisierung dieser Liedmusik als banal rechtfertigt.


    Höchst auffällig sind aber dann jene kleinen Passagen der Liedmusik, die, weil sie sozusagen aus dem Rahmen dieser liedmusikalischen Banalität fallen, eine geradezu verblüffende Wirkung entfalten. Die erste dieser Art ist das Innehalten der Liedmusik nach dem aus einer deklamatorischen Tonrepetition hervorgehenden melodischen Sekundsprung auf den Worten „in der Hand“ am Ende der zweiten Liedstrophe. Er mündet in ein „D“ in hoher Lage, das eine Fermate trägt und vom Klavier mit einem ebenfalls fermatierten h-Moll-Akkord begleitet wird. Danach, mit dem melodischen Sekundanstieg auf den Worten „Gräfin Laura´s Augen“, geht die Liedmusik sowohl melodisch, wie auch im Klaviersatz und in der Harmonik zu einem neuen Gestus über. Dieses Innehalten der Liedmusik in einer Fermate reflektiert zwar das appellative „Sprich“, mit dem die als Frage gemeinten Worte „warum die Brüder rechten“ eingeleitet werden, es stellt aber eine geradezu überraschende Unterbrechung der in fast schon stürmischer Bewegtheit sich entfaltenden Liedmusik dar und weckt große Erwartungen hinsichtlich dessen, was sie nun zu sagen haben wird.


    Das aber erweist sich nicht nur in der dritten, sondern auch in der vierten Strophe im Aufgreifen der von Heine in bewusst übertriebener klischeehafter Sprachlichkeit präsentierten Bildern von „Gräfin Laura´s Augenfunken“, der glühenden Liebestrunkenheit der Brüder, der „holden Maid“ und der „Zuwendung der Herzen“ ihr gegenüber als ebenso banal wie in den beiden ersten Strophen. Wieder beschreibt die melodische Linie die in auffälliger Penetranz sich wiederholenden Bewegungen, wobei sie, wie um sie in diesem Gestus zu bestärken, hier nun vom Klavier, abweichend von seinem Operieren mit seinen Achtel-Figuren, nun mit Einzeltönen, bitonalen und vereinzelt dreistimmigen Akkorden – und das in Diskant und Bass – in allen ihren Bewegungen synchron begleitet wird. In der dritten Strophe ist es zweimal die gleiche aus Anstieg, Fall, neuerlichem Anstieg mit Dehnung am Ende, und dies in der schlichten und darin in Kontrast zur Moll-Harmonik der ersten beiden Strophen tretenden A-Dur- und D-Dur-Harmonisierung.


    In der vierten Strophe ereignet sich aber wieder ein solcher, nicht anders als liedmusikalische Ironie verstehbarer Effekt. Bei den Worten „Kein Ergrübeln kann´s entscheiden“ beschreibt die melodische Linie erneut den Anstieg in Sekundschritten, wie man ihn erstmals bei den Worten „Gräfin Laura´s Augenfunken“ vernommen hat, dann aber tritt wieder eine Fermate in die Liedmusik, sie hält inne und bricht danach in das Forte eines im Unisono von Melodik und Klavierdiskant und – bass sich ereignenden bogenförmigen Fall der melodischen Linie über das Intervall einer ganzen Oktave aus. Das stellt einen höchst expressiven, geradezu schroffen Bruch der bisherigen Liedmusik dar, nicht nur melodisch, sondern auch harmonisch, denn er ist – von der A- und D-Dur-Harmonik markant abweichend – in einer Rückung von h-Moll nach Fis-Dur harmonisiert. Die in ihrer Sprachlichkeit von Heine bewusst auf primitives Waffen-Rittertum angelegten Worte des letzten Verses der vierten Strophe gewinnen auf diese Weise eine unüberhörbare Komik.


    Noch einmal wendet Schumann das Mittel der Übertreibung an, um die Ironie in Heines Ballade liedmusikalisch aufzugreifen und hervortreten zu lassen. In der sechsten Strophe entfaltet sich die melodische Linie wieder in den beiden Grundfiguren, wie sie in der ersten und der zweiten Strophe vorgegeben sind. Bei den Worten „Beide Kämpfer stürzen nieder, / Einer in des andern Stahl“ greift Schumann dann aber zum Mittel der Wiederholung, und er versieht diese auch noch zusätzlich durch eine markante Modifikation des Klaviersatzes mit einem Akzent. Offensichtlich hat ihn nicht nur die Drastik des Bildes dazu animiert, es war wohl auch die Tatsache, dass Heine in bewusst altertümelnd-gezierter Weise das Wort „Stahl“ zu Einsatz bringt. Und nachdem dann die melodische Linie nach dem melismatischen Bogen auf den Worten „in des“ mit einem Sekundsprung in einer Dehnung auf dem Wort „Stahl geendet hat, beschreiben die üblichen Oktaven im Bass des zweitaktigen Zwischenspiels nun, abweichend von ihrer üblichen Struktur, dramatisch wirkende Quartsprünge, die mit einer Rückung von Fis-Dur nach h-Moll verbunden sind.


    Auf die Wandlung in der erzählerischen Perspektive, wie sie sich in den beiden letzten Strophen ereignet, reagiert Schumann, indem er unter Beibehaltung der melodischen Substanz und ihrer Harmonisierung in den Klaviersatz mehr klangliche Ruhe einfließen lässt. An die Stelle der lebhaften Achtelfiguren im Diskant treten nun durch Achtelpausen voneinander abgehobene dreistimmige Achtelakkorde, und die Pausen werden im Bass durch Achtel ausgefüllt. Auch Dynamik und Tempo werden zurückgenommen. Statt Forte herrscht nun das Piano vor, und am Ende, wenn die Worte „kämpfet dort das Brüderpaar“ auf dem für die erste Melodik-Grundfigur so typischen repetierenden Quartsprung deklamiert werden, wobei die Harmonik eine Rückung von Fis-Dur nach h-Moll vollzieht, tritt ein Ritardando in die Liedmusik.


    Mit einem Anstieg der den Klaviersatz so nachdrücklich prägenden Achtelfiguren aus tiefer in obere Lage klingt sie im viertaktigen Nachspiel aus. Die Harmonik vollzieht dabei Rückungen durch die Tonarten Fis-Dur, h-Moll, A-Dur und D-Dur, um mit einem h-Moll, der Grundtonart also, abzuschließen. Auch hier, wo es die Möglichkeit eines Kommentars gibt, hat das Klavier, ungewöhnlich für Schumann, zur Liedmusik nichts Wesentliches beizutragen.

  • Es ist das Heinesche Grundleiden, die unerfüllte, weil unerfüllbare und in die Einsamkeit des Leides treibende Liebe, das in den drei Gedichten, die er unter dem Titel „Der arme Peter“ im Kapitel „Romanzen“ des „Buchs der Lieder“ publizierte, volksliedhafte Gestalt angenommen hat. Und natürlich wusste dieser in seiner Reflexivität so hochgradig artifizielle Lyriker, was er da tat: Sein Leiden erfährt durch die Transposition in die Welt volksliedhaften menschlichen Seins und Lebens eine existenziell elementare Wucht. Es ist ein Anderes, ob ein namenloses lyrisches Ich die Worte „"In meiner Brust, da sitzt ein Weh, das will die Brust zersprengen“ spricht, oder ob das ein „armer Peter“ tut, der in ländlich-dörflicher Welt lebt, in der ein Hans und eine Grete im Hochzeitsgeschmeide herumtanzen, während er, hoffnungslos verliebt in diese Grete, „im Werkeltagskleide“ zuschauen muss und sich mit Suizidgedanken quält.


    Aber es ist – natürlich, möchte man sagen – ein lyrischer Text, hinter dessen Volksliedfassade sich hochgradig artifizielles poetisches Handwerk verbirgt, - fassbar zum Beispiel im metrischen Spiel mit dem Daktylus und dem Jambus im ersten Gedicht und der konsequenten Verengung des Metrums in den nachfolgenden Teilen des kleinen Zyklus und in dem Neben- und Ineinander von volkliedhaft einfacher und lyrisch-evokativer Sprache. Da gibt es ein „Herumtanzen“, ein „Jauchzen“ vor Freude“ und ein „Nägelkauen“, aber wenn sich der „arme Peter“ in seiner monologischen Zurückgeworfenheit auf sich selbst artikuliert, dann ist das alles andere als volksliedhaft. Da sitzt mit einem Mal „ein Weh in der Brust“, das ihn „von hinnen drängen“ will.


    Schumanns Liedkomposition bildet nicht nur dieses Ineinander der beiden poetischen Perspektiven und lyrisch-sprachlichen Ebenen ab, sie vertieft und lotet die monologische Perspektive in einer Weise aus, die weit über das hinausgeht, was Heine faktisch zum Ausdruck gebracht hat, darin allerdings doch im Rahmen der poetischen Intention verbleibend. Es ist nicht mit Sicherheit auszumachen, wann die Komposition entstanden ist. Aber dem dritten Lied hat Schumann die handschriftliche Notiz beigefügt: „1840 componiert, 1843 aufgeschrieben“, und im Haushaltsbuch findet sich zum 4. Oktober die Erwähnung der Komposition eines Heine-Liedes, bei dem es sich durchaus um den „Armen Peter“ handeln könnte.


    Der zyklische Charakter der drei Lieder ist so stark ausgeprägt, dass man sie in der gesanglichen Präsentation, der Rezeption, wie auch in der analytischen Betrachtung nur als Einheit behandeln kann. Bedingt ist dies primär durch den narrativen Gehalt des zugrunde liegenden Textes, aber auch durch die musikalische Faktur. Zwar gibt es keine direkten strukturellen Korrespondenzen zwischen den drei Liedern – in Gestalt etwa von melodischen Figuren - , sie wirken sogar in ihrem klanglichen Charakter, in Melodik, Klaviersatz und Harmonik stark divergent, sogar gegensätzlich. Aber eben weil sie ein gemeinsames lyrisches Zentrum aufweisen, die Gestalt des „Armen Peter“ eben, ist es gerade diese Divergenz und Gegensätzlichkeit, die eine tiefere Verbindung zwischen ihnen schafft, - insofern sie die vielgestaltige Diskrepanz zwischen seelischer Innen- und realer Außenwelt, wie sie sich in der existenziellen Situation dieser Gestalt zeigt, liedmusikalisch reflektiert. Und diesbezüglich entfaltet der variierende Einsatz von Metrum, Tempo und Harmonik einen tiefen Sinn.


    Als Tonart-Vorzeichen ist in allen Fällen ein Kreuz vorgegeben, auf höchst kunstvolle Art und Weise werden dann aber beide parallele Tongeschlechter in ihren klanglichen Ausdruckspotential eingesetzt. Und so ist das auch mit Tempo und Metrum. Es geht um eine von Hochzeitstanz geprägte kleine Lebenswelt, so dass der Dreivierteltakt angesagt ist. Der liegt denn auch dem ersten Lied zugrunde, bei dem Heine in seinen Versen ja auch sein Spiel mit dem Daktylus treibt. Und weil es da aber auch um das ruhige, nägelkauende und im Leid erstarrte Daneben-Stehen von Peter geht, gibt Schumann „Nicht schnell“ als Tempo vor. Und die Harmonik ergeht sich ohne jegliche Brechung im Tongeschlecht Dur. Geradezu schroff tritt dem das zweite Lied gegenüber, - mit dem Einbruch der Moll-Parallele e-Moll und ihren Dominanten in die Liedmusik und dem Umschlag des Tempos zu „ziemlich schnell“. Und wie eine schmerzliche Perversion mutet dann an, dass das langsame Vorbeiwanken des leichenblassen Peters im dritten Lied von Schumann in den Dreivierteltakt des anfänglichen Tanzliedes gestellt wird. Und das auch noch versehen mit der Tempoanweisung „langsam“, auf dass die den Daktylus des ersten Liedes wie von ferne reflektierenden, aber nun von Tonrepetitionen wie in Fesseln geschlagenen und von dominanter Moll-Harmonik ertränkten melodischen Triolen umso verlorener wirken zu lassen. Das ist höchst kunstvolle Liedkomposition, die da die von Heine vorgegebene ländlich-volkstümliche Lebenswelt in ihren existenziellen Tiefen auf subtile Weise auslotet.


    Das soll – freilich nur kurz und in Beschränkung auf das Wesentliche – an der Liedmusik der drei Lieder aufgezeigt und konkretisiert werden.


    Der Hans und die Grete tanzen herum,
    Und jauchzen vor lauter Freude.
    Der Peter steht so still und so stumm,
    Und ist so blaß wie Kreide.


    Der Hans und die Grete sind Bräut'gam und Braut,
    Und blitzen im Hochzeitgeschmeide.
    Der arme Peter die Nägel kaut
    Und geht im Werkeltagskleide.


    Der Peter spricht leise vor sich her,
    Und schauet (Heine: schaut) betrübet auf beide:
    « Ach! wenn ich nicht gar zu vernünftig wär',
    Ich täte mir was zuleide.»


    Was dieses Lied anbelangt, so hat es – worauf ja schon hingewiesen wurde – einen tiefen Sinn, dass Schumann ausdrücklich darauf hinweist, dass es „nicht schnell“ vorgetragen werden soll. Schumann setzt die lyrische Szene so in Liedmusik um, wie er das den drei Strophen Heines entnimmt. Denn dem hochzeitstänzerischen Auftritt von Hans und Grete tritt der arme Peter gegenüber, nein, er steht still und stumm abseits und trägt sich mit Suizidgedanken. Und so entfaltet sich die Liedmusik, eingeleitet von zwei, entfernt an Schuberts „Leiermann“ erinnernden Bordun-Akkorden im kurzen Vorspiel, in arglos und volksliedhaft schlicht daherkommender Melodik. Die melodischen Bewegungen auf dem ersten Verspaar der ersten Strophe wiederholen sich nicht nur beim zweiten, sondern sie kehren sogar bei zweiten Verspaar der zweiten Strophe wieder, und dies mitsamt dem zugehörigen Klaviersatz. Hierbei handelt es sich um eine volksmusikalisch-tänzerisch anmutende Figur aus einem auftaktigen Achtel in tiefer Lage und einer Folge von Achteln, die sich sprunghaft auf und ab bewegen. Das ist die Grundstruktur des ganzen Klaviersatzes in diesem Lied, und er suggeriert auf der Grundlage des Dreivierteltaktes in leichtfüßiger Weise beschwingte Tanzmusik.


    Auch die Melodik mutet in ihrer Struktur und in ihrer Rhythmisierung tanzliedhaft an, und das Prinzip der Wiederholung, das sich ja bei den beiden letzten Versen der dritten Strophe in Gestalt einer anderen, ebenfalls strukturell einfachen melodischen Figur noch einmal ereignet, trägt wesentlich dazu bei. Besonders ausgeprägt ist der Charakter tänzerischer Beschwingtheit bei der zweimal wiederkehrenden Melodiezeile auf dem ersten Verspaar der ersten Strophe. Bedingt ist dies durch die Rhythmisierung, wie sie sich aus der Aufeinanderfolge von deklamatorischen Schritten im Wert von partiell punktierten Vierteln, halben Noten und Achteln ergibt, aber auch durch den Sekundschritt-Auftakt und die Einlagerung einer melismatisch-bogenförmigen Achtel-Figur auf den Worten „tanzen herum“, „so still und so stumm“ und, leicht modifiziert, „die Nägel kaut“. Diese Melodiezeile ist Peter zugeordnet, so dass man von einem melodischen Peter-Motiv sprechen möchte. Darin aber erweist sich die Untergründigkeit der Liedmusik, wie sie Schumann hier angelegt hat. Denn bei den ersten beiden Versen der ersten Strophe empfindet man den Geist dieser Melodik der lyrischen Aussage voll und ganz angemessen, beim zweiten Verspaar der ersten und der zweiten Strophe aber wird sie eigentlich zu einer Ungeheuerlichkeit: In ihrer arglosen und in harmonischen G-Dur- und D-Dur-Einbettung berichtet sie von einem in die gesellschaftliche Exorbitanz geratenen und inmitten des Gejauchzens der Hochzeitsgäste in die Stummheit verbannten „armen Peter“.


    Und Schumann verstärkt diesen Effekt der Diskrepanz zwischen Liedmusik und lyrischer Aussage sogar noch, indem er bei dem ersten Verspaar der zweiten Strophe, also bei den Worten „Der Hans und die Grete sind Bräut'gam und Braut, / Und blitzen im Hochzeitgeschmeide“ den tänzerisch rhythmisierten Gestus der melodischen Linie dadurch intensiviert, dass er sie als zweimalig bogenförmige Bewegung in mittlerer Lage anlegt und die Harmonik in die Dominante D-Dur mit einer weiteren Steigerung in dessen Dominante A-Dur rücken lässt. Und als wäre der musikantischen Beschwingtheit noch nicht genug, lässt er die Bewegung der melodischen Linie der Singstimme auf den Worten „Der Hans und die Grete sind Bräut'gam und Braut“ in polyphoner Manier im Klavierdiskant noch einmal erklingen, während die Singstimme den zweiten melodischen Bogen auf den Worten „Und blitzen im Hochzeitgeschmeide“ deklamiert. Hier reflektiert die Liedmusik das helle Bild vom „Blitzen“ des „Hochzeitsgeschmeides“. Und umso erschreckend deplazierter wirkt dann, wenn unmittelbar darauf die Worte „Der arme Peter die Nägel kaut / Und geht im Werkeltagskleide“ auf der melodischen Linie deklamiert werden, die den Eingangsversen zugeordnet ist, mit denen die Bilder vom Hochzeitstanz einsetzen.


    Zwar tritt am Ende auch der Klage-Gestus in die Musik dieses Liedes, bei den beiden letzten Versen und in Gestalt einer melodischen Linie, die zweimal mit einem expressiven, den Klageruf „Ach“ zum Ausdruck bringenden Sextsprung einsetzt und danach eine in hoher Lage einsetzende Fallbewegung in deklamatorischen Tonrepetitionen beschreibt, die am Ende in einen klanglich schmerzlich wirkenden gedehnten Sekundfall mündet, aber das geschieht im Gestus der tänzerischen Rhythmisierung, mit der die melodische Linie von Anfang an aufgetreten ist, in Begleitung mit den Tanzmusik-Figuren des Klaviersatzes und in einer von jeglicher Chromatik weit entfernten Harmonisierung in der Grundtonart G-Dur und ihren beiden Dominanten.
    Also in einer Musik, die den „armen Peter“ auf geradezu grobe Weise bloßstellt.

  • "In meiner Brust, da sitzt ein Weh,
    Das will die Brust zersprengen;
    Und wo ich steh' und wo ich geh',
    Will's mich von hinnen drängen.


    "Es treibt mich nach der Liebsten Näh',
    Als könnt´s die Grete heilen;
    Doch wenn ich der ins Auge seh',
    Muß ich von hinnen eilen.


    "Ich steig' hinauf des Berges Höh',
    Dort ist man doch alleine;
    Und wenn ich still dort oben steh',
    Dann steh' ich still und weine."


    Im Unterschied zu den situativ-deskriptiv angelegten Versen des ersten Gedichts kreisen diese in monologischer Anlage ausschließlich um die existenzielle Situation und die seelische Innenwelt Peters. Da Schumanns Liedmusik dies in höchst differenzierter Weise reflektiert, hebt sie sich in markanter Weise von der auf das erste Gedicht ab. „Ziemlich schnell“ soll sie vorgetragen werden, und während das erste Lied mit einem bordunartigen Doppel-G-Dur-Akkord einsetzt, erklingt hier, forte angeschlagen, ein lang gehaltener e-Moll-Akkord. Damit wird der für alles Folgende maßgebliche liedmusikalische Akzent gesetzt: Es geht nicht um die Evokation beschwingter Hochzeitsmusik-Atmosphäre, die von seelischem Leid und Schmerz gezeichnete Lebenswelt Peters wird Gegenstand der Liedmusik sein.


    Und so ist denn alles anders: Die Struktur der melodischen Linie, ihre Harmonisierung, das Tempo, die Dynamik und der Klaviersatz. Und all dieses erweist sich als kompositorischer Niederschlag eines musikalisch tiefen Eindringens in die sprachliche Gestalt des lyrischen Textes und die Untergründe seiner Semantik. Um mit den Aspekten Tempo und Dynamik zu beginnen: Dass das Lied „ziemlich schnell“ vorgetragen werden soll, gründet darin, dass die Liedmusik die hohe seelische Unruhe, das Gedrängt- und Getrieben-Sein des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringt, das im Zentrum der lyrischen Aussage aller drei Gedichtstrophen steht. Und was die Dynamik anbelangt, so zeichnet sie sich im Unterschied zum ersten Lied, das ohne Abweichungen permanent im Bereich von Mezzoforte bleibt, dadurch aus, dass sie starken Schwankungen unterliegt. Auf das Forte des Einsatz-Akkordes folgt in der ersten Strophe ein immer wieder neues Forte-Piano. Die Liedmusik der zweiten Strophe verbleibt ganz und gar im Piano, und das gilt auch für die auf den ersten beiden Versen der dritten Strophe. Mit den Worten „Und wenn ich still dort oben steh“ erfolgt aber ein fast schon schroff anmutender Ausbruch in den Bereich des Fortes. Und man vernimmt und begreift. Es ist die innere seelische Zerrissenheit des lyrischen Ichs, dieses „armen Peters“, die sich in diesem breiten Spektrum der Dynamik niederschlägt.


    Und in der melodischen Linie, ihrer Harmonisierung und in dem sie begleitenden Klaviersatz macht man diese Erfahrungen ebenfalls, auf sogar noch subtilere Weise. Was die Struktur der Melodik anbelangt, so erweist sie sich von zwei Grundfiguren geprägt. Da ist einerseits ein lebhaftes, sogar unruhiges Auf und Ab von deklamatorischen Achtel-Schritten, wie es einem gleich in den Melodiezeilen der ersten Strophe begegnet. Daneben aber gibt es die ruhigere Entfaltung der melodischen Linie in Gestalt einer steigend und fallend angelegten, oder in Tonrepetitionen auf der tonalen Ebene verharrenden und in deklamatorischen Schritten im Wert von Vierteln, Halben und Achteln sich entfaltenden melodischen Linie, womit die Liedmusik der zweiten Strophe einsetzt, die ausdrücklich „etwas ruhiger“ vorgetragen werden soll. Auch in dieser fast schon gegensätzlich anmutenden Doppel-Struktur der Melodik schlagen sich real-existenzielle Außen- und seelische Innenwelt des lyrischen Ichs nieder. Und das gilt auch für die Harmonik, denn diese vollzieht ebenfalls permanente Rückungen von e-Moll in die Dur-Parallele, von dort in die Subdominante C-Dur, dann in geradezu schroffer Weise zurück in das Tongeschlecht Moll und darin, über die Tonart „E“ hinaus, bis nach „H“ und „Cis“.


    Wie tief Schumann melodisch und harmonisch in die Seele dieses armen Peters eingetaucht ist, das lässt sich gleich am Liedanfang auf beeindruckende Weise vernehmen. Die melodische Linie scheint auf den Versen der ersten Strophe im ersten Teil, in e-Moll harmonisiert, im Auf und Ab ihrer Achtel-Schritte in penetranter Weise wie um sich selbst zu kreisen, um dann im zweiten Teil, nun in G-Dur und C-Dur harmonisiert, in einen wie befreit wirkenden, weil einen Quintfall und Quartsprung vollziehenden Gestus anzunehmen. Sie will damit sagen: Dieser Peter kreist in seinem Leid um sich selbst und sucht nach einem Ausbruch daraus. Und der ereignet sich dann ja auch in den beiden folgenden Strophen, - allerdings nur fiktiv, als dem Wunsch und der Sehnsucht entspringender imaginativer Vorgang.


    Die Liedmusik reflektiert dies in Gestalt einer melodischen Linie, die aus einem Anstieg immer wieder in eine Fallbewegung übergeht, bis zu der geradezu unsinnig anmutenden Art und Weise, wie sie auf das Bild vom Hinaufsteigen auf „des Berges Höh´“ reagiert: Nicht mit einem Anstieg ihrerseits, sondern mit einer Fallbewegung, die sie hinunter bis in die tiefste tonale Ebene des ganzen Liedes führt, der eines tiefen „H“ nämlich, zu dem das Klavier prompt einen, sich als Dur-Dominante gerierenden H-Dur-Akkord beizutragen hat.


    Die Melodiezeilen auf den beiden Verspaaren der letzten Strophe weisen in ihrer Struktur eine deutliche Ähnlichkeit auf. Im ersten Teil beschreibt die melodische Linie einen Fall über das relativ große Intervall einer Septe. Es folgt eine halbtaktige Pause nach, und anschließend geht sie im zweiten Teil, nach einem sie in noch tiefe Lage führenden Sekundfall, zu einer weit nach oben ausreifenden Bogenbewegung über. Das Klavier begleitet das mit lang gehaltenen Akkorden in Diskant und Bass, und die Harmonik vollzieht im ersten Teil eine Rückung von a-Moll nach e-Moll, bzw. bei der zweiten Zeile von d-Moll nach a-Moll. Beim zweiten Teil liegt jedoch eine anfängliche Dur-Harmonisierung (H-Dur, bzw. Fis-Dur) vor, die am Ende in Moll (e-Moll, a-Moll) umschlägt. Diese Anlage der beiden Melodiezeilen lässt, gerade im Zusammenhang mit ihrer spezifischen Harmonisierung, erkennen, worum es Schumann hier geht.
    Und mit einem Mal enthüllt sich auch der zunächst verwunderlich anmutende Fall der melodischen Linie beim Bild vom „Hinaufsteigen“ in seinem tieferen Sinn: Hier steigt keiner hinauf, er steigt hinab in die abgründige Tiefe seiner seelischen Einsamkeit. Bezeichnenderweise liegt die partiell gedehnte und aufsteigend angelegte Bogenbewegung auf der jeweils zentralen lyrischen Aussage: „dort ist man doch alleine“ und „dann steh´ ich still und weine“.


    Die Rückung im Tongeschlecht, die ja mit einem Sekundfall der melodischen Linie auf dem letzten deklamatorischen Schritt einhergeht, lässt hier ihren Sinn erkennen: Das lyrische Ich trifft hier eine Feststellung, die, weil sie für seine existenzielle Situation von großer Bedeutung ist, in ihrer aufsteigend angelegten und gedehnten melodischen Gestalt in Dur harmonisiert ist und sich erst ganz am Ende in ihrer wesenhaften Schmerzlichkeit enthüllen darf. Und Schumann setzt, eben weil er die letzte Strophe dieses Gedichts als das Zentrum seiner lyrischen Aussage versteht, auch noch das Mittel der Steigerung der liedmusikalischen Expressivität durch Anhebung der tonalen Ebene ein, die mit einer harmonischen Rückung verbunden ist. Die zweite Melodiezeile, also die auf dem letzten Verspaar, entfaltet sich auf einer um eine Quarte angehobenen tonalen Ebene.


    Im siebentaktigen Nachspiel lässt das Klavier die melodische Figur auf den Worten des ersten und des dritten Verses der ersten Strophe noch einmal erklingen und, indem sie mehr und mehr verkümmert, langsam in die Tiefe sinken und erlöschen. Dieser arme Peter ist, so wie Schumann ihn sieht, in seinem Leid verloren.

  • Der arme Peter wankt vorbei,
    Gar langsam, leichenblaß und scheu.
    Es bleiben fast, wenn sie ihn seh´n,
    Die Leute auf der Straße steh´n.


    Die Mädchen flüstern sich ins Ohr:
    "Der stieg wohl aus dem Grab hervor?"
    Ach nein, ihr lieben Jungfräulein,
    Der steigt erst in das (Heine: legt sich erst ins) Grab hinein.


    Er hat verloren seinen Schatz,
    Drum ist das Grab der beste Platz,
    Wo er am besten liegen mag
    Und schlafen bis zum Jüngsten Tag.


    In einem hochgradig kontrastiven, hohes emotionales Potential aufweisenden Bild lässt Heine seinen kleinen Zyklus enden: Hier der arme, leichenblasse und dahinwankende Peter, dort die jungen Mädchen, die ihn für ein dem Grab entstiegenes Wesen halten. Heine verstärkt diesen Effekt, indem diesen Eindruck der Mädchen gleichsam pervertiert und Peter als einen Todgeweihten erscheinen lässt. Man kann in der darauf Bezug nehmenden letzten Strophe durchaus einen ironischen Unterton vernehmen: Das Grab als „bester Platz“, in dem sich am besten „liegen“ und „schlafen“ lässt bis hin zum Jüngsten Tag. Die Wendung „der legt sich erst ins Grab hinein“ wirkt wie eine lyrisch-sprachliche Brücke zu dieser ironischen Kommentierung der Figur dieses „armen Peters“ und seines Schicksals, wie sie sich in der letzten Strophe ereignet. Heine hat wohl – so darf man vermuten – diese Figur nur ersonnen und lyrisch gestaltet, um zu sagen: So ist dieses Leben es, so kann es gehen in ihm mit der Liebe, und dem kann man nur mit Ironie und Sarkasmus begegnen.


    Schumann wollte aber Heines Lyrik vom ersten bis zum dritten Gedicht so nicht lesen und auffassen. So vernimmt und versteht man – bei mir ist das jedenfalls so – seine Liedmusik darauf. Und vielleicht hat er deshalb in der zweiten Strophe dieses dritten Gedichts diesen starken Eingriff in sie vorgenommen, indem er das von den Mädchen benutzte Wort „steigen“ im vierten Vers noch einmal aufgriff, um eine sprachliche Korrespondenz herzustellen und die existenzielle Situation des armen Peters umso erschreckender werden zu lassen.


    Thomas Synofzik (Heinrich Heine- Robert Schumann, Köln 2006) meint in Schumanns Vertonung dieses Heine-Zyklus ironische Töne zu vernehmen, im übertriebenen Bemühen um Volkstümlichkeit im Falle des ersten Liedes und in der Imitation des Trauermarsches in diesem dritten. Ich vermag diese Interpretation von Schumanns Liedmusik nicht zu teilen. Eindeutig auszumachende ironische Brechungen kann ich darin nicht ausmachen. Die Kommentierung der melodischen Linie auf den Worten der dritten Strophe mit einem akkordischen Trauermarsch-Gestus durch das Klavier ist für mich Ausdruck eines Wörtlich-Nehmens der lyrischen Aussage durch den Komponisten.


    Und so will doch wohl auch die ganze Liedmusik auf diese Verse verstanden werden. Allein schon die Tatsache, dass sie mit ihrem Dreivierteltakt und der Wendung der dortigen Grundtonart G-Dur zur Parallele e-Moll eine bewusste Anbindung nimmt und darin nun aber „langsam“ vorgetragen werden will, ist wohl ein deutlicher Hinweis darauf. Und diese Anbindung im Sinne eines Aufgreifens grundlegender Strukturen in Melodik und Klaviersatz erweist sich ja als noch viel subtiler: In Gestalt einer unter Nutzung von strukturellen Elementen erfolgenden Verkehrung des Aussage-Gestus in sein Gegenteil. So greift die melodische Linie in den ersten beiden Strophen die melismatischen Achtel-Figuren auf, die, als Niederschlag des Tanzmusik-Geists, im ersten Lied ihre Struktur und ihren klanglichen Charakter so stark prägen. Nun allerdings als triolisch angelegte, und das immer wieder. .Gleich fünf Mal, verfällt sie in diese Kombination aus Sekundfall und –sprung: Bei den Worten „wankt vorbei“, „wenn sie ich sehn“, „sich ins Ohr“, „Grab hervor“ und „Jungfräulein“ nämlich.


    Es sind allemal lyrisch relevante Aussagen, an denen das geschieht, und das ist insofern bemerkenswert, als diese triolische Figur dieses Mal nicht, wie bei den entsprechenden Achtelfiguren im ersten Lied, eingebunden ist in eine melodische Linie, die eine Tendenz zum Aufstieg aus dem Verharren auf der tonalen Ebene aufweist, sondern von Anfang an vom Geist des Fallens erfüllt und geprägt erscheint. In der ersten Strophe verfährt Schumann so, wie er das kompositorisch auch bei den beiden vorangehenden Liedern hielt: Er wiederholt auf den beiden Verspaaren die melodische Figur, und dies deshalb, weil sie in ihrem Bezug auf das lyrische Zentrum die relevante liedmusikalische Aussage verkörpert und ihr darin eine die ganze Liedmusik prägende Funktion zukommt. Es ist dieses Mal eine wesenhaft vom Geist des in Moll harmonisierten Falls beherrschte Figur, aus der die Melodik auf den beiden Verspaaren der Eingangsstrophe hervorgeht, - eines Falls freilich, der zwar bei den Worten „der arme Peter“ auftaktig in hoher Lage einsetzt, danach sich aber zweimal erst nach einer vorangehenden Aufstiegsbewegung der melodischen Linie ereignet, die bezeichnenderweise von der besagten triolischen Figur eingeleitet wird, der ihrerseits eine kleine Aufstiegstendenz innewohnt.


    Bei „wankt vorbei“ geht die melodische Linie, triolisch rhythmisiert, nach einem Sekundfall mit einem doppelten Sekundanstieg in eine Dehnung auf der zweiten Silbe von „vorbei“ über, um bei den Worten „gar langsam leichenblass“ den Aufstieg fortzusetzen, aber schon nach der ersten Silbe dieses lyrisch so ausdrucksstarken Wortes wieder in den Fall überzugehen. Das Klavier folgt all diesen Bewegungen der melodischen Linie mit Akkorden und Oktaven im Bass, aber höchst vielsagend ist, dass es dies nur bei den Fallbewegungen sowohl im Diskant, wie auch im Bass tut. Beim kurzen Aufstieg der melodischen Linie gehen die Akkorde im Diskant damit einher, die Oktaven im Bass beschreiben aber eine Abwärtsbewegung. Und auffällig ist diesbezüglich auch, dass die kurze harmonische Rückung aus dem anfänglichen e-Moll ins Tongeschlecht Dur (die Dominante „H“), die sich bei der Triole auf „wankt“ ereignet, vom Klavier mit nur einem einzigen H-Dur-Akkord im Wert eines Viertels begleitet wird.


    Wie soll man diese Liedmusik auf den beiden Verspaaren in ihrer eigenartigen inneren Divergenz in Melodik, Harmonik und Klaviersatz verstehen?
    Vielleicht als ein Aufgreifen der inneren Zerrissenheit von Heines „Armem Peter“, die in diesen drei Gedichten auf im Grunde ja doch erschreckende, weil lapidar-sachliche Weise lyrisch-sprachlich präsentiert wird?
    Mir scheint, dass Schumann das so wollte, - darin zeigend, dass er das existenzielle Los dieses armen Menschen ernster nimmt als dessen poetischer Schöpfer. Nicht nur die Liedmusik der ersten Strophe, auch die auf den beiden folgenden legt Zeugnis davon ab. Auch die melodische Linie der zweiten Strophe weist noch die triolische Figur auf, und sie entfaltet dort eine noch stärkere Aussage-Intensität, weil sie aus deklamatorischen Tonrepetitionen hervorgeht. Bei den Worten „Die Mädchen flüstern sich ins Ohr“ verharrt die melodische Linie nach einem Sekundanstieg auf der Ebene eines „G“ in mittlerer Lage und geht bei „sich in´s Ohr“ in eine triolische Kombination aus Sekundfall und -sprung über. Und das wiederholt sich noch einmal, nun allerdings mit einem Quintfall einsetzend, bei „Der stieg wohl aus dem Grab hervor“. Der Artikel „der“ wird dabei auf markante Weise dadurch herausgehoben, dass auf ihm eine Dehnung auf einem hohen „D“ liegt, die das Klavier mit einem lang gehaltenen G-Dur-Akkord begleitet.


    Man meint in diesen beiden so stark von Repetitionen geprägten Melodiezeilen die Verwunderung und das stille Erschrecken der Mädchen zu vernehmen, auch weil die Harmonik die Aussage der melodischen Linie akzentuiert, indem sie jedes Mal eine Rückung vom anfänglichen e-Moll in den Dur-Bereich macht: Bei der ersten Zeile in die Dur-Parallele über die Dominante, bei der zweiten aber, also bei den Worten „Grab hervor“ sogar hin nach H-Dur, was der Frage besondere Nachdrücklichkeit verleiht. Und wie subtil Schumann im Ausloten der Semantik durch die Liedmusik vorgeht, das wird darin deutlich, dass er beim zweiten Verspaar das Prinzip der Tonrepetition in der melodischen Linie aufgibt, sie nun Anstiegs- und Fallbewegungen beschreiben lässt, denen das Klavier, das sich bei ersten Verspaar auf statische und länger gehaltene Akkorde beschränkte, nun bei jedem deklamatorischen Schritt mit seinen Akkorden folgt.


    Auf dem Wort „Jungfräulein“ liegt wieder eine – dieses Mal sogar mit Klavier mitvollzogene - triolische Figur, und hier wird nun ganz besonders vernehmlich, welche Funktion ihr hier, aber auch ganz generell in diesem Lied, zukommt: Sie bringt einen leisen Ton wehmütiger Schmerzlichkeit in die Melodik. Und was die Subtilität der kompositorischen Arbeit anbelangt, so zeigt sie sich auch in der Art und Weise, wie Schumann mit dem Artikel „der“ umgeht, den Heine ja ganz bewusst an den Anfang der Verse eins und drei gesetzt hat. Er trägt erneut eine Dehnung, nun aber nicht auf einem „D“ in hoher Lage, sondern auch einem „Gis“ in mittlerer, und dieses ist nun in e-Moll harmonisiert. Kam die Frage der Mädchen aus Verwunderung und leichtem Erschrecken über diesen seltsamen Gesellen, so erfolgt die Antwort darauf aus dem Wissen, dass er verloren ist. Daher die Verlagerung der Dehnung auf dem einleiten „der“ auf ein in e-Moll harmonisiertes „Gis“ in mittlerer Lage und das Ersetzen des Quintfalls durch einen Sekundsprung.


    In der dritten Strophe wird das Prinzip der deklamatorischen Tonrepetition zum maßgeblichen kompositorischen Gestaltungsmittel, und dies in der Absicht, die Expressivität kontinuierlich zu steigern und die Liedmusik am Ende zum Höhepunkt ihrer Aussage zu führen. Hier wird deutlich, in welch durchgestalteter Weise Schumann aus seinem Verständnis der Lyrik Heines heraus die Liedmusik auf die drei Gedichte zyklisch angelegt hat. Die Episode „Der arme Peter“, die sich lyrisch als Skizze eines kleinen menschlichen Schicksals in vergangener ländlicher Lebenswelt darstellt, wird von Schumann über diese gleichsam hinausgehoben und auf die Ebene allgemeiner menschlich-existenzieller Relevanz gebracht. Und in diesem Sinn versteht er die letzte Strophe als ein Auf-den-Punkt-Bringen der zentralen Aussage der Dreiergruppe der Heine-Gedichte und verleiht ihr das entsprechende liedmusikalische Gewicht.


    Mit jedem Vers dieser letzten Strophe steigt die melodische Linie in Gestalt von deklamatorisch silbengetreuen Tonrepetitionen in der tonalen Ebene an, wobei der expressive Steigerungseffekt dadurch intensiviert wird, dass sich die Anhebung der tonalen Ebene sogar innerhalb der Verse ereignet und in Sekundschritten erfolgt, so dass bis zu den Worten „am besten“ im dritten Vers melodisch-deklamatorisch der Raum einer Quinte durchschritten wird und die Harmonik dabei permanente Rückungen vollzieht: Vom anfänglichen, als Dominante auftretenden H-Dur über e-Moll, und von einem neuerlich dominanten D-Dur nach G-Dur. Und dann ereignet sich auf der letzten Tonrepetition bei den Worten „am besten“ eine Rückung in verminderte Ais-Harmonik, die das Klavier mit deinem Sextakkord zum Ausdruck bringt. Das empfindet man wie eine harmonische Einleitung des Ausbruchs der Melodik zum Höhepunkt ihrer Expressivität in Gestalt eines partiell verminderten und mit einer Rückung in das harmonisch extreme Dis-Dur verbundenen Sekundanstiegs in hoher Lage bei den Worten „liegen mag“.


    Bislang hat das Klavier die Singstimme mit einer Folge von Oktaven im Bass und mit einem Sechzehntel-Vorschlag versehenen Akkorden im Wert von halben Noten im Bass begleitet und auf diese Weise die Anmutung eines Trauermarsches suggeriert. In dem Augenblick aber, wo die melodische Linie bei den Worten „liegen mag“ ihren bislang in Tonrepetitionen erfolgenden Sekundanstieg in gleichsam beschleunigter, nämlich in Einzelschritten erfolgender Weise fortsetzt und damit auch harmonisch ihren Höhepunkt an Expressivität erreicht, ereignet sich ein Einbruch in der Liedmusik, der auf seine Weise hohe Ausdruckskraft entfaltet: Bei den Worten „Und schlafen bis zum jüngsten Tag“ geht die melodische Linie nach einem anfänglichen Sekundanstieg in einen ritardando vorzutragenden Fall über eine ganze Oktave über.


    Nur kurz gibt es darin ein kurzes Sich-Aufbäumen in Gestalt eines Terzsprungs bei den Worten „zum jüngsten“. Aber der Abwärts-Sog ist allmächtig, und auch das Klavier beugt sich ihm, indem es von seinem rhythmisierten Trauermarsch-Gestus ablässt und die Singstimme nun in ihren silbengetreuen deklamatorischen Schritten mit bitonalen Achtelakkorden in Bass und Diskant begleitet. Und auch die Harmonik hat sich nach ihrem geradezu kühnen Ausbruch ins weitab liegende Dis-Dur auf die Ebene der Grundtonart e-Moll zurückgezogen, mit nur kurzen Rückungen in die Sub- und die Dur-Dominante.


    Zum Ende der Melodik hat es im viertaktigen Nachspiel nur noch eine mit A-Oktav-Repetitionen eingeleitete Folge von Akkorden beizutragen, von denen zwei Sextakkorde sind. Die Harmonik schreitet dabei das Tongeschlecht Moll in Rückungen von der Tonart „A“ über „E“ bis nach einem wie ein letztes Sich-Aufbäumen wirkendes „Fis“ ab, bevor sie über die Dominante H-Dur in einem abschließenden E-Dur-Akkord zur Ruhe kommt.
    Der „arme Peter“ hat liedmusikalisch seine Ruhe gefunden.

  • Die Mitternacht zog näher schon;
    In stummer Ruh' lag Babylon.
    Nur oben in des Königs Schloß,
    Da flackert's, da lärmt des Königs Troß.
    Dort oben in dem Königsaal,
    Belsatzar hielt sein Königsmahl.
    Die Knechte saßen in schimmernden Reihn,
    Und leerten die Becher mit funkelndem Wein.
    Es klirrten die Becher, es jauchzten die Knecht';
    So klang es dem störrigen Könige recht.
    Des Königs Wangen leuchten Glut;
    Im Wein erwuchs ihm kecker Mut.
    Und blindlings reißt der Mut ihn fort;
    Und er lästert die Gottheit mit sündigem Wort.
    Und er brüstet sich frech und lästert wild;
    Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt.
    Der König rief mit stolzem Blick;
    Der Diener eilt und kehrt zurück.
    Er trug viel gülden Gerät auf dem Haupt;
    Das war aus dem Tempel Jehovas geraubt.
    Und der König ergriff mit frevler Hand
    Einen heiligen Becher, gefüllt bis am Rand.
    Und er leert ihn hastig bis auf den Grund
    Und rufet laut mit schäumendem Mund:
    «Jehova! dir künd' ich auf ewig Hohn -
    Ich bin der König von Babylon!»
    Doch kaum das grause Wort verklang,
    Dem König ward's heimlich im Busen bang.
    Das gellende Lachen verstummte zumal;
    Es wurde leichenstill im Saal.
    Und sieh! und sieh! an weißer Wand
    Da kam's hervor wie Menschenhand;
    Und schrieb, und schrieb an weißer Wand
    Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand.
    Der König stieren Blicks da saß,
    Mit schlotternden Knien und totenblaß.
    Die Knechtenschar saß kalt durchgraut,
    Und saß gar still, gab keinen Laut.
    Die Magier kamen, doch keiner verstand
    Zu deuten die Flammenschrift an der Wand.
    Belsatzar ward aber in selbiger Nacht
    Von seinen Knechten umgebracht.


    Heines Ballade handelt von der im Buch Daniel (5, 1-30) berichteten Schändung der Beute-Schätze aus dem Tempel von Jerusalem durch den babylonischen König Belsazar. Schumanns Komposition darauf entstand im Februar 1840. Es ist die erste der vier Balladen auf Texte von Heinrich Heine, die er unter dem Titel „Die Grenadiere – Der arme Peter- Die beiden Brüder – Belsatzar – Vier Balladen von H. Heine für eine Singstimme und Pianoforte“ am 27. Mai 1842 dem Bonner Verleger Nikolaus Simrock anbot. Dieser lehnte allerdings ab, so dass „Belsatzar“ später als Opus 57 einzeln veröffentlicht wurde.


    Was Schumann bewog, sich mit dem Griff nach diesem ausgeprägt narrativen und somit am meisten balladenhaften Text von Heine erstmals der musikalischen Gattung der Ballade zuzuwenden, lässt sich nicht quellenmäßig gesichert klären. Dass er sich mit dem von ihm hoch geschätzten Carl Loewe messen wollte, was Fischer-Dieskau als Möglichkeit in Erwägung zog, halte ich für unwahrscheinlich. Eher sah er sich wohl verlockt und herausgefordert, das dramatisch-spektakuläre Geschehen mitsamt seinem mörderischen Ende in der szenischen Abfolge in Liedmusik zu fassen. Und das bereitete ihm dann auch – wie allen Balladen-Komponisten – das Problem, die sich daraus ergebende Vielfalt der musikalischen Motive und Gestalten kompositorisch so zusammenzubinden, dass sich daraus ein in sich stimmiges und geschlossenes musikalisches Werk ergibt.


    Das ist ihm bei den nachfolgenden Balladen wohl besser gelungen als hier. Diese stellten in ihrem Gehalt und ihrer textlichen Gestalt allerdings diesbezüglich, was die Reduktion der musikalischen Motive auf das Wesentliche anbelangt, auch deutlich geringere Anforderungen. Das wurde von den vielen Kritikern ganz offensichtlich verkannt, die Schumann in diesem Falle „kindliche Primitivität“ in der auf Spannungssteigerung ausgerichteten Anlage oder gar, den Schluss betreffend, mangelhaften Umgang mit den deklamatorischen Anforderungen vorwarfen.


    Im Grunde ist das kurios, denn das macht eigentlich die liedkompositorische Größe dieser Ballade aus und ist Ausweis der Genialität ihres Schöpfers. Was an ihr in der sinnlichen Rezeption so tief zu beeindrucken vermag und sich dem analytischen Betrachter als kompositorische Genialität darstellt, das ist die hochgradig enge Anbindung der Liedmusik an den narrativen Gestus der dichterischen Sprache bei gleichzeitiger musikalischer Ausschöpfung des evokativen Potentials der szenischen Bilder. In dieser Ballade ereignet sich musikalisch – darin eben dieses narrative Geschehen auf höchst eindrückliche Weise reflektierend – ein dramatischer Prozess des Umschlags von festlich-vordergründigem Lärm in geradezu erschreckendes Verstummen.


    Er soll in der gebotenen Kürze im analytischen Zugriff auf die kompositorische Faktur der Ballade aufgezeigt werden. Der Ballade liegt ein Viervierteltakt zugrunde, und sie steht in e-Moll als Grundtonart. Im zweitaktigen Vorspiel lässt das Klavier eine bogenförmig in den Bass fallende und wieder in den Diskant steigende Folge von Sechzehnteln erklingen, die in harmonisch verminderter Gestalt die Tonart „H“ umkreisen und in ihrer chromatischen Dissonanz wie ein Fanal für das wirken, was sich in der nachfolgenden Liedmusik ereignen wird. Es deutet sich überdies auch noch an, dass das Klavier dabei eine große Rolle spielen wird. Mit dieser Figur begleitet es die auftaktig im zweiten Satz einsetzende melodische Linie bis zum Ende des sechsten Takts. Sie entfaltet sich zunächst auf ruhige Weise in Gestalt kleiner, jeweils in eine Dehnung mündender Zeilen, die je einen Vers umfassen und durch Pausen voneinander abgesetzt sind. Auf diese Weise fängt die Melodik das mit den ersten beiden Versen entworfene Bild vom mitternächtlich ruhigen Babylon ein. Und sie behält diesen deklamatorisch gebundenen Gestus bei den folgenden Versen auch noch bei, obgleich sie in ihrer Aussage in schroffen Gegensatz zu dem Eingangsbild treten: In des Königs Schloss lärmt und flackert es.


    Und dass sich da Unheil zusammenbraut, weiß das Klavier längst, denn es begleitet die Singstimme während der ersten beiden Verse mit seinen dissonanten Sechzehntel-Bögen und geht dann bei den Worten „nur oben in des Königs Schloß“ in der Begleitung der Singstimme zu unruhig auf und ab springenden Sechzehntel-Figuren über. Auch die Harmonik weicht nun von dem ruhigen Modulieren zwischen der Grundtonart e-Moll und ihrer Subdominante ab und rückt bei den Worten „nur oben in des Königs Schloß“ nach h-Moll und Fis-Dur. Schließlich schlägt sich die lyrische Aussage auch in der Struktur der Melodik nieder: Bei dem Wort „flackert´s“ beschreibt sie einen Quintfall in tiefe Lage und setzt ihre Bewegung in Gestalt eines Quartsprungs erst nach einer Achtelpause fort.


    Dieses intensive Sich-Einlassen der Liedmusik auf die lyrische Aussage und den Gehalt der Bilder in Melodik, Klaviersatz und Harmonik setzt sich im weiteren Verlauf des Balladentextes nicht nur fort, es steigert sich sogar noch, geht der Text doch nun vom anfänglich deskriptiven Gestus zur Wiedergabe von Aktion über. Das hat auch zur Folge, dass die Anweisung Schumanns „Im Anfang nicht zu schnell, nach und nach rascher“ nun Aktualität gewinnt, und es schlägt sich in der Dynamik nieder. Mehr und mehr treten Crescendi in die melodische Linie und die Dynamik steigert sich vom anfänglichen Piano ins Forte. Das alles setzt – so halten es die meisten gesanglichen Interpreten – mit den Worten „Dort oben in dem Königssaal“ ein. Die melodische Linie lässt nun von ihrem deklamatorisch ruhigen Verharren in mittlerer tonaler Lage ab und geht zu sich steigernder Expressivität in Gestalt von Anstiegs- und Fallbewegungen über. Beim erwähnten fünften Vers steigt sie zur tonalen Ebene eines „C“ in oberer Mittellage empor und geht dann bei den Worten „Belsatzar hielt sein Königsmahl“ in einen Sturz über eine ganze Oktave über, um sich danach in Sekundschritten wieder aufwärts zu bewegen. Dass dieser expressive Fall sich bei dem Namen „Belsatzar“ ereignet ist ein vielsagender Hinweis auf die Fragwürdigkeit dieser Gestalt gleich am Anfang dieser Ballade.


    Mit den Worten „Die Knechte saßen in schimmernden Reih´n“ entfaltet die Liedmusik eine sich steigernde Rasanz. Die melodische Linie beschreibt, nun in G-Dur mit Rückungen in die Moll-Parallele und die Subdominante harmonisiert, ein leicht rhythmisiertes und von Tonrepetitionen geprägtes sprunghaftes Auf und Ab, das in der tonalen Ebene ansteigt und bei den Worten „Es klirren die Becher, es jauchzen die Knecht´“ in diesem Gestus einen ersten Höhepunkt erreicht. Das Klavier trägt das Seine zu dieser Rasanz der Liedmusik bei, indem es eine unruhig wirkende Folge von in Oktaven auf und ab springenden Sechzehnteln im Diskant mit vorgeschalteten, eine aufsteigende und wieder fallende Bewegung beschreibenden bitonalen Akkorden im Bass erklingen lässt, und danach zu vom Diskant in den Bass stürzenden Sechzehntel-Figuren übergeht. Das balladenhafte Geschehen gewinnt auf diese Weise hohe Konkretion und Eindrücklichkeit.


    Wie eine langsame und in der Staffelung überaus kunstvoll angelegte Steigerung der Expressivität zu ihrem Höhepunkt, wie ihn das zentrale Ereignis des höhnischen Ausrufs „Ich bin der König von Babylon“ fordert, wirkt das, was sich nun liedmusikalisch ereignet. Mit Vers elf („Des Königs Wangen leuchten Glut“) beginnt sich die Liedmusik erst einmal in ihrer Expressivität zurückzunehmen: Die melodische Linie senkt sich langsam in tiefere Lage ab und verharrt dort lange in nur geringem, weil die Sekunde kaum überschreitendem Auf und Ab. Und auch das Klavier legt Beharrlichkeit an den Tag, indem es sie permanent mit triolisch-akkordischen Sechzehntelfiguren begleitet, bei fortdauerndem Verharren der Harmonik im Bereich von G-Dur und C-Dur.


    Aber das so Faszinierende und Beeindruckende an Schumanns Komposition ist: Da gibt es diese musikalische Untergründigkeit in der so arglos daherkommenden Liedmusik, die nichts Gutes verheißt. Und sie deutet sich bei den Worten „er lästert die Gottheit mit sündigem Wort / Und er brüstet sich frech und lästert wild“ in der Weise an, dass die melodische Line, nun vom Klavier mit aufsteigend angelegten Sechzehntelfiguren in Diskant und Bass begleitet und in e-Moll harmonisiert, wie insistierend in repetierendem Auf und Ab in mittlerer tonaler Lage verharrt, um dann, nach einem kurzen akkordischen Zwischenspiel bei den Worten „Die Knechtenschar ihm Beifall brüllt“, zu einem hochexpressiven, weil nach einem verminderten Septfall neu ansetzenden Sekundanstieg überzugehen, der am Ende in einen über einen wiederum doppelten Terzfall erfolgenden Sturz in tiefe Lage mündet. Und so überaus ausdrucksstark ist das, weil die melodische Linie hier, bei ihrem so starken Ausbruch aus dem vorangehenden Gestus der Entfaltung in ein Ritardando übergeht und vom Klavier in Diskant und Bass in Gestalt von Einzeltönen unisono begleitet wird.


    Nach diesem Ausbruch der Liedmusik in dramatische Expressivität lässt Schumann sie vorübergehend zur Ruhe kommen, was ja von Balladentext her auch angebracht ist, denn mit den Worten „Der König rief mit stolzem Blick; / Der Diener eilt und kehrt zurück“ geht dieser erst einmal wieder zum Gestus des sachlich-narrativen Berichts über das Herbeitragen des „gülden Geräts“ aus dem Tempel Jehovas über. Auf diesen beiden Versen liegt die melodische Linie des Balladen-Anfangs, und wie dort begleitet das Klavier mit den dissonanten Sechzehntelbögen, die es zuvor schon in einem zweitaktigen Zwischenspiel hat erklingen lassen. Mit den Worten „Und der König ergriff mit frevler Hand“ beginnt sich aber neues Unheil anzudeuten, und das schlägt sich in der Balladenmusik in der Weise nieder, dass die melodische Linie, die sich bislang in einem wie statisch wirkenden und in G-, F-, und C-Dur harmonisierten Auf und Ab entfaltet hat, zu einer drängend wirkenden, weil aus der Folge von punktierten Vierteln und Achteln bestehenden Aufstiegsbewegung in Sekundschritten übergeht, die bei den Worten „gefüllt bis zum Rand“ ihren Höhepunkt erreicht und danach bei den Worten „Und leert ihn hastig bis auf den Grund“ wieder in ein dramatisch wirkendes, weil teilweise größere Intervalle einnehmendes Auf und Ab übergeht. Auch das Klavier steigert die Expressivität seiner Begleitung: Die Sprünge der Sechzehntel-Figuren weiten sich im Intervall immer mehr aus, bis sie schließlich Oktavstärke erreichen. Überdies geht auch die Harmonik vom Tongeschlecht Dur wieder zum Moll über und beschreibt Rückungen von Grundtonart e-Moll nach a-Moll.


    Bevor sich die verhängnisvolle und das Zentrum des Balladengeschehens bildende Freveltat der Superbia ereignet, lässt Schumann die melodische Linie bei den Worten „und rufet laut mit schäumendem Mund“ aus mittlerer tonaler Lage langsam in die Tiefe sinken, was so beeindruckend ist, weil sie dabei mit einem Crescendo in ein Ritardando übergeht und das Klavier ihre Bewegung in Gestalt von Oktaven im Bass mitvollzieht. Bei den Worten „schäumendem Mund“ erhebt sie sich wieder in zwei Sekundschritten, nun von tiefen Sechzehntel-Oktavsprüngen begleitet, und hält danach in einer Achtelpause inne. Die Worte „Jehova! dir künd' ich auf ewig Hohn - / Ich bin der König von Babylon!“ werden forte auf einer zunächst im Auf und Ab von immer größeren Intervallen sich entfaltenden und bei „Hohn“ in Gestalt eines in eine Dehnung mündenden Sextsprungs erneut kurz innehaltenden melodischen Linie deklamiert. Und dann beschreibt die melodische Linie bei „ich bin“ einen ausdrucksstarken, vom Klavier mit einem lang gehaltenen dissonanten Akkord begleiteten Oktavfall und geht nach einem Quintsprung bei „König von Babylon“ in einen über drei Schritte erfolgenden Sturz in die tiefe Lage eines „H“ über, von der sie auf den letzten Silbe von „Babylon“ einen Quintsprung beschreibt, dem unmittelbar darauf ein viertaktiges, geradezu schrill-dissonantes Zwischenspiel von sich in den Bass absenkenden bogenförmigen Sechzehntel-Ketten nachfolgt.
    Das alles ist hochdramatisch-expressive Liedmusik, auf beeindruckende Weise die Ungeheuerlichkeit des Balladen-Geschehens zum Ausdruck bringend.


    Aber da gibt es ja noch eine weitere, als Antwort darauf erfolgende Ungeheuerlichkeit: Die Schrift an weißer Wand. Heine führt den Leser auf höchst gekonnte, die geheimnisvoll-unheimliche Anonymität des Geschehens mit dem sprachlichen Neutrum „Da kam's hervor wie Menschenhand“ betonende Art und Weise zu diesem Ereignis hin, und Schumann setzt dies in adäquate Liedmusik um, indem er die melodische Linie nach anfänglichem sprunghaftem Auf und Ab immer mehr in sich zusammensinken und zu Tonrepetitionen in tiefer Lage übergehen lässt, die sich bei den Worten „an weißer Wand Buchstaben von Feuer, und schrieb und schwand“ ritardando und in e- und a-Moll harmonisiert auf der Ebene eines tiefen „H“ mit Sekundfällen zu einem „A“ ereignen. Und lange begleitet das Klavier, die Unheimlichkeit des Geschehens zum Ausdruck bringend, die melodische Linie dabei mit Akkordrepetitionen, bis es dann, bei dem „poco a poco ritardando“ der melodischen Linie durch das Eindringen von ansteigenden Sexten in die akkordischen Repetitionen die Begleitung der Singstimme mit untergründiger Dramatik auflädt.


    Bei den Worten „und schwand“, auf einem Sekundsprung in der tiefen Lage eines „H“ deklamiert und vom Klavier mit einem H-Dur-Akkord begleitet, tritt eine fermatierte Pause in die Liedmusik, die unheimliche Dramatik des Geschehens auf eine Weise steigernd, wie die Sprache des Dichters es nicht vermag. Was balladenmusikalisch nachfolgt, steht unter Schumanns Vorgabe „In langsamerem Tempo, leise und deutlich zu recitieren“ und, speziell den Pianisten betreffend, „Das Pedal wird bis zum Schluß mit jedem Akkord gewechselt.“ Das geht den Klaviersatz an, der der melodischen Linie auf der letzten, mit den Worten „Der König stieren Blicks da saß“ eingeleiteten Versgruppe zugeordnet ist. Er mutet nun, auf dem Hintergrund seiner vorangehenden Vielgestaltigkeit und Komplexität, stark reduziert, gleichsam klanglich ausgedünnt an: Pro Takt nur zwei Achtel-Akkorde, die sich nicht einmal klanglich ausleben können, weil ihnen jeweils eine Dreiachtelpause nachfolgt. Der Geist der Liedmusik auf den letzten, mit den Worten „Der König stieren Blickes saß“ eingeleiteten Gruppe von acht Versen drückt sich darin aus. Schumann verleiht ihnen liedmusikalisch den Charakter eines in sachlichem Ton gehaltenen Epilogs. Gerade das aber verleiht dem, was da im Nachtrag zur Ungeheuerlichkeit des Geschehens berichtet wird, einen vielsagenden Ausdruck.


    In der Melodik schlägt sich dieser Epilog-Charakter in der Weise nieder, dass sie sich nun nicht nur in deutlichem „langsamerem Tempo“ (Anweisung) entfaltet, sondern auch ihren dynamisch-vorwärtsdrängenden Gestus aufgegeben hat und zu einem ausgeprägt rezitativischen übergegangen ist. Die melodische Linie bewegt sich, mit nur wenigen Rückungen nach Dur in Moll harmonisiert (e-, a-, h- und d-Moll), durchweg in deklamatorischen Tonrepetitionen auf mittlerer und unterer tonaler Ebene, und der rezitativische Gestus drückt sich darin aus, dass diese Ebenen nicht durch Zwischenschritte verbunden sind, sondern in Gestalt eines Sprungs oder eines Falls unmittelbar aufeinanderfolgen. Nur einmal, nämlich bei den Worten „Blicks da saß“ bewegt sie sich aus der Lage eines tiefen „H“ über einen Quart- und zwei Sekundsprünge zu einem gedehnten „G“. Das ist aber die Ausnahme, so dass sie in der Art ihrer Entfaltung auf diesen letzten Versen wie erstarrt anmutet. Ist es der Schrecken, der hier in sie gefahren ist? Oder drückt sich darin die Haltung des lakonischen Kommentars zu einer gotteslästerlichen Tat aus, - nach dem Motto: So endet dergleichen!?


    Fast möchte man zu dieser Deutung neigen, wenn man den Schluss der Balladenmusik bedenkt. Heine gestaltet ihn sprachlich in einer Weise, die angesichts der Tatsache, dass hier ein Mord, eine Bluttat geschehen ist, ausgesprochen lakonisch, wie beiläufig erwähnt wirkt. Und genau dieses übernimmt Schumann auch in seine Balladenmusik. Die melodische Linie behält ihren deklamatorischen Gestus bei, so dass die Worte „von seinen Knechten umgebracht“ in Gestalt von Tonrepetitionen auf der Ebene eine tiefen „D, eines „F“ und eines „E“ vorgetragen werden.
    Und dieser Schluss ist musikalisch vielsagend. Denn das Wort „umgebracht“ wird silbengetreu auf einem durch Punktierung eines Viertels zunächst gedehnten „E“ und danach auf einem „E“ in Gestalt eines Achtels und eines Viertels deklamiert. Abweichend vom bisherigen Klaviersatz liegt nun auf jedem Ton ein Akkord. Und vor allem: Die Harmonik beschreibt eine Rückung von e-Moll über a-Moll nach E-Dur.


    Das ist ein Plagal-Schluss. Ihm wohnt, im Unterschied zur authentischen Kadenz ein gewisser Grad an Offenheit und Unentschiedenheit inne.
    Soll das heißen, dass es mit den Folgen hier noch nicht zu Ende ist?
    Man kann das so hören und verstehen.

  • Für diese dreiteilige Komposition hat Schumann den Titel übernommen, den Heine über die drei Gedichte gesetzt hat: „Tragödie“. Er stieß auf diese Heine-Verse im „Taschenbuch für Damen“ aus dem Jahre 1821, das Clara ihm zu Weihnachten 1840 schenkte. Zunächst hat er wohl daraus eine Komposition für zwei Solo-Stimmen und Orchester gemacht. Jedenfalls findet sich im Ehetagebuch zum November 1841 der Eintrag: „Mein erster Versuch von Gesangscomposition mit Orchester“. Er merkte aber dazu an: „Noch nicht fertig“, legte das Manuskript zur Seite, und da blieb es dann auch, ohne je wieder aufgegriffen zu werden. „Fertig“ wurde aber die – ebenfalls 1841 entstandene - Fassung für Singstimme und Klavier, - wobei es mit Blick auf das dritte Lied heißen müsste: „Für zwei Singstimmen und Klavier“, denn es handelt sich hier um ein Duett. Sie wurde als dritter Teil des Opus 64 („Romanzen und Balladen IV“) 1847 in Leipzig publiziert.


    Heines Trilogie begegnet ihren Lesern als eine Montage von Gedichten, die in ihrem lyrischen Grundton, ihrer prosodischen Gestalt, ihrer Sprachlichkeit und ihrer Metaphorik stark voneinander abweichen und nur durch den Titel zusammengehalten erscheinen. Das zweite Gedicht stammt ja auch gar nicht von Heine selbst. Er weist ausdrücklich darauf hin, dass es sich hierbei um ein „wirkliches Volkslied“ handele, das er „am Rheine gehört“ habe. Was die drei Gedichte zusammenführt, ist der Kern ihrer poetischen Aussage, den Heine in seinem existenziell relevanten Gehalt mit dem Wort „Tragödie“ charakterisiert.


    Auf ihre je eigene lyrisch-sprachliche Weise und aus der ebenfalls ganz eigenen Perspektive umkreisen die drei Gedichte jeweils das charakteristische Heine-Thema der nicht gelingenden Sinnerfüllung von Leben durch Liebe. Im ersten Gedicht wird das appellative „Entflieh mit mir und sei mein Weib“ damit begründet, dass nur in liebeerfüllter ehelicher Zweisamkeit sich sinnerfülltes Leben ereignet. Das zweite Gedicht greift indirekt dieses Thema auf, denn „Jüngling“ und „Mädchen“ sind von zu Hause geflohen, um ein solches Leben zu führen. Es gelang nicht. Sie hatten „weder Glück noch Stern“ und sind – in der lapidaren Volksliedsprache - „verdorben, gestorben“. Im dritten, in seiner lyrischen Sprache und seiner Metaphorik am ehesten ein Werk Heines, wird das Bild vom „Müllersknecht“ und seinem „Schatz“ von vornherein von zwiespältigen Winden(„lind und schaurig“) und ambivalentem Vogelgesang („süß und traurig“) umgeben, und es mündet in die typische, in ihrem untergründigen Sarkasmus aus tiefer Verzweiflung kommende Heine-Wendung, wie man sie etwa von „Meerfahrt“ kennt: „Sie weinen und wissen selbst nicht warum.“


    Die ersten beiden Kompositionen reflektieren in der stark ausgeprägten Unterschiedlichkeit der Liedsprache auf voll umfassende Weise die spezifische Eigenart der lyrischen Sprache beider Gedichte und die poetische Aussage, die aus ihr hervorgeht. Beim dritten Lied zögere ich, zum gleichen Urteil zu gelangen. Ich vermag nicht zu erkennen, welche Gründe Schumann bewogen haben könnten, die Melodik als Duett anzulegen, und meine überdies, dass diese Heines Lyrik nicht in der gleichen Tiefe gerecht wird, wie dies bei den vorangehenden Liedern der Fall ist. All dem soll in einer sich das das Wesentliche beschränkenden Betrachtung der drei Kompositionen nachgegangen werden.


    Lied I
    Entflieh mit mir und sei mein Weib,
    Und ruh' an meinem Herzen aus!
    In weiter Ferne sei mein Herz
    Dein Vaterland und Vaterhaus!


    Entflieh´n wir nicht, so sterb´ ich hier
    Und du bist einsam und allein;
    Und bleibst du auch im Vaterhaus,
    Wirst doch wie in der Fremde sein.


    Das Lied steht in E-Dur als Grundtonart, ein Viervierteltakt liegt ihm zugrunde, und es soll „Rasch und mit Feuer“ vorgetragen werden. Im eintaktigen Vorspiel lässt das Klavier dreistimmige repetierende Viertelakkorde erklingen, denen ein Achtel-Akkord-Vorschlag vorausgeht und die auch wieder bei der auftaktig einsetzenden melodischen Linie in einen Achtel-Akkord münden. Das ist in der Repetition und in der aus der Aufeinanderfolge von Achtel und Viertel sich ergebenden Rhythmisierung die Grundstruktur des Klaviersatzes im Diskant für das ganze Lied, wobei der Bass im wesentlichen aus der Bewegung von Oktaven im Wert von halben Noten besteht. Man kann diesen Klaviersatz von der Rhythmik und der Klanglichkeit her, die er entfaltet, durchaus als Unterstützung und Verstärkung des stürmischen, drängend-appellativen Gestus auffassen und verstehen, den die melodische Linie aufweist und darin die Aussage des lyrischen Textes reflektiert.


    Er drückt sich in ihrer Grundstruktur in einer immer wieder aufs Neue ansetzenden Tendenz des Nach-oben-Drängens aus, dem sprunghafte, größere Intervalle einnehmende Sprungbewegungen vorausgehen oder nachfolgen, wobei durch eingelagerte Dehnungen zumeist am Taktanfang starke, weil mit einer harmonischen Rückung verbundene Akzente gesetzt werden, in denen die so stark ausgeprägte Direktheit der appellativen Ansprache an das lyrische Du ihr melodisches Äquivalent findet. Dieser Gestus bleibt ungebrochen bis zum Ende des Liedes und macht darin seinen ganz spezifischen musikalischen Charakter aus. Die Liedmusik repräsentiert darin den Geist des lyrischen Textes, der – ungewöhnlich für Heine, und nur verständlich, wenn das ihn als Eröffnung dieser lyrischen Trilogie auffasst – in seiner Aussage vom ersten bis zum letzten Vers keinerlei inneren Bruch aufweist.


    Es gibt in seinem appellativen Gestus zwar ein gleichsam retardierendes Element, die aus Gründen der Argumentation erfolgende Einbeziehung der seelischen Ebene in der Ansprache an das Du, wie sie sich am Anfang der zweiten Strophe ereignet, und Schumanns Liedmusik reagiert darauf auch mit der leichten Rücknahme des Aufwärts-Drängens der melodischen Linie und einer Einbeziehung des Tongeschlechts Moll in ihre Harmonisierung. Das mutet aber nur sporadisch an, stellt keine wirkliche Abkehr vom deklamatorischen Grund-Gestus dar und wird ja prompt dadurch annulliert und kompensiert, dass Schumann die ganze erste Strophe in der ihr eigenen Liedmusik noch einmal wiederholen lässt.
    Darin drückt sich seine spezifische Rezeption dieses Heine-Gedichts aus: Er will mit seiner Liedmusik diesen Aspekt des Aufbruchs und des Ausbruchs aus der Vaterhaus-Welt stärker zum Ausdruck bringen, als Heine dies lyrisch-sprachlich tut. Und das wird auch darin ersichtlich, dass er in dessen Text eingreift: Aus „fern in der Fremde“ macht er „in weiter Ferne“, und aus dem wenig affektiven „gehst du nicht mit“ ein das appellative Schlüsselwort repetierendes „entflieh´n wir nicht“.


    Man darf dahinter ein liedkompositorisch-zyklisches Denken vermuten. Schumann hat – und das zu Recht – in der Kombination dieses eigenen lyrischen Textes mit einem – seine Thematik hintergründig aufgreifenden Volksliedtext eine subtile Absicht Heines gesehen, und er wollte wohl den Aspekt der Konfrontation zweier Mentalitäten und Lebenswelten im Kreisen um das gleiche lyrische Thema mit seiner Liedmusik in einer Weise akzentuieren und sinnlich ansprechend werden lassen, wie Lyrik mit ihren Mitteln das nicht vermag. Er lässt dabei allerdings eine Dimension dieser Lyrik außer Betracht: Es ist der aus tiefem seelischem Leiden hervorgehende Sarkasmus, der aufscheint, wenn man die beiden letzten Verse des zweiten Gedichts mit dem „Entflieh mit mir…“ in einen direkten Bezug bringt, wie Heine das ja wollte. Für Schumann ist nur die seelische Schmerzlichkeit darin relevant. Diese allerdings bringt er im zweiten Lied auf liedmusikalisch tief anrührende Weise zum Ausdruck.


    Der stürmisch-drängende Gestus dieses Liedes kommt am stärksten in der Melodiezeile auf den Worten des ersten Verses zum Ausdruck. Auf einen Quartsprung in hoher Lage auf dem Wort „Entflieh“, bei dem das gedehnte „E“, in das er mündet sforzato vorgetragen werden soll, folgt ein Sturz über eine ganze Oktave und danach ein Sekundanstieg, dem zunächst eine Tonrepetition vorausgeht, was diesen nach oben drängenden Geist der Melodik noch stärker zum Ausdruck kommen lässt. Und das lang gedehnte (halbe Note) „A“, auf dem dieser Sekundanstieg endet, ist mit einer Rückung in die Subdominate A-Dur verbunden. Die melodische Linie auf den nachfolgenden Worten „Und ruh´ an meinem Herzen aus“ wirkt wie von diesem Geist beflügelt, denn sie setzt mit dem Ton an, auf dem die erste endete, geht danach zwar erst einmal in einen in a-Moll harmonisierten Fall über, dies aber nur um zu den Worten „meinem Herzen“ hin einen neuerlichen Sprung, dieses Mal sogar über eine Sexte, zu beschreiben, der wiederum in einen, nun in H-Dur harmonisierten Sekundanstieg übergeht, der sie noch höher führt, als dies in der ersten Zeile der Fall war. Die Kombination aus Sext- und Sekundfall, mit dem diese zweite Melodiezeile endet, mutet, auch weil sie mit einer Rückkehr zur Tonika E-Dur verbunden ist, wie ein Niederschlag der Semantik des Bildes vom „Ausruhen am Herzen“ an.


    Die melodische Linie kann sich aus diesem so direkten Ansprache- und Aufrufgestus auch ein wenig zurücknehmen und zu einem weicheren Ton übergehen, dort nämlich, wo das lyrische Ich dem Du ein lockendes Angebot macht, indem es sein Herz als „Vaterland“ und „Vaterhaus“ anbietet. Und so geht sie denn bei diesen Worten in einer in hoher Lage ansetzende, bogenförmig sich senkende, wieder ansteigende und nach einem gedehnten Sekundfall in einer Dehnung endende Bewegung über, wobei das Klavier hier, abweichend von seinen Akkordrepetitionen, dieses Mal dieser Bewegung der melodischen Linie mit Akkorden folgt. Auch die Harmonik trägt zu diesem Eindruck einer von leichter Innigkeit angehauchten Liedmusik bei, indem sie fast bis zum Ende der Zeile im Bereich des Tongeschlechts Moll verbleibt und erst an ihrem Ende, bei dem Wort „Vaterland“, eine Rückung nach Dur vollzieht. Aber es ist keine in die Tonika E-Dur, sondern eine hin zu deren Dominante, und das hat einen guten Grund. Als wolle das Klavier dieses kurze Sich-Zurücknehmen des lyrischen Ichs in den Gestus der lockenden Ansprache an das Du wieder zurücknehmen, lässt es im viertaktigen Zwischenspiel das melodische „Entflieh mit mir“-Motive erklingen, nun allerdings in einer leicht verspielt wirkenden, weil mit eingelagerten Achtel-Melismen verzierten Art und Weise. Aber dieses Motiv rückt auf diese Weise, und auch dadurch, dass es ja noch einmal wiederholt wird, in das Zentrum der Musik dieses Liedes und prägt sie auf maßgebliche Weise.


    Mit der zweiten Strophe wird die Ansprache des lyrischen Ichs an das Du wieder drängender und eindringlicher, indem es ihm die Folgen vor Augen hält, die das Nicht-Fliehen für beide angeblich mit sich bringt. Die Liedmusik greift dies in der Weise auf, dass sie sich in eine wachsende Expressivität hineinsteigert. Für die Melodik heißt dies, dass sie zum Gestus der Wiederholung sprunghaft angelegter Figuren auf ansteigender tonaler Ebene übergeht, die mit den entsprechenden Rückungen in der Harmonik einhergehen und schließlich in einem hochexpressiven, aus einer langen Dehnung in hoher Lage erfolgenden Fall über eine ganze Oktave kulminieren. Dieser ereignet sich bei den Worten „und bleibst du auch im Vaterhaus“, wobei die Dehnung in hoher Lage bezeichnenderweise auf dem Wort „bleibst“ liegt und sich der – mit einer harmonisch ebenfalls expressiven Rückung von h-Moll nach G-Dur verbundene - Oktavfall mit nachfolgendem Sekundanstieg auf „im Vaterhaus“ bei dem Wort „du“ ereignet.
    Schumann legt hier einen – durch Harmonik und Klaviersatz in seiner Effektivität gesteigerten – Gestus des Drängens, ja Bedrängens in die Melodik, der weit über das hinausgeht, was Heines lyrischer Text semantisch aufweist.


    Und nicht nur, dass die melodische Linie durch die permanent sich wiederholenden und über große Sprungintervalle erfolgenden Aufstiegsbewegungen auf ansteigender tonaler Ebene, die mit einer harmonischen Rückung von E-Dur nach a-Moll und von Fis-Dur nach h-Moll verbunden sind, diese liedmusikalische Kulmination so expressiv werden lassen, sie setzt diesen Gestus ja fort, indem sie sich bei den Worten „Wirst doch wie in der Fremde sein“ in einen weiteren Sekundanstieg hineinsteigert, der sie zum höchsten Ton des Liedes führt (einem hohen „A“). Das verleiht dem Wort „Fremde“ einen starken Akzent, auch deshalb, weil sich in ihm ein melodischer Sextfall ereignet und die Harmonik vom vorangehenden a-Moll nach D-Dur rückt, das im nachfolgenden Sekundsprung zu dem Wort „sein“ hin in harmonisch weitab liegendes H-Dur übergeht.
    Es ist unüberhörbar: Schumann will mit seiner Liedmusik dem Drängen des lyrischen Ichs zum gemeinsamen Ausbruch aus der Welt des „Vaterhauses“ in die einer existenziell sinnstiftenden Gemeinsamkeit in Liebe eine Heines lyrische Intentionen aufgreifende und sie steigernde Nachdrücklichkeit verschaffen. Und dies im Wissen, dass dieser Heine mit seiner Lyrik ja letzten Endes nichts anderes will, als sein Wissen um das Scheitern solcher Lebensentwürfe zu einer poetischen Botschaft zu machen.


    Und aus dieser, tief reichendes Verständnis von Heines Lyrik bekundenden liedkompositorischen Absicht ist es nur konsequent, dass er die Liedmusik der ersten Strophe noch einmal wiederholt, mit der melodisch so extrem expressiven, weil die lyrische Aussage von Heines Versen gleichsam auf den musikalischen Punkt bringenden Sforzato-Kombination aus Quartsprung und Oktavfall am Anfang. Sie erklingt auf den ersten beiden Versen in unveränderter klanglicher Gestalt. Aber Schumann wäre nicht einer der ganz Großen unter den Liedkomponisten, nutzte er nicht die in der Wiederholung sich bietende Möglichkeit, mit den Mitteln einer Variation der Liedmusik die semantischen Dimensionen der lyrischen Aussage voll auszuschöpfen. Und so setzt die melodische Linie denn bei den Worten „In weiter Ferne“ dieses Mal nicht mit einer deklamatorischen Tonrepetition ein, sondern geht in einen zweifachen Sekundfall über, der, wie eine Art Anlauf, dem, was liedmusikalisch nachfolgt, starke Ausdruckskraft verleiht.


    Es ist eine liedmusikalische Variation, die darauf abzielt, der Vision des lyrischen Ichs, sein Herz könne für das Du „Vaterland“ und „Vaterhaus“ zugleich sein, größeren Nachdruck und stärkere Eindringlichkeit zu verleihen. Bei den Worten „In weiter Ferne sei mein Herz“ beschreibt die melodische Linie drei Fall- und Sprungbewegungen über jeweils um eine Sekunde anwachsende Intervalle, vom Klavier dabei mit Akkordrepetitionen begleitet. Die Harmonik macht dabei Rückungen von der Tonika zur Subdominante. Auf den Worten „dir Vaterland und Vaterhaus“ liegt dieses Mal wieder eine bogenförmig fallende und wieder ansteigende melodische Linie, der das Klavier mit Akkorden in Diskant und Bass folgt. Aber dieses Mal vollzieht sie den Fall auf „Vaterland“ nicht in Sekund-, sondern in Terzschritten, zu dem Wort „und“ hin ereignet sich ein Quartsprung, und auf „Vaterhaus“ liegt dieses Mal ein aus einer gedehnten Tonrepetition hervorgehender Quintfall, der die melodische Linie zum Grundton „E“ führt und sie darauf in Gestalt einer Dehnung enden lässt. Alle diese deklamatorischen Schritte sind mit einem Portato-Zeichen versehen und sollen ritardando ausgeführt werden


    Das neuntaktige Nachspiel wirkt, als wolle es, weil die Melodik dies zu wenig vermochte, das Verlockende an dieser Vision eines gemeinsamen Lebens „in weiter Ferne“ hervorheben. Es umspielt die melodische Figur auf den Worten „Entflieh mit mir…“ nun mit aus hoher in tiefe Lage sich senkenden Achtel-Melismen und lässt dem eine fast schon orchestral anmutende und über eine Ritardando-Figur in einen E-Dur-Akkord mündende Reihe von Akkorden folgen.

  • Lieber Helmut,


    durch Deinen wunderschönen Thread bin ich nach langen Jahren wieder auf Heine gestoßen. In der Schule beim "Wintermärchen" war eigentlich mein erster bewußter Kontakt mit ihm, das Werk war Pflichtlektüre. Aber wie das nun bei jungen, unreifen Menschen ist, die sich mit Pflichtlektüre beschäftigen müssen, es war gut, es war toll, aber die Beschäftigung mit Heine war erzwungen. Begeisterung sah damals anders aus. Aber die Beschäftigung mit der Pflicht hat auch ihr Gutes, nämlich die dunkle Erinnerung an Zeiten, die schon ach so lange zurückliegen.


    Und so ging es mir, als ich jetzt in Deinem Thread die wunderbaren Liebes- und Leidgedichte Heines las. Die gehörten nicht zur Pflichtlektüre, aber sie haben mich berührt, jetzt erst. Und entschuldige bitte, mir als nicht so liedaffinen Musikliebhaber waren die Vertonungen durch Robert Schumann eigentlich nicht bekannt. Da mich die Texte derart gefesselt haben, werde ich mich mit einigen der Lieder befassen (z.B. " ich hab im Traume geweinet" oder "der arme Peter"). Die Texte haben mich nachdenklich hinterlassen, und auch ein bißchen wehmütig.


    Eine kleine Geschichte dazu am Rande. 1988 machten meine Frau und ich eine Mittelasienreise (ab Perm, wir hatten dort 3 Jahre gearbeitet). Ich Trottel habe mir am 3. Tag in Taschkent den rechten Knöchel gebrochen, konnte die Reise aber mit Gipsfuß fortsetzen, nur weit laufen ging nicht. Meine Frau ging in Buchara mit der Gruppe in die Zitadelle, ich blieb im Bus sitzen. Plötzlich kam ein junger (ca. 30 Jahre) Usbeke in den Bus, setzte sich neben mich und fragte mich in Deutsch(!), ob ich Deutscher wäre. Nach meiner Bejahung rezitierte er in gutem Deutsch die "Lorelei", komplett. Ich war wie vom Donnerschlag gerührt. Der junge Mann war als Besatzungssoldat 5 Jahre in der DDR stationiert und hatte sich mit deutscher Kultur befaßt. Heine war sein ausgesprochener Liebling, er konnte es sogar gemeinsam mit mir singen. Geklungen hat es sicher furchtbar, aber die Kraft der Musik und die Tatsache, daß ein Usbeke ca. 6000 km weg von Deutschland Heine in der Originalsprache kannte, das war ein wunderbares Erlebnis. Als der Bus weiterfahren mußte, war ich sogar ein wenig traurig, ich hätte mich gerne weiter mit dem jungen Mann unterhalten.


    Bei der Beschäftigung mit Deinem Thread kam mir die Erinnerung, die nun auch schon 30 Jahre zurückliegt wieder hoch. Ich danke Dir dafür.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Es freut mich sehr, lieber La Roche, dass ich gerade Dich, einen geschätzten Tamino-Gesellen, mit meinen Einlassungen auf Schumanns Heine-Lieder an Deine frühen Begegnungen mit diesem großen Dichter erinnert und Dich auf diese Weise gleichsam zu ihm zurück geführt habe.
    Die „kleine Geschichte“, die Du diesbezüglich hier erzählst, hat mich nachdenklich gestimmt. Ausgerechnet Heine, der lange Zeit als „undeutscher“ Dichter verunglimpft und in seiner literarischen Größe und Bedeutung völlig verkannt wurde, wird für einen Usbeken, der sich mit deutscher Kultur befasst, zu seinem Lieblingslyriker und lässt für Dich, 6000 Kilometer von zu Hause entfernt, die Begegnung mit ihm zu einer Dich anrührenden Begegnung mit heimatlich-deutscher Sprache werden.


    Ich finde es hoch erfreulich, dass Du dich als „nicht so liedaffiner Musikliebhaber“ mit diesem oder jenem Heine-Lied Schumanns beschäftigen möchtest. Aber mach das bitte, und das meine ich absolut ernst, ohne meine hiesigen Ausführungen dazu zu lesen. Die könnten Dich in ihrer detailversessenen liedanalytischen Ausführlichkeit nur abschrecken. Lies einfach das von Dir gewählte Heine-Gedicht und hör Dir danach an, was Schumann liedmusikalisch daraus gemacht hat. Das kann zum Erlebnis werden!
    Ich glaube, ja bin mir inzwischen sicher, dass er unter den vielen Komponisten, die sich Heines Lyrik liedmusikalisch gewidmet haben, derjenige ist, der am tiefsten in deren Wesen, ihre poetische Aussage und ihre lyrisch-sprachliche Eigenart vorgedrungen ist und all das erfasst hat.
    Seine Liedkompositionen können Dich also sehr wohl in Deinem Verständnis von Heines Lyrik bereichern.

  • Lieber Helmut,
    eigentlich bin ich gestern so vorgegangen, wie es Deinem Vorschlag entsprach. Ich habe mir die Zeit genommen, den "armen Peter" anzuhören, das erste Mal übrigens, nachdem mich das Gedicht berührt hat, besonders Teil III. Die Auswahl bei youtube ist groß, aus irgendeinem Grunde habe ich Christian Gerhaher genommen und das war wohl keine schlechte Wahl. Er singt klar und deutlich, textverständlich, und er singt es ohne mit seiner fabelhaften Stimme anzugeben. Aber ich glaube, Stimmenprotze sind im Liedgut kaum tätig.


    Ich muß gestehen, daß mich die musikalische Gestaltung durch Schumann beim ersten Hören noch nicht so beeindruckt hat wie der reine Text. Aber ich laß mal ein paar Tage vergehen und traue mich nochmals ran, und später werde ich auch Deine Liedbeschreibung dazu verwenden. Es sollte doch gelingen, tiefer in Schumanns Heinevertonung einzudringen. Oder glaubst Du, ich hätte mit einem anderen, einfacheren Lied beginnen sollen? Ich habe den Peter auch deshalb genommen, weil mein Frau dieses Gedicht kannte. Meine Frau war einmal Laienschauspielerin am Theater und zeichnet sich auch heute noch durch gekonnte Rezitationen aus. Sie hat mit Jürgen Hentzsch und Rolf Hoppe auf der Bühne gestanden, als sie noch mächtig jung war und beide Schauspieler am Geraer Theater engagiert waren. Leider hat ihr der gutsituierte Papa das schauspielern verboten.
    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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