Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse

  • Hallo Nemorino,


    die Berliner punkten hier mehr mit Klangfarben als mit Klangfülle, wobei der Orchesterklang sich tonal wie eine zweite Hülle um den Konzertflügel legt. Diese gelungene Kombination darf man HvK getrost zuschreiben.


    Es grüßt


    Karl

  • Wenn HvK etwas fremd war, war es Trägheit.


    Seine Arbeits- und Schaffenskraft erinnert mich an die von Albert Schweitzer, der sich wegen der Fülle von Aufgaben so gut es ging den Schlaf abtrainierte.


    Kennzeichnend sind die letzten Monate in HvKs Leben.


    Da erklärt ein kranker alter Mann in einer Fernsehdoku, daß er an Reinkarnation glaube und deshalb gewiss wiederkomme.


    Begründung: Schon Goethe habe gesagt: „Wenn ich so viel innerlich noch zu sagen habe und mein Körper verweigert mir seine Dienste – dann hat die Natur mir einen anderen Körper zu verschaffen!"


    Und aus seinen müden Augen blitzte es dabei kurz auf, dieser Wille zum Leben und diese Freude am Schaffen.


    Man spürte, der Mann hatte kein bißchen Angst vor dem Tod an sich, da war keine Spur von Selbstaufgabe wie bei Furtwängler.


    Das hat mich stark beeindruckt.


    Es grüßt


    Karl

  • Aus dem chromatischen Kontinuitätsprinzip Wagners hat Karajan einen Dirigierstil gemacht. In diesem Sinne ist er genau wie Furtwängler als Dirigent ein Wagnerianer.



    Lieber Holger,


    da sprichst Du ein großes Wort gelassen aus und bringst es auf den Punkt!


    Wobei ich finde, dass es in dieser scharfen ( man müsste eigentlich sagen "fließenden") Konsequenz so nur bei Karajan zu hören ist - und hier ist er ja, der Eigenwert der nicht frühen Karajan-Aufnahmen, wie ich finde.
    Furtwängler und seine späteren Geistesnachfolger wie Barenboim, manchmal auch Giulini ( siehe Pastorale Beethoven) oder auch Thielemann haben dann doch viel mehr "ruckige" Stellen in ihren Interpretationen, bei denen es "Rumms" machte. Das ist vom Klang her und auch sonst schon noch ein sehr anderes Denken, als es bei Karajan war. Thielemanns Klang ist dunkel und "deutsch", während Karajans Klang auch sehr warm und voll sein konnte, aber dann eben auch unfassbar brilliant und strahlend. Das kann man z.B. bei seiner Finlandia hören ( CD siehe mein Posting oben). Die Bläser gehen einem da derart durch Mark und Bein, wie ich es nicht im Ansatz irgendwo sonst wieder gehört habe.


    Von daher gibt es wohl zwei Interpretationszweige, die vom Wagnerismus ausgehen: Furtwängler und eben Karajan.


    Ich kann beides schätzen und lieben, wobei ich beim Wagner selbst -in gewissen Fällen- doch am liebsten Karajans Sicht der Dinge höre.




    Wirklich "total" ist die Entrhetorisierung letztlich auch in der Romantik nie vollzogen worden, es gibt schließlich die Gegenbewegung der Individualisierung. Da hat sich Karajan "sperrig" und radikal wie er war einer bestimmten Traditionslinie verschrieben und die andere mehr oder weniger unterdrückt. Das Ergebnis kann dann entweder wie Du sagst wirklich "berauschend" sein - oder es misslingt ebenso klar und deutlich.


    Genau so ist es. Das galt übrigens auch für seine singuläre Art des Dirigierens. Er vertraute auf das magische Band der gemeinsamen Konzentration und des Unerklärlichen, dass es ja - Gott sei Dank- im Bereich des wirkliche Musizierens gibt. Deshalb schloß er die Augen beim Dirigieren, griff irgendwie mystisch in den Klang und es wurde.....! Einsätze gab er oft nicht, vielleicht nur eine Augenbraue. Natürlich ging das nicht mit irgendwelchen Orchestern, sondern eben mit den Wienern und den Berliner Philharmonikern.


    Von einem Berliner Philharmoniker habe ich gehört, dass es im Konzert entweder berauschend und fantastisch wurde, oder aber jenes Feuer sich einfach nicht entzünden wollte, was zu drögen Aufführungen führte.
    Warum es aber manchmal so und manchmal anders wurde, kann man - so glaube ich- nicht bis in Letzte hinein erklären.
    Doch dieses Phänomen gibt es wohl bei jedem Musiker...


    Gruß :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Von daher gibt es wohl zwei Interpretationszweige, die vom Wagnerismus ausgehen: Furtwängler und eben Karajan.


    Ich kann beides schätzen und lieben, wobei ich beim Wagner selbst -in gewissen Fällen- doch am liebsten Karajans Sicht der Dinge höre.

    Lieber Glockenton,


    das finde ich auch! :) Bei Furtwängler denke ich immer an Wagners Schrift über das Dirigieren, wo er von den "Modifikationen des Tempos" spricht, die aber nie gewaltsam oder gezwungen, sondern immer organisch-natürlich sein sollen. Diese Art der immer wie selbstverständlich wirkenden sehr lebendigen Tempomodifikationen, das beherrschte Furtwängler wohl wie kein Zweiter. Karajan dagegen folgt seinem Vorbild Toscanini darin, dass der mit dieser Wagner-Tradition schroff brach: das Grundtempo ist bei Toscanini immer konstant. (Ricardo Muti hat das mal - ich sah das im Fernsehen in einer Doku - schön an den ersten Takten von Beethovens 5. demonstriert, wo Furtwängler schon innerhalb eines Taktes mehrfach das Tempo wechselt, während Toscanini strikt das Tempo hält.) Wagners "Lebensphilosophie" verwirklicht Karajan so nicht mit den Modifikationen des Tempos, sondern mit diesem organischen Gleiten. Die Lieblingsmetapher der Lebensphilosophie ist ja der "Strom" ("Lebensstrom", "Bewusstseinsstrom"). Das passt vor allem zu den empfindsamen langsamen Sätzen. Wenn man über Karajans Schönheitsideal nachdenkt, dann hat dies finde ich damit etwas zu tun: das Schroffe, Hartige und Kantige zum Gleiten und damit Schweben zu bringen. Die Gefahr ist natürlich, dass er dabei ins Wohlig-Angenehme und Schönfärberische abgleitet. Im Idealfall dagegen realisiert Karajan eine impressionistische Schwerelosigkeit. Karajans Stil ist in dieser Hinsicht eine Gratwanderung - wobei er als virtuoser Seiltänzer wirklich manchmal auch abgestürzt ist. :D


    Zum Thema Tschaikowsky habe ich noch etwas vor, warte allerdings noch auf eine CD, eine Aufnahme, die für mich eine besondere Bedeutung hat. Das Thema ist: Karajans Wirkung auf andere große Dirigenten... ;)


    Bestellt habe ich die beiden Wagner-CDs, die Du empfohlen hast und die Dreier-CD-Box mit Werken der 2. Wiener Schule. Bei Wagner, dem Siegfried-Idyll, werde ich dann das Vergnügen haben, Karajan mit Celi zu vergleichen. Solche unbeugsamen "Typen" und Ästheten sehr eigener bzw eigenwilliger Art, die einfach radikal ihr Ideal des Musizierens lebten und praktizierten ohne Rücksicht auf Verluste, wo gibt es sie heute noch?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Solche unbeugsamen "Typen" und Ästheten sehr eigener bzw eigenwilliger Art, die einfach radikal ihr Ideal des Musizierens lebten und praktizierten ohne Rücksicht auf Verluste, wo gibt es sie heute noch?


    Wenn ich jetzt nicht lange überlege, dann würde ich sagen: Harnoncourt war der letzte von ihnen, aber wie gesagt, vielleicht käme ich noch auf einen Namen. Ein Celi gehört sicher auch in diese Kategorie, aber der ist ja auch schon....


    Ach ja, Thielemann. Der ist schon ein ein Nonkonformist, aber ob er so profiliert ist - muss drüber nachdenken. Sehr gute Musik kann bei ihm auf jeden Fall herauskommen - kann.


    Gruß :hello:
    Glockenton


    PS. Antwort ist kurz, muss jetzt dringend zur Chorprobe, und das bei der Hitze!

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    stimmt, Harnoncourt war auch so einer... :D Was Du über Karajans nonverbale Konversation sagtest, trifft auch auf Claudio Abbado zu. Auch er war so und trotzdem wussten die Musiker genau, was er wollte. Charisma eben, was nur ganz, ganz Wenige haben.


    Wo ich von Prag sprach - es gibt auch dort die Verbindung zu Berlin und der Wagner-Tradition. Die Tschechische Philharmonie als Klangkörper geformt hat Vaclav Talich, den Svjatoslav Richter, der auch Karajan nur zu gut kannte, für einen der größten Dirigenten hielt. Da hat er Recht - die Aufnahmen, die ich von Talich habe, sind alle absolut überragend. Talich war zuerst Konzertmeister der Berliner Philharmoniker unter Artur Nikisch, bevor er als Dirigent nach Prag ging. Er setzte sich sehr für Janacek ein, und wurde nicht zuletzt deshalb - und weil er katholisch und kein Kommunist war - vom Regime dort drangsaliert. (Von Taras Bulba wird fast immer die von Talich gemachte Orchestrierung gespielt, auch wenn es nicht vermerkt ist.) Talich hat wirklich glutvoll expressive Aufnahmen von Suk und Janacek gemacht in der Wagner-Tradition - mit Tempomodifikationen wie bei Furtwängler! Wie mit Celi und Karajan in Berlin zieht dann auch in Prag die Moderne ein mit Ancerl und Neumann, die mit konstanten Tempi dirigieren. Solche Verbindungen sind schon sehr spannend! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Warum gibt es das nur nicht auf CD? Karajan mit einem geradezu feurig impulsiven und zugleich sehr klangsinnlichen Maurizio Pollini, mit dem er wunderbar harmoniert!



    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    diesen Mitschnitt kenne ich leider nicht, werde ihn mir aber baldmöglichst anhören.


    Mir liegt ein anderer Live-Mitschnitt aus Berlin vor, und zwar dieser:


    BEETHOVEN: Klavierkonzert Nr. 3 c-moll, Op. 37
    Glenn Gould (Klavier) und die Berliner Philharmoniker, Dirigent: Herbert von Karajan (aufgenommen am 26.5.1957 im Großen Saal der Berliner Musikhochschule).


    Eine sehr interessante, äußerst spannende Aufnahme, die auch technisch überraschend gut gelungen ist. Es blieb, trotz hochfliegender Pläne, m.W. die einzige Tonaufnahme in dieser Kombination. Ein recht umfangreiches, mehrsprachiges Booklet liegt der Ausgabe bei. Karajan selber hat sie wie folgt geäußert: "Dieses Beethoven-Konzert war eine Meisterleistung, die zu unseren Lebzeiten wohl nur sehr wenige erreichen werden." Michael Stegemann, der den Booklet-Text verfasst hat, ist da nicht ganz einverstanden. Er sagt dazu: "Was eher merkwürdig scheint, wenn man Karajans Beethoven-Stil mit dem Goulds vergleich: der satte Orchesterklang und die schwelgerisch ausladenden Phrasierungen des einen gegen das pointierte und kompromißlos unromantische Non-Legato-Spiel des anderen."
    Die CD enthält noch die Sinfonie Nr. 5 von Jean Sibelius, mitgeschnitten im gleichen Konzert.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Nachdem ich in meiner Jugend begonnen hatte, eigene Platten zu kaufen, hörte ich - so verrückt war ich damals - fast ausschließlich Klaviermusik. Bis ich dann eines Tages beschloss, mich in das Orchesterrepertoire einzuhören. :D Dazu lieh ich mir aus der Düsseldorfer Musikbücherei Schallplatten aus - und kaufte mir später auch etliches. Eine Schlüsselaufnahme ganz am Anfang, die mich dazu bewegte, mich doch weiter in die Orchesterlitertatur zu vertiefen, war diese Platte hier (leider etwas violettstichig bei amazon, die Originalfarben sind natürlich viel schöner):



    Ich hatte mich damals geradezu verliebt in diese Aufnahme - und Tschaikowskys wunderschöne Symphonie. Also sammelte ich weiter - vor allem Aufnahmen eben mit Claudio Abbado und dann auch Pierre Boulez. Anlässlich dieses Threads dachte ich mir: Du musst Dir die Aufnahme doch wieder besorgen! Für 1 Euro gebraucht habe ich sie kürzlich erstanden:



    Ich muss sagen: Ich bin nach dem Wiederhören - vielleicht nach 25 Jahren - begeistert! Anders als in meiner Jugend, wo ich nicht so ganz Bass präzise klingende Regalboxen besaß, fällt mir heute auf, dass dies eine für die Zeit damals typische, sehr schlank aufgenommene DGG-Produktion (1976) ist. Aber Abbado gelingt hier wirklich ein Meisterstück. Das ist perfekt ausbalanciert, ungemein feinsinnig, mit sehr viel Liebe musiziert, sinnlich, farbig, auch leidenschaftlich, die dynamischen Abstufungen und Steigerungen sind überaus subtil und perfekt austariert, dabei ist Abbado immer klassisch klar mit einer traumwandlerischen Sicherheit für die symphonischen Proportionen. Das Spiel der Wiener Philharmoniker ist wirklich exzellent! Der erste Vergleich: Abbado hat die Tschaikowsky-Symphonien später noch einmal mit dem Chicago SO aufgenommen:



    Kein Vergleich! Nicht nur, dass er die Tempi deutlich langsamer nimmt (bis auf das Scherzo, da ist er sogar etwas schneller!). Es fehlt die für die Wiener Aufnahme von 1976 so typische rhythmische Beschwingtheit. Das alles wirkt irgendwie zäher und unpersönlicher: um nicht zu sagen: etwas langweilig, bis auf das ebenfalls sehr temperamentvolle Scherzo. Nein, die Ausnahmequalitäten der alten Aufnahme aus Wien erreicht diese spätere Produktion aus Chicago einfach nicht.


    Dann habe ich mir schließlich Karajan vorgenommen:



    Auch Karajan versteht es, das Orchester perfekt auszubalancieren. Es scheint auch alles da zu sein, nur fehlt das Entscheidende der Wiener Aufnahme von Abbado: die rhythmische Beschwingtheit. Karajan hat einfach nicht begriffen, dass der symphonische Verlauf von der Eigenbegung der rhythmischen Motive getragen wird. Er spielt - paradox ausgedrückt - nicht Tschaikowsky, sondern gibt ein "Bild" einer Tschaikowsky-Symphonie, ein perfekt inszeniertes Panorama. Er orientiert sich - das Einzelne im Ganzen vollständig integrierend - am "großen Bogen". Dadurch wirken dann aber gerade diese rhythmischen Motive ihrer Eigendynamik beraubt etwas klebrig und statisch, so, als käme die Musik nicht von der Stelle. Wirklich ganz ausgezeichnet atmosphärisch sind die Streicherpizzikati im Scherzo. Abbado spielt da interessanter Weise weniger impressionistisch als jugendlich stürmisch. Wenn man beide Aufnahmen - Abbado und Karajan - hört, versteht man, warum Abbado der ideale Karajan-Nachfolger in Berlin war. Auch er ist ein großer Ästhet und absolut perfekt, was die Herstellung einer Klangbalance im Orchester angeht. Da gibt es eine Kontinuität. Nur kommen eben noch einige Fähigkeiten hinzu, die Karajans Ästhetik nicht zugelassen hat: die Auflichtung des kompakten Orchesterklangs, der Sinn für den Eigenwert des Einzelnen, das quasi kammermusikalische Miteinander des Musizierens.


    Zum Schluss - es geht nicht anders, habe ich dann noch - natürlich :D - Mrawinsky gehört, dessen Aufnahmen ich erst sehr viel später kennenlernte. Da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus und muss sich bremsen, nicht weiter und weiter zu hören... !!! Unglaublich, was Mrawinsky aus der Partitur herausholt, gerade was die Feinarbeit und die quasi mikroskopisch-feinteilige Dramatik angeht. Auch bei ihm wird die Symphonie getragen vom Rhythmus.



    Es spricht für Abbado, dass er dieser Ausnahme-Aufnahme schon sehr nahe kommt. Ihm gelingt es, das Beste aus der russischen und der westeuropäischen Tradition zu vereinen. Was für ein Glück, dass ich damals mit dieser Abbado-Aufnahme meiner Entdeckungsreise in Sachen Orchestermusik begann. Am Anfang ist das Beste gerade gut genug! :)


    So, nun kommt Karajan mit Wagner dran! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger




  • Diesen Vergleich zu machen ist hochspannend - denn er zeigt nicht nur gewissermaßen paradigmatisch Karajans Eigenart, sondern gibt auch einen Einblick in Wagner und seine Auffassung des Musizierens.


    Bei Karajan hört man wirklich dieses "Gleiten", von dem Glockenton sprach, diesen scheinbar unendlichen großen Bogen eines riesigen Spannungsaufbaus mit Bergen und Tälern, die aber immer zu ein und derselben Klangwelle gehören. Da entsteht wahrlich ein mitreißender Sog. :)


    Wie komplett anders dagegen Mrawinsky! Man kann nur bewundern, wie gewissenhaft er Partituren liest! Er macht das genaue Gegenteil von Karajan: Er phrasiert jeden einzelnen Bogen hypergenau und hyperplastisch aus, er atmet, setzt ab und wieder von neuem an. Dadurch entstehen dann Formabschnitte - die sonore Cellomelodie ist bei Mrawinsky "expressivo", während Karajan hier weniger eine expressive Einzelphrase zuspitzend spielt als entspannt bleibend den kommenden Höhepunkt antizipiert. Im kommenden rhythmischen Teil hört man bei Mrawinsky wirklich einen Marsch - überhaupt vernimmt man nur bei ihm, dass diese ganze Ouvertüre eigentlich einen durchgehenden Marschrhythmus hat, während Karajan "schwimmt" und nicht "tanzt", um Nietzsches Wagner-Parodie aufzugreifen. Verblüffend nun, wie ähnlich Celibidache Karajan ist. Das ist dieselbe "unendliche Melodie", nur dass er rhythmischer als Karajan ist, der wiederum statt dessen die ausschwingende Melodik betont und die Rhythmik zur untergeordneten Begleitung macht.


    Alle drei Aufnahmen sind aufs Höchste faszinierend! :) Was ist nun richtiger? Genau das lässt sich mit Blick auf Wagner selbst nicht entscheiden. Denn bei Wagner gibt es Anhaltspunkte sowohl für die Karajan-Celibidache-Linie als auch Mrawinskys expressive Phrasierung. Denn Wagner spricht einmal von der "unendlichen Melodie" und der "Kunst des Übergangs". Andererseits versuchte er zwischen dem romantischen Musikbegriff und dem älteren rhetorischen zu vermitteln. Daraus entspringt bei Wagner der Begriff einer sprachdeutlichen "charakteristischen Melodie". Karajan und Celibidache halten sich an die "unendliche Melodie", während Mrawinsky eine "charakteristische Melodie" im Sinne Wagners mit hochexpressiver Sprachdeutlichkeit spielt. So haben letztlich alle drei großen Dirigenten auf ihre Weise Recht - und wir das Vergnügen zu entdecken, wie unterschiedlich und zugleich völlig "richtig" Wagner vorgetragen werden kann! :)


    Schöne Grüße
    Hoplger

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  • Lieber Holger,


    da bin ich ja schon froh, dass Du meine hochgeliebte Karajan-Aufnahme dann doch auch ein bisschen mögen kannst :D


    Wie hörst Du den Orchesterklang? Für mich ist Karajans Klangbild hier geradezu maximiert, will sagen, dass man an Fülle, Wärme und gleichzeitig Strahlkraft wohl kaum mehr aus einem Orchester herausholen kann. Ich kenne auch andere Karajan-Aufnahmen dieser Stücke, finde aber, dass er hier auf dem Zenit dessen ist, was er auch diesbezüglich erreichen konnte.
    Den ganz großen Bogen, den Du ja auch ansprichst, empfinde ich bei dieser Musik als sehr angebracht, weil man ja auf die jeweiligen Höhepunkte organisch fließend hingeführt und auch wieder in gleicher Weise "beruhigt" wird.
    Wagner wollte m.E. nicht, dass sein Publikum analysierend in Einzelphrasen hineinhört ( vollkommen das Gegenteil vom barocken Ideal, bei dem man die Musik verstehen musste und auch wollte) sondern im Strom seiner Klänge geradezu baden geht, vielleicht sogar aufgeht. Diese Art der Überwältigungsästhetik hat schon fast eine religiösen Komponente. Wenn ich sozusagen im Jordan der Wagnerklänge getauft wurde, bin ich nicht mehr derselbe, der ins Wasser hinabstieg.


    Und das Durchdrehen im Bacchanal bis zu einem äußerst dramatischen Höhepunkt bei 4.36 mit anschließendem akustischem "Waberrauch" bei 4.44 ....das geht mir ja jedesmal sehr unter die Haut, natürlich nur dann, wenn ich es im Zusammenhang höre, auf den es hier viel viel mehr ankommt, als bei der Musik früherer Epochen.



    Auch der Tristan und Isoldes Liebestod haben es mir auf dieser CD sehr angetan. Letztgenannten kann ich auch sehr gut in der Orchesterversion hören, auch wenn ich es ebenso gerne auch mit Norman oder Meier höre ( die dann leider nicht mit Karajan als Dirigent).



    Dürfte ich nur 10 CDs behalten, dann wäre diese hier besprochene Orchester-CD eine davon.



    Gruß :hello:


    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Holger,


    Zitat

    So haben letztlich alle drei großen Dirigenten auf ihre Weise Recht - und wir das Vergnügen zu entdecken, wie unterschiedlich und zugleich völlig "richtig" Wagner vorgetragen werden kann! :)


    die gleiche Feststellung mache ich gerade bei einem Vergleich der 5 Klavierkonzerte von Beethoven mit 2 unterschiedlichen Orchestern, Dirigenten und Pianisten.


    Was zählt ist ein schlüssiger und in sich stimmiger Vortrag, im Gegensatz zu manch albernen Versuchen, irgendwie aufzufallen.


    Nette Grüße


    Karl

  • da bin ich ja schon froh, dass Du meine hochgeliebte Karajan-Aufnahme dann doch auch ein bisschen mögen kannst

    :D Doch, doch, lieber Glockenton! Das ist wirklich magisch! Ich kann Dich da nur zu gut verstehen! :)

    Wie hörst Du den Orchesterklang? Für mich ist Karajans Klangbild hier geradezu maximiert, will sagen, dass man an Fülle, Wärme und gleichzeitig Strahlkraft wohl kaum mehr aus einem Orchester herausholen kann. Ich kenne auch andere Karajan-Aufnahmen dieser Stücke, finde aber, dass er hier auf dem Zenit dessen ist, was er auch diesbezüglich erreichen konnte.
    Den ganz großen Bogen, den Du ja auch ansprichst, empfinde ich bei dieser Musik als sehr angebracht, weil man ja auf die jeweiligen Höhepunkte organisch fließend hingeführt und auch wieder in gleicher Weise "beruhigt" wird.

    Ich habe natürlich nicht den Vergleich (die Aufnahme aus Wien mit Jessye Norman kommt noch) wie Du, aber ich finde den Klang auch wirklich wunderbar. Allerdings hört man auch die typische Eigenart der ersten DGG-Digital-Aufnahmen Anfang der 80iger, die in den Steichern immer etwas gläsern klingen. Insgesamt ist trotz der Karajan-Fülle das Klangbild eher schlank - typisch DGG. Bei mir kommt noch hinzu, dass ich Rigips-Wände im Wohnzimmer habe, die im Bass ein paar db schlucken, so dass es noch etwas schlanker klingt als es eigentlich ist. Für so was brauchte ich einen Kopfhörer. Ein neuer Stax steht ja auf meiner Anschaffungsliste...


    Ich muss auch sagen, dass man im Vergleich hört, dass Celis Münchner dieses Spiel-Niveau der Berliner nicht haben - jedenfalls nicht bei diesem Stück.


    Dieses Flussprinzip bei Wagner, damit habe ich mich ja auch theoretisch beschäftigt. :) Am besten beschreibt das finde ich Ernst Kurth. Er spricht u.a. von "ineinanderspielenden Einteilungen" in einer Wellenstruktur, was diesen Verwischungseffekt meint, die Verwandlung des klassischen Diskretums in ein bewegungsdynamisches Kontinuum. Das macht Karajan hier wirklich vorbildlich und geradezu paradigmatisch nachvollziehbar, die starren Einteilungen "ineinanderspielen" zu lassen, so dass die Phrasen zu lauter kleinen Wellen werden, die sich zu einer großen Steigerungswelle vereinigen (Celi auf seine Weise auch ganz ähnlich).

    Wagner wollte m.E. nicht, dass sein Publikum analysierend in Einzelphrasen hineinhört ( vollkommen das Gegenteil vom barocken Ideal, bei dem man die Musik verstehen musste und auch wollte) sondern im Strom seiner Klänge geradezu baden geht, vielleicht sogar aufgeht. Diese Art der Überwältigungsästhetik hat schon fast eine religiösen Komponente. Wenn ich sozusagen im Jordan der Wagnerklänge getauft wurde, bin ich nicht mehr derselbe, der ins Wasser hinabstieg.

    Das ist eine interessante Frage! Sicher gibt es diesen Zug bei Wagner und auch in der Aufführungspraxis, denn sonst hätte z.B. Nietzsche als Zeitzeuge nicht dieses "Schwimmen" betont. Aber auch Gustav Mahler war ein Wagner-Dirigent. Mahlers Forderung war immer wieder mit Nachdruck betont die "Deutlichkeit" der Phrasierung. Nun ist es spannend, dass genau das auch auf Wagner selbst zurückgeht. Bei Wagner gibt es nämlich einen prägenden Einfluss des Hegelianismus. Hegel war Romantik-Kritiker. Während die Romantik die "Unbestimmtheit" des Gefühls betont, die Unendlichkeit und "Ahnung", pocht nun Wagner mit dem Hegelianismus auf die sprachdeutliche "Bestimmtheit" und nicht Unbestimmtheit. Heraus kommt dann der Begriff der "charakteristischen Melodie" und in diesem Kontext spricht auch Wagner selbst von "Deutlichkeit" in Bezug auf die Phrasierung. Mahler hat also sein "Deutlichkeits"-Prinzip letztlich von Wagner - bei Schönberg und Webern heißt das dann "Fasslichkeit". Man sieht daran, wie immens Wagners Einfluss auf die Musik des 20.Jhd. ist. Insofern wäre es interessant zu wissen, ob nicht schon Wagner selbst seine Werke unterschiedlich dirigiert hat mal dem einen oder anderen Prinzip zuneigend.

    Und das Durchdrehen im Bacchanal bis zu einem äußerst dramatischen Höhepunkt bei 4.36 mit anschließendem akustischem "Waberrauch" bei 4.44 ....das geht mir ja jedesmal sehr unter die Haut, natürlich nur dann, wenn ich es im Zusammenhang höre, auf den es hier viel viel mehr ankommt, als bei der Musik früherer Epochen.

    Leider bin ich wegen meines verflixten Zeitmangel noch nicht dazu gekommen, das Bacchanal zu hören. Ich werde es aber heute oder morgen hoffentlich nachholen! :)

    Auch der Tristan und Isoldes Liebestod haben es mir auf dieser CD sehr angetan. Letztgenannten kann ich auch sehr gut in der Orchesterversion hören, auch wenn ich es ebenso gerne auch mit Norman oder Meier höre ( die dann leider nicht mit Karajan als Dirigent).

    Das habe ich gehört und finde es unglaublich!!! :) :) :) :hello:

    Was zählt ist ein schlüssiger und in sich stimmiger Vortrag, im Gegensatz zu manch albernen Versuchen, irgendwie aufzufallen.

    So denke ich auch, lieber Karl! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wenn ich sozusagen im Jordan der Wagnerklänge getauft wurde, bin ich nicht mehr derselbe, der ins Wasser hinabstieg.


    Lieber Glockenton,
    danke für diesen großartigen Satz. Er ist überirdisch schön. Wie kann man in einem Satz die himmlische Großartigkeit Wagners zum Ausdruck bringen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dass Karajan auch ein großer Wagner-Dirigent war, steht wohl gar nicht wirklich in Frage. Er hat bis auf den "Tannhäuser" auch alle Opern des Bayreuther Kanons im Studio eingespielt, wobei von der Fachwelt besonders seine "Meistersinger" (EMI, 1970) hevorgehoben und nicht selten sogar als Erstempfehlung genannt werden. Gut bis sehr gut schneiden üblicherweise auch seine Einspielungen von "Tristan und Isolde" (EMI, 1971) und "Der Ring des Nibelungen" (DG, 1966-1970) ab. Bei seinem "Fliegenden Holländer" (EMI, 1983), "Lohengrin" (EMI, 1975/76 & 1981) und "Parsifal" (DG, 1979/80) scheiden sich die Geister. "Lohengrin" musste jahrelang unterbrochen werden wegen eines Streits mit René Kollo, ehe er fünf Jahre später doch noch vollendet werden konnte. Die beiden anderen werden auch oft wegen der Besetzung kritisiert (die aber objektiv betrachtet nicht schlecht ist).


    Auch Karajans Wagnerstil änderte sich im Laufe der Jahre. Dies lässt sich am besten anhand der "Meistersinger" feststellen, die er in Bayreuth 1951 ganz anders interpretierte als in der knapp zwanzig Jahre später entstandenen Dresdner Studioaufnahme, die kammermusikalisch-schlanke Anklänge hat. Seine Letztdeutungen aus Salzburg von 1974/75 gehen wiederum einen anderen Weg und betonen das Festlich-Feierliche (man wartet bis heute auf offizielle Veröffentlichungen). In Salzburg hat er übrigens zahlreiche Wagner-Opern auch live aufgeführt, die sich in den Rundfunkarchiven erhalten haben:


    1967: "Die Walküre"
    1968: "Das Rheingold", "Die Walküre"
    1969: "Siegfried", "Das Rheingold"
    1970: "Götterdämmerung"
    1972: "Tristan und Isolde"
    1973: "Tristan und Isolde", "Das Rheingold"
    1974: "Die Meistersinger"
    1975: "Die Meistersinger"
    1976: "Lohengrin"
    1980: "Parsifal"
    1981: "Parsifal"
    1982: "Der fliegende Holländer"
    1983: "Der fliegende Holländer"
    1984: "Lohengrin"


    Wieso der "Tannhäuser" für Karajan nie diese Rolle spielte, wüsste ich auch gerne. Abgesehen von einem suboptimalen Live-Mitschnitt aus der Wiener Staatsoper von 1963 (DG, leider in Mono) gibt es diese Oper unter seinem Dirigat nicht komplett. Und auch Auszüge hat er erst in seinen letzten Lebensjahren eingespielt. In Salzburg wurde diese Oper von ihm nie aufs Programm gesetzt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wieso der "Tannhäuser" für Karajan nie diese Rolle spielte, wüsste ich auch gerne.

    Ich weiß nur, dass er sich im Fernsehen mal sehr über die "Tannhäuser"-Ouvertüre lustig gemacht hat: ein brennendes Haus, die Feuerwehr rückt an ("Ta-tüüü-ta-taaa", also das Hauptthema) und im Haus sitzt eine Frau und heult (absteigende Violinen als Umspielung des Hauptthemas bei dessen Wiederholung). :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Glockenton,


    im Beitrag 461 bedauerst Du, dass Du Isoldes Liebestod gerne mit Jessye Norman hören würdest, er Dir aber leider nicht mit Karajan zur Verfügung steht.


    Dir kann geholfen werden. In der nachfolgenden Aufnahme findest Du beide vereint, dazu noch die Wiener Philharmoniker.




    Liebe Grüße


    Portator

  • m Beitrag 461 bedauerst Du, dass Du Isoldes Liebestod gerne mit Jessye Norman hören würdest, er Dir aber leider nicht mit Karajan zur Verfügung steht.


    Dir kann geholfen werden. In der nachfolgenden Aufnahme findest Du beide vereint, dazu noch die Wiener Philharmoniker.

    Da hast Du Glockenton aber falsch verstanden, lieber Portator! :D Die CD aus Wien mit Jessye Norman hat er selbst empfohlen - und ich sie mir bestellt. :) Er meinte "Isoldes Liebestod" mit Waltraut Meier!!!!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich weiß nur, dass er sich im Fernsehen mal sehr über die "Tannhäuser"-Ouvertüre lustig gemacht hat: ein brennendes Haus, die Feuerwehr rückt an ("Ta-tüüü-ta-taaa", also das Hauptthema) und im Haus sitzt eine Frau und heult (absteigende Violinen als Umspielung des Hauptthemas bei dessen Wiederholung). :D

    Wenn Karajan das gesagt hat, dann ist das eine wunderbare Parodie der "charakteristischen Melodie". :D

    Auch Karajans Wagnerstil änderte sich im Laufe der Jahre. Dies lässt sich am besten anhand der "Meistersinger" feststellen, die er in Bayreuth 1951 ganz anders interpretierte als in der knapp zwanzig Jahre später entstandenen Dresdner Studioaufnahme, die kammermusikalisch-schlanke Anklänge hat. Seine Letztdeutungen aus Salzburg von 1974/75 gehen wiederum einen anderen Weg und betonen das Festlich-Feierliche (man wartet bis heute auf offizielle Veröffentlichungen).

    Den Interpretationsvergleich würde ich nur zu gerne machen... :)


    Es gibt übrigens, lieber Joseph, auch einen Aufsatz oder Vortrag von einem Philosophen, wo Karajan und Solti beim "Ring" verglichen werden, was die unterschiedliche Klangästhetik angeht. Ich müsste das mal raussuchen... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich bemerke, dass ich ja auch noch Furtwängler mit der Tannhäuser-Ouvertüre habe (Berliner Philh., 1951 RAI Rom, DGG). Wieso hatte ich das nur vergessen? :D Dann werde ich diese Aufnahme morgen in den Interpretationsvergleich mit einbeziehen. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Glenn Gould (Klavier) und die Berliner Philharmoniker, Dirigent: Herbert von Karajan (aufgenommen am 26.5.1957 im Großen Saal der Berliner Musikhochschule).


    Eine sehr interessante, äußerst spannende Aufnahme, die auch technisch überraschend gut gelungen ist. Es blieb, trotz hochfliegender Pläne, m.W. die einzige Tonaufnahme in dieser Kombination.

    Lieber Nemorino,


    herzlichen Dank für den Tip! Bei Pollini (Youtube) muss ich sagen, dass ich noch nie eine so spannende Orchester"begleitung" gehört habe. Mit Glenn Gould ist das von der Paarung her sicher noch spannender! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger


  • Aufnahme Rom RAI 1.5.1951 (Live)



    Furtwängler mit Karajan zu vergleichen ist finde ich in zweierlei Hinsicht interessant: Einmal spielt hier dasselbe Orchester und zum anderen steht gerade Furtwängler in der Wagner-Tradition des Dirigierens. Erst einmal ist festzustellen: Es gibt keineswegs eine Kontinuität zwischen Furtwängler und Karajan! Furtwänglers doch wesentlich plastischere Phrasierung kommt Jewgeny Mrawinsky deutlich näher als Karajan. Auch betont er wie Mrawinsky den Kontrast zwischen dem Bläser-Thema und der Streicher-Passage danach, die er ebenso wie die Leningrader mit einem starken Expressivo spielt. Karajan nimmt zwar das Bläserthema auch nicht ohne Phrasierung, nähert es aber einem Legato an, dass er dann im Streicherteil fortsetzt. Er eliminiert das Expressivo nahezu vollkommen zugunsten eines morbiden Schönklangs der Streicher. Da kann man sich dann fragen: Ist das nicht mehr ein Fin de siecle-Ton als originärer Wagner? Wirklich erheblich unterschiedlich ist dann der folgende rhythmische Teil mit dem Hauptthema in den schmetternden Bläsern. Da weicht Karajan den Rhythmus förmlich auf. Aber nicht nur das! Bei Furtwängler sind die Bläser idiomatisch - da hört man den gewissen hochtrabenden, heroisch-theatralischen Tonfall des 19. Jahrhunderts und das Thema klingt wirklich wie ein "gesetztes" Thema. Karajan macht daraus quasi abstrakt, die Idiomatik eliminierend, eine schöne Wagner-Melodie im Sinne von Wagner-Musik, die uns als "absolute Musik" einnehmen und berauschen soll statt sich mit ihrem "historischen" Eigenklang aufzudrängen.


    Nun habe ich auch die Bacchanale gehört! Da muss ich Glockenton beipflichten: Das ist ein klangästhetisches Meisterstück in jeder Hinsicht - und hier gefällt mir Karajan erheblich besser als in der Ouvertüre vorher. Das werde ich mir auf jeden Fall noch einmal mit der "Erstanlage" anhören, die einfach noch viel besser auflöst. :)


    Die Karajan-CD mit den Wienern und Jessye Norman ist heute eingetroffen. Das zu hören - dafür nehme ich mir einen Muße-Moment zum konzentrierten Hören! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bei Pollini (Youtube) muss ich sagen, dass ich noch nie eine so spannende Orchester"begleitung" gehört habe. Mit Glenn Gould ist das von der Paarung her sicher noch spannender!

    Lieber Holger,


    leider bin ich noch nicht dazu gekommen, mir das YouTube-Video anzusehen, hatte in den letzten Tagen einiges "um die Ohren". Dann gibt es bei mir noch das Handikap, daß ich es mir nur am Laptop ansehen und -hören kann, und da klingt das alles ein bißchen wie Telefonmusik.


    Den Mitschnitt mit Gould/Karajan finde ich richtig Klasse, vor allem ist er (auf der von mir abgebildeten Sony-CD) klanglich sehr gut, leider aber nur Mono. Es handelt sich um eine Rundfunkaufnahme des SFB. Die CD ist mit einem sehr schönen Booklet ausgestattet, das auch reich bebildert ist. Einige Zeitzeugen kommen in ihm zu Wort, und zwar die damals führenden Musikkritiker Hans Heinz Stuckenschmidt (DIE WELT), Kurt Westphal ("Kurier") und Joachim Kaiser (SZ).
    Ich erlaube mir, ein paar Zeilen zu zitieren. Stuckenschmidt schreibt u.a.: " …. seit Ferruccio Busoni habe ich keinen solchen Meister am Klavier mehr gehört", während Westphal wesentlich zurückhaltender kommentiert: " ….. ein merkwürdiger Mann, der als Mensch seine Form und Haltung noch nicht gefunden hat", aber Joachim Kaiser urteilt hellsichtig: "Ein nervöser, die Hände falsch wie Horowitz haltender, seltsam tief geduckt vor den Tasten sitzender junger Mann ….. aber diejenigen, die hören konnten, empfingen einen tiefen Eindruck."
    Ich kann Dir die CD nur empfehlen, zumal sie beim Urwaldfluss z.Zt. zu einem lachhaft günstigen Preis zu haben ist (gebraucht). Außerdem gibt es noch die Fünfte von Sibelius, die Karajan im gleichen Konzert darbot.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Für mich ist Karajans Klangbild hier geradezu maximiert, will sagen, dass man an Fülle, Wärme und gleichzeitig Strahlkraft wohl kaum mehr aus einem Orchester herausholen kann. Ich kenne auch andere Karajan-Aufnahmen dieser Stücke, finde aber, dass er hier auf dem Zenit dessen ist, was er auch diesbezüglich erreichen konnte.


    Lieber Glockenton,


    Du lobst diese Karajan-Aufnahme in den höchsten Tönen, und Holger ist weitgehend der gleichen Meinung.


    Leider habe ich sie nicht in meiner Sammlung, stattdessen diese, die inhaltlich fast identisch ist:



    Die Aufnahmen wurden 1974/75 gemacht.


    Meine Frage: Kennst Du die Aufnahme, und ist die DGG-Version klanglich so aufregend besser, dass man sie ebenfalls kaufen sollte? Preislich gibt es sie bei Amazon ganz billig, das ist nicht das Problem, es ist eine Platzfrage! Wohin damit, wo sowieso schon die Regale und Schränke sich biegen?
    Wagners Orchestermusik ist ohnehin bei mir reichhaltig vertreten, u.a. Klemperer (2 CDs, EMI), Bruno Walter (CBS), Szell (CBS), Kubelik, Böhm, Jochum (DGG) etc., und dabei bin ich noch nicht einmal der Wagner-Freak!


    Schönen Abend und LG,
    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Holger,

    Ich muss sagen: Ich bin nach dem Wiederhören - vielleicht nach 25 Jahren - begeistert! Anders als in meiner Jugend, wo ich nicht so ganz Bass präzise klingende Regalboxen besaß, fällt mir heute auf, dass dies eine für die Zeit damals typische, sehr schlank aufgenommene DGG-Produktion (1976) ist. Aber Abbado gelingt hier wirklich ein Meisterstück.


    exakt diese CD aus der Serie "Resonance" habe ich auch, sie enthält übrigens auch eine schöne Zweite mit dem Londoner Philharmonia Orchestra. Die Chicago-Serie kenne ich nicht, aber natürlich steht die Mravinsky-Box bei mir, und zwar nicht nur die in Stereo von 1960, sondern auch die Vorgänger-Aufnahmen von 1956 in Mono (da dirigiert allerdings Kurt Sanderling die Vierte).


    Trotzdem möchte ich hier auf zwei leider fast ganz in Vergessenheit geratene Aufnahmen der Vierten aufmerksam machen, die sich mir eingeprägt haben:




    Mit der Aufnahme von 1960 habe ich Tschaikowskys Vierte erstmals kennengelernt. Sie wurde ca. 1966 in der Billig-Serie HELIODOR der DGG für 10 DM vermarktet, ich habe sie sehr oft gehört und bedauere, dass sie m.W. bisher nur in einer teuren Maazel-Box auf CD erschienen ist, statt auf einer Einzel-CD. Klanglich war sie (für damalige Verhältnissse) super.
    Dann gibt es von Karajan noch eine Aufnahme der Vierten, die aber total ins Hintertreffen geraten ist, wegen der diversen späteren Einspielungen des Maestro. Ich besitze sie nur auf LP, aber es gibt sie inzwischen auch in einer relativ teuren CD-Ausgabe als Japan-Import:



    Herbert von Karajan und die Berliner Philharmoniker (Aufnahme: EMI 29.2./1.3.1960, Berlin, STEREO).
    Es handelt sich um eine der ersten Nachkriegsaufnahmen Karajans mit den Berlinern, noch für EMI-Electrola. Sie klingt überraschend klar und rauscharm. Mir persönlich gefällt diese Version besser als alle seine späteren für DGG und EMI. Die Japan-Ausgabe ist allerdings ziemlich teuer, und außerdem gibt es nur eine Textbeilage mit japanischen Schriftzeichen.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • -

    Trotzdem möchte ich hier auf zwei leider fast ganz in Vergessenheit geratene Aufnahmen der Vierten aufmerksam machen, die sich mir eingeprägt haben:



    Mit der Aufnahme von 1960 habe ich Tschaikowskys Vierte erstmals kennengelernt. Sie wurde ca. 1966 in der Billig-Serie HELIODOR der DGG für 10 DM vermarktet, ich habe sie sehr oft gehört und bedauere, dass sie m.W. bisher nur in einer teuren Maazel-Box auf CD erschienen ist, statt auf einer Einzel-CD. Klanglich war sie (für damalige Verhältnissse) super.


    Lieber Nemorino,

    Es scheint weitere Parallelen zwischen uns zu geben. Auch diese Heliodor-LP war mein Tschaikowsky 4- Erstzugang. Die Heliodor-LP (habe ich noch) hat mich jahrelang höchst zufrieden begleitet, bis dann die CD ihren Einzug nahm ... und durch ander Aufnahmen (von Karajan über Solti bis Swetlanow) abgelöst wurde.


    Allerdings hatte ich damals (in der Verwandtschaft) auch Zugang zu den von Dir genannten EMI-Aufnahmen der Tschaikowsky Sinfonien Nr. 4 -6 mit Karajan (EMI, 60er) ... diese hatten mich aber im Vergleich zu anderen Aufnahmen deutlich weniger positiv angesprochen, was nicht nur klangtechnische Gründe hatte. Karajan wirkte bei den EMI´s auf mich zu weich und bringt kaum russischen Biss mit ... meine Meinung wird deutlicher, wenn ich erwähne, dass ich damals auch die Swetlanow-3LP-Box mit den Sinfonien Nr.4 - 6 hatte ( :thumbup: heute natürlich auf Melodiya-CD).


    Aber zurück zu Karajan:
    Seine späten DG-Aufnahmen mit den Berliner PH aus den 70ern (DG) finde ich bei weitem auch nicht ideal (aber soweit OK) - das gilt auch für die Sinfonien Nr.1 -3 :!: aber die früheren DG-Aufnahmen der Sinfonien Nr. 5 und 6 von 1964 (DG) hatten es mit von Anfang an angetan. :thumbsup: Was war das für ein mitreisseder Zugang mit Biss und russischem Flair !
    Ich hatte damals zuerst die Doppel-LP mit 5 und 6:

    DG-Doppel-LP, 1964


    Da ich heute ohnehin alle Swetlanow-Aufnahmen bevorzuge habe ich mir heuer nur noch die abgebildete CD-Ausgabe der Sinfonie Nr.6 aus der Zeit von 1964 geleistet.
    Wie Karajan hier die Post abgehen, mit dem richtigen Tempogefühl und ( Holger !) auch mit einer atemberaubenden Rhytmik lässt; mit Wahnsinns-Pauken (bes.im 3.Satz) ist der Hammer:
    - auf dieser tollen CD (hier nur als Hörkassette gefunden) -



    DG, 1964 (6.), 1967 (R+J), ADD



    Karajan´s ganz späte Aufnahmen mit den Wiener PH von den Tschaikowsky-Sinfonien Nr. 5 und 6 (4 habe ich nicht ausprobiert), befinden sich nicht mehr in meiner Sammlung ... das waren für mich Weichzeichner, die mich total nicht packen konnten.
    :huh: Was hatte Karajan noch um 1960 für tolle Aufnahmen mit den Wiener PH vorgelegt ... die ganz Späten aus den 80ern mit den Wienern haben fast alle die Patina einer Altersweisheit ... das gilt nicht nur für Tschaikowsky ... ich kann mir nicht helfen, aber das ist mein Empfinden.



    Die von Holger und Dir erwähnten Mrawinsky-Aufnahmen von DG-1960 waren ja ein Glücksfall, was die DG-Aufnahmetechnik angeht, da es bei Melodia-60 in Leningrad bei Mrawinsky zu Hause noch grausig klang. Aber warscheinlich war ich durch Maazel (4.) und Karajan (5.und 6.) (DG,64); sowie Swetlanow schon zu sehr vorgeprägt, aber mit diesen Int konnte ich mich (bis auf die Pathetique) nie so recht anfreuden.
    Mrawinsky´s Melodiya-Aufnahmen der Pathetique in den Brillant- und Erato-Mrawinsky-CD-Boxen finde ich ebenfalls sehr gut und ziehe sie auch der DG-Aufnahme von 1960 vor.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Trotzdem möchte ich hier auf zwei leider fast ganz in Vergessenheit geratene Aufnahmen der Vierten aufmerksam machen, die sich mir eingeprägt haben:

    Lieber Nemorino,


    ist die alte Maazel-Aufnahme nicht hier drin:



    Die Box habe ich in einer älteren Auflage. Da hört man den jugendlich-frischen und stürmischen Maael. Ich mag diese Aufnahmen sehr und werde mir die 4. Tschaikowsky auch nochmals anhören.


    Gould und Karajan mit dem 3. Beethoven-Konzert habe ich mir gerade (gebraucht) bestellt! :)


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Gould und Karajan mit dem 3. Beethoven-Konzert habe ich mir gerade (gebraucht) bestellt!


    Lieber Holger,


    da bin ich aber mal auf Dein Urteil gespannt! Die Kombination Gould-Karajan hat mich gereizt, mir die CD zu kaufen, und ich war nicht enttäuscht. Es ist eine eigenwillige, sehr spannende Version, wenn sie auch nicht meine alte Lieblingsaufnahme schlagen kann, das ist die Aufnahme Annie Fischer mit Fricsay und dem Bayerischen Staatsorchester von 1959 (DGG). Alte Liebe rostet bekanntlich nicht, es war meine erste Stereoplatte von Beethovens Nr. 3. Natürlich gibt es zahlreiche neuere Versionen, die ebenfalls Referenz-Status beanspruchen können, aber an dieser alten Aufnahme hängt mein Herz, seit ich sie zum ersten Mal gehört habe.


    Ja, in der von Dir gezeigten Kassette ist die Tschaikowsky 4 drin, aber das übrige daraus habe ich fast alles in Einzel-CDs. Auch in diesem Album ist die Sinfonie drin, doch da gilt für mich das gleiche, nur die Tschaikowsky 4 und die Brahms 3 (beide von 1960) wären interessant, alles andere ist bereits bei mir vorhanden, oder es interessiert mich nur wenig:



    Und ziemlich teuer sind beide Boxen auch noch! Deshalb lohnt sich die Anschaffung eigentlich nicht.


    Schönes Wochenende und LG,
    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Allerdings hatte ich damals (in der Verwandtschaft) auch Zugang zu den von Dir genannten EMI-Aufnahmen der Tschaikowsky Sinfonien Nr. 4 -6 mit Karajan (EMI, 60er)


    Lieber Wolfgang,


    ich vermute, dass Du die EMI-Aufnahmen von 1971/72 meinst, da hat Karajan nach seinem berühmt-berüchtigten "Bäumchen-wechsel-dich"-Spiel die Sinfonien 4, 5 & 6 für EMI eingespielt. Diese Stücke sind ja für alle Plattenfirmen eine sichere Bank, und Karajan verteilte seine Gunst (und seine Einnahmen) ja immer gerne auf mehrere Firmen. Du hast recht, die Aufnahmen sind längst nicht so gut wie die DGG-Versionen von Mitte der 60er Jahre, und die DGG-Aufnahmen mit den Berlinern aus den späten 70ern muss man auch nicht unbedingt haben. Noch weniger allerdings die späten Digital-Aufnahmen der Spätsinfonien von 1984/85 mit den Wiener Philharmonikern, da kommt nicht mehr viel rüber ….. außer einer gewissen Altersträgheit, um nicht zu sagen -müdigkeit.


    Doch nun zurück zu der von mir vorgestellten EMI-CD der Vierten: Das ist eine Einzelplatte von 1960, die später von EMI in diversen Billigserien vermarktet wurde. Das hat sie nicht verdient, denn künstlerisch ist sie allen späteren m.E. überlegen, und klanglich ist sie überraschend gut gelungen.


    Ansonsten ziehe ich von allen Karajan-Aufnahmen die frühen DGG-Produktionen von 1965/66 vor. Ich kenne aus dieser Reihe allerdings nur die von Dir bereits genannte Sechste, und dann die Fünfte, und die ist wirklich absolut der Hammer! Da geht vom ersten Takt an die Post ab. Immer, wenn ich die Fünfte mal mit richtig Power und Drive hören will, dann lege ich mir diese Version auf (sie kommt IMO sehr nahe an Karajans Berliner Beethoven-Fünfte von 1961 heran, die ebenfalls einen unwahrscheinlichen Drive hat). Es gibt sie sogar noch auf CD, man muss nur etwas suchen. Sie erschien Anfang der 90er Jahre in der Billig-Serie "Resonance" und sieht so aus:



    Bei Amazon gibt es sie (gebraucht) für sage und schreibe 65 Cent + Porto. Als schöne Zugabe ist noch das "Capriccio Italien" von 1966 drauf.
    Ich bin ehrlich, die Aufnahme schlägt für mich sogar die legendäre Mrawinsky-Version von 1960 aus dem Feld :untertauch: . Das soll aber keine künstlerische Bewertung sein, sondern lediglich meinen persönlichen Geschmack wiedergeben.

    aber die früheren DG-Aufnahmen der Sinfonien Nr. 5 und 6 von 1964 (DG) hatten es mit von Anfang an angetan. Was war das für ein mitreisseder Zugang mit Biss und russischem Flair !

    Damit, lieber Wolfgang, hast Du es genau auf den Punkt gebracht!


    LG :hello: Nemorino



    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).


  • Lieber Portator,


    vielen Dank für den Hinweis :)
    Weiter oben habe ich jedoch diese späte Wagner-Aufnahme als eine meiner Favoriten erwähnt....ich habe sie also und bin dementsprechend davon begeistert.
    Vielleicht habe ich mich da missverständlich ausgedrückt.
    Ich meinte nur, dass ich beides gerne höre: die Orchesterversion und die Gesangsfassung, wobei ich da Norman/Karajan und Meier/.... am liebsten höre.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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