Robert Schumann: Kreisleriana

  • Lieber Alfred,
    Du hast einen wichtigen Aspekt erwähnt : W i e interpretiere ich Johannes Brahms ? Hier : Die Symphonien .
    Wir alle erinnern uns an die - dies ist consensus omnium - legendären Interpretationne durch de Sabata .
    An Carlo Maria Giulinis Gesamtaufnahme in den 1960er jahren in London mit dem Philharmonia Orchestra (London ) .
    An Abbados "neuen" ( Norman Lebrecht ( 2005 ) Brahms im jahre 1990 . An Riccardo Mutis Brahms in Philadelphia ( dort seine wichtigsten Aufnahmen ) .
    Und dann haben wir - leider fast vergessen - Eugen Jochums Deutungen , die mich stark gesprägt haben. Nebenbei : Jochums Bruckner bleibt sicherlich mit auf dem Gipfel eines G. W a n d !
    Arturo Toscanini hat diese Symphonien zweimal aufgenommen . Die erste Aufnahme in New York ist toscanini-typisch . Aber welch herrliche
    Aufnahmen hat er in London nach dem Zweiten Weltkrieg aufgenommen ( Label : testament ) , so dass selbst die Orchestermitglieder unisono den gefürchteten Maestro geradezu lieben lernten !
    Liegt Brahms also italienischen Dirigenten besonders ( und besonders am Herzen ) ?
    Ausgerechnet der kühle Abbado hat mit seiner c-Moll-Symphonie 1990 ( DG ) ein neues Brahmsbild entworfen . Und auch Giulini hat mit seinem späten Winer Brahms eine überraschende Altersweisheit aus der Partitur gelesen .
    Wir dürfen nur nicht das Vorurteil beim Hören bedienen vom grimmigen
    Langbarträger Brahms aus dem nebligen Hamburg .
    Professor Th. Billroth , Wien , Chirurg von Weltrang , hat mit dem hochintellektuellen Brahms einen sehr lesenswerten Briefwechsel geführt .
    Meine Zusammenfassung :
    B r a h m s war das , was wir heute als Weltbürger bezeichnen würden .
    Beste Grüsse
    F r a n k

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    .


    Ich werde daher binnen einer Stunde einen neuen Thread eröffnen.


    Alfred


    es wäre hilfreich (für spätdazugekommene), wenn hier ein link zum neuen thread stünde...
    :beatnik:

  • hallo,


    für mich gab es bis dato drei aufnahmen der kreisleriana, mit denen ich glücklich war. das non plus ultra in sachen dynamik, ansschlagsdynamik und poesie war für mich die späte studio-aufnahme des v. horowitz bei der DG. als modernen gegenpol höre ich m. pollinis orchestrale und sehr straffe version. wilhelm kempff ist für mich der ruhigere interpret, der die zarten zwischentöne herausstellte, aber eben pianistisch anfällig, und außerdem klanglich nicht so berauschend (mono).


    aber vor einigen tagen hörte ich die aufnahme des valery afanassiev (denon) aus anfang der 90er jahre. ich muss sagen, ich bin vor erstaunen fast aus dem sitz gefallen ! ides aufnahme sprengt fast die grenzen des ausdrucks. die schnellen fantasien werden fiebrig und dennoch klar strukturiert dargeboten. die langsamen partien werden fast in der doppelten zeit der pianistenkollegen absolviert. einzige wirkliche einschränkung, afanassiev befolgt die tempo-anweisung in der letzten fantasie nicht, anstatt 'schnell und spielend' macht er 'langsam und spielend'. aber der musikalische effekt ist auch hier enorm.


    ich habe mir jetzt diese denon-cd bestellt.


    gruß, siamak

    Siamak

  • hallo,


    ich möchte hier eine weitere interpretation wärmstens empfehlen. volker banfield nahm diese cd 1998 auf. er spielt sie ähnlich wie afanassiev im 'wahn' und mit besessenheit in den zügigen fantasien. die langsamen episoden vermag er wunderbar zu singen, wobei er hier nicht 'überdehnt'. überhaupt schade, dass es von diesem vielkönner so wenig aufnahmen gibt.



    gruß, siamak

    Siamak

  • Wunderschön ist auch die Aufnahme von Claudio Arrau von 1972 (Philips).
    Andere mögen virtuoser sein, aber man höre nur das erste "lento assai" und träume und schwärme.....

    "Muss es sein? - Es muss sein!" Grave man non troppo tratto.

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  • Entgegen anders lautender Meinung in diesem Thread bin ich der Meinung, dass Yevgeni Kissin durchaus in der Lage ist, die Vertracktheiten von Schumanns Kreisleriana zu meistern. Das er Schumann spielen kann hat er schin nachgewiesen mit seiner Aufnahme des Carneval und der ersten Sonate. Kissin donnert die Kreisleriana nicht zu Tode, sondern entwickelt einen Sinn für die subtilen Zwischentöne:



    Im übrigen würde mich interessieren welche Aufnahmen der Kreisleriana ihr besonders schätzt- vielleicht sind ja welche darunter, die hier noch nicht genannt wurden?


    Einer meiner Favoriten ist die Mono-Aufnahme Wilhelm Kempffs aus den 50er Jahren- auch wenn Kempff- wie weiter oben zu lesen gelegentlich "pianistisch anfällig" ist.
    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Caesar!
    Ich habe die Kreisleriana von
    Horowitz
    Fellner
    Grimaud
    Brendel


    Alle gefallen mir, bis auf Horowitz, sehr gut. Von Horowitz kann ich mir fast nur mehr Skriabin oder Rachmaninoff anhoeren, der Rest ist so maniriert, da komm ich nicht mehr mit. Aber mittlerweile koennen andere auch schon so schnell spielen :D.


    Empfehlen wuerde ich von den oben genannten Fellner, auch weil auf der CD noch Reubkes Klaviersonate drauf ist - ein leider selten gehoertes Werk.
    LG
    Flotan

  • Liebe Klavierfreunde,


    eigentlich gehört die Frage in den Beratungsthread, aber hier passt sie ebenso gut:


    Kürzlich (im Januar) ist eine Neueinspielung der Kreisleriana von Jonathan Bliss erschienen:




    Übrigens finden sich auf der CD, die C-Dur-Fantasie und die Arabeske- ein reines Schumann-Programm also.


    Kennt jemand die CD?




    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Sagitt fragt:


    Ist im Forum schon jemand über Jörg Demus hergefallen, der den gesamten Schumann eingespielt hat ?
    Momentan von ca. 10 Euro bei amazon erwerbbar und dem ersten Höreindruck nach nicht auf einem historischen Flügel eingespielt ?
    Mich interessierten Meinungen von Kundigeren als ich es bin..

  • Der Demus-Schumann ist sehr zu empfehlen - habe ihn vor ein paar Wochen gekauft! Ich habe mich bisher allerdings vor allem in die weniger bekannten Stücke eingehört. Die Davidsbündlertänze sind für mich erste Wahl zusammen mit den Aufnahmen von Pollini und Anda - darüber rangiert bei mir nur noch die genialische Version von Walter Gieseking. Auch bei >Kreisleriana< sollte man sich Giesekings Aufnahme anhören - nicht alles gefällt mir, aber vieles ist einfach unerhört authentischer, kreislerianisch-verrückter Schumann. (Den Gieseking-Schumann gibt es auch preisgünstig, 2 CDs für 5 oder 8 Euro!) Ansonsten sind meine Favoriten bei der Kreisleriana Horowitz (beide Aufnahmen) und Claudio Arrau, auch A. Rubinstein wegen seines Sinnes für polyphone Strukturen.


    Gruß Holger

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  • Spiel - Satz - muSieg


    Die Kreisleriana ist ein Anknüpfungspunkt für das Gedenken an einen wunderbaren Pianisten und vielleicht noch größeren Lehrer. Ich weiss nicht, ob ich hier nicht zu stark vom Thread abweiche, aber ich traue mich noch nicht, selbst ein neues Thema zu eröffnen.



    -- Zitat aus einem Blogeintrag von mir
    Heute (das war am 20. Jänner 2008) kam mir zu Bewusstsein, dass ich einen Künstler schon lange nicht mehr in Wien gesehen hatte, wo er in der Regel zuletzt Benefizkonzerte veranstaltet hatte.
    Es stellte sich heraus, dass er vor genau einem Jahr verstorben ist. Der schönste Nachruf findet sich bei der Royal Academy of Music.
    Alexander Satz begegnete ich anläßlich eines Meisterkurses in Laxenburg. Bei seinem Abschlusskonzert spielte er die Kreisleriana auf eine derartige Weise, dass mir Schumann auf eine völlig neu eröffnet wurde.
    Satz pflegte beim Hinsetzen eine Geste mit seinen Armen zu machen, als wollte er das Instrument umarmen. Während des Spiels fixierten seine Augen einen fiktiven Punkt neben der linken oberen Kante des Notenpults. Seine Lieblingskomponisten waren Nicolai Medtner und Skrjabin.
    Kurz bevor er nach Österreich emigrierte, besuchte ich ihn einmal in seiner Wohnung in Moskau. Wir verbrachten eine ganze Nacht in seiner Altbauwohnung. Ich hatte die Getränke mitgebracht, wir tranken jede Menge Kaffee und Wodka und unterhielten uns über die Welt und Musik. Er zeigte mir Noten von Medtner und freute sich darüber, dass ich vieles leidlich vom Blatt spielen konnte. Ich freute mich, weil mir die Musik gefiel. Wenn wir nicht über Musik redeten, spielten wir Schach oder sprachen über gemeinsame Bekannte. Erst morgens um acht verließ ich die Wohnung, um vom Hotel meine Sachen zu holen und zum Flugplatz zu fahren.
    Satz, der wie die meisten Russen über eine fantastische Technik verfügte, konnte als Lehrer begeistern. Als Pianist vermittelte er mir persönlich ein Gefühl höchster Intensität. Bei einem der letzten Konzerte, die ich von ihm hörte, war er mit sich selbst unzufrieden. "Da habe ich den Schubert doch unterschätzt." meinte er, als er mich umarmte. Wir hatten uns damals schon drei Jahre nicht gesehen.
    Um es klar zu stellen, Satz war nicht ein Klavierlehrer von mir. Was er mich aber lehrte, war ein vertiefendes Zuhören. Er gab Musik.

    Eine Signatur, die ich 1990 verwendet habe:
    "Better to create than to consume"

  • Zitat

    Original von sagitt
    Sagitt fragt:


    Ist im Forum schon jemand über Jörg Demus hergefallen, der den gesamten Schumann eingespielt hat ?
    Momentan von ca. 10 Euro bei amazon erwerbbar und dem ersten Höreindruck nach nicht auf einem historischen Flügel eingespielt ?
    Mich interessierten Meinungen von Kundigeren als ich es bin..


    Ich habe gerade im Thread über Jörg Demus im Klavierforum etwas dazu geschrieben - mit Demus liegt man bei Schumann sehr gut! Es ist in der Tat ein modernes Klavier. Die Aufnahmen entstanden Ende der 1980er Jahre für Nuova Era in Italien.



    Bei den Kreisleriana sollte ein Pianist schon mal E.T.A. Hoffmann gelesen haben, möglichst im Original - das wäre einen eigenen Thread wert, der Einfluß dieses Kapellmeisters Johannes Kreisler auf die Komponisten nach Erscheinen der "Fantasiestücke in Callots Manier" 1814 - das zieht sich mindestens bis Brahms. Diese Art von Humor, gerade auch auf der sprachlichen Ebene, die Schumann ja teilte, bei seiner literarischen Begabung und Erziehung, die ihn diesen Titel "Kreisleriana" erfinden liess ...


    Damit will ich nicht sagen, dass ein Pianist aus einem anderen Kulturkreis nicht Schumann spielen sollte - aber diese Dimension wird zwangsläufig fehlen. Das hat nichts mit Nationalismus zu tun, sondern mit Bewußtsein für die eigene Kultur oder die, aus der eine Musik kommt - Schumann hatte das sehr wohl.


    Charles Rosen ist ein gutes Beispiel für einen Pianisten mit einer angemessenen Haltung, mit seinen erstklassigen Kenntnissen der europäischen Romantik - seine Aufnahme von 1983 auf Globe gefällt mir am besten (vor allem auch, weil er die erste Druckausgabe benutzt, die einen Tick revolutionärer ist als die spätere, etwas geglättete); Demus ist auch nicht schlecht, aber ich weiß nicht, welche Ausgabe er benutzt.
    Bei Schumanns Frühwerken, die fast alle in zwei Ausgaben vorliegen, sollte es Pflicht sein, die benutzte Notenausgabe zu vermerken - hier ist die Ausgabe letzter Hand nicht unbedingt die bessere Wahl, vor allem nicht, wenn man Schumanns radikale Neuerungen in der Klaviermusik seiner Zeit zu Gehör bringen will.

  • Hallo,


    ich besitze die von Caesar73 erwähnte Aufnahme von Jonathan Bliss, den ich auch schon live gehört habe. Live wie auch auf dieser CD wird deutlich, dass dieser hoch talentierte junge Mann einen betont unterkühlt-intellektuellen, analytischen Ansatz pflegt, indessen ohne temperamentlos oder blutleer zu wirken. Die Ergebnisse überzeugen oft, aber nicht immer. Zahlreichen Kreisleriana-Episoden vermag er neue Facetten abzugewinnen, aber manches klingt mir dann doch zu nüchtern. Ich finde die Schumann-CD auch wegen der übrigen Stücke gleichwohl sehr hörenswert, insbesondere als Gegenpol und interessante Alternative zu den sonst vielfach üblichen schwelgerisch-feuerköpfigen Interpretationen. Jedermanns Sache wird sie aber nicht sein - eher eine sinnvolle Ergänzung und Abrundung der Schumann-Sammlung.


    UND


    am heutigen 19. Todestag Horowitzens kann ich nicht anders als kund zu tun, dass seine 1969er Aufnahme auch für mich das Maß aller Dinge darstellt - eine meiner liebsten Piano-Aufnahmen überhaupt! :jubel:


  • Ich habe anlässlich dieses Threads nochmal einige der Klavierwerke gehört, und das meiste gefällt mir plötzlich ausgezeichnet, insbesondere die Davidsbündlertänze und die Humoreske (die Fantasie mochte ich ja sowieso schon). Aber die Kreisleriana kommt mir nach wie vor "fad" vor, ich verstehe nicht, worauf diese Musik hinaus will. Sanglich, wie Du das Schumanns Musik zuschreibst und ich das für die anderen Klavierzyklen auch nachvollziehen kann, kommen mir die meisten Stücke jedenfalls nicht vor; ich meine auch, dass mich die Musik nicht abhängt, sondern dass ich alle wesentlichen Geschehnisse verfolgen kann; aber anscheinend verpasse ich trotzdem noch die Essenz dieser Musik. Was würdest Du als den Reiz dieses Werks betrachten? Worauf achtest Du als Hörer? (Diese Fragen gehen natürlich auch an alle anderen Mitdiskutanten!)

    Hallo Frank,


    ausgerechnet die Kreisleriana "fad"? Dann ist daran nicht Schumann schuld, sondern der Interpret. Der Kapellmeister Kreisler aus E.T.A. Hoffmanns "Lebensansichten des Kater Murr" wird ja als das totale Gegenteil des Faden und Gewöhnlichen charakterisiert, nämlich als eine höchst bizarre und fantastische Gestalt - und seine Musik klingt genau so: Akkorde schlägt er "stark und wild" an, es finden sich bei ihm "die seltsamsten Übergänge durch die fremdartigste Akkordenfolge" - überhaupt der abrupte Wechsel von extremen Gegensätzen, der "Todessprung von einem Extrem zum anderen" dominiert. Was ihn auszeichnet ist "phantastische Überspanntheit" und "völlige Dissonanz aller konventionellen Verhältnisse", Ironie, die "Unruhe" und "Verwirrung" stiftet. Interpreten, die meinen, ausgerechnet die Kreisleriana "gediegen" spielen zu müssen, gehen also am Geist von Schumanns Kreisleriana völlig vorbei. Da ist ein Vladimir Horowitz mit seiner Exzentrik einfach ein kongenialer Interpret. Ich würde Dir da die Konzertaufnahme aus Berlin 1986 empfehlen. Welcher Interpret diese kreislerianische Verrücktheit auch trifft, ist Walter Gieseking. (Seine "Davidsbündlertänze" - ich liebe dieses Stück besonders - sind wahrlich genialisch intepretiert.).


    Hinzu kommt bei der "Kreisleriana" die Polyphonie. In dieser Hinsicht lohnt es sich, die Gesamteinspielung des Klavierwerks von Jörg Demus anzuschaffen. (Wirklich sehr lohnend!) Da entdeckt man die enge Beziehung von Schumann zu J. S. Bach - Schumann hat nämlich etliche Fugen komponiert, die nur kaum jemand spielt. Artur Rubinstein ist sicherlich ein Antipode zu Horowitz. Seine "Kreisleriana" hat zwar nicht diese Verrücktheit von Horowitz, aber beeindruckt dafür durch ihren subtilen Sinn für die polyphonen Satzstrukturen. Den Schluß der "Kreisleriana" finde ich ja immer wieder aufregend - dieser linkisch-asymmetrische Baß - einfach göttlich!


    Beste Grüße
    Holger

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  • Die alte CBS-Aufnahme. Auch die Clara-Wieck-Variationen (identisch mit Satz Nr. 2 der 3. Klaviersonate) und die Kinderszenen sind exemplarisch.



    Gibt es derzeit zum Spottpreis für 25 Euro. Darin die Studioaufnahme bei der DGG.



    Die Spontaneität des Konzertereignisses - unnachahmlich!


    Beste Grüße
    Holger


  • Zwar oft diskussionswürdig, aber kongenial, Giesekings Schumann. Ungemein facettenreich und geradezu verschwenderisch fantasievoll.


    Beste Grüße
    Holger


  • Schumann unexzentrisch und "mittig", aber sehr liebevoll und empfindsam in der Gestaltung der Details, mit viel Sinn für die polyphonen Strukturen.


    Beste Grüße
    Holger

  • Zitiert von hier:

    ausgerechnet die Kreisleriana "fad"? Dann ist daran nicht Schumann schuld, sondern der Interpret. Der Kapellmeister Kreisler aus E.T.A. Hoffmanns "Lebensansichten des Kater Murr" wird ja als das totale Gegenteil des Faden und Gewöhnlichen charakterisiert, nämlich als eine höchst bizarre und fantastische Gestalt - und seine Musik klingt genau so: Akkorde schlägt er "stark und wild" an, es finden sich bei ihm "die seltsamsten Übergänge durch die fremdartigste Akkordenfolge" - überhaupt der abrupte Wechsel von extremen Gegensätzen, der "Todessprung von einem Extrem zum anderen" dominiert. Was ihn auszeichnet ist "phantastische Überspanntheit" und "völlige Dissonanz aller konventionellen Verhältnisse", Ironie, die "Unruhe" und "Verwirrung" stiftet. Interpreten, die meinen, ausgerechnet die Kreisleriana "gediegen" spielen zu müssen, gehen also am Geist von Schumanns Kreisleriana völlig vorbei. Da ist ein Vladimir Horowitz mit seiner Exzentrik einfach ein kongenialer Interpret. Ich würde Dir da die Konzertaufnahme aus Berlin 1986 empfehlen. Welcher Interpret diese kreislerianische Verrücktheit auch trifft, ist Walter Gieseking. (Seine "Davidsbündlertänze" - ich liebe dieses Stück besonders - sind wahrlich genialisch intepretiert.).


    Hinzu kommt bei der "Kreisleriana" die Polyphonie. In dieser Hinsicht lohnt es sich, die Gesamteinspielung des Klavierwerks von Jörg Demus anzuschaffen. (Wirklich sehr lohnend!) Da entdeckt man die enge Beziehung von Schumann zu J. S. Bach - Schumann hat nämlich etliche Fugen komponiert, die nur kaum jemand spielt. Artur Rubinstein ist sicherlich ein Antipode zu Horowitz. Seine "Kreisleriana" hat zwar nicht diese Verrücktheit von Horowitz, aber beeindruckt dafür durch ihren subtilen Sinn für die polyphonen Satzstrukturen. Den Schluß der "Kreisleriana" finde ich ja immer wieder aufregend - dieser linkisch-asymmetrische Baß - einfach göttlich!

    Hallo Holger,


    Vielen Dank für Deine Ausführungen und Einspielungsempfehlungen! Ja, die großen Gegensätze höre ich in der Kreisleriana kaum, und ich bezweifle, dass das nur am Interpreten liegen kann (sondern auch an mir). Ich vermute aber, dass ich trotzdem noch eine weitere Aufnahme brauche, eine klare, transparente, die die rhythmischen Details schön herausspielt; ich habe mir zwar erst vor kurzem die Pollini-Box angeschafft, unter anderem in der Hoffnung, dass die Aufnahmen genauso klar und durchhörbar sind wie z.B. sein später Beethoven oder sein Chopin, aber zumindest für die Kreisleriana gilt das leider nicht. Horowitz könnte tatsächlich ein guter Tipp für mich sein, den Hörschnipseln bei Amazon nach zu urteilen!


    Viele Grüße
    Frank

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  • Hallo Frank,


    die Pollini-Aufnahmen habe ich natürlich auch alle. Pollini habe ich sogar Mitte-Ende der 70iger Jahre mit der "Kreisleriana" im Konzert erlebt - im inzwischen längst abgerissenen Düsseldorfer Schumann-Saal. Pollinis Aufnahme der 1. Schumann-Sonate ist für mich das Maß aller Dinge, auch seine Aufnahme der 3. Sonate bei mir die Nr. 1 und die Davidsbündler Tänze exemplarisch. Speziell die Kreisleriana ist mir bei Pollini aber etwas zu großflächlich verwaschen. Da arbeitet Rubinstein z.B. viel präziser die Details heraus. Die Kontraste erkennt man natürlich, wenn man in den Notentext schaut. Im Berliner Konzert gestaltet sie Horowitz sehr drastisch. Ich befürchte, daß man Arraus Aufnahme, der natürlich sehr viel Sinn für Schumanns Widerhaken hat, gar nicht mehr bekommt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Eine Interptetin wurde bisher nicht erwähnt: Mitsuko Uchida hat die Kreisleriana op. 16 1994 eingespielt. Eine Aufnahme, die mir sehr gefällt. Schumann und die versponnene Welt des Kapellmeisters liegen ihr. E. T. A. Hoffmann hatte ich im Gymnasium gelesen. Zeit wieder sich in die Texte ohne Prüfungsstress einzulesen. Horowitz, Argerich, Le Sage, Rubinstein, Kempf und Perahia sind in meiner Sammlung. Die Aufnahmen von Demus und Pollini habe ich mir angeschafft, aber noch nicht gehört. Da sie in Boxen enthalten sind, deren Inhalt ich noch nicht vollständig begutachtet habe, lege ich die Scheiben zum Hören neben meinen Player.

    Es seien hier noch die acht Einzelsätze und ihre Tonarten erwähnt.


    1. Äußerst bewegt, d-moll
    2. Sehr innig und nicht zu rasch, B-dur
    3. Sehr aufgeregt, g-moll
    4. Sehr langsam, B-dur - d-moll
    5. Sehr lebhaft, g-moll
    6. Sehr langsam, (Durchaus leise zu halten) B-dur
    7. Sehr rasch, noch rascher c-moll - Es-dur
    8. Schnell und spielend, (Die Bässe durchaus leicht und frei) g-moll


    Sechs Sätze sind in B-Dur bzw. g-moll, die anderen beiden stehen in Quintverwandten Tonarten.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




    5 Mal editiert, zuletzt von moderato ()

  • In Beitrag 45 hat Dr. Holger Kaletha auf die Polyphonie hingewiesen, die in Schumanns Werken zu finden ist. In diesem Zusammen möchte ich auf eine Einspielung Andreas Staiers hinweisen. Er hat auf einem Erard Flügel aus dem Jahr 1837 ein klug zusammengestelltes Programm eingespielt, in dem die Bezüge zu Johann Sebastian Bach besonders deutlich werden.


    Es ist meines Wissens die einzige Aufnahme schumannscher Klavierwerke mit einem Instrument aus der Zeit. Sollte es noch andere HIP-Einsspielungen geben, wäre hier der Raum für entsprechende Hinweise.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • In Beitrag 45 hat Dr. Holger Kaletha auf die Polyphonie hingewiesen, die in Schumanns Werken zu finden ist. In diesem Zusammen möchte ich auf eine Einspielung Andreas Staiers hinweisen. Er hat auf einem Erard Flügel aus dem Jahr 1837 ein klug zusammengestelltes Programm eingespielt, in dem die Bezüge zu Johann Sebastian Bach besonders deutlich werden.


    Es ist meines Wissens die einzige Aufnahme schumannscher Klavierwerke mit einem Instrument aus der Zeit. Sollte es noch andere HIP-Einsspielungen geben, wäre hier der Raum für entsprechende Hinweise.
    .


    Besten Dank für den Hinweis, Moderato! Das ist sehr spannend - und Andreas Staier ein hochkompetenter Interpret. Die CD werde ich mir vormerken! Ich habe auch Chopin auf einem historischen Erard-Flügel gespielt, das gibt ganz neue Einblicke. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


  • Es ist meines Wissens die einzige Aufnahme schumannscher Klavierwerke mit einem Instrument aus der Zeit. Sollte es noch andere HIP-Einsspielungen geben, wäre hier der Raum für entsprechende Hinweise.
    .

    Ich kenne noch diese hörenswerte Einspielung von Jan Vermeulen mit den Kinderszenen, Waldszenen, Symphonischen Etüden, Papillons und dem Album für die Jugend :


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  • Gegenwärtig läuft bei mir Robert Schumanns Kreisleriana op. 16 im Player in verschiedenen Interpretationen, sei es als Dauerbeschallung in meinen Räumen oder bei der Autofahrt zur Arbeitsstelle. Radu Lupu ist an der Reihe und greift für mich in die Tasten.



    Den Suchtfaktor veranschlage ich als hoch. 8-)


    Die literarischen Wurzeln der Kreisleriana op. 16 wurden eingangs im ersten Beitrag erwähnt. Robert Schumann (1810-1856) war als Sohn eines Buchhändlers literarisch hoch gebildet auf der Höhe der damals aktuellen Literatur. 1838, etwa 25 Jahre nachdem die von E.T.A.Hoffmann (1776-1822) erdachte literarische Gestalt des Kapellmeisters in verschiedenen seiner Texte auftrat, komponierte der Zwickauer Schumann seine achtsätzige Komposition "Kreisleriana".


    Die Gestalt, auf den sich der Titel des schumannschen Werkes bezieht, der Kapellmeister Johannes Kreisler, findet sich in Ernst Theodor Amadeus Hoffmanns literarischem Werk an verschiedenen Stellen. In den Erzählungen Kreisleriana (enthalten in der Sammlung Fantasiestücke in Callot’s Manier), der Novelle "Der goldne Topf" und dem unvollendeten Roman "Lebens-Ansichten des Katers Murr nebst fragmentarischer Biographie des Kapellmeisters Johannes Kreisler in zufälligen Makulaturblättern" (1819/1821). Eine der ausgewählten Lektüretitel meiner gymnasialen Reifeprüfung. Lang ist's her. Das Reclam Buch mit meinen Anmerkungen ist immer noch in meiner Bibliothek.


    "Die Kreisleriana sind zwölf scheinbar nicht zusammenhängende, tragisch angelegte Einzeltexte E. T. A. Hoffmanns, die erstmals zwischen 1810 und 1814 in der Allgemeinen musikalischen Zeitung abgedruckt wurden und 1814 und 1815 im zweiten und vierten Band der Fantasiestücke in Callot's Manier erschienen." Zitat Wikipedia


    1822 hatte der Autor eine Bleistiftzeichnung zu Papier gebracht, die den Kapellmeister zeigt.



    Der Wikipediaeintrag zur literarischen Kreisleriana würdigt dieses Werk. "https://de.wikipedia.org/wiki/Kreisleriana_(E._T._A._Hoffmann)"


    Ein anderer Eintrag im gleichen Portal gibt einen guten Überblick zu Kater Murr und den Bezügen zur Gestalt Kreislers. "https://de.wikipedia.org/wiki/Lebens-Ansichten_des_Katers_Murr"


    Unter diesem Link erfährt man mehr über die musikalisch-literarischen Bezüge des Kapellmeisters Johannes Kreisler. Verfasser Karl Böhmer "https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/3635"
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Meine bevorzugte Kreisleriana ist immer noch diese:


    71XSVf69SGL._SL300_.jpg


    Claudio Arrau (Aufnahme: 3/1972).


    Es gab auf CD eine Aufnahme mit Wilhelm Kempff aus dem Jahr 1956, leider nur mono, aber die ist z.Zt. wohl nicht erhältlich. Auf LP (Heliodor-Label) gab es sie u.a. so:

    81hz-LKy71L._AC_SL300_.jpg


    Die CD-Fassung wurde einige Jahre exklusiv von Zweitausendeins vertrieben.


    Es gibt eine spätere Einspielung Kempffs, in Stereo, die mir aber nicht ganz den Standard seiner älteren Version zu halten scheint:



    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).


  • Wie nicht anders zu erwarten wird Alicia de Larrocha ihrem Ruf als große Schumann-Interpretin hier gerecht! Die Figuren und Rhythmen werden scharf umrissen und klar gezeichnet mit einer rhythmischen Prägnanz, wie ich so eigentlich noch nicht gehört habe. Schumanns Nähe zu Bach wird damit deutlich. Auch die kreislerianische Verrücktheit ist spürbar. Dabei verzichtet Alicia de Larrocha auf jede Art von sentimentalisierender Weichzeichnung, was nicht heißt, dass sie nicht berührend schön und subtil den Flügel abtönen könnte. Ihr sehr irdischer Zugriff erinnert an Manuel de Falla, an die mediterrane Trockenheit und Härte, die Nietzsche an Bizet bewunderte. Ein sehr "moderner", wenn man so will spanisch inspirierter Schumann ohne jede Art von romantischer Verklärung.


    Die Aufnahmetechnik ist typisch DECCA von 1971 mit diesem etwas dicken "Dampf"-Bass :D , der auf dem Quod-Elektrostaten abgemischt wurde, vom Klangbild her ist das der Ashkenazy-Liszt-Platte aus derselben Zeit sehr ähnlich!


    Wirklich sehr, sehr hörenswert! :) :) :)


    Da ihre spätere Aufnahme des "Carnaval" noch zu mir unterwegs ist, habe ich die ältere auf dieser Doppel-CD noch nicht gehört.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Freunde,
    ich habe andernorts schon mal erwähnt, dass ich mit der Kreisleriana bisher nicht recht warm geworden bin, diese deshalb viele Jahre nicht gehört habe. Seit ca. 30 Jahren besitze ich die CBS- Horowitz- Aufnahme als LP, seit Monaten die CD von DGG. I.R. von Neuanschaffungen der letzten zwei Jahre sind nun weitere Kr.- Versionen dazugekommen, sozusagen als B- Seiten, um mal den LP- Jargon zu bemühen.


    Derzeit bin ich ja noch etwas mit dem Carnaval beschäftigt, danach dann das eine oder andere zur Kreisleriana, falls ich in deren Klangwelt hineinkomme. Dass der Thread neu belebt worden ist, motiviert natürlich....
    MlG
    D. :)

  • Es gab auf CD eine Aufnahme mit Wilhelm Kempff aus dem Jahr 1956, leider nur mono, aber die ist z.Zt. wohl nicht erhältlich. Auf LP (Heliodor-Label) gab es sie u.a. so:
    41Mdl6nqsQL._AC_US218_.jpg


    In dieser Box ist Kempffs berühmte frühe Kreislerina-Aufnahme zu finden:



    51daylDgk1L.jpg

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