Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
Daniel Barenboim, Klavier
Instrument: Steinway D
AD: 12/1992, Wien, Musikverein, live
Spielzeiten: 14:06-9:49-4:03-7:48 --- 35:46 min.;
Daniel Barenboim gehört zwar im Kopfsatz zu den Schnelleren, trotzdem hat man aber keinen Moment den Eindruck, dass das zu schnell sei. Sein Spiel klingt sehr entspannt und rund, aber trotzdem transparent mit einer doch in etwa pp-Grundlautstärke.
Auch er schließt die Variierung des Themas (Takt 20 bis 35), wo es sozusagen über dem gleichbleibenden Grundpuls um die "innere Beschleunigung" geht, mit einer kraftvollen Steigerung ab, zeichnet aber in der Wiederholung des Themas ab Takt 36 die dynamischen Bewegungen nicht so exakt nach wie Badura-Skoda, sondern er spielt die dynamischen Akzente ab Takt 40 bis 44 auf der höheren Dynamikstufe durch und geht dann erst im decrescendo in Takt 45 etwas zurück.
Das geschieht im zweiten Thema ab Takt 49 auch noch ein um's andere >mal, dass er zwar das Crescendo ausgeprägt spielt, aber nicht das Decrescendo.
Erst im dritten Thema, dass ab Takt 79 mit Auftakt von den auf- und abstrebenden Staccato-Achteltriolen geprägt ist, ist er da aufmerksamer und spielt die folgenden dynamischen Akzente, wie es gehört.
Auch in der Schlussgruppe spielt er dynamisch ohne Fehl und Tadel.
Leider wiederholt er in dieser Aufnahme die Exposition nicht, spielt aber einen wunderbaren Übergangstakt 117b hin zur Durchführung.
Am Beginn der Durchführung nach dem Akzent in Takt 124b schludert er noch einmal und geht in Takt 125bff, wie ich finde, nicht ausreichend zurück. Im staccatoförmigen Abschnitt, den wir schon aus dem dritten Thema der Exposition kennen, schaut er dann wieder genauer hin.
Im nächsten Abschnitt, ab Takt 150, der von den Staccato-Achteln und Nonlegato-Achteln im Bass geprägt ist, erreicht er dann auch in seiner dynamischen Sorgfalt das hohe Niveau, dass wir eigentlich von ihm kennen . Die große Steigerung mit der sich verdichtenden musikalischen Struktur und den zunehmenden Dissonanzen im Diskant spielt er grandios und läuft in einem veritablen Fortissimo in Takt 171/172 aus.
Die durchaus nicht positive Stimmung in den klopfenden Achtelakkorden mit den leichten dynamischen Bewegungen und den wieder auftretenden Basstrillern behält er bei und steigert das Ganze noch durch ein sich über mehrere Takte hinziehendes kaum merkbares Accelerando und spielt dann auch den Übergang zur Reprise temporal und rhythmisch mit den entsprechenden dynamischen Bewegungen partiturgerecht.
Zu Beginn der Reprise kann ich aber nicht ein so klares Zurückgehen in das Piano pianissimo in Takt 223 mit Auftakt erkennen wie zuletzt bei Paul Badura-Skoda. Damit hat dieser Takt bei Daniel Barenboim nicht den Charakter einer Schlüsselstelle.
Das zweite Thema (ab Takt 234) spielt er dann aber wieder sehr schlüssig und schließt wiederum mit einer sehr überzeugenden und kraftvollen Steigerung ab.
Leider zeichnet er dann aber an den gleichen stellen wie in der Exposition, hier in den beiden Akzenten in Takt 259 bis 262 die Absenkung nach der Steigerung nicht ausreichen nach.
Erst nach der nächsten kurzen ff-Steigerung ist er ab dem cis-moll nach dem Doppelstrich in Takt 267 im dritten Thema dynamisch wieder in der Spur. Dieses spielt er dann auch wieder grandios bis hin zur Schlussgruppe, wunderbar in diesem Abschnitt seine hingetupften kontrastierenden Achtelakkorde im Bass unter den Achteltriolen im Diskant. In der Schlussgruppe selbst hätte ich mir auf den Akzenten ein ausgeprägteres Abschwellen der Dynamik gewünscht.
Die wundersame Kurzcoda spielt er dann wieder grandios.
Ein Satz mit viel Licht, aber leider auch mit etwas (dynamischem) Schatten!
Im Andante ist Daniel Barenboim deutlich langsamer als Paul Badura-Skoda. Aber hier ist der Ausdruck ja auf einem ganz anderen, ungleich höheren Niveau als in dem dynamisch nicht immer überzeugenden Kopfsatz. ist der Ausdruck am Beginn ungeheuer traurig, so scheint in den vier kurzen Takten 14 bis 17 mit der Dur-Auflösung die Sonne aufzugehen, bevor wieder alles in Trauer versinkt. Hier entwickelt er in seiner exzellenten Dynamikbehandlung eine Spannung, dass ich senkrecht auf dem Stuhl sitze. Hier entfaltet er allerhöchste Pianokunst.
Auch im überirdischen Seitenthema ist Barenboim langsamer als Badura-Skoda und entfaltet, ausgehend von einer niedrigen Grundlautstärker, nicht so viel dynamischen Kontrast wie sein Kollege, was in diesem Falle m. E. die musikalische Tiefe dieses Themas noch erhöht.
Auch in der Themenwiederholung mit dem Wechsel in die hohe Oktave spielt er das mit sehr viel Ausdruck und beinahe schmerzender Schönheit, ebenso im nächsten Abschnitt, wo das Thema wieder in den Bass wandert. All das spielt er mit höchster dynamsicher Präzision. Es ist mir ein völliges rätsel, wieso er diese Sorgfalt in der Behandlung der Dynamik nicht im Kopfsatz durchgängig an den Tag gelegt hat. Auch den letzten Abschnitt des Seitenthemas spielt er auf diesem extrem hohen Niveau.
Das zurückgekehrte Thema nach dem Generalpausentakt spielt er wieder in tieftrauriger Stimmung, die noch zunimmt durch die etwas (gegenüber Badura-Skoda) zäher tropfenden Staccato-Sechzehntel in der Begleitung. Wunderbar auch wieder die kurze Aufhellung, hier ab Takt 103 und am Schluss die beinahe schon jenseitige Coda.
Ein überragend gespielter Satz!
Das Scherzo klingt eindeutig diesseitiger und ist vor allem ein temporaler und rhythmischer Kontrast. hier ist er etwas schneller als Badura-Skoda. Das klingt fast so, als ginge hier ein wenig er Virtuose mit ihm durch. Dynamisch ist auch in diesem Satz nichts einzuwenden.
Das Trio ist auch bei ihm ein Ruhepunkt mit eigenartiger Rhythmik, geprägt durch die Forzandopiani und durch einige eingefügte maßvolle Rubati.
Hier schließt er das Scherzo da capo ed infine la Coda an.
Im Finale ist Barenboim schneller als Badura-Skoda. Auch hier ist m. E. die Behandlung der dynamischen bewegungen partiturgerecht. Auch die häufigen und kurzen Rhythmuswechsel gefallen mir gut.
Im Seitensatz spinnt Barenboim ein zartes musikalisches Gebilde und wie ich finde, durchaus rasch im Tempo und durchaus passend. Nach zwei vergleichsweise kurzen Generalpausentakten geht es im ersten Durchführungsabschnitt auch in Barenboims Lesart hochdynamisch weiter, bevor er nach einem schönen Decrescendo die zweite Hälfte dieses ersten Durchführungsabschnittes in ätherisch zarten kurzen Bögen, kontrastiert von federleichten Achteltriolen im Bass sanft dahinfließen lässt.
Der dann folgende nächste Themenauftritt, nur kurz von reprisenförmigem Charakter, dann auch durchführungsartige Züge annehmend, zieht zeitweilig hochdynamisch und wild dahin, auch im Rhythmus durch verschiedene Achteltriolenformen immer wieder variiert, bis er in wiederholten Sechzehnteltonleitern (ab Takt 292) langsam zur Ruhe kommt. Barenboim spielt das hier kongenial und leitet zum dritten Themenauftritt (ab Takt 312).
Dieser könnte schon eher als Reprise bezeichnet werden und fährt wieder in ruhigerem dynamischen Fahrwasser dahin, sehr rasch ins Nebenthema übergehend, das Barenboim abermals wunderschön fließen lässt und es in den nächsten Durchführungsabschnitt übergehen lässt.
Noch einmal schlagen die dynamischen Wellen hoch, dann glätten sie sich wieder. Es sei noch einmal gesagt, dass Barenboim auch in diesem Satz penibel auf die Dynamik achtet und in diesem doch raschen Tempo einen agilen, aber auch unaufhaltsam drängenden Satz zustande bringt, in dem es unterschwellig brodelt.
Erst beim letzten, kurzen Themenauftritt (ab Takt 491 mit Auftakt) endet dieser Drang, und das Geschehen beruhigt sich erneut, um dann, welche Überraschung, einer von Barenboim kongenial gespielten rauschenden Kurzcoda Platz zu machen.
Schade, dass im Kopfsatz diese dynamischen Irritationen auftraten, sonst wäre das eine ganz große Interpretation gewesen, aber der Kopfsatz ist ja auch von entscheidender Größe, selbst, wenn man die Exposition nicht wiederholt.
Liebe Grüße
Willi