Ian Bostridge

  • Das ist ein Strassenbahnbetriebshof der örtlichen Verkehrsgesellschaft direkt hinter den Gleisen des Hauptbahnhofs gelegen.


    Na, da haben wir doch unser Regietheater ...


    Der große Erneuerer und Altmeister des Liedgesangs, Dietrich Fischer-Dieskau, machte einmal seinem Ärger Luft und hat die Auswüchse der Eventkultur im Konzert- und Opernbetrieb attackiert. »Seltsame Späße« seien das, Schuberts »Winterreise« etwa im Boxring aufzuführen oder zu Gustav Mahlers Musik tanzen zu lassen.


    Dietrich Fischer-Dieskau? Kennt den noch jemand hier?

  • Ich empfehle wie unser neues Mitglied Fiesco Ian Bostridges Buch "Schuberts Winterreise, Lieder von Liebe und Schmerz" zu lesen. Ich habe mir bislang unbekannte Seiten dieses Gipfelwerkes der Liedkunst erfahren.


    Beeindruckt hat mich, wie in Bostridges Text immer wieder die Haltung des Sängers als Vortragender erscheint, welche Erfahrungen er im Rezital gemacht hat und welche Herausforderungen er gemeistert hat.


    Ian Bostridge ist ein Sänger von herausragendem Niveau. Seine Interpretationen werden in unserem Forum kontrovers diskutiert, geliebt und geschmäht. Ein Artikel von Patrick Bahmers in der FAZ beschreibt, was sich an einem Lieder-Rezital an der Schubertiade im Bregenzurwald 2016 ereignet hatte und wie Ian Bostridge reagiert hatte.


    "http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buehne-und-konzert/festspiele/attacke-auf-ian-bostridge-bei-der-schubertiade-14410001.html"


    Wenn ich mit Musikern, Profis in Sachen Liedgesang, mich über Ian Bostridge unterhalte und austausche, sprechen sie seinen Interpretationen immer höchstes Lob aus: Ein Sänger, der viel wagt.


    Als Zugabe in seiner Rezitals singt Ian Bostridge zuweilen dieses Lied: Hugo Wolf, Abschied, Mörike-Lieder ;)


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Hallo,


    zu Bostridge habe ich in anderen Threads schon gepostet - hier noch nicht.


    Bitte den Beitrag hier Nr. 2 lesen - Welcher andere Sänger hat neben seiner Gesangsausbildung noch eine solche Bildung vorzuweisen? Das ist seinen Interpretationen anzumerken.



    ...wie Bostridge z.B. "Frühlingsglaube" singt - ich finde ihn auch faszinierend wegen der "Übersetzung" aus dem Englischen, also der gestochenen Diktion, der kontrollierten Emotion usw. ...Ich mag ihn sehr.


    Ich auch!


    Gerade habe ich zu seiner (Bostridge's)Interpretation von Schuberts Winterreise, die hart in seinem Thread "Kunstlieder modifiziert, arrangiert..." anzeigte, Stellung genommen. Bostridge ist für mich der - höchst moderne - Repräsentant des Regietheaters auf der Bühne des Liedgesangs. Weit entfernt von jener Auffassung und Überzeugung eines Dietrich Fischer-Dieskau, dass es Aufgabe und Pflicht des Interpreten sei, sich in den Dienst am musikalischen Werk zu stellen.


    Aus weiteren Beiträgen von Helmut stelle ich fest, dass seine Meinung nicht nur für die Winterreise zutrifft, sondern allgemein seinen Interpretationen gilt.

    Bostridge singt die "Winterreise" nach meinem Eindruck als Betroffener und nicht reflexiv. So, als ob er die Geschichte im Moment der Vortrags selbst durchlebt und durchleidet. Das halte ich für eine legitime Möglichkeit.


    Auch so kann dem Werk gedient werden.


    https://www.amazon.de/Lieder-I…r=1-18&keywords=bostridge
    Diese Aufnahme ist ohne Fehl - stimmlich sehr variabel, absolut intonationsrein, hervorragende Textverständlichkeit und mit viel Einfühlungsvermögen interpretiert.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zit.zweiterbass: "Aus weiteren Beiträgen von Helmut stelle ich fest, dass seine Meinung nicht nur für die Winterreise zutrifft, sondern allgemein seinen Interpretationen gilt."


    Ich habe in der Tat so meine Probleme mit dem Liedgesang von Ian Bostridge, lieber zweiterbass. Und jedes Mal, wenn ich sie geäußert habe, stellte sich bei mir ein ungutes Gefühl ein, weil ich natürlich wusste, dass Du Bostridge als Liedinterpreten sehr schätzt.
    Aber es ist noch nicht so lange her, dass ich hier im Forum - wieder einmal - die Erfahrung machte - machen musste, - dass Liedgesang ein höchst heikles Thema ist, weil beim Urteil darüber allzu viel Subjektivität mit ins Spiel kommt. Und so halte ich mich lieber aus dieser Sache raus.
    Ich verspreche Dir aber, dass ich mir - weil ich ja nun diesen Schumann-Thread gestartet habe - heute noch die Interpretation der "Dichterliebe" durch Ian Bostridge sehr aufmerksam anhören und überprüfen werde, ob meine Vorbehalte ihm gegenüber wirklich berechtigt sind.

  • Aus der sehr großen Medienbibliothek der NMH in Oslo habe ich mir viele CDs und Blue-ray/DVDs ausgeliehen.
    Vieles davon habe ich entweder anschließend gekauft oder vergessen.


    Doch eine Produktion ist mir in nahezu schmerzhafter Erinnerung geblieben, nämlich die Winterreise Schuberts mit eben diesem Ian Bostrigde.
    Ich habe es ungefähr bis zur Hälfte ausgehalten, mir das anzutun, habe mich dann aber auf das kurze Anspielen des Restes beschränkt.
    In diesem Fall sind Helmut Hofmanns Auffassung und meine zu eben dieser Interpretation nahezu deckungsgleich.
    Natürlich bleibt Fischer-Dieskau für dieses Werk mein Maßstab ( seine Aufnahme mit Brendel, trotz allen Argumenten, dass er früher mehr auf Stimme sang....eben!), aber ich höre mir auch andere Interpretationen an.
    In diesem Fall jedoch empfand ich die ganze Herangehensweise des Tenors als irgendwie affektiert, nahezu zerstörerisch und -wie gesagt- schwer zu ertragen.
    Das geht mir allerdings auch bei getanzten oder sonstwie arrangierten Versionen der Winterreise so. Da wende ich mich immer mit Grausen ab.


    Ich muss noch hinzufügen, dass ich ihn als Bach-Tenor durchaus gerne bis sehr höre, z.B. in einem Adventskonzert mit BWV 61 usw. unter Harnoncourt oder als Evangelist unter Herreweghe. Der leicht englische Akzent stört mich bei dieser Barock-Literatur irgendwie nicht.
    Doch sein Ansatz zur Winterreise ist mir bei allem großen Respekt vor diesem Sänger einfach nicht "my cup of tea" - sorry, Sir.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Hallo,


    Nachtrag zu meinem Beitrag Nr. 35.

    Auf YouTube gibt es einzelne Lieder aus der genannten CD (die inzwischen ziemlich überteuert ist) ; es handelt sich dabei um Aufnahmen aus 1998; damit kann meine Bewertung nachgehört werden.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo!


    Mein Verhältnis zur Interpretation der Winterreise durch Ian Bostridge ist zwiespältig.


    Zu meinem Live-Eindruck hier meine Konzertkritik aus dem vergangenen Jahr.


    Heidelberger Frühling Bostridge Winterreise


    Anders verhält es sich mit seiner Interpretation auf CD. Im Regal steht die CD mit Leif Ove Andsnes, die ich wiederum sehr gerne höre.
    Und sein Wissen um die Winterreise ist sicherlich unerreicht.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Hallo, lieber zweiterbass!


    Ich druckse herum und scheue mich, da mir Äußerungen über gesangliche Interpretation von Liedmusik hier neuerdings nicht mehr so ganz geheuer sind, von meinen Erfahrungen zu berichten, die ich mit dem Anhören der Aufnahme von Schumanns "Dichterliebe" mit Ian Bostridge gemacht habe.
    Aber da ich Dir dieses Anhören ja versprochen habe, solltest Du wenigstens dieses wissen:


    Ich war überrascht und stark beeindruckt. Zwar kann Bostridge auch hier nicht von seiner - wie ich finde - Untugend ablassen, in die melodische Linie zu viel affektiven Gehalt einzubringen und das lyrische Wort gleichsam deklamatorisch auszuschlachten, - was mich im Fall von Schuberts "Winterreise" so sehr gestört und zu meinem negativen Urteil geführt hat.


    Hier aber, bei der Dichterliebe - und übrigens beim "Liederkreis op. 24", den ich mir aus gegebenem Anlass auch angehört habe - lässt er diesbezüglich Maß walten, und siehe da: Es ist eine gesangliche Interpretation dabei herausgekommen, die, wie ich finde, der Liedmusik nicht nur voll und ganz gerecht wird, sondern dem Hörer sogar neue Dimensionen zu erschließen und ihn diesbezüglich zu beeindrucken vermag.


    So erging es mir jedenfalls. Und ich zog daraus erneut die Schlussfolgerung, die ich an anderer Stelle des Forums schon einmal geäußert habe:
    Niemals in genereller und pauschalisierender Weise über Sänger und Sängerinnen und ihren interpretierenden Umgang mit Musik urteilen. Man sollte es grundsätzlich nur unter Bezugnahme auf das einzelne musikalische Werk tun.


    Hier Bostridges "Dichterliebe", die ich zwar von einer CD gehört habe, aber sie dürfte mit der von diesem Link identisch sein:


  • Wenn es so bequem und verführerisch gemacht wird, dass man nur ein Dreieck anzuklicken braucht, dann unterbricht man eben seine Arbeit und hört nicht nur mal rein, sondern mag nirgendwo abbrechen, weil diese Musik immer wieder fasziniert.

    Ich war überrascht und stark beeindruckt. Zwar kann Bostridge auch hier nicht von seiner - wie ich finde - Untugend ablassen, in die melodische Linie zu viel affektiven Gehalt einzubringen


    Nachdem ich Bostridge über viele Jahre immer wieder im Schwarzenberger Konzertsaal gehört hatte - er ist dort so eine Art »Hausgott« - und natürlich auch in Schwetzingen, wo er zwar kein »Hausgott« ist, aber schon die »Winterreise« gesungen hat, nahm meine anfängliche Begeisterung im Laufe der Zeit ab; der Grund: zu viel affektiver Gehalt, was sich so im Laufe der Jahre nach meinem subjektiven Empfinden entwickelte, aber ich spreche hier etwa von einem Dutzend Erlebnissen im Konzertsaal, CD-Hören ist wieder was anderes ...
    In der von Helmut eingestellten Aufnahme bekommt von mir Bostridge die »Erlaubnis« dies da zu tun wo er es macht, weil es nach meiner Ansicht einfach hin passt - eine insgesamt hörenswerte Aufnahme!

  • Hallo,
    ich kenne keinen anderen Sänger, der neben seiner Gesangsausbildung noch eine solche Bildung vorzuweisen hat wie Bostridge; das ist aus seinen Interpretationen herauszuhören!


    Zu der hier geäußerten Kritik an seinem Gesangsstil, seiner Wortbehandlung, seinen Interpretationen:
    Jeder Rezitator eines Gedichtes wird versuchen, bei seiner Gedichtinterpretation alle Möglichkeiten der sprachlichen Gestaltung auszuschöpfen.
    Warum soll das einem Liedsänger – Bostridge - verwehrt sein bzw. als unangemessen bewertet werden? Gerade der Liedsänger, der den Sinngehalt des Gedichtes in Verbindung mit der dazu komponierten Musik (die diesen verdeutlicht/überhöht) auf den Hörer übertragen will, muss die optimale sprachliche Gestaltung des Textes in seinen Liedvortrag einbringen.


    Nachtrag zu meinem Beitrag Nr. 33.
    Auf YouTube gibt es einzelne Lieder aus der vorgestellten CD (die inzwischen ziemlich überteuert ist) ; es handelt sich dabei um Aufnahmen aus 1998; damit kann meine Bewertung in Beitrag Nr. 33 nachgehört werden.


    Auf YouTube hier nun einige Übernahmen aus der vorgestellten CD.



    https://www.youtube.com/watch?v=4OyRAOa57o0
    https://www.youtube.com/watch?v=YSo5yUxgohA
    https://www.youtube.com/watch?v=fngyZ6HiaSk
    https://www.youtube.com/watch?v=a8_1W08R97E
    https://www.youtube.com/watch?v=HpfiDqV0tMY
    https://www.youtube.com/watch?v=4TiVrXrOOYU
    https://www.youtube.com/watch?v=J4pKL6B5lxo
    https://www.youtube.com/watch?v=lg1iOnA-DZY
    https://www.youtube.com/watch?v=JoeDEdOUx-M
    https://www.youtube.com/watch?v=cxhbc0u5znA



    Viele Grüße
    zweiterbass

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  • Ian Bostridge, begleitet von Antonio Pappano, der ja nicht nur als Dirigent wirkt, hat eine Beethoven-Lieder-CD produziert. Sie erscheint am 10. April. Ich bin mal gespannt.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ian Bostridge kenne ich seit seinen ersten Anfängen als Liedsänger, als noch keine CDs von ihm erschienen waren. Ich erlebte ihn in einem Konzert im Süden Englands und dachte damals, das ist ein Sänger mit einem grossen Potential. Bald darauf erschien bei Hyperion die Schöne Müllerin mit den von Dietrisch Fischer Dieskau gesprochenen Texten, die Schubert nicht vertont hatte. Ich habe jede Scheibe im Regal stehen, die es mit Ian Bostridge gibt. Sein Buch Buch "Schuberts Winterreise, Lieder von Liebe und Schmerz" liegt vor und zeugt von der intensiven Beschäftigung mit diesem Zyklus.


    Im Herbst 2019 kam eine CD mit der Winterreise D. 911 heraus. Der Liedbegleiter von Ian Bostridge ist der Komponist und Liedbegleiter Thomas Adès. Das Label Pentatone wird die beiden anderen Liedzyklen Schuberts später veröffentlichen.


    Der Tenor hat eine dritte Einspielung dieses Zyklus vorgelegt. Was mir auffällt: Seine Stimme ist dunkler geworden. Im Lied "Die Krähe" gefällt mir das zerdehnte Tempo nicht. Da gehe ich mit den Interpreten nicht einig. Wollen sie die Erstarrung damit darstellen? In anderen Liedern gelingt den beiden dies besser. Gut finde ich, dass der Sänger neues wagt. Er hat diesen Zyklus nun schon hunderte Male gesungen. Jede Nuance ist ihm bewusst. Wenn es ihm gelingt andere Aspekte zu eröffnen, darf dies sein.


    Eine Stärke ist der Pianist, der die Partitur genau studiert hat und im Dialog mit dem Sänger steht und ihn im besten Wortsinn begleitet. Er hat mit seinem Klavierspiel dem Sänger etwas die Show gestohlen. Vieles wirkt aus dem Moment geboren, lebendig und doch genau durchdacht, anpassungsfähig in den Tempi, mit gut gesetzten Rubati und feinen Tempoverschiebungen. Wie er auf den Gesang eingeht, das ist für mich das Besondere dieser Einspielung.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Mit der Gitaristin Xuefei Yang (Gitarre) hat Ian Bostridge ein spannendes Lied Programm mit dem Titel Songs Our Ancestors ( = Lieder unserer Vorfahren) eingespielt.


    John Dowland: In darkness let me dwell; Come again, sweet love doth now invite; White as lilies was her face; My thoughts are winged with hopes; Flow my tears

    Ruan Ji: Drunken Ecstasy

    Benjamin Britten: The Second Lute Song of the Earl of Essex

    Anonymus: Flowing Water

    Franz Schubert: Ständchen; Die Mainacht; Der König in Thule; An die Musik

    Xu Changjun: Sword Dance

    Dominick Argento: Letters from Composers: Schubert; Letters from Comoposers: Chopin

    Stephen Goss: The Book of Songs



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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Im Herbst 2019 kam eine CD mit der Winterreise D. 911 heraus. Der Liedbegleiter von Ian Bostridge ist der Komponist und Liedbegleiter Thomas Adès. Das Label Pentatone wird die beiden anderen Liedzyklen Schuberts später veröffentlichen.


    Der Tenor hat eine dritte Einspielung dieses Zyklus vorgelegt.


    "Vom Abendrot zum Morgenlicht ward mancher Kopf zum Greise." Mit dieser Zeile wird in Schuberts "Winterreise" der dritte Vers des Liedes "Der greise Kopf" eingeleitet. Die Grafiker des Booklets haben das etwas zu wörtlich genommen. Mit Hilfe eines Computerprogramms ließen sie den englischen Tenor und seinen Begleiter Thomas Adès auf dem Deckblatt drastisch altern. Sie sind nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ausgemergelt und ausgezehrt – als hätte sie selbst die strapaziöse Winterreise hinter sich. Ein gewisser Mut gehört dazu. Nur, muss das sein? Erschließt sich das? Sollte nicht vielmehr die künstlerische Qualität statt eines solchen Gags für eine Neuerscheinung einnehmen? Wie dem auch sein, ein Hingucker ist das in Sepia gehaltene Album allemal. Wie Bostridge in seinem Einführungstext herausstellt, ist die "Winterreise" seit drei Jahrzehnten zentraler Bestandteil seines musikalischen Lebens. Diesmal war ihm vor allem die inspirierende Zusammenarbeit mit Adès, der eher als Komponist hervorgetreten ist, Anlass, sich abermals im Studio auf das Werk einzulassen. In der Tat wird die Aufnahme vernehmlich, gar gleichberechtigt, vom Klavier her geprägt. Adès setzt starke Akzente. Es überlässt der Singstimme nicht das Feld, sondern trägt seinerseits dazu bei, für jedes Wort, jeden Gedanken oder jedes Gefühl einen eigenen Ausdruck zu suchen und gleichzeitig immer wieder mit dem Sänger zusammen zu finden. Keiner von beiden macht sein eigenes Ding. Darin liegt für mich die Stärke der Aufnahme. Die Stimme von Bostridge ist nicht schöner geworden. Für die "Winterreise" muss das auch nicht zwingend sein. Auch sein Deutsch ist nicht besser geworden. So schleichen sich viele Ungenauigkeiten ein, die nicht mehr als individueller Ausdruck durchgelassen werden können.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat von Rheingold1876

    Auch sein Deutsch ist nicht besser geworden. So schleichen sich viele Ungenauigkeiten ein, die nicht mehr als individueller Ausdruck durchgelassen werden können.

    Lieber Rüdiger, nicht hat das total erstaunt, der Ausdruck ist mMn sehr gut aber ich fand sein Deutsch ziemlich schludrig, ich sage das trotzdem auch wenn ich ein großer Fan von Bostridge bin.


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Lieber Fiesco, ich kann Bostridge auch sehr veiles abgewinnen. Ich liebe seinen zur Zerknirschung neigenden Vortragsstil, der immer auch die Aussage unterstreicht. Im Nachhinein bedauere ich es aber fast, auf sein ich individuelles Deutsch abgehoben zu haben. Ich las nämlich inzwischen im Netz ein Interview, in dessen Folge ich mich nicht in eine bestimmte Ecke gestellt gesehen haben möchte. Aber was gesagt werden muss, dass muss gesagt werden.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ob für oder wieder, eines steht fest er hat wunderschöne Aufnahmen gemacht....


    ....z.B. auch diese .....



    ....eine wahre Wonne im zuzuhören mit welch einem Gefühl er Händel singt!

    Wunderschön auch die beiden Duette mit Kate Royal "Happy we!" aus Acis and Galatea sowie das überirdisch schöne Duett aus L'Allegro, il Penseroso ed il Moderato , "As steals the morn" .:hail:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Auch diese CD ist von besonderer Güte!


    Ian Bostridge auf den Spuren historischer Superstars: Die Tenöre John Beard, Francesco Borosini und Annibale Fabri waren Urahnen der heutigen (Helden)tenöre.

    Arien von Händel, Gasparini, Arne, Vivaldi, Conti, Caldara, Boyce, Scarlatti.

    Hier möchte ich auch im besonderen das "The English Concert" unter Bernard Labadie erwähnen!

    Als die Wiederaufnahme von Giulio Cesare anstand schrieb Händel auch eine neue Arie für Sextus den Boresini sang,

    sie ist hier als "First recordings" zu hören, wie auch einige andere Arien!

    Giulio Cesare Hwv 17 (Julius Cäsar, Oper In 3 Akten) (Auszug)

    "Scorta siate a passi miei"


    LG Fiesco




    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)


  • Nach der "Winterreise" hat Ian Bostridge nun auch eine neue "Schöne Müllerin" bei Pentatone vorgelegt. Begleitet wird er von der italienisch-niederländischen Pianisten Saskia Giorgini. Wieder hat der Sänger nebst seiner Begleiterin den Mut, sich auf dem Cover völlig zermergelt und um Jahrzehnte gealtert darstellen zu lassen. Macht das Sinn? Ich habe da meine Zweifel. Oder soll es ein Werbegag sein? Was bei der "Winterreise" vielleicht noch verständlich gewesen ist, kann ich für die "Müllerin" nicht nachvollziehen. Nun kommt es darauf an, sich die neue Produktion anzuhören. Das werde ich mir nicht entgehen lassen. Was ich inzwischen bei Spotify vernahm, ist etwas irritierend. Sein Deutsch ist im Detail, das bei Liefern sich wichtig ist, ehr schlechter denn besser geworden. Wenn man ihm das durchgehen ist, finden sich ganz interessante Ausdrucksmomente. Reicht das aber aus? Ungeachtet dessen hatte ich immer eine Schwäche für diese introvertiert wirkende Stimme.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wieder hat der Sänger nebst seiner Begleiterin den Mut, sich auf dem Cover völlig zermergelt und um Jahrzehnte gealtert darstellen zu lassen. Macht das Sinn? Ich habe da meine Zweifel. Oder soll es ein Werbegag sein? Was bei der "Winterreise" vielleicht noch verständlich gewesen ist, kann ich für die "Müllerin" nicht nachvollziehen.

    Lieber Rüdiger,


    mir kommt es spontan so vor, als wolle die Cover-Gestaltung die Ästhetik der expressionistischen Bilder von Ernst Ludwig Kirchner imitieren - Kirchners Gestalten sehen ja so dünn und faltig aus. Der Grund ist wohl denke ich mir, dass damit die Aussage gemacht werden soll: Schubert ist nicht harmlose Nachtromantik, sondern schon "moderner", musikalischer Expressionismus. Das ist natürlich etwas eigenwillig, aber wenn´s zur Interpretation passt! Ich kenne die Aufnahmen leider nicht! ^^


    Schöne Grüße

    Holger

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  • Die Bilder sind vom Künstler .....


    Stuart Pearson Wright


    Siehe hier!


    LG Fiesco





    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Interessant! Das gefällt mir jedenfalls viel besser als diese Orientierung am Pop-Bereich, wo dann besonders weibliche Künstler als Topmodels gestylt auf dem Cover in irgendwelchen Posen präsentiert werden.


    Schöne Grüße

    Holger


  • Hallo lieber Rüdiger!

    Zitat von Rheingold1876

    Sein Deutsch ist im Detail, das bei Liefern sich wichtig ist, ehr schlechter denn besser geworden. Wenn man ihm das durchgehen ist, finden sich ganz interessante Ausdrucksmomente. Reicht das aber aus?

    Dem Stimme ich zu, und ich würde für mich sagen, ja das reicht aus denn es gibt viele Momente die Staunen machten, aber bei Bostridge scheiden sich ja von je her die Geister!

    Zitat von Rheingold1876

    Ungeachtet dessen hatte ich immer eine Schwäche für diese introvertiert wirkende Stimme.

    Das geht mir genauso!


    Hier noch ein paar Sätze aus einer Rezension !

    Zitat von Remy Franck

    Die Ungeduld etwa setzt Bostridge sehr ungeduldig um, fast zynisch. Und sein Morgengruß ist so spöttisch, dass man nur staunen kann.

    Solche sehr persönlichen Interpretationen folgen sich unablässig in diesem Zyklus, und Bostridges scharfer Gesang wird von Saskia Giorgini am Klavier genau so scharf untermalt. Beide schürfen tief im Gefühlsgehalt der Lieder und geben Stellungnahmen ab, die höchst erstaunlich sind. Spannend und verwirrend ist diese Müllerin etwas ganz Besonderes und in der Rezeptionsgeschichte des Werkes auch etwas Bereicherndes.


    Ja das passt wunderbar, aber ich möchte auch wieder betonen man muss das öfter hören und auf sich wirken lassen, damit man diese vielen Facetten seiner Interpretation auch wahrnimmt!

    Ich war bei div.Liedern zutiefst berührt!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Zit. (aus einer Rezension von Remy Franck): "Und sein Morgengruß ist so spöttisch, dass man nur staunen kann."


    Keine Spur von Spott ist in dieser Interpretation zu vernehmen.

    Wäre ja auch geradezu unsinnig. Weder Müllers lyrischer Text noch Schuberts Liedmusik geben auch nur den mindesten Anlass dazu. Die innere Haltung des lyrischen Ichs, aus der dieser "Morgengruß" erfolgt, drückt sich nicht nur im Gestus und in den Bildern aus, sie wird direkt in den beiden letzten Versen ausgesprochen:

    "Und aus dem tiefen Herzen ruft

    Die Liebe Leid und Sorgen".

    Was sollte, um Himmels willen, hier Spott?


    Ansonsten möchte ich diese gesangliche Interpretation der "Schönen Müllerin" lieber nicht kommentieren.

  • Ansonsten sage ich nicht zu dem, was Bostridge hier diesen Liedern antut.

    Da sind wir uns mal wieder einig ...


    Aber Bostridge war früher mal ein auch von mir geschätzter Interpret. Erstmals hörte ich ihn 2004 in Schwarzenberg mit dem Beethoven-Zyklus, danach noch einige Male mit Schubert-Liedern, denn er war ja immer im Programm, wenn ich in Schwarzenberg war, da gab es mitunter wunderschöne Momente. Dann fing er irgendwann an sich selbt zu spielen ... Seit seiner »Winterreise«-DVD wollte ich ihn jedoch nicht mehr hören ...

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  • Lieber hart,

    das was Du da von mir zitierst, hatte ich drei Minuten nach dem Absenden von Beitrag 54 wieder gelöscht und durch die Bemerkung ersetzt:

    "Ansonsten möchte ich diese gesangliche Interpretation der "Schönen Müllerin" lieber nicht kommentieren".

    Es ist ein wenig ärgerlich, wenn man mit etwas zitiert wird, was man aus guten Gründen sehr rasch verworfen hat und nicht vertritt.

    Ich möchte den Bostridge-Fans nicht auf den Fuß treten. Und im übrigen erforderte eine kritische Stellungnahme zu dieser Aufnahme der "Schönen Müllerin" eine detailliert-analytische Betrachtung der Interpretation einzelner Lieder, die ich aus Mangel an Zeit gar nicht leisten kann.

  • Zitat von Helmut Hofmann

    Ich möchte den Bostridge-Fans nicht auf den Fuß treten.

    Lieber H.H. mir kann man in dieser Hinsicht nicht auf die Füße treten. :)


    Zitat von Helmut Hofmann

    Und im übrigen erforderte eine kritische Stellungnahme zu dieser Aufnahme der "Schönen Müllerin" eine detailliert-analytische Betrachtung der Interpretation einzelner Lieder,

    Das ist genau das was ich überhaupt nicht mag, ich höre mir eine Aufnahme als Gesamtkunstwerk an und pflücke sie nicht auseinander, sorry, das würde mir den ganzen Spaß verderben!


    Ich habe 1997 Bostridge das erstemal in Frankurts >Guter Stube< gehört und dann noch sehr oft in div. Recitals und Liederabenden bin hin zur Wigmore Hall und bin seither seiner stets herzlichst verbunden!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Entschuldigung!

    Nein, lieber hart!

    An mir ist es, dieses Wort in den Mund zu nehmen.

    Ich habe mal wieder gegen das Verbot von Spontanbeiträgen verstoßen, das ich mir infolge meiner altersbedingten Pingeligkeit und Unbeholfenheit im Umgang mit der Sprache auferlegen musste.

  • Nach einigen Tagen gründlichen Hineinhörens in die Aufnahme der "Schönen Müllerin" mit Ian Bostridge und Saskia Giorgini wollte ich die Sache eigentlich als abgeschlossen betrachten.

    Aber sie lässt mich nicht los, - was auch ein wenig damit zusammenhängt, dass ich mich ja gerade um eine Interpretation dieses Schubert-Werkes bemüht und hier im Forum auch dokumentiert habe, was dabei herausgekommen ist. Dort habe ich unter den gesanglichen Interpretationen der Lieder auch einmal eine von Ian Bostridge als besonders gelungen, weil die Liedmusik treffend, einbezogen ( Franz Schubert, „Die schöne Müllerin“. Der Liederzyklus als musikalisches Selbstbekenntnis). Das erwähne ich, um zu zeigen, dass ich gegen diesen Sänger keineswegs negativ eingestellt bin, ihn vielmehr als einen bedeutenden Liedinterpreten betrachte.


    Aber bei besagter Aufnahme bin ich in der Beurteilung höchst unschlüssig, gar unsicher. Aus der anfänglichen Ablehnung, die sich beim ersten Hören eingestellt hatte, ist inzwischen ein differenziertes Urteil geworden, bei dem die negativen Aspekte zwar immer noch leicht dominieren, aber von einer Reihe positiver teilweise kompensiert werden. Bei den negativen sind die rein handwerklichen Mängel (sprachliche Deklamation und das unschöne Verschleifen des sonoren Konsonanten "n" am Wortende ) für mich noch nicht einmal die gravierendsten. Ich frage mich, ob das am lyrischen Wort und seiner Semantik ansetzende und diesbezüglich auf hohe Expressivität ausgerichtete interpretatorische Grundkonzept der Gestalt des "Müllers", wie Schubert sie gesehen und in Musik gesetzt hat, wirklich angemessen ist.

    Um es auf einen - die Sache ein wenig vergröbernden, aber doch treffenden - Nenner zu bringen: Mir scheint, dieser deklamatorisch hochexpressive Ansatz Bostridges verfehlt das monologisch-introvertierte Wesen dieses Schubertschen Müllers.


    Aber mit diesem Urteil kann ich ja völlig danebenliegen. Und deshalb würde ich mich sehr(!) freuen, wenn ich wenigstens ein anderes - vielleicht gar mehrere? - hier vorfände.

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