Gedanken zur Freiheit der Kunst in anderen Medien - Gastkommentare von Prof. Dr. h.c. Bernd Weikl

  • da bin ich mir nicht so sicher,

    Lieber Karl,


    das ist die These von Jens-Malte Fischer, der sie mit dem dazugehörigen Quellenmaterial auch begründet hat.


    P.S. Die Verbindung zu den Geschwistern Scholl erschließt sich mir jetzt nicht so ganz, denn Wagner war in der Zeit der Veröffentlichung seiner unsäglichen Schrift nun wirklich kein Widerstandskämpfer - er mutierte ja vom Anarchisten und Bakunin-Freund, der 1848 steckbrieflich gesucht wurde, zum Liebling des deutschen Kaiserreichs.


    Gestern bei einem geselligen Treffen mit Wagnerianern im Musikkeller hörten wir Schellackplatten - Aufnahmen aus den 30igern und 40igern. Wunderbar! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Holger,


    Zitat

    ...er mutierte ja vom Anarchisten und Bakunin-Freund, der 1848 steckbrieflich gesucht wurde, zum Liebling des deutschen Kaiserreichs.


    wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.


    Auch Wagner musste notwendigerweise akzeptieren, daß ohne Geld und gutem Netzwerk im Kunstbetrieb nichts läuft.


    Das hat ihm bekanntermaßen Nitzsche nie verziehen.


    Nette Grüße


    Karl

  • Wagner war in der Zeit der Veröffentlichung seiner unsäglichen Schrift nun wirklich kein Widerstandskämpfer


    Hallo Holger,


    er war in dieser Zeit aber auch nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, und ein Führerbild in seinem Wohnzimmer ist auch nicht überliefert!


    Ich wiederhole den Ausspruch von Marcel Reich-Ranicki, weil er mit ganz wenigen Worten genau den Kern der Sache trifft:
    "Ja, er war ein Schwein, .... aaaber (mit erhobenem Zeigefinger) ..... er hat den TRISTAN geschrieben!!"


    Ich möchte mich nun wirklich in diese unergiebige Diskussion nicht weiter einmischen, erlaube mir aber die Bemerkung, daß man jeden Künstler, ganz gleich welcher Art und welcher Epoche, nach seinen künstlerischen Leistungen und nicht nach seiner Gesinnung oder seinen fragwürdigen Charaktereigenschaften beurteilen sollte.
    Mich interessiert bei meinem Bäcker auch nur, ob er gute Brötchen backt, und nicht, ob er Mitglied in einer obskuren Vereinigung, einer links- oder rechtsextremen Partei oder ein fleißiger Weiberheld ist. Das ist allein seine Privatangelegenheit.


    Wagner war alles andere als ein vorbildlicher Charakter, dazu zählen seine Rücksichtslosigkeit, seine Gesinnungslumperei, sein Antisemitismus, seine fragwürdigen Frauengeschichten, seine schäbige Behandlung von Freunden und Gönnern, doch das alles ändert nichts an der Tatsache, daß er einer der bedeutendsten Tonkünstler aller Zeiten war, ganz gleich, ob man nun seine Musik mag oder nicht.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • das alles ändert nichts an der Tatsache, daß er einer der bedeutendsten Tonkünstler aller Zeiten war, ganz gleich, ob man nun seine Musik mag oder nicht.

    Lieber nemorino,
    wie wahr, wie wahr, im Falle von Richard Wagner.
    Herzlichst
    Operus


    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • er war in dieser Zeit aber auch nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, und ein Führerbild in seinem Wohnzimmer ist auch nicht überliefert!

    Wagners Antisemitismus trägt bereits Elemente, die den der Nazis vorwegnehmen..

    Ich möchte mich nun wirklich in diese unergiebige Diskussion nicht weiter einmischen, erlaube mir aber die Bemerkung, daß man jeden Künstler, ganz gleich welcher Art und welcher Epoche, nach seinen künstlerischen Leistungen und nicht nach seiner Gesinnung oder seinen fragwürdigen Charaktereigenschaften beurteilen sollte.

    Das lässt sich im Falle Wagners nicht trennen. Ohne sein Werk auf Antisemitismus reduzieren zu wollen, gibt es jedoch Anhaltspunkte dafür, dass sein Antisemitismus auch Spuren in seinem Werk hinterläßt z.B. in der Figur der Kundry. Und warum soll ausgerechnet Kunst - etwa wie heile Welt oder Asyl (im ästhetischenm Sinn) - von widerwärtigen gesellschaftlichen Prägungen unberührt/abschnitten sein.

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  • P.S. Die Verbindung zu den Geschwistern Scholl erschließt sich mir jetzt nicht so ganz, denn Wagner war in der Zeit der Veröffentlichung seiner unsäglichen Schrift nun wirklich kein Widerstandskämpfer - er mutierte ja vom Anarchisten und Bakunin-Freund, der 1848 steckbrieflich gesucht wurde, zum Liebling des deutschen Kaiserreichs.


    Gestern bei einem geselligen Treffen mit Wagnerianern im Musikkeller hörten wir Schellackplatten - Aufnahmen aus den 30igern und 40igern. Wunderbar! :)


    Schöne Grüße
    Holger

    Lieber Holger,


    den direkten Zusammenhang gibt es nicht (lässt sich bei mir auch nicht nachlesen): am Gedenktag der beiden jedoch lesen sich einige Relativierungen hier recht ungut und ich habe um eine gewisse Zurückhaltung gebeten. Du verstehst, was ich meine...


    Zu Deinem gestrigen Treffen: da hätte ich Schellacks mit dem Siegfried Idyll, dirigiert von Siegfried Wagner und das unbeschreibliche "Winterstürme wichen dem Wonnemond" mit Max Lorenz beitragen können... :D. Oh, und die Tannhäuser Ouvertüre unter Willem Menegelberg.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:
    PS Dank auch an Amfortas für die steten Richtigstellungen

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Eines sollte man nicht übersehen, wenn man die Persönlichkeit Wagners beurteilt:


    Ohne den festen Glauben an sein Können und diesen unbedingten Willen zur Durchsetzung seiner Ziele gäbe es kein Festspielhaus inkl. Festspiele.


    Ganz allgemein:


    Manche Charaktereigenschaften eines Menschen sind zwar für die nächste Umgebung nicht leicht zu ertragen, andererseits aber Voraussetzung für außerordentliche Leistungen im künstlerischen und unternehmerischen Bereich.

  • Nein, da wo sie anderen Menschen schaden ist das künstlerische Ergebnis nachrangig (besonders, wenn hier vom Antisemitismus die Rede ist). Ich weiß auch nicht, warum hier immer alles relativiert werden muss.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo Thomas,


    Zitat

    Ich weiß auch nicht, warum hier immer alles relativiert werden muss.


    Relativieren möchte ich nicht, nur auseinanderhalten.


    Zitat

    ..da wo sie anderen Menschen schaden ist das künstlerische Ergebnis nachrangig


    Ich bewerte das künstlerische Tun allein auf Grund der Wirkung auf mich.


    Was einer für ein Mensch ist und wie er sich gibt, ist ein anderes. Das beurteile und bewerte ich natürlich auch, aber getrennt.


    Nette Grüße


    Karl

  • Nein, da wo sie anderen Menschen schaden ist das künstlerische Ergebnis nachrangig (besonders, wenn hier vom Antisemitismus die Rede ist). Ich weiß auch nicht, warum hier immer alles relativiert werden muss.

    Lieber Thomas,


    es geht nicht um relativieren, kleinreden oder gar leugnen. Nur wenn es heute auch Historiker gibt, die Richard Wagner und seinen Antisemitismus in einem milderen Licht sehen und seine Äusserungen in den Gesamtzusammenhang der Sicht vom damaligen Deutschland, der Gesellschaft und der herrschenden Zustände stellen, dann müssen auch diese Erkenntnisse in unsere Diskussionen mit einfließen und berücksichtigt werden, sonst wäre es eine einseitige, unvollständige Beurteilung oder Verurteilung. Besonders skeptisch bin ich, wenn Wagners Schriften und Werke als eine der Wurzeln der entsetzlichen Naziverbrechen bezeichnet werden. Wagner ist 1883 in Venedig gestorben. Läßt man die Deutsche Arbeiterpartei DAP außer Acht, dann dauerte der Nazispuk von 1925-1945. Wagner war also schon über 40 Jahre tot, als die Nazipartei sich gründete. Er und sein Schaffen wurde von den Nazis lange danach ausgebeutet und für ihre Zwecke missbraucht. Sehr kritisch sehe ich allerdings, dass die Wagnernachfolger sich sehr bereitwillig und gerne im Ruhm der Nazigunst sonnten. Hier im Forum habe ich manchmal den Eindruck, wenn man bei Wagners Antisemitismus es sich nur wagt Fragen zu stellen, gerät man in die Gefahr, gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden. Auch in dieser Diskussion werden wir zu keinem gesicherten Ergebnis kommen. Wagners Werke jedoch werden Ihren Platz in der Musikgeschichte behalten und die Diskussionen um ihren Schöpfer und seine Integrität überdauern.


    Herzlichst
    Operus


    h

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  • Lieber Hans,


    ein Phänomen wie das des dritten Reiches lässt sich nicht so ohne weiteres per Schalterklick an- und wieder abstellen. Insofern kann ich nicht alles ausblenden, was sich zuvor ereignet hat, nur weil es sich am Eigentlichen zeitlich gesehen nicht beteiligen konnte. Man könnte jetzt auch die Canones des Corpus Jus Canonicum der katholischen Kirchen hernehmen, überprüfen, welche davon antisemitisch sind und wie sie Einzug ins weltliche Recht gefunden haben. Ein nachweisbarer, über Jahrhunderte währender Prozeß, den der Historiker Raoul Hillberg nachvollzogen hat. Es geht doch nicht darum, Wagner für irgendetwas persönlich haftbar zu machen. Aber man tut ihm auch nichts Gutes wenn man sagt, dass er von den NAzis lediglich missbraucht worden wäre. Denn das stimmt so nicht. Ich mag mich dazu allerdings nicht weiter äußern, schon in Ermanglung genauerer Kenntnis dieser Schrift


    Es ist schon richtig, Werk und Schöpfer voneinander zu trennen (wenngleich man die "Moral" des "Tristan" und aller Teile des "Ring" als ausgesprochen fragwürdig ansehen kann, und RW es gewiss beklagt haben wird, sein ganzen Treuebrüche nicht auch im echten Leben auf verwirrende Tränklein abschieben zu können).


    Dass man bei der Infragestellung von Wagners Antisemitismus in die rechte Ecke gstellt wird sollte eigentlich nicht der Fall sein. Für einen sinnvollen Diskurs wäre das jedenfalls nicht hilfreich.


    Vielleicht mag jemand Kompetentes einen entsprechenden Thread eröffnen. Dieser Thread hier ist mit dem Thema überfordert, hat auch ein ganz anderes Thema.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Wagner hat sich in die zeitlich lange Reihe von Antisemiten/Antisemitismus an bedeutender Stelle eingereiht.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • er war in dieser Zeit aber auch nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen, und ein Führerbild in seinem Wohnzimmer ist auch nicht überliefert!

    Lieber Nemorino,


    so einfach ist die Sache aber nicht. Die Art von Wagners Antisemitismus ist genau die, welche Grundlage für die totalitären Bewegungen wurde. Der Totalitarismus hat seine Vorgeschichte. Hannah Arendt hat schön gezeigt, dass die intellektuellen Gedankenspiele der Weltkriegsphilosophie schon totalitär waren, dann aber erst von totalitären Bewegungen wie den Nazis Ernst genommen und in die Realität umgesetzt wurden. Wenn Wagner in seiner Schrift das Gedankenspiel einer "Säuberung" der deutschen Kultur von den Juden spielt, dann ist das perfide Verstellung. Ein bisschen mehr Zynismus (zynisch ist das ohnehin) und daraus wird bittere Realität. Genau so ist die Schrift dann auch gelesen worden.

    Ich möchte mich nun wirklich in diese unergiebige Diskussion nicht weiter einmischen, erlaube mir aber die Bemerkung, daß man jeden Künstler, ganz gleich welcher Art und welcher Epoche, nach seinen künstlerischen Leistungen und nicht nach seiner Gesinnung oder seinen fragwürdigen Charaktereigenschaften beurteilen sollte.

    Ich glaube das bestreitet Niemand - ich am allerwenigsten!

    Zu Deinem gestrigen Treffen: da hätte ich Schellacks mit dem Siegfried Idyll, dirigiert von Siegfried Wagner und das unbeschreibliche "Winterstürme wichen dem Wonnemond" mit Max Lorenz beitragen können... :D. Oh, und die Tannhäuser Ouvertüre unter Willem Menegelberg.

    Lieber Thomas,


    wir haben vor allem die "Meistersinger" gehört... :)


    Liebe Grüße
    Holger

  • , sonst wäre es eine einseitige, unvollständige Beurteilung oder Verurteilung.

    der Hinweis/Deutlichmachung von ideologischen Toxine in Wagners Werk ist nicht mit Verurteilung gleichzusetzen..

    Nur wenn es heute auch Historiker gibt, die Richard Wagner und seinen Antisemitismus in einem milderen Licht sehen und seine Äusserungen in den Gesamtzusammenhang der Sicht vom damaligen Deutschland, der Gesellschaft und der herrschenden Zustände stellen, dann müssen auch diese Erkenntnisse in unsere Diskussionen mit einfließen und berücksichtigt werden..

    Das birgt Risiko, es zu relativieren. Die herrschenden Zustände waren bereits schlimm genug.
    Und auch gab es bereits Zeitgenossen Wagners, die sich entschieden gegen Antisemitismus stellten und sich nicht von bösartiger, kollektiver Dummheit anstecken ließen.

  • Wagner hat sich in die zeitlich lange Reihe von Antisemiten/Antisemitismus an bedeutender Stelle eingereiht.


    Genau so ist es, und das könnte jeder wissen, der sich auch nur ein bisschen mit musikgeschichtlichen Dingen beschäüftigt.

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  • Die Selbstzerstörung der Kunst und Kultur in Deutschland


    darum ging es dem Verfasser, um Selbstzerstörung.


    Die Werke Wagners, die für sich in der Musikwelt einzigartig dastehen, werden dabei angegriffen.


    Wer betreibt nun aber diese Selbstzerstörung?


    Richard Wagner ist es ja nicht.


    Der Verfasser meint wohl eher, daß hier der Menschheit ein Kulturgut geschenkt worden ist, dessen Wert und Größe demontiert werden soll.


    Grund dafür ist der Antisemitismus


    Wer sich hier einliest, wird wohl bemerken, daß das Thema ausgesprochen vielschichtig ist.


    Ein guter Grund, tiefer einzusteigen.

  • darum ging es dem Verfasser, um Selbstzerstörung.

    Da begibst Du Dich aber auf ein übles Terrain, lieber Karl. Denn diese Sprache und Begrifflichkeit ist an sich totalitär. Martin Heidegger spricht in den "Schwarzen Heften" in Bezug auf Auschwitz von der "Selbstvernichtung des Judentums". Der totalitäre Charakter dieser Denkfigur sollte doch einigermaßen leicht zu durchschauen sein: Bei der Selbstzerstörung geht es um eine Bedrohung "ums Ganze". Und weil diese Bedrohung "total" ist, sind dann auch die Maßnahmen gegen diese Bedrohung radikal und totalitär.

    Nur wenn es heute auch Historiker gibt, die Richard Wagner und seinen Antisemitismus in einem milderen Licht sehen und seine Äusserungen in den Gesamtzusammenhang der Sicht vom damaligen Deutschland, der Gesellschaft und der herrschenden Zustände stellen, dann müssen auch diese Erkenntnisse in unsere Diskussionen mit einfließen und berücksichtigt werden

    Der moderne Antisemitismus ist schlicht immer gesellschaftlich begründet. Mit diesem Argument werde ich nie etwas anfangen können. Denn der Versuch, zwischen einem schlimmen Antisemitismus und einem weniger schlimmen zu unterscheiden, ist eine typische apologetische Denkfigur von Menschen (hier von Wagner-Anhängern) die selber nie vom Antisemitsmus betroffen waren. Ich bin ja nun mit einer "Ausländerin" verheiratet, die auch schon Ausländerfeindlichkeit hier in Deutschland sehr konkret am eigenen Leibe erfahren hat. Was glaubst Du, lieber Operus, wird sie mir antworten, wenn ich das zu verharmlosen versuche, indem ich sage (meine Frau ist übrigens Soziologin): "Was Dir da begegnet ist, ist ja aus den gesellschaftlichen Umständen verständlich zu machen und nur ein bisschen Ausländerfeindlichkeit und eigentlich gar nicht so übermäßig schlimm. Es gibt viel Schlimmeres!"?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich bedaure, nicht um so viele Ecken denken zu können. "Der Menscheih wurde ein Kulturgut geschenkt" .... Halleluja.


    Einzigartig war bis dato, dass jemand einen Opernzyklus verfasst, der hintereinander weg gespielt ca. 16 Stunden lang ist. Wert und Rang werde ich ihm nie absprechen, wüsste aber einige, die mir lieber, kostbarer und wertvoller wären, wie vor allem Bach, sodann Beethoven, Mozart, Bruckner und Brahms.


    Von Demontage kann überhaupt keine Rede sein (menschlich gesehen demontiert sich Wagner vor allem selbst, aber eben nicht musikalisch). Es geht um den Sonderfall eines Komponisten, der sich explizit politisch geäußert hat, zu allem Überfluss auch noch schriftlich, und der diese Niederschrift gleich zweimal mit dem Abstand von einigen Jahren in Druck brachte. Wahrscheinlich wären diese Schriften eine Randnote der Geschchte geblieben, hätten sie nicht diesen Autor. Und genau das muss der Wagnerianer ertragen und aushalten, nämlich, dass die Bedeutung Wagners aben auch die Bedeutung dieser Schriften anhebt, ebenso die Diskussion über Karikaturen des Juden in Wagners Werk.


    Mit der Widersprüchlichkeit der Persönlichkeit kann ich leben, sogar mir seine Werke anhören, mit dem Verdrängen seiner Schattenseiten durch seine Fans, die da fürchten, das sein Werk in den Schmutz gezogen werden könnte, damit kann ich allerdings nur schlecht umgehen. Da ist das Wort Defaitismus nicht mehr weit.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich bin ja nun mit einer "Ausländerin" verheiratet, die auch schon Ausländerfeindlichkeit hier in Deutschland sehr konkret am eigenen Leibe erfahren hat. Was glaubst Du, lieber Operus, wird sie mir antworten, wenn ich das zu verharmlosen versuche, indem ich sage (meine Frau ist übrigens Soziologin): "Was Dir da begegnet ist, ist ja aus den gesellschaftlichen Umständen verständlich zu machen und nur ein bisschen Ausländerfeindlichkeit und eigentlich gar nicht so übermäßig schlimm. Es gibt viel Schlimmeres!"?

    Lieber Holger,


    manchmal muss sich auch einer der Toleranz und Humanismus auf seiner Fahne vor sich trägt und ich bemühe mich wirklich darum, diese Ideale wenigstens einiger Maßen zu erfüllen, schämen. Denn es gibt auch eine kollektive Scham. In diesem Sinn, Entschuldigung, Verständnis und Gruß an Deine Frau.


    Herzlichst
    Hans


    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hallo Holger,


    Selbstzerstörung ist für mich ein schleichender Prozess, der in recht harmloser Art beginnen und auch ohne Komplettaufgabe enden kann.


    Selbstvernichtung dagegen ein zielgerichtetes finales Handeln ohne Umkehr, da ist mir die von dir gewählte Begrifflichkeit "Totalitär" auch nicht fremd.




    Hallo Thomas,


    ich bin ein Musikliebhaber, kein Wagnerianer, wie ich auch Fußballspiele auf hohem technischen Niveau gerne anschaue, ohne daß ich eine bestimmte Mannschaft gewinnen sehen will.


    Es gilt der Kunst, wenn ich klassische Musik höre.


    Es gilt der Kunst, wenn ich Wagner höre.


    Wer sich mit der Entwicklung der Nazidiktatur oder dem Holocaust auseinandersetzen will, wird mMn woanders fündiger als bei Wagner.



    Nette Grüße


    Karl

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  • Wenn Wagner in seiner Schrift das Gedankenspiel einer "Säuberung" der deutschen Kultur von den Juden spielt, dann ist das perfide Verstellung.


    Lieber Holger,


    damit wir uns recht verstehen: Nichts liegt mir ferner als Antisemitismus, und zwar in jeder Form. Es gab (und gibt?) einen unheilvollen religiösen Antisemitismus, der nicht nur von der Katholischen Kirche, sondern auch von Martin Luther militant vertreten wurde, und es gab und gibt den noch unheilvolleren rassischen Antisemitismus. Wozu der geführt hat, das hat die Welt, und vor allem die Juden, leidvoll erfahren.


    Ich will auch absolut nicht Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" verteidigen, aber mich ärgert immer, wenn, nicht nur bei Komponisten, sondern auch bei ausführenden Künstlern, so sehr auf deren vermeintlicher oder realer Verquickung mit dem Dritten Reich herumgeritten wird, daß ihre eigentliche Bedeutung dadurch total in den Hintergrund gerät.


    Paradebeispiel Karajan: Mich interessiert nicht, ob er zweimal, dreimal oder wie oft auch immer in die Nazi-Partei eingetreten ist, um seine Karriere sicherzustellen, sondern allein seine künstlerische Wirkung. Es sei denn, er hätte sich durch Wort oder Tat an den Verbrechen dieser Leute beteiligt. Und da fehlt m.W. bis heute jeder Beweis.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Wahrscheinlich wären diese Schriften eine Randnote der Geschchte geblieben, hätten sie nicht diesen Autor.


    Hallo Thomas,


    noch wahrscheinlicher würden sie heute überhaupt keine Rolle spielen, hätte es nicht den Nationalsozialismus und seinen mörderischen Judenhaß mit den bekannten schrecklichen Folgen gegeben. Die unheilvolle Verbindung zwischen dem Bayreuther Wagner-Clan und Hitler hat zudem noch als "Teilchenbeschleuniger" gewirkt. Nur kann man dafür Richard Wagner nicht persönlich verantwortlich machen, so wenig wie Karl May daran schuld ist, daß er der Lieblingsautor des Führers war.
    Ist es dagegen verbürgt, daß Hitler Wagners Pamphlet "Das Judentum in der Musik" überhaupt gelesen hat? Er neigte doch eher der Trivialliteratur zu!


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Paradebeispiel Karajan: Mich interessiert nicht, ob er zweimal, dreimal oder wie oft auch immer in die Nazi-Partei eingetreten ist, um seine Karriere sicherzustellen, sondern allein seine künstlerische Bedeutung. Es sei denn, er hätte sich durch Wort oder Tat an den Verbrechen dieser Leute beteiligt. Und da fehlt m.W. bis heute jeder Beweis.


    D'accord. Kein mir bekannter Künstler wurde in dieser unseligen Zeit selbst zum Täter in dem Sinne, dass durch sein persönliches Zutun Menschen umkamen. Ob Karajan, Böhm, Heger, Schillings, Bockelmann, Ney oder Goodall. Alle Genannten und einige mehr wurden aber in diesem Forum schon oftmals an den Pranger gestellt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Paradebeispiel Karajan: Mich interessiert nicht, ob er zweimal, dreimal oder wie oft auch immer in die Nazi-Partei eingetreten ist, um seine Karriere sicherzustellen,

    Also, einmal reicht ja wohl....

    Kein mir bekannter Künstler wurde in dieser unseligen Zeit selbst zum Täter in dem Sinne, dass durch sein persönliches Zutun Menschen umkamen. Ob Karajan, Böhm, Heger, Schillings, Bockelmann, Ney oder Goodall.

    Elly Ney ist für Gräuel soweit mitverantwortlich, indem sie öffentlich wiederholt für die Entjudung des Musiklbetriebs sich einsetzte. Karl Böhm soll Orchestermitgliedern mit Versetzung zur Ostfront gedroht haben..

  • Könnte man nicht endlich mit dieser Diskussion aufhören?
    Jetzt sind wir bei Künstlern, die sich vor 80 Jahren den Nazis anbiederten, angelangt und damit weit vom Eingangsbeitrag entfernt!
    P.s. Es ist doch super, wie sicher Zeitgenossen sind, wie sie sich in früheren Zeiten verhalten hätten! :no:

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  • P.s. Es ist doch super, wie sicher Zeitgenossen sind, wie sie sich in früheren Zeiten verhalten hätten! :no:

    Wow, super ! Nach dieser "Logik" könnte z.B. die komplette Strafprozessordnung abgeschafft werden. Denn keiner der Richter, Schöffen ist sich dann sicher, wie sie sich an Stelle des Angeklagten verhalten hätten..

  • Denn keiner der Richter, Schöffen ist sich dann sicher, wie sie sich an Stelle des Angeklagten verhalten hätten..

    Auf diese "Logik" muss man aber erst mal kommen!

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Und genau das muss der Wagnerianer ertragen und aushalten, nämlich, dass die Bedeutung Wagners aben auch die Bedeutung dieser Schriften anhebt, ebenso die Diskussion über Karikaturen des Juden in Wagners Werk.

    Das ist sehr treffend gesagt. Und genau das hat Wagner mit der Zweitveröffentlichung seines Textes kalkuliert. Das zeigt sehr schön das Problem!

    manchmal muss sich auch einer der Toleranz und Humanismus auf seiner Fahne vor sich trägt und ich bemühe mich wirklich darum, diese Ideale wenigstens einiger Maßen zu erfüllen, schämen. Denn es gibt auch eine kollektive Scham. In diesem Sinn, Entschuldigung, Verständnis und Gruß an Deine Frau.

    Das ehrt Dich, lieber Operus. Das gebe ich gerne weiter! :hello:

    Selbstzerstörung ist für mich ein schleichender Prozess, der in recht harmloser Art beginnen und auch ohne Komplettaufgabe enden kann.

    Lieber Nemorino,


    als Fachphilosoph habe ich mich mit dieser Denkfigur beschäftigt - das ist eine kultuphilosophische Betrachtung. Genau da liegt das Problem - wie auch bei der Diskussion um entartete Kunst. Wagner behauptet, dass das Judentum keine wirklich bdeutende Kunst zustandebringen kann, weil es an keine Nationalkultur gebunden sei. Das Ergebnis ist daher nur minderwertiger Art. Und schlimmer noch: Weil das "Jüdische" der deutschen Nationalkultur fremd sei und bleiben müsse, kann es diese ja nur schädigen, zerstören, wenn es aus dieser nicht ferngehalten wird. Das ist eine Denkstruktur, die eben in der Konsequenz zur totalitaristischen "Säuberung" führt. Und genau so ist Wagners Schrift auch rezipiert worden. Das ist kein "Missbrauch", sondern schlicht die Wirkungsgeschichte einer fatalen Geisteshaltung.

    Ich will auch absolut nicht Wagners Schrift "Das Judentum in der Musik" verteidigen, aber mich ärgert immer, wenn, nicht nur bei Komponisten, sondern auch bei ausführenden Künstlern, so sehr auf deren vermeintlicher oder realer Verquickung mit dem Dritten Reich herumgeritten wird, daß ihre eigentliche Bedeutung dadurch total in den Hintergrund gerät.

    Die Gefahr besteht aber bei Wagner nun wirklich nicht.

    Die unheilvolle Verbindung zwischen dem Bayreuther Wagner-Clan und Hitler hat zudem noch als "Teilchenbeschleuniger" gewirkt. Nur kann man dafür Richard Wagner nicht persönlich verantwortlich machen, so wenig wie Karl May daran schuld ist, daß er der Lieblingsautor des Führers war.

    Um persönliche Verantwortung geht es nicht, aber um die Denkstrukturen, die Wagner in die Welt gesetzt, seine "Bedeutung" dabei kulturpolitisch gezielt ausnutzend.

    Ist es dagegen verbürgt, daß Hitler Wagners Pamphlet "Das Judentum in der Musik" überhaupt gelesen hat?

    Ich glaube schon. Das ist auch nicht entscheidend. Denn zum NS gehört der "Stürmer" und eine kulturpolitische Propaganda, die sich vielfach auf Wagners Schrift bezogen hat. Jens Malte-Fischer zitiert eine Polemik gegen Max Reinhardt, die Wagners Text bis in den Wortlaut hinein paraphrasiert.


    In den 20iger und 30iger Jahren wäre es völlig undenkbar gewesen, dass ein "Jude" in Bayreuth inszeniert. Wenn Bayreuth heute genau das macht mit Kosky, dann ist das finde ich aller Ehren wert.


    Schöne Grüße
    Holger

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