"Che farò senza Euridice" (Gluck, Orfeo ed Euridice)

  • Der Text:

    Folgende deutsche Übersetzung habe ich gefunden (ich kann sie nicht überprüfen):

    Hier eine Aufnahme mit Andreas Scholl:


    Wie versteht ihr es, dass die Musik zumindest auf den ersten Blick gar nicht zum Text passt, weil sie nicht tief traurig klingt?

  • Der Text:

    Folgende deutsche Übersetzung habe ich gefunden (ich kann sie nicht überprüfen):

    Wie versteht ihr es, dass die Musik zumindest auf den ersten Blick gar nicht zum Text passt, weil sie nicht tief traurig klingt?

    Ich finde schon, daß Text und Musik zusammen passen, vor allem wenn es so wohlklingend und ausdrucksstark interpretiert wird, wie hier:


    https://www.youtube.com/watch?v=8Okcd21d5tg


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich kann eigentlich auch nicht sagen, dass Musik und Text in dieser Arie nicht zusammenpassen. Ich glaube, das ist auch eine Sache des persönlichen Empfindens.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich finde, dass die Musik sehr wohl traurig klingt - schön und traurig schließen einander ja auch nicht aus. Andreas Scholl gehört zu meinen Lieblingsinterpreten der italienischen Erstfassung, die bekanntlich für einen Altkastraten geschrieben wurde. Schon deswegen geht Pavarotti für mich hier gar nicht, von anderen Einwänden mal ganz abgesehen. (Und nein, ich habe nichts gegen Pavarotti im allgemeinen, bei Verdi und Puccini höre ich ihn sehr gerne, aber nicht bei Gluck.)

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Wie versteht ihr es, dass die Musik zumindest auf den ersten Blick gar nicht zum Text passt, weil sie nicht tief traurig klingt?

    Ich verstehe, was du meinst. Die tragische Verzweiflung in klassischem Moll war ja beim unmittelbaren Verlust der Eurydice im 1. Akt komponiert (seine verzweifelten "Eurydike"-Rufe, womit seine Partie beginnt). Im 2. Akt ging er dann förmlich durch die Schrecken der Unterwelt (Hölle), musste alles geben, um die Furien zu besänftigen, dann der "Kampf" mit Eurydike - und nun, an diesem Punkt im 3. Akt, wo es scheinbar keine Hoffnung mehr auf ein Happy End gibt, klingt sein Gesang plötzlich irgendwie abgeklärt und beinahe überirdisch schön (Moll taucht nur noch kurz auf und wird bald in Dur zurückgeführt). Die Qualen scheint er schon hinter sich zurückgelassen, abgestreift zu haben, er hat hier eigentlich schon mit seinem irdischen Dasein abgeschlossen, weil er weiß, dass dies ohne seine geliebte Gattin für ihn unmöglich oder zumindest sinnlos ist. So würde ich diese "edle" Musik von Gluck an dieser Stelle der Oper interpretieren. Und letztlich trägt auch diese Arie (wenn auch nicht ausschließlich) dazu bei, dass sich Amor erbarmt und doch noch mal eingreift, um ein kaum mehr für möglich gehaltenes "Lieto fine" zu ermöglichen.


    Im Übrigen habe ich diese Arie auch von Pavarotti gerne gehört, auch wenn ich in der Pariser Fassung, die ja für einen Tenor entstand, letztlich doch Simoneau vorziehe.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Im Übrigen habe ich diese Arie auch von Pavarotti gerne gehört, auch wenn ich in der Pariser Fassung, die ja für einen Tenor entstand, letztlich doch Simoneau vorziehe.


    Wenn wir über die französische Fassung reden, die den Pariser Gepflogenheiten entsprechend für den "Orphée" einen Haute-Contre vorsieht (was Pavarotti doch wohl auch nicht ist, ganz abgesehen davon, dass er Italienisch singt), dann schicke ich mal David Hobson ins Rennen, der wahrscheinlich dieser Stimmlage relativ nahe kommt:


    https://youtu.be/L5TTiPq0o7c?t=5345

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Also dieser Originalsprachenfanatismus einiger treibt schon kuriose Blüten: ein Countertenor darf die Wiener Fassung nur in italienischer Originalsprache singen, aber wehe, wenn ein Tenor die Pariser Fassung nicht in französischer, sondern auch in italienischer Sprache singt, obwohl das die Sprache ist, auf die diese Musik ja weitestgehend (denn so gravierend sind die Unterschiede ja zum Beispiel bei dieser Arie nun nicht, wenn man vom anderen Schluss absieht) komponiert wurde. Aber szenisch ist dann für die gleichen Leute grundsätzlich alles möglich... :no:


    Letztlich kann man populären Sänger wie Pavarotti oder auch Domingo, der 1993 sein Berliner Waldbühnenkonzert mit der Arie des Sextus aus Händels "Julius Cäsar" eröffnete, nicht dankbar genug sein, dass die ab und an auch solche Sachen sangen und aufnahmen, die nicht ihrem Kernrepertoire entsprachen, die dadurch aber Opernfreunde zum Hören dieser Musik brachten, die sich ansonsten nie etwas anderes als Verdi und Puccini angehört hätten. Im Fall von Pavarottis Orfeo-Arie dürften dies Tausende, wenn nicht Millionen gewesen sein, die mit dieser Arie erstmals durch ein Pavarotti-Arienalbum in Berührung kamen. Ich bin jedenfalls dankbar dafür, dass die das gemacht haben, und käme niemals auf die Idee, mich darüber zu mokieren.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • aber wehe, wenn ein Tenor die Pariser Fassung nicht in französischer, sondern auch in italienischer Sprache singt,


    Mein Haupteinwand gegen die verlinkte Pavarotti-Darbietung ist nicht was er singt, sondern wie er es singt.



    Aber szenisch ist dann für die gleichen Leute grundsätzlich alles möglich...


    Dafür halten es die RT-Gegner genau umgekehrt: Szenisch muss es buchstabengetreu dem Libretto entsprechen, aber bei der Musik darf man sich alle möglichen Freiheiten erlauben. Das Leben ist voller Widersprüche :D


    Letztlich kann man populären Sänger wie Pavarotti oder auch Domingo, der 1993 sein Berliner Waldbühnenkonzert mit der Arie des Sextus aus Händels "Julius Cäsar" eröffnete, nicht dankbar genug sein, dass die ab und an auch solche Sachen sangen und aufnahmen, die nicht ihrem Kernrepertoire entsprachen, die dadurch aber Opernfreunde zum Hören dieser Musik brachten, die sich ansonsten nie etwas anderes als Verdi und Puccini angehört hätten.


    Mag sein, aber sie sind leider oft mit einer verfälschten Fassung der Musik in Berührung gekommen, wenn Kastraten-Rollen zum Beispiel heruntertransponiert von einem Bariton gesungen wurden. Man kann nun sagen: Besser als nichts, immerhin ein erster Schritt, um sich dieser Musik anzunähern. Aber ich wüsste nicht, warum ich mir heute noch so etwas anhören sollte, wenn ich es näher am Original haben kann.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Dafür halten es die RT-Gegner genau umgekehrt: Szenisch muss es buchstabengetreu dem Libretto entsprechen, aber bei der Musik darf man sich alle möglichen Freiheiten erlauben. Das Leben ist voller Widersprüche :D

    Ja, das stimmt, das ist es wohl. Ich bin hier in den letzten Jahren eher moderater geworden und akzeptiere, dass es musikalisch wie szenisch mehrere akzeptable Möglichkeiten geben kann, wenn auch nicht jede Möglichkeit akzeptabel ist. Kupfers Gluck-"Orpheus" mit Kowalski an der Komischen Oper, das war für mich gardezu die Inkarnation gelungenen zeitgenössischen Musiktheaters, obwohl bei einigen Szenen Fragen blieben. Eine "klassiche" Inszenierung dieser Oper habe ich freilich nie gesehen.



    Mag sein, aber sie sind leider oft mit einer verfälschten Fassung der Musik in Berührung gekommen, wenn Kastraten-Rollen zum Beispiel heruntertransponiert von einem Bariton gesungen wurden.


    Letztendlich ist der Verzicht auf die originale Stimmlage, nämlich die Kastratenstimme dann immer "Verfälschung", egal, ob es dann von einem Mezzo, Counter, Tenor oder Bariton gesungen wird. Aber dass gerade dir diese Vokabel "verfälscht" bezüglich des Musikalischen so leicht über die Lippen bekommst, die du so sehr kritisierst, wenn "Gerhard Wischniewski" sie in Zusammenhang mit Inszenierungen gebraucht, finde ich sehr bemerkenswert. Aber wie du schon sehr richtig erkannt hast: Das Leben ist voller Widersprüche! :thumbsup:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Kupfers Gluck-"Orpheus" mit Kowalski an der Komischen Oper, das war für mich gardezu die Inkarnation gelungenen zeitgenössischen Musiktheaters, obwohl bei einigen Szenen Fragen blieben.


    Diese Aufführung kenne ich nur von der DVD-Aufzeichnung und beurteile sie genauso wie Du. Im Juni sehe ich den "Orfeo" in Paris, ich bin gespannt und voller Vorfreude.


    Letztendlich ist der Verzicht auf die originale Stimmlage, nämlich die Kastratenstimme dann immer "Verfälschung", egal, ob es dann von einem Mezzo, Counter, Tenor oder Bariton gesungen wird.


    Klar, aber man kann versuchen, so nahe wie möglich heranzukommen.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Zitat von »Stimmenliebhaber«
    Letztendlich ist der Verzicht auf die originale Stimmlage, nämlich die Kastratenstimme dann immer "Verfälschung", egal, ob es dann von einem Mezzo, Counter, Tenor oder Bariton gesungen wird.



    Klar, aber man kann versuchen, so nahe wie möglich heranzukommen.

    Das stimmt, das kann man versuchen, hier (bei der Stimmlage) wie dort (bei der Szene). ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"