Claude Debussy: Klavierwerke

  • Hallo,


    ich beginne mal mit dem 10. Prélude aus dem 1. Band: La cathédrale engloutie. Dieses Stück hat mir von Anfang an sehr gefallen mit seiner dynamischen Entwicklung und den Akkordfolgen sowie dem repriseartigen Schluss mit dem Bass-Ostinato. Ich habe mit großem Enthusiasmus die Ausführungen Khampans zur Auslegung des Notentextes (Erstausgabe bei Durand) und den diversen Eindpielungen inclusive der Klavierrolle Debussys hier gelesen.


    Von den zur Zeit auf CD mir zur Verfügung stehenden Aufnahmen (inklusive Moravec), welche ich oben aufführte, verteilen sich die Interpretationen folgendermaßen:


    Entsprechend Debussys Klavierrolle und den korrigierten Ausgaben, also richtig:


    Alfred Cortot
    Michel Béroff
    Maurizio Pollini
    Alexei Lubimov


    Wörtlich nach der Durand-Ausgabe und damit 'falsch':


    Arturo Benedetti Michelangeli
    Ivan Moravec
    Youri Egorov


    Nun muss ich sagen, dass die drei mit der 'falschen ' Auslegung ' ihre Sache sehr gut machen. Insbesondere Benedetti Michelangeli und Moravec überzeugen referenzartig mit ihren klanglichen Möglichkeiten. Egorov, zu dem in diesem Forum nichts zu finden ist, war ein junger exzellenter russischer Pianist, welcher früh an AIDS verstarb. Seine GA der Préludes ist sehr fein und empfehlenswert. Bei der cathédrale tut er sich mit der wörtlichen Auslegung der Durand-Ausgabe tatsächlich schwer.


    LG Siamak

  • Im Debussy-Jahr gibt es einige faszinierende neue Klavieraufnahmen:


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    Bei der Barenboim-Aufnahme fällt zunächst auf, dass er die Preludes (Heft 1) bereits 1998 aufgenommen hat. Die Estampes jedenfalls sind faszinierend, Barenboim spielt hier nicht den üblichen Mischklang, sondern unterscheidet viel mehr zwischen den Haupt- und Nebenstimmen. Letztere sind viel leiser im Hintergrund. Ich habe PAGODES jetzt mehrmals gehört und kann nicht genug davon bekommen. Die Preludes scheinen mir im Vergleich dazu konventionneller, aber ich habe auch erst kurz reingehört. zu Barenboim würde mich die Meinung der Spezialisten interessieren!


    Viele Grüße
    Christian

  • Lieber Christian,


    ganz zuletzt habe ich mir diese Box zugelegt, nachdem ich mich mit seinem Chopin beschäftigt habe :) :



    Barenboim habe ich leider nicht - bei den Hörschnipseln überzeugen mich die Preludes auch nicht. Deswegen werde ich sie mir wohl nicht als Hochpreis-CD kaufen - Pollini natürlich, das demnächst erscheinende Heft 2 der Preludes. Die photogene junge Dame sagt mir bislang gar nichts... :D :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Die Estampes jedenfalls sind faszinierend, Barenboim spielt hier nicht den üblichen Mischklang, sondern unterscheidet viel mehr zwischen den Haupt- und Nebenstimmen. Letztere sind viel leiser im Hintergrund. Ich habe PAGODES jetzt mehrmals gehört und kann nicht genug davon bekommen.

    Lieber Christian,


    das wird daran liegen, dass er hier seinen neuen Maene-Flügel bei der Aufnahme verwendet hat.


    Das Hammerklavier als moderner Konzertflügel. Daniel Barenboims Maene-Flügel


    Der hat durch die Längsbesaitung und nicht überkreuzende Besaitung einen Register- und nicht Mischklang. Die Hörschnipsel hören sich für mich so an - ein Steinway-Bass ist das jedenfalls nicht. Steht dazu etwas im Booklet? :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich höre ja nur noch über itunes und habe das Booklet leider nicht. Die Aufnahme mit dem Maene Flügel kenne ich, aber Barenboim unterscheidet sich hier vor allem durch die Spielweise. Das ist sehr vielschichtig und ungewöhnlich, vor allem bei den Estampes. Ich lasse Dir das zukommen und bin gespannt auf Deine Meinung.


    Viele Grüße
    Christian

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  • Das ist mit Bestimmtheit der Maene-Flügel. Da ich das Stück selber gespielt habe, habe ich mir also den Notentext genommen und gehört. Der Bass des Maene-Fkügels ist enorm suabert, so dass die Durchhörbarkeit sehr gut ist. Debussy kann man auf diesem Instrument sehr gut spielen.


    Die Interpretation ist allerdings - um es vorsichtig zu sagen - etwas eigenwillig. Barenboim geht sehr frei mit dem Notentext um - macht z.T. gerade das Gegentei, was Debussy als Spielanweisung gibt.


    Schon der Beginn ist im Ton etwas zu kräftig. Das ist nicht pp, sondern p. Weiter schreibt Debussy sehr genau vor, wann das Ritardando zu machen ist und wann der Interpret in a tempo zurückgehen soll. Daran hält sich Barenboim so gar nicht, sondern macht ausgiebige Rubatos und altmodische Verschleifer, so als hieße der Komponist nicht Debussy, sondern Franz Liszt. Dort wo in der rechten Hand die Oktaven kommen, ist er einfach viel zu laut. Da steht p, Barenboim spielt mf (Mezzoforte) und auch wieder sehr extreme Rubatos. Wo Debussy eine Tempobeschleunigung notiert, macht er sie nicht. Sehr seltsam, dass Barenboim bei den Quarten-Triolen des Tempo raus nimmt und dann die folgende Passage im Zeitlupentempo spielt. Da steht aber von Debussy Sans lenteur ("ohne zu schleppen") - Barenboim schleppt da was das Tempo angeht, wie es schleppender nicht mehr geht. Die Tempobelebung am Schluss dagegen fällt bei ihm völlig aus. Insgesamt finde ich bei Barenboim die Tempodramaturgie sehr eigenwillig. Wenn man es anders macht als es im Notentext steht, sollte es zumindest schlüssig sein. Das ist es aber bei Barenboim dann doch nicht.


    Dieses Stück heißt "Pagodes". Interpretatorisch braucht es da für meinen Geschmack eine zeremonielle Strenge. Die fehlt bei Barenboim - mir ist das zu sehr "gelisztet" rhapsodisch. Die für mich maßstabsetzende Aufnahme ist immer noch Svjatoslav Richters Mitschnitt aus Italien 1960 (DGG).


    Nun höre ich die anderen Stücke! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das ist ja interessant, was Du schreibst! So gut kenne ich dieses Stück nicht, hier habe ich keine Noten. Wahrscheinlich sind es zum einen diese Abweichungen, die mir intuitiv gefallen und mich das Stück wie neu hören lassen, zum anderen ist es aber die Behandlung der Nebenstimmen und des Klangs. Die meisten Pianisten unterscheiden nicht so stark wie Barenboim, der die Hauptstimme und auch deren Dissonanzen prägnanter herausarbeitet, die typische wellenartige Begleitung hingegen stärker zurücknimmt. Da haben sich für mich neue tonale Zusammenhänge ergeben. Auch setzt Barenboim das Pedal sparsamer ein, es entsteht eben nicht dieser typische pedallastige Debussy-Klang. Und trotzdem klingt es - zumindest für mich - fantastisch. Ich gestehe ihm seine Freiheiten jedenfalls gerne zu und meine, dass so eine persönliche, besondere Aufnahme nur ein großer Künstler zustande bringt.


    Viele Grüße
    Christian

  • Lieber Christian,


    wo man das, was Du meinst, am besten nachvollziehen kann für meinen Geschmack, ist beim zweiten Stück "Soiree dans Grenade". Da gibt es im Notentext z.T. drei Notensysteme, d.h. von daher ist schon der Registerklang erkennbar. Und das gelingt auf dem Maene-Flügel einfach sehr gut. Eine Kuriosität: Wo Debussy "Tres rhythme" schreibt, erst zwei Takte mf und 3 Takte später erst ff, donnert Barenboim gleich fff. Die beste Interpretation ist und bleibt allerdings Debussy selbst (Welte Mignon). ;)


    Wo mir der Flügel gar nicht gefällt - viel zu basslastig und plump wirkt - ist dagegen bei "Jardin sous la pluis". Das hört sich so an, als wäre jemand über ein duftig-atmosphärisches Monet-Gemälde mit dem schwarzen Pinsel drübergegangen.


    Das späte Klavierstück ist toll!


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Lieber Christian,


    hör Dir mal Samson Francois mit den "Estampes" an. Das ist was die "satztechnische" und weniger impressionistische Betonung angeht Barenboim sehr ähnlich. Auch er macht in "Pagodes" zwei völlig unverständliche Tempoverschiebungen, die wohl nur er versteht. :D Und "Jardins sous la pluis" ist auch bei ihm sehr kräftig im Ton.


    Jetzt muss ich ich aber Monique Haas hören zum Abschluss... :D


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Nach dem Wiederhören der "Estampes" wird meine Verehrung für die große französische Pianistin nur bestätigt. Sie gehört zu dem erlesenen Kreis von Interpreten, der wirklich begriffen hat, worum es bei Debussy geht. Eine wirklich zeitlos-gültige Aufnahme und absolut unverzichtbar. Debussy tatsächlich als moderner Komponist. Was da passiert auf dem Klavier, darüber müsste man Romane erzählen. So ähnlich wie sie würde ich heute Pagodes spielen. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hier kann man die Noten mitlesen:



    Auch Pascal Roge hält sich nicht genau an die von Debussy sehr minutiös notierten Tempoveränderungen (Sans lanteur!). Sonst ist das gut gespielt - allerdings auch ein bisschen glatt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    konnte nur kurz reingehören: Monique Haas spielt mir zu schnell, sie geht den feinen Schattierungen und tonalen Rückungen auch nicht so nach. Das ist mir zu klassich und zu glatt. Die Aufnahme von Richter ist großartig, es gibt aber auch eine-Live-Aufnahme aus Salzburg, die bei Orfeo erschienen ist, kennst Du die? Legendäres Recital. Danke für den Link zu den Noten.



    Viele Grüße
    Christian

  • Lieber Holger,


    konnte nur kurz reingehören: Monique Haas spielt mir zu schnell, sie geht den feinen Schattierungen und tonalen Rückungen auch nicht so nach. Das ist mir zu klassich und zu glatt. Die Aufnahme von Richter ist großartig, es gibt aber auch eine-Live-Aufnahme aus Salzburg, die bei Orfeo erschienen ist, kennst Du die? Legendäres Recital. Danke für den Link zu den Noten.


    Lieber Christian,


    die Richter-CD habe ich! :) Ich bin natürlich auch geprägt von Richters Langsamkeit. Monique Haas spielt aber genau das Tempo der klassischen Debussy-Einspielung schlechthin, nämlich der von Walter Gieseking. Und das macht auch Sinn: Gieseking betont nämlich den großen Bogen, der im Notentext erkennbar ist durch das Ritardando am Schluss, das Debussy jeweils notiert. Spielt man das sehr langsam, geht das natürlich verloren.


    Gieseking spielt die "Valeurs" - denn er verkörpert die "impressionistische" Sicht in besonderer Weise. Genau davon rückt Monique Haas ab. Sie stand nämlich der "Groupe des Six" nahe, deren Wortführer Jean Cocteau war. Der hatte eine betont impressionistisch-kritische Einstellung. Seine Devise war: "Musik ohne Sauce!" Die Impressionismus-Rezeption ist nicht zufällig auch in der Musikwissenschaft so gelaufen, dass man ihn als eine energetische "Entspannung" interpretiert hat: Die Emanzipation des Klanges geht - so diese Sicht - auf Kosten der Bewegung und der energetischen Züge der Musik. An die Stelle der Bewegung tritt eine spannungslose Flächigkeit von Valeurs. Genau da geht Monique Haas in die genau entgegengesetzte Richtung. Sie entdeckt - mit Wassiliy Kandinsky - dass Klang "innere Bewegung" ist und spielt statt "Valeurs" Linie. Unglaublich, wie sie die Repulsionskräfte zwischen den ersten beiden Akkorden hörbar werden lässt! Bei Monique Haas hört man die Bewegungen, Spannungen, Gegenbewegungen auf kleinstem Raum, die Rhythmik, und dann hat sie einen großen Spannungsbogen, einen kontinuierlichen Spannungsaufbau, der sich an den Fortissimostellen entlädt. Dazu kommt eine strukturalistsche Klarheit, die Ihresgleichen sucht. Von daher finde ich diese Aufnahme wirklich singulär - wie übrigens auch ihre "Mirroirs" von Ravel in derselben Hinsicht. :hello:


    Ich werde heute Nachmittag mal schauen, ob ich eine Aufnahme von Cortot finde in der großen Box. Der ist nämlich auch hörbar von Cocteau beeinflusst - spielt Debussy deshalb auch schon mal sehr trocken, wo man es gar nicht erwartet. :D


    Jetzt muss ich mit dem Bus nach Nordkirchen gurken, weil kein Zug fährt wegen des Sturms gestern.


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Monique Haas spielt mir zu schnell, sie geht den feinen Schattierungen und tonalen Rückungen auch nicht so nach. Das ist mir zu klassich und zu glatt.

    Ich zitiere das nochmals, lieber Christian, weil mir gerade beim Wiederhören der Richter-Aufnahme aus Salzburg etwas aufgefallen ist. Da steht nämlich bei Debussy schon als Spielanweisung in Takt 3 délicatement et presque sans nuances. (= fast ohne Nuancen) Richter spielt das denn auch sehr statisch. Es zeigt, dass Debussy hier durchaus nicht ein impressionistisches Fest von Valeurs haben wollte.


    Eine wirklich sehr poetische Aufnahme ist die von Sergio Fiorentino (RAI 1962):



    durchaus frei, aber sehr organisch natürlich und pianistisch exzellent. Er nimmt den Fortissimo-Passagen die Gewalt, spielt eher dezentes Mezzoforte und schmuggelt in der ersten Phrase der rechten Hand einen Schlusston ein. Eine wirklich schöne Aufnahme.


    Wahrlich vorbildlich notentextgenau spielt Claudio Arrau - aber ebenfalls sehr Arrau-eigen und hoch poetisch - auch hat er Sinn für die Rhythmik der Figuren, schon zu Beginn:



    Svjatoslav Richters Aufnahme aus Salzburg ist wirklich etwas sehr Besonderes:



    Das ist die typische gedankliche Strenge von Richter, die zu "Pagodes" einfach wunderbar passt. Bemerkenswert auch der Schluss mit den rasenden Triolen und Quintolen. Fiorentino und selbst Arrau spielen das hochvirtuos etwas undifferenziert herunter, bei Richter hört man ungemein sorgfältig die rhythmischen Strukturen - sonst findet man die nur noch (freilich nicht so intensiv) aufgelichtet bei Monique Haas.


    Walter Gieseking versteht es, die dramatischen Momente des Stückes nicht in impressionistischer Klang-Statuarik erstarren zu lassen, behält aber den idiomatischen Debussy-Ton. Monique Hass hatte ich schon besprochen. Sie spielt ein nahezu einheitliches Grundtempo und lässt die Wiederholungen zu solchen die Spannungen intensivierenden Verdichtungen werden. Alles wirkt ungemein natürlich.


    Welche Aufnahmen mir nicht gefallen: Emil Gilels von 1954. Das ist zwar pianistisch märchenhaft, geht aber an Debussy einfach vorbei. Das klingt nach einer Musik irgendwo zwischen Liszt und Prokofieff. Schade, dass es keine späte Aufnahme von ihm gibt wie von Pour le Piano - was wirklich eine exemplarische Interpretation ist. Auch mit Rafal Blechacz kann ich weniger etwas anfangen. Das klingt mir zu sehr nach rhapsodischem Liszt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ganz aufschlussreich an diesem Artikel finde ich, dass er auf die Struktur der Gamelan-Musik hinweist:


    http://www.jochenscheytt.de/de…debussywerke/pagodes.html


    Debussy hat sich offenbar davon inspirieren lassen: ganz oben bei den hohen und hellen Tönen die schnellen Bewegungen, in der Mitte die mäßig bewegten und unten im dunklen Bass gibt es eine Art liegenden Orgelpunkt.


    Im Wikipedia-Artikel findet sich auch noch ein interessanter Hinweis:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Gamelan


    Die interpunktierenden oder kolotomischen Instrumente. Sie kennzeichnen bestimmte Abschnitte eines Stücks und geben dabei die Struktur an. Der größte hängende Gong (gong ageng) markiert Anfang und Ende eines Stücks und längere Abschnitte.


    Auch das kann man gut nachvollziehen. Am Ende eines Abschnitts kommt bei Debussy jeweils ein Ritardando und dann ein Gongschlag im Bass zu Beginn des neuen Abschnitts.


    Der Bezug auf Gamelan-Musik erklärt letztlich auch das sans nuances: Es handelt sich ja um Gongs, also Schlaginstrumente!



    Die Gongs kommen dann auch in den Preludes vor, z.B. Des pas sur la neige. Die Spielanweisung sans nuances findet sich zudem in Debussys wohl berühmtesten Prelude La cathedrale engloutie. Auch da geht es bezeichnend um Glockentöne - die der versunkenen Kathedrale.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich habe leider garade nicht die Zeit, mich in das Thema zu vertiefen. Monique Haas mag ja notengetreu spielen, aber das reicht bei Debussy nicht, finde ich, da kommt es schon auch auf die Klangentfaltung an - und die finde ich bei ihr eher bescheiden. Richter ist da ein ganz anderes Kaliber, faszinierend auch sein wirklich sehr langsames Tempo. Von der Artikulation erinnert mich Barenboim übrigens ein bisschen an Arrau. Beiden gelingt es, dem absteigenden Motiv eine fast schon zärtliche Gestalt zu verleihen, so zumindest die Wirkung auf mich. Barenboim widmet sein neues Youtube-Video übrigens "Pagodes":



    Viele Grüße
    Christian

  • Monique Haas mag ja notengetreu spielen, aber das reicht bei Debussy nicht, finde ich, da kommt es schon auch auf die Klangentfaltung an - und die finde ich bei ihr eher bescheiden.

    Lieber Christian,


    da hast Du jetzt Arrau und Monique Haas verwechselt in puncto "notentreu". :D Monique Haas hat schon eine sehr eigene Sicht - habe ich ja auch beschrieben. Leider ist die Aufnahmetechnik speziell bei den "Estampes" in der Erato-Aufnahme sehr bescheiden - dafür kann Monique Haas natürlich nichts. Da ich alle Debussy/Ravel-Aufnahmen von ihr habe (auch die bei der DGG), kann ich sagen, dass bei ihr die Klangentfaltung eigentlich nie etwas zu wünschen übrig lässt. Barenboim hat natürlich den Vorteil der modernsten Aufnahmetechnik.


    Ich habe übrigens in meiner Sammlung geschaut, dass ich noch einige interessante Aufnahmen habe: Alexis Weissenberg, Michel Beroff, Paul Crossley auf einem Bösendorfer und auch noch meinen Lehrer auf einem Bösendorfer-Imperial. Cortot gibt es leider nicht. Ich werde auch nochmals die beiden Richter-Aufnahmen vergleichen.


    Arrau romantisiert an manchen Stellen schon ein bisschen wie an der Stelle, wo "sans lenteur" steht - aber insgesamt finde ich das interpretatorisch viel überzeugender als Barenboim. Barenboim hat nicht wirklich ein klares Konzept - entweder hangelt er sich von einem Einfall oder einer Verlegenheit zur nächsten. Bei den "Preludes" - ich habe gestern bis Des pas sur la neige gehört, ist wirklich überall irgendwo der Wurm drin. :D


    Ein schönes Wochenende wünschend
    Holger

  • Ich werde mir in den nächsten Tagen noch die Aufnahmen von Thibuadet und Ciccolini anhören. Beide habe ich bereits mit DEbussy live gehört, bei Ciccolini hatte ich leider keinen guten Platz, aber sein federndes, kristallines Spiel war bezaubernd. Und Thibaudet ist ja einer der ganz großen Debussy-Interpreten. Ein großer Stillist, der aber auch den Humor der Stücke zu erzählen weiß. Sein Recital vor einigen Jahren in München war famos, ich würde ihn gerne wieder einmal hören. Und dann gibt es auch noch eine frühe Aufnahme von Arrau:


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  • Lieber Christian,


    da bringst Du mich auf was: Sammlerleid - ich weiß gar nicht mehr, was ich habe. :D Ich habe ja die Arrau-Box mit den kompletten RCA und Columbia-Aufnahmen:



    Ich meine auch, dass ich die "Estampes" von ihm damals in der Tonhalle Düsseldorf hörte (wenn ich sie nicht in der Erinnerung mit Pour le piano verwechsle). Das habe ich als einen beeindruckenden, ungemein farbigen Vortrag im Gedächtnis.


    Thibaudet ist eigentlich ein klassischer Vertreter der französischen Pianistenschule - das leichte, brillante und elegante Spiel, technisch perfekt. Seinen Debussy habe ich aber nicht - wohl aber die Mendellssohn-Konzerte.


    Geestern habe ich noch bei Youtube eine interessante Entdeckung gemacht: Robert Casadesus. Er war (mit seiner Frau Gaby, sie bildeten ein damals berühmtes Klavierduo) mit Maurice Ravel befreundet und machte die erste Gesamtaufnahme seiner Klavierwerke. (Die CDs habe ich natürlich.) Er ist eine französische Pianistenlegende, aber galt eigentlich als "untypischer" französischer Pianist mit seinem eher uneleganten, großen, vollen und runden Ton, seiner deutschen Klarheit. Und er war u.a. Lehrer von Monique Haas, die auch - für Franzosen untypisch - einen gar nicht französisch-leichten, sondern großen runden Ton hat. Wenn Du Dir "Pagodes" mit Casadesus anhörst, ist die große Ähnlichkeit zwischen Lehrer und Schülerin unverkennbar. Casadesus spielt das ungemein geradlinig und glasklar ohne jegliches Parfum - er ist eine halbe Minute schneller als Monique Haas. (Hast Du den Casadesus-Debussy als Download?)



    Und noch eine Entdeckung. Percy Grainger war eine schillernde Persönlichkeit - ein sehr guter Pianist und auch Komponist. Er machte von "Estampes" eine Orchestrierung, wo er anders als Caplet das Gamelan-Orchester integrierte. Das finde ich hoch interessant, weil das aus der Perspektive einen Pianisten gemacht ist. Man sieht da sehr schön, wie Debussys Klavierstück in der Imagination von Gamelan-Musik klingt. Die Aufnahme ist von Simon Rattle - habe ich auch auf CD:



    Zu hören ist das bei Youtube:



    Einen schönen Sonntag wünscht :)
    Holger

  • Heute habe ich - trotz Zeitmangel auch am Sonntag - kurz in drei Aufnahmen reingehört:


    Zunächst Alexis Weissenberg:



    Das ist eine absolute Top-Aufnahme! Weissenberg at his best: klangschön, formbewusst und zugleich mit Biss, ohne jedoch zu übertreiben. Am Schluss spielt er die Bassoktaven butterzart fast unhörbar - da muss ich demnächst mit der Erstanlage nachhören. :)


    Dann Michel Beroff:


    Zu Beginn denke ich: Das ist aber doch etwas manieriert. Aber dann verstummen die Einwände. Michel Beroff spielt das mit einer entwaffenden Freizügigkeit, einfach hoch musikalisch und äußerst klangsensibel. Nichts für Notentexttreue-Beckmesser freilich, aber mit der richtigen Intuition für Debussy: Debussy war ja ein Freigeist und Nonkonformist. Irgendwie dachte ich mir: Michel Beroff war eine Zeit lang der Lebenspartner von Martha Argerich. Ob er sich wohl den intuitionistischen Stil der Argerich zum Vorbild genommen hat? Die Aufnahme zeigt jedenfalls, was für ein großartiger Pianist er war bzw. ist. Ich hörte ihn in der Düsseldorfer Tonhalle noch vor seiner Erkrankung mit Beethoven und Strawinskys "Petruschka"! Was für ein Abend war das damals!


    Zum Schluss Claudio Arrau (Columbia): Wunderbar! Das ist noch organischer als die spätere Philips-Aufnahme. Beide muss ich also noch ausgiebig vergleichen.


    Beim Kaffee erzähle ich dann heute meiner Frau, dass ich damals während meiner Wuppertaler Studienzeit oben in den Übezimmern des Fachbereichs Musik die rasenden Läufe der Coda von "Pagodes" übte, die Tür aufging und ein Musikstudent hereinkam, weil ihm das gefiel. Heute mit meinen "eingerosteten" Fingern kriege ich das natürlich nicht mehr hin. :D Meine Frau meinte nur: Du musst Dir endlich ein elektronisches Klavier zum Üben kaufen. Ausgerechnet am Samstag in der Münsteraner Einkaufspassage gab es eine Vorführung mit solchen. Also wenn dies das Ergebnis ist, bin ich hoch zufrieden! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ach, hätten wir Menschen doch drei paar Ohren mit den passenden Gehirnen dazu.... Wenigstens.


    Wir könnten soviel mehr hören und darüber sprechen.


    Ich habe einige Zeilen zur DG Pollini- CD 12 Etudes und Berg, Sonate op. 1 zu Papier - sagt man zu Taste ? - gebracht. Die Etudes liebe ich von Tag zu Tag mehr. Will es bald fertig hören / schreiben.


    Oder renne ich damit in diesem Thread offene Türen ein ? (hab mir erlaubt, nicht alle Posts durchzugehn)


    Freundlichst
    D.


  • Was man Aldo Ciccolini zugute halten muss, ist sein italienischer Formsinn: Man hat zu Beginn die Anmutung einer Vordersatz-Nachsatz-Struktur. Was mir bei der Aufnahme dann doch nicht gefällt ist ihre etwas geheimnislose Positivität. Bei der Mittelstimme notiert Debussy als Akzent einen Strich, wo ich im Klavierunterricht gelernt habe, dass dies wie ein Cellostrich zu nehmen ist - also breit und sonor zu spielen und nicht scharf oder spitz. Das ist mir bei Ciccolini zu hölzern. Glockenschläge, wenn man sie denn imaginiert, klingen nicht so trocken, sondern haben Resonanz zum Ausschwingen. Auch in der Folge (z.B. bei den Pianissimo-Quarten) ist die Mittelstimme einfach viel zu laut dem Diskant gegenüber.



    Durch diesen Mitschnitt aus Italien Anfang der 60iger (die Platte bekam damals den "Deutschen Schallplattenpreis" wie auch den "Edison-Preis" aus Holland), habe ich die Estampes kennengelernt. Hier spielt Richter eine Spur langsamer als in Salzburg. Ich finde die Klangbalance einfach besser als später in Salzburg - das kann aber auch am Flügel oder der Aufnahmetechnik liegen. Hier betont Richter eindeutig die Oberstimme, er hat also eine klare Stufung. Auch die Coda finde ich spannender und konzentrierter als beim Salzburger Mitschnitt. Das habe ich allerdings nur mit der Zweitanlage gehört. Für mich ist das bisher immer noch die Referenz. Jedoch spürt man bei diesem langsamen Tempo nicht den Unterschied, den Debussy auf der 1. Seite notiert beim Thema der rechten Hand: großer Bogen - kleine Bögen. Das ist halt der Preis des langsamen Tempos. :)


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Das ist mir bei Ciccolini zu hölzern. Glockenschläge, wenn man sie denn imaginiert, klingen nicht so trocken, sondern haben Resonanz zum Ausschwingen. Auch in der Folge (z.B. bei den Pianissimo-Quarten) ist die Mittelstimme ein

    Also hölzern finde ich das ÜBERHAUPT nicht, sondern kraftvoll - ein funkelnder Gegenentwurf zum pedalseeligen Klangbrei der meisten Exegeten! Der Strich unter der Mittelstimme ist mir in den Noten - die ich inzwischen eingesehen habe - auch aufgefallen. Ist das mit dem Cello so tradiert? Macht aber Sinn. Da die Mittelstimme mit Unterstrich hier eine ganz wunderbar ergreifende Melodie erzählt und die Oberstimme nur Ornament ist, finde ich das Konzept von Ciccolini sehr, sehr stimmig - und betörend schön. Korstick bspw. geht genau den umgekehrte Weg: Oberstimme im Vordergrund, Mittelstimme verhallt im Hintergrund. Geben für mich die Noten nicht her - und klingt auch nicht gut. Barenboim gefällt mir, weil er ebenso diese betörende Melodie - für mich das Zentrum das Stücks! - erkundet. Wobei Ciccolini pianistisch gewiss souveräner ist. Sein Debussy ist ja insgesamt kraftvoll, niemals parfümiert. Überwältigend ist bei ihm das zweite Stücke aus den Images Oubliées!!! Was für ein Höhepunkt im letzten Drittel, da hat es mich gestern am Flughafen in der Lounge regelrecht aus dem Sitz gerissen!


    Viele Grüße
    Christian

  • Also hölzern finde ich das ÜBERHAUPT nicht, sondern kraftvoll - ein funkelnder Gegenentwurf zum pedalseeligen Klangbrei der meisten Exegeten! Der Strich unter der Mittelstimme ist mir in den Noten - die ich inzwischen eingesehen habe - auch aufgefallen.

    Mir ist aufgefallen, dass auch bei anderen Debussy-Stücken auf der CD die betonten Stimmen zu laut sind. Wenn die Diskantstimme pp ist und die Mittelstimme einen Strich hat, heißt das nicht, dass sie mf klingen soll. Übrigens ist Ciccolini in der Wiederholung auch etwas weicher. :D Z.B. Samson Francois spielt ebenfalls die Mittelstimme deutlich heraus, phrasiert aber, was Ciccolini nicht tut. Arrau spielt sie auch nicht weniger deutlich, aber mit einer schwebenden Leichtigkeit. Mir ist das bei C. zu derb und burschikos.

    Ist das mit dem Cello so tradiert? Macht aber Sinn.

    Schau mal hier (Notentext zum Mitlesen):



    Da findest Du den Unterschied gleich in Takt 1! Oben der harte Keilakzent - unten im Bass der Strich. Interessant ist die Reprise: Da notiert Debussy dann auch im Bass einen Keilakzent! Nur die Interpreten beachten das nicht - spielen schon zu Beginn den Bass zumeist brutal hart (z.B. Krystian Zimerman), als ob da ein Keilakzent stände. Der Einzige, bei dem man den Unterschied wirklich deutlich hört, ist ABM!

    finde ich das Konzept von Ciccolini sehr, sehr stimmig - und betörend schön. Korstick bspw. geht genau den umgekehrte Weg: Oberstimme im Vordergrund, Mittelstimme verhallt im Hintergrund.

    Korstick habe ich leider nicht. Von den Italienern finde ich dann aber doch Sergio Fiorentino viel schöner - und auch Alexis Weissenberg, der "Analytiker", hat für mich einen schöneren Klavierklang. :D

    Überwältigend ist bei ihm das zweite Stücke aus den Images Oubliées!!! Was für ein Höhepunkt im letzten Drittel, da hat es mich gestern am Flughafen in der Lounge regelrecht aus dem Sitz gerissen!

    Das gefällt mir auch. :) Das Stück entspricht Nr. 2 aus Pour le piano! Das hat Emil Gilels kurz vor seinem Tod in Lugano übrigens wirklich wunderbar gespielt.


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Barenboim gefällt mir, weil er ebenso diese betörende Melodie - für mich das Zentrum das Stücks! - erkundet.

    Im Nachhinein geht mir in Bezug auf die beiden Richter-Aufnahmen in Bezug auf Barenboim folgendes durch den Kopf: Auf Barenboims Maene-Flügel hat man einen Register-Klang, und der ist bei "Pagodes" ideal. Man kann wie auf der Orgel die drei Stimmlagen (Oben-Mitte-Unten) gleichberechtigt spielen. Vielleicht hat Richter das in Salzburg versucht. (Heute fahre ich wohl doch mal die Lautsprecher raus und höre mit AVM.) Dann merkt man aber, dass dies bei einem modernen Flügel mit überkreuzender Besaitung nicht geht. Die Mischklänge machen das Ganze tendentiell undurchsichtig. Eine klare Trennung der Stimmen bekommt man auf dem modernen Flügel nur durch eine klare Stimmenhierarchie, wie sie Richter bei seinem Italien-Mitschnitt hat.


    Es gibt eine gewisse Parallele von "Pagodes" zu "Cloches a travers les feuilles" (auch da geht es um Glocken-Klänge) aus den Images Heft II (habe ich auch gespielt). Debussy erzeugt Schwebe-Klänge. In "Pagodes" haben wir schon gleich zu Beginn ein schwebendes Pendel mit der tonräumlichen Figur des Pagoden-Daches. Ciccolini spielt die folgende Melodiebewegung in der Mittellage ungefähr so wie Casadesus oder auch Monique Haas. Man sollte bei dieser mittleren Stimme aber darauf achten, dass die Schwebewirkung nicht verloren geht. Das ist bei Casadesus auch schon grenzwertig für mich, bei Monique Haas viel besser. Ciccolini hört sich über meinen PC-Kopfhörer viel runder an, über die Anlage klingt der Ton direkter und härter und einfach allzu vorlaut - das ist ja auch der typische, etwas trockene EMI-Klang. Dann klingt das jedoch nur wie ein "Thema", aber nicht wie eine schwebend-pendelnde Bewegung und der Klang integriert sich nicht mehr zu einer einheitlichen Impression. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Richter ist natürlich ganz wunderbar, lieber Holger, sehr langsam, aber er schafft bei Debussy auf rätselhafte Weise einen magischen Raum, in dem sich diese Gebilde mit großer Klarheit wie von selbst entfalten. Und die Musik wahrt bei ihm ein Geheimnis. Weissenberg ist mir etwas zu schnell, das wirkt gerade zu Beginn ein wenig verhetzt. Seltsamereise klingt bei mir der Flügel von Ciccolini besser als der von Weissenberg. Er ist direkter aufgenommen, aber auch leuchtender und in den Mitten viel farbiger. Aber das mag auch Geschmackssache sein.
    "Cloches a travers les feuilles" werde ich mir gerne als nächstes anhören!


    Viele Grüße
    Christian

  • Seltsamereise klingt bei mir der Flügel von Ciccolini besser als der von Weissenberg.

    Wir müssten uns das mal zusammen mit meinen absolut ehrlichen Lautsprechern anhören, lieber Christian! Gerade habe ich Ciccolini nochmals gehört. Mein Freund L., der etwas von der Intonation eines Flügels versteht, würde sagen: Das Instrument ist unausgewogen intoniert, der Diskant oben klingt gläsern wie bei einem Jazz-Piano. Und beim nochmaligen Wiederhören muss ich sagen, dass Ciccolini einfach viel zu laut spielt für ein Stück, dass sich in großen Teilen im Piano-Pianissmo-Bereich abspielt. :D


    Liebe Grüße
    Holger

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