Wenn Carmen Don Jose erschießt

  • Wenn der Name Bieito fällt, dann sehe ich rot. Ich habe nie eine Inszenierung von ihm gesehen, hatte aber jahrelang das "Opernglas" abonniert, und das reichte für mein Urteil.


    Lieber La Roche,


    Ich habe zwei Inszenierungen von C. Bieito in München gesehen, nämlich den "Boris Godunow" sowie "Fidelio". In beiden Fällen ist mein Fazit :thumbdown:
    Das Fidelio-Lowlight war, das selbst in der Musik herumgeändert wurde: ein in einem Stahlkäfig sitzendes Streichquartett wurde vom Schnürboden über die unterbrochene Szene des Schlußbildes herabgesenkt, spielte einen Satz aus einem Beethoven-Streichquartett, verschwand darauf wieder in der Höhe und weiter ging's im Stück :thumbdown:


    Ein paar Eindrücke zu beiden Stücken sind hier zu finden:
    Fidelio
    Boris Godunow


    Neue Einsichten haben mir diese gelobten Inszenierungen nicht gebracht...

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz


  • ich kenne nur 3 Inszenierungen von Bieito. Am stärksten kam mir sein Wozzeck (auch musikalisch) rüber. Auch beeindruckte der Don Giovanni (leider dabei nicht das Orchester, sehr schade), während Carmen mich dermaßen enttäuschte, so dass ich es abgebrochen hatte...

    Hallo, Amfortas
    Deine mitunter (für mich) nicht ganz klare, etwas saloppe, oberflächlich hingeworfene Ausdrucksweise, wirft bei mir die neugierige Frage auf -
    was hast Du denn da "abgebrochen"???
    Im Voraus bedanke ich mich für Deine aufklärende Antwort.


    CHRISSY


    (PS.: Ich verzichte auf den Hinweis eines "Erleuchteten" unter uns, daß er selbstverständlich wieder sofort verstanden hat, was gemeint ist).

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Das Fidelio-Lowlight war, das selbst in der Musik herumgeändert wurde: ein in einem Stahlkäfig sitzendes Streichquartett wurde vom Schnürboden über die unterbrochene Szene des Schlußbildes herabgesenkt, spielte einen Satz aus einem Beethoven-Streichquartett, verschwand darauf wieder in der Höhe und weiter ging's im Stück :thumbdown:


    Was genau war daran so schlimm? Da das Orchester sowieso nicht auf den Instrumenten spielte, für die Beethoven geschrieben hat, macht das auch keinen Unterschied mehr.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Lieber Hosenrolle1,


    auch wenn das Orchester auf den Instrumenten gespielt hätte, für die Beethoven komponiert hat, würden diese Instrumente nach 200 Jahren Benutzung und natürlicher Alterung nicht mehr so klingen wie zu Beethovens Zeiten. Das ist halt der Lauf der Dinge...
    (... und ob Nachbauten so klingen wie die Originale in den 1820er Jahren wird niemand mit Sicherheit sagen können. Die meisten Ohrenzeugen dürften nicht mehr unter uns weilen.)


    viele Grüße,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Das "Contessa perdono" des Grafen muss man ja schon kritisch betrachten;

    Das find ich auch.

    Aber auch unabhängig von der Rhetorik der Musik sowie dem reinen Klang der Musik, der Melodie an dieser Stelle würde mich das nie berühren, weil der Graf auf junge Mädchen steht, eine Freude am Entjungfern hat und dabei extrem eifersüchtig ist, so eifersüchtig, dass er einen 13 jährigen Jungen zum Militär schickt, und denkt, die Gräfin könnte etwas mit ihm haben. Viel mehr tut mir Barbarina leid (die in ihren wenigen Rezitativen bis ins unschöne As-Dur hinuntersteigt), und die in einer solchen Umgebung groß werden muss.

    Sänge nur der Graf, fiele es leichter diese Stelle strickt in dieser Weise nachzuvollziehen.
    Aber die Antwort der Gräfin und Kontrast zum darauf Folgendem lässt einen diese Stelle mit Ambivalenz rüberkommen. Das schaffe ich nicht auszublenden ..
    .. vor allem Danke für Hinweise zu deinen Mozart-Thread. Da warten jede Menge spannende Anregungen auf mich ...

    bei deinem Beitrag 114 hast du sträflicherweise etwas unterlassen,

    wieso sträflicherweise ?

    "Eine Oper sich reinziehen!" Was ist das? Wie geht das?

    Interessante Frage.

    Bei deinem Benutzernamen würde ich eher vermuten, dass du eine Oper "erleidest".

    „erleiden“ kommt einen im ästhetischen Bereich inflationär rüber.

    was hast Du denn da "abgebrochen"???

    2. Akt der Carmen in der Regie Bieitos.

  • auch wenn das Orchester auf den Instrumenten gespielt hätte, für die Beethoven komponiert hat, würden diese Instrumente nach 200 Jahren Benutzung und natürlicher Alterung nicht mehr so klingen wie zu Beethovens Zeiten. Das ist halt der Lauf der Dinge...


    Dafür gibt es originalgetreue Nachbauten.


    (... und ob Nachbauten so klingen wie die Originale in den 1820er Jahren wird niemand mit Sicherheit sagen können. Die meisten Ohrenzeugen dürften nicht mehr unter uns weilen.)


    Stimmt, jedoch kann man mit 100%iger Sicherheit sagen, dass eine Metallflöte nicht so klingt wie eine, für die Beethoven komponiert hat. Mit den Nachbauten (sofern es gute sind) ist man definitiv näher dran. Aber daran, wie die Musik klingt, ist komischerweise niemand interessiert, hauptsache da vorne spielt halt irgendeine Flöte, irgendeine Oboe.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Sänge nur der Graf, fiele es leichter diese Stelle strickt in dieser Weise nachzuvollziehen.
    Aber die Antwort der Gräfin und Kontrast zum darauf Folgendem lässt einen diese Stelle mit Ambivalenz rüberkommen. Das schaffe ich nicht auszublenden ..


    Die Gräfin ist ein ganz eigenes Thema. Verzeiht ihm da so mir nichts, dir nichts, und plötzlich soll alles gut sein? Im dritten Teil der Figaro-Trilogie betrügt der Graf sie sowieso wieder, und sie ihn ebenfalls. Auch die Gräfin würde ich hier sehr kritisch betrachten. In dem Buch von G. Born stehen auch ein paar unschöne Sachen drin über die Mozart-Zeit, wie der Adel sich aufgeführt hat, wie Leibeigene behandelt und gefoltert wurden, wie straflos vergewaltigt und gemordet wurde, und wie viele verhungert sind, während sich der Adel wiederum den Bauch vollgeschlagen hat.
    Nein, weder mit dem Grafen noch mit der Gräfin habe ich irgendein Mitgefühl. Mit dem Grafen sowieso nicht, aber auch die Gräfin verhält sich sehr eigenartig. Plötzlich ist alles vergessen, was der liebe Gatte noch aufgeführt hat.



    .. vor allem Danke für Hinweise zu deinen Mozart-Thread. Da warten jede Menge spannender Anregungen auf mich ...


    Ich bin gespannt was du dazu sagst :)
    Was hältst du eigentlich von HIP?




    LG,
    Hosenrolle1

  • Und sie war von Martin G. Bergers Schändung der Verkauften Braut (auch Bergers Fledermaus) höchstlich begeistert/beeindruckt


    Über einen Besuch im hannoverschen "Liebestrank" schrieb ein Besucher sinngemäß: "Für Teile des Publikums reichte es wohl, weil sie nicht mehr wissen, was Eleganz, Anmut, Delikatesse, Charme und Leichtigkeit sind". Das dürfte wohl auch auf die "Verkaufte Braut" zutreffen. Zugegebenermaßen habe ich beide nicht gesehen, ich war aber in der "Fledermaus", und für diese Inszenierung würde ich die oben
    wiedergegebene Meinung vollinhaltlich unterschreiben. Ich war selten so angeödet und froh, wieder draußen zu sein. Wohlgemerkt - angeödet und nicht etwa schockiert. Das mag allerdings daran liegen, dass ich lieber Musik höre anstatt mir "Mucke reinzuziehen", wobei mir bei "Mucke" allenfalls Muckefuck als Assoziation einfällt, und der zählt ja wohl nicht gerade zu den höherwertigen Lebensmitteln. So mag es also sein, dass jemand, der den Muckefuck dem Kaffee vorzieht, auch geneigt ist die genannten hannoverschen Inszenierungen zu goutieren.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    Zitat von MmeCortese: So mag es also sein, dass jemand, der den Muckefuck dem Kaffee vorzieht, auch geneigt ist die genannten hannoverschen Inszenierungen zu goutieren.

    Liebe Mme Cortese,


    ein sehr treffender Vergleich! :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • ich war aber in der "Fledermaus", und für diese Inszenierung würde ich die oben wiedergegebene Meinung vollinhaltlich unterschreiben.

    Dann sollen Auszüge von MGLs Feedback auch zur Fledermaus dir nicht vorenthalten werden (Schreibfehler in Koskys Namen wurden ausnahmsweise nicht von mir verzapft):


    In Berlin gibt es zwei Infektionsherde, die mit ihren ansteckenden Viren das Theater genetisch verändert haben.
    Frank Castorfs 'Volksbühne' am Rosa-Luxemburg-Platz brutalisiert und politisiert alle Werke der Literatur mit gewaltigem Linksruck im Sinne seines Hausherrn, und die Komische Oper sexualisiert die Werke im Sinne ihres Hausherrn Barry Cosky zu einem permanenten 'Treff der Geilen'.....


    Man grapscht, man zieht sich aus, man fällt übereinander her.
    Der Griff in den Schritt und dann Hose runter ist allgemeine Gepflogenheit. Dabei zeigt die erste Überraschung, dass Gefängnisdirektor Frank - knallig-skuril Frank Schneiders - Strapse und schwarze Netzstrümpfe trägt......


    Dr. Falke - souverän agierend und wie immer prachtvoll singend: Stefan Adam - organisiert seine Rache für den erlittenen üblen Faschingsscherz mit Ironie und Menschenkenntnis und hält sich von den ausufernden Plumpheiten fern.......


    Anfangs dezent schwarz-weiß gekleidet, feiert, säuft und pöbelt sich die 'großer Bruderschaft' immer mehr entkleidet in eine Horde enthemmter Schlampen, Transen und Tunten hinein. Freilich sind die geschlechtvermischten Kostüme sehr phantasievoll, wozu Erotik-Kataloge, Geschäfte und Reeperbahn-Shows Anregung geben.
    Dann wird es politisch:
    Der Staat 'Champagner' wird proklamiert, Fahnen im Zuschauerraum entrollt, Konfetti rieselt herab und Mareike Morr im Staatsgewand als Prinz Orlowsky wird im Sektglas-Thron emporgefahren, um seine Regierungserklärung abzugeben:
    Jeder soll sein, wie er/sie ist: schwul, lesbisch, hetero, bi oder sonst was.
    Dann enthüllt er/sie sich als Hermaphrodit.
    Den vorgeschnallten Penis hatten wir schon im 'Freischütz' beim 'Ekel-Gnom'.
    'Anything goes!' - Das ist also die neue Linie.
    Ist sie wirklich neu?
    Bordelle mit deftigen Darstellungen gab es in der Antike überall, zweigeschlechtliche Wesen waren ebenso bekannt, Sodomie, Partnertausch, Lustknaben, Freudenmädchen, rauschhafte Feste zu Ehren des Bacchus - alles schon dagewesen!
    Wo aber liegt der Unterschied und die Grenze des öffentlich Erträglichen?......


    Große Pause, großer Umbau für den 3. Akt.
    Der Orchestergraben ist abgedeckt, einsam steht Stefan Scheuermann als Frosch inmitten von Müll und Gerümpel....


    Orlowsky sitzt an der Seite auf einem Sofa und hofft, dass er lachen kann.
    Na, endlich, er kann!
    Die Fledermaus hat sich gerächt, das Publikum ist erregt und dankt den Mitwirkenden mit berechtigtem Jubel.....


    Marie Louise Gilles


    Die Gräfin ist ein ganz eigenes Thema. Verzeiht ihm da so mir nichts, dir nichts, und plötzlich soll alles gut sein? Im dritten Teil der Figaro-Trilogie betrügt der Graf sie sowieso wieder, und sie ihn ebenfalls. Auch die Gräfin würde ich hier sehr kritisch betrachten.

    Eben, weil es nicht gut sein wird (in welcher Mozart-Oper wird es überhaupt gut ?), gewinnt diese Stelle m.E. – wenn man so will - eine mehrdeutige Relevanz, ragt gewisseermaßen aus dem Fluss raus .... in einem Radio-Talk setzte der Regisseur Götz Friedrich diesen Einstand sogar einem ästhetisch-utopischen Moment gleich (soweit könnte ich nicht gehen) Friedrich räumte allerdings dabei sofort ein, keine sachlichen Gründe dafür angeben zu können oder sogar zu wollen

    Ich bin gespannt was du dazu sagst :)

    Zunächst besser nichts, weil du in mit dieser Materie ungleich vertrauter als ich.. ich nassaure quasi davon ...

    Was hältst du eigentlich von HIP?

    Antwort würde eigentlich Thread sprengen. Bin mit diesem Gebiet auch wenig/kaum vertraut. Vertrete zwar nicht deine Rigorosität, stehe dem aber - nach bisherigen Erfahrungen - dem sehr aufgeschlossen gegenüber.. weil wichtige Anregungen z.B. was Beethoven betrifft durch z.B. Savall und Brautigam ...


    Um die Kurve wieder zum RT zu kriegen.
    2016 zogen wir uns in Bayreuth einen musikalisch sehr bewegenden den Parsifal unter Haenchen rein. das Orchester umschiffte zu große Briilanz, da verdeckt. Ganz im Gegensatz zur DOB unter Runnicles, der allerdings vor allem auch dunklen Farben intensivst herausarbeitete. In Braunschweig unter Joel kam Parsifal dagegen äußerst klangscharf, schwungvoll und brillant rüber Diese Unterschiede die von den Orchestern rüberkamen, brannte sich dabei so stark ein, wie vergleichweise zwischen HIP und "Non-HIP". Das drängte die höchst unterschiedlichen szenischen Umsetzungen in den Hintergrund; wobei Lauffenberg in Bayreuth enttäuschte, aber eben aus besagtem Grund nicht störte; bis auf die doofen Videos während der Verwandlungsmucken...

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  • Eben, weil es nicht gut sein wird (in welcher Mozart-Oper wird es überhaupt gut ?), gewinnt diese Stelle m.E. – wenn man so will - eine mehrdeutige Relevanz, ragt gewisseermaßen aus dem Fluss raus ....


    Das stimmt, auch Cosi fan tutte, das ja vermeintlich gut ausgeht, zeigt doch, dass eigentlich gar nichts gut ist. (In "Mozarts Musiksprache" belegt der Autor das zusätzlich durch bestimmte rhetorische Motive, die Mozart an bestimmten Stellen, auch am Ende, einsetzt!)
    Nur kann ich beim besten Willen keine Utopie darin erkennen, wenn man einem solchen Typen wie dem Grafen einfach mal so verzeiht. Jetzt kann man natürlich einwenden, dass Da Ponte und Mozart den Figaro stark abmildern mussten, viele politische Dinge entfernen - aber auch bei Mozart ist der Graf immer noch bösartig, küsst und streichelt 12 jährige Mädchen, ist extrem aufbrausend und eifersüchtig, trotz seiner ständigen Untreue. Also seine Figur wurde nicht wirklich abgemildert.



    Zunächst besser nichts, weil du in mit dieser Materie ungleich vertrauter als ich.. ich nassaure quasi davon ...


    Überhaupt nicht! Ja, ich lese (oder besser: erarbeite) mir das Buch langsam, aber dennoch bin ich noch nicht weit, weil das Thema natürlich sehr umfangreich ist. Der Autor sagt auch im Vorwort, dass man sich am besten die Partitur zur Hand nimmt, wenn man das Buch liest, weil es nicht zum einfachen Lesen gedacht ist. Er räumt auch ein, dass das Buch nur einen kleinen Teil des großen Sortiments an Motiven zeigen kann, die Mozart verwendet hat. Ich las Harnoncourts Standardwerk "Musik als Klangrede" in der Hoffnung, da mehr über die musikalische Rhetorik zu erfahren, aber da stand leider nicht wirklich was darüber.



    Antwort würde eigentlich Thread sprengen. Bin mit diesem Gebiet auch wenig/kaum vertraut.


    Es lohnt sich auf jeden Fall! Du hast eh das Beispiel mit der alten Holzflöte und der modernen Metallflöte gesehen, wo Komponisten gezielt "unschöne" Töne als wichtigen Bestandteil, als wichtige Klangfarbe ihres Werkes verwendet haben, die durch die Verwendung der modernen Flöte eliminiert werden. Wenn du Fragen hast, im HIP-Thread können wir gerne darüber reden :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • "Für Teile des Publikums reichte es wohl, weil sie nicht mehr wissen, was Eleganz, Anmut, Delikatesse, Charme und Leichtigkeit sind"



    Wie schön, dass du mein oben eingestelltes Verdikt durch das Zitieren dieses Artikels voll und ganz bestätigst. Wie sollte man darauf anders als angeödet reagieren?

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • So dumm scheint das Publikum laut dem letzten Satz nicht zu sein. Die Erregung bezieht sich auf die Regie und die Sänger werden zurecht bejubelt.

  • So dumm scheint das Publikum laut dem letzten Satz nicht zu sein. Die Erregung bezieht sich auf die Regie und die Sänger werden zurecht bejubelt.


    Die Sänger fand ich o.k., aber nicht sonderlich bejubelnswürdig, aber das ist ja nun wirklich Geschmackssache, und ihr Applaus war gewiss verdient. Besondere Erregung habe ich in der von mir besuchten Vorstellung nicht wahrgenommen. Anders als Orlovsky konnte ich jedoch am Ende der Vorstellung nicht lachen, wie gesagt, ich war froh, dass es vorbei war. Mir ist auch durchaus bekannt, dass es eine ganze Menge Leute gibt, die die Inszenierung gut fanden, mir fehlten aber eben die oben genannten Ingredienzien wie Eleganz etc. Leider verwechselt man heutzutage zu oft Esprit und Witz mit Klamauk, und das nicht nur in der Oper. Und Leute, die Klamauk schätzen, sind natürlich begeistert. Das gleiche gilt, soweit ich weiß, für die Inszenierung der "Verkauften Braut" in Hannover. Ich jedenfalls habe, wie weiter oben schon erwähnt, mein Abo nach mehreren enttäuschenden Vorstellungen vor zwei Jahren gekündigt., weil ich mehr als einmal mit dem Gefühl "Gott sei Dank, endlich aus" das Opernhaus verlassen habe. Denn dafür geht man ja eigentlich nicht in die Oper.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Wie schön, dass du mein oben eingestelltes Verdikt durch das Zitieren dieses Artikels voll und ganz bestätigst.

    Du wähnst, ich mutiere – was RT betrifft – mittlererweile vom Saulus zum Paulus..
    Dein Verdikt wurde leider nur von MLG bestätigt, da von mir bloß als Zitat gepostet, also ohne es mir ausdrücklich zu eigen gemacht zu haben. Sorry.
    Aber monatlich meinerseits großes Vergnügen an MLG-Beiträgen. Diese Lesefreude möchte ich gerne mit anderen Usern teilen.
    Das Problem was sich ergeben könnte, wären steigende Erwartungen an MLG.
    Hoffentlich enttäuscht sie uns nicht im Mai. Ihre würzigen Wort-Kaskaden zur Aida-Premiere böten dazu höchst passende Begleitmucke.

    Wie sollte man darauf anders als angeödet reagieren?

    Ob dieser in eine Frage eingekleidete Imperativ im ästhetischen Bereich funzt , darüber kann man vermutlich trefflich streiten. Wie dem auch sei. Wir traten auch nach dem 2. Besuch der Fledermaus sehr vergnügt unseren Heimweg an.

    Nur kann ich beim besten Willen keine Utopie darin erkennen, wenn man einem solchen Typen wie dem Grafen einfach mal so verzeiht.

    Ich auch nicht.
    Abgesehen davon, ob man den Grafen verzeihen sollte oder nicht (vieles spräche dagegen); und doch kann ich Götz Friedrich verstehen, wenn er diese Stelle versucht, für sich als einen Moment aufzufassen, in der die Perspektive auf versöhnte Gesellschaft wenigstens kurz aufleuchtet, wenn auch bloß in Fata Morgana von Kunst,. Selbst, wenn ich es nicht bringe, es in dieser Weise nachzuvollziehen.. .

    aber auch bei Mozart ist der Graf immer noch bösartig, küsst und streichelt 12 jährige Mädchen, ist extrem aufbrausend und eifersüchtig, trotz seiner ständigen Untreue. Also seine Figur wurde nicht wirklich abgemildert.

    Wobei man spekulieren könnte, ob der Graf dabei gleichzeitig Ausstrahlung eines "Womanizers" besitzt (das macht ihn keinesfalls sympathischer). Falls ich es richtig checke, verhaspelt Susanna sich im Duett Nr. 17 mit „No“ . Ihre unbeabsichtigte Abwehr verleitet einen beim Reinziehn von Nr. 17 zur Auslegung, dass sie insgeheim sich fürchtet seiner Ausstrahlung zu erliegen..

  • Abgesehen davon, ob man den Grafen verzeihen sollte oder nicht (vieles spräche dagegen); und doch kann ich Götz Friedrich verstehen, wenn er diese Stelle versucht, für sich als einen Moment aufzufassen, in der die Perspektive auf versöhnte Gesellschaft wenigsten kurz aufleuchtet


    In einer Inszenierung des Figaro, von der ich kürzlich las, wartet am Ende schon eine aufgebrachte Menge mit Guillotine auf das gräfliche Paar. Harnoncourt erwähnte in Interviews, dass Mozart die franz. Revolution zwar erlebt hat, sie in seinen Tagebüchern aber nirgends erwähnt wird. Ich finde die Idee nicht schlecht, und ehrlich gesagt gefällt mir der Gedanke, dass die Leibeigenen, die unter der Tyrannei des Adels gelitten haben, sich wehren.
    Ich weiß nicht, kennst du Edgar Allan Poes Geschichte "The Mask of the Red Death"? Mir kommt das ganze Haus Almaviva ein bisschen so vor wie es in dieser Geschichte beschrieben wird.


    Wobei man spekulieren könnte, ob der Graf dabei gleichzeitig Ausstrahlung eines "Womanizers" besitzt (das macht ihn keinesfalls sympathischer). Falls ich es richtig checke, verhaspelt Susanna sich im Duett Nr. 17 mit „No“ . Ihre unbeabsichtigte Abwehr verleitet einen beim Reinziehn von Nr. 17 zur Auslegung, dass sie insgeheim sich fürchtet seiner Ausstrahlung zu erliegen..


    Ich weiß schon, welche Stelle du meinst. Der Graf fragt sie zweimal etwas, einmal müsste sie mit Ja, und einmal mit Nein antworten, verhaspelt sich aber. Da ist fraglich, warum sie das tut. Ist sie gedankenverloren, hat sie Angst davor, was sie gerade tut und ist nicht bei der Sache? Aufschluss könnte hier vielleicht auch die Musiksprache Mozarts geben, dass man sich anschaut, welche Motive verwendet werden. J. Kaiser meint, Susanna mogle hier offenbar mit schlechtem Gewissen; was ich mich frage ist, warum Susanna im Duettino Nr. 17 singt: "Verzeiht mir, wenn ich lüge, Ihr, die Ihr auf Liebe aus seid". Sagt sie das beiseite, also ungehört vom Grafen zu sich, oder sagt sie IHM das?
    Falls sie es zu sich selbst sagt, dann finde ich es mehr als eigenartig, warum sie hier von "Liebe" spricht, wenn es dem Grafen nur um das Erjagen und Entjungfern junger Frauen geht. Da könnte ein Regisseur gerne mal die dreckige Wahrheit zeigen, wie es damals zuging.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Du wähnst, ich mutiere – was RT betrifft – mittlererweile vom Saulus zum Paulus..


    Das wähne ich keineswegs. Was das angeht, bist du, glaube ich, unverbesserlich. Ich fand das Zitat deswegen so interessant, weil es genau aufzeigt, was die erwähnte Inszenierung alles vermissen lässt bzw. welch Geistes Kind sie ist.
    Was die zukünftige Aida-Inszenierung des Teams Voges/Bärenklau angeht, so beweist sie in meinen Augen nur, dass es dem Noch-Intendanten Klügl nur um möglichst große Aufmerksamkeit in der Presse und nicht um eine vernünftige Inszenierung geht. Anders kann ich mir das erneute Engagement dieser Herren, die ihren damaligen Äußerungen zufolge geistig am Anfang der 70er Jahre steckengeblieben zu sein scheinen, nicht erklären. Vermutlich möchte er zum Ende seiner Amtszeit noch den Titel "Operngraus" - pardon - "Opernhaus des Jahres" ergattern, über den sich in aller Regel die Häuser mit den abartigsten Inszenierungen freuen dürfen.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    Zitat Von MmeCortese: Vermutlich möchte er zum Ende seiner Amtszeit noch den Titel "Operngraus"....

    Vielleicht schafft er ja das noch, was er schon begonnen hat, nämlich der Oper den Garaus zu machen.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Das wähne ich keineswegs. Was das angeht, bist du, glaube ich, unverbesserlich.

    Zur meiner Verteidigung möchte anbringen, dass wir jedes Jahr zu Weinachten uns Hänsel und Gretel (seit 1964 auf Spielplan) reinziehen..
    https://www.staatstheater-hann…ck=43&ID_Vorstellung=4150


    Auch fanden wir Gefallen an der letzten Jenufa unter Kamensek/Visser, welche sogar RT-Phobe ansprechen könnte.
    https://www.youtube.com/watch?v=zdrMsAJgiTc
    Allerdings muss ich zu meiner großen Schande gestehen, dass uns Barbara Beyers Jenufa- Vergewaltigung (ca. 10 Jahre her) unter grandioser ML Lutz de Veers sehr viel stärker bewegte. Damals fungierte Albrecht Puhlmann als Opernzerstörer, unter dessen Leitung ich nicht mit allen Inszenierungen zufrieden war. Eine seiner größten Verdienste bleibt m.E. die Premiere von Luigi Nonos "Al gran sole carico d'amore", das ich mir ca. 4 bis 5 x reingezogen habe, ML: Johannes Harneit; Regie Peter Konwitschny.


    Rt-pest-geschädigte Opernfreunde könnten Gefallen an diesem Jenufa-Video (auch als handelbare DVD erhältlich!) unter Peter Schneider finden.
    https://www.youtube.com/watch?v=DFbRCiChA1g
    Möge es zur Rekreation des Gemüts geschundener RT- Opfer verhelfen......

    kennst du Edgar Allan Poes Geschichte "The Mask of the Red Death"?

    leider nicht…

    In einer Inszenierung des Figaro, von der ich kürzlich las, wartet am Ende schon eine aufgebrachte Menge mit Guillotine auf das gräfliche Paar. Harnoncourt erwähnte in Interviews, dass Mozart die franz. Revolution zwar erlebt hat, sie in seinen Tagebüchern aber nirgends erwähnt wird. Ich finde die Idee nicht schlecht, und ehrlich gesagt gefällt mir der Gedanke, dass die Leibeigenen, die unter der Tyrannei des Adels gelitten haben, sich wehren.

    Vermutlich ähnlich der Idee von Herbert Kreppel (in Hannover), als er am Ende des 3. Akts den Chor („Cantiamo, lodiamo si saggio signor“) - der auch mit Sensen „bewaffnet“war - sich der Hofgesellschaft bedrohlich nähern ließ......

    was ich mich frage ist, warum Susanna im Duettino Nr. 17 singt: "Verzeiht mir, wenn ich lüge, Ihr, die Ihr auf Liebe aus seid". Sagt sie das beiseite, also ungehört vom Grafen zu sich, oder sagt sie IHM das?
    Falls sie es zu sich selbst sagt, dann finde ich es mehr als eigenartig, warum sie hier von "Liebe" spricht, wenn es dem Grafen nur um das Erjagen und Entjungfern junger Frauen geht. Da könnte ein Regisseur gerne mal die dreckige Wahrheit zeigen, wie es damals zuging.

    Für mich auch sehr rätselhaft. Check ich bisher nicht gänzlich ?(
    Schlechtes Gewissen gegenüber dem Grafen, falls „beside“ ?
    Für „beside“ spräche Anweisung „piano“ bei: Scusatemi se mento voi intende amor.
    Aber im Duett Nr. 02 zeigt sie doch mehr Grütze im Oberstübchen als Figaro, denn sie warnt vor ihn, als notgeilen Bock. Warum dann in diieser Situation schlechtes Gewissen gegenüber Almaviva ?
    Müsste dazu eigenen inneren Faulheits-Modus verlassen und mir mal Noten vom Orchesterpart mühsam genehmigen. Vielleicht findet sich was und Chose gewönne dann mehr Eindeutigkeit...


    In Nozze gestalten sich Gefühle, Zuneigungen/Abneigungen veränderlich/unbeständig wie fieses Fließen (scheint mir auch in der Entführung der Fall zu sein, in Cosi sowieso). Das würde dann Auslegung bekräftigen, dass Susanna sich in Gefahr wähnt, dem Charme des Grafen zu erliegen und Dunque verrai mit „No“ unwillkürlich abwehrt und erst nach Almavivas misstrauischen No ? mit Si ! Se piace a voi verro pariert .. ...
    oder ausgerechnet Schwebe/Uneindeutigkeit bildet Pointe von Nr. 17 ... ?

  • leider nicht…


    In aller Kürze und ohne Details zusammengefasst: es geht darum, dass der rote Tod das Volk hinwegrafft, nur irgendein Prinz schottet sich lieber ab und veranstaltet ein aufwändiges Fest, zu dem er viele andere reiche Leute einlädt. Detailliert schildert Poe, wie der König verschiedene Räume kunstvoll ausschmückt, mit Farben spielt usw. Irgendwann kommt aber ein ungebetener Gast in Verkleidung, und der König stellt ihn zur Rede - der Gast ist in Wirklichkeit der rote Tod, der nun auch die "Schönen und Reichen" hinwegrafft.


    Die Geschichte erinnert mich auch ein bisschen an den Figaro. Draußen geht´s den Menschen dreckig, aber die feinen leute " da oben" im Schloss kümmert das nicht, die sitzen da und heulen wegen Liebeskummer.



    Für mich auch sehr rätselhaft. Check ich bisher nicht gänzlich ?(
    Schlechtes Gewissen gegenüber dem Grafen, falls „beside“ ?
    Für „beside“ spräche Anweisung „piano“ bei: Scusatemi se mento voi intende amor.
    Aber im Duett Nr. 02 zeigt sie doch mehr Grütze im Oberstübchen als Figaro, denn sie warnt vor ihn, als notgeilen Bock. Warum dann in diieser Situation schlechtes Gewissen gegenüber Almaviva ?


    Ich würde nicht voreilig sagen, dass das eine Logiklücke in der Oper ist, aber mir kommt es schon sehr eigenartig vor, dass sie plötzlich sowas sagt. Wobei Mozart ja auch nicht unbedingt als Vorzeige-Feminist bekannt ist, wenn ich an sein Gedicht "Der kunstreiche Hund" denke, das im Grunde eine Vergewaltigungsfantasie ist.



    Müsste dazu eigenen inneren Faulheits-Modus verlassen und mir mal Noten vom Orchesterpart mühsam genehmigen. Vielleicht findet sich was und Chose gewönne dann mehr Eindeutigkeit...


    Du kannst Noten lesen? Das finde ich großartig! :) :)
    Schaust du auch in die Online-Ausgabe der Neuen Mozart Ausgabe? Oder hast du eine andere, die du verwendest?


    Achso, wegen Mozarts Musiksprache: du meintest, dass du nicht viel dazu sagen kannst, aber du kannst mit den Auszügen, die ich in dem Thread gezeigt habe, sicher was anfangen, eben weil du auch in die Partitur schaust :)
    Allein im "Intro" von "Voi che sapete" finden sich mindestens vier verschiedene Motive, wo ich mich frage, was die in dieser Kombination bedeuten könnten. Ich habe noch nicht alle vier besprochen, nur das "Schicksalsmotiv". Wenn du Interesse hast, dann kann ich einmal die vier Motive anhand von mir markierter Noten vorstellen :)


    Übrigens, was die Rezitative betrifft, da dachte ich immer, dass das langweilige Geplappere mit ein bisschen belanglosen Geklimpere ist. Aber weit gefehlt! Das langweilige Geplappere entsteht nur, wenn man die Noten (wie es leider häufig, auch heute noch, gemacht wird) genau so runtersingt wie sie auf dem Blatt stehen, und wenn man sich die Modulationen ansieht, dann merkt man, dass Mozart hier sehr genau und unterschiedlich arbeitet. Es lohnt sich, das mal auf dem Quintenzirkel nachzuverfolgen!
    (Mit dir kann man irgendwie sehr gut diskutieren, finde ich)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zur meiner Verteidigung möchte anbringen, dass wir jedes Jahr zu Weinachten uns Hänsel und Gretel (seit 1964 auf Spielplan) reinziehen..
    https://www.staatstheater-hannover.de/op…orstellung=4150


    Auch fanden wir Gefallen an der letzten Jenufa unter Kamensek/Visser, welche sogar RT-Phobe ansprechen könnte.
    https://www.youtube.com/watch?v=zdrMsAJgiTc


    Hallo Amfortas, die besagte "Hänsel und Gretel"-Inszenierung habe ich bereits irgendwann Mitte der 60er Jahre gesehen und dann wieder vor drei Jahren. Ich finde es schön, dass diese alte Inszenierung in Hannover schon geradezu "Kult" ist. Hoffentlich bleibt das auch in Zukunft so.
    Was die "Jenufa" angeht, so hätte ich sie gerne gesehen, aber sie verschwand ja leider so schnell vom Spielplan, dass ich sie einfach verpasst habe.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)


  • Für mich auch sehr rätselhaft. Check ich bisher nicht gänzlich
    Schlechtes Gewissen gegenüber dem Grafen, falls „beside“ ?
    Für „beside“ spräche Anweisung „piano“ bei: Scusatemi se mento voi intende amor.
    Aber im Duett Nr. 02 zeigt sie doch mehr Grütze im Oberstübchen als Figaro, denn sie warnt vor ihn, als notgeilen Bock. Warum dann in diieser Situation schlechtes Gewissen gegenüber Almaviva ?


    Da möchte ich mich doch auch gerne einmal einschalten, denn über diese Stelle stolpere ich auch jedes Mal!
    Dass Susanna ein generelles Problem mit dem Lügen hat, kann ich mir nicht vorstellen, denn dagegen spricht, dass sie im vierten Akt höchst vergnügt diese Verkleidungskomödie mitspielt, während der Mann, den sie gerade geheiratet hat im Gebüsch sitzt und tausend Tode stirbt- nicht etwa "nur" wütend, sondern tieftraurig und entsetzt über ihre scheinbare Untreue. Was sie nicht nur nicht stört, sondern amüsiert! Und sie dazu motiviert, seine Eifersucht immer noch weiter anzuheizen!
    ( Sie selber reagiert aber über empfindlich und mit Ohrfeigen, als Figaro den Spieß dann umdreht! )
    Da wird sie doch wohl im Duett mit dem Grafen nicht etwa die Befürchtung haben, sein zartes Gefühlsleben zu verletzen, oder?
    Aber was soll diese eigenartige Bemerkung dann?


    Liebe Grüße von der Dritten Dame

  • Ich finde es schön, dass diese alte Inszenierung in Hannover schon geradezu "Kult" ist. Hoffentlich bleibt das auch in Zukunft so.

    Da bist du nicht allein. Auch rt-affine Opernfreaks besuchen diese Vorstellung gern.

    Was die "Jenufa" angeht, so hätte ich sie gerne gesehen, aber sie verschwand ja leider so schnell vom Spielplan, dass ich sie einfach verpasst habe.

    Wurde leider nicht gut besucht, obwohl Hannover mit Jenufa- Tradition.


    Seltsamerweise war es für den Nono nicht einfach Karten zu kriegen, obwohl unleugbare Diskrepanz (Begleitung ließ sich von mir nur 1 x zur Premiere mitschleppen) zwischen Publikum und klassischer bzw. zeitgenössischer Moderne... die letzte Vorstellung war komplett ausverkauft. Hatte aber Glück.


    Du kannst Noten lesen? Das finde ich großartig! :) :)

    Ich postete ausdrücklich „mühsam“, weil ich keinesfalls hochstapeln will. Bin also meilenweit von deiner Kompetenz entfernt. Eher kein adäquater Gesprächspartner, aber profitiere von deinen Hinweisen.

    du meintest, dass du nicht viel dazu sagen kannst, aber du kannst mit den Auszügen, die ich in dem Thread gezeigt habe, sicher was anfangen, eben weil du auch in die Partitur schaust :)

    Wie bereits betont, es fällt mir nicht leicht (!!), aber es kommen wichtige Anregungen von dir rüber. Im Falle von Nozze bisher bloß Honulka-Klavierauszug, aber bereits länger her. Dabei hatte ich glücklicherweise Hilfe/Unterstützung von jemanden mit Kompetenz... . Vor ca. 1 Jahr Jupitersinfonie (1. Satz) zusammen mit ihr die Partitur durchgegangen. Und uns fiel auf, wie spannungsreich (schier zerrissen) Mozarts Mucke da gestaltet ist. Aber als wir versuchten die Tonart der wuchtigen Akkorde der 3 Aktschlüsse von Bergs Lulu zu bestimmen (erinnert mich nämlich – ohne h - auch ans Ende vom 1. Teil seines VKs und quasi durchgehend ans Andante von Mahlers 9.) haben wir beide das leider nicht geschafft :( , trotz Noten.
    Vor einigen Monaten - zufällig – Noten von Schuberts D 960. Dann vollzieht man bewusst nach, dass z.B. Scherzo im ¾ Takt oder der 4. Satz nicht mit Akkord sondern Oktave beginnt. Das Ausgesparte am Beginn des Allegros kommt einen dann sogar noch kahler/fahler rüber. Eigner mentaler Prozessor fährt dann eine Stufe höher und Grübeln über diese Chose läuft wärmer ...

    Allein im "Intro" von "Voi che sapete" finden sich mindestens vier verschiedene Motive, wo ich mich frage, was die in dieser Kombination bedeuten könnten. Ich habe noch nicht alle vier besprochen, nur das "Schicksalsmotiv". Wenn du Interesse hast, dann kann ich einmal die vier Motive anhand von mir markierter Noten vorstellen :)

    Würde mich sehr interessieren. Muss gestehen, mir bisher das bloß im/als Zusammenhang reingezogen zu haben, ohne Trennung in Motive/Elemente. Nebenbei: Eine, die Alt bzw. Mezzo lernt, verklickerte mir, dass es nicht einfach sei, Voi che sapete zu beherrschen und manche Schreibtisch-Profs es sich mit Ratschlägen da zuweilen sehr leicht machen würden, weil nicht praxisreif.. ..

    Übrigens, was die Rezitative betrifft, da dachte ich immer, dass das langweilige Geplappere mit ein bisschen belanglosen Geklimpere ist

    Da warst du nicht allein.

    Ich würde nicht voreilig sagen, dass das eine Logiklücke in der Oper ist, aber mir kommt es schon sehr eigenartig vor,

    Logiklücken würde ich in der Nozze nicht mehr ausschließen wollen.. man müsste das quasi mit Hämmerchen danach mal abklopfen.. .. je mehr ich versuche Nozze zu checken, desto größer kommt einen Rätselcharakter davon rüber, wie ein Eisberg, von dem nur die Spitze erkennbar ist... habe bisher Eindruck, den bloß etwas anzukratzen..


    Regiemäßig bewegten mich bisher am stärksten Herbert Kreppel (eher „konservativ“, aber glücklicherweise ohne Schneckenfrisuren) und Ingo Kerkhof .
    https://www.youtube.com/watch?v=p6xy0URoRtI
    Es könnte durchaus eingewendet werde, dass in beiden Umsetzungen eine Menge unterm Tisch fällt. Inzwischen drängt sich Verdacht auf, wenn versucht wird, auf der Bühne (also was Nozze betrifft) zu viele Details, Beziehungen, Kontexte zu realisieren, dann die Gefahr wächst, dass es bloß chaotisch gerät..

    denn über diese Stelle stolpere ich auch jedes Mal!

    Nicht bloß du.

    Da wird sie doch wohl im Duett mit dem Grafen nicht etwa die Befürchtung haben, sein zartes Gefühlsleben zu verletzen, oder?

    Außer Susanna würde in diesem Moment selber schwach. Mehr fällt mir dazu leider nicht ein ?(
    Bin also momentan am Ende der Fahnenstange angelangt :( . Geb bisher Hoffnung nicht auf, dass jemand quasi die Nuss knackt.... . habs auch nicht mehr auf Schirm, wie K K (Kreppel und Kerkhof) das Duett umgesetzt hatten...

  • Wie bereits betont, es fällt mir nicht leicht (!!), aber es kommen wichtige Anregungen von dir rüber. Im Falle von Nozze bisher bloß Honulka-Klavierauszug, aber bereits länger her.


    Ich würde dir unbedingt die Partitur der NMA empfehlen, die es gratis und sehr übersichtlich online gibt: http://dme.mozarteum.at/DME/nm…05&gen=edition&l=1&p1=-99


    Oben kannst du die Seitenzahl eingeben, musst also nicht herumblättern. Wenn du Seite 3 eingibst, landest du im Index, da kannst du gezielt nach Arien oder Rezitativen suchen. Das Schöne ist auch, dass hier auf jede Seite die Instrumente am Anfang jedes Systems stehen. Bei älteren Partituren ist es ja meist so, dass nur am Anfang die Instrumente angegeben werden, danach nicht mehr. Außerdem werden die Akkorde der Rezitative als Lesehilfe voll ausgeschrieben, und die Singstimmen in den Violinschlüssel transponiert, so dass man die Modulationen besser nachverfolgen kann. Gerade bei den Tonarten ist es wichtig, dass man ungefähr weiß, welche Charakteristik eine Tonart hatte, welche schön, welche eher unschön oder sogar hässlich klangen.


    Die Partitur empfehle ich auch, weil man da alle Stimmen hat, die beim Klavierauszug unter den Tisch fallen, gerade wenn es darum geht, bestimmte Motive unter die Lupe zu nehmen!


    Was die Motive bei "Voi che sapete" betrifft, werde ich mich mal ans Werk machen!



    Würde mich sehr interessieren. Muss gestehen, mir bisher das bloß im/als Zusammenhang reingezogen zu haben, ohne Trennung in Motive/Elemente.


    Natürlich ist der Zusammenhang auch wichtig, den sollte man immer berücksichtigen. Mozart schrieb seine Musik damals in erster Linie für die Kenner, die diese Sprache auch mehr oder weniger gut verstanden. Die anderen waren für ihn das "ohnmusikalische" Publikum. Leider ist uns dieses Wissen, diese Kennerschaft verloren gegangen, die Modernisierung der Aufführungen mit modernen Instrumenten und Dirigenten, die diese Sprache ebenfalls nicht verstanden haben, haben ihr übriges dazu beigetragen, dass man heute praktisch nur mehr "die Musik" hört. Es ist ein wenig vergleichbar mit einer fremden Sprache: man kann sich eine Rede anhören und sagen "Ohh, das klingt aber schön", aber man versteht nicht WAS gesagt wird, man versteht nicht, dass da gerade ziemlich heftig geschimpft wird. Leider gibt es für diejenigen, die sich für diese Sprache interessieren kaum wirklich gute Informationsquellen. Sicher, es gibt Bücher wie das "Handbuch der musikalischen Figurenlehre", da geht es aber mehr um die rhetorischen Figuren des Barock. Also selbst wenn man es nicht beim oberflächlichen Hören belassen will, ist man mehr oder weniger aufgeschmissen.



    Es könnte durchaus eingewendet werde, dass in beiden Umsetzungen eine Menge unterm Tisch fällt. Inzwischen drängt sich Verdacht auf, wenn versucht wird, auf der Bühne (also was Nozze betrifft) zu viele Details, Beziehungen, Kontexte zu realisieren, dann die Gefahr wächst, dass es bloß chaotisch gerät..


    Meine Lieblingsfigur ist ja bekanntermaßen der Cherubino, und bei allen anderen Figuren wundert mich nichts mehr. Eine Inszenierung könnte vielleicht solche Bemerkungen wie die von Susanna so ausdeuten, dass gezeigt wird, wie verrückt die Figuren alle sind in diesem Haus. Zuerst noch sich über den Herrn aufregen, dann wieder Mitleid haben, dann wieder aufregen ... alle durcheinander und verrückt.
    Denkbar wäre vielleicht, dass man die Zensur nicht zu sehr ärgern wollte damit, dass Susanna den Grafen eiskalt anlügt, und ihr da solche Versprecher und Aussagen in den Mund gelegt hat, damit sie nicht zu "böse" wirkt.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Eine mögliche Erklärung für Susannas Bemerkung ist mir noch eingefallen: Hat sie vielleicht einfach Angst vor den Konsequenzen, wenn der Graf herausfindet, dass er hier gefoppt wird und sagt das deswegen so für sich? Jeder dort hat Angst vor dem Jähzorn des Grafen!
    Für Susanna ist die Chose "Wir verkleiden den Pagen als Mädchen" auch nur so lange lustig, bis der Graf erscheint. Da verbreitet sie sogar noch mehr Panik sls Cherubino, als sie mit ihm eingeschlossen ist- obwohl sie mit Sicherheit nicht um ihr Leben fürchten muss wie Cherubino. Bei diesem ist allen klar "Wenn er ihn findet, bringt er ihn um!", und sogar die Gräfin bekräftigt dies nochmals, als der Graf dann mit dem Degen vor dem Kabinett steht...
    Dass sie sich im Duett mit dem Grafen verplappert, weil sie Angst hat, schwach zu werden, glaube ich nicht, eher das Gegenteil, denn sie zeigt ja spontan Ablehnung, wo Zustimmung angebracht wäre, um die Tâuschung aufrecht zu erhalten.
    Und der Graf bedrängt sie ja hier massiv, nicht nur verbal, sondern auch "musikalisch".
    Hat sie hier vielleicht einfach den Gedanken "Oh Gott, wenn der wirklich so tickt, was passiert dann, wenn die Sache auffliegt.."



    Liebe Grüße, die Dritte Dame

  • Ehrlich gesagt verstehe ich euer Problem nicht. Der Graf ist in Susanna verliebt. Susanna verarscht ihn. Ihre "Entschuldigung" ist halb bedauernd und halb ironisch gemeint.


    Diese Zweideutigkeit ist im übrigen typisch für die Da-Ponte-Opern, und auch typisch für Mozarts Zeit. Man sah solche Dinge damals wesentlich lockerer als heute (in bestimmten Kreisen).



    Thomas

  • Zitat

    Zitat von Thdeck: Ehrlich gesagt verstehe ich euer Problem nicht.

    Zitat

    Zitat von Thdeck: Man sah solche Dinge damals wesentlich lockerer als heute (in bestimmten Kreisen).

    Lieber Thdeck:


    es gibt eben Leute, die wollen Jedes bis ins Einzelne zerpflücken und Alles - sogar die Oper - verkrampft mit allerhand nicht vorhandenen Inhalten und Problemen belasten, alles umdeuten wollen. Sie können überhaupt nicht mehr einfach denken.
    Warum lässt man die Oper nicht, so wie sie ist, und überlässt jedem Opernbesucher selbst, gewisse Dinge, wie er sie sieht, zu deuten. Ich glaube, die wenigsten Opernbesucher machen sich soviel Hintergedanken über soviel Banalitäten, wie sie hier oft zu lesen sind. Sie wollen die Oper in erster Linie genießen und nicht jedes Wort und jede Geste darin nach allen möglichen Kriterien analysieren. Diejenigen, die das tun wollen, mögen es meinetwegen gerne - jeder für sich - tun, aber nicht verlangen, dass die Handlung der Oper deswegen über den Haufen geworfen wird. Das Thema heißt übrigens "Wenn Carmen Don José erschießt" und diese ist - wie leider heute viele Opern - völlig verdreht worden. Für mich lediglich ein Zeichen, dass sich die Verunstalter entweder überhaupt nicht mit der Handlung befasst haben oder den Inhalt nicht verstanden haben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • es gibt eben Leute, die wollen Jedes bis ins Einzelne zerpflücken


    Ich kann dir hier leider nicht folgen. Du bist doch ein großer Verfechter von "Werktreue". Wenn man aber diese anstrebt, muss man tatsächlich in die Details gehen. Da reicht es nicht, mal eben die Regieanweisungen im Libretto zu lesen. Sondern man muss verstehen, wie die Leute (Künstler+Publikum) damals getickt haben. Nur so sind "werktreue" Inszenierungen möglich. Oder willst du 60er-Jahre-Kitsch?


    Das kannst du natürlich haben. Man muss das auch nicht unbedingt "Kitsch" nennen. Aber es ist halt zeitbezogen.


    Generell gilt: Erst wenn man sich mit dem "Original" auseinandergesetzt hat, kann man eine Neuinterpretation wagen. Egal ob im Stil der 60er oder im Stil der 00er Jahre.


    Oder noch allgemeiner: Erst wenn man die Regeln beherrscht, darf man sie auch verletzen. Haydn z.B. beherrschte die Regeln und verletzte sie so gut wie immer...




    Thomas

  • es gibt eben Leute, die wollen Jedes bis ins Einzelne zerpflücken und Alles - sogar die Oper

    Ja, das ist zweifellos gemein von diesen Leuten :( :(.

    Sie können überhaupt nicht mehr einfach denken.

    was verstehst du denn unter einfach denken ?

    Warum lässt man die Oper nicht, so wie sie ist, und überlässt jedem Opernbesucher selbst, gewisse Dinge, wie er sie sieht, zu deuten.

    1. Also diejenigen, die in diesem Thread zur Nozze posten, sind demnach keine Opernbesucher. Woher weisst du denn das ? Haste sie etwa gefragt ?
    2. Und lediglich Opernbesucher sind autorisiert für Deutungen. Warum besitzen ausschließlich Opernbesucher ein Recht auf Deutungen ?


    Sicher bist du in der Lage plausible Antworten auf beiden Fragen zu geben => sehr gespannt !

    Ich glaube, die wenigsten Opernbesucher machen sich soviel Hintergedanken über soviel Banalitäten, wie sie hier oft zu lesen sind. Sie wollen die Oper in erster Linie genießen und nicht jedes Wort und jede Geste darin nach allen möglichen Kriterien analysieren.

    Gerhard Wischniewski glaubt sich als Sprachrohr der Mehrheit von Opernbesuchern. Worauf gründet sich der Glaube, wenn du andererseits repetierst, seit Jahren Opernhäuser zu meiden, weil dort überwiegend Verunstaltungen ?

    Diejenigen, die das tun wollen, mögen es meinetwegen gerne - jeder für sich

    Deine Billigung ist sehr gnädig. Vielen Dank für dein Entgegenkommen. Und keine Sorge. Jeder postet für sich bzw. antwortet auf den Beitrag eines Users. Keiner wagt im Namen von Gerhard Wischniewski etwas zu "tun" .

    aber nicht verlangen, dass die Handlung der Oper deswegen über den Haufen geworfen wird.

    In welchem Beitrag vom Thread wurde denn das verlangt ?

    Für mich lediglich ein Zeichen, dass sich die Verunstalter entweder überhaupt nicht mit der Handlung befasst haben oder den Inhalt nicht verstanden haben.

    Da du Verunstaltern Ahnungslosigkeit unterstellst, hast du demnach die Nozze verstanden, sonst gäbe es für eine deratige Unterstellung überhaupt keine Basis. Fragen also dazu:


    1. Zunächst: worin liegt denn deiner Einsicht nach der Unterschied zwischen Handlung und Inhalt der Nozze ?
    2. Falls du möglicherweise mit Inhalt den Gehalt der Nozze meinst und du dann vorgibst den Gehalt verstanden zu haben, denn sonst hätte - wie bereits betont - deine Unterstellung von Ahnungslosigkeit keine Basis, dann sei doch bitte so freundlich und gib konkrete Erläuterungen zum strukturellen Aufbau der Ouvertüre. Gibt es da eine Einleitung, sowie Haupt - und Seitensatz ? Mit oder ohne Durchführung ? Und eine Coda ? Genaue Taktangaben erleichtern den Nachvollzug deiner Hinweise.


    Denn ich - weil infiziert durch ahnungslose Verunstalter - hab Mucke davon bisher nicht gecheckt und würde sehr gerne von deinen - zweifellos vorhandenen - Kenntnissen profitieren und vermutlich auch andere User im Forum haben daran Intersse.
    Voller Erwartungen auf deine instruktiven Erläuterungen und Antworten auf die gestellten Fragen und Dank im voraus für deine Mühe.

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