Was bedeutet uns Schumann heute?

  • Schumann dürfte ja dank des Neuen Threads über seine Klaviersonate Nr 1 (ich gehe davon aus, daß Einzelthreads über die Sonaten 2 und 3 folgen werden.) wieder ein wenig in den Focus des Tamino Klassikforums gerückt. In einem anderen Thread wurde bedauert, daß die Forensoftware keine Threadsuch zulasse.
    Hier weise ich auf das Threaddirctory hin, wo sich zwar nicht alles, aber doch erstaunlich vieles finden lässt. Über Schumann gibt es Threads von unterschiedlicher Güte und Länge, aber das Angebot ist doch einigermaßen akzeptabel.


    Schumann: Klaviersonate Nr.1 fis-moll Op.11 ‚Grande Sonate‘, ein großer Wurf


    SCHUMANN, Robert: Die Sinfonien
    SCHUMANN, Robert: Sinfonien - Welcher Zyklus ist der beste? (2011)
    SCHUMANN, Robert: Sinfonien - Schumann-Symphonien-Ranking
    SCHUMANN Robert: Sinfonie Nr. 1 in B-Dur op. 38 "Frühlingssymphonie"
    SCHUMANN, Robert: Sinfonie Nr. 2 in C-Dur - Musik, Krankheit und Politik
    SCHUMANN Robert: Sinfonie Nr. 3 in Es-Dur op. 97 "Rheinische"
    SCHUMANN Robert: Sinfonie Nr. 4 in d-Moll op. 120 – Die Revidierte
    SCHUMANN, Robert: Klavierkonzert in a-moll
    SCHUMANN, Robert: Violinkonzert
    SCHUMANN, Robert: Cellokonzert a-Moll op.129
    SCHUMANN, Robert: Manfred - Ouvertüre
    SCHUMANN, Robert: Andante con variazoni
    SCHUMANN, Robert: Klaviersonaten opp. 11, 14 ,21
    SCHUMANN, Robert: Werke für Klavier Solo in Referenzaufnahmen
    SCHUMANN, Robert: Gesänge der Frühe op. 133
    SCHUMANN, Robert: Kinderszenen op. 15 - Werke für Soloklavier Vol. 01
    SCHUMANN, Robert: Kinderszenen op. 15
    SCHUMANN, Robert: Davidsbündlertänze op 6 - Werke für Soloklavier Vol. 02
    SCHUMANN, Robert: Waldszenen op. 82
    SCHUMANN, Robert: Kreisleriana
    SCHUMANN, Robert: Sinfonische Etüden op 13 -Teil 1
    SCHUMANN, Robert: Liederkreis op.39
    SCHUMANN, Robert - Schumann und der 200. Geburtstag
    SCHUMANN, Robert - Die Schumann-Lieblingswerke der Taminos
    SCHUMANN, Robert - Lieder, Romanzen und Balladen
    SCHUMANN, Robert - Musik verstehen - von Robert Schumann
    SCHUMANN, Robert - Was bedeutet er uns heute,,,,
    SCHUMANN, Robert - wo beginnen ?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Robert Schumann, fraglos einer der ganz Großen. Die Rezeption meinte es trotzdem nicht immer allzu gut mit ihm. Noch bis weit ins 20. Jahrhundert waren arrangierte Fassungen seiner Symphonien im Umlauf. Namhafte Dirigenten wie George Szell und Erich Leinsdorf meinten, man müsste diverse "Verbesserungen" in der Orchestrierung berücksichtigen. Die berühmtesten Arrangements besorgte niemand Geringerer als Gustav Mahler. Ich bin da nicht dogmatisch. Ich höre diese genauso gerne wie die Originale.


    Mein Lieblingswerk von Schumann ist seine 2. Symphonie. Jemand schrieb mal, sie sei das größte und dennoch verkannteste Werk der Symphonik zwischen Beethoven und Brahms. Da mag durchaus etwas dran sein. "Ein krankes Werk", meinte Günter Wand – und nahm sie leider nie auf. Sie mag das Werk eines Kranken sein, aber könnte ein Gesunder sowas überhaupt komponieren? Und das meine ich jetzt nicht negativ. Ein ständiges Auf und Ab, Hochs und Tiefs. Und am Ende doch ein (vielleicht etwas erzwungen erscheinender) triumphaler Ausklang. Soviel ich weiß, war sie sogar die Lieblingssymphonie von Leonard Bernstein. Entsprechend passioniert hat er sie dirigiert.


    Ich verlinke mal auf eine Live-Aufnahme des Boston Symphony Orchestra unter Leinsdorf in der berühmt-berüchtigten Mahler-Orchestrierung:



    Allein dieser mystische Anfang – einer der großartigsten in jedweder Symphonik. Berührend wie wenig anderes mir Bekanntes. Dieser typische Schumann-Tonfall, unverkennbar. Dafür liebe ich den Zwickauer Meister.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zur zentralen Frage dieses Threads:


    Ich glaube, nein, ich bin mir sicher, dass Schumanns Musik gerade uns heutigen Menschen, die sich einer sich permanent wandelnden Lebenswelt ausgesetzt sehen, sehr viel zu sagen hat. Dies in dem Sinne, dass sie uns Halt und Orientierung zu geben vermag.
    Der Grund ist in dem kompositorischen Konzept zu finden, das ihr zugrunde liegt. Man hat es einmal sehr treffend als „poetischen Realismus“ (Ulrich Tadday) bezeichnet. Seine Musik reflektiert in hohem Grad gelebtes Leben. Von sich selbst sagte er einmal:
    „Es afficiert mich alles, was in der Welt vorgeht, Politik, Literatur, Menschen – über Alles denke ich nach meiner Weise nach, was sich dann durch die Musik Luft machen, einen Ausweg suchen will. Deshalb sind auch viele meiner Compositionen so schwer zu verstehen, weil sie sich an entfernte Interessen anknüpfen, oft auch bedeutend, weil mich alles Merkwürdige der Zeit ergreift und ich es dann musikalisch wieder aussprechen muß.“
    Schumanns Musik ist als Versuch zu begreifen, in einer als diffus und verwirrend erlebten Welt einen Sinn zu suchen und in künstlerisch gültiger Weise auszusprechen.

  • Ich war immer schon ein ganz großer Schumann-Liebhaber.


    Diese Box hatte ich vor Wochen zuletzt erworben:



    Sehr zu empfehlen auch die Gesamteinspielung des Klavierwerks von Jörg Demus. Da kann man nicht zuletzt ermessen, wie intensiv sich Schumann mit Bach beschäftigt hat - er komponierte eine ganze Reihe Fugen, die man leider so gut wie nie zu hören bekommt.



    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich gestehe, ich bin der Musik Robert Schumanns verfallen, in allen Genres, Sinfonie, Klaviermusik, Lied, Chorwerke und Kammermusik.
    Mir ist im Studium der Artikel dieses Threads aufgefallen, dass letztgenannte Kategorie bisher nicht erwähnt wurde. Alfred Schmidt führt in seinem Beitrag 61 keine Threads zu diesem Thema auf, ausser diesen Schumann, Robert: Andante con variazioni. Oder sind in den Weiten des Tamino-Forums Kammermusik-Threads versteckt? Etwas habe ich gefunden:


    Schumann: Das kammermusikalische Werk


    Die Aufstellung der Wikipedia führt eine respektable Liste mit Kammermusik-Werken auf. Sie verdienen in meiner Einschätzung beachtet zu werden. Die Werke für Bläserstimmen (Oboe, Klarinette) plus Bearbeitungen für diese Instrumente spiele ich mit besonderer Freude. Alle Kammermusikwerke entstanden zwischen 1842 und 1853.


    Drei Streichquartette op. 41, Nr. 1 a-Moll, Nr. 2 F-Dur, Nr. 3 A-Dur (1842)
    Klavierquintett Es-Dur op. 44 (September/Oktober 1842)
    Klavierquartett Es-Dur op. 47 (Oktober/November 1842)
    Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 1 d-Moll op. 63 (1847)
    Adagio und Allegro für Klavier und Horn (Violine oder Violoncello ad libitum) op. 70 (14.–17. Februar 1849)
    Drei Fantasiestücke für Klavier und Klarinette (Oboe d’amore, Violine oder Violoncello ad libitum) op. 73 (11.–13., möglicherweise 15. Februar 1849)
    Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2 F-Dur op. 80 (Skizzierung und Ausarbeitung: 2.–4. August 1847, Revision: 26. September bis 1. November 1847 und 5.–9. April 1849)
    Fantasiestücke op. 88 für Klavier, Violine und Violoncello
    Drei Romanzen für Oboe und Klavier (Violine oder Klarinette ad libitum) op. 94 (7.–12. Dezember 1849)
    Fünf Stücke im Volkston für Violoncello (Violine ad libitum) und Klavier op. 102 (13.–15. und 17. April 1849)
    Violinsonate Nr. 1 a-Moll op. 105 (12.–16. September 1851)
    Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 3 g-Moll op. 110 (2.–9. Oktober 1851)
    Märchenbilder für Klavier und Viola (Violine ad libitum) op. 113 (1.–4. März 1851)
    Violinsonate Nr. 2 d-Moll op. 121 (26. Oktober bis 2. November 1851) gewidmet „dem lieben Freunde und Meister Ferdinand David“
    Märchenerzählungen für Klarinette (Violine ad libitum), Viola und Klavier op. 132 (9.–11. Oktober 1853)
    Violinsonate Nr. 3 a-Moll WoO 2 (einschließlich Satz II und IV aus der F.A.E.-Sonate, einer Gemeinschaftskomposition von Robert Schumann, Johannes Brahms und Albert Dietrich) (21. Oktober bis 1. November 1853)


    Übrigens heute Abend 3. Oktober 2017 auf arte: Wiedereröffnung der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Zur Eröffnung inszeniert Intendant Jürgen Flimm «Szenen aus Goethes Faust» von Robert Schumann. Daniel Barenboim dirigiert das Orchester der Staatsoper Berlin. Erst kürzlich am 24. September war dieses Werk im Fernsehen zu sehen.


    "http://www.ndr.de/fernsehen/epg/import/Szenen-aus-Goethes-Faust,sendung555984.html"


    "Thomas Hengelbrock bekennt: "Für mich sind Schumanns 'Faust-Szenen' eines der größten Meisterwerke der Romantik überhaupt!" Mit vereinten Kräften des NDR Sinfonieorchesters, des NDR Chors und des RIAS Kammerchors sowie einer illustren Sängerschar bringt er das oratoriengleiche Werk zur Aufführung." Zitat aus der Programmankündigung


    Ehrlich gesagt, ich kann mir nicht vorstellen, dass Robert Schumann eines Tages die Hörer nicht mehr erreichen könnte. Für Leonard Bernstein war die 2. Sinfonie Schumanns sein persönliches Bekenntnis-Werk, das ihn in seinem Innersten traf. So wird jeder Hörer, musikalisch gebildet oder nicht, die Botschaft entnehmen, die ihn berührt. Mich spricht die Tonsprache Robert Schumanns unmittelbar an.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ich muss gestehen Schumann ist nicht so ganz meins. Ich habe die Symphonie Nr. 4 von Hengelbrock und dieser Thread hat mich angeregt sie mir mal wieder anzuhören. Ich muss sagen, schlecht ist sie nicht, auch wenn es nicht ganz meinen Musikgeschmack trifft. Aber dafür kann weder Schumann noch Hengelbrock etwas.


  • Ich muss gestehen Schumann ist nicht so ganz meins. Ich habe die Symphonie Nr. 4 von Hengelbrock und dieser Thread hat mich angeregt sie mir mal wieder anzuhören. Ich muss sagen, schlecht ist sie nicht, auch wenn es nicht ganz meinen Musikgeschmack trifft. Aber dafür kann weder Schumann noch Hengelbrock etwas.



    Nun, da würde ich es vielleicht doch noch auf ein paar weitere Versuche ankommen lassen. Ich kann hier sehr empfehlen ( und verweise auch auf die entsprechenden Threads):


    Harnoncourt live mit den Berliner Philharmonikern
    Barenboim mit der Staatskapelle Berlin
    Karajan in der Spätaufnahme mit den Wiener Philharmonikern
    Wand mit dem NDR-Symphonieorchester


    Nun kenne ich Hengelbrocks Aufnahme nicht, aber bei so manchem, was ich von ihm hörte ( etwa seinen Brahms) kann ich mir gut vorstellen, dass es eben doch an ihm liegen könnte...


    Vielleicht findest Du die Aufnahmen bei Spotify oder Youtube und kannst dort zur Probe hineinhören. Gerade die Vierte empfinde ich in ihrer düsteren Romantik als besonders gelungen, hier jedoch wohlgemerkt in der häufiger gespielten Spätversion. Rattle zieht ja die optimistischere Frühfassung vor, eine Ansicht, der ich mich nicht anschließen kann.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Die besten und originellsten Werke Schumanns sind Klaviermusik und Lieder. Diese Gattungen sind nicht so populär wie Sinfonien und Opern, schon von daher wird die Popularität sich verglichen mit anderen in Grenzen halten. Dazu kommt, dass gerade aufgrund der romantischen Biographie alle möglichen einseitigen Deutungen und Missverständnisse naheliegen. Wie in dem gruseligen Film mit Grönemeyer und Kinski.
    Oder "Träumerei" und etliche andere Werke als Inbegriff kleinbürgerlicher Klavierschülerbiederkeit. (Wenn etwa in einem Heinz-Rühmann-Film die Tochter immer den "fröhlichen Landmann" auf dem pfändungsbedrohten Klavier klimpert.) Die vielen anderen Seiten Schumanns wie die "schwarze Romantik" und besonders die eigentümliche Kombination und wechselseitige Durchdringung dieser paradoxen Züge wird oft ausgeblendet.


    Um das 2010er Jubiläum herum habe ich irgendwo gelesen, wie viele zeitgenössische (deutsche) Komponisten sehr große Stücke auf Schumann halten und sich von seiner Musik inspirieren lassen. Meiner Erinnerung nach z.B. der unlängst verstorbene Killmayer, aber auch Rihm u.a. Das ist auch kein Wunder, da der außerordentlich Reichtum an musikalischen und nichtmusikalischen Anspielungen und auch die offenen, "fragmentarischen" Formen (bes. der Klavierstücke) Merkmale sind, die sich auch in Moderne und "Postmoderne" finden.


    Dann gibt es auch noch Werke, die sehr originell und oft genial sind, aber ganz schlecht in gängige Genres passen. Daher finde ich es sehr begrüßenswert, dass ein Werk wie die "Faust-Szenen" (auf das dirigierende Komponisten wie Britten und Boulez außerordentlich hohe Stücke gehalten haben) an prominenter Stelle auftaucht. Aber es ist, ähnlich wie "Das Paradies und die Peri" einfach zu eigentümlich zu und quer zu den dominanten Genres des Musikbetriebs, um sich dauerhaft als Standardwerke zu etablieren.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hengelbrock dirigiert die Urfassung (mit meiner Erinnerung nach noch ein paar Besonderheiten, die ich vorher nie gehört habe), ist aber unter dieser Maßgabe sicher nicht schlecht. Ich finde ingesamt die 4. Sinfonie ja die gelungenste, u.a. weil sie sowohl das "fantastisch-romantische" Element als auch die motivische Vereinheitlichung und Verknüpfung der 4 Sätze musterhaft durchzieht. Die anderen Sinfonien haben starke Einzelsätze (bes. den langsamen der 2.), daneben aber auch schwächere bzw. wirken 2 und 3 auch mich nicht recht wie geschlossene Ganze.
    Schumann hat mehrfach, vielleicht in einem falschen Traditionsbewusstsein, originellere Erstfassungen zu stärker klassizistischen Gebilden überarbeitet. Bei der 4. gilt das nicht für die Gesamtanlage, aber z.B. bestand das Klavierkonzert zuerst nur aus einem Satz (wie die beiden späteren, seltsamerweise kaum bekannten Konzertstücke), der aber als Episode einen "langsamen Satz" enthält und daher eigentlich in sich komplett ist. Gerade der 2. Satz wirkt auf mich daher etwas überflüssig und das Finale macht zwar Laune, wenn es entsprechend spritzig gespielt wird, aber insgesamt kann man sich fragen, ob Schumann das Werk durch diese Ergänzungen wirklich verbessert hat.

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  • aber z.B. bestand das Klavierkonzert zuerst nur aus einem Satz (wie die beiden späteren, seltsamerweise kaum bekannten Konzertstücke), der aber als Episode einen "langsamen Satz" enthält und daher eigentlich in sich komplett ist. Gerade der 2. Satz wirkt auf mich daher etwas überflüssig und das Finale macht zwar Laune, wenn es entsprechend spritzig gespielt wird, aber insgesamt kann man sich fragen, ob Schumann das Werk durch diese Ergänzungen wirklich verbessert hat.

    könnte dieser Eindruck nicht dadurch entstehen, daß (1) sowohl die "langsame Episode" wie auch der "langsame Satz" oft viel zu langsam gespielt werden, und daß bei angemesseneren Tempi der Charaktergegensatz besser zum Tragen käme - die Episode würde immer noch etwas Klangschwelgerisches haben, während das Intermezzo einen spitzig-scherzandohaften Zug bekäme ("Andante espressivo" und "Andantino grazioso" sagen das eigentlich schon).

  • Dann gibt es auch noch Werke, die sehr originell und oft genial sind, aber ganz schlecht in gängige Genres passen. Daher finde ich es sehr begrüßenswert, dass ein Werk wie die "Faust-Szenen" (auf das dirigierende Komponisten wie Britten und Boulez außerordentlich hohe Stücke gehalten haben) an prominenter Stelle auftaucht. Aber es ist, ähnlich wie "Das Paradies und die Peri" einfach zu eigentümlich zu und quer zu den dominanten Genres des Musikbetriebs, um sich dauerhaft als Standardwerke zu etablieren.


    Die "Peri" finde ich schon gelungener als die "Faust-Szenen". Dieser Jubel, dieser Aufschwung in der Musik - das ist für meine Begriffe einfach betörend. "Faust" aber, obwohl mir das Stück inhaltlich viel, viel näher liegt als die "Peri", bleibt mir versagt. Ich finde einfach keinen Zugang, hüte mich aber davor, das Werk langweilig zu nennen. Dafür fehlt mir dann doch die Kompetenz. Jetzt wird es aber derart hochgehypt, dass ich noch ratloser davor stehe. Die wirre Berliner Aufführen zur Eröffnung der Deutschen Staatsoper, mit der Schumanns "Fraust-Szenen" bühnenfähig gemacht werden sollen, hat mir das Stück ehr noch fremder gemacht als es ohnehin schon ist.


    Wer widerspricht mir? Ich würde mich sehr darüber freuen. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent


  • Ich glaube, es gibt hauptsächlich diesen Sammelthread zur Kammermusik. In der relativ frühen Zeit des Forums wurden die bevorzugt, weil sonst zu befürchten war, überhaupt keine Antworten zu erhalten...
    Die vorstehenden Daten zeigen, dass Schumann die Kammermusik größtenteils "schubweise" (wie häufig bei ihm, manchmal ein Werk innerhalb weniger Tage abgeschlossen!) komponiert hat. Etwa die Hälfte der gewichtigen mehrsätzigen Werke 1842 und dann noch mal je einen Schwung 1849 und 1851. Besonders die "späten" Werke aus den 1850ern leiden ja seit je ein wenig unter der Unterstellung, der Komponist sei nicht mehr auf der Höhe oder gar schon geisteskrank gewesen.
    Das insgesamt mit einigem Abstand beliebteste Werke dürfte das Klavierquintett sein, dann vermutlich das Klavierquartett und das erste Trio. Die Bläserstücke natürlich auch, weil es da sonst nicht viel gibt. Mit solchen Werken hat Schumann auch die "kleine Form" auf die Kammermusik übertragen, was allerdings eher eine vereinzelte Erscheinung geblieben ist.

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  • Die wirre Berliner Aufführen zur Eröffnung der Deutschen Staatsoper, mit der Schumanns "Fraust-Szenen" bühnenfähig gemacht werden sollen, hat mir das Stück ehr noch fremder gemacht als es ohnehin schon ist.


    Wer widerspricht mir? Ich würde mich sehr darüber freuen.

    Widersprechen? Sehr gerne! :D


    Also, zu der "wirren" Faust-Aufführung an der Staatsoper kann und will ich vorerst gar nicht widersprechen, da ich diese erst im Dezember sehe, wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die einstündige "Zugabe" von originalen Schauspielszenen Goethes dem Schumann-Werk wirklich hilft.


    Ich finde Schumanns "Faust"-Szenen hinreißend gelungen und kenne keine andere "Faust"-Vertonung, die dem Goetheschen Original näher ist, als die Schumannsche. Ich erlebe hier großartige Emotionen und tolle Musik - alles meines Erachtens weit gelungener als in Mahlers Achter (dass Gounod und Berlioz weiter weg sind, versteht sich von selbst). Ich mag eigentlich alle Szenen, am meisten den "Sonnenaufgang" , mit denen "Faust II" nach den nur drei Szenen aus "Faust I" (also den drei Gretchen-Szenen) beginnt, aber ich kenne auch keinen eindringlicheren Gretchen-Monolog als diesen Schumannschen. Und auch den ganzen Schluss, die herrlichen Ensembles, der Schlusschor - alldas liebe ich sehr und halte das für großartige Musik. Für mich sind die "Faust"-Szenen Schumanns würdiges "Opus magnum" - die "Genoveva", seine einzige Oper, fristet ja leider auch ein Schattendasein, obgleich sie viel besser ist als ihr Ruf.


    Eine sehr gutge konzertante Wiedergabe war meines Erachtens diese (nicht nur, weil da gleich einige besondere Sängerlieblinge von mir mitsingen):



    Also ich möchte dieses Werk wirklich nicht missen!


    (Ich gebe aber gerne zu, dass ich diesem Werk vielleicht nie so nahegekommen wäre, wenn ich es im Schumann-Jahr 2010 nicht einmal selbst im Chor mitgesungen hätte. Als ich es erstmals, 1994 in der Berliner Philharmonie, unter Abbado in Starbesetzung mit Terfel und Co gehört habe, war ich doch eher ratlos bis gelangweilt und habe das Konzert zur Pause verlassen. Da war ich aber auch dem Goetheschen "Faust" noch nicht so nahegekommen wie später, und das hat meinen Zugang zum Schumann-Werk sehr befördert.)


    Es gibt noch eine andere sehr schöne Audio-Aufnahme, die ich mir beim DRA bestellt habe: Januar 1992 im Palast der Republik unter Rolf Reuter, mit Eva-Maria Bunschuh, Siegfried Lorenz, Günter Neumann, Karl-Heinz Stryczek als Mephisto u.v.a.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • könnte dieser Eindruck nicht dadurch entstehen, daß (1) sowohl die "langsame Episode" wie auch der "langsame Satz" oft viel zu langsam gespielt werden, und daß bei angemesseneren Tempi der Charaktergegensatz besser zum Tragen käme - die Episode würde immer noch etwas Klangschwelgerisches haben, während das Intermezzo einen spitzig-scherzandohaften Zug bekäme ("Andante espressivo" und "Andantino grazioso" sagen das eigentlich schon).


    Das kann gut sein und ich wage das aus dem Stand nicht zu beurteilen (dazu müsste ich mir erst einmal wieder unterschiedliche Interpretationen anhören). Freilich sind Sätze an der traditionellen Position des langsamen Satzes m.E. nahezu immer in der Gefahr verschleppt zu werden, weil Interpreten weitgehend unabhängig von Bezeichnung und Charakter dazu tendieren es als "langsamen Satz" (der sonst fehlen würde) zu spielen. Das Andante in der "Rheinischen" ist ja auch nur so ein kleines Intermezzo.


    Das Stück hat ja insofern nicht schwer gelitten, als dass es sich um eines der populärsten des Komponisten und eines der beliebtesten Klavierkonzerte handelt. Und wenn man sich das Schicksal von anderen "Konzertstücken", eben den beiden späteren Schumanns, dem für die späteren Romantiker so wichtigen Webers, einigen kürzeren konzertanten Werken Mendelssohns und Tschaikowskijs anschaut, war es vermutlich sogar die richtige Entscheidung, dass er das Werk auf volle Konzertlänge gebracht hat.

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    (Bob Dylan)

  • Die Abbado-Aufnahme habe ich in meiner Sammlung, ich werde da nach dem Coesfelder Citylauf doch mal reinhören. Vielleicht gefällt sie mir ja. Frag mich aber nicht, warum ich sie noch nicht gehört habe.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hengelbrock dirigiert die Urfassung (mit meiner Erinnerung nach noch ein paar Besonderheiten, die ich vorher nie gehört habe), ist aber unter dieser Maßgabe sicher nicht schlecht. Ich finde ingesamt die 4. Sinfonie ja die gelungenste, u.a. weil sie sowohl das "fantastisch-romantische" Element als auch die motivische Vereinheitlichung und Verknüpfung der 4 Sätze musterhaft durchzieht. Die anderen Sinfonien haben starke Einzelsätze (bes. den langsamen der 2.), daneben aber auch schwächere bzw. wirken 2 und 3 auch mich nicht recht wie geschlossene Ganze.
    Schumann hat mehrfach, vielleicht in einem falschen Traditionsbewusstsein, originellere Erstfassungen zu stärker klassizistischen Gebilden überarbeitet. Bei der 4. gilt das nicht für die Gesamtanlage, aber z.B. bestand das Klavierkonzert zuerst nur aus einem Satz (wie die beiden späteren, seltsamerweise kaum bekannten Konzertstücke), der aber als Episode einen "langsamen Satz" enthält und daher eigentlich in sich komplett ist. Gerade der 2. Satz wirkt auf mich daher etwas überflüssig und das Finale macht zwar Laune, wenn es entsprechend spritzig gespielt wird, aber insgesamt kann man sich fragen, ob Schumann das Werk durch diese Ergänzungen wirklich verbessert hat.


    So gut die Hengelbrock-Aufnahme für sich genommen zweifellos ist, würde ich jedem raten, sich auch mal eine Einspielung der Letztfassung zu besorgen. Die Unterschiede sind teilweise frappierend. Ich stimme Glockenton letztlich auch zu, dass die spätere Fassung vorzuziehen ist, auch wenn die frühere ebenfalls sehr gut ist und bei den richtigen Interpreten (ich meine, ich habe sie mit Sawallisch live) auch aufblüht.


    Ich gebe Dir, Johannes, im Bezug auf die "Rheinische" Recht, die ich auch für irgendwie kein geschlossenes Ganzes empfinde. Sie ist auch diejenige der vier Schumann-Symphonien, die ich am seltensten bewusst höre. Man könnte noch das m. E. zu Unrecht im Schatten stehende Werk "Ouvertüre, Scherzo und Finale", das ja eine "Dreiviertel-Symphonie" ist, hier durchaus noch erwähnen. Als ausgezeichnet ist mir da die Aufnahme von Harnoncourt mit dem Chamber Orchestra of Europe in Erinnerung.


    Die Vierte ist "wie aus einem Guss", ein absolutes Meisterwerk nach meinem Dafürhalten, in dem alle Sätze miteinander untrennbar verbunden sind und das eine der genialsten Überleitungen zu einem Schlusssatz überhaupt besitzt. Sie stünde in meiner persönlichen Gunst nur unwesentlich hinter der Zweiten. Danach käme dann die "Frühlingssymphonie".


    Was Aufnahmen angeht, so fällt es mir bei Schumann schwer, absolute Favoriten zu benennen. Es gibt einfach zu viele, die in der obersten Liga spielen. Bernstein (hochemotional), Klemperer (majestätisch), Sawallisch (im besten Sinne klassisch) und Solti (spritzig) kommen mir gerade aus dem Stegreif bei Gesamtaufnahmen in den Sinn.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Die Frühlingssinfonie ist m.E. ein sehr gutes Werk, ausgeglichener als 2 und 3, greift aber eben nicht so "hoch". Die "Rheinische" hat einen grandiosen und schwungvollen Kopfsatz und ich mag den volkstümlichen 2. auch sehr und der "Kölner Dom" Blechbläsersatz ist ebenfalls großartig, aber 3. und 5. der "Rheinischen" finde ich eher schwach und ingesamt ergibt es für mich keine rechte Einheit.


    Jedenfalls unterscheiden sich aber die 4 Sinfonien recht deutlich voneinander, so dass man durchaus an anderen Gefallen finden kann, wenn man die 4. nicht so schätzt. Insbesondere bieten die Sinfonien nur einen Aspekt Schumanns, den eher konservativen Versuch anhand der Vorbilder Beethovens und Schuberts "seriöse" Sinfonien zu komponieren.


    Die weitaus kühneren, jedenfalls ganz anders gearteten (frühen) Klavierwerke und Liederzyklen zeigen einen ganz anderen Aspekt, ebenso ein Werk wie die Faust-Szenen. Die Kammermusik liegt etwa in der Mitte bzgl. Klassizismus und Originalität. Obwohl Schumann selbst wohl meinte, die Tradition "seriöser" Werke fortführen zu müssen, besteht m.E. seine größte Leistung darin, "kleine" Stücke, Zyklen solcher kleinen Stücke und freiere Formen endgültig in den Rang der ernsthaften mehrsätzigen Großformen (wie Sinfonien, Quartette usw.) erhoben zu haben.

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    (Bob Dylan)

  • Schumann ist ein Komponist, der in vielerlei Hinsicht auch gehörig unterschätzt wurde. Richard Wagner z.B. bedachte seine Sinfonien mit Geringschätzung, weswegen Mahler dann zur Ehrenrettung Schumanns seine Symphonien neu instrumentierte. Gegen das Vorurteil, dass Schumanns Harmonik nichts Neuartiges biete, schreibt dieses Buch an. Das ist das beste musikwissenschaftliche Buch, was ich seit längerem gelesen habe - knüpft an das Niveau von Carl Dahlhaus an. Wer an einer Neubewertung Schumanns interessiert ist, kommt darum nicht herum:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Ohne den Inhalt des Buches "Poetische Harmonik in der Musik Robert Schumanns" zu kennen, verweise ich auf die Eileitungen und Ausleitungen der Lieder. Wie der Komponist die Stimmung in wenigen Takten umschreibt, konterkariert oder weiterspinnt ist grosse Kunst. Als Beispiel sei die Dichterliebe op. 48 aus dem Jahr 1840 erwähnt.


    Hubert Giesen hatte mit Fritz Wunderlich den Gehalt dieses Liederzyklus erarbeitet. Ich nehme an, eine der überlieferten Aufnahme dieser beiden Interpreten ist hier zu hören. In diesem YouTube-Film kann man den Notentext mitverfolgen.



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    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Ich erkenne Szells guten Willen an, ich halte ebenfalls viel von seiner Interpretation, aber ich denke, Retuschen sind niemals zum "Vorteil" eines Komponisten.

    na ja, aber vielleicht manchmal "zum Besten" des Werkes und seines Klanges?

    Weiss es der Komponist immer am besten?

    das ist in der Tat die Frage...

    Ragna Schirmer schreibt:


    "[...] Robert Schumann, geboren am 8.6. im Sternzeichen Zwilling, verkörpert die Zerrissenheit zwischen den Extremen wie kaum ein anderer. Himmelhoch jauchzender Florestan gegen den zu Tode betrübten Eusebius.[...]"

    Die Zwillinge in der Musik, ein interessantes Thema: ich nenne mal Grieg und (Richard) Strauss. und sehe schon als gemeinsame Schwierigkeit die große Form, also: wie kriege ich eine Vielfalt von Ideen, Varianten unter den Hut einer schlüssigen Form? Von den dreien hat nur Schumann Symphonien geschrieben, und es gibt da schon so Stellen, wo man denkt "naja, hier könnte es auch anders weitergehen".
    Für mich meistens am Gelungensten, wenn eine Inspiration die Form bestimmt bzw verändert, s.u.

    Die Einleitung der 1. Symphonie gehört zu den beeindruckensten und stärksten Symphonieeröffnungen, die es überhaupt gibt.

    JA!

    Mein Lieblingswerk von Schumann ist seine 2. Symphonie. Jemand schrieb mal, sie sei das größte und dennoch verkannteste Werk der Symphonik zwischen Beethoven und Brahms.

    So empfinde ich sie auch. "verkanntest" weiß nicht, aber schon ziemlich "groß", auch wenn der Ausdruck nicht so recht passen will - eine Qualität ist für mich auch die (relative) Kürze.

    Schumann hat mehrfach, vielleicht in einem falschen Traditionsbewusstsein, originellere Erstfassungen zu stärker klassizistischen Gebilden überarbeitet. Bei der 4. gilt das nicht für die Gesamtanlage, aber z.B. bestand das Klavierkonzert zuerst nur aus einem Satz (wie die beiden späteren, seltsamerweise kaum bekannten Konzertstücke), der aber als Episode einen "langsamen Satz" enthält und daher eigentlich in sich komplett ist. Gerade der 2. Satz wirkt auf mich daher etwas überflüssig und das Finale macht zwar Laune, wenn es entsprechend spritzig gespielt wird, aber insgesamt kann man sich fragen, ob Schumann das Werk durch diese Ergänzungen wirklich verbessert hat.

    Ja, als einsätziges Stück würde das Werk sicher funktionieren und bildet ein interessantes formales Experiment.

    Ich finde ingesamt die 4. Sinfonie ja die gelungenste, u.a. weil sie sowohl das "fantastisch-romantische" Element als auch die motivische Vereinheitlichung und Verknüpfung der 4 Sätze musterhaft durchzieht.

    auch hier die Tendenz zur untergründigen Einsätzigkeit - die Art, wie das Thema der Einleitung sowohl im 2. wie im 3.Satz wichtig wird, die für mich unglaublich erhebende Überleitung zum Finale - ein großartiger wahrhaft "symphonischer" Moment, die Keckheit, den 2.Satz in a-moll (plus Einleitungsakkord auf d-moll) starten zu lassen und die Wiederkehr des ersten Themas nach d-moll zu verschieben (mit Schlußakkord auf Dominante A), das verrät eine große Phantasie in der Gestaltung. Schade, daß der Zug zur "Klassizität" in ihm später überhand genommen hat. Das war wohl auch die Zeit, wo er meinte, das "poco animato" im Streicherthema in der Durchführung des ersten Satzes streichen zu müssen: nach meinem Gefühl MUSS hier a weng angezogen werden, um den Schwung des Ganzen zu erhalten.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Wer an einer Neubewertung Schumanns interessiert ist, kommt darum nicht herum:



    Schöne Grüße
    Holger

    danke für den Tip.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • na ja, aber vielleicht manchmal "zum Besten" des Werkes und seines Klanges?


    Wenn man denn immer wüsste, was "das Beste" ist...
    Ich bin wahrlich nicht immer einer Meinung mit Sir Roger Norrington, in Bezug auf Schumann aber schon: "Schumanns Sinfonien sind wunderbar, sie müssen nicht geändert, sondern nur gut gespielt werden."

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Leonard Bernstein äußerte sich bereits 1953 im Zuge seiner ersten Einspielung der 2. Symphonie von Schumann zu dieser Thematik. Die kompletten Ausführungen (auf Englisch) sind in dieser Box auf CD 3 enthalten:



    Man findet sie auch bei Spotify, daher konnte ich mir seine musikalische Analyse des Werkes bereits anhören. Bernstein geht auch auf den (seinerzeit sicher noch viel energischer vorgetragenen) Vorwurf ein, Schumann sei ein schlechter Orchestrierer gewesen. Gekonnt weiß er ihn mittels des Beispiels der 2. Symphonie zu entkräften, betont vielmehr die Gewandtheit Schumanns im Umgang mit der Orchestrierung. Er habe den Holz- und vor allem den Blechbläsern ein viel größeres Gewicht beigemessen als es bis dahin üblich gewesen sei. Er führt die Einleitung der Zweiten an, wo das Blech die Hauptrolle spiele, besonders die Posaune, die bis dato in der Symphonik ja nur an besonders effektvollen Stellen und auch nur in den Finalsätzen (Beethoven) eingesetzt worden sei. In Schumanns Zweiter hingegen nähmen die Blechbläser eine ganz andere Rolle ein, klängen ungewohnt lyrisch und zurückhaltend. Insgesamt sieht Bernstein die Orchestrierungen Schumanns als sehr innovativ an und geht noch viel detaillierter darauf ein (die Großartigkeit des langsamen Satzes, wo Schumann mit weniger mehr erziele, usw.). Er plädierte insofern bereits Anfang der 50er Jahre für die unveränderten Originalpartituren ohne diverse Eingriffe durch den Dirigenten, wie sie von George Szell und vielen anderen damals noch präferiert wurden. Die angeblichen Schwächen der Orchestrierung führt Bernstein vielmehr schlichtweg auf das Unvermögen diverser Dirigenten zurück, die eben dafür zu sorgen hätten, dass die Balance im Orchesterspiel gewahrt bleibe.


    Insofern war Bernstein ein Vorreiter, der schon vor über einem halben Jahrhundert die Qualität der originalen Orchestrierungen Schumanns ohne Retuschen erkannte, lange vor der HIP-Bewegung. Es ist schon verwunderlich, dass ausgerechnet ein Dirigent wie Michael Gielen bis zuletzt auf die Retuschen von Szell und Mahler setzte und offenbar auf dem Vorwurf, Schumann sei ein unfähiger Orchestrator gewesen, beharrte. Ich denke, es wurde mittlerweile wirklich hinlänglich diskographisch unter Beweis gestellt, dass es keiner Retuschen bedarf und man das Klischee vom zur Orchestrierung nicht wirklich befähigten Schumann endlich ad acta legen kann. Vermutlich halten sich solche Vorurteile aber beharrlich, wie auch das vom angeblich verkannten und mittelmäßigen Salieri.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • In Schumanns Zweiter hingegen nähmen die Blechbläser eine ganz andere Rolle ein, klängen ungewohnt lyrisch und zurückhaltend.

    wie schon im 2.Satz der 4., als unmerkliche hintergründige Verstärkung einer kurzen Stelle.


    ich würde auch nicht sagen, daß man bei Schumann großartig retuschieren muss - aber es gibt schon Stellen, wo man ein bißchen drauf achten sollte als Dirigent, daß es plastisch bleibt.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Bernstein geht auch auf den (seinerzeit sicher noch viel energischer vorgetragenen) Vorwurf ein, Schumann sei ein schlechter Orchestrierer gewesen.

    nun gibt es ja zwischen "meisterhaft" und "schlecht" doch ein paar Nuancen, z.B. : nicht ganz so erfahren. (wie z.B. Mendelssohn).
    Das hat ja nicht nur negative Konsequenzen: man traut sich u.U. mehr. Ich höre jedenfalls eine grundsätzlich symphonische Denkweise und geniale Ideen, und nur in kleinen Details heikle Umsetzungen, die eben so komponiert sind, daß es nicht automatisch, auch mit nicht so "guten" Orchestern und Dirigenten "funktioniert", sondern wo man sich etwas Mühe geben muss, den Gesamtklang zu gestalten. Daß gute Dirigenten und Orchester das hinkriegen, ist unbestritten. (und nicht erst seit heute: die Aufnahmen mit Rafael Kubelik und den Berliner Philharmonikern, die ich noch auf LP habe, haben mir nie den Eindruck irgendwelcher klanglichen Schwächen vetrmittelt.)

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)