Die pompöseste Bach-Kantate (?)

  • Heute kam mir mal die Überlegung: Welche Bach-Kantate ist eigtl. die pompöseste?
    Da ich bei weitem nicht alle kenne, kann ich nur bedingt mitreden, würde aber mal die 137, 214, 41, 79 und 119 nennen, wobei die 137 in meinen Augen alles in den Schatten stellt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das ist ja auch ein bisschen eine Frage der Aufführungspraxis. Ich hatte zum Beispiel eine sehr pompös aufgeführte Einspielung der Kantate BWV 80 "Ein feste Burg" mit Münchinger:



    Dümmlicherweise habe ich sie verschenkt, weil ich in der Verlegenheit war, schnell ein Geschenk ... man kennt das ja.


    Als neue Aufnahme habe ich mir dann eine Einspielung mit historischen Instrumenten gekauft. Die höre ich nach wie vor sehr gern, aber bei meinem nächsten Besuch im CD-Laden werde ich mir auch die Münchinger-Einspielung wieder an Land ziehen.


    Bei einem Konzert habe ich die Sinfonia aus BWV 29 (Wir danken dir Gott) mit einem nicht zu klein besetzten Orchester und einer großen Barockorgel sehr pompös gehört.


    Die Aufnahme bei Brilliant (Leusink & Co.) finde ich ganz ok., aber unter dem Aspekt des Pompösen - der beim Erwerb im Vordergrund stand! - reicht sie leider nicht aus.



    Ich bin ein großer Fan von historischen Einspielungen, aber manchmal brauche ich auch ein gut besetztes Orchester mit Pauken, Trompeten und entsprechendem Chor. Das ist das Geständnis eines HIP-Fans (meine "dunkle" Seite)


    Mit freundlichen Grüßen, Andrew



    Der ursprüngliche Fehler in der Numerierung der Kantate "eine feste Burg" wurde von der Moderation korrigiert. MOD 001

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • hallo, es geht nichts über 'ein feste burg' in der karl-richter-aufnahme (hier mit pauken und trtompeten...!!!) ... einer der großartigsten, kunstvollsten und pompösesten chorsätze, die je geschrieben wurden :jubel: :jubel: :jubel:

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Ja, so ist das. Die Einspielung von Münchinger ist auch eine Pauken-und-Trompeten-Einspielung.


    Das ist allerdings keine der Original-Fassungen von Bach, sondern wir haben Söhnchen Wilhelm Friedemann diese pompöse Fassung zu verdanken.


    Die Originalbesetzung der Uraufführung am Reformationstag 1723 sieht so aus: Soli: S A T B, Coro: S A T B, Oboe I/II, Oboe d'amore I/II, Taille, Oboe da caccia, Violino I/II, Viola, Continuo (+ Violoncello, Violone).


    Macht nichts. Ich höre weiterhin gern beide Fassungen.


    Grüße von Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • BWV 34 "O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe" - sehr schön in der Version von Fritz Werner, aber auch von Karl Richter.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Zitat von Klingsor:
    hallo, es geht nichts über 'ein feste burg' in der karl-richter-aufnahme (hier mit pauken und trtompeten...!!!) ... einer der großartigsten, kunstvollsten und pompösesten chorsätze, die je geschrieben wurden


    Hallo Klingsor, jetzt habe ich sie endlich in der Wilhelm-Friedemann-Fassung mit Richter & Co:



    Johann Sebastian Bach: Kantaten BWV 56, 79, 140; Mathis, Schreier, Adam, Fischer-Dieskau, Münchener Bach-Chor & Orchester, Richter


    Wunderbar festlich und pompös, das braucht der Mensch ab und zu ...


    Freundliche Grüße aus dem Land, in dem Bach nie gewesen ist, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Zitat

    Original von Andrew
    Ich hatte zum Beispiel eine sehr pompös aufgeführte Einspielung der Kantate BWV 140 "Ein feste Burg" mit Münchinger:


    nur so als fußnote ( und weil's vielleicht bei newbies verwirrung verursachen könnte) :


    bwv 140 ist "wachet auf..." (und ebenfalls nicht gerade schlichte)


    :hello:

  • Zitat

    Original von observator


    nur so als fußnote ( und weil's vielleicht bei newbies verwirrung verursachen könnte) :


    bwv 140 ist "wachet auf..." (und ebenfalls nicht gerade schlichte)


    vermutlich sogar kunstvoller als "Ein feste Burg", die ideale Choralkantate, aber ohne Pauken und Trompeten weder von Sebastian noch von Friedemann, daher vielleicht doch nicht so "pompös"


    viele Grüße


    JR (bei pompös ist Händel im Zweifel eh besser)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    (bei pompös ist Händel im Zweifel eh besser)



    Wenn pompös, dann Biber! :yes:

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

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  • :O Peinlich: Ein feste Burg ist natürlich die Kantate Nr. 80, die allerdings meistens mit Nr. 140 auf einer CD ist. JPC hat übrigens denselben Fehler gemacht und für diese CD die Kantatennummern so aufgelistet, wie ich (soll keine Ausrede sein).


    Vielen Dank für den Hinweis. :D


    Der Lobeshymne auf Kantate Nr. 140 "Wachet auf" kann ich mich nur anschließen. Schon die Vorlage, Nicolais Choral, ist eine der schönsten Gesangbuchmelodien. Jemand hat die beiden Nicolai-Choräle (der andere ist: "Wie schön leuchtet der Morgenstern") als König und Königin des Gesangbuches bezeichnet. Auch ohne Pomp wunderbare Musik.


    Zitat

    JR (bei pompös ist Händel im Zweifel eh besser)


    Ja, Händel ist besser bei Händel, aber dass Bach auch durchaus diese Register ziehen kann, zeigen z.B. die ersten Sätze aus Magnificat, Weihnachtsoratorium, Osteroratorium und diverse andere Stücke aus Kantaten und Vokalwerken. Oder? :yes:


    Freundliche Grüße von der Waterkant, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Dass Händel pompöser sei kann man vielleicht im Hinblick auf die Quantität sagen, dies merke ich an, ohne Händel, den ich sehr sehr gern höre, in irgendeiner Weise herabsetzen zu wollen.


    Wie aber schon schön gesagt wurde konnte Bach diese Register auch ziehen. Allerdings tut Bach dies aus einer anderen Grundhaltung heraus möchte ich meinen. Bei Händel wirkt das immer unheimlich schön, bei Bach effektiver.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von Masetto
    Bei Händel wirkt das immer unheimlich schön, bei Bach effektiver.


    Statt effektiver ist m.E. feierlicher besser.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Masetto
    Dass Händel pompöser sei kann man vielleicht im Hinblick auf die Quantität sagen, dies merke ich an, ohne Händel, den ich sehr sehr gern höre, in irgendeiner Weise herabsetzen zu wollen.


    Wie aber schon schön gesagt wurde konnte Bach diese Register auch ziehen. Allerdings tut Bach dies aus einer anderen Grundhaltung heraus möchte ich meinen. Bei Händel wirkt das immer unheimlich schön, bei Bach effektiver.


    Das sehe ich genau umgekehrt. Händel kann auch bei der geistlichen Musik nie den Opernkomponisten verleugnen. Er ist einfacher, geradliniger und deshalb effektiver. Dafür gibts halt keine Zahlenymbolik, Spielgefugen, theologische Finessen usw. Die größten Wirkungen Händels beruhen auf ganz anderen Dingen, z.B. der blockartigen Gegenüberstellung von kontrastierenden Abschnitten wie etwa im Hallelujah. Oder einem simplen Hell-Dunkel-Kontrast wie in "The people that walked in darkness"
    Bei Bach würde - überspitzt gesagt - solch ein Kontrast wieder aufgehoben, weil noch eine Doppelfuge über die beiden gegensätzliche Themen folgen müßte. (Es werden bei Händel am Schluß zwar auch "And he shall reign und das "Hallelujah"-Motiv kombiniert, aber auf eher lockere Weise)
    Dass Bach wegen drei dramatischer Stellen wie "Sind Blitze sind Donner..." ein großartiger Opernkomponist geworden wäre, halte ich für schlicht falsch bzw. ein typisches Fehlurteil der "Du sollst kein anderen Götter haben neben dem 5. Evangelisten JS Bach"-Fraktion.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Mir fehlt keine Oper von Bach :wacky:
    Insofern gebe ich Dir mit dem, was Du zuletzt gesagt hast, durchaus Recht :yes:


    Allerdings halte ich es für zu pauschalisierend, zu sagen, die Bachfraktion hätte gern eine Oper von Bach gehabt. Ich persönlich kann mir gar nicht vorstellen wie das aussehen sollte.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Masetto
    Mir fehlt keine Oper von Bach :wacky:


    Mir eigendlich auch nicht, aber...



    Zitat

    die Bachfraktion hätte gern eine Oper von Bach gehabt. Ich persönlich kann mir gar nicht vorstellen wie das aussehen sollte.


    ...ich stelle es mal spekulativ in den Raum, wenn Bach die Möglichkeit und Gelegendheit gehabt hätte -z.B. es hätte ihn an einen Hof verschlagen, wo Opern aufgeführt wurden, er hätte 1720 die Stelle in Hamburg zu St. Jakobi erhalten und Kontakt zur Hamburger Opernszene geknüpft oder die Oper in Leipzig hätte nach 1723 noch bestanden-, er wäre bestimmt auch ein sehr guter Opernkomponist geworden.
    Einige seiner weltlichen Kantaten sind auch als "Dramma per musica" abgefasst und tragen durchaus opernhafte Züge.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat


    Original von Masetto
    Mir fehlt keine Oper von Bach :wacky:


    Eigentlich mag ich Opern grundsätzlich nicht so sehr. Bei einer Entscheidung für einen Opern- oder Kirchenkonzertabend werde ich wohl immer letzteres wählen.


    Die weltlichen Kantaten Bachs sprechen mich ebenfalls nicht so sehr an wie die geistlichen, selbst (und manchmal vielleicht gerade) wenn sie als Quelle für in geistlichen Kantaten verwendeten Bearbeitungen (Parodien) dienten.


    Eine große Ausnahme ist hier für mich die Kaffeekantate und ein bisschen auch "Zerreisset , zersprenget".


    Die Kaffekantate ist von der musikalisch-psychologischen Darstellung der Charaktere her aus meiner Sicht von Bach sehr gut und vor allem sehr vergnüglich gemacht. Irgendwie kann sie thematisch auch heute noch ansprechen, auch wenn (oder weil?) die Suchtprobleme der heutigen Zeit leider nicht immer so harmlos ausfallen wie bei dieser, seinerzeit in einem Kaffeehaus (!) aufgeführten Kantate.
    Eine geschmackvoll gemachte szenische Darstellung kann hier sehr gut wirken, wenn denn auch die interpretatorische Qualität gut ausfällt.
    Ich denke hierbei an die schöne DVD-Aufnahme Koopmans, die Bestandteil seiner Bach-Kantaten-DVD ist.
    Man darf es ja nicht laut sagen, aber ich verweise auf das Recht, meinen eigenen Geschmack haben zu dürfen:
    Diese kleine Kantate ist meine private "Lieblingsoper" und ich ziehe sie im Zweifel einem Werk wie "Fidelio" oder gar "Othello" unbedingt vor :untertauch:
    Sie ist auch von der Länge her leichter zu konsumieren ;)


    Nun ja, pompös ist an dieser Kantate eigentlich nichts....aber um aufs eigentliche Thema zurückzukommen:


    BWV 205 ( Zerreisset, zerprenget) halte ich in gewissen Teilen ( z.B. Eingangschor oder einige Beiträge des nicht immer gleich zufriedengestellten Herrn Äolus) für ziemlich pompös. Man denke nur an die Instrumentierung mit vollem Blech und Pauken...
    Natürlich ist das Pompöse von Bach hier eher humorvoll und mit einem Augenzwinkern gemeint, denn es ging ja um den privaten Geburtstag des Herrn August.
    Aber trotzdem: Hier lässt er es teilweise ganz schön pompös krachen, und wenn dann Harnoncourt auf der Teldec-Aufnahme seinen Concentus sowie den ideal polternden Äolus (Holl) anfeuert, dann macht es mir als jemanden, der doch eigentlich geistlichen Kantaten vorzieht, trotzdem Spaß, hier zuzuhören.


    Gruß :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Masetto
    die Bachfraktion hätte gern eine Oper von Bach gehabt. Ich persönlich kann mir gar nicht vorstellen wie das aussehen sollte.


    Adam und Eva verlassen das Paradeis.
    Der Engel spricht:

    Die Träne fließt,
    Was Mensch ist, büßt.
    Die Träne fließt,
    was Mensch ist, büßt.
    Die Träne fließt.
    Die Träne fließt.
    Was Mensch ist, büßt.
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist, büßt.
    Die Träne fließt,
    Was Mensch ist, büßt.
    Die Träne fließt.
    Die Träne fließt.
    Die Träne fließt,
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist, büßt.
    Was Mensch ist, büßt.
    Die Träne fließt,
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist, büßt.
    Die Träne fließt,
    Die Träne fließt,
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist,
    Was Mensch ist, büßt.
    (Da capo)
    :stumm:



    :hello:

    ...

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  • Es wundert mich, dass noch niemand die Kantate BWV 51 "Jauchzet Gott in allen Landen" genannt hat. Oder empfindet ihr die nicht als pompös?

  • Das Weihnachtsoratorium ist natürlich gar kein Oratorium. Zunächst beruht es auf einer weltlichen Komposition (über Hercules!), und dann sind es auch 6 Kantaten. Und die prächtigste ist natürlich Nr. 1, Jauchzet, frohlocket. Wobei einige Dirigenten hingehen und das WO mit dem weltlichen Text von "Tönet, ihr Pauken" eröffnen!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Das Weihnachtsoratorium ist natürlich gar kein Oratorium. Zunächst beruht es auf einer weltlichen Komposition (über Hercules!)


    Das Argument verstehe ich nicht. Warum kann kein Oratorium sein, was auf einer weltlichen Komposition beruht? Würde das nicht heißen, dass weltliche Oratorien keine Oratorien sind, also z. B. die allermeisten von Händel? Darüber hinaus scheint mir die Kantate BWV 213, die den bekannten und im 18. Jahrhundert oft bearbeiteten Stoff von Herkules am Scheideweg bearbeitet, in ihrer recht simpel moralisierenden Tendenz, nicht so schrecklich weltlich, dass sie gar nicht passen würde. Da wären die Huldigungskantaten, die auch Eingang in das WO gefunden haben, schon eher zu befragen – vorausgesetzt, diese Frage wäre sinnvoll. Was sie nicht ist, weil das Parodie-Verfahren bis zum Ende des 18. Jahrhunderts ganz normal und völlig akzeptiert war. Es kam dann nach und nach in einen etwas üblen Ruf. Schließlich wird in diesen sechs Kantaten meines Wissens die Musik von zwei Arien, einem Duett und einem Chor aus BWV 213 verwendet, was mir bei rund 60 Musiknummern etwas wenig scheint, um als Basis der Komposition gelten zu können.

  • In dieser Wikipedia-Diskussion findet sich eine gute Darlegung, warum es sich durchaus um ein Oratorium und bei den Teilen nicht um Kantaten handelt:


    Selbstständige Kantaten oder Teile eines Oratoriums?


    Tut mir Leid, diesen Artikel in Wikipedia habe ich überhaupt nicht verstanden; ein wüstes Trümmerfeld von Gedanken, dazu auch nur Fachleuten verständlich. Der Einwand von imhotep ist berechtigt, aber das Parodieverfahren kenne ich auch. Ich dachte immer, dass früher das WO nicht komplett oder in zwei Teilen aufgeführt wurde (1-3, 4-6), sondern jede Kantate einzeln an den entsprechenden Feiertagen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich würde einen Wikipedia-Artikel nur so ernst nehmen, wie er es verdient: gar nicht. Ansonsten war die Frage nicht, ob das ein Oratorium ist oder nicht, sondern ob die Tatsache, dass vier Sätze daraus auf Musik basieren, die in einer weltlichen (wenn auch moralisch absolut einwandfreien und deshalb etwas öden) Kantate basiert, als Begründung dafür gelten kann, dass es sich nicht um ein Oratorium handelt. Das glaube ich nach wie vor nicht, ich würde es auch nicht glauben, wenn alle Sätze aus dieser Kantate stammen würden.


    Alles andere ist eine Definitionsfrage. Es ist allgemein bekannt, dass Bach nicht an eine zusammenhängende Aufführung gedacht hat. Die Kantaten sind für sechs aufeinanderfolgende Feiertage gedacht. Andererseits ist der Charakter dieses Kantantenzyklus (wenn man es so nennen will) so einheitlich, dass man durchaus auch von einem zusammenhängenden Werk sprechen kann, was sich ja auch praktisch in zahllosen Aufführungen erwiesen hat. Und letzten Endes ist es ja nur eine Bezeichnung. Diese hat sich nun mal eingebürgert, man kann also dabei bleiben. Zumal sie immer mal wieder einem Schlauberger die Befriedigung verschafft, mit Gravität darauf hinweisen zu können, dass das ja gar kein Oratorium sei.

  • diesen Artikel in Wikipedia habe ich überhaupt nicht verstanden; ein wüstes Trümmerfeld von Gedanken, [...] Ich dachte immer, dass früher das WO nicht komplett oder in zwei Teilen aufgeführt wurde (1-3, 4-6), sondern jede Kantate einzeln an den entsprechenden Feiertagen.



    Sicher wurden die Teile an 6 verschiedenene Tagen aufgeführt, das ist ja genau festgelegt.


    Ich ziehe dann mal die mir besonders einleuchtend erscheinenden Argumente leicht verändert aus der Wikipedia-Diskussion heraus:


    - Bach selbst betitelt in seinem Autograph das WO als "Oratorium", die Teile als "Pars ... Oratorii", im gedruckten Libretto lautet der Titel: Oratorium, welches die heilige Weyhnacht über in beyden Haupt-Kirchen zu Leipzig musizieret wurde. Man faßte also die Aufführung als über mehrere Tage verteilte Aufführung eines Werkes auf.


    - Das WO ähnelt von der Gattung her stark der oratorischen Passion mit den (1) Evangelienberichten, (2) den kommentierenden Chorälen und den madrigalischen Choreinschüben sowie (3) den im Gegensatz zur Kantate nicht
    secco-, sondern Accompagnato-Rezitativ mit Instrumentalbegleitung und den Arien.


    - Wie in den Passionen vertont Bach größere Bibelabschnitte – nicht so in den Kantaten, wo meist ein Bibelvers oder ein Choral zugrunde liegt.


    - Da das Secco-Rezitativ im WO dem Bibeltext vorbehalten ist, bedient sich Bach der instrumentalbegleiteten Rezitative Accompagnato-Rezitativ – nicht so in den Kantaten.


    - Typisch für das Oratorium ist der Einsatz der "Dramatis personae". Im WO wird wie in den Bach-Passionen die biblische
    Handlung vom Evangelisten erzählt – nicht so in den Kantaten.


    - Wie in den anderen Oratorien/Passionen Bachs werden die direkten Reden einzelner Personen werden von Solostimmen (Soliloquien) gesungen, Menschengruppen (Hirten, die Weisen) vom Chor (Turba) – nicht so in den Kantaten.


    - Die fortlaufende Erzählhandlung (typisch fürs Oratorium und die Bachpassionen) wird durch die Arien und Choräle unterbrochen, die meditative Momente der Vergegenwärtigung darstellen, bevor die Handlung wieder aufgenommen
    wird – nicht so in den Bachkantaten.


    - Es gibt keinen Hinweis, daß Bach die Teile als unabhängige Werke komponiert hat. Von Anfang an wurde das WO als Einheit für die Weihnachtszeit 1734/35 komponiert.

  • Da habe ich aber jetzt eine Menge dazugelernt. Dank an euch, imhotep und Kinderstück!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)