Mut zur Hässlichkeit: Patricia Petibon


  • Der Weihnachtsmann, dem ich wieder einmal großen Dank schulde, hat heuer schon zum Dritten Advent diese wunderbare Scheibe vorbei gebracht. Ich müsste sie noch öfter hören um etwas beizutragen zu können, was nicht schon dazu gesagt wurde, deswegen lasse ich Philhellenes Eloge mal als Ganzes stehen um darauf hinzuweisen, dass hier ein ideales Geschenk für Anhänger des nicht nur überzeugenden, sondern zuweilen sogar überwältigenden Rollenportraits einer nicht nur schönen Stimme vorliegt. Falls also noch jemand etwas dergleichen sucht: noch ist Zeit, jemandem eine große Freude zu bereiten und eine phänomenale Sängerin zu belohnen.


    Für mich mindestens auf diesem Sektor, der in den vergangenen Mnaten keineswegs damit geizte, das Juwel des Jahres 200 :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ich durfte Patricia Petibon am 6.12. im Musikverein mit Harnoncourt erleben. Sagen wir es so: ich kam wegen den Symphonien und blieb wegen den Arien. Die Art und Weise wie sich die Dame in Koloraturen stürzt hat mich völlig vom Hocker gerissen. Erwähnt werden sollte auch ihr extrem lebendiger Vortrag (Salamelica - zum Schreien komisch), den man bereits dreiviertelszenisch nennen kann.
    Am Ende war der Saal völlig außer Rand und Band. Die Menge tobte. Dass dem dann noch perfekte Wiedergabe der Oxford-Symphonie folgte, rundete den Abend vollends ab.



    Das Konzert wird übrigens am 06.01.09 auf Ö1 übertragen.


    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Hallo zusammen,


    laut ihrer Homepage gibt es ja nicht so viele Konzerte Patricia Petibons. Am 21.12 17:00 Uhr ist es dann so weit, dass sie zusammen mit Concerto Köln in Köln ist. Dies aber nicht in der Philharmonie, wie auf ihrer Homepage steht, sondern im Sendesaal des Deutschlandfunkes.


    Karten gibt es für günstige 15 Euro Einheitspreis. Selbst habe ich vor kurzem noch zwei Karten erwerben können. Weiß nicht, ob jetzt noch Karten zu haben sind. Da meine Frau aber doch nicht mitkommt, hätte ich bei Interesse noch eine Karte abzugeben.


    Das Programm ist wie folgt:



    Wer das Konzert später im Radio verfolgen will, kann auch dies:


    Zitat

    Die Aufzeichnung des Konzertes sendet der Deutschlandfunk am Dienstag, den 13. Januar 2009 ab 21.05 Uhr.


    Selbst bin ich sehr gespannt. Besonders jetzt nach Georgs Bericht. Von ihrer Homepage fand ich die verlinkten Videos noch interessanter, als die reinen Hörbeispiele. Diese hinterließen bei mir allerdings auch einen leicht zwiespältigen Eindruck, da mir ihre Mimik und Gestik beim Zuschauen etwas Schwierigkeiten bereitete. Auch weiß ich noch nicht so genau, wie mir ihr teilweise an emotionale und stimmliche Limits gehende Stil zusagt. Mozart-Arien sind nun auch nicht gerade dass, was ich häufig höre. Vor kurzem hörte ich aber im Rahmen einer konzertanten Idomeneo-Aufführung so mache Arie gesungen von Sunhae Im. :jubel:
    Dies gefiel mir sehr gut - aber ich denke Patricia Petibon wird doch deutlich anders sein...


    Also - ich bin gespannt und werde nach dem Konzert hier berichten!


    Viele Grüße
    Frank

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  • Lieber Martin,


    ich zögere, möchte ich doch nicht allzusehr als Kritikaster auftreten, was meine vergleichende Vorgehensweise aber mit sich bringt. Gerade bei der Begeisterung in den letzten Beiträgen. Siehe Jacques Rideamus. „das Juwel des Jahres 2008“.


    Allerdings gibt es bei der Rosenarie der Susana kaum etwas zu kritisieren. Natürlich hätte sie „Giunse alfin il momento ..“ vorweg singen müssen. So ist mir das zu sehr auf Mozart-Schmankerl reduziert. Die Stimme scheint sich tatsächlich in’s Lyrische zu entwickeln und gefällt mir von daher im aktuellen Vergleich mit der Damrau (letztes Recital: Mozart Donna)) und Ciofi (Jacobs Gesamtaufnahme) am besten. Die Netrebko (Harnoncourt) ist und bleibt nicht nur angesichts dieser Interpretationen eine Fehlbesetzung: nicht beweglich genug, kaum Ausdruck, wenig natürlich, mehr Diva denn Susanna.


    Die Auffassung von Michael Wersin in der Zeitschrift Rondo kann ich überhaupt nicht teilen. Er schreibt: „Susannas "Rosenarie" gelingt [der Damrau] dann mit eben jener charmanten, silbrig-zarten Glanzesfülle, die der Kollegin Patricia Petibon in ihrem etwa zeitgleich erscheinenden Antrittsrezital bei der Deutschen Grammophon fast völlig fehlt."
    Die Damrau singt die Arie schön zurückgenommen, wirkt aber etwas dünn. Kann aber auch an der Aufnahmetechnik liegen. Petibon sehr nah am Mikrofon (Hauchlaute).


    Während Ciofi insgesamt mehr verziert, verziert Damrau unnötigerweise nur den Schluß. Was soll das? Die Leute nehmen einfach die Gelegenheit wahr, wo Raum für Verzierungen besteht. Im Ausklang dieser nächtlichen Romanze wird dieses Ausklingen mit diesen Spielereien auf das „ar“ in „incoronar“ zerstört. Sollen sie doch die Koloraturen in „Martern ..“ verzieren!


    Gleichwohl darf ich doch auch in Bezug auf Patricia etwas beckmesserisch sein? Die Tonstärke schlägt in Wendungen nach oben manchmal zu sehr aus, so erhält da „i“ im „Deh vieni“ eine zu starke Betonung, ebenso das „non“ in „Finché non splende“, aber auch nach unten in „qui tutto adesca“ auf „tutto“. Natürlich schafft sie es genausowenig, wie alle anderen Sängerinnen die ich kenne, den Abstieg nach „notturna face“ ordentlich zu singen, Oh Mozart! - Das ändert aber nichts daran, daß es wunderbar wäre, Patricia Petibon einmal in einer Gesamtaufnahme bzw. Aufführung des „Figaro“ zu erleben.Ich denke eigentlich seit der Zürcher "Entführung", daß sie sich viel eher dieser Rolle hätte annehmen müssen.


    Ich will aber nicht verschweigen: Von den vielen Susannas, die ich mir angehört habe, ist mir die Seefried immer noch die liebste - eine schöne Stimme, hier passen die Attribute wie silbrig leuchtend, aber dennoch klangreich, vor allen aber eine Sängerin, welche ganz unmittelbar die Seele erreicht. Ob das nun Kunst oder Gabe ist, sei dahingestellt. – Positiv in Erinnerung gebracht hat sich mir während des Vergleichs Anna Moffo in der Gesamtaufnahme mit Giulini und ganz besonders in einem noch früheren Mozart-Recital unter Galliera (1959) Eine Stimme mit einem etwas dunkleren Timbre und einem stärkeren vokalen Agieren.


    arimantas :hello:

  • Hallo zusammen,


    aufgrund von Krankheit musste Patricia Petibon ihr Konzert in Köln absagen! :(
    Ich hörte stattdessen dann ein zwar sehr schönes Konzert des Concerto Kölns mit Werken Rigels, Mozarts und Haydns - aber von einem Live-Eindruck Patricia Petibons kann ich nun natürlich nicht berichten...


    Viele Grüße
    Frank

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  • ;( ;( ;(


    Das ist aber wirklich jammerschade!


    Allerdings hatte letzte Woche halb Frankreich eine Magen-Darm-Grippe und von den Wintererkältungen mal ganz zu schweigen.
    Ich warte nun ungeduldig aufs Christkind, ehe ich meine Kritik hier poste denn ich habe die Cd zwar schon verschenkt, aber selbst noch gar nicht gehört.


    F.Q.


  • Endlich habe ich auch diese Aufnahme bekommen und zum Glück nicht zu den Mondpreisen, die hier gefordert werde:



    Ich bin gerade beim ersten Hören und falle von einem Begeisterungsanfall in den nächsten. Allenfalls auf das "Je veux vivre" aus Gounods ROMÉO ET JULIETTE könnte ich verzichten, und das nicht etwa, weil sie es nicht sehr gut singt, sondern weil ich diese Arie schon in ähnlicher Qualität von anderen gehört habe. Schon bei dem Duett aus Lakmé bin ich jedoch trotz der Aufnahme mit Mady Mesplé und natürlich besonders Nathalie Dessay sehr froh, auch diese Aufnahme zu haben, die mich noch mehr begeistert, was ich kaum für möglich hielt.


    Auch beim Vergleich meiner bisherigen absoluten Lieblings-Cendrillon, Frederica von Stade, mit Patricia Petibon bin ich einfach baff, wie anders man das bei gleichem Niveau machen und dabei auch noch gestalten kann. Hier singt kein Koloraturautomat, sondern eine Frau, die nicht nur sehr genau weiß, was sie singt, sondern auch noch die Mittel hat, das adäquat auszudrücken. Hier singt kein seelenloser Koloraturautomat, sondern eine Frau, die sehr genau weiß, was sie singt, und zudem noch die Mittel hat, dies perfekt auszudrücken. Man höre nur einmal die beseelte, aber ausßer Kontrolle gerantende Puppe Olympia.


    Was sie dann mit den Liedern aus Chabriers L'ÉTOILE macht, ist einfach zum Niederknien. Dabei dachte ich, schon Colette-Alliot-Lugaz hätte unter Jon Eliot Gardiners Leitung das Optimum aus der Partie heraus geholt. Bite, bitte, gönnt ihr die Chance einer Gesamtaufnahme dieser Chabrier-Operette, am besten mit Minkowski, aber auch Yves Abel, der ja schon die vorzügliche Operettenplatte mit Susan Graham geleitet hatte, wäre eine vorzügliche Wahl. Was sie mit den Anpreisungen Lazulis anfängt, ist ein Kabinettstück, das selbst die ähnlich geartete Darbietung von Ruggero Raimondi in der Abbado-Aufnahme von Rossinis IL VIAGGIO Á REIMS übertrifft, wenn der die Kofferinhalte der Reisenden schildert.


    Wer diese Aufnahme zu einem vernünftigen Preis im Laden sieht und nicht zugreift, ist selber schuld, wenn er eine Sternstunde hinreißender Musik versäumt. Da ich mich nie kurz fassen kann, bleibt mir nur je eines hiervon für die 15 Tracks dieser cd:


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    Ich fürchte bzw. schätze, dass mein Juwel des Jahres 2009 schon fest steht und wieder eine Aufnahme mit Patricia Petibon sein wird.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Anlässlich ihres heutigen Geburtstages ist es mir ein besonderes Vergnügen, die vorgenannte Scheibe zum wiederholten und diese Neuerwerbung zum zweiten Mal drehen zu lassen:



    Ich hätte bis vor kurzem nicht gedacht, dass ich mir jemals eine Arienplatte aus Barockopern zulegen würde, und nach dieser Scheibe kann ich mir kaum vorstellen, dass es noch viel mehr werden, denn besser und ausdrucksstärker kann man das nicht singen.


    Wer diese Scheibe gehört (und die Texte gelesen) hat und danach immer noch nicht weiß, wo die hiesige Begeisterung für dieses Repertoire um Lully, Rameau oder Charpentier - und naürlich auch Patricia Petibon selbst - her kommt, dem ist nicht zu helfen. Allenfalls ist er nach den mit so viel Witz und Ausdruck und zudem sängerisch brillant vorgetragen, unaufhörlichen Höhepunkten dieser Zusammenstellung für Gesamtaufnahmen der Originale verloren.


    Gibt es etwas Besseres? "Rien du tout". Nach diesem Topper des mir bis dato völlig unbekannten Clemence de Grandval in der Interpretation von Patricia Petibon fällt mir zumindest in diesem Repertoire nichts ein.


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    :hello: Jacques Rideamus

  • French Touch und Airs Baroques Francais sind auch zwei meiner absoluten Lieblingsscheiben. Ich bin ganz hin und weg von der Art und Weise mit der Patricia Petibon ihre Sache angeht. Das hat unerhört viel Charme, Esprit und sprüht oft nur so vor Witz. Die Frechheit mit der sie z. B. die Air de la Folie oder die Puppenarie gestaltet, haut mich wirklich aus den Socken! Großartig, wie sie als Olympia irgendwo zwischen einem verrückten Huhn und einem schrägen Abbild von Marilyn Monroe pendelt - und sich "aus Versehen" plötzlich in die Koloraturen der Königin der Nacht verirrt... :hahahaha: (Ich glaube, Offenbach hätte seine helle Freude gehabt.) Auf der anderen Seite findet man dann wirkliche Feinheiten, etwa bei Massenet in der Air de la fée aus Cendrillon oder Adieu notre petite table. Und alles immer intelligent, raffiniert und pikant... :jubel:



  • ... das geht mir ganz genauso :jubel: :faint: :jubel: :faint: :jubel:


    Großartig-überraschend ganz besonders, was sie aus der Olympia macht - da verspricht Clemens nicht zuviel.


    Bin begeistert!



    LG, Elisabeth

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  • Zitat

    Original von Elisabeth
    Großartig-überraschend ganz besonders, was sie aus der Olympia macht - da verspricht Clemens nicht zuviel.


    Bin begeistert!


    Neben der herrlichen Olympia, den überaus aparten Couplets aus "L'Étoile", ihrer sehr kindlichen Lakmé und natürlich "J'ai deux amants" :D halte ich besonders die beiden Arien aus "Manon" für sehr erwähnenswert.


    Patricia Petibons absolut geniales "Adieu notre petite table" küre ich sofort zur allerbesten Interpretation dieses Stückes, und auch im "Obéissons" kann sie mit der nicht nur meiner Meinung nach besten Manon in Gesamtaufnahmen, Victoria de los Ángeles, durchaus mithalten. Deshalb wünsche ich mir ja auch schon seit Jahren ein paar Gesamtaufnahmen im Bereich der französischen Oper des 19. Jh.s mit ihr, etwa "L'Étoile", "L'amour masqué" "Manon", "Roméo et Juliette" und in fernerer Zukunft vielleicht "Thais" - bislang leider vergeblich...


    Liebe Grüße,
    Martin

  • Mein letzter Stand in Sachen Tamino-Web Auftritt ist der, daß wohl die letzten Beiträge verloren sind, deshalb hab ich diesen, von einigen Flüchtigkeiten bereinigt, wieder eingestellt. (Generell finde ich die Möglichkeit, den Text innerhalb von 10 Stunden zu korrigieren, als zu kurz. Man möchte doch vielleicht einmal darüber schlafen. Dann fallen einem Fehler eher auf oder es finden sich sogar inhaltliche Ergänzungen ein.)


    Bevor mich Alfred wegen Inaktivität rausschmeißt, erlaube ich mir einen Hinweis auf die im Mai erschienene CD von Patricia Petibon:



    “Rosso – Italienische Arien des Barock, Venice Baroque Orchestra, Andrea Marcon”


    Antonio Sartorio (1630 - 1680), Giulio Cesare in Egitto
    1) Quando voglio [2:41]


    Alessandro Stradella (1642 - 1682), San Giovanni Battista
    2) Queste lagrime e sospiri [4:42]


    George Frideric Handel (1685 - 1759)
    Alcina
    3) Tornami a vagheggiar [4:58]


    Rinaldo
    4) "Lascia ch'io pianga" [5:38]


    Ariodante HWV 33
    5) "Volate, amori" [3:49]


    Giulio Cesare in Egitto
    6) "Piangero la sorte mia" [6:59]


    Alessandro Scarlatti (1660 - 1725), La Griselda
    7) Se il mio dolor t'offende [2:40]



    Georg Fridrich Händel (1685 - 1759)
    Alcina
    8) Ah, mio cor [12:24]


    Ariodante HWV 33
    9) Neghittosi, or voi che fate [3:19]



    Nicola Porpora (1686 - 1768), Lucio Papirio


    10) Morte amara [4:30]


    Antonio Vivaldi (1678 - 1741), L'Olimpiade
    11) Siam navi all'onde [7:18]


    Antonio Sartorio (1630 - 1680), L'Orfeo
    12) Orfeo, tu dormi [5:17]


    Benedetto Marcello (1686 - 1739), Arianna
    13) Come mai puoi vedermi piangere [5:14]


    Alessandro Scarlatti (1660 - 1725), Il Sedecia, Re di Gerusalemme
    14) Caldo sangue [5:55]



    Spontan wäre man geneigt den Titel “Rosso” mit Patricia Petibons roter Haarpracht zu verbinden, sie selbst meint: „Rot ist eine starke Farbe, sie steht für Leben, Tod, Leidenschaft, Liebe, für Wein, einfach für alles. Rosso ist ein ausdrucksvolles Wort, das wunderbar auf die Barockmusik und überhaupt auf die ganze Welt des Barock paßt. Daher ist diese CD für mich eben rot und nicht weiß.“ Das Recital ist eine geschickte Mischung von alt bekannten Namen (Händel, Vivaldi, Scarlatti, Marcello) und relativ unbekanntem (Sartorio, Porpora und Stradella) - eine Verkaufsstrategie, welche in den letzten Jahren des Öfteren zu beobachten ist. Händel stellt mit sechs Arien etwa die Hälfte der CD und appelliert an diejenigen, die diese Arien einmal mit Patricia hören wollen. Allerdings muß sie sich hier der Konkurrenz stellen.


    Auf „Lascia ch'io pianga“ hätte sie ruhig verzichten können, die Arie ist zumindest mir durch ihre Allgegenwärtigkeit bis in die Kaufhäuser (z. B mit der Streisand) hinein verdorben. Im Vergleich mit der fehlbesetzten Bartoli oder auch Kozena (mit gleichem Orchester aber noch langsamer) ist sie überlegen und mit Fleming oder Cotrubas (beide unberührt von der Originalklangbewegung) gleichwertig, wenn auch durchaus unterschiedlich. An die schlichte Klage von Arleen Auger reicht sie m.E. nicht heran. Natürlich gibt es hier eine Fülle von weiteren Einzelaufnahmen, die ich aber nicht herangezogen habe (Zeitaufwand). Als Morgana in Alcina, „Tornami a vagheggiar”, gefällt sie mir besser als Natalie Dessay bei Christie. Die Stimme vom Patricia Petibon hat im Vergleich mehr Substanz, Farbe und eine gesunde Tiefe. In der Interpretation trifft sie das Frohlockende dieser Arie sehr gut – trotz oder vielleicht auch wegen kleiner Manieriertheiten. Veronica Cangemi hat gewiß eine schöne Stimme, die sich leider durch Boltons Begleitung auch interpretatorisch nicht entfalten darf. Generell ist das Zusammenspiel von Andrea Marcon mit dem Venice Baroque Orchestra und der Sängerin den obengenannten Aufnahmen deutlich überlegen. Ihre Alcina, „Ah, mio cor”, ziehe ich Aufnahme von Fleming und Harteros vor. Die Fleming hat sicherlich die reichere Stimme, aber sie macht daraus wenig. Man höre sich allein die Variationen von „perché“ an, dieses ‚Warum‘ an die Götter erinnert den Hörer durchaus an seine eigenen Fragen an das Schicksal. Harteros ist leider auch nicht sonderlich differenzierend und könnte ihr Vibrato schon einmal mit einem geraden Ton unterbrechen. Wem das radikales Ausdrucksstreben von Petibon zuviel ist, sei an Arleen Auger in der Gesamtaufnahme unter Hickox (Orchesterklang leider mulmig) verwiesen: eine schöne, leuchtende Stimme, die Rolle mit viel Ausdruck gestaltet, dem es der Sutherland leider mangelt. Auch Augers Zornesausbruch in „Ma, che fa gemendo Alcina?“ ist überzeugend, wenn nur das Orchester das Tempo mehr anziehen würde.


    Aber der eigentlich interessante Teil der CD sind die weniger bekannten Arien. "Quando voglio" aus der Oper "Giulio Cesare in Egitto" von Antonio Sartori beginnt mit Trommeln und Kastagnetten und fetzigen Streicherrhythmen. Petibon singt, tanzt, spricht, stöhnt, stockt, aber immer im Rhythmus und endet flüsternd. Eine sehr sinnliche Aneignung Kleopatras im Geiste Carmens. Es folgt die Klage "Ansaldo Ansaldi" aus dem Oratorium "San Giovanni Battista" von Alessandro Stradella. Welch ein Wechsel, ganz instrumental geführt entsteigt die Stimme den Streichern. Gesang pur.


    Petibon reizt die barocke Affektenlehre bis auf das letzte aus, überschreitet dabei vokale Grenzen, aber selbst wenn ihr etwas nicht gelingt, da kommt die Bühne des Lebens aus den Boxen. Da wird gejauchzt, gestöhnt, geschrien und geflüstert, so wird das Leben Ismaels in Scarlattis Il Sedecia, Re di Gerusalemme, „Caldo sangue“, im wahrsten Sinn des Wortes ausgehaucht. Vielleicht kann man diese Musik nur auf diese Weise für die Moderne retten. Es ist mir vollkommen klar, daß dieses hinter den Notentext gehen bzw. darüber hinausgehen nicht jedem gefallen kann, aber diese Musik verträgt das. Natürlich geht das bei Mozart nicht. Petibon läuft dann m.E. Gefahr, tendenziell wie als Despina oder Blonde die Rollen zu karikieren – obwohl sie in diesen Rollen immer noch „klasse“ ist und sich vom Ensemble abhebt.


    Im übrigen geschieht dieses Überschreiten der Singstimme meist nicht aus Not, sondern im Bewußtsein vokaler Möglichkeiten. Wenn Petibon haucht, dann muß sie nicht wie etwa die Bartoli überbrücken, daß ein gesundes Pianissimo nicht mehr zur Verfügung steht, welches Petibon in Händels Giulio Cesare in Egitto, "Piangero la sorte mia“, präsentiert.


    Natürlich hat sie auch Grenzen. In Vivaldis "Siam navi all'onde algenti" aus L'Olimpiade" ist Petibon nicht so geläufig wie Simone Kermes und muß die Koloraturen stimmlich zurücknehmen. Kermes hat einerseits die etwas substanzreichere Stimme und ist ihr auch koloraturtechnisch überlegen, aber wie effektvoll Petibon hier, aber auch nur hier, aus der Not eine Tugend macht, ist sehr gelungen. Übrigens hätte ich nie gedacht, daß sie über eine solche Bruststimme verfügt. Ich glaube allerdings nicht, daß die Kermes ein solch schönes und lang anhaltendes Legato wie Patricia in Sartorios L'Orfeo, „Orfeo, tu dormi“, gelingt. Es sind solche Arien, wie auch die bereits genannte Scarlatti-Arie Caldo sangue die auch den penibelsten Kritiker verstummen lassen muß.
    Die genannten Einwände bei Vivaldi bedeuten nicht, daß ihr Koloraturen, Staccati oder Registersprünge nicht gelingen. Entscheidend ist, daß diese Mittel nie Selbstzweck sind. So können wir bewundern, wie ihre instrumental geführte fast mit dem Orchester verschmelzt, ebenso wenig Mühe bereiten ihr langgezogene Messa di voce-Effekte und ihre Vibrato-Kontrolle ist geradezu verblüffend.
    Empfehlen kann ich jedem Liebhaber dieser Sängerin aber auch dem Neugierigen das Video auf der Website der Deutschen Grammophon. Selten habe ich eine Sängerin im Studio mit solch einem Körpereinsatz gesehen und wie wunderbar dieser mit der Musik korrespondiert. Einsatz ist vielleicht das falsche Wort, die Musik springt ihr in Körper und Glieder. Da wird manches auf der Bühne, was man als Personenregie begriffen hatte, als ihr ureigenster Beitrag erfahrbar.
    Resümierend möchte ich meinen, daß uns Paticia Petibon auf überzeugende Weise in die musikalische Gefühlswelt des 17. und frühen 18. Jahrhunderts führt, indem es ihr gelingt deren eigenartige Melange von wahren und künstlichen Gefühlen in ihrer Kunst zu vereinen. Wer nur eine weitere CD voller Bravourarien auf dem Markt befürchtet hat, wird angenehm enttäuscht. Natürlich erwarten den Hörer auch Koloraturen, Staccati oder Registersprünge, vor allem aber eine seltene Ausdrucksradikalität, die gerade auch in den überwiegend ruhigen und besinnlichen Passagen punktet.


    Liebe Grüße an alle



    arimantas


    P:S. Da ich nicht ganz auf dem Laufenden bin, weiß ich nicht, ob die CD bereits von einem Tamino besprochen wurde.

    Einmal editiert, zuletzt von arimantas ()

  • Nachdem dieser Thread fast viereinhalb Jahre brach lag, habe ich heute Grund ihn wieder aufzurufen. Patricia Petibon, zu deren Geburtstag ich heut hier diese CD mit spanischen Lieder vorstellen möchte:


    wurde am 27. Februar 1970 geboen.


    Sie feiert heute ihren 45. Geburtstag.


    Herzlichen Glückwunsch!


    Willi :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Am Sonntag den 20. September ist Patricia Petibon wieder in der Norddeutschen Tiefebene zu hören:


    Sonntag, 20. September um 17.30 Uhr
    "Nouveau Monde"


    Patricia Petibon (Sopran), Joel Grare (Schlagwerk), Pierre Hamon (Flöte und Dudelsack) und das La Cetra Barockorchester Basel
    Werke von Rameau, Händel, Purcell u.a.
    Veranstaltung im Rahmen der Niedersächsischen Musiktage


    Ein Programm voller Schätze: Sopranistin Patricia Petibon nimmt Sie mit auf eine musikalische Reise von der Alten in die Neue Welt - von barocken Opernarien aus England und Frankreich über spanische Zaruelas bis hin zu peruanischen Volksliedern.


    KLOSTER LOCCUM
    Stiftskirche



    Eintrittspreise:
    € 25.00 / € 20.00
    € 20.00 / € 15.00 (ermäßigt)
    bei der Sparkasse Nienburg (05021 - 969136),
    Geschäftsstelle Rehburg (05037 - 97190),
    Geschäftsstelle Loccum (05766 - 96030)


    Bin gespannt!


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Nachdem ich Patricia Petibon bislang nur in Barock-Partien gehört habe, konnte ich sie vorgestern in Brüssel als Blanche de la Force in Poulencs "Dialogues des Carmélites" erleben :jubel: . Es war eine Wiederaufnahme der Ko-Produktion mit dem Théâtre des Champs Elysées, die auch auf DVD/Blu-ray verfügbar ist:



    Nicht nur aufgrund der Petibon ist diese Aufnahme höchst empfehlenswert, auch die anderen Partien sind erstrangig besetzt (Véronique Gens, Sophie Koch, Sandrine Piau), und die Inszenierung von Olivier Py ist ebenfalls sehr gelungen.


    Im Mai verkörpert Patricia Petibon dann wieder in Paris an der Seite von Philippe Jaroussky eine ihrer Paraderollen, nämlich Glucks "Euridice":


    http://www.theatrechampselysee…n-scene/orfeo-ed-euridice



    Ich habe schon ein Ticket, vielleicht mag ja noch jemand einen Besuch in dieser wundervollen Stadt mit einem Opern-Erlebnis verbinden. :hello:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Leider habe ich Patricia Petibon noch nie live erlebt. Sie scheint mir ein Bühnenereignis zu sein. Mit den rein akustischen Dokumenten kann nicht nicht sehr viel anfangen, bis auf Bachianas brasileiras Nr. 5 von Villa Lobos. Warum? Weil dabei die Stimme so unglaublich instrumental geführt, was beo diesem Stück auch notwendig ist. Das geht so weit, dass Stimme und Instrumente stellenweise eins sind. Zu meiner großen Überraschung muss ich eben feststellen, dass sie ja bald schon fünfzig ist. :huh: Ich bin gespannt, wie sie die vier Rollen im "Hoffmann" wird bewältigen. Die sind ziemlich unterschiedlich und wollen auch gesungen sein. Eigentlich bin ich nie ein Freund dieser Kombination gewesen.


    Für sehr große Kunst einer Sängerdarstellerin halte ich dieses Szene!


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Für sehr große Kunst einer Sängerdarstellerin halte ich dieses Szene!

    Ja, lieber Rheingold, die Alcina ist ihr auf den Leib geschrieben. Sie nicht auf der Bühne (oder wenigstens auf dem Bildschirm) zu sehen, wenn sie singt, kann ich mir gar nicht vorstellen. Dass sie schon 50 ist, hätte ich auch nicht vermutet.


    Was den "Hoffmann" betrifft: Dramaturgisch macht es sehr viel Sinn, die Frauen, denen der arme Kerl nachträumt und nachläuft, von ein- und derselben Sängerin darstellen zu lassen. Ob eine Stimme die Anforderungen dieser Rollen dann auch bewältigen kann, ist hingegen fraglich.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Patricia Petibon diesmal abseits von Barock und Moderne, in einem sehr französischen Programm, das für sie arrangiert wurde von Olivier Py. (90 Minuten)

    "La Belle excentrique" 2014 >

    Patricia Petibon - soprano, Olivier Py - installation and singing

    Susan Manoff & David Levi - piano

    Programm:

    Erik Satie - The Belle excentrique: Grand Ritornello

    Francis Poulenc - The guys who join the party (Les gars qui vont à la fête) / Travel to Paris (Voyage à Paris) / Yesterday (Hier)

    Manuel Rosenthal - Daydream (Rêverie) / Moon fisherman (Pêcheur de lune)

    Gabriel Fauré - Spleen

    Francis Poulenc - The way to love (Les chemins de l'amour)

    Stéphane Leach - Do not talk about love (Ne parlez pas d'amour)

    Gabriel Fauré - The cradles (Les berceaux)

    Erik Satie - The Vessel (Le vaisseau) / The bronze statue (La statue de bronze) - Daphénéo / The poet song (Air du poète) / The (La) Belle excentrique: High society cancan (Cancan Grand-Mondain) / All (Tous) / I want you (Je te veux) / The races (Les courses) / Gon on Chochotte (Allons-y Chochotte)

    Léo Ferré - We will love each other (On s'aimera)

    Erik Satie - Nice despear (Désespoir agréable)

    Reynaldo Hahn - Pholoé / To (A) Chloris

    Gabriel Fauré - Onto mute (En sourdine)

    Erik Satie - The (La) Belle excentrique: High society Cancan (Cancan Grand-Mondain) / All (Tous)

    Manuel Rosenthal - Fido- fido / The Botanical Gardens elephant (L'Eléphant du jardin des Plantes) / The Zoo old camel (Le vieux chameau du Zoo)

    David Moreau - Colchicum from Pasture land (Colchique dans les prés)

    Harold Arlen - Over the rainbow

    Erik Satie - The Piccadilly

    Fernandel - One tough guy (C'est un dur)

    Erik Satie - The Tango

    Fernandel - The corsicant Tango (Tango Corse)

    Agustin Lara - Granada

    Alles Gute und einen Gruß von Orfeo

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