Austausch über Höreindrücke zu den Sänger-Jubilaren

  • Willi hat heute in seiner Rubrik dankenswerterweise an den 1. Todestag von Jutta Vulpius erinnert, deren Karriere 1954 als Königin der Nacht in Walter Felsensteins Inszenierung von Mozarts "Zauberflöte" an seiner Komischen Oper Berlin begann und sich dann über Jahrzehnte an der Deutschen Staatsoper Berlin fortsetzte.


    Hier kann man eine Studio-Einspielung der ersten Arie hören, wohl aus dem gleichen Jahrzehnt wie diese denkwürdige Premiere stammend:



    Die Arie ist ja zweiteilig aufgebaut und genauso zweiteilig würde ich sie auch bewerten wollen. Beide Teile verbindet die in diesem Fach zutiefst ungewöhnliche hervorragende Textverständlichkeit.


    Im Rezitativ und im "Lamento" könnte die Stimme für meine Ohren etwas ausladender und auch farbiger sein, sie ist sehr schlank geführt und klingt für mich etwas "weiß". Ich finde diesen Klageteil der Arie auch etwas zu neutral, ja beinahe etwas langweilig gesungen - erstaunlich, wenn man bedenkt, dass sie diese Rolle mit Felsenstein erarbeitet hat. (Das merkt man zumindest noch an der perfekten Textverständlichkeit.)


    Mit dem bewegten virtuosen zweiten Teil dieser Arie kommt dann allerdings Leben in die Bude: Die Koloraturgeläufigkeit dieser Stimme ist schon maßstabsetzend! Perfekte Koloraturläufe ohne irgendeinen hörbaren Kraftaufwand, hingegen ganz helle weite Spitzentöne - das, wenn ich meinen Ohren trauen darf, schon ganz große Klasse, auch wenn bezüglich ausrucksmäßigen stimmlichen Gestaltung der Rolle für mich durchaus Wünsche offen bleiben.


    Bei ihrer Zerbinetta-Arie, die man auch auf Youtube findet, ist das ganz ähnlich: Besser kann man die eigentlich nicht singen, doch die Ebene der Rollengestaltung und -durchdringung fehlt fast völlig. Nun hat sie die Zerbinetta (auch aus figürlichen Gründen, wie sie mir mal gestand) auf der Bühe nie gesungen - die Königin der Nacht hingegen dutzende Male, nach einer harten und konfliktreichen Probenphase mit Walter Felsenstein. Dass man davon - wohl ein paar Jahre später - nicht mehr so viel hört, erstaunt mich schon etwas. Aber die Vulpius war wohl doch eher die reine Sängerin - obwohl sie an der Staatsoper auch tolle packende Rollenstudien, voran als Violetta, abgeliefert haben soll, wie ich von mehreren Augen- und Ohrenzeugen weiß - baer allein nach den besagten Aufnahmen beurteilt war sie eher eine Sängerin als eine Sängerdarstellerin, mit allem, was auch an stimmlichem Ausdruck dazugehört. Vielleicht kam das auch erst später, als die stimmliche Mühelosigkeit abhanden kam.
    Trotzdem höre ich sie in einigen waghalsigen Koloraturpartien (zum Beispiel auch dem Frühlingsstimmen-Walzer, den man ebenfalls bei Youtube findet) und auch in anderen Aufnahmen sehr gerne.
    Jedenfalls war und wurde sie nicht Felsensteins Favoritin, das waren eher die Arnold und die Schlemm, und sie zog dann die Konsequenz daraus und wechselte ans "Sängerhaus", die Berliner Staatsoper, wo man sie mit Kusshand nahm und wo sie allein die Konstanze mehr als 100x gesungen hat (neben Ritzmann, Wunderlich, Schreier, Büchner und und und...)


    Ich bin gespannt, wie andere das besprochene Beispiel der ersten Königin-der-Nacht-Arie und/oder die weiteren angetippten Beispiele hören.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • lieber Stimmenliebhaber,


    angeregt durch Dein Posting habe ich heute nochmal die nebenstehende CD mit Arien von Jutta Vulpius angehört. Sie enthält auch die beiden Arien der Königin der Nacht, aufgenommen in mono im Oktober 1955 mit der Staatskapelle Berlin unter Meinhard von Zallinger. Ferner enthält die CD noch Arien aus der Entführung, Don Giovanni sowie drei Konzertarien.


    Die meisten Deiner Einschätzungen teile ich voll und ganz (bzgl. Textdeutlichkeit, Mühelosigkeit der Tonbildung und Glockenklang auch in sehr hohen Lagen, Koloraturgeläufigkeit). Timbre- bzw. stimmfarbenmäßig gehe ich auch d'accord, dass ihre natürlichen Möglichkeiten eher begrenzt sind. Die Stimme hat für mich über große Strecken eher einen Jungmädchenklang. Ob sich das über die weiteren Jahre ihrer Karriere geändert hat, kann ich nicht beurteilen. Die anderen Tracks auf der CD sind aus dem Jahre 1961, also auch noch aus einem frühen Stadium.


    Allerdings empfinde ich die O-zittre-nicht-Arie etwas anders. Gerade der "Lamento"-Teil gefällt mir mehr als der virtuose zweite Teil. Warum? Der sehr helle Stimmklang und die Phrasierung und die teilweise schleppenden Tempi (Zum Leiden bin ich auserkoren... Noch seh' ich ihr Zittern) erzeugen für mich einen bestimmten Eindruck von Falschheit und Verlogenheit. Ich habe das Gefühl, dass sie nach jeder Phrase wie eine Schlange um Tamino herumschleicht und mit einem Auge zu ihm schielt, um zu sehen wie ihre Worte wirken und um ggf. noch eins draufzulegen. Beim zweiten, schnellen Abschnitt der Arie fehlt mir dagegen etwas der Drive (Schuld des Dirigenten) und der Furor in der Stimme (den aber eine so hell timbrierte Stimme nicht aufbringen kann), obwohl die Koloraturen exemplarisch gelingen. Da finde ich eine S. Geszty z.B. überzeugender in der Gestaltung.


    Hervorragend gelungen auf der CD die Konzertarien "Vorrei spiegarvi", "No, no, che non sei capace" (!!!) und "Non temer, amato bene".
    Interessant war in einem youtube-Video von ihr zu hören, dass sie sogar Abigaille gesungen habe... das ist nun eine Rolle, die ich mir gar nicht mit diesem Stimmtypus vorstellen kann. Für mich ist Jutta Vulpius eher eine hervorragende Sängerin für helle, lichte Rollen (auch der deutsch gesungene Lucia-Ausschnitt bei youtube hat mir gefallen), nicht für Scheuchen oder Furien.


    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Lieber "orsini",


    ich danke dir sehr für deinen Beitrag mit deinen Höreindrücken zu Jutta Vulpius und fand gerade die Abweichungen zu meinen eigenen Eindrücken sehr interessant und bedenkenswert.


    Noch zur Abigaille: Stimmen verändern sich halt im Laufe der Jahre, bei Frauen mit Schwangerschaften noch mehr als in anderen Fällen. Schon nach der ersten Schwangerschaft klang die Vulpius anders als vorher, nach der zweiten dann noch mehr - die Wandlung der Stimme kann man anhand von Aufnahmen jener Jahre gut nachvollziehen. Sie konnte dann nicht mehr alles singen, was sie vorher gesungen hat. Konstanze und Fiordiligi sang sie noch bis Anfang der Siebziger Jahre, aber einige andere Rollen mussten weichen (die Butterfly zum Beispiel) - und nun war sie halt Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper und man spielte damals, Anfang der Sechziger an der Staatsoper Berlin, unglaublich oft "Nabucco" - und da musste sie dann mit Maria Corelli und Hanne-Lore Kuhse alternieren, ob sie wollte oder nicht. Ich habe sie in dieser Rolle nie in einer Aufnahme gehört, nicht mal ausschnittsweise, aber ich vermute natürlich, dass das nicht ihre beste Rolle war. Später sang sie dann auch Eva in den "Meistersingern", als dort Not am Mann war, "Figaro"-Gräfin und die Elisabeth im "Don Carlos", also ein ganz anderes Fach, als sie noch in den 1950er Jahren gesungen hatte. Sänger und Stimmen entwickeln sich immer weiter, ob sie wollen oder nicht, einen festes Status quo, der sich nicht verändert, gibt es bei Sängern nicht. Daher finde ich das fach-Schubladen-Denken, das leider auch in diesem Forum sehr verbreitet ist, manchmal so ätzend, aber Menschen wollen eben aus Bequemlichkeit gerne alles in Schubladen stecken...


    Damit meine ich aber um Gottes Willen nicht dich!!! Ich danke dir sehr für deinen schönen Beitrag, der eine große Bereichung für "meine" Rubrik ist, und ich freue mich, dass ich dich mit meinem Beitrag über sie zum Hören ihrer Stimme verleiten konnte. :yes: :jubel: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber, lieber orsini,


    ich habe eure postings mit großem Interesse gelesen und mir den youtube link angehört. Insgesamt empfinde ich das Tempo als recht langsam gewählt. Beim Lamento Teil empfand ich vordergründig ebenfalls Langeweile, doch entstand schnell ein anderer Eindruck, um den ich eure Diskussion noch erweitern möchte: Ich finde in der vorliegenden Interpretation sehr viel Selbstmitleid.
    Die Geschichte der "sternflammenden Königin" zeigt auch einen plausiblen Grund dafür: Die Macht, nach der sie verlangt, hätte ihrer Ansicht ja ihr gebührt und nicht Sarastro. Wäre ihr Mann doch nur nicht so blöd gewesen...


    LG
    Christian

    Die Menschen muss man nehmen, wie sie sind, nicht wie sie sein sollten.
    Franz Schubert

  • Kurz meine Eindrücke zu Jutta Vulpius und ihrer "Königin der Nacht".
    Eines vorweg: Ich empfinde Jutta Vulpius als eine ungeheuer musikalische Sängerin, man merkt ihr hohes Verständnis für musikalische Strukturen fast in jeder Phrase. Daraus ergibt sich jedoch auch ein Defizit: Ich vermute fast, dass sie das absolute Gehör hatte, das merkt man paradoxerweise daran, dass die Intonation an einigen Stellen gefährdet ist (sehr gut zu hören an den beiden "verloren" im Andante-Teil), da Sänger mit absolutem Gehör dazu neigen, den Ton aus ihrer inneren Vorstellung heraus zu produzieren und hin und wieder vergessen, sich beim Orchester "rückzuversichern". Was mir auch generell auffällt ist der leichte, sehr gerade, vibratoarme Klang. Heute wäre sie aus diesem Grund sicher eine sehr gefragte Sängerin bei Dirigenten wie René Jacobs oder Philippe Herreweghe. Mein Fall ist die Farbe der hellen, fast weiß timbrierten Stimme übrigens überhaupt nicht. Von meinen Vorrednern wurde die gestalterische Armut beklagt. Hier möchte ich Partei für Vulpius ergreifen, insofern, als ich zugestehe, dass Rezitativ und Andante-Teil zwar überaus langweilig anzuhören sind, jedoch das in diesem Fall nicht der Sängerin anlasten. Denn Sänger, die einen derart graden Tonansatz wählen, gestalten selten über starke Konsonantenbetonung oder andere "rhetorische" Mittel. Ihr Hauptgestaltungsmittel ist die Agogik und das muss ein guter Dirigent erkennen. Von Zallinger tut das nicht und dirgiert die Arie mit einer Biederkeit runter, richtet sie ohne jede dynamische Bewegung beinahe hin, dass einem der Atem stockt. Im Allegro-moderato-Teil beweist Vulpius zwar eine bemerkenswerte Koloraturgeläufigkeit, eine hohe Biegsamkeit der Stimme und famose Spitzentöne, bleibt dem Charakter durch fehlendes Zupacken aber jegliche Gefährlichkeit schuldig. Auch verpasst sie es den halben Noten am Ende ("auf ewig dein, auf ewig dein") eine sinnliche Färbung zu geben, die Tamino davon überzeugen könnte, dass es eine Freude wäre, Pamina zu besitzen.
    Es ist ein interessantes Dokument einer Sängerin, die heute in der öffentlichen Wahrnehmung noch immer ein Schattendasein fristet. Auf ihre enorme Bedeutung für die Staatsoper Berlin hat "Stimmenliebhaber" bereits dankenswerterweise hingewiesen.

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  • Lieber "Melomane",


    herzlichen Dank für deine hochinteressante Analyse der Interpretation der ersten Arie der Königin der Nacht durch Jutta Vulpius. :yes: :jubel:


    Das war für mich sehr interessant zu lesen, hat mich auch ein bissl verblüfft, weil mir mal jemand erzählt hat, dass es gerade zwischen dieser Sängerin und diesem Dirigenten ziemlich genknistert haben soll. :D


    Schade, dass man davon in der Aufnahme nichts hört. Trotzdem genieße ich das Lesen der geposteten Höreindrücke von anderen sehr, es gibt mir sehr viel und ich freue mich jedesmal wieder, dass dieser Thread keine Totgeburt ist. Danke euch dafür! :thumbup:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich möchte hier über meine Hör-Eindrücke zur "Rheingold"-Erda-Szene, gesungen von Ernestine Schumann-Heink schreiben. Die Altistin starb heute vor 81 Jahren, wie ich gerade in Willis Rubrik ergänzt habe.



    https://www.youtube.com/watch?v=sa9pXsrWDJo


    Ich höre eine satte, in sich ruhende Altstimme mit viel Stimmkraft und Stimmklang, vor allem einer abgrundtiefen, scheinbar unendlichen, zumindest sehr dunklen Tiefe, während die Höhen enger und fester klingen, teilweise sogar etwas spitz und beinahe schon ein bissl sopranig anmuten, aber dennoch metallischen Mezzo-Glanz haben. Also: Auch diese Höhen klingen, wenn auch ganz anders als die Tiefe.
    Die Textverständlichkeit der Sängerin finde ich ebenso vollbefriedigend wie ihre Ausruckskraft. Das Naturereignis entsteht wirklich durch die volltönende Tiefe, welche die Urmutter Erda eindrucksvoll verkörpern.
    Tempomäßig sind mir einige Stelle zu gehetzt, aber vielleicht durfte die Aufnahme wegen der Länge einer Schellackplattenseite nicht langsamer sein.


    Wie hört ihr diese Sängerin?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nun möchte ich aber auch noch über meine Höreindrücke von einem Sänger sprechen, an den Willi heute tatsächlich erinnert hat, nämlich an den 136. Geburtstag des Bassisten Nazzareno de Angelis.


    Ich habe mich bei diesem christlichen Namen für die biblischste Fachpartie entschieden, mit der er zu finden war - zugegebenermaßen auch, weil mich einige andere Aufnahmen (zum Beispiel Fiesco!) deutlich weniger angesprochen haben, während ich nachfolgende Moses-Arie schon sehr gelungen gesungen finde, obgleich ich nicht der große Rossini-Fan und Experte bin, weshalb ich gerade auch die Höreindrücke solcher gespannt bin.



    https://www.youtube.com/watch?v=iDeX_u1YMBc


    Die Stimme hat Macht und Kraft, ein etwas kurzes Vibrato, eine etwas enge baritonale Höhe und eine rabenschwarze Tiefe, wie ich gleich in den ersten 35 Sekunden dieser Arienaufnahmen höre. Was mich in der Folge neben der satten Tiefe mindestens ebenso beeindruckt, ist seine große emotionale Ausdruckspalette bis hin zum zartesten zerbrechlichsten Höhenpiano, was ich so von vielen anderen berühmten Bassisten (Boris Christoff und einige andere sind von nachfolgendem Vorwurf ausdrücklich ausgenommen) noch nie gehört habe.
    Der lang gehaltene Spitzenton (bei ca. 2:25 Uhr) ist zwar nicht so schwarz und dunkel wie die Tiefe, sondern heller, aber sehr sicher und sehr gut gesungen.


    Schon dieses Rezitativ allein war das Anhören allemal wert!


    Die Kavatine ist dann sehr lyrisch und so zart wie ein inniges Gebet gesungen, auch um den Preis der Zerbrechlichkeit gesungen. Keine sinnlose Kraftmeierei, sondern kopfig und zart - etwas unerwartet, aber dennoch irgendwie imponierend, der "Mecker"-Triller am Ende.
    Ich schätze immer sehr, wenn Sänger, die viel mehr geben könnten, aus gestalterischen Gründen viel weniger Stimme geben, als sie könnten. Genau das ist in dieser Kavatine der Fall.
    Ich kannte diesen Sänger bislang nicht und bin bei diesem Hören der Moses-Arie von seiner Stimme sehr angetan. Vom Beginn der Fiesco-Arie war ich es wie gesagt nicht.


    Wie hört ihr diesen Sänger?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    hier meine Eindrücke zu Ernestine Schumann-Heink:


    klingt erstaunlich präsent, trotz des starken Hintergrundrauschens der alten Aufnahme; hier hört man noch eine sehr traditionelle Gesangsschule mit starker Stütze und Stauatmung, wie mir scheint, die Stimme klingt fest und kompakt, das Vibrato, durchaus wohldosiert, klingt schnell und kontrolliert für so eine tiefe Stimme. Starkes, metallisches Material, klingt mir von der Interpretation - es ist ja immerhin Ur-Mutter Erda- nicht warm und weich genug, sondern zu hart und teilweise spröde, wiewohl dies auch der Aufnahmetechnik geschuldet sein kann. Klare Diktion, überlegte Phrasierung - das ist schon eine sehr hörenswerte Stimme - wiewohl mir, wie gesagt, das letzte Quentchen an Wärme und Gefühl abgeht.


    liebe Grüße

  • Lieber "Don_Gaiferos",


    vielen Dank für deinen Höreindruck, den ich mit großem Interesse gelesen habe.


    Dass du gerade bei der Erda Wärme einforderst, überrascht mich etwas: Schon die düster aus dem Urgrund aufsteigenden Moll-Klänge des Orchesters bei ihrem Erscheinen lassen mich jedes Mal eine Eiseskälte verspüren, so unheimlich kommt mir dieses Eingreifen der "Urnatur" in die Konflikte der Handelnden vor - und insbesondere Wotan dürfte es nicht anders gehen, es dürften ihm die kalten Schauer den Rücken rauf und runter laufen, wenn sie ihn damit konfrontiert, dass seine ganzen kühnen Pläne und sein egomanisches Machtstreben scheitern werden - "Alles, was ist, endet"- trostlos - und das alles ohne große Emotion und Anteilnahme mit Wotan oder sonstwem, sondern die Weltweisheit wird "eiskalt" serviert. Ich kenne eigentlich keine kältere Rolle als die "Rheingold"-Erda, selbst Turandot hat da für mich noch mehr menschliche Wärme...


    Trotzdem fand ich deine Einschätzung sehr interessant! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Nazzareno de Angelis -


    für mich ein sehr beeindruckender, machtvoller Bass, in allen Lagen satt und sonor, ein ganz charakteriatisches, eigenes Timbre - und dass trotz der altertümlichen Aufnahmetechnik. AUf die differenzierte Darstellung und Gestaltungskunst hast Du schon zu recht hingewiesen - die Stimme trägt auch im Piano und entfärbt sich nicht, und auch im machtvollen Crescendo vermittelt sie eine souveräne Autorität und wartet mit fülligem, farbenreichen Klang auf. Hier ist eine geglückte Kombination aus Schönheit des Timbres, Gestaltungswille, Expressivität und Technik, die für mich den Funken überspringen lässt - das auch 90 Jahre nach der Aufnahme. Einziges Kuriosum ist für mich bei 4:10 der Versuch, hier eine Art Triller zu gestalten - für einen Bass eine echte Herausforderung - und der hier eher zu einer Art "wobble" verrutscht, so dass die Stimme kurzzeitig außer Kontrolle gerät. Aber das soll seiner Leistung in keinster Weise Abbruch tun, und auch ein weiteres Beispiel möchte ich gerne einstellen, dass ich durchaus hörenswert und großartig gesungen finde:


    "Ella giammai m`amo"


    https://www.youtube.com/watch?v=a4tn1eV95Zg

  • Lieber Stimmenliebhaber,


    von der schneidend-kalten Botschaft und der nahezu unheimlichen Komponente der Erda aus gesehen, hast Du schon recht - aber bei mir scheint bei diesem Begriff "Urnatur", -also wohl so etwas wie die "Pachamama" bei den Indios in Südamerika- die Konnotation erdhaft-warm, organisch, vielleicht sogar mütterlich auf, zumal ja hier auch diese tiefe Stimmlage gewählt wird, die oftmals solche Charakteristika in sich birgt. Aber das kann natürlich auch mein individueller Spleen sein ;) Jedenfalls finde auch ich Deine Gedanken dazu sehr aufschlussreich und interessant - ein wirklich sehr lohnender Thread, den ich zwar aus Zeitgründen nicht täglich, aber doch regelmäßig aufsuchen werde!


    liebe Grüße

  • Lieber "Don_Gaiferos",


    herzlichen Dank, dass du nun auch noch deinen Höreindruck zu Nazzareno de Angelis mitgeteilt hast. :jubel:


    Hier habe ich allerdings einen ganz anderen Eindruck und daher auch eine andere Beurteilung:

    Einziges Kuriosum ist für mich bei 4:10 der Versuch, hier eine Art Triller zu gestalten - für einen BAss eine echte herausforderung - und der hier eher zu einer Art "wobble" verrutscht, so dass die Stimme kurzzeitig außer Kontrolle gerät.

    Kurios ja, da stimme ich dir zu, aber ich finde diesen Triller hochvirtuos und technisch äußerst versiert. Einen "Wobble", ein Verrutschen der Stimme und ein Außer-Kontrolle-Geraten kann ich da überhaupt nicht hören und konstatieren.


    Mal sehen, wie andere Hörer dieses "Kuriosum" hören und empfinden - ich bin gespannt! :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Jedenfalls finde auch ich Deine Gedanken dazu sehr aufschlussreich und interessant - ein wirklich sehr lohnender Thread, den ich zwar aus Zeitgründen nicht täglich, aber doch regelmäßig aufsuchen werde!


    liebe Grüße

    Lieber "Don_Gaiferos", das höre bzw. lese ich sehr gerne und sende liebe Grüße zurück! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber, lieber orsini,


    ich habe eure postings mit großem Interesse gelesen und mir den youtube link angehört. Insgesamt empfinde ich das Tempo als recht langsam gewählt. Beim Lamento Teil empfand ich vordergründig ebenfalls Langeweile, doch entstand schnell ein anderer Eindruck, um den ich eure Diskussion noch erweitern möchte: Ich finde in der vorliegenden Interpretation sehr viel Selbstmitleid.
    Die Geschichte der "sternflammenden Königin" zeigt auch einen plausiblen Grund dafür: Die Macht, nach der sie verlangt, hätte ihrer Ansicht ja ihr gebührt und nicht Sarastro. Wäre ihr Mann doch nur nicht so blöd gewesen...


    LG
    Christian

    Lieber "isi014",


    beinahe hätte ich es versäumt, dir für deinen ersten Beitrag in dieser Rubrik zu danken und auf ihn einzugehen. Ich finde deine interpretorische Sicht hochinteressant, teile sie aber nicht. Meines Erachtens spielt die Königin der Nacht (die in Wahrheit genauso durchtrieben, rachsüchtig und eiskalt machtorientiert ist, wie sie sich im 2. Akt ohne Maske offenbart), Tamino bei ihrem Auftritt eine große "Show" vor, um ihn als ihr Werkzeug, ihre Waffe im Kampf gegen Sarastro zu manipulieren. Ein Zerfließen in Selbstmitleid klingt für mich anders, ich höre das auch in der Interpretation von Jutta Vulpius so nicht, allerdings höre ich auch die "Show" nicht. Ich sollte wohl nochmal bei Felsenstein nachlesen, wie er diese Rolle und speziell deren ersten Auftritt auffasste - vielleicht liegt da ja der Schlüssel zum Verständnis dieser Interpretation von Jutta Vulpius.


    Und ob der Gatte (wer auch immer genau das in diesem Stück ist) wirklich "so blöd" war, sei mal dahingestellt... ;) :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Willi hat heute in seiner Rubrik an den 135. Geburtstag von Amelita Galli-Curci erinnert, die in der Opernwelt immer noch einen klangvollen Namen hat.


    Als ich ihren Namen bei Youtube eingab, stieß ich zuorberst auf folgendes Video mit der Cabaletta der Violatta aus dem 1. Akt von Verdis "La traviata", einer sehr bekannten (Halb-) Arie, die sich insofern zu Hörvergleichen anbietet.



    https://www.youtube.com/watch?v=7kuisDXC2f8


    Die Stimme ist klein und hell wie die einer Königin der Nacht, nichts von den "Hormontönen" einiger späterer Interpretinnen.
    Ihre Koloraturgeläufigkeit ist höchst eindrucksvoll, keine Frage!
    Trotzdem frage ich mich, ob wir es hier wirklich mit (dem Ausschnitt) einer Rolleninterpretation oder mit einer reinen Show-Nummer virtuoser Stimmakrobatik zu tun haben?


    Schon Kadenz unmittelbar vor "Sempre libre" und das für mich unechte Lachen lassen mich ebenso an einer glaubhaften Rollenverkörperung zweifeln wie der (zu) lange ausgehaltene Spitzenton und die Kadenz am Ende mit wieder (viel) zu lange ausgehaltenem Spitzenton.


    Weiß sie - neben der beerinruckenden technischen Komponente der mühelosen Bewältigung der virtuosen Koloraturen - eigentlich, was sie da singt? Ich habe dieses Gefühl nicht sondern habe stattdessen das Gefühl, dass sich hier eine Königin der Nacht fälschlicherweise zu Verdi verirrt hat...


    Mein Fazit: Bei aller Bewunderung für die großartige Virtuosität lässt mich diese Stimme kalt!


    Vielleicht war eine solche Violetta vor Maria Callasaber auch völlig normal und erst seit und durch Maria Callas können wir (wir oder nur ich?) solch eine reine Gesangsakrobatik ohne Emotion nur noch ganz schwer ertragen?


    Bei ihrer Rossinischen Rosina (die man auch bei Youtube findet) stört mich das Emotionslose natürlich weit weniger, das ist vom Charakter her durchaus genauso frech und unbekümmert, die das bei dieser Rolle sein muss, auch wenn selbst dabei der Ton für meine heutigen Ohren erstaunlich "fiepsig" und "blank" klingt - auch hier von Hormonen keine Spur...


    Aber vielleicht empfinden andere Hörer dies ja ganz anders? Ich bin auf andere Höreindrücke gespannt, auch wenn ich gleich weg muss und bis tief in die Nacht unterwegs bin und dadurch hier nicht aktiv sein kann, aber ich reagiere gerne morgen auf andere Höreindrücke.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliiebhaber!
    Wer Amelita Galli-Curci vorstellen will und dafür die Violetta wählt, riskiert natürlich in der Nach-Callas-Zeit, dass man in ihr nur einen Kanarienvogel-Sopran sieht, der uns nichts mehr zu sagen hat.
    Es gibt ja viele Aufnahmen der Galli-Curci, die auch heute noch begeistern könnten: etwa die Schattenarie aus Dinorah, die Ophélie-Wahnsinnsszene aus Hamlet oder Manons Gavotte aus der Auber-Oper, vor allem aber das Quartett aus Rigoletto oder das Sextett aus Lucia di Lammermoor - beides mit Caruso und anderen Superstars. Und natürlich die vielgerühmten Duettaufnahmen mit Tito Schipa,


    Wenn man freilich der Violetta der Galli-Curci etwas abgewinnen wollte, wird man wohl die ganze Szene aus dem 1.Akt hören müssen und nicht nur den Schlußteil (zumal sie da ja gerade nicht mit einer wirklich perfekten Vituosität a la Tetrazzini, Kurz oder Patti überzeugen kann!). Nur dann werden vielleicht Ohren und Herz für eine Interpretation geöffnet, die zu ihrer Zeit die Menschen begeistert hat. Dann wird man hören, wie viel Noblesse, Liebreiz und Grazie in ihrer Zeichnung der Figur drin sind - aber auch wie viel Verletzlichkeit.
    Ich kann das jetzt nicht an Hand der Tonaufnahme im Detail verdeutlichen, da ich sie ja nicht hören kann, wollte aber wenigstens kurz anmerken, dass die Galli-Curzi doch mehr zu bieten hat als eine reine Show-Nummer virtuoser Stimmakrobatik - auch als Violetta.


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich möchte "Stimmenliebhaber" insofern zustimmen als man bei dieser Interpretation des Eindruck eines zum Selbstzweck abgebrannten Feuerwerkes vokaler Kunststücke erhält und als Zuhörer wenig über das Schicksal der schwindsüchtigen Kurtisane erfährt. Viele Schmerzenstöne hat allerdings selbst Maria Callas dem "Sempre libera" nicht beigemischt, dazu dienen natürlich eher das "Addio del passato" oder das "È strano". Gleichzeitig muss man feststellen, dass Aufnahmen dieser Art auch immer der Präsentation bei einem breiten Publikum dienten, frei nach dem Motto: "Je spektakulärer, desto lukrativer". Es ist fraglich, ob sie beispielsweise die hochartifizielle Koloratur am Ende, die sie gekonnt mit dem hohen es abschließt, auch in Live-Aufführungen wie der legendären Met-Saisoneröffnung 1921/22 so gesungen hat. Für möglich halte ich das allerdings durchaus.
    Im Detail habe ich einige Beobachtungen, die sich von denen "Stimmenliebhabers" etwas unterscheiden: Die Stimme selbst finde ich zwar auch nicht riesig, aber durchaus nobel und apart. Sie ist zwar hell, aber nicht zu hell und ich meine, trotz der rasanten Kolotarurgeläufigkeit eine mädchenhafte Jugendlichkeit herauszuhören, so dass ich sie per se nicht als Königin der Nacht höre, die sich zur armen Violetta verirrt hat. Rein stimmlich könnte ich mir eine glaubhafte "Traviata" von ihr durchaus vorstellen. Trotzdem hat sie sich die Partie für meinen Geschmack etwas zu sehr zurechtgelegt, wohl auch um technische Mängel zu kaschieren: Wie kann es sein, dass sie keinen einzigen der notierten Triller singt? Insbesondere das Fehlen, des auf einem g notierten Triller auf "ne' ritrovi a diletti" nimmt sich höchst irritierend aus. Die Triller sind vor allem geschrieben, um Violettas überschwängliche Freude zu beglaubigen. Hier könnte sie höchste Stimmvirtuosität mit inhaltlicher Durchdringung verbinden, vermeidet es aber, wohl, weil sie Furcht hat, nicht mit den gekonnt produzierten Trillern einer Selma Kurz oder gar Adelina Patti konkurrieren zu können. Auch sehr seltsam nimmt sich aus, dass sie den auf dem hohen des beginnenden Koloraturlauf nach den beiden "gioir" staccato und nicht wie notiert legato singt. Offensichtlich ist sie in der Extremhöhe zu einem legato nicht in der Lage und setzt dagegen ein staccato, dass zwar virtuos, aber kalt wirkt.
    Meine Einschätzung geht also in eine andere Richtung als die "Stimmeliebhabers": Der Stimme selbst attestiere ich außergewöhnliches Format, es gibt bei ihr durchaus hörbare technische Probleme, darüber kann alle Virtuosität nicht hinwegtäuschen.
    Trotzdem, das muss hier natürlich gerechterweise auch gesagt werden, war sie Anfang der 20er Jahre ein Megastar, kassierte die höchstmöglichen Gagen und brachte das Publikum regelmäßig zum Toben. Ganz so kalt kann sie ihre Zuhörer also nicht gelassen haben wie mich mit dieser "Sempre libera"-Interpretation.

  • Ich höre eine satte, in sich ruhende Altstimme mit viel Stimmkraft und Stimmklang, vor allem einer abgrundtiefen, scheinbar unendlichen, zumindest sehr dunklen Tiefe, während die Höhen enger und fester klingen, teilweise sogar etwas spitz und beinahe schon ein bissl sopranig anmuten, aber dennoch metallischen Mezzo-Glanz haben.

    Kurz noch eine Bemerkung dazu: Ernestine Schumann-Heink war zum Zeitpunkt der Aufnahme bereits 68 Jahre alt, hatte ihre lange und ruhmreiche Karriere (sie begann ihre Karriere in Hamburg zu einer Zeit, als Gustav Mahler dort als Kapellmeister wirkte, ab 1896 sang sie bei den Bayreuther Festspielen, seit 1899 - Debüt als Ortrud neben Jean de Reszke als Lohengrin - regelmäßig an der Met und war 1909 die Klytämnestra in der Dresdner Uraufführung der "Elektra") bereits etwas ausklingen lassen und war gezwungen, weil sie am "Schwarzen Freitag" 1929 fast all ihr Vermögen verloren hatte, wieder zahlreiche Konzerte zu geben. Ob jetzt die vorliegende Aufnahme vor oder nach dem 29. Oktober entstanden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Die große Faszination, die von dieser Stimme ausgegangen sein muss, ist dennoch voll zu erkennen: Selten hört man eine Erda von derart umwerfender vokaler Autorität, da kann der Wotan klingen wie er will, er wird ganz klar auf seinen Platz verwiesen. Jeder Ton klingt dunkel, allerdings klingt kein einziger abgedunkelt, alles wird aus der Stimme, die man nicht anders als ein Naturereignis bezeichnen kann, heraus gestaltet, es ist reine Vokalkunst ohne jede Form von Manierismus. Der markerschütternde Befehlston, der den "Höre!"-Rufen beigemischt ist, lohnt die Aufnahme und verdeutlicht, wie sehr Erda das ganze weitere Geschehen des Ringes durch ihren kurzen Auftritt beeinflusst. Auch dass die Stimme keine nennenswerten Abnutzungserscheinungen hören lässt, ist für eine Frau von 68 Jahren, die am Ende einer langen Karriere stand und ganz nebenbei sieben Kinder geboren hat, absolut außergewöhnlich, die beweist, dass Stimmen, die gut gepflegt werden bis ins hohe Alter Höchstleistungen vollbringen können.

  • Lieber Melomane,


    danke für Deine -wie immer- sehr kenntnisreichen Ausführungen - die Tatsache, dass Ernestine Schumann-Heink bereits 68 Jahre alt war, war mir nicht bewusst - und ist mir auch beim Hören in keinster Weise aufgefallen! Das lässt in der Tat ihre Leistung in einem noch ganz anderen Licht erscheinen, und tatsächlich ist mir keinerlei Abnutzungserscheinung aufgefallen - chapeau!


    Was Amelita Galli-Curci angeht, bin ich auch etwas zwiegespalten - einerseits teile ich Stimmenliebhabers Vorbehalte, dass hier doch eine recht dekorative Auffassung der Rolle vorliegt, die sich im geläufigen Absingen der Koloraturen erschöpft, denke allerdings auch, dass die Stimme schon einen Liebreiz verströmen kann, der sie in die Lage versetzt, auch tiefergehende Emotionen zu erzeugen und die Rolle glaubhafter werden zu lassen. So finden sich noch weitere Ausschnitte mit ihr, wie zum Beispiel hier dieses Beispiel "Addio del Passato", die besser geeignet sind, ihre Meriten als Traviata deutlich zu machen:



    Hier kommt, meiner Meinung nach, durchaus eine andere Note zum Tragen. Zwar bleibt ihre Darstellung immer noch etwas blass -man darf da natürlich nicht an eine Urgewalt wie Maria Callas denken mit ihrerer brennenden Leidenschaft und bohrenden Intensität in dieser Rolle- aber eine gewisse Verletzlichkeit und schmerzliche Schönheit kann ich Amelita Galli-Curcis Gesang schon entnehmen. Wenn sie bei 1:20 etwa singt "L'amore di Alfredo mi manca" singt sie das so unprätentiös, schlicht und dennoch bezwingend, dass es einem -oder zumindest mir- sehr ans Herz greift. Zwar fällt es mir immer noch schwer, sie mir als Kurtisane in der Pariser Gesellschaft vorzustellen - ihre helle, mädchenhafte Stimmfärbung und ihre schlichte, sehr lyrisch-zarte, gar naiv anmutende Darstellung konterkariert diese Idee nachgerade für mein Empfinden - und dennoch höre ich da schon eine echte Sehnsucht, einen Schmerz, der mich, unabhängig von allem anderen, direkt sehr erreicht und überzeugt.


    liebe Grüße

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  • Lieber "Caruso41",


    einerseits freue ich mich sehr über deine Beteiligung in dieser Rubrik gerade auch mit den wertvollen Hintergrundinformationen, die du gibst - bitte so fortsetzen! :yes:
    Andererseits ist das Wesen dieser Rubrik, dass man sich ganz unvoreingenommen konkreten Beispielen (auch zufällig) nähern, sie völlig unbelastet hören und seine subjektiven Eindrücke beschreiben dazu beschreiben kann - auch ohne das ganze Hintergrundwissen, das du hast, im Hinterkopf zu haben. Wenn ich also in Willis Rubrik den Namen eines Sängerjubilars lese und diesen bei Youtube eingebe und dann verschiedene Vidos angezeigt bekomme, kann ich einfach eines auswählen und hier zur Diskussion stellen, selbst wenn sich dieses - mit dem entsprechenden Hintergrundwissen, das du hast - nicht als das optimale erweisen sollte. Das kann man ja dann in der Diskussion klären und das hast du ja auch und dafür bin ich dir dankbar. Trotzdem wäre es natürlich wünschenswert, wenn auch du dich mit deinen subjektiven Höreindrücken und nicht nur mit solchen Hintergrundinformationen an einem Austausch über diese Höreindrücke beteiligen könntest. Du hast begründet, warum dir das gerade nicht möglich war/ist - insofern hoffe ich und wünsche mir, dass sich das ändert, sobald dies möglich ist.


    Ich möchte "Stimmenliebhaber" insofern zustimmen als man bei dieser Interpretation des Eindruck eines zum Selbstzweck abgebrannten Feuerwerkes vokaler Kunststücke erhält und als Zuhörer wenig über das Schicksal der schwindsüchtigen Kurtisane erfährt.


    Lieber "Melomane",


    das war eben genau mein Eindruck, den ich beim "unbelasteten" Hören dieses Beispiels hatte.


    Trotzdem, das muss hier natürlich gerechterweise auch gesagt werden, war sie Anfang der 20er Jahre ein Megastar, kassierte die höchstmöglichen Gagen und brachte das Publikum regelmäßig zum Toben. Ganz so kalt kann sie ihre Zuhörer also nicht gelassen haben wie mich mit dieser "Sempre libera"-Interpretation.


    Aber es ist insofern für mich eine interessante Rückmeldung, dass es offenbar nicht nur mir, sondern auch dir so geht - Danke für deinen Beitrag!


    Was Amelita Galli-Curci angeht, bin ich auch etwas zwiegespalten - einerseits teile ich Stimmenliebhabers Vorbehalte, dass hier doch eine recht dekorative Auffassung der Rolle vorliegt, die sich im geläufigen Absingen der Koloraturen erschöpft, denke allerdings auch, dass die Stimme schon einen Liebreiz verströmen kann, der sie in die Lage versetzt, auch tiefergehende Emotionen zu erzeugen und die Rolle glaubhafter werden zu lassen. So finden sich noch weitere Ausschnitte mit ihr, wie zum Beispiel hier dieses Beispiel "Addio del Passato", die besser geeignet sind, ihre Meriten als Traviata deutlich zu machen:


    Lieber "Don_Gaiferos",


    "zwiegespalten" ist beim Austausch über subjektive Höreindrücke immer gut. Daher möchte ich dir noch eine Rückmeldung zum von dir eingestellten Beispiel geben.


    Das "Attendo" am Anfang klingt für mich noch zu beiläufig, aber danach höre ich durchaus Emotion und beseelten Gesang. Das "Ah!" hat sogar einen gewissen Mut zur Hässlichkeit in seiner (relativen) Forciertheit - der lang ausgehaltene Piano-Schwebeton vor der eigentlichen Arie hat auch eine starke emotionale Wirkung. Die Arie ist dann ebenfalls sehr beseelt mit emotionalem Bezug zur Situation der Figur gesungen. Die Steigerung an der betreffenden Stelle ist auch da, der zerbrechliche Piano-Spitzenton am Ende dieser Steigerung ist ebenfalls höchst eindrucksvoll - und der letzte Piano-Schwebeton ein Traum! Sehr eindrucksvoll! Insofern danke ich dir sehr für das Einstellen des Beispiels, das mir ihre Violetta wirklich nahegebracht hat, die hier gar nichts mehr mit einer verirrten Königin der Nacht zu tun hat. :jubel: :hello:


    (Das hat "Caruso41" in seinem Beitrag ja auch schon angedeutet, aber so konkret mit Tonbeispiel ist es dann eben doch weit besser nachvollziehbar. :yes: )


    höre ich da schon eine echte Sehnsucht, einen Schmerz, der mich, unabhängig von allem anderen, direkt sehr erreicht und überzeugt.


    Ja, das höre ich auch so! Danke! :thumbup:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Willi hat heute in seiner Rubrik dankenswerterweise an den 3. Todestag der Sopranistin Ingeborg Wenglor erinnert. Diese hat zwar auch Micaela, Butterfly, Rusalka und - in einer Fernsehfassung - sogar Rezia gesungen, war doch aber eigentlich eher im "leichten Fach" zu Hause, tendierte also Richtung Soubrette: Blonde, Susanna, Zerlina, Despina, Ännchen, Marzelline - das waren so ihre Partien. Freilich sang sie auch die Königin der Nacht.


    Ich möchte meinen Höreindruck am Beispiel der berühmten "Rosen-Arie" der Susanna aus dem 4. Akt von Mozarts "Hochzeit des Figaro" schildern, die sie damals selbstverständlich in deutscher Sprache gesungen hat.



    https://www.youtube.com/watch?v=8Sc1sGmVjeU&feature=youtu.be


    Schon im einleitenden Reziativ hört man eine jugendlich-frische, keck-flirrende, etwas flache und auch ein bissl "soubrettige" Stimme. Die Textverständlichkeit ist gut, einige Formungen wie die des "r" scheinen heute etwas antiquiert, befördern die Textverständlichkeit aber durchaus.


    In der Arie selbst singt sie die Bögen sehr lyrisch und schwärmerisch, die Höhen leuchten, die Tiefe ist nicht ganz mühelos, man hört ihr die Vorfreude auf die Versöhnung und die Hochzeitsnacht mit Figaro an. Die langen Legato-Bögen gehen manchmal etwas auf Kosten der Textverständlichkeit. Gerade das Höhenpiano auf "Trauter" und "Haar" gefällt mir sehr gut. In dieser schwärmischen Arie finde ich auch die etwas flache Tiefe gut zum Charakter der Rolle passend, brustiger wäre da eher fehl am Platze, vor allem klingt das Timbre der Stimme in allen Lagen durch, sie singt nicht mit mehreren Stimmen. Die Stimme klingt flirrend, sinnlich, erotisch, passend zum "Gegenstand", also dieser Arie dieser Rolle. Mitunter gurrt sie wie ein Täubchen. :D


    Fazit: Mich persönlich überzeugt diese Susanna-Arie.


    Was meinen die anderen?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da auf Frau Wenglor niemand anspringt, habe ich diesbbezüglich vielleicht mit der zweiten Jubilarin des Tages mehr Glück. Willi hat heute dankenswerterweise Agnes Baltsa zum 73. Geburtstag gratuliert. Die hat zwar in ihrer langen Karriere auch viel gesungen, von Mozart und Rossini bis zu Verdi, Janacek, Mahler und Richard Strauss, aber bei ihr dürfte die zentrale Rolle wohl zweifelsfrei Bizets Carmen gewesen sein - also stelle ich eine berühmte Szene daraus ein:



    https://www.youtube.com/watch?v=m6r3dab0SK0


    Sicher war sie nicht zu Unrecht eine der führenden Carmen-Interpretinnen ihrer Zeit (ich habe sie in dieser Rolle selbst 2x in Berlin erlebt, wobei ich damals nicht völlig aus dem Häuschen war, was aber auch maßgeblich mit der Inszenierung, der Fassung und der Aufführungssprache zu tun hatte).
    Hier gefällt mir ihre Seguidilla ausgesprochen gut, sie hat genau die richtige Stimme dafür, mit der nötigen Erotik und den nötigen Hormonen in der Stimme, die Stimme flirrt und ist moderationsfähig, die etwas unorganische ordinäre Tiefe passt zu dieser Rolle sehr gut und tut dem verführischen Charakter dieser Szene keinen Abbruch, im Gegenteil. Sie scheint mir ihre Erzählung auch sehr spannend und facettenreich zu servieren, aber ich, der nie Französisch gelernt hat, maße mir nicht an, ihre sprachlichen Fähigkeiten zu beurteilen - doch selbst in einer Fremdsprache, die nicht ide meine ist, klingt ihr Vortrag fesselns und abwechslungsreich. Eigentlich bleiben hier für mich keine Wünsche offen. Geht es euch anders?


    Ich hätte natürlich auch Beispiele einstellen können, wo sicher Wünsche offenbleiben, gerade, wenn sie deutsch singt und man kaum ein Wort versteht, aber ihre Carmen scheint mir über jeden Zweifel erhaben - eben mit der Einschränkung, dass ich ihre Fähigkeiten in der französischen Sprache nur wenig bis gar nicht beurteilen kann. Vielleicht ist ihr Französisch ja auch nicht besser als ihr Deutsch? :D


    (P.S.: Was ist das eigentlich bei 1:30? Ist das ein unorthodoxes Gestaltungsmittel oder hat sie da kurzzeitig den Text vergessen?)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Melomane: Deine Einschätzungen besonders zu den gesanglichen Stärken und Schwächen finde ich sehr interessant, zumindest lese ich sie sehr gerne.


    Deswegen würde mich auch deine Meinung zu meinen Einschätzungen, bzw. zu den Sängerinnen hier interessieren: HIER
    Leider kann ich mich bei diesem Thema nicht so gut ausdrücken wie du, aber ich lerne immer gern dazu :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich habe gerade einen etwas längeren Ausschnitt angesehen, da die Seguedilla ja etwas länger dauert, und hier singt sie mit ihrem Traumpartner José Carreras in der Aufnahme von der MET unter Jimmy Levine :


    Hier, sozusagen "live on stage" singt sie m. E. die Séguedilla natürlicher, und, wie ich finde, in fließendem Französisch, natürlich als Griechin nicht ohne Akzent, aber das ist zweitrangig. Wie sie singt und sich vollendet dazu bewegt, das ist ganz und gar fesselnd, in dem Moment singt sie nicht die Carmen, sondern sie ist es. Und ich gebe dir völlig Recht, dieser gewöhnliche Ausdruck gehört zu der Carmen, denn sie ist ja keine höhere Tochter aus feinem Hause. Sie gehört schon zu den herausragenden Gestalterinnen der Carmen, wie ich finde.
    In dem Beispiel, das du eingestellt hast, übertreibt sie m. E. ein wenig, kokettiert sie zu sehr mit dem Publikum. Aber vielleicht ist das auch dieser beesonderen Situation geschuldet, dass sie im Konzert auf der Stelle steht, wohingegen sie in der Vorstellung die ganze Bühne zur Verfügung hat.


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P.S.: bei 1:30 singt sie doch gerade die Textstelle: qui veut m'aimer? Je l'aimerai! Qui veut mon âme... Da wendet sie sich kurz ab und es geschieht eine Überblendung (1:32). Sonst ist mir da nichts aufgefallen?

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Nach zweimaligem Anhören dieser Arie kann ich die wohlwollende Beurteilung von "Stimmenliebhaber" zwar nachvollziehen, mir persönlich gibt Ingeborg Wenglors Interpretation der "Rosenarie" aber sehr wenig. Die Stimme, nicht unangenehm, aber auch nicht sehr individuell timbriert, tendiert für mich eher in Richtung Soubrette, als dass ich sie als genuin lyrischer Sopran sehen würde - zumindest zu dem Zeitpunkt, zu dem die Aufnahme entstanden ist Die Stimmführung an sich ist gut, auch wenn ich ihr jetzt nicht übermäßig viele Farben attestieren würde.
    Im Rezitativ ist für mich die sehr gute Textverständlichkeit ein klares Plus, ihre Interpretation überzeugt mich aber nur bedingt, da sie für mich etwas zu ruhig und nicht aufgeregt genug klingt. Gerade die Phrase, die im italienischen Original "Timide cure, uscite..." lautet, könnte für meinen Geschmack viel mehr Dringlichkeit besitzen, es entsteht fast der Eindruck, sie würde eine - geringe - Erregung nur vorspielen. Damit komme ich jetzt zum Knackpunkt, der für mich jede "Deh vieni non tardar"-Interpretation maßgeblich bestimmt: Das Geniale an der Setzung dieser Arie durch Mozart und da Ponte ist die Uneindeutigkeit, die Unschärfe: Natürlich wissen wir, dass Susanna als Adressaten eigentlich Figaro meinen muss, aber klingt die Arie nicht doch sehr aristokratisch? Könnte man sich nicht vorstellen, dass Susanna doch von den Privilegien träumt, die ihr eine Verbindung mit dem Graf bringen würde? Oder wechselt sie den Adressaten vielleicht sogar während der Arie? Natürlich hat sie den Grafen den ganzen "tollen Tag" lang zuvor an der Nase herumgeführt, aber könnte das ganze im Eindruck der Nacht sich nicht in eine andere Richtung entwickeln? Natürlich nehmen die Dinge dann danach einen anderen Lauf, aber diese Arie ist ein eigener Mikrokosmos.
    Bei Ingeborg Wenglor klingt durchaus auch verführerischer Reiz mit durch, ihr "Qui mormora il ruscel" hat durchaus etwas betörendes, aber insgesamt ist mir das ganze zu brav, zu einseitig, zu wenig unerhört. Die Begrenzung in der Tiefe - da bin ich ganz bei "Stimmenliebhaber" - finde ich nicht weiter tragisch, damit geht sie sehr geschickt um. Einmal mehr, ähnlich wie bei Jutta Vulpius' Königin - muss ich auch dem Dirigenten eine erhebliche Mitschuld an der Langweiligkeit des Vortrages attestieren, auch wenn er in diesem Fall Horst Stein heißt. Halte ich Stein bei Wagner - dem Image des "nur" zuverlässigen Kapellmeisters zum Trotz - für einen visionären Dirigenten, dessen in Bayreuth oft bewährter "Parsifal" rasant, das überheilige gekonnt vermeidend war, ist diese hier vorliegende Mozart-Interpretation von grenzenloser Biederkeit. Klar hat man damals Mozart flächiger und mehr in Richtung Klang denkend musiziert als heute, so ein buchstabierend begleitender Vortrag ist aber selbst für 1960 schon sehr wenig.
    So bleibt der Eindruck einer Sängerin mit Qualitäten und sehr sauberer Stimmführung, ihre Susanna hat mich persönlich aber leider nicht erreicht.

  • Das Geniale an der Setzung dieser Arie durch Mozart und da Ponte ist die Uneindeutigkeit, die Unschärfe: Natürlich wissen wir, dass Susanna als Adressaten eigentlich Figaro meinen muss, aber klingt die Arie nicht doch sehr aristokratisch? Könnte man sich nicht vorstellen, dass Susanna doch von den Privilegien träumt, die ihr eine Verbindung mit dem Graf bringen würde? Oder wechselt sie den Adressaten vielleicht sogar während der Arie?


    Ich habe öfter etwas über die Musik gelesen, und dass an manchen Stellen Susanna Musik bekommt, die nicht zu ihrem Stand passt, beispielsweise, wenn sie aus dem Kabinett kommt und den Grafen überrascht.


    Ich glaube nicht, dass sie am Grafen interessiert ist, und gebe der Autorin des Buches Handlungsräume des Weiblichen - Die musikalische Gestaltung der Frauen in Mozarts "Le nozze di Figaro und "Don Giovanni"



    recht, wenn sie sagt:


    Zitat

    Ruggero Raimondi (Abbado 1991) stellt mit Absicht einen nicht eleganten, lächerlich wirkenden Grafen dar. Die Idee des Regisseurs Miller, dass sich Susanna (dargestellt von Marie McLaughlin) im Duettino die sexuellen Übergriffe dieses plumpen und widerlich dargestellten Adeligen nicht nur gefallen lässt, sondern auch noch augenscheinlich Lust dabei empfindet, kann nur einer machistischen Männerphantasie am Ende des 20. Jahrhunderts entsprungen sein.


    Man darf aber auch nicht vergessen, dass nicht nur der oberflächliche Eindruck, den die Musik auf uns macht, bewertet werden sollte, sondern auch die Musiksprache. Mozart arbeitete ja mit Motiven, die heute praktisch nicht mehr verständlich sind, und da wissen wir leider nicht, was die Musik "sagt".


    Der Graf ist ein Vergewaltiger und macht sich an Kinder heran (Barbarina, bzw. Fanchette bei Beaumarchais, ist 12 Jahre alt). Wenn Susanna so jemanden gerne hätte, dann Gute Nacht. In meinem "Deh vieni non tardar"-Thread gehe ich aber noch näher darauf ein.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Über Agnes Baltsa, die eine der erstaunlichsten Sänger-Karrieren der letzten 40 Jahre hinter sich hat, zu schreiben, könnte durchaus ausufern, ich versuche mich kurz zu fassen. Anders als die bisherigen Sängern dieser Rubrik, habe ich Agnes Baltsa noch häufig live erlebt, natürlich mehrfach als Carmen, aber auch als Santuzza oder zuletzt als Klytämnestra oder Küsterin. Wenn man über sie schreibt, muss man natürlich ihr außergewöhnliches Bühnentemprament erwähnen, aber in dieser Rubrik geht es um das akustische, auch wenn uns "Stimmenliebhaber" diesmal ein Video kredenzt hat.
    Schon in den ersten Tönen hört man den sofort erkennbaren, höchst individuellen "Baltsa-Klang", ein brustigen Hineingehen in den Ton ohne abzudunkeln, es klingt etwas als würde ein festes Stück Gummi gedehnt werden. Das wirklich außergewöhnliche an dieser Tonproduktion ist aus technischer Sicht, dass sich das etwas brachiale Reingehen im Brustregister nie auf ihre hohen Töne ausgewirkt hat und dass sie mit ihrer eigenen Art von Dramatik über lange Jahre Rollen, für die ihre Stimme eigentlich nicht wirklich groß genug war, wie Eboli, sehr überzeugend singen konnte. (An der Amneris ist sie allerdings gescheitert, wohingegen sie die Isabella in "L'Italiana in Algeri" an der Wiener Staatsoper noch 2013 - als fast 70jährige sang!)
    Aber zurück zum vorliegenden Beispiel: Allein die erste Phrase "Près des ramparts de Seville" ist vom typischen Baltsa-Zupacken und der ihr eigenen Sehnigkeit geprägt, dem wird höchst gekonnt bei "chez mon ami Lillas Pastia" eine ganz leichte Koketterie beigemischt - natürlich will Carmen José damit eifersüchtig machen, nicht ahnend wie tödlich diese Eifersucht einst für sie sein wird. Wie erreicht sie das? Ganz einfach: Die Konsonaten werden etwas mehr betont, dazu kommen ein paar Obertöne, das reicht schon, um eine andere Farbe zu kreieren. Die Akzente auf "J'irai danser la Séguidille..." sind wieder sehr brustig dominiert und strahlen eine große Sinnlichkeit aus, man kann sich förmlich vorstellen, was sie beim armen José mit der Schilderung dieses Tanzes anrichtet...
    Im Mittelteil gibt es eine interessante Mischung aus brustigem Klang und trotzdem sehr viel Texttransport, es entsteht beinahe der Eindruck, als würde Carmen hier Befehle verteilen. "Mon amoureux!" mag etwas übertreiben sein, aber mit dieser überrhetorischen Komponente erzeugt sie auch in der Konzertsituation einen Eindruck von der Szene, die der Arie zugrunde liegt. Bei der Wiederholung von "Près du ramparts" fällt das extrem herausgestellte "danser" schon sehr auf, aber warum nicht? Ordinär finde ich diese Interpretation jedenfalls nicht, sie ist halt typisch Baltsa und vermittelt in dieser kurzen Konzertarie dem Open-Air-Publikum sehr gekonnt, worum es in diesem Stück Musik geht.

  • Deswegen würde mich auch deine Meinung zu meinen Einschätzungen, bzw. zu den Sängerinnen hier interessieren: HIER
    Leider kann ich mich bei diesem Thema nicht so gut ausdrücken wie du, aber ich lerne immer gern dazu :)

    Ich werde dies gerne bei Gelegenheit und Zeit tun, würde mich wiederum aber sehr über eine Beteiligung von dir in dieser Rubrik freuen!

  • Ich werde dies gerne bei Gelegenheit und Zeit tun, würde mich wiederum aber sehr über eine Beteiligung von dir in dieser Rubrik freuen!


    Auf deine Meinung bin ich sehr gespannt, weil, wie gesagt, ich lerne gerne dazu und möchte ja andere Sichtweisen hören, besonders wenn sie gut begründet sind wie bei dir.


    Umgekehrt ist es schwieriger, weil ich die hier besprochenen Arien und Opern überhaupt nicht kenne, um da ein halbwegs kompetentes Urteil abgeben zu können. Ich müsste mehr über die Figur wissen, Hintergründe, Handlungen, aber auch über die Musik, die Partituren. Ich bespreche ja auch nur Stücke bzw. Arien, die mir gefallen. Wenn das nicht der Fall ist, dann nutzt mir eigentlich die beste Stimme nichts. Wie ist das bei dir?




    LG,
    Hosenrolle1

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