Austausch über Höreindrücke zu den Sänger-Jubilaren

  • Ich freue mich sehr über diesen neuen Thread, der eigentlich schon überfällig war :untertauch: und bin bei den vorgestellten Sängern/innen voll dabei!


    Aber ich freue mich heute schon auf auf die im Laufe der Zeit kommenden divergierenden Meinungen.

  • Zunächst einmal einen herzlichen Dank an den thread-Starter für dieses interessante Thema, das mich dazu bewogen hat, mich hier bei "Tamino" anzumelden. Ich hoffe auf zahlreiche interessante Diskussionen!


    "Stimmenliebhaber" hat einiges kundig beschrieben, was Battistini ausmacht. Bleiben wir zunächst bei den Einschränkungen: Das Fehlen einer substanzreichen Tiefe (das er übrigens mit einem anderen großen italienischen Bariton dieser Zeit, nämlich Titta Ruffo teilt), ist das größte Manko, wenn man sich mit Aufnahmen von Battistini beschäftigt, darunter leidet nicht nur sein Renato, sondern besonders auch sein Rigoletto. Dass er den tiefen Ton nach oben transponiert, auch rhythmisch sehr frei bleibt (Punktierungen scheint es für ihn gar nicht zu geben), ist allerdings keine Eigenart Battistinis, vielmehr ist es eine Erscheinung der Zeit und sie ist auch nicht auf Vokalisten beschränkt: Man höre sich Aufnahmen des Pianisten Busoni an, dann weiß man, was ich ungefähr meine.
    Battistini hat vielleicht seine größten Meriten auch nicht bei Verdi, mit dem die Beziehung auch immer unglücklich blieb - Verdi lehnte ihn zunächst als Boccanegra und Jago ab, später weigerte sich Battistini, den Falstaff zu singen.
    Anders als der 21 Jahre jüngere Ruffo war Battistini sängerisch noch in erster Linie am Belcanto, nicht am Verismo geschult. Das merkt man besonders im - heute völlig undenkbaren - Gebrauch von verzierenden Ornamenten. Battistini baut am Ende von "Eri tu" eine kurze, aber heftige Verzierung ein - sie gilt ihm als das höchstmögliche Ausdrucksmittel. Natürlich ist uns aus heutiger Sicht wesentlich näher, wie der dankenswerterweise ebenfalls vorstellte Lisitian mit dem ihm zur Verfügung stehenden, eher realistisch-psychologischen Ausdrucksmittel die Arie interpretiert.
    Battistinis Stilistik ist dennoch äußerst bemerkenswert. In einem lesenswerten Aufsatz beschäftigt sich Will Crutchfield mit seinem Einsatz von portamenti, und wenn man sich auf diese schleichenden Übergänge zwischen den Intervallen wirklich einlässt, dann erschließen sie einem eine völlig andere Legato-Kultur als wir sie heute kennen. Battistinis portamenti sind keine Heulattacken wie häufig bei mittelmäßigen Canios gehört, sondern feine, die Verbindung zwischen den Tonhöhen wunderbar herstellende Brücken - ein heute fast verteufeltes Stilmittel. Ich schreibe dies alles, weil das Anhören solcher Aufnahmen die Sinne schärft für die Beurteilung einer so genannten "Werktreue". Überbieten sich die Exegeten der an sich höchst verdienstvollen historischen Aufführungspraxis im immer punktgenaueren Befolgen rhythmischer Anweisungen, so lehrt uns die Beschäftigung mit Sängern wie Battistini, dass dies über lange Strecken der Interpretationsgeschichte gar keine Rolle gespielt hat, ohne das deswegen Schlamperei vorgeherrscht hätte.
    Von der fließenden Atemtechnik Battistinis, der seine ersten Tonaufnahmen übrigens erst mit 46 Jahren gemacht hat, lässt sich viel über eine - das mag angesichts der zahlreichen Ornamente paradox klingen - natürlichen Tongebung lernen: Kein Ton klingt angestrengt. Wenn er ihn nicht hat, singt er ihn halt nicht. Das singen bleibt immer leicht, fast selbstvertsändlich. Sicher hat dies zu seiner lange dauernden Karriere beigetragen: Zwei Tage vor seinem 50jährigen Bühnenjubiläum starb er, bis in sein letztes Lebensjahr hinein stand er auf der Bühne. Seine Partner auf der Bühne vereinten so unterschiedliche Generationen wie die Tamagnos und Richard Taubers.
    Herzlichen Dank für die Erinnerung an den großen Jubilar!


    Zum Abschluss kann man ihn hier in seiner Debütrolle in "La favorita" hören:

  • Lieber "Melomane",


    herzlich Willkommen hier im Forum und in dieser Rubrik und vielen Dank für deinen serh interessanten und fundierten ersten Beitrag. Ich freue mich auf einen Autausch mit dir und bin sogar ein kleines wenig stolz darauf, dass gerade diese neue Rubrik dich zum Eintritt in dieses Forum motivierte. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich freue mich auf einen Autausch mit dir...

    Darauf freue ich mich auch und möchte noch dazusagen, dass ich mich für Sänger aller Zeitalter bis zur Gegenwart interessiere und nicht - wie der Einstiegsbeitrag und der Avatar vermuten lassen könnten - nur für die Sänger der Schellack-Ära.

  • Darauf freue ich mich auch und möchte noch dazusagen, dass ich mich für Sänger aller Zeitalter bis zur Gegenwart interessiere und nicht - wie der Einstiegsbeitrag und der Avatar vermuten lassen könnten - nur für die Sänger der Schellack-Ära.


    Lieber Melomane!


    Herzlich willkommen im Kreise der Melomanen! Mit Deinem ersten Beitrag hast Du dich ja glänzend eingeführt! Und wenn Du nicht nur in diesem Thread schreiben willst, sondern auch an Sängern unserer Zeit interessiert bist, dann gibt es sicher mach interessanten Austausch!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Dann möchte ich doch mal die Vorlage von "Stimmenliebhaber" annehmen und ein paar Sätze zu Léon Escalais schreiben. Ausgangspunkt soll eine seiner berühmtesten Aufnahmen sein, die 1905/06 aufgenommene "Sicilienne" aus Meyerbeers Oper "Robert le diable":




    Zwei Dinge fallen mir zuerst auf: Die Stimme selbst hat wenig Charme, sie ist nicht besonders warm, eher im Gegenteil, ihre helle Färbung dürfte viele Liebhaber dunkler Stimmen verschrecken. Die trompetenhafte Höhenattacke hingegen dürfte jedem, der die Aufnahme zum ersten Mal hört, imponieren. Doch damit allein ist es nicht getan: Die parlandohaften Stellen zwischen den hohen Tönen, geraten ihm ebenso gut, eine leichte, auf Basis einer gesunden Voix mixte erzeugten Tongebung, erlaubt ihm eine exzellente Textverständlichkeit mit einem natürlichen Wort-Ton-Verhältnis. Daraus ragen die Spitzentöne wie Katarakte, beinahe wie in Granit gemeißelt heraus. Sie sind aber keineswegs isoliert, der gesangliche Aufbau der gesamten Arie scheint bis ins letzte Detail geplant, ohne allzu akademisch zu wirken.
    Natürlich führt uns hier Escalais vor, was er mit seiner Stimme alles anstellen kann, aber trotzdem verkommt, auch aufgrund der hohen Wortdeutlichkeit, die Arie nie zur reinen Zirkusnummer.
    Escalais wurde Zeit seiner Karriere immer etwas belächelt. Seine körperliche Statur war klein, zeitgenössische Beobachter dichteten ihm den "Kopf einer Bulldogge" an. Seine hohe technische Meisterschaft wird immer über alle Spötteleien erhaben sein. Dass seine Stimme von Natur aus nicht über allzu viele Farben verfügt, macht er mit technischer Finesse mehr als wett.
    An eines erinnert uns Escalais aber ganz deutlich: Die jetzt in den letzten Jahren immer stärker einsetzende Meyerbeer-Renaissance kann nur dann nachhaltig sein, wenn es gelingt in diesem Fach Interpreten von Rang zu gewinnen, die sich auf die Stilistik den frühen 19. Jahrunderts einlassen. Bis in die 90er hinein wurde Meyerbeer von zum Teil zu schweren Stimmen wie früher Verdi gesungen, manchmal auch gestemmt. Dass sich heute große Interpreten von Rang mit hohem technischen Können wie Juan Diego Flórez oder Diana Danrau mit Hingabe diesem Komponisten widmen, lässt hoffen, dass das Aufglühen der Begeisterung für den Maitre der Grand Opéra mehr als nur ein Strohfeuer ist.

  • Lieber "Melomane",

    Dann möchte ich doch mal die Vorlage von "Stimmenliebhaber" annehmen und ein paar Sätze zu Léon Escalais schreiben.

    dafür danke ich dir ausdrücklich, das war auch meine Absicht, aber ich bin dann leider nicht selbst dazu gekommen bzw. mir nach dem Hören etwas die Motivaton gefehlt.

    Ausgangspunkt soll eine seiner berühmtesten Aufnahmen sein, die 1905/06 aufgenommene "Sicilienne" aus Meyerbeers Oper "Robert le diable":

    Ich wollte eigentlich die Vasco-Arie besprechen, weil die bekannter ist als die Robert-Arie (die ich selbst gar nicht so gut kenne, jedenfalls nicht von vielen Interpreten) und trotzdem seinem französischen Idiom entgegen kommt - mehr als die bei Youtube eingestellten, wenn auch freilich französisch gesungenen, Verdi-Beispiele.



    https://www.youtube.com/watch?v=ufu_yZoH8D8


    Ich habe die Vasco-Arie dann einige Male gehört (die Klangqualität ist nicht unproblematisch, die Klavierbegleitung naja, aber die Stimme ist eigentlich ganz gut eingefangen) und war dann unschlüssig, ob ich mich wirklich dazu äußern soll. Gerade für den Anfang galt, was du beim Robert ebenfalls festgestellt hast:

    Die Stimme selbst hat wenig Charme, sie ist nicht besonders warm, eher im Gegenteil, ihre helle Färbung dürfte viele Liebhaber dunkler Stimmen verschrecken.

    Gerade von einem französischen Sänger erwarte ich am Beginn der Vasco-Arie mehr Luftigkeit, mehr schwebende Leichtigkeit, mehr Klangschönheit. Jenseits aller objektiven Kriterien ist ja auch immer ein wenig die Frage, ob einen mit seinem persönlichen Geschmack eine Stimme anspricht oder nicht und diese Stimme hat mich ehrlich gesagt nicht so recht angesprochen, obwohl auch beim Vasco der erste Spitzento imposant ist - und sogar noch besser in die Linie eingebettet als teilweise beim Robert. Der letzte Spitzenton ist auch sehr gut, aber der Phrasenabschluss rutscht dann am Ende irgendwie weg - ich fühlte mich gehemmt, über diesen Vasco zu schreiben. Gut, dass du da am Beispiel der Robert-Arie das Eis gebrochen hast!

    Seine körperliche Statur war klein, zeitgenössische Beobachter dichteten ihm den "Kopf einer Bulldogge" an.

    Naja, ein bissl was ist schon dran! :D



    Beim Robert im von dir eingestellten Beispiel klingen die Höhen freilich imposant, wenn auch - teilweise - klanglich beinahe "veristisch" (der lang gehaltene Stentor-Spitzenton) bzw. mehr nach Verdi als seine bei Youtube eingestellten Verdi-Beispiele. :D


    Aber seine Höhen sind wirklich große Klasse und auch klanglich voll im Sitz der restlichen Stimme eingebettet. Singen konnte der schon, aber die Klangschönheit der Stimme bleibt wie gesagt begrenzt, etwas gerade und rechteckig, obwohl der Robert wirkich erstaunlich männlich und kraftvoll gesungen ist - für französisches Fach. Gäbe es heute einen Tenor mit einer solchen Stimme, ich würde ihn ganz sicher nicht meiden, auch wenn mir das Timbre von Flórez deutlich besser gefällt.

    Dass sich heute große Interpreten von Rang mit hohem technischen Können wie Juan Diego Flórez oder Diana Danrau mit Hingabe diesem Komponisten widmen, lässt hoffen, dass das Aufglühen der Begeisterung für den Maitre der Grand Opéra mehr als nur ein Strohfeuer ist.

    Da bin ich völlig deiner Meinung! :thumbup:


    (Es hält ja nun schon ein paar Jahre an, gerade laufen die "Hugenotten" in Budapest, noch in diesem Monat kommt der "Prophet" an der Deutschen Oper Berlin heraus, ich habe natürlich eine Premierenkarte für den 26.11., in nicht allzuferner Zukunft auch in Dresden "Die Hugenotten", also es besteht durchaus Hoffnung. :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Melomane, lieber Stimmenliebhaber!


    Herzlichen Dank für die sachkundige und anschauliche Würdigung eines Sängers, den auch ich immer wieder gerne mal höre!


    Ausgangspunkt soll eine seiner berühmtesten Aufnahmen sein, die 1905/06 aufgenommene "Sicilienne" aus Meyerbeers Oper "Robert le diable":


    Die "Sicilienne" ist natürlich Kult in Melomanen-Kreisen. Eigentlich ist es ja gar keine Solonummer. Aber gerade weil in dieser Aufnahme kein Sopran mitwirkt und die Nummer auch effektvoll gekürzt wurde, überrumpelt Escalais halt mit dem clarion-haften Klang seines 'Tenor de vaillance'! Das wird auch von anderen Tenören der Zeit nicht übertroffen!
    Die Spitzentöne lösen beim Hörer geradezu einen seismischen Schock aus! Sehr wirkungsvoll auch in der Aufnahme des Septetts aus "Les Huguenots".


    Wären es aber nur diese Töne, wäre Escalais bestimmt nicht so hoch geschätzt!
    Deshalb weist Du, lieber Melomane, zu Recht auf seine nicht weniger wichtigen Qualitäten hin:

    Die parlandohaften Stellen zwischen den hohen Tönen, geraten ihm ebenso gut, eine leichte, auf Basis einer gesunden Voix mixte erzeugten Tongebung, erlaubt ihm eine exzellente Textverständlichkeit mit einem natürlichen Wort-Ton-Verhältnis.


    Ja, er steht ganz in der französischen Schule, in der die melodischen Linien wirklich aus dem Klang der Sprache entwickelt werden. Dabei war die Stimme voll und rund, fähig zu feinen dynamischen Abstufungen und präzise ausgeführten Verzierungen, sogar zu außerordentlich genau einschwingenden Trillern! Dass er nicht nur ein brilliantes Forte hatte, sondern auch klangvolle Piani, habt ihr schon gewürdigt. Ich möchte das aber noch mal unterstreichen! Und seine Voix mixte erlaubte ihm schimmernde Klangwirkungen, die er wirkungsvoll einstzen konnte!


    Gerade von einem französischen Sänger erwarte ich am Beginn der Vasco-Arie mehr Luftigkeit, mehr schwebende Leichtigkeit, mehr Klangschönheit.


    Ja, lieber Stimmenliebhaber, ich verstehe, dass Du etwa in der Vasco-Arie vermisst. Den Zauber der neuen Welt, das Staunen und das Berauschtsein angesichts all der Schönheiten bleibt er eher schuldig. Da muss man sich an andere Tenöre der Zeit halten. Etwa an Charles Dalmores. Régine Crespin hat einmal über Escalais gesagt, er sei nicht ein halb so großer Künstler wie Dalmores aber er habe mindestens doppelt so viel Stimme!


    Der letzte Spitzenton ist auch sehr gut, aber der Phrasenabschluss rutscht dann am Ende irgendwie weg


    Der unkontrollierte, gar abreißende Schlußton ist bei Aufnahmen aus dieser Zeit eigentlich nichts ungewöhnliches. Man bekommt ihn auch von Anselmi und Bonci, Gilion und Lazaro, also von Sängern, die wirklich über eine technisch gute Atemkontrolle und Stimmführung verfügten. Ich könnte mir denken, dass diese Töne der Zeitbegrenzung bei der Aufnahmetechnik geschuldet sind! Zum Ende wird es einfach knapp und alle fuchteln schon, dass die Zeit ausläuft, da mag so ein Ton schon passieren.


    An eines erinnert uns Escalais aber ganz deutlich: Die jetzt in den letzten Jahren immer stärker einsetzende Meyerbeer-Renaissance kann nur dann nachhaltig sein, wenn es gelingt in diesem Fach Interpreten von Rang zu gewinnen, die sich auf die Stilistik den frühen 19. Jahrunderts einlassen.


    Ein Sänger, auf den ich in diesem Zusammenhang Hoffnungen setze, ist ohne Zweifel Brian Hymel. Er hat zumindest in London einen Robert gesungen, der technisch und stilistisch einwandfrei war. Mühelos und klangschön! Der Mitschnitt belegt das! Die "Sicilienne" meistert er brillant! Die Trompetentöne von Escalais allerdings hat er nicht.
    Auch Josep Kang ist ein Sänger, der viel zu bieten hat. In Berlin zumindest hat er im Septett der "Huguenots", das ja Escalais auch aufgenommen hat, mit sehr obertonreichen Spitzentönen von großer Durchschlagkraft frappiert!


    So, nun will ich meinen nachgereichten Geburtstagsbeitrag für Leon Escalais noch mit einer Bemerkung über seine Aufnahmen im italienischen Fach abschließen. Vieles mag nicht idiomatisch sein und nicht wirklich konkurrenzfähig! Aber wenn man genau hört, kann man erstaunliche Entdeckungen machen: in einer Aufnahme von 1906 zum Beispiel singt er den Monolog des Otello aus dem 3.Akt wunderbar geschmeidig und entwickelt die Gesangslinie ganz aus dem Wort. Das hat eine eigene Schönheit und poetische Kraft!


    Beste Grüße


    Caruso41

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  • Ein Sänger, auf den ich in diesem Zusammenhang Hoffnungen setze, ist ohne Zweifel Brian Hymel. Er hat zumindest in London einen Robert gesungen, der technisch und stilistisch einwandfrei war. Mühelos und klangschön! Der Mitschnitt belegt das! Die "Sicilienne" meistert er brillant! Die Trompetentöne von Escalais allerdings hat er nicht.
    Auch Josep Kang ist ein Sänger, der viel zu bieten hat. In Berlin zumindest hat er im Septett der "Huguenots", das ja Escalais auch aufgenommen hat, mit sehr obertonreichen Spitzentönen von großer Durchschlagkraft frappiert!

    Hymel hatte ich bisher ein einziges Mal live: Als Edgar in einer konzertanten Aufführung in Frankfurt 2014. Das war sehr imponierend, wenn auch die Partie nicht solche Extremhöhen fordert wie Meyerbeer-Partien. Ein Wiederhören hat sich bisher leider nicht ergeben, auch, weil ich es sehr kurzfritig nicht zum Münchner "Tell" geschafft habe, obwohl ich bereits eine Karte hatte. Seitdem hört man unterschiedliches über ihn. Ich habe kürzlich mal in Mitschnitte seines letztjährigen Berliner "Duca" hereingehört, das hat mich nicht vom Hocker gehauen, auch weil ihm (inzwischen?) etwas die Leichtigkeit zu fehlen scheint. Auch sein "Pinkterton" aus der letzjährigen Scala-Eröffnung fand ich beim Anhören des Mitschnitts auch nicht so überzeugend, hier klang er auf einmal allzu robust.
    Kang kenne ich lange, eigentlich seit seinem Beginn an der Deutschen Oper in Kleinstpartien. Er hat in den letzten Jahren eine unglaubliche Entwicklung hingelegt - 2010 war er in der Premiere des DOB-"Giovannis" mit dem Ottavio noch heillos überfordert. Inzwischen singt er einen sehr anständigen Rodolfo, Edgardo und auch Duca. Ihn als sehr große Hoffnung bei Meyerbeer zu sehen, bin ich doch etwas skeptisch. Ich habe seinen Raoul nicht gehört, aber die Verbindung von technischer Rafinesse mit einer durchdachten vokalen Interpretation war jetzt bisher nicht seine größte Stärke. Ich lasse mich aber gerne eines besseren belehren - diese Saison singt er ja noch einiges an der DOB (u.a. Carlo), wenn auch keine Grand Opéra.

  • er ja noch einiges an der DOB (u.a. Carlo), wenn auch keine Grand Opéra.

    Na ja, das Originalwerk Verdis, "Don Carlos", ist ja eigentlich irgendwie doch eine Grande Opéra. :D


    (Wie die damaligenb französischen Gattungsbezeichnungen sich immer nach dem Haus richteten, an dem das Stück aufgeführt wurde - mit allen Konventionen, die dann eben dazugehörten.)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Na ja, das Originalwerk Verdis, "Don Carlos", ist ja eigentlich irgendwie doch eine Grande Opéra. :D


    (Wie die damaligenb französischen Gattungsbezeichnungen sich immer nach dem Haus richteten, an dem das Stück aufgeführt wurde - mit allen Konventionen, die dann eben dazugehörten.)

    Ich gehe mal davon aus, dass du verstanden hast, was ich gemeint habe. Tatsächlich wäre übrigens eine Aufführung der französischen Fassung dieses Stückes in Berlin mal sehr wünschenswert, besonders vor dem Hintergrund, dass sowohl die Deutsche als auch die Staatsoper die vieraktige Fassung im Reptertoire haben.

  • Lieber Melomane,


    über Brian Hymel und Yosep Kang sollte wir in deren Threads reden.
    Sie hier ausführlicher zu behandeln passt vielleicht nicht ganz in den Thread der Sängerjubilare.
    Ich hatte sie hier nur erwähnt, weil ich sie genau im Kernrepertoire von Leon Escalais gehört habe:
    Hymel als Arnold, Robert, Henri und José,
    Kang als Arnold, Raoul und Hoffmann.


    Bryan Hymel - ein amerikanischer Tenor


    Entdeckungen: Neue Stimmen


    Beste Grüße


    Caruso41

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  • Willi hat heute u.a. an den (posthumen) 88. Geburtstag von Piero Cappuccilli erinnert, der als einer der als einer der größten italienischen Baritone seiner Zeit gilt und auch hier viele Anhänger hat, wie ich weiß. Es kann also gut sein, dass ich mich gleich furchtbar in die Nesseln setze, wenn ich mich zu folgender Luna-Arie, die ich gerade schon einmal gehört habe, etwas detaillierter äußere:



    https://www.youtube.com/watch?v=TA_00WTmaU0


    Vorab nochmal der Text der Arie aus dem 2. Akt der Verdi-Oper "Il trovatore":


    IL CONTE DI LUNA:
    Il balen del suo sorriso
    D'una stella vince il raggio!
    Il fulgor del suo bel viso
    Novo infonde a me coraggio!
    Ah! l'amor, l'amore cond'ardo
    Le favelli in mio favor!
    Sperda il sole d'un suo sguardo
    La tempesta del mio cor!


    Und nun meine Höreindrücke... :untertauch:


    Wie schreibt "Ralf Reck" in seiner Signatur so schön:


    "Oper lebt von den Stimmen, Stimmenbeurteilung bleibt subjektiv."


    Und obgleich Cappuccilli objektiv einer der führenden Fachvertreter seiner Zeit war, habe ich subjektiv nie wirklich einen Zugang zu ihm bekommen, stellte sich bezüglich seines Stimmklanges nie ein "Wow"-Effekt bei mir ein, war er für mich eher der Vertreter eines Gesangsstils, wie ich ihn nicht übermäßig schätze, obgleich er womöglich besonders idiomatisch und italienisch sein kann, aber wir wissen von anderen (auch früheren) Sängern, dass man das auch ganz anders singen kann.


    Schon den Einstieg der Arie empfinde ich als (bewusst?) dumpf und "ungefähr", sogar etwas rauh - nicht so edel und aristokratisch klingend, wie man sich einen Grafen gemeinhin vorstellt.


    Wenn Cappuccilli in die Mittellage geht, kommt ein recht schöner Klang zustande, der sich in der Tiefe so nicht einstellt. In der Höhe nimmt der Kraftaufwand allerdings hörbar zu, der den schönen Klang der Mittellage nicht schöner macht, es klingt für mich nicht ohne Anstrengung gesungen.


    Das Schleifen bei "Il fulgor" empfinde ich nicht als besonders idiomatisch, sondern eher als schlampig und unkultiviert.


    Nach "infonde" wird die Stimme noch enger, klingt generell für mich nicht so frei und klangschön, wie ich es mir wünschen würde.


    "Ah! l'amor, l'amore cond'ardo" - sicherlich nicht schlecht gesungen, aber für meinen Geschmack doch mit zu großem Vokalausgleich, die "a"-Vokale klingen alle wie "o"-Vokale.


    Zudem empfinde ich den ganzen Vortrag irgendwie als steif (mag zur Rolle passen) und wenig differenziert, sondern voll auf Stimmkraft ausgerichtet, der Stimmsitz scheint viel wichtiger als eine Textausgestaltung.


    Beim ersten "tempesta" demonstriert er schon eine eindrucksvolle Höhe, aber warum dann dieser unkultivierte veristische Ansatz bei "del mio cor"?


    Bei der ersten Wiederholung von "Ah! l'amor, l'amore cond'ardo" ist der Stimmsitz auch nicht perfekt, die Stimme rutscht weg.
    Die Höhe ist dann sicher, aber das Kraft-Klang-Verhältnis bei der Tonproduktion ist meines Erachtens nicht optimal.


    Auch bei der Wiederholung dieser Phrase finde ich den Tonansatz beim "Ah" überhaupt nicht schön, sondern quallig-gequält.


    Gerade beim "Tempesta" unmittelbar vor der Kadenz sitzt mir der Ton viel zu weit hinten im Hals, klingt gaumig.


    Dann der böse Wackler bzw. eher Kiekser beim "sguardo" in der Kadenz... :no:


    Der anschließende Spitzenton ist zwar sicher da, klingt für mich aber nicht übermäßig schön, sondern nur dramatisch.


    Und das vielgesungene Wort heißt "Tempesta", nicht "Tempesto"!


    Dann noch der Schleifer am Ende bei "del mio cor" - Nein, das ist nicht meine Luna-Arie!!!


    Sicher nicht allzuschlecht gesungen, aber auch nicht wirklich grandios gesungen, mit doch einigen Schwächen und auf einer Art und Weise, die meinem persönlichen Geschmack überhaupt nicht entgegen kommt. Nicht mein Sänger! :(


    Nun rechne ich natürlich mit heftigem Widerspruch. ;)
    (Dass die nachfolgende Cabaletta eindrucksvoller ist als das besprochene Cantabile, räume ich gerne ein, aber auch da klingt die Stimme an einigen kurzen Tönen in der Höhe regelrecht erstickt.)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Stimmenliebhaber: Es kann also gut sein, dass ich mich gleich furchtbar in die Nesseln setze, wenn ich mich zu folgender Luna-Arie, die ich gerade schon einmal gehört habe, etwas detaillierter äußere:


    Das glaube ich nicht, lieber Stimmenliebhaber, du wirst schon die richtigen Worte zu diesem prachtvollen Bariton finden. Ich habe mir eben die Arie angehört- wunderbar!. Ich habe Capucilli leider nicht in dieser Aufnahme, sondern in "I Masnadieri", wo er unter Lamberto Gardelli den Franz Mooer singt. In meinen älteren Aufnahmen singen Ettore Bastianini und Thomas Hampson den Luna, und in der Tutto Verdi-GA Claudio Sgura.
    Ich freue mich schon auf die Fortsetzung deines Beitrages.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi, der ist schon lange fertig! ;)


    Cappuccilli übrigens mit Doppel-p, Doppel-c und Doppel-l ... Vielleicht kannst du das sowohl hier als auch in deinem Glückwunschbeitrag noch verbessern?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Nun rechne ich natürlich mit heftigem Widerspruch. ;)


    Nicht von mir! Lieber Stimmenliebhaber, nicht von mir!


    Cappuccilli habe ich eigentlich in vielen seiner großen Partien gehört: Luna, Rigoletto, Simone, Rodrigo, Don Carlo di Vargas, Renato, Macbeth, Jago. Ich habe ihn stets als Sänger erlebt, der eigentlich nicht durch eine besondere kultivierte Gesangskunst oder eine ausgefeilte Gestaltung seiner Partien augefallen wäre. Deshalb ist es vielleicht nicht ganz fair, ihn nach einer einzelnen Arie oder meinetwegen nach ein paar Arien zu beurteilen.
    Wenn er für sich einnehmen konnte, dann eher, weil er in seinen Partien immer mit einer beeindruckenden Kraft und einem erstaunlich weiten Atem imponierte. Dass er kein wirkliches Qualiätstimbre hatte, würde ich ihm nicht vorwerfen, aber seine Stimme hat auch weder Autorität noch etwas menschlich Anrührendes, Bewegendes! Seinem Singen fehlten - was dieses Manko noch verstärkte - Differenzierungen! Es wurde kaum je in den Dienst einer Gestaltung eines Charakters oder eines Schicksals gestellt!


    Zu der Zeit gab es etliche Baritöner, die mich entschieden stärker beeindruckt haben als Piero Cappuccilli: ich denke an Giuseppe Taddei, Nicola Herlea, Ingvar Wixell, Licinio Montefusco, Cornell MacNeil, Renato Bruson, Sherrill Milnes, Kostas Paskalis! In manchen Partien habe ich zudem etwa Eberhard Waechter, Raymond Wolanski oder Peter Glossop besser in Erinnerung als ihn!


    Das ist vielleicht kein schöner Geburtstagsgruß, den ich jetzt geschrieben habe. Aber ich denke, dass wir doch ungeschminkt unsere Eindrücke aufschreiben sollten. Eine Würdigung muss ehrlich sein. Das sind wir nicht zuletzt dem Jubilar schuldig!


    Caruso41

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  • Nun habe ich nicht mehr viel Zeit, aber Aureliano Pertile möchte ich doch ganz kurz noch mit zwei sehr unterschiedlichen Aufnahmen würdigen!
    Pertile hatte keine eigentlich schöne Stimme wie etwa Antonio Cortis, aber die dramatische Kraft und das leidenschaftlich Engagement seines Singens haben mich schon früh hingerissen. Ein Espressivo-Sänger, mit dem das Temperament oft durchgeht!
    An seiner Technik und seinem Stil gibt es vielleicht einiges zu kritisieren. Auch an seinem Geschmack! Darauf muss ich vielleicht morgen noch mal zurückkommen.
    Aber zu bewundern gibt eine innere Beteiligung, wie man sie in unseren Tagen kaum mehr erlebt! Und man kann ihm nicht vorwerfen, dass sein Singen nicht differenziert wäre. Er hat eine tolle Atemkontrolle, einen perfekten Registerausgleich, kann einen Ton oder einen Bogen bruchlos vom Piano zum Forte schwellen lassen, aber auch von Forte bruchlos wieder ins Piano zurückführen!


    https://www.youtube.com/watch?v=LAoFDInuytY


    https://www.youtube.com/watch?v=wryZ2oMSWmk


    Vielleicht hören Melomane oder Stimmenliebhaber ihn ja ganz anders. Das könnte ich ganz und gar verstehen. Das ist ein Sänger, an dem sich die Geister scheiden!


    Caruso41

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  • Lieber "Caruso41", ich danke dir für einen ausführlichen Antwortbeitrag!

    Das ist vielleicht kein schöner Geburtstagsgruß, den ich jetzt geschrieben habe. Aber ich denke, dass wir doch ungeschminkt unsere Eindrücke aufschreiben sollten. Eine Würdigung muss ehrlich sein. Das sind wir nicht zuletzt dem Jubilar schuldig!

    Um einen "schönen Geburtstagsgruß" soll es ja hier auch nicht gehen, dafür haben wir die andere Rubrik. Aber wir würdigen den Jubilar, indem wir uns intensiv mit seinem Wirken anhand eines ausgewählten Beispieles auseinandersetzen und dadurch - wenn auch ungeschönt - etwas dafür tun, an ihn zu erinnern.
    Das muss nicht immer unkritisch sein, im Gegenteil. Bei Lebenden, die hier vielleicht noch mitlesen könnten, ist meine Hemmschwelle freilich höher, deswegen habe ich mich heute bewusst nicht für Yvonne Naef entschieden, obgleich mal wieder eine frau drangewesen wäre. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber "Caruso41",


    deine beiden eingestellten Beispiele zu Aureliano Pertile habe ich mir jetzt angehört, kann mich aber nicht so recht für diesen grobschlächtigen Brüll-Tenor begeistern - und das, obwohl seine emotionale Beteiligung durchaus spürbar ist und ich eine solche natürlich schätze, aber was nutzt das alles, wenn so frei mit dem Notenmaterial, mit der Formung der Konsonanten und Vokale umgegangen wird, wenn beinahe sämtliche Phrasen am Ende dermaßen unschön abgerissen werden??? Er scheint mir ganz ein Sänger im Zeichen des Verismo zu sein, der ja damals noch ganz aktuell war, aber auch da gibt es kultuviertere und zugleich differenziertere Interpreten. Und bei Verdi wird's mitunter wirklich sehr unschön, trotz der kraftvollen, absolut imponierenden Höhen.
    Das hier eingestellte "Ah si, ben mio" ist mir einfach nicht lyrisch genug (Warum brüllt der so, bei dieser sparsamen Orchesterbegleitung, die ja Piano-Singer gerade ermöglichen soll?) und das "Di quella pira" protzt natürlich vor Kraft, aber was nützt mir der tolle, beinahe ewig gehaltene Stentor-Spitzenton, wenn die Phrase dann so extrem unschön "beendet" wird (mit beinahe wegbrechendem offnem Vokal "e" in der Fioritur). Bei "all'armi" singt der Chor erst ewig alleine - und wenn dann der Tenor zum beinahe letztmöglichen Zeitpunkt kurz vor seinem Spitzenton einsteigt, dann auch noch musikalisch falsch, also nicht an der richtigen Stelle - da graust es mich echt, das ist für mich Stimmprotzerei ohne Sinn und Verstand und keine glaubwrdige musikalische Gestaltung und Erfüllung eine Rolle!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Vielleicht hören Melomane oder Stimmenliebhaber ihn ja ganz anders. Das könnte ich ganz und gar verstehen. Das ist ein Sänger, an dem sich die Geister scheiden!


    Zu meinen Lieblingssängern gehört er auch nicht!

    W.S.

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  • Ich will mich ja weder mit Stimmenliebhaber, noch mit mit Caruso anlegen. Aber Cappuccilli, "il principe dei baritoni" war für mich nach Gobbi, der eindrücklichste Bariton, den ich live erlebt habe. Er mag nicht das stimmschöne Timbre von Bruson gehabt haben, aber sein unvergleichlicher Atem und und die dramatische Gestaltung machte ihn als Conte di Luna, als Gérard, als Rodrigo, als Simone und Macbeth unübertrefflich. Er hat für mich keinen vergleichbaren Nachfolger gefunden und keiner der vorn Caruso genannten Baritone vermochte ihm (auch was die Stimmschönheit betrifft) nur annähernd das Wasser zu reichen.

  • Lieber Marcel!


    Das sehe ich genauso! Tito Gobbi war auch kein Wunder an Stimmschönheit. Aber er wurde immer hochgelobt. Natürlich war er ein imponierender Charakter-Darsteller und wußte seine Stimme stets optimal auf seine jeweilige Rolle einzusetzen. So auch Cappuccilli. Ich habe ihn in Bonn als hervorragenden Nabucco erlebt. Für mich steht er klar über einem Kostas Paskalis oder Licinio Montefusco.


    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Ein paar Dinge möchte ich gerne zu den beiden heutigen Jubilaren anmerken:


    Ich bin kein großer Fan von Piero Cappuccilli, aber mir kommt er unter dem Strich, nicht nur hier, etwas zu schlecht weg, während andere (für mich vor allem Bruson und Nucci) zu gut wegkommen. Keine Frage, ein großer Gestalter wie Gobbi ist er nicht, in puncto Farben, Durchdringung des Textes, kann er ihm nicht das Wasser reichen. Die Stimme selbst hat jetzt auch nicht den betörenden Ton Bastianinis. Trotzdem gibt es einige Aufnahmen von ihm, die ich hin und wieder gerne höre: Dazu zählt neben seinem kraftvollen, wenn auch etwas eindimensionalen "Rigoletto" unter Giulini vor allem sein Boccanegra unter Abbado. Auf den langen Atem hat "Caruso41" bereits hingewiesen, sein verschwenderisches Legato kommt für mich dazu, so dass auch Posas Tod unter Karajan für mich auf der Haben-Seite zu verbuchen ist. Ich habe übrigens neulich eher zufällig die nicht ganz zu Unrecht heute fast vergessene Studio-Gesamtaufnahme von "Un Ballo in maschera" unter Bruno Bartoletti aus dem Jahr 1970 gehört: Neben der sich weit über dem Zenit befindlichen Renata Tebaldi und dem seltsam unbeteiligten Pavarotti singt hier Sherill Milnes den Renato und das auf völlig auf reinen Stimmprotzklang ausgerichtet. Sorry, aber da ist für mich Cappuccilli unter Muti (und auch live unter Abbado aus Wien) eine andere Klasse, auch aufgrund der Textformung, um die sich Milnes wenig bis gar nicht schert.


    Heftigen Widerspruch möchte ich bei der Klassifizierung von Pertile als "grobschlächtigen Brülltenor" einlegen: Über eine etwaige Schönheit des Timbres braucht man nicht streiten - es gibt sie schlicht und ergreifend nicht. Was er aber mit ihr anstellt, geht für mich weit über Brüllen hinaus. "Caruso41" hat bereits auf seinen perfekten Registerausgleich hingewiesen, das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Die Auslotung von dynamischen Möglichkeiten kann man im verlinkten Video wunderbar studieren, und zwar nicht erst bei "Ah, sì ben mio", sondern bereits in der Szene mit Leonora davor. Hier ist immer wieder eine Mezzavoce zu hören, die ihresgleichen sucht und das Diminuendo auf "core" ist auch eindrücklich. Dass ihm danach öfter mal die Gäule durchgehen und er es mit den emphatischen Ausbrüchen gern mal übertreibt - zugegeben! Trotzdem ist für mich dieser Ausdrucksreichtum auf der Grundlage dynamischer Schattierungen bahnbrechend und geht weit über ein rein veristisches Singen hinaus: Es ist die Erschütterung des Zuschauers mit den Extremen, die der Stimme zur Verfügung stehen, eine beinahe kathartische Wirkung des Gesangs. Dass das ein schmaler Grad ist, beweist die von Tito Gobbi verbreitete Anekdote, dass Pertile in einer Pagliacci-Aufführung, in der Gobbi als junger Mann den Silvio sang, es mit dem Schluchzen am Ende von "Vesti la giubba" so übertrieb, dass das Publikum es für Lachen hielt und ebenfalls in Gelächter ausbrach...
    Man wird Pertile nicht gerecht, wenn man ihn, wie häufig geschehen allein als Günstling Toscaninis darstellt, denn das war er nicht. So unerfolgreich seine Karriere an der Met auch verlief - er sang hier nur zwei Spielzeiten lang - so unangefochten war seine Stellung über lange Jahre hinweg in Italien, insbesondere an der Scala. Seine drei erhaltenen Studioaufnahmen (Aida, Trovatore und Carmen) machte er auch nicht mit Toscanini, sondern mit Carlo Sabanjo, respektive Lorenzo Molajoli.
    Dass man ihn nicht nur als den emphatischen Veristen sehen darf, belegt auch diese Lohengrin-Aufnahme (auch eine seiner erfolgreichen Bühnenrollen), bei der man alles hören kann, was für mich die Faszination dieses Sängers ausmacht: Legato, Mezzavoce, Ausbrüche, dynamische Extreme, perfekte Atemtechnik:


  • Ich will mich ja weder mit Stimmenliebhaber, noch mit mit Caruso anlegen. Aber Cappuccilli, "il principe dei baritoni" war für mich nach Gobbi, der eindrücklichste Bariton, den ich live erlebt habe. Er mag nicht das stimmschöne Timbre von Bruson gehabt haben, aber sein unvergleichlicher Atem und und die dramatische Gestaltung machte ihn als Conte di Luna, als Gérard, als Rodrigo, als Simone und Macbeth unübertrefflich. Er hat für mich keinen vergleichbaren Nachfolger gefunden und keiner der vorn Caruso genannten Baritone vermochte ihm (auch was die Stimmschönheit betrifft) nur annähernd das Wasser zu reichen.


    Damit gibst du hier zwar deine hohe Meinung von dem Sänger wieder, die du vor dieser Rubrik längst hattest, aber ein wirkliches Eingehen auf meine Argumente und die von mir beschriebenen Details im eingestellten Fall-Beispiel kann ich leider nicht erkennen, ich lese dazu nichts in deiner Erwiderung - das ist nicht ganz das, was ich mir beim Anlegen dieser Rubrik unter einem "Austausch" vorgestellt habe. Hast du die eingestellte Luna-Arie denn angehört?


    sein verschwenderisches Legato kommt für mich dazu


    Warum höre ich das im eigestellten Luna-Beispiel so gar nicht, obwohl doch gerade diese Arie sich so sehr zum Legato-Singen anbietet?


    Dazu zählt neben seinem kraftvollen, wenn auch etwas eindimensionalen "Rigoletto" unter Giulini vor allem sein Boccanegra unter Abbado. Auf den langen Atem hat "Caruso41" bereits hingewiesen, sein verschwenderisches Legato kommt für mich dazu, so dass auch Posas Tod unter Karajan für mich auf der Haben-Seite zu verbuchen ist. Ich habe übrigens neulich eher zufällig die nicht ganz zu Unrecht heute fast vergessene Studio-Gesamtaufnahme von "Un Ballo in maschera" unter Bruno Bartoletti aus dem Jahr 1970 gehört: Neben der sich weit über dem Zenit befindlichen Renata Tebaldi und dem seltsam unbeteiligten Pavarotti singt hier Sherill Milnes den Renato und das auf völlig auf reinen Stimmprotzklang ausgerichtet. Sorry, aber da ist für mich Cappuccilli unter Muti (und auch live unter Abbado aus Wien) eine andere Klasse, auch aufgrund der Textformung, um die sich Milnes wenig bis gar nicht schert.


    Das ist jetzt zwar eine hochinteressante Aufzählung von (für mich auf die Schnelle nicht nachprüfbaren) Gegenbeispielen, aber zum von mir eingestellten und detailliert beschriebenen Beispiel (dieser Luna-Arie) und meinen Argumenten dazu bist du leider nicht wirklich eingegangen.


    "Caruso41" hat bereits auf seinen perfekten Registerausgleich hingewiesen, das möchte ich ausdrücklich unterstreichen. Die Auslotung von dynamischen Möglichkeiten kann man im verlinkten Video wunderbar studieren, und zwar nicht erst bei "Ah, sì ben mio", sondern bereits in der Szene mit Leonora davor.


    Warum schmeißt er dann nach dem langausgehaltenen Spitzenton in der nachfolgende Koloratur, die sich in einem anderen Register abspielt, als der Spitzenton? Ich höre da einen regelrechten Registerbruch.


    Dennoch muss ich dir hoch anrechnen, lieber "Melomane", dass du - wenn auch nur im Falle Pertile - bislang der Einzige warst, der wirklich detailiert auf das von mir eingestellte Fallbeispiel eingegangen ist und gute Gegenargumente gebracht hast - so stelle ich mir einen Austausch über Höreindrücke vor und dann kann ich auch gegenteilige Auffassungen auch bestens akzeptieren. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Für mich steht er klar über einem Kostas Paskalis oder Licinio Montefusco.


    Na gut, lieber Wolfgang, das gebe ich Dir zu.
    Insgesamt ist das sicher eine begründete Einschätzung.
    Aber: Paskalis war meiner Meinung nach der bessere Macbeth und Montefusco der bessere Rigoletto!


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Cappuccilli, "il principe dei baritoni" war für mich nach Gobbi, der eindrücklichste Bariton, den ich live erlebt habe. Er mag nicht das stimmschöne Timbre von Bruson gehabt haben, aber sein unvergleichlicher Atem und und die dramatische Gestaltung machte ihn als Conte di Luna, als Gérard, als Rodrigo, als Simone und Macbeth unübertrefflich.


    Lieber m.joho!


    Die Stärken Cappuccillis habe ich ja auch thematisiert, aber die Schwächen die Stimmenliebhaber und ich kritisiert haben, kann man doch einfach nicht ignorieren! Dazu sagst Du gar nichts?


    Ich weiss zwar nicht, welche Baritöner Du live gehöt hast, aber zunmindest Nicola Herlea und Cornell McNeill sind doch Baritöner, die nicht nur schönere Stimmen hatten, sondern auch differenzierter sangen und vor allem gestalterisch mehr zu bieten hatten als Cappuccilli!


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Trotzdem gibt es einige Aufnahmen von ihm, die ich hin und wieder gerne höre: Dazu zählt neben seinem kraftvollen, wenn auch etwas eindimensionalen "Rigoletto" unter Giulini vor allem sein Boccanegra unter Abbado. Auf den langen Atem hat "Caruso41" bereits hingewiesen, sein verschwenderisches Legato kommt für mich dazu, so dass auch Posas Tod unter Karajan für mich auf der Haben-Seite zu verbuchen ist.


    Lieber Melomane,


    ich gebe gerne zu, dass zumindest die Aufnahmen, die Cappuccilli unter Abbado gemacht hat mehr Differenzieung (vor allem in der Lautstärke) erkennen lassen als ich live je von ihm gehört habe (Immerhin war das meistens unter Maazel, aber auch unter Karajan und Abbado). Man kann Mängel im Einzelnen kritisieren. Stimmenliebhaber hat das am Beispiel der Luna-Arie präzise gemacht.
    Wenn man aber darüber hinaus seine Rollenportraits als Ganzes anschaut, fällt auf, dass sie durchweg wenig Profil haben. Das Beste Portrait liefert er immerhin als Simone unter Abbado! Jedoch auch hier ist er nicht wirklich herausragend! Der Auftritt des Simone in der Signoria hat einfach nur Kraft und Lautstärke, aber keine Autorität in der Zurückweisung der Gegener, keine Dringlichkeit und kein "heiliges Feuer" in dem Appell zum Frieden. Und in der Schlusszene kann er zumindest mich beim besten Willen nicht Rühren und ergreifen. Man muss nicht Tibbett, Warren oder Gobbi bemühen: Wixell oder McNeill haben viel mehr von der Figur und ihrem tragischen Scheitern vermittelt als er!


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


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  • Stimmenliebhaber hat dies am Beispiel der Luna-Arie präzise gemacht.

    Wenn auch etwas überspitzt. Der "böse Wackler", der konstatiert wird, ist wirklich minimal, dass man kein Legato hören würde, stimmt so ebenfalls nicht, gerade am Beginn der Arie singt er sehr wohl Legato, es bleibt hier aber tatsächlich etwas Stückwerk - in anderen bei youtube zu findenen Aufnahmen dieser Arie von ihm ist tatsächlich mehr davon zu hören. Die mangelnde dynamische Differenzierung stört mich auch, das betrifft besonders die Einleitung, an einen Warren und wie er die im Vergleich zu Cappuccilli riesige Stimme hier zurücknimmt, darf man freilich nicht denken! Positiv möchte ich anmerken, dass er gegen Ende der Arie, bei der Wiederholung von "Sperda il sole d'un suo sguardo" nicht kurzatmig wird wie viele seiner Fachkollegen. Über die sichere Höhe wurde bereits geschrieben.



    Zitat

    Der Auftritt des Simone in der Signoria hat einfach nur Kraft und Lautstärke, aber keine Autorität in der Zurückweisung der Gegener, keine Dringlichkeit und kein "heiliges Feuer" in dem Appell zum Frieden.

    Das höre ich so nicht. Zumindest die vokale Autorität ist gerade an dieser Stelle beeindruckend. Wixell mag auf der Bühne ein eindrücklicher Boccanegra gewesen sein. Ich habe vor kurzen mal anlässlich von Gundula Janowitz' 80. Geburtstag einen Boccanegra-Mitschnitt aus der DOB 1975 quergehört. Sicher, das ist eindrücklich interpretiert von Wixell, aber klanglich kann er Cappuccilli da nicht das Wasser reichen.


    Ich bin weit davon entfernt, ihn - wie andere hier - als Prinz der Baritone anzusehen, dafür ist seine gestalterische Beschränktheit zu offensichtlich. Ein guter, sehr zuverlässiger Sänger im Verdi-Fach war er trotzdem.

  • Das letzte Wort hier soll doch der grosse Piero haben, mit einer Arie, in welcher man ihm kaum mangelnde Differenzierung vorwerfen kann:

  • Ich bin weit davon entfernt, ihn - wie andere hier - als Prinz der Baritone anzusehen, dafür ist seine gestalterische Beschränktheit zu offensichtlich. Ein guter, sehr zuverlässiger Sänger im Verdi-Fach war er trotzdem.


    Lieber Melomane!


    Dabei können wir es belassen.
    Bald gibt es schon wieder ein Jubiläum von Cappuccilli!


    Beste Grüße


    Caruso41


    Nur noch ein Nachwort: Interessanterweise hat übrigens Jürgen Kesting die gleichen Einwände gegen Cappuccillis Auftritt in der Signoria vorgebracht, die ich auch angedeutet hatte!

    ;) - ;) - ;)


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