Diskussion Regietheater kontra traditioneller Aufführungsstil

  • Wenn es denn so einfach wäre ... Ist es nicht auch denkbar, dass ein chinesischer (Oper-)Regisseur garnicht anders inszenieren kann bzw. darf, da er sonst Repressalien zu befürchten hätte!? Und an dieser Stelle haben Kunst und Politik eben leider sehr, sehr viel miteinander zu tun, auch wenn immer wieder gerne versucht wird, diese Zusammenhänge (ebenso, wie die von Sport und Politik) weg-zu-ignorieren.

    Lieber Michael,


    ganz sicher ist eine "politische" Inszenierung in China so nicht möglich - wie so etwas ausgeht, zeigt der Fall Ai Weiwei. Andererseits ist die Frage, ob diese Art der Inszenierung wirklich politisch motiviert ist, also einer "inneren Zensur" entspricht oder nicht vielmehr auch einfach nur der asiatischen Außensicht der europäischen Kultur entspringt. Dazu müsste man vergleichen, wie es in demokratischen Staaten wie Korea oder Japan aussieht. Es könnte natürlich sein, dass die Asiaten generell eine für unseren Geschmack etwas klischeehafte traditionalistische Inszenierung bevorzugen, die für sie "typisch europäisch" daherkommt. Dazu müsste man letztlich die Aufführungstraditionen genau kennen. Ich habe ja mal während meiner Stdienzeit Koreaner mit in die Düsseldorfer Rheinoper geschleppt. Da gab es Ballette von Strawinsky. Frappierend war schon, dass sie die spektakuläre und lebendige Petruschka-Inszenierung regelrecht verschreckte, während sie den für meinen Geschmack langweiligen klassizistischen Strawinsky ganz toll fanden. Das entsprach wohl mehr dem Gestus der asiatischen Zurückhaltung. All das war aber kein Regietheater. Ich kann mir aber lebhaft vorstellen, dass sie Provokationen auf dem Theater noch mehr verschreckt als moderner Strawinsky. :D Es gibt allerdings in Asien auch die ganz treuen Pina Bausch-Fans, die gerade modernes Theater mögen. Das sollte man nicht vergessen.


    Heute will ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums offenbar die hedonistische "kulinarische Oper", wo man sich gemütlich zurücklehnen will in seinen Sessel, sich berauschen lässt und die Wirklichkeit vergisst. Repräsentativ ist diese Haltung operngeschichtlich aber durchaus nicht. Was das Politische angeht, war das emanzipatorische Bürgertum des 19. Jhd. gerade an einer Politisierung des Theaters interessiert. Nach Friedrich Schiller geht es darum, die "moralische Weltregierung" auf der Bühne darzustellen.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Zitat von M-Müller: Ich mache mir unabhängig davon auch keinen Kopp, was nun alles an "Unkorrektheiten" durch meine Verhaltensweisen ausgelöst werden KÖNNTE. Unterstütze ich Erdogan, wenn ich einen Döner essen gehe? Muslimbrüderschaften, wenn ich mit der Aida durch den Suez-Kanal fahre? Die Aufrechterhaltung von Guantanamo, wenn ich den Yosemite-Park besuche? Kinderarbeit, wenn ich mir das Taj Mahal angucke?

    Lieber M-Müller,


    ich mache mir auch keine weiteren Gedanken darüber, wenn ich solche Beiträge hier lese. Sie tun mir nicht weh, reizen mich aber dann und wann, die Münze an den Verfasser zurückzugeben. Aber Recht hast du, man sollte unsachlichen Belehrungsversuche mit abwegigen Argumenten gar nicht erst beachten.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Gott gebe, dass ich mit zunehmendem Alter nicht genau so selbstgerecht und ignorant werde, wie so mancher andere!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Heute will ein nicht unbeträchtlicher Teil des Publikums offenbar die hedonistische "kulinarische Oper", wo man sich gemütlich zurücklehnen will in seinen Sessel, sich berauschen lässt und die Wirklichkeit vergisst. Repräsentativ ist diese Haltung operngeschichtlich aber durchaus nicht. Was das Politische angeht, war das emanzipatorische Bürgertum des 19. Jhd. gerade an einer Politisierung des Theaters interessiert.


    Lieber Holger!


    Das ist sehr wahr!


    Aber heute denkt doch wohl nur eine recht kleine Minderheit des Publikums über die politische "Botschaft" einer Oper und über das politisch-soziale Umfeld, in dem Oper auf die Bühne gebracht wird, nach!
    Schade eigentlich!
    Ob ich das Hedonismus nennen sollte, weiß ich nicht. Das greift fast zu hoch. Es ist einfach eine Vorliebe für oberflächliche Genüsse!
    Tiefer schürfende Neugierde, Lerneifer, ein Verlangen nach Aufklärung und Erfassen von Kontexten und Zusammenhängen ist nicht angesagt!


    Lies doch mal hier im Forum die Beiträge im Opernführer. Da werden oft einfach und schlicht die äußeren Handlungsabläufe, wie sie im Libretto stehen, wiedergegeben. Das mag für manchen Leser ausreichen.
    Aber reicht das, um in eine Oper einzuführen? Fördert es ein tieferes Verständnis des Werkes? Geht es ohne Wissen um die Entstehungsgeschichte und die Wirkungsgeschichte? Vor allem: darf man die Zeitgenossen, die eingeführt werden wollen, ohne eine Bemerkung zur Musik lassen?


    Dagegen werden im Kunstlied-Forum ausgesprochen gründliche Analysen geboten.
    Und über Sinfonien oder Klaviersonaten etwa wird auch sehr kompetent und erhellend diskutiert.
    Offensichtlich ist es vor allem die Oper, die dazu einlädt, sich nur mehr unterhalten zu lassen und zu genießen.


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Auszugsweise:

    Offensichtlich ist es vor allem die Oper, die dazu einlädt, sich nur mehr unterhalten zu lassen und zu genießen.
    Aber reicht das, um in eine Oper einzuführen? Fördert es ein tieferes Verständnis des Werkes?

    Lieber Caruso
    Ich frage mal, was spricht dagegen? Darf und sollte man nicht ins Theater /in die Oper gehen dürfen und sich in Einheit der Handlung, umrahmt von wunderschöner Musik,
    gepaart mit einer werkgetreuen Inszenierung, mit schönen Bühnenbildern und Kostümen einfach mal nur vereinnahmen und verzaubern lassen,
    einfach nur mal genießen und sich erfreuen?
    Ohne tiefgehende gesellschaftliche Analysen und aktuelle Bezüge.
    Bei meinen früheren vielen Besuchen in der Berliner Staatsoper waren etliche Berliner Stammzuschauer, die man immer wieder vor der Vorstellung und in den Pausen sah.
    In der Folgezeit grüßte man sich, aus ersten flüchtigen freundlichen Worten, wurden intensivere Gespräche und man lernte sich etwas näher kennen.
    Neben dem allgemeinen Opernklatsch und - tratsch, unterhielt man sich über die Künstler und die jeweilige Aufführung. Niemals gab es analytische Gespräche.
    Und das waren alle, wie man mitbekam, studierte Leute bis hin zu Akademikern. Was ich damit sagen will - auch diese hochgebildeten Zuschauer waren alle "nur Genießer".


    (An einen erinnere ich mich noch genau. Er war Apotheker und falls er vielleicht hier mitlliest, würde ich mich freuen und begrüßen, wenn er unserem Forum beitreten würde).


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Gott gebe, dass ich mit zunehmendem Alter nicht genau so selbstgerecht und ignorant werde, wie so mancher andere!


    Ich finde es gar nicht so klar auszumachen, wer hier selbstgerecht ist. ICH werfe DIR z.B. genau gar nichts vor, von mir aus kannst Du alle chinesischen Produkte bis auf den jüngsten Tag verachten und vermeiden (wird schwierig; wenn Du etwa ein Handy hast: da könnte so einiges aus China drin sein) . Wenn ich aber nun der Meinung bin, das MÜSSE man nicht mitmachen, kriege ich die Vorwürfe der Ignoranz und Selbstgerechtigkeit. Und zwar ohne daß auf die durchaus dargestellten Argumente eingegangen wird.


    Ruft da nicht der Räuber: "Haltet den Dieb"???

  • Lieber Chrissy,


    selbstverständlich kann und darf man "NUR" genießen. Wer es anders möchte: bitte sehr.


    Schiller ist z.B. einer meiner absoluten Lieblinge, aber nicht deshalb, weil ich seine sozialkritischen Werke schätze, sondern weil ich ihn für den weitaus besten Dichter deutscher Sprache halte. Ich genieße seine Gedichte. Und nehme die Prosa nicht zur Kenntnis.


    So, und nun noch für alle Neunmalklugen: "nicht zur Kenntnis nehmen" ist nicht "ignorieren". Wenn das so wäre, wäre jeder von uns zu 99,9 Periode-Prozent Ignorant, da wir annähernd unendlich viel mehr nicht zur Kenntnis nehmen als das, was es bis ins Bewußtsein schafft. Schillers Prosa nicht zu lesen ist ein bewußter Akt der Zeitökonomie, heißt: wenn ich alles andere gelesen habe, was mir fruchtbarer erscheint, werde ich mich vielleicht auch mal den "Räubern" zuwenden. Das für Ignorantentum zu halten ist, nun, Ignorantentum.

  • Lieber Chrissy,
    selbstverständlich kann und darf man "NUR" genießen. Wer es anders möchte: bitte sehr.

    Lieber Michael
    Vielen Dank für Deine Zustimmung - so sehe ich das auch. Und auch völlig richtig, wer es anders mag und braucht... - nichts dagegen.


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    Zitat von M-Müller: So, und nun noch für alle Neunmalklugen: "nicht zur Kenntnis nehmen" ist nicht "ignorieren". Wenn das so wäre, wäre jeder von uns zu 99,9 Periode-Prozent Ignorant, da wir annähernd unendlich viel mehr nicht zur Kenntnis nehmen als das, was es bis ins Bewußtsein schafft. Schillers Prosa nicht zu lesen ist ein bewußter Akt der Zeitökonomie, heißt: wenn ich alles andere gelesen habe, was mir fruchtbarer erscheint, werde ich mich vielleicht auch mal den "Räubern" zuwenden. Das für Ignorantentum zu halten ist, nun, Ignorantentum.

    Lieber M-Müller,


    sehr gut gesagt. :jubel: :jubel: :jubel:


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Lieber M-Müller,


    du bist bei weitem nicht allein auf weiter Flur. Ich selbst fühle mich auch nicht allein, obwohl mir ein paar Leute dies gerne zu suggerieren versuchen. Ich weiß, dass wir eine beträchtliche Menge hier im Forum und in der Öffentlichkeit im Rücken haben. Da stört mich das bisschen lächerlicher Gegenwind nicht.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • vielen Dank für die Unterstützung!! Da fühlt man sich nicht so allein auf weiter Flur

    Lieber m.müller,


    wir sind schon ein ziemlicher Faktor, wenn es um Unterstützung gegen Vergewaltigung von Opern geht. Es ist nur peinlich, daß man sich für dieses Engagement als dumm, ahnunglos, selbstgerecht, ignorant und sonst was bezeichnen lassen muß.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Es ist nur peinlich, daß man sich für dieses Engagement als dumm, ahnunglos, selbstgerecht, ignorant und sonst was bezeichnen lassen muß.

    Aber, aber, lieber La Roche, was soll denn daran peinlich sein? Die Meinung und Einschätzung dieser selbstgerechten Kultur- Hohepriester ist so unwichtig und bedeutungslos,
    wie die Mittelung, daß in China der berühmte Sack Reis umgefallen ist und geht uns doch so was vom am A... vorbei!
    Wir lassen uns nicht bekehren und missionieren!


    Herzliche Grüße
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Ich frage mal, was spricht dagegen? Darf und sollte man nicht ins Theater /in die Oper gehen dürfen und sich in Einheit der Handlung, umrahmt von wunderschöner Musik,
    gepaart mit einer werkgetreuen Inszenierung, mit schönen Bühnenbildern und Kostümen einfach mal nur vereinnahmen und verzaubern lassen,
    einfach nur mal genießen und sich erfreuen? Ohne tiefgehende gesellschaftliche Analysen und aktuelle Bezüge

    Lieber Chrissy,


    Du darfst uns sollst ins Theater gehen, nur allein um zu genießen - und wie Du es schön ausdrückst - Dich von der Musik verzaubern zu lassen. Dabei ist auch zu bedenken, dass viele Opern nur zur Erbauung und Lust eltärer Kreise komponiert wurden. Vor Karajan herrschte besonders in Mailand die Unsitte, dass bestimmte Opernbesucher den Zuschauerraum zeitweise verließen und erst zurück kamen, wenn die großen sängerischen Ereignisse zu genießen waren. Aber damit war bei Karajan Schluss, denn er ließ die Ausgänge von Personal bewachen. Also genieße mit bestem Gewissen, großer Freude und Lust die Opern, die Dir gefallen.
    Nun kommt wie meistens im Leben die Kehrseite der Medaille: Viele Opern sind aus zeitkritischen, gesellschaftskritischen und politischen Gründen gemacht worden. Oft verbirgt sich auch in einer vordergründig heiteren Oper massive Kritik. Dann gibt es Werke, die fordern und provozieren, wo man der Herausforderung kaum ausweichen kann. Das sind viele Opern des Verismo, Werke wie z.B Elektra, Wozzek, die Gezeichneten oder die uns noch aktuell stark berührende Oper die Passagierin.
    Lieber Chrissy, Du und ich sind in der glücklichen Lage, dass wir auswählen können. Auch hier gilt die alten, banalen Lebensweisheiten: "Über Geschmack lässt sich nicht streiten" oder "Was dem einen sein Uhl ist, ist dem anderen sein Nachtigall." Deshalb kann ich es wirklich nicht verstehen, dass überhaupt darüber diskutiert und auch noch gewertet wird, wer welche Opern besucht und man es sogar wagt diejenigen zu kritisieren, die eben leichtere Kost bevorzugen.
    Denkt man den Gedanken weiter wäre man bald bei einer Zensur oder elitären Bevormundung. Ich schaue mir im Urlaub häufig diese reisenden Volkstheater, wie z. B. Pfundtners Bauerntheater an und amüsiere mich köstlich über den heiteren Schmarrn. Ach ja, ich gehöre vielleicht trotz Studium und lebenslanger Weiterbildung nicht zu der geistigen Elite, die Besucher - also Leute - die sich so etwas anschauen - für ungebildet und geistig zurück geblieben hält.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Es ist nur peinlich, daß man sich für dieses Engagement als dumm, ahnunglos, selbstgerecht, ignorant und sonst was bezeichnen lassen muß.


    Herzlichst La Roche


    Lieber La Roche,


    ich habe die Komplimente ja nun teilweise zurückgegeben - angekommen sind sie vermutlich nicht, aber es ist doch sonnenklar, daß wir hier die Guten sind.

  • Ach ja, ich gehöre vielleicht trotz Studium und lebenslanger Weiterbildung nicht zu der geistigen Elite, die Besucher - also Leute - die sich so etwas anschauen - für ungebildet und geistig zurück geblieben hält.
    Herzlichst
    Operus


    Lieber Operus,


    Du gehörst ganz bestimmt zur geistigen Elite, und die Leute, die puren "Genuß" für eine unterentwickelte Form der Rezeption halten, eben nicht.

  • Auch ich zähle mich trotz mehrjähriger Gesangsausbildung nicht zur geistigen Elite. Wahrscheinlich gehört noch wesentlich höherer Intellekt dazu, Opernaufführungen zu genießen, wie wir sie uns wünschen. :pfeif:

    W.S.

  • Gott gebe, dass ich mit zunehmendem Alter nicht genau so selbstgerecht und ignorant werde, wie so mancher andere!


    Das ist die subtilste Selbstgerechtigkeit, die man haben kann. Im Neuen Testament gibt es dazu eine Geschichte. Ein Zöllner (galt bei den Juden als Kollaborateur in Bezug auf die römische Besatzungsmacht und war damit automatisch ein Verbrecher) betet im Tempel: "Gott, sei mir Sünder gnädig!" Der Pharisäer betet: "Ich danke dir Gott, dass ich nicht so bin, wie dieser Zöllner!" Und die Sympathie bei Jesus war sehr eindeutig beim Zöllner!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Und die Sympathie bei Jesus war sehr eindeutig beim Zöllner!


    Lieber dr.pingel, dann bin ich eben der Pharisäer. Das ändert aber nichts an meinem innigen Wunsch, der eher stärker, als schwächer wird ... :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Taktgefühl ist auch eine Tugend. Es zeugt nicht gerade von erhabenem Takt, wenn man Theater in einer liberalen Demokratie als "Seuche" beziechnet und dem dann als Spiegel- und Idealbild das vermeintlich "gesunde" Theater in einem totalitären Staat entgegenhält. So etwas kann das moralische Empfinden schon verletzten - und das zu äußern hat rein gar nichts Pharisäerhaftes an sich. Das wiederum als pharisäerhaft abzutun zeugt wiederum von mangelndem moralischen Taktgefühl. Aber natürlich, wo es um die eigenen Wünsche und Bedürfnisse geht, die um jeden Preis befriedigt werden wollen, ist Takt zu halten natürlich schwierig. :angel:

  • Deshalb kann ich es wirklich nicht verstehen, dass überhaupt darüber diskutiert und auch noch gewertet wird, wer welche Opern besucht und man es sogar wagt diejenigen zu kritisieren, die eben leichtere Kost bevorzugen.

    Mein lieber Hans,


    danke für Deinen sehr interessanten beitrag. Zu o.g. Zitat muß ich noch ergänzend sagen, daß es ja nicht bei Kritik bleibt. Es wird scharf geschossen bis zur persönlichen Beleidigung.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Heute (17:00) im SWR 2 Forum


    SWR2 Forum
    Willkürlich und respektlos?
    Der Streit um die Opernregie


    Es diskutieren:
    Christian Gerhaher, Bariton, Lied- und Opernsänger
    Prof. Dr. Laurenz Lütteken, Musikwissenschaftler, Universität Zürich
    Prof. Dr. Stephan Mösch, Musik- und Theaterwissenschaftler, Hochschule für Musik Karlsruhe
    Gesprächsleitung: Ursula Nusser


    Von Vicco von Bülow, alias Loriot, ist der Satz überliefert, er habe Wotan so oft mit der Aktentasche erlebt, dass er ihn gerne wieder mit einem Speer sehen würde. Bis heute hat sich der Streit um das sogenannte "Regietheater" nicht mehr beruhigt. In deutschen Opernhäusern enden Premierenabende häufig mit Buh-Rufen für den Regisseur, ein Teil des Publikums beklagt die "Zerstörung" der Werke. Einer der vehementesten Kritiker der zeitgenössischen Opernregie ist der Musikwissenschaftler Laurenz Lütteken. Für ihn ist es "mehr als fragwürdig, die alten Werke mit immer neuen Bildern vermeintlich 'modern' zu machen". Haben sich die zeitgenössischen Regie-Konzepte erschöpft?

  • Danke, lieber Lutz, für diesen wichtigen Hinweis. Ich bin zur Zeit in Ungarn und weiß nicht, ob ich SWR2 empfangen kann. Schade! Ich kenne jedoch den hochkompetenten Prof. Dr. Mösch und seine Ansichten zum Regietheater. Vielleicht kannst Du oder ein anderer Tamino ein Resümee dieser Diskussion machen. Wäre interessant, hilfreich und kollleial.
    Liebe Grüße aus Hevic in Ungarn.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Hans
    die Diskussion müsste ab morgen einige Zeit als podcast verfügbar sein. Wenn ich dran denke, lade ich es herunter und schicke es Dir.
    Eine gute Zeit in Ungarn
    wünscht Euch
    Lutz

  • Ich hatte mir diese SWR2-Sendung zwar schon bei der wöchentlichen Durchsicht der Radioprogramme vorgemerkt, gleichwohl möchte ich lutgra dafür danken, dass er hier im Forum darauf hingewiesen hat.
    Das war sowohl unter formalem, also was den - sich in diesem Fall wohltuend von den Tamino-Gegebenheiten abhebenden - Stil des Diskurses anbelangt, wie auch unter inhaltlichem Aspekt eine interessante und bereichernde Erfahrung. Mir wurde - wieder einmal - bewusst, und das zeigte sich mir ja auch in der hiesigen Diskussion, dass es bei den Kontroversen letzten Endes um eine hermeneutische Grundfrage geht. Sie hat ihren Ort im Begriff des "Werks" und konkretisiert sich im Verständnis des Akts seiner Rezeption.


    Die Protagonisten des Regisseurtheater-Konzepts gehen, wenn sie sich denn reflektierend mit dessen theoretischen Grundlagen auseinandersetzen, von einem sozusagen "weichen" Werkbegriff aus, billigen dem künstlerischen Werk also - ontologisch betrachtet - kein Eigensein zu, gehen vielmehr von der These aus, dass sich dieses erst im Akt der Rezeption konstituiert, also damit dann dem Regie-Zugriff als schiere Verfügungsmasse gegenübersteht. Begriffe wie "Grenzen des hermeneutischen Zugriffs" und "Integrität des Textes" wie sie hier in dieser Diskussion verwendet wurden, können sie dann natürlich nicht akzeptieren.
    Auch die Verteidiger des "Regietheaters" hier im Forum tun das ja nicht und vertreten dabei implizit die These vom nicht gegebenen Eigensein des Werkes als eine Selbstverständlichkeit. Was sie nicht ist!


    Kurios dabei ist, dass derjenige, der sie hier theoretisch am vehementesten propagiert, sich auf Hans-Georg Gadamer beruft. Dabei vertritt dieser in seinem hermeneutischen Theorem der "Horizontverschmelzung" ganz klar die These des Eigenseins des künstlerischen Werks, hätte also, wenn er es denn hätte erleben und erfahren können, das theoretische Konzept des "Regietheaters" mit großer Wahrscheinlichkeit verworfen.
    In seiner Auseinandersetzung mit dem grundlegenden Aufsatz von Georg von Lukács "Die Subjekt-Objekt-Beziehung in der Ästhetik" macht er seine diesbezügliche Position auf markante Weise deutlich. Wenn Lukács meint - und das ist die dem "Regietheater" zugrunde liegende These - : "Zeitlich gesehen ist das Werk nur in einem Augenblick (d.h. jetzt), es ist >jetzt< dieses Werk und es ist jetzt schon nicht mehr", dann hält Gadamer entgegen - und verweist darauf, dass schon Kierkegaard die Unhaltbarkeit dieser Position erkannt "bewiesen" habe:
    "Die Grundlegung der Ästhetik im Erlebnis führt zur absoluten Punktualität, die die Einheit des Kunstwerkes ebenso aufhebt, wie die Identität des Künstlers mit sich selbst und die Identität des Verstehenden bzw. Genießenden." (Wahrheit und Methode, S. 90/91)


    Will sagen:
    Theoretisch mich stützend auf Hans-Georg Gadamer - und (das aber nur nebenbei) auf die mich in frühen Jahren stark geprägt habende Philosophie Nicolai Hartmanns - vertrete ich die These von einem Eigensein des Kunstwerks in Gestalt einer musikalischen Partitur, eines Librettos oder eines literarischen Textes, das dem hermeneutischen Zugriff auf dasselbe Grenzen setzt, und halte deshalb das theoretische Konzept des Regisseur-Theaters für im Ansatz verfehlt. Der sogenannte "Aufführungstext" muss den vom zugrundeliegenden Werk her gezogenen und gesetzten Grenzen des hermeneutischen Zugriffs unterstehen.


    Was eine solche, nur eine Dreiviertelstunde in Anspruch nehmende Rundfunksendung doch alles auslösen kann!
    Ich bitte um Verständnis dafür!

  • Lieber Helmut!


    Ich bin Dir dankbar für Deine sehr ausführliche Stellungnahme zu diesem Thema. Diese deckt sich auch mit meiner Meinung hierzu.


    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Habe grad beide Artikel gelesen: Vielleicht liegt es daran, daß ich schlicht zu müde bin, aber mir scheint es so, dass Lütteken und Hagedorn - vielleicht auf einem etwas höheren Niveau - im Grunde genauso aneinander vorbei"diskutieren", wie die entsprechenden Fraktionen hier im Forum ... :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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