Zum heutigen Todestag von Sena Jurinac - Eine silberne Rose hat bei Sena Jurinac eine besondere Bedeutung und Symbolik
Eigentlich hieß sie ursprünglich Srebrenka Klementina Kristina Jurinac, hatte jedoch nur ihren Vornamen Srebrenka in Gebrauch, als sie 1945 als junge Sängerin nach Wien kam. Srebrenka bedeutet so viel wie »die Silberne«. Weil die Büro-Dame an der Wiener Staatsoper vor allem mit der Aussprache des Vornamens nicht zurechtkam, bastelten die Damen den dann so bekannt werdenden und einprägsamen Vornamen »Sena«.
Srebrenkas Vater war noch k. und k. Regimentsarzt, als er heiratete, aber der Erste Weltkrieg trennte das Paar. Vater Jurinac kam aus der Kriegsgefangenschaft, suchte seine Frau in Wien, und nahm sie mit nach Kroatien, ins damalige Jugoslawien, nach Varaždin, das in einem Duett in der Operette »Gräfin Mariza« zwar schön besungen wird, wo sich aber die Familie Jurinac nicht so recht wohlfühlte. Der Vater wurde nach Travnik in Bosnien versetzt.
Sena Jurinac erklärte immer mit etwas Stolz, wenn man sie nach ihrem Geburtsort fragte, dass dort auch der Nobelpreisträger Ivo Andric geboren wurde.
Die Mutter, eine waschechte Wienerin, war eher westlich orientiert und hatte unter dem Aufenthalt in Bosnien gelitten. Als man Papa Jurinac gar nach Montenegro versetzen wollte, hat er den Dienst quittiert. Es ging dann in die Nähe von Tuzla, nach Lukavac, wo Srebrenka die Volksschule besuchte; danach dann das Gymnasium in Zagreb.
Ihre Mutter drängte Srebrenka zum Klavierspiel, aber sie war kein Wunderkind und empfand das ständige Üben als Qual. Viel lieber hätte sie mit den andern Kindern gespielt, die mehr dem Arbeitermilieu entstammten und deren Eltern keine Ambitionen in diese Richtung hatten.
Srebrenkas Gymnasium war eine Klosterschule, wo es sehr streng zuging, so dass Srebrenkas Mutter diese sonderbare Pädagogik auch etwas kritisch sah und ihre Tochter noch nebenbei heimlich in eine rhythmische Tanzschule schickte. Diese Tanzschule bekam nun Gelegenheit nach Rotterdam zu fahren, um dort südslawische Tänze aufzuführen, das war schon was, für Mädchen in der damaligen Zeit! Trotz aller Heimlichtuerei bekam die Klosterschule Wind von der Sache und warf das Mädchen ob dieses Teufelszeugs aus der Schule.
Im Nachhinein stellte sich aber heraus, dass diese Reise nach Rotterdam für das Mädchen ein reiner Glücksfall war, der noch seine Früchte tragen sollte. Diese Rotterdam-Reise unterschied sich grundsätzlich von den Gepflogenheiten der Klosterschule, die jungen Leute sangen und johlten auf der Fahrt, was das Zeug hielt und Srebrenka wurde ständig dazu aufgefordert als Vorsängerin zu agieren. Der mitreisende Kapellmeister, der das Orchester in Rotterdam geleitet hat, bemerkte, dass hier eine nicht alltägliche Stimme zu hören war. Wieder zu Hause angekommen, ging der Mann zu Srebrenkas Mutter und riet dazu, das Mädchen unbedingt singen lernen zu lassen.
Die Mutter fiel aus allen Wolken, für sie war Sängerin kein Beruf; die Eltern wollten für ihre Tochter nur das Beste. Der Vater dachte an ein Medizinstudium, die Mutter stellte sich die Tochter als Dolmetscherin vor, da sie ja zweisprachig aufgewachsen war. Für beide Elternvorschläge hatte die Tochter nichts übrig, sie wollte Sängerin werden.
Sie studierte ein paar Lieder ein, sinnigerweise auch Schuberts »Wohin?« und begab sich zu einer Gesangslehrerin, die Srebrenka Jurinac dann auch an die Musikhochschule gebracht hat.
Aus dieser Schule holte man sie im Frühjahr 1942 heraus, weil man ein erstes Blumenmädchen benötigte und auch eine tüchtige Stimme für den Chor brauchte, Ende Mai stand sie dann erstmals als Sängerin auf einer Bühne.
Ihr Debüt in einer tragenden Rolle war aber die Mimi in »La Bohéme«, wobei das Stück in kroatischer Sprache gesungen wurde. Es folgten »Die verkaufte Braut«, Margarete in »Faust« ...
Bei einer »Faust«-Aufführung in Zagreb kam es dann tatsächlich zu Handgreiflichkeiten. Der Tenor kam seiner Partnerin etwas näher, als es die Rollengestaltung erforderte; kaum hatte sich der Vorhang geschlossen, bekam »Faust« von der Jurinac drei Ohrfeigen verpasst, sonst passierte dem zudringlichen Sänger nichts, aber Srebrenka Jurinac wurde zu einer empfindlichen Geldstrafe verdonnert und die Sache wurde noch in der Presse breitgetreten, man meinte sie solle ins Kloster gehen, aber da kam sie ja gerade her ...
Natürlich sah sie sich nach besseren Bedingungen um; es kam unter widrigen Umständen zu einem Vorsingen in München. Die Nachtruhe war durch Fliegeralarm beträchtlich gestört und um zehn Uhr musste sie bei Clemens Krauss vorsingen. Dieser entließ sie mit den Worten:
»Sie sind noch etwas jung, Fräulein. Lernen´s noch was! Vielleicht treffen wir uns ja wieder.« - und sie trafen sich dann in Wien tatsächlich wieder.
Ihr nächster Vorsingtermin war an der Wiener Staatsoper, aber vorgesehen war sie für die Volksoper. Nun musste sie zunächst einmal vielen anderen Kapellmeistern vorsingen, bis es endlich soweit war, dass sie sich auf der großen Bühne vor Direktor Dr. Karl Böhm produzieren durfte; dieser erinnerte sich:
»Als 1944 unter anderen Kandidaten ein gewisser Srebrenka (ich konnte ihren Namen nicht aussprechen) Jurinac sang, hörte ich ihr mit großem Interesse zu. Ich habe seit langem keine so schöne Stimme südlicher Klangfarbe mehr gehört. Als damaliger Direktor der Oper entschied ich mich fest, dieses musikalische Juwel an das von mir geleitete Haus zu binden ...«
Sie sang Pamina »Ach, ich fühl's«, die Agate aus dem »Freischütz« und »Elsas Traum«, dann fragte Böhm, ob sie noch was zum Vorsingen habe, was sie verneinte, aber auf Böhms drängen auf ein weiteres Probestück, die Butterfly-Arie auf Kroatisch anbot; sie hatte ja in Zagreb alles in kroatischer Sprache einstudiert. Nach einer Denkpause kam von unten: »Na, singen´s halt Kroatisch.« Danach wurde sie gefragt, ob sie Interesse hätte an der Wiener Staatsoper engagiert zu werden - welch eine Frage ...
Als Srebrenka Jurinac in Wien ankam, lag der große Weltkrieg in seinen letzten Zuckungen, das Opernhaus wurde schon drei Tage nach ihrer Ankunft geschlossen. Einen Vertrag in der üblichen Weise abzuschließen, ließen die Umstände nicht zu, damit sie nicht ganz mittellos dastand, gewährte man ihr eine Unterstützung von monatlich 300 Mark. Mit den Modalitäten des Vertragsabschlusses entstand dann auch der neue Vorname »Sena«; Böhms Sekretärin darf als Taufpatin gelten.
Die Fliegerangriffe nahmen zu und die Kelleraufenthalte in der Staatsoper auch. Nachdem die Spielstätte zerbombt war, kamen die Russen nach Wien und forderten mit der Pistole, dass zum 1. Mai 1945 hier eine Oper aufgeführt wird, im Anblick der Pistole wurden künstlerische Bedenken hintenan gestellt, Srebrenka Jurinac lernte binnen zehn Tagen die Rolle des Cherubino. Allzu viel Personal stand nicht mehr zur Verfügung, aber man brachte es zu Wege, mit sparsamsten Mitteln einen »Figaro« auf die Bühne zu stellen. Trotz aller Mängel, wurden aber auch andere Stücke wie »Bohéme«, »Verkaufte Braut«, »Fledermaus« ... gebracht.
Die Vorstellungen gingen nachmittags um drei los, weil abends um sieben niemand mehr auf der Straße sein durfte.
Aus diesen Umständen heraus wurde schließlich das legendäre Wiener Mozart-Ensemble geboren. Mozarts Musik kam der Stimme Jurinacs sehr entgegen, sie war nicht bei Cherubino stehen geblieben, sondern sang mit der Zeit fast alle Mozart-Rollen.
Die erste Hosenrolle des Cherubino war aus einem Zufall entstanden, aber im Laufe ihrer Karriere galt Sena Jurinac dann als Spezialistin für Hosenrollen.
Interessant ist auch, dass die junge Frau Jurinac den »Rosenkavalier« überhaupt nicht mochte. Die Dresdner Oper war 1942, mit Böhm am Pult, zu einem Gastspiel in Zagreb gewesen. Später, in reiferen Jahren, sagte Jurinac rückblickend: »Als ich diese Oper sah, sagte ich mir, nein, diese Musik ist unmöglich. Dieses Stück muss ich nie mehr sehen und werde es auch auf keinen Fall eines Tages singen!« Die sich im Laufe der Zeit entwickelnden Tatsachen sahen allerdings ganz anders aus.
Allein an der Wiener Staatsoper gab sie von 1948 bis 1963 achtzig Mal den Octavian und fast fünfzigmal schlüpfte sie in die Rolle der Marschallin. Ihre Hauptkomponisten waren Mozart und Strauss. Eine Spezialität der Jurinac, mit ihrem slawischen Hintergrund, waren natürlich Smetanas Marenka in »Die verkaufte Braut«, Tschaikowskys Tatjana in »Eugen Onegin«, die Lisa in »Pique-Dame« oder Mussorgskys Marina in »Boris Godunov«, die sie in Salzburg unter Karajan sang und Jánaceks »Jenufa«.
Auch bei dieser Interpretin ist es müßig, alle bekannten Opernhäuser und Festspielorte aufzuzählen, in denen sie sang, sie sang praktisch überall, so auch in Australien und am Teatro Colón in Buenos Aires, aber nicht an der Metropolitan Opera New York.
1958 sollte sie dort bei der Uraufführung von Samuel Barbers Oper »Vanessa« die Titelrolle singen, sagte dann aber ihre Mitwirkung wegen Krankheit ab, sie war offenbar in einer schwierigen Lebensphase und zu der Musik des Werkes scheint sie auch keinen Zugang gefunden zu haben. Auf die häufige Frage nach ihrer Lieblingsrolle antwortete sie stets, dass sie nur Lieblingsrollen habe - die Vanessa war es eben nicht.
In einer so langen und erfolgreichen Karriere, die fast vier Jahrzehnte überspannte, gab es aber auch Krisen und Enttäuschungen. Gerade in ihren ersten Wiener Jahren überforderte sie ihre Stimme, als sie im Jahr, zum Teil unter widrigen Bedingungen, 150 Vorstellungen sang.
In Madrid und San Francisco gab das Publikum sein Missfallen kund, weil es mit Jurinacs Darstellung der Butterfly nicht einverstanden war. Das scheint verwunderlich, da Sena Jurinac gerade als Sänger-Darstellerin gerühmt wurde. Sie sagte zur Darstellung ihrer Butterfly, dass sie einer Verkitschung dieser Rolle entgegenwirken wollte und sie in dieser Figur eher eine italienische Isolde sehe.
Im Stuttgarter »Winterbayreuth« hatte Frau Jurinac auch als Gast mit Wieland Wagner zu tun, dessen statischer Inszenierungsstil ihr jedoch nicht zusagte; wie sie einmal bemerkte, wollte er sie gotisch haben, aber sie sei eher eine barocke Figur.
Im Juni 1953 heiratete Sena Jurinac in Lewes, unweit von Glyndebourne, ihren Kollegen, den um zwei Jahren jüngeren Bass-Bariton Sesto Bruscantini. Am selben Abend traten die Neuvermählten dann in »Cosi fan tutte« auf. Diese Künstlerehe wurde aber nach drei Jahren wieder geschieden. Seit 1965 hieß die Sängerin dann Sena Jurinac-Lederle. Nach einem Konzert in Augsburg hatte sie den Arzt Dr. Josef Lederle kennen gelernt und ist dort »picken geblieben«, wie sie sich als Wahlwienerin ausdrückte.
Man hat ihr vorgerechnet, dass sie insgesamt 69 Partien gesungen hat, sie selbst konnte das kaum glauben, aber Sängerkarrieren begannen zu Jurinacs Zeiten beträchtlich früher als heute. Die Naturstimme der Jurinac machte es möglich, dass sie in einem recht breiten Spektrum eingesetzt werden konnte, dann kommt da einiges an Partien zusammen. In einem Interview nannte sie einmal Beispiele, die aufzeigen, wie früh auch Kollegen von ihr schon auf der Bühne standen, sie selbst war mit 23 in Wien, Siepi hat mit 22 schon an der Scala gesungen und Berry war bereits mit 19 Jahren an der Wiener Staatsoper.
Dabei erwähnte sie auch mit einem gewissen Stolz, dass sie den später so großen Pavarotti in Wien aus der Taufe gehoben habe, wo sie in seinen Anfängerjahren neben ihm die Mimi gesungen hat, ja sogar mit Helge Rosvaenge hatte sie noch in »Bohemé« auf der Bühne gesungen.
Als Marschallin, in der von ihr vor 40 Jahren noch so ungeliebten Oper »Der Rosenkavalier«, verabschiedete sich Sena Jurinac am Samstag, 20. November 1982 vom Publikum der Wiener Staatsoper. Kurt Moll sang den Baron Ochs auf Lerchenau und in Jurinacs langjährige Paraderolle des Octavian, war Agnes Baltsa geschlüpft.
An der Wiener Staatsoper, wo auch die Aufführungen im Ausweichquartier mitzuzählen sind, sind insgesamt 1252 Auftritte in 46 verschiedenen Partien verzeichnet. In ihrer 37 Jahre währenden Karriere hatte sie mit vielen namhaften Dirigenten, wie zum Beispiel Karl Böhm, Clemens Krauss, Fritz Busch, Josef Krips, Wilhelm Furtwängler, Herbert von Karajan, Otto Klemperer, Hans Knappertsbusch, Erich Kleiber, Carlo Kleiber, Erich Leinsdorf, Georg Solti ... zusammengearbeitet.
In den nun folgenden Jahren widmete sie sich dem Nachwuchs, saß als Jurorin in Gesangswettbewerben, unterrichtete an der Musikhochschule Zürich und gab Meisterkurse, wobei sie sich mehr als Beraterin verstand und nicht in erster Linie als Gesangpädagogin.
Einer dieser Nachgewachsenen ist der Tenor Piotr Beczala, der einmal sagte, dass er es Sena Jurinac zu verdanken habe, dass aus ihm ein anständiger Sänger geworden ist:
»Dass ich überhaupt Sänger wurde, kann man sogar sagen. Ich habe wie viele Anfänger zu sehr auf meinen Instinkt und meine Stimmgewalt vertraut. Aber als junger Sänger zwischen 20 und 25 muss man erst singen lernen, man kann eine Karriere nicht mit Puccini anfangen. Ich hatte meine stimmlichen Probleme, zum Beispiel hatte ich keine Höhe als Student. Das Ergebnis war, dass ich viel zu schwere Arien gesungen habe, weil die etwas tiefer liegen. Sena Jurinac hat mir das mit deutlichen Worten ausgetrieben. Sie hat wörtlich gesagt: »Weg mit Puccini, her mit Mozart!« Obwohl für mich »Il mio tesoro« viel schwieriger zu singen war als Cavaradossi, wusste ich sofort, dass sie Recht hatte und dass der Weg länger und steiniger ist, als ich mir vorgestellt hatte. Ohne Sena Jurinac, wäre ich nicht da, wo ich jetzt bin.«
Als Dr. Lederle, der Mann von Sena Jurinac, starb, zog sie sich weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück. Ihr 90. Geburtstag erregte im Kulturleben noch einige Aufmerksamkeit, aber der Pfarrer, der sie an ihrem Ehrentag besuchte, berichtete, dass sie da schon sehr schwach gewesen sei.
Wenige Wochen nach ihrem Geburtstag ist sie dann in Neusäß, einer Stadt am Nordwestrand von Augsburg, im Ortsteil Hainhofen, gestorben. Sie starb am Fest der Heiligen Cäcilia, Patronin der Musik.
Die Trauerfeier fand am Samstag, 26. November 2011, um 18:00 Uhr, in der Kirche St. Stephan in Hainhofen statt; noch ein Gedenken am Friedhof, dann trat sie ihre letzte Reise nach Wien an, wo in der Michaelerkirche am 16. Dezember ein Seelenamt gehalten wurde, in der Kirche, in welcher vermutlich im Dezember 1791 erstmals Mozarts Requiem zur Aufführung kam. Anschließend wurde Sena Jurinacs Urne im Grab ihrer Mutter beigesetzt.
Bei ihrem letzten Liederabend in Augsburg, hatte der junge Reinhard Kammler die Noten umgeblättert, in der Zwischenzeit ist er Domkapellmeister. Nun war er überrascht, dass Sena Jurinac seine Augsburger Domsingknaben mit einem Teil ihres Erbes bedacht hat.
Praktischer Hinweis:
Friedhof Döbling, Hartäckerstraße 65, 1190 Wien
Das Grab von Sena Jurinac findet man in Gruppe 38, Reihe 9, Nummer 1
Man geht vom Haupteingang aus bis zum Kreuz bei den Feldern 8 und11, dort wendet man sich nach rechts, Richtung Felix-Dahn-Straße, die den Friedhof im Westen begrenzt.