"Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein..." - Homoerotik in der Oper

  • Meine Phantasie gebiert zu diesem Thema folgenden Gedanken: Wenn Männer in Terzen singen, sind sie auch zu anderem Schweinkram fähig.


    Höchst verdächtig: Don Carlos und Perlenfischer!


    :D

  • Ist in Wagners letzter Oper nicht auch eine latente Homoerotik vorhanden?


    Diese Frage stellte ich mir gestern, als der Bayreuther "Parsifal" live übertragen wurde (übrigens eine m. E. sehr gelungene Vorstellung, die eindrucksvoll bewies, daß auch in Bayreuth noch gute und sehr gute Gesangsleistungen erbracht werden).


    Ist die Gralsgemeinschaft wirklich nur in christlicher Nächstenliebe miteinander verbunden?


    Ist die Ablehnung Kundrys durch die Gralsritter eine generelle des Weibes an sich?


    Ist der "reine Tor" Parsifal einfach am anderen Geschlecht nicht interessiert und widersteht so dem Lustgarten des Klingsor?


    Fragen über Fragen ...

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das ist auf den ersten Blick nicht völlig von der Hand zu weisen, wenn auch nicht ganz neu. Wobei ich bei einigen dieser männerbündischen (wenn sie mal so betiteln darf) Gruppen diesen Verdacht habe. Allerdings neigten auch einige meiner männlichen Bekannten auch schon mal dazu, sich in rein männlcihe Kreise zurückzuziehen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.
    Aber ob man die Gralsgemeinschaft allein auf den Aspekt homoerotischer Klub zuschneiden kann, würde ich doch bezweifeln. Nun ist das Motiv "sexuelle Entsagung" auch nicht unverdächtig, aber wir sollten dennoch etwas bei der Funktion der Blumenmädchen bleiben. Die sind eigentlich nur auf ihre sexuelle Wirkung reduziert und werden ja eingesetzt, um Gralsritter zu verführen. Also sollten wir wir von einer Heteroorientierung des "durchschnittlichen" Gralsritters ausgehen. So weit zu gehen, dass das Leben in einer Männergesellschaft aus jedem Hetero schon einen Homo macht, würde das Thema überstrapazieren.

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

  • Also - eine homoerotische Komponente habe ich im Rosenkavalier noch nicht gehört. Ich empfinde die Beziehung Marschallin/Sophie eher als Mutter/Tochter oder große/kleine Schwester. Die Marschallin sieht in dem Maderl sich selbst, das sagt sie m.E. auch ziemlich deutlich. Und sie spielt in der Kommödie mit, damit Sophie nicht auch so hilflos in einer Ehe landet, wie sie selbt wohl seinerzeit.


    Aber ich möchte eine andere Oper in die Runde werfen, weil ich da durch irgendeinen Artikel mal drauf aufmerksam gemacht wurde (wenn Interesse besteht, suche ich mal, ob ich die Quelle noch finde): Elektra
    Das geht sogar noch weiter, dem Autoren zufolge, weil es sich um eine inzestöse, homoerotische Tendenz handelt: Elektra zu ihrer jungen Schwester.
    Ich fand das auf den ersten Blick recht gewagt, aber wenn man sich die Oper noch einmal daraufhin anhört, mit diesem merkwürdigen Verhältnis der beiden...

  • An anderer Stelle wurde es schon mal erwähnt: Auch im "Siegfried", 3. Aufzug, gibt es zumindest eine etwas sonderbare Stelle:



    Siegfried versinkt in Brünnhildes Anblick in der Annahme, es wäre ein Mann. Als er bemerkt, daß es keiner ist, erschrickt er und fährt auf.


    Um beim "Ring" zu bleiben: Auch bei Mime könnte man zumindest dezente Anhaltspunkte ausfindig machen, ebenso bei den beiden Göttern Donner und Froh, die ja offenbar ledig sind. Und Gunther ist auch so ein fragwürdiger Fall.

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    – Luís de Camões

  • Ach ne, ich glaub nicht, dass das Erschrecken Siegfrieds Ausdruck eines bis dahin gelebten Homo-Bewusstseins ist. Wir erinnern uns, dass er bis dahin ein mehr oder weniger Kaspar-Hauser-Leben führte ohne menschliche Kontakte. Und ich gehe davon aus, dass er erstmal glücklich ist, dass er einen anderen Menschen trifft. Und er geht mE auch davon aus, dass es die Sorte Mensch ist, wie er selbst, nämlich ein männliches Exemplar.
    Bei Ausschälen von Brünnhilde stellt er dann fest, dass es die andere Sorte Mensch ist, was ihn zunächst verblüfft, weil er sich so viel Hoffnungen nun doch nicht gemacht hat, was ihn aber in dem Bemühen, endlich mit diesem Wesen zu kommunizieren, durchaus anstachelt.


    Und jedem Versager im Ring (Mime, Gunther) zu unterstellen, dass er schwul ist, verkennt wesentliche Aspekte homosexuellen Bewusstseins (wie ich es aus meinem Bekanntenkreis wahrnehme).


    Loge mit seiner latenten Frauenfeindlichkeit kann man mir da schon eher als diskutierwürdig anbieten.

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

    2 Mal editiert, zuletzt von Martina-Sophie ()

  • Welche Funktion hat auf den Threadtitel bezogen eigentlich Mozarts Cherubino? Eine Hosenrolle - also eine Frau in Männerklamotten... und das zu einer Zeit, als Castraten durchaus noch aktiv waren (allerdings weniger genutzt wurden, was ich auf deren Zickigkeit zurückführe :pfeif: - beim Tito hat Mozart IMO den Sesto zunächst als Kastratenrolle konzipiert, gesungen wurde er dann von einer Frau...).


    Der Sinn der echten Hosenrolle - ich meine also nicht die Ersatzlösung Frau anstelle Kastrat bzw. Countertenor - erschließt sich mir nicht wirklich, außer, man unterstellte ggfs. eine erotische und verwirrende Wirkung auf diesbezüglich empfängliche Herren: Also eine bewusste Täuschung? Der männliche Zuschauer wird beim Anblick und Zuhören eines Mannes erotisiert? Kommt damit ggfs. nicht ganz klar und ist am Ende erleichtert, daß sich alles in Luft auflöst, da es sich ja doch (ha, ich habs gewusst! :D - ich bin doch nicht schwul...) um eine Frau handelt...


    ?( ?( ?(


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli

    Der Sinn der echten Hosenrolle - ich meine also nicht die Ersatzlösung Frau anstelle Kastrat bzw. Countertenor - erschließt sich mir nicht wirklich, außer, man unterstellte ggfs. eine erotische und verwirrende Wirkung auf diesbezüglich empfängliche Herren: Also eine bewusste Täuschung?


    Ich habe da nicht wirklich eine Antwort, aber wenn ich mal wüst herumspekulieren darf, dann könnte ich mir vorstellen, dass da gar kein gezielter Sinn dahinterstecken muss. Ich könnte mir vielmehr vorstellen, dass da mehrere Faktoren zusammenkommen:
    Zum einen die ganz simple Lust am Verkleiden, in bester "Commedia dell'Arte"- Manier, die ja in der Oper schon ganz allgemein ausgelebt wird, aber noch einiges an zusätzlicher Pikanterie dazukommt, wenn dabei ein Geschlechterwechsel stattfindet.


    Es gab ja Zeiten, die noch gar nicht so lange zurückliegen, in denen offene Dastellungen von sexuellen Handlungen und Leidenschaften verpönt waren, da halfen die Menschen sich eben mit Anspielungen und unterschwelligen Andeutungen, die der in Zeiten von öffentlich angeordneter "Sittsamkeit" stets umso blühenderen Phantasie reichen Nährboden gaben, ohne dass ein wie auch immer gearteter tieferer Sinn dahinterstecken musste.


    Kurz gesagt also: ein Ventil für (unterdrückte) Leidenschaften, zwar die Phantasie anregend, aber eben auch so unverfänglich, dass die Zensur keinen Einspruch erheben konnte.


    Grundsätzlich möchte ich aber auch die Praxis der Hosenrolle einem ganz einfachen Prinzip zuschreiben, nämlich dem der Tradition: Aus irgendwelchen Gründen wird irgendwann einmal irgendetwas gemacht, dann noch ein zweites und ein drittes Mal, die Sache kommt ganz gut an und schon ist es eine feste Institution, auf die schon bald keiner mehr verzichten kann oder will - und zwar völlig unabhängig von dem, worum es dabei eigentlich geht. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier und das zeigt sich gerade auch in der Kunst: fixe Spielpläne und Rituale wohin man auch schaut. :pfeif:


    Das klingt jetzt vielleicht etwas unromantisch und nüchtern, aber ich denke gerade diese menschliche Haltung ist sehr viel stärker für unser Tun und Handeln entscheidend als Denken und rationale Überlegung. Nicht zuletzt deshalb, weil sie ganz einfach ungeheuer viel Energie spart, da ja nicht immer alles neu überdacht, begründet, geplant und aufgerollt werden muss. Der Rahmen steht und wenn er den Wünschen, Interessen und Zielen der Menschen entgegenkommt, dann entsteht da sehr schnell etwas, über deren eigentlichen Sinn und Zweck die Nachwelt lange rätseln kann. Wie wir gerade jetzt. :D

  • Ein wunderbarer pragmatischer Ansatz - es lohnt sich schon, das eine oder andere Werk dahingehend zu überprüfen, inwieweit bewährte Modelle lustvoll eingeflochten und variiert werden, um es publikumswirksam zu gestalten oder um einfach selbst Freude beim Komponieren zu haben.
    Das geht jetzt ganz weit weg von dem auch von mir präferierten Hang zum Gesamtkunstwerk, ist aber menschlich und auch künstlerisch nachvollziehbar.


    In diesem Zusammenhang möchte ich nicht nur auf den "Raub der Sabinerinnen" verweisen sondern vielmehr auf die Strauss'schen Capriccio und Ariadne, in denen die Banalität des Theateralltags auf die "hehre Kunst" von Dichtern (wenn auch manchmal nur von Möchtegern-Dichtern) und Komponisten.

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

  • Zufällig habe ich diesen zehn Jahre alten - und gestern von Alfred wieder aufgefrischten - Thread entdeckt. Da das Thema mir etwas an den Haaren herangezogen erschien, habe ich ihn, teils kopfschüttelnd, teils interessiert, ganz gelesen.
    Wer mich, wenn auch nur vom Lesen, etwas kennt, kann sich denken, dass ich mit diesem Thema kaum Berührung habe - als männliches Exemplar der Gattung homo sapiens. Anders als Opernfreund. Und in dieser Eigenschaft möchte ich aus meiner Sicht einiges etwas begradigen:


    Ich glaube, dass in der älteren Oper die Homoerotik kaum eine Rolle spielt (allenfalls subkuttan, aber da kenne ich mich nicht aus). Ich halte es für kühn, darüber zu spekulieren, dass in Verdis Forza, Don Carlo oder gar Otello die Männerduette einen solchen Hinweis zulassen. Der Gesang in Männer-Terzen dürfte, ebenso wie der bei Frauen (in Cosi oder Norma) vor allem musikalische Gründe haben und in diesem Fall z.B. innige Freundschaft ausdrücken. Was darüber hinaus geht, halte ich für Spekulation.


    Der Ursprung der Hosenrollen ist bekanntermaßen vor allem dem Ende des Kastratenzums zu verdanken, das wiederum dem Verbot für Frauen, in der Kirche - und später auf derBühne - aufzutreten. Für die später verbotenen Kastraten entstand eine Besetzungslücke, die von Mezzos aufgefüllt wurde. Am längsten hielt sich diese Praktik bei sehr jungen Männern, die gleichsam noch nicht erwachsen genug waren, um sie mit einer Männerstimme auszustatten. Der Jüngling sang, wie Alfred schon schrieb, mit der ihm zugeteilten Mezzostimme: Cherubino, Sesto, Tancredi. Das letzte prominente Beispiel war Bellinis Romeo. (Dass Mozart-Tenorpartien wie Tamino von Frauen gesungen wurden, halte ich allerdings für eine geschmacklose Entgleisung.)


    Das alles hat aber mit Homoerotik rein gar nichts zu tun. (Es sei denn, es wird von Zuhörern so empfunden.)
    Andererseits: Dass die Hosenrollen sich bis zu Strauss halten konnten (Oktavian, Ariadne-Komponist) ist wohl der Tatsache geschuldet, dass die Musik des Fin de siècle gern das Verfeinerte, Gekünstelte und Dekadente beschrieb. In dieser Zeit, als Enfants terribles wie Oscar Wilde öffentliche Personen waren, sind (wenn auch subkutan) homoerotische Motive nicht auszuschließen.
    In der moderneren Oper setzen sich dann, wie bei Britten, diese Themen allmählich durch. Aber hier ging es ja um die Operngeschichte insgesamt. Und da kann ich Homosexualität als Bestandteil der Handlung nicht finden. Die Gattung Oper ist wohl dafür auch zu gediegen-konservativ.


    Herzliche Grüße von Sixtus



    p.s.: Wovor mir graut: dass ich es noch erlebe, dass die aparten Hosenrollen von Mozart und Strauss irgendwann von Counertenören gesungen werden.

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  • Lieber Sixtus,

    Wovor mir graut: dass ich es noch erlebe, dass die aparten Hosenrollen von Mozart und Strauss irgendwann von Counertenören gesungen werden


    Diese Deine Befürchtung ist bei Inszenierungen aus China (der im nichtasiatische Raum bekannteste Sänger dürfte vermutlich Xiao Ma sein) nicht ganz auszuschließen.


    Mit freundlichen Grüßen, quodlibet

  • An Homoerotik habe ich bisher dabei nicht gedacht, aber genau besehen, ist die Beziehung zwischen Ferrando und Guglielmo sowie Dorabella und Fiordiligi jedenfalls markanter als die zwischen den eigentlich zusammengehörigen Partnern, vor allem eben auch stimmlich.


    Fiordiligi und Dorabella sind Geschwister. Ich weiß auch nicht was mit "markanter" gemeint sein soll.




    LG,
    Hosenrolle1