So ein Wirbel !!!! - Haydns Sinfonie Nr 103 "mit dem Paukenwirbel"

  • Hallo Rideamus, hallo ihr anderen Haydn-Projektianer,


    mir wäre die Sinfonie wohl auch durch die Lappen gegangen, von eher beiläufigem Hören mal abgesehen, wenn hier nicht vor einigen Monaten über den Paukenwirbel-Beginn diskutiert worden wäre. Ungefähr zeitgleich hatte ich die Harnoncourt-Aufnahme erworben. Harnoncourt lässt den Paukenwirbel wie oben bereits dargestellt als ausgeprägtes Solo spielen. Mich hat das begeistert. Fortan war ich für die Sinfonie gewonnen – dank Harnoncourt.


    Welche Spielweise die richtige ist, vermag ich mit meinen begrenzten musikwissenschaftlichen Kenntnissen nicht zu beurteilen. Einige Bemerkungen dazu erlaube ich mir aber doch (obwohl nach der oben geschilderten Erfahrung klar sein dürfte, dass für mich Harnoncourts die richtige ist):


    Zunächst ist historisch interessant, was Bernd oben über das Kammermusikarrangement Salomons geschrieben hat. Das Booklet zur Mackerras-CD führt dazu aus:


    „In seinem Trioarrangement markiert es Salomon mit einer Haarnadel, das heißt, mit einem Dynamiksymbol von leise nach laut und wieder zurück. Im späteren Quintettarrangement Salomons ist das Solo jedoch mit fortissimo markiert.“


    Die Partitur-Angaben sind bereits geschildert worden. Bzgl. der Dauer ist mittelbar aus der Eintaktigkeit Honig zu saugen: Zu lang darf es nicht sein.


    Im Wesentlichen bleibt als Auslegungsmethode daher die Frage nach dem Sinn und Zweck des Paukenwirbels. Zur Angabe Intrada meint Helga Lühning im Konold Konzertführer, dass Haydn seine musikalische Darbietung wie in älterer Zeit üblich mit einem stilisierten, komponierten Aufzug – gewissermaßen mit Pauken und Trompeten – eröffne und spricht damit die oben von Bernd bereits dargestellte Appell-Funktion an. In diesem Zusammenhang ist auf die große Länge der folgenden Einleitung hinzuweisen. Haydn musste großes Interesse daran haben, dass die Zuhörer diese Einleitung nicht verschlafen, sondern von Anfang an bei der Sache sind. Drittens dient der Paukenwirbel der Überraschung des Publikums, mehr noch bei der Wiederholung als zu Beginn.


    Berücksichtige ich diese Zwecke scheint mir deutlich, dass der Paukenwirbel laut gespielt werden muss. Der von Haydn m. E. beabsichtigte Überraschungszweck wird überdies durch ein Paukensolo besser erreicht als durch einen Paukenwirbel.


    Negativbeispiel für mich ist daher Fischer, der einen Wirbel spielen lässt, diesen dann auch noch kurz und leise. JR wird´s vermutlich gefallen.


    Seit dem Kennenlernen der Sinfonie habe ich immer mehr Stellen entdeckt, die mich begeistern – und bin damit immer noch nicht fertig. Das Paukensolo, die langsame Einleitung des ersten Satzes, die Coda des zweiten und besonders das Finale mit seinem mehrfachen Ansetzen begeistern mich immer noch.


    Einige Bemerkungen zu meinen Aufnahmen:



    Fischers Paukenwirbel habe ich oben bereits als Negativbeispiel genannt. Ansonsten wird hier durchweg solide, aber nie wirklich imponierend gespielt.



    Harnoncourts Aufnahme begeistert mich noch immer. Sie ist mir die Liebste. Ihre Besonderheit resultiert bei manch Eigenwilligkeiten daraus, dass Harnoncourt seine HIP-Erkenntnisse von einem Non-Hip-Orchester, dem Royal Concertgebouw Orchestra, spielen lässt. Das Resultat ist: das Beste aus beiden Welten. Insbesondere die Stellen, an denen das Orchester mit Vehemenz spielen muss, gelingen großartig. Besonders imponierend z. B. das Tutti im Variationensatz nach der Solovioline. Auch die Holzbläser sind hervorzuheben.



    Scherchen gefällt mir leider nicht. Das Zusammenspiel des Orchester lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig. Die Holzbläser haben Intonationsprobleme, leider schon ganz am Anfang in der Einleitung, so dass die Aufnahme gleich mit einem schlechten Eindruck beginnt. In der dynamischen Abstufung fällt mir eine Abruptheit auf, die besser zu Beethoven als zu Haydn passt. Der Klang ist altersbedingt nicht auf der Höhe der Zeit. Hörenswert finde ich die CD merkwürdigerweise trotz all dieser Mängel doch.



    Es ist immer wieder verblüffend, sich zu vergegenwärtigen, dass Colin Davis und Harnoncourt dasselbe Orchester dirigieren. Bei Harnoncourt Vehemenz und Kraft, bei Davis strahlender, allerschönster Glanz (und natürlich nur ein Wirbel). Wer seinen Haydn am liebsten vom Orchester in großer Besetzung hört, ist hier genau richtig. Ebenfalls eine fantastische Aufnahme.



    Mackerras spielt den Paukenwirbel als Wirbel, und zwar das erste Mal fortissimo wie ein maschinengewehrartiges Gewitter – gefällt mir ausgezeichnet! –, das zweite Mal piano – eine gute Lösung, wie ich finde. Interessant ist Mackerras´ Aufnahme überdies deshalb, weil er das Originalfinale spielt. Haydn hatte den Hörer im Originalfinale bis zum Cis-Dur geführt, also unglaublich weit von der Grundtonart Es-Dur weg, lese ich im Booklet. Dort heißt es weiter: „Nachdem Haydn vielleicht spürte, dass er die Zuhörer und das derzeitige Orchester in eine Sackgasse geführt hatte, aus der nicht so leicht wieder herauszukommen war, überarbeitete er das Finale nach den ersten Ausführungen um es konservativer zu gestalten, indem er die Cis-Passage eliminierte, was für ihn etwas Ungewöhnliches war.“ Ich habe jetzt nicht nachgeschaut, welches Finale Harnoncourt und die anderen spielen lassen. Mackerras steht sicher nicht allein. Mackerras´ Aufnahme gefällt mir abgesehen vom Paukensolo nicht ganz so gut wie die von Harnoncourt und Davis. Allerdings ist sie sehr günstig, das Booklet hervorragend und die mit enthaltene Militärsinfonie fantastisch..


    Für diejenigen, die es interessiert, hier noch die Spielzeiten:


    Fischer: .........9:25...10:30...5:11...5:11
    Harnoncourt: 10:05...9:50....5:13...5:47
    Scherchen: ...10:00..10:41...5:08...5:28
    Colin Davis: ....9:24..10:34...4:41...5:26
    Mackerras: .....8:45....9:27...5:10...5:13


    Viele Grüße
    Thomas

  • Ich habe von den meinigen Scherchen und Fischer noch nicht angehört, aber bisher bin ich mit keinem Wirbel richtig zufrieden (insofern stört mich Harnoncourt wenig, da die anderen auch nicht das aus dem Wirbel machen, was mir vorschwebt). Am ehesten kommt noch Tate (meine erste CD) dem Düster-geheimnisvollen nahe. Der ist aber danach etwas lasch und überspringt einige Wdh. in ii. Kuijkens ist zu laut (kein Anschwellen aus dem pp), Brüggens ist etwas zu lang und klingt (durch die harten Schlegel?) zu hell.
    Ich schrieb, daß ich das Thema für noch nicht ausdiskutiert halte, weil ich nicht glaube, daß irgendwelche Vergleiche mit anderen Paukenwirbelstellen oder ein Arrangement ohne Pauken einen offensichtlich einzigartigen Fall erschöpfend klären können. Es spricht sicher einiges für die Deutung, die im Konold-Führer vorgetragen wird (was mal wieder zeigt, daß NH u.a. die sich nicht ausgedacht haben, um zu provozieren), aber ich bleibe bei meinem Entstehen der Musik aus dem unstrukturierten Klang.


    Harnoncourts gefällt mir ingesamt auch sehr gut. Kaum einer arbeitet die Kontraste im Variationensatz so schön heraus.


    Kuijken nimmt das Menuett deutlich schneller als fast alle anderen (knapp unter 4 min), in diesem Fall funktioniert aber auch ein langsameres Tempo ganz gut. Im Kopfsatz ist er mir fast ein wenig zu schnell. Die rhythmischen Finessen kommen m.E. besser bei einem geringfügig breiteren Tempo, aber starken Akzenten heraus (und das walzernde Seitenthem verträgts auch etwas gemütlicher).
    Das vielleicht wildeste Finale von den meinigen findet sich bei Brüggen. Klanglich ist Kuijkens aber besser, wobei mir Brüggens farbiger Klang und der präsente und knarzende Bass (auch die Fagotte) allerdings sehr gut gefallen.


    :hello:



    JR

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    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    Zuerst einmal ein Lob für Johannes (Menschen haben ja leider so an sich , viel zu selten zu loben :yes: ) - war sicher eine ganz schöne Arbeit und es ist wirklich eine sehr gute Vorstellung dieses Werkes.


    Ich kann höchstens noch ein paar wenige Ergänzungen dazu liefern da ja schon so vieles geschrieben wurde.


    Die Volksmusikalischen Ansätze spielen eine wichtige Rolle was man wie du erwähnt hast auch an den oft "tänzerischen" Rythmen merken kann - angeblich kroatischen (wie zB im Finale) und ungarischen Volksweisen entlehnt bzw. inspiriert.


    Die Durchführung ist wirklich bemerkenswert lang für eine Sinfonie im klassischen Stil, vielleicht schon ein Anzeichen eines Trends der Verlängerung bw. Intensivierung dieses Teiles innerhalb der Sonatenhauptsatzform, die mit Beethoven allerspätestens mit der Eroica seine Fortsetzung fand.


    Die Kontraste der beiden Themen die schlußendlich variiert werden gefallen mir ganz gut, auch hier bei diesem 2.Thema kann man volkstümlich, tänzerische Elemente wahrnehmen.


    Das Menuett hat für mich schon ein paar stilistisch schwach wahrnehmbare Anzeichen an den frühen bis mittleren Beethoven, dieser entschlossene langsame und besonders betonte Rythmus, ein wenig die Instrumentation und allgemeine Satztechnik, später diese kurze Modulation.


    Dem Finale ist wohl am Meisten an Beachtung zu schenken, hier tut sich allein vom Gehör her schon vieles, für mich zweifellos eines der schönsten und ausgeklügelsten Finali von Haydn. Noten hab ich jetzt keine bei mir, es wäre sicher sehr interessant aber ich kann dafür auf ein paar Dinge aufmerksam machen die im Kontrapunkt-Buch von D. de la Motte stehn. Hier steht:


    "Vier Taktmotive stecken im Achttaktiken Thema das eher an Divertimento als nach Arbeit klingt"
    hier zeichnet er das Thema auf das mit den 3 Vierteln in Es beginnt.
    Es ist jetzt schwer ohne diese Abbildungen das ganze wiederzugeben aber ich versuchs.


    "Unmittelbar an das Thema schließt sich das Spiel mit seinen Elementen an" Das Motiv innerhalb dieses Themas in Takt 7 (das vierte Taktmotiv) wird übernommen, "eine aus dem zweiten Motiv (das Motiv mit der Halbe und den 2 Vierteln) entwickelte und zu eigenem motivischen Rang erhobene Taktgestalt "entworfen" die der Autor als 2a bezeichnet.
    "Im weiteren Verlauf werden abgespaltene Taktmotive zu selbständig durchgeführten Elementen. Motiv 2a erscheint auch in Umkehrung."


    Desweteiren beschreibt er "Kulminationspunkte des Motivspiels" das das Motiv 2 (das ich oben erwähnte) und das Dritte (bei diesem Thema in Takt 3 mit Viertel-2 Achteln-2Vierteln) ebenso auf den Kopf gestellt werden. Dann folgen 2 Abbildungen die kann ich nun leider nicht beschreiben, er leitet sie mit dem Satz
    "Was in beiden Ausschnitten die Unterstimmen an Stimmführung bieten, ist natürlich vom Standpunkt eines sogenannten strengen Satzes aus gesehen eine Unverschämtheit" einleitet.
    Hier ist zB schön zu sehn das Motiv 1 Motiv 2 gegenübergestellt ist im nächsten Takt 2 mit 2a dann 2a mit 2 dann wieder 2 mit 2a usw.


    Nagut weiß nicht ob das jetzt was ohne Abbildungen gebracht hat aber ein Versuch wars wert. ;)


    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Die m.E. brillanteste, weil simpelste Umdeutung, die mir nur halb aufgefallen war und die mir erst durch Anmerkungen von Tovey, die ich erst wieder gelesen habe, nachdem ich obiges geschrieben hatte, ist keine kontrapunktische, sondern eine rhythmische. Das Hauptthema, das als Antwort oder Gegenstimme zum viertaktigen Hornruf erscheint, hat erstmal auftaktigen Charakter. Man hört (beginnend mit dem Hornruf):

    taaaa/taaaa/taaa-ta/taam (fermate)- ta-ta-ta/taa-ta-ta/ta-tija-ta-ta/tam -/;ta-ta-ta/taa-ta-ta-tijatiti-ta-ta-tam usw. Alle Viertakter beginnen mit diesem Auftakt von drei Vierteln. Das gibt dem Achtakter Hornruf - Antwort folgende Struktur, wenn man nun das Gewicht der Takte analog zu den Schlägen im 4/4 takt betrachtet:


    1 2 3 4 (Fermate/Zäsur) 1 2 3 4 usw.


    Irgendwann wird das aber verschoben und der Auftakt-Takt kriegt das Gewicht, nämlich ab Takt 91. TAM-ta-ta-ta/taa-tam/TAM-ta-ta-ta/taa-tam (zuerst Vl.1, dann Vl.2 wieder mal so eine Stelle, wo deutsche Sitzordnung Pflicht wäre...) also 1 2 3 4
    Beethoven hat bei solchen Stellen später oft explizit "ritmo di due/tre/quattro battute" hingeschrieben, also daß die entsprechende Zahl von Takten so betont werden soll, als wäre dem ganzen ein 3er , 2er oder 4er Takt überlagert. Aber solche "Großtakte" gibt es schon lange vorher, auch wenn nicht explizit notiert.


    Da ich ja weiter oben die mehrfach wechselnden Synkopierungen im 6/8-Takt des Kopfsatzes erwähnt hatte, ist das eine notwendige Ergänzung.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das Hauptthema, das als Antwort oder Gegenstimme zum viertaktigen Hornruf erscheint, hat erstmal auftaktigen Charakter


    Johannes' weitere Ausführungen zu den genialen rhythmischen Verschiebungen des Hauptthemas bzw seiner Bruchstücke sind zwar richtig, aber am Anfang hat das Hauptthema zunächst mal gradtaktigen, nicht auftaktigen Charakter. Wenn die Violinen beim zweiten Hornruf einsetzen, übernehmen sie selbstverständlich die Betonung desselben, also 1 2 3 4
    - wobei zunächst gar nicht klar ist, aus welchem der beiden Themen/Motive (Horn bzw. Violinen) überhaupt das Hauptthema gebildet werden wird. Die Violinen beginnt auf der 1 mit einer Achtelpause, erst im dritten Takt haben sie tatsächlich einen Schwerpunkt zu spielen. Haydn nutzt diese doppelte Ambivalenz (Hauptthema oder nicht / wann kommt endlich ein Schwerpunkt) auf das köstlichste aus.


    Und richtig, ohne deutsche Aufstellung geht ein guter Teil des motivischen Witzes in diesem Satz verloren.


    Gruß,
    Khampan

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  • Zitat

    Original von Khampan


    Johannes' weitere Ausführungen zu den genialen rhythmischen Verschiebungen des Hauptthemas bzw seiner Bruchstücke sind zwar richtig, aber am Anfang hat das Hauptthema zunächst mal gradtaktigen, nicht auftaktigen Charakter. Wenn die Violinen beim zweiten Hornruf einsetzen, übernehmen sie selbstverständlich die Betonung desselben, also 1 2 3 4
    - wobei zunächst gar nicht klar ist, aus welchem der beiden Themen/Motive (Horn bzw. Violinen) überhaupt das Hauptthema gebildet werden wird. Die Violinen beginnt auf der 1 mit einer Achtelpause, erst im dritten Takt haben sie tatsächlich einen Schwerpunkt zu spielen. Haydn nutzt diese doppelte Ambivalenz (Hauptthema oder nicht / wann kommt endlich ein Schwerpunkt) auf das köstlichste aus.


    Du hast natürlich völlig recht. :O Da die Antwort ja häufig zugleich mit dem Hornruf erklingt, kann sie keine andere Betonung haben. Tovey sieht das natürlich genauso (ich hätte gestern abend vielleicht doch nochmal reinschauen sollen vor dem Posten :rolleyes: ) und er meint dann eine andere Phrasen-Verschiebung als die von mir genannte (die ja eigentlich nur den Auftakt aufhebt, aber nicht das Gewicht der Takte in der Phrase)
    Nämlich beginnend mit T. 107. Der Baß setzt schon im 4. (110, statt im 5.) Takt mit dem 3-Viertel-Auftakt ein (in B-Dur, als "Seitensatz"), dann nochmal in der Flöte und wieder im Baß, worauf die neue Melodie folgt


    Man muß diese Sachen wie viele andere nicht bewußt hören. Aber ich bin ziemlich sicher, daß der oft unwiderstehliche Schwung Haydnscher Sätze (und ähnlich auch bei Beethoven und Mozart) zum guten Teil auf dieser "großrhythmischen" Organisation beruht.


    viele Grüße


    JR

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  • Liebe Haydn-Freunde,


    wenn man etwas nicht weis, dann schaut man hier nach und schon hab sich durch Nachlesen dieses Threads alle Unklarheiten erledigt.


    Durch Übernahme einer CD-Sammlung bin ich auf diese hervorragende Teldec-CD der Sinfonien Nr. 103 und 104 mit N.Harnoncourt gestoßen:



    CGO Amsterdam, Harnoncourt
    TELDEC, DDD


    In diesem Thread steht es ausführlich beschrieben, das Haydn " Intrada zum einführenden Paukenwirbel" notiert hat.
    Dies wird in der Harnoncourt-Aufnahme super umgesetzt, die auch sonst feurig und schwungvoll, mit Detailliebe rüberkommt.


    Thomas-Worte gelten damit auch 100% für mich:

    Zitat

    Harnoncourt lässt den Paukenwirbel wie oben bereits dargestellt als ausgeprägtes Solo spielen. Mich hat das begeistert. Fortan war ich für die Sinfonie gewonnen – dank Harnoncourt.


    Ich habe die Harnoncourt-Aufnahme mit der Aufnahme der Nr.103 aus meiner GA der Londoner Sinfonien mit Karajan (DG) verglichen und kann auch an Karajan kein schlechtes Haar lassen. Karajan ist nicht direkt am Anfang mit Feuer dabei (wie Harni) und gestaltet die Einleitung, leider ohne Paukensolo, nur mit dem Paukenwirbel, der sich bei Karajan leider unprätentios anhört.
    Der Rest ist aber auch mit Karajan Klasse um am Ende im letzten Meistersatz ein nicht minder fantastisches Feuerwerk wie Harnoncourt zu zünden.


    Ich hatte mich gewundert, warum bei Karajan das Paukensolo am Anfang nicht vorhanden ist.
    Dieser Thraed hat meine Frage beantwortet:
    Karajan deutet Haydn´s Notierungen halt anders ohne ausgespieltes und improvisiertes Paukensolo - Schade !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Grauenhaft Laienhaftes (aber gern Geschriebenes) zum Thema Haydns Sinfonie


    Die Sinfonie Es-Dur Nr. 103 (Paukenwirbel) kenne ich seit sehr vielen Jahren, von einer Aufnahme mit dem Ungarischen Staatsorchester, Dirigent: Miklós Erdélyi. (Hungaroton SLPX 11923, aus dem Jahr 1978). In letzter Zeit habe ich sie allerdings kaum gehört. Das „neue“ Hören und dazu die Beschreibungen zu lesen = ein zwar etwas zeitaufwendiges, doch sehr schönes Wochenendprogramm. Danke Tamino!


    Die Diskussion über den Paukenwirbel war anregend. Auf meiner Platte ist der Paukenwirbel etwas sehr Dumpfes und Geheimnisvolles, es fängt ein bisschen lauter an, wird aber auch gleich leise und immer leiser und quasi aus diesem nebligen Wirbel entsteht dann (quasi unmittelbar) eine tiefe Melodie, noch immer leise und dunkel, bis dann das Ganze immer heller und glänzender wird. Als dann im letzten Teil der Paukenwirbel und die ersten Takte der Einführung wiederkehren, klingen sie ganz anders: das Thema wirkt bestimmter (auch ein bisschen lauter oder „eindeutiger“ gespielt), die Konturen sind schärfer, wie wenn aus dem Nebel eine überwältigende Form entstanden ist.


    Ich habe in YouTube eine andere Einspielung gefunden, wo der Paukenwirbel ganz anders ist: gut durchstrukturiert, aus einzelnen Schlägen bestehend imitiert er eine pompöse Marschstimmung. Das war für mich unverständlich bis fürchterlich. (Hier: http://www.youtube.com/watch?v…618127&index=0&playnext=1 )


    Es hat mich auch beeindruckt, wie das erste Thema und das Seitenthema zuerst einander etwas fremd folgen und dann einander immer näher kommen. Darunter verstehe ich, dass sie immer mehr ineinander geflochten werden, bei einem wiederholten Dur-Moll-Wechsel. Aber vielleicht spielt beim Hörerlebnis auch das Faktum eine Rolle, dass man inzwischen das tänzerisch-anlockende, volkstümliche Seitenthema „gelernt“ hat. Als es das erste Mal erscheint, ist der Kontrast prägnanter. (Johannes Roehl bemerkt, dass Haydn zum Schluss „sich daran zu erinnern scheint“, dass er auch ein Nebenthema hat – ich musste schmunzeln, überhaupt habe ich an der ganzen Beschreibung, an Inhalt und Stil, an der mathematischen Genauigkeit und am Witz Freude gehabt. Danke!) Der gelehrte Dirigent (er hat auch ein schönes Buch über Schubert geschrieben – ein plausibler Schluss: dirigiert er auch Haydn etwa geleitet durch seine Liebe zu Schuberts Musik??? …) schreibt über den ersten Satz, dass er (und die ganze Sinfonie) „eine wunderbare Verprägung der volksnahen, allgemein verständlichen Intonation und der überlegen gelehrten, komplizierten Formgestaltung“ darstellt.


    Ich schreibe kurz noch vom zweiten Satz. Miklós Erdelyi macht einen ernst zu nehmenden Unterschied zwischen dem Moll-Thema und dem Dur-Thema. Der Satz wirkt daher als eine Art Frage-Antwort-Spiel. Das erste Thema in c-Moll ist nachdenklich, fragend, problembeladen. Als krasser Gegensatz erscheint das zweite Thema in C-Dur, das nach dem Moll-Thema eine Art einfältigen Optimismus zu strahlen scheint, untermauert durch eine betonte vereinfachend-militärischen Rhythmik (wobei die – ich will das riskieren: ein bisschen verspottete – Erhabenheit/Selbstgefälligkeit durch die hübsche kurze Zwischenfragerei der Streicher gestört wird). Die erste Variante des ersten Themas erscheint wieder in Moll, aber als wenn hinter der fragenden, nachdenklichen Stimme hier etwas mehr Vertrauen erschiene, obwohl die Klagen noch zu hören sind. Die Dur-Variante versucht jetzt eine andere Art Antwort zu geben: durch den tapferen Optimismus einer einzigen Geige! Und die hat auch mehr Erfolg als das erste, majestätische Erscheinen des Themas. Jetzt fängt aber die Moll-Variante an, etwas majestätischer aufzutreten, hier scheinen sich aber die beiden Themen immer mehr ineinander zu flechten. Als nächste Variante, erscheinen die Bläser in C-Dur, mit schön hineingefügten Streichern, hie und da zwischen Moll und Dur wechselnd, bis nach einer großen Moll-Welle eine zuversichtlich positive, leise Antwort und ein strahlender Schluss folgen. Das Frage-Antwort-Spiel führt vom Traurig-Nachdenklichen über das Zaghaft-Zuversichtliche bis zum vorsichtigen Optimismus (vgl. die immer erscheinenden zaghaften Fragen der Geigen usw.)


    In der Aufnahme im YouTube (leider ohne Angabe von Orchester und Dirigent) sind die Variationen im Vergleich zu meiner Platte „klassischer“. Darunter verstehe ich, dass ein bei Miklós Erdelyi doch vertretbares Frage-Antwort-Spiel (Nahdenklich-Klagendes und Einfältig-Selbstgefälliges, Vorsichtig-Fragendes und Zaghaft-Optimistisches usw.) nicht betont wird, dagegen wirkt der Satz als klassisches Variationsspiel mit verschiedenen musikalischen Ideen.


    Von den weiteren Sätzen schreibe ich nicht mehr – ich habe schon viel zu viel geschrieben, möglicherweise auch viel zu viel hineingedichtet… Ob man das darf???


    :rolleyes: :hello: KP

  • Zitat

    JR: T. 146 (ca. 1:56) endet dieser Abschnitt, es beginnt die "Durchführung", die allerdings schon nach 12 Takten von der Wiederkehr des Hornrufs unterbrochen wird, dennoch hat der folgende Abschnitt deutlichen Durchführungscharakter. T. 235 erscheint das lyrische Baßthema (ca. 3:12) wieder, anschließend die lärmende "Schlußgruppe". T 264 nach einer Fermate erneut der Hornruf. Das wäre dann die Reprise


    Könnte das ein verspäteter Fall eines Durchführungsbeginns mit dem Hauptthema in der Tonika sein, eine verbreitete Option der 1750-70er Jahre, die wir hier angesprochen hatten, die mir, als ich oben das schrieb, aber nicht bekannt war?
    Die Finalformen sind ja in den Londoner Sinfonien sehr frei gehandhabt; vielleicht ist es eine Kombination dieses alten Verfahrens mit dem Einbau eines Rondoelements (wobei weder der Satz noch das Thema typischen Rondocharakter besitzen)...


    kopiroska: Die verlinkte Aufnahme auf youtube ist Harnoncourt/Concertgebouw; zur Diskussion der Paukenwirbelgestaltung s. weiter oben im thread.


    JR

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  • Johannes Roehl
    Vielen Dank für die Info. Ich fühle mich mit meinen YouTube-Ideen und Radiomitschnitten und meinen uralten Schallplatten und dem doch ganz anderen kulturellen Hintergrund wie wenn ich von einem anderen Planeten käme. Hoffentlich wirkt das doch nicht ganz so.
    Liebe Grüsse
    :hello: KP

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  • Joseph Haydn
    Symphonie Nr. 103 "mit dem Paukenwirbel"


    Staatliches Symphonieorchester der UdSSR
    Karl Eliasberg
    Aufnahme: Großer Saal des Moskauer Konservatoriums, 5. Februar 1973


    Spielzeiten: 9:55 - 12:26 - 4:59 - 5:10





    Karl Eliasberg (1907–1978) ist heutzutage vermutlich noch am bekanntesten als derjenige Dirigent, der Schostakowitschs 7. Symphonie, die "Leningrader", im belagerten Leningrad 1942 unter widrigsten Umständen zur Aufführung brachte. Die ganz große Karriere machte er nie, was nicht zuletzt am alles beherrschenden Jewgeni Mrawinski lag. Eliasbergs Aufnahmen sind rar gesät.


    Kürzlich stieß ich auf ein Tondokument aus seinen letzten Jahren. Er hat wohl sporadisch bis in die 1970er Jahre hinein Schallplattenaufnahmen gemacht. Konkret geht es um eine 1973 entstandene Einspielung der 103. Symphonie von Haydn. Was sofort auffällt, ist der sehr gute Klang (seine einzige Stereoaufnahme?). Der Chefdirigent des Staatlichen Symphonieorchesters der UdSSR, Jewgeni Swetlanow, überließ die Wiener Klassik scheinbar anderen, so kam Eliasberg zum Zuge. Es erweist sich als Glücksfall. Ihm gelingt die Balance zwischen voluminösem Klang und Beweglichkeit, wie man sie von einem sowjetischen Orchester dieser Zeit kaum erwarten würde. Die Bläser, sowohl das Holz als auch das Blech, sehr charakteristisch. Fast mit wienerischer Note die Streicher, sich dabei aber nicht in den Vordergrund drängend. Sehr mächtig die Pauken. Eine tadellose Aufnahme in jeder Hinsicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Fast fünf Jahre Schweigen zu Haydns "Paukenwirbel"-Sinfonie, die eines seiner bedeutendsten Werke ist! Längst ist ein neuer Beitrag überfällig.


    Kennengelernt habe ich die Sinfonie erstmals mit dieser LP:

    Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 91 Es-dur, Sinfonie Nr. 103 Es-dur (Mit Dem Paukenwirbel) [LP]

    Eugen Jochum mit dem Symphonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks. Eine der ersten Stereo-Produktionen der DGG, aufgenommen im Münchner Herkulessaal im März 1958.

    Die gekoppelte Sinfonie Nr. 91 Es-dur wurde zusammen mit den 12 Londoner Sinfonien, die Jochum in den Jahren 1971-1973 mit dem LPO aufgenommen hat, in einer 5 CD-Kassette als Appendix wieder veröffentlicht, nicht aber die gleichzeitig entstandene Nr. 103, die es m.W. nie auf die CD geschafft hat:


    Später bin ich der "Paukenwirbel"-Sinfonie u.a. wieder hier begegnet:



    Wolfgang Amadeus Mozart / Joseph Haydn - Wiener Philharmoniker, Herbert von  Karajan - Symphony No.41 In C 'Jupiter' / Symphony No.103 In E Flat 'Drum  Roll' Vinyl LP (LP Record) - Buy

    Herbert von Karajan und die Wiener Philharmoniker (Aufnahme: 1960, Wien, Sofiensaal).

    Ursprünglich wurde die Aufnahme auf dem US-Label RCA vorgelegt, später übernahm DECCA sie bei Auflösung der Co-Operation mit RCA. Karajan geht das Werk weitaus bedächtiger an als Jochum, schon für den ersten Satz benötigt er über eine Minute mehr. Übrigens scheint mir Karajans frühe Wiener Einspielung der späteren DGG-Version mit den Berliner Philharmonikern überlegen zu sein. Hier klingt alles viel leichter, beschwingter, "Haydn-gemäßer", als in der Berliner Aufnahme, die mir zu sehr in Beethoven-Nähe gerückt ist. Und das Orchester klingt deutlich kompakter als die Wiener, die ihren Haydn aus dem Effeff beherrschen.

    Erst in den 1990er Jahren erschien diese Version auf CD, und zwar auf dem Billig-Label BELART, das für die Laufkundschaft großer Kaufhäuser gedacht war und dementsprechend aussah (wohl in Anlehnung am Dieter Thomas Hecks Hitparade:D).

    Immerhin ist die Aufnahme dadurch für die Nachwelt gerettet worden, während die Nr. 104 "London" von DECCA zusammen mit Beethovens Nr. 7 in der Serie "Legends" wieder auf den Markt gebracht wurde.


    Unbegreiflicherweise hat Otto Klemperer, der in den Jahren zwischen 1960 und 1971 immerhin 8 späte Haydn-Sinfonien Nr. 88, 92, 95, 98, 100-102 & 104) für die EMI aufgezeichnet hat, die so bedeutende "Paukenwirbel"-Sinfonie nicht berücksichtigt.


    Das Werk hat seinen Namen von dem an- und abschwellenden Paukensolo zu Beginn des mysteriösen Kopfsatzes, dem vier Töne folgen, die mich immer an das gregorianische "Dies irae" aus der Sequenz der Totenmesse erinnern, das früher in jedem Requiem für einen Verstorbenen in der Kirche erklang:

    Ob Haydn selbst eine solche Assoziation im Ohr hatte, weiß ich nicht, aber die Übereinstimmung ist (für mich) frappierend. Hector Berlioz hat, wie bekannt, dieses "Dies irae" in den Schlußsatz seiner "Sinfonie fantastique" eingebaut, aber das war ein bewußter Rückgriff. Zu Haydns Es-dur-Sinfonie scheint mir diese Passage weniger einleuchtend zu sein. Jedenfalls spielt dieses Thema, das von den tiefen Streichern und den Fagotten eingeführt wird, auch im nachfolgenden Hauptsatz eine bedeutsame Rolle. Zum Ende des Satzes erklingt noch einmal der Paukenwirbel und rundet das Stück wirkungsvoll ab. Das farbige Andante, ein Variationssatz, geht sowohl harmonisch als auch instrumental weit über das hinaus, was Haydn in dieser Hinsicht geschaffen hat. Es liegt sogar nahe, daß sich Beethoven hier für sein grandioses Finale der "Eroica" inspirieren ließ.

    Die beiden übrigen Sätze, ein reizvolles Menuett, das den Rahmen höfischer Tanzmusik weit hinter sich läßt, und das sprühende, geistvolle Finale, das nicht umsonst als "Allegro con spirito" bezeichnet ist, steigert sich zu einem fröhlichen Kehraus. Haydn läßt seiner Fantasie freien Lauf und erfindet immer neue bezaubernde Melodien. Für mich ist dieses Finale der Gipfelpunkt der Sinfonie.


    Es ist bedauerlich, daß dieses Werk nicht die Popularität seiner Namensschwester Nr. 94 ("mit dem Paukenschlag") erreicht hat. Obwohl auch diese großartige Momente hat, scheint mir die Nr. 103 in künsterischer Hinsicht die überlegenere zu sein.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Danke für die Wiederbelebung dieses Themas, lieber nemorino.


    Unbegreiflicherweise hat Otto Klemperer, der in den Jahren zwischen 1960 und 1971 immerhin 8 späte Haydn-Sinfonien Nr. 88, 92, 95, 98, 100-102 & 104) für die EMI aufgezeichnet hat, diese leider nicht berücksichtigt.

    Das fragte ich mich auch schon. Ich glaube, Klemperer hatte hier eine gewisse Mitsprache und seine persönlichen Favoriten durchgesetzt. Ausgelassen wurde ja auch die noch populärere Nr. 94. Mit Nr. 95 und 98 fanden dafür zwei eher im Schatten stehende Londoner Symphonien Eingang, wofür ich gerade bei der ersteren (die einzige Londoner in Moll) dankbar bin, die ich noch nie so überzeugend hörte.

    Doch zu den existenten Aufnahmen:


    Die BR-Einspielung Jochums, die ich als digitalisierte LP vorliegen habe, finde ich überzeugender als die spätere Neuauflage. Karajan ist bei Haydn überraschend gut, wenn es auch Nr. 104 war, die bei ihm auch öfter auf den Konzertprogrammen stand. Den von mir in Beitrag 41 genannten Karl Eliasberg sehe ich hinsichtlich Nr. 103 nach wie vor als Geheimtipp an. Die Stereo-Produktion aus Sowjetzeiten von 1973 wurde vom Label Vista Vera auf CD übernommen. Die ebenfalls inkludierten Symphonien Nr. 88 (1968) und 95 (1959) liegen nur in Mono vor. Leider gibt es von diesem Dirigenten, der durch die Erstaufführung der "Leningrader Symphonie" von Schostakowisch im belagerten Leningrad Anno 1942 Berühmtheit erlangte, nur wenige Tondokumente und noch viel weniger sind in brauchbarem Klang überliefert. Schon deswegen ist diese gutklingende Aufnahme erwähnenswert.


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    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich glaube, Klemperer hatte hier eine gewisse Mitsprache und seine persönlichen Favoriten durchgesetzt.

    Genau so war es, lieber Joseph!


    Der EMI-Produzent Walter Legge wollte, in Übereinstimmung mit seiner Firma, zunächst die Nr. 101 & 104, weil viel populärer und damit mehr Umsatz versprechend, aufnehmen, aber "Klemperer hatte eine andere Idee: Anstelle dieser Werke wollte er unbedingt die beglückende, gleichwohl weniger bekannte Sinfonie Nr. 98 B-Dur einspielen. Er hatte dieses Werk zuletzt 1938 in Los Angeles dirigiert, und kurz vor den bereits festgelegten Aufnahmeterminen hatte er es in der Londoner Royal Festival Hall unter Sir Thomas Beecham hören können. Bei dieser Gelegenheit war seine alte Begeisterung für das Stück neu entfacht worden. J.D. Bicknell, der künstlerische Leiter der EMI, war von diesem Änderungsvorschlag nicht erbaut, denn Beecham hatte dieselbe Sinfonie unlängst für EMI eingespielt, und man war sich nicht sicher, ob der Markt eine weitere Version des Werkes würde verkraften können. Bicknells Kollegen auf dem Kontinent wurden um Rat gefragt, und in einem Antwortbrief der deutschen EMI-Tochter ELECTROLA kam die Versicherung: 'Jede Klemperer-Aufnahme wird für die Zukunft bedeutend sein. Diese Programmänderung wirkt sich nicht negativ auf unsere Verkaufserwartungen aus.' Und so durfte Klemperer tun, was er wollte".

    Damit stand der Aufnahme, die im Januar 1960 eingespielt und Klemperers allererste Haydn-Sinfonie auf Platte wurde, nichts mehr im Wege. Bicknell und Legge knurrten, fügten sich aber, wenn auch widerstrebend, dem Willen von "Old Klemp".


    Das waren noch Zeiten, als Dirigenten wie Klemperer oder Karajan den Plattenfirmen diktieren konnten, was sie einspielen wollten! Klemperers letztes Haydn-Projekt war übrigens die Nr. 92 "Oxford", die im September 1971 entstand, bereits unter Leitung des Produzenten Suvi Raj Grubb, einem Inder, den Klemperer beim ersten Kennenlernen mißtrauisch beäugte und in seinem Beisein blaffte: Kann der überhaupt Partitur lesen?


    Den von mir in Beitrag 41 genannten Karl Eliasberg sehe ich hinsichtlich Nr. 103 nach wie vor als Geheimtipp an.

    Ehrlich gesagt, lieber Joseph, der Name dieses Dirigenten war mir bis heute gänzlich unbekannt. Die von Dir empfohlene CD habe ich aber mal auf meine Merkliste gesetzt.


    LG Nemorino :hello:











    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).