Hallo Rideamus, hallo ihr anderen Haydn-Projektianer,
mir wäre die Sinfonie wohl auch durch die Lappen gegangen, von eher beiläufigem Hören mal abgesehen, wenn hier nicht vor einigen Monaten über den Paukenwirbel-Beginn diskutiert worden wäre. Ungefähr zeitgleich hatte ich die Harnoncourt-Aufnahme erworben. Harnoncourt lässt den Paukenwirbel wie oben bereits dargestellt als ausgeprägtes Solo spielen. Mich hat das begeistert. Fortan war ich für die Sinfonie gewonnen – dank Harnoncourt.
Welche Spielweise die richtige ist, vermag ich mit meinen begrenzten musikwissenschaftlichen Kenntnissen nicht zu beurteilen. Einige Bemerkungen dazu erlaube ich mir aber doch (obwohl nach der oben geschilderten Erfahrung klar sein dürfte, dass für mich Harnoncourts die richtige ist):
Zunächst ist historisch interessant, was Bernd oben über das Kammermusikarrangement Salomons geschrieben hat. Das Booklet zur Mackerras-CD führt dazu aus:
„In seinem Trioarrangement markiert es Salomon mit einer Haarnadel, das heißt, mit einem Dynamiksymbol von leise nach laut und wieder zurück. Im späteren Quintettarrangement Salomons ist das Solo jedoch mit fortissimo markiert.“
Die Partitur-Angaben sind bereits geschildert worden. Bzgl. der Dauer ist mittelbar aus der Eintaktigkeit Honig zu saugen: Zu lang darf es nicht sein.
Im Wesentlichen bleibt als Auslegungsmethode daher die Frage nach dem Sinn und Zweck des Paukenwirbels. Zur Angabe Intrada meint Helga Lühning im Konold Konzertführer, dass Haydn seine musikalische Darbietung wie in älterer Zeit üblich mit einem stilisierten, komponierten Aufzug – gewissermaßen mit Pauken und Trompeten – eröffne und spricht damit die oben von Bernd bereits dargestellte Appell-Funktion an. In diesem Zusammenhang ist auf die große Länge der folgenden Einleitung hinzuweisen. Haydn musste großes Interesse daran haben, dass die Zuhörer diese Einleitung nicht verschlafen, sondern von Anfang an bei der Sache sind. Drittens dient der Paukenwirbel der Überraschung des Publikums, mehr noch bei der Wiederholung als zu Beginn.
Berücksichtige ich diese Zwecke scheint mir deutlich, dass der Paukenwirbel laut gespielt werden muss. Der von Haydn m. E. beabsichtigte Überraschungszweck wird überdies durch ein Paukensolo besser erreicht als durch einen Paukenwirbel.
Negativbeispiel für mich ist daher Fischer, der einen Wirbel spielen lässt, diesen dann auch noch kurz und leise. JR wird´s vermutlich gefallen.
Seit dem Kennenlernen der Sinfonie habe ich immer mehr Stellen entdeckt, die mich begeistern – und bin damit immer noch nicht fertig. Das Paukensolo, die langsame Einleitung des ersten Satzes, die Coda des zweiten und besonders das Finale mit seinem mehrfachen Ansetzen begeistern mich immer noch.
Einige Bemerkungen zu meinen Aufnahmen:
Fischers Paukenwirbel habe ich oben bereits als Negativbeispiel genannt. Ansonsten wird hier durchweg solide, aber nie wirklich imponierend gespielt.
Harnoncourts Aufnahme begeistert mich noch immer. Sie ist mir die Liebste. Ihre Besonderheit resultiert bei manch Eigenwilligkeiten daraus, dass Harnoncourt seine HIP-Erkenntnisse von einem Non-Hip-Orchester, dem Royal Concertgebouw Orchestra, spielen lässt. Das Resultat ist: das Beste aus beiden Welten. Insbesondere die Stellen, an denen das Orchester mit Vehemenz spielen muss, gelingen großartig. Besonders imponierend z. B. das Tutti im Variationensatz nach der Solovioline. Auch die Holzbläser sind hervorzuheben.
Scherchen gefällt mir leider nicht. Das Zusammenspiel des Orchester lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig. Die Holzbläser haben Intonationsprobleme, leider schon ganz am Anfang in der Einleitung, so dass die Aufnahme gleich mit einem schlechten Eindruck beginnt. In der dynamischen Abstufung fällt mir eine Abruptheit auf, die besser zu Beethoven als zu Haydn passt. Der Klang ist altersbedingt nicht auf der Höhe der Zeit. Hörenswert finde ich die CD merkwürdigerweise trotz all dieser Mängel doch.
Es ist immer wieder verblüffend, sich zu vergegenwärtigen, dass Colin Davis und Harnoncourt dasselbe Orchester dirigieren. Bei Harnoncourt Vehemenz und Kraft, bei Davis strahlender, allerschönster Glanz (und natürlich nur ein Wirbel). Wer seinen Haydn am liebsten vom Orchester in großer Besetzung hört, ist hier genau richtig. Ebenfalls eine fantastische Aufnahme.
Mackerras spielt den Paukenwirbel als Wirbel, und zwar das erste Mal fortissimo wie ein maschinengewehrartiges Gewitter – gefällt mir ausgezeichnet! –, das zweite Mal piano – eine gute Lösung, wie ich finde. Interessant ist Mackerras´ Aufnahme überdies deshalb, weil er das Originalfinale spielt. Haydn hatte den Hörer im Originalfinale bis zum Cis-Dur geführt, also unglaublich weit von der Grundtonart Es-Dur weg, lese ich im Booklet. Dort heißt es weiter: „Nachdem Haydn vielleicht spürte, dass er die Zuhörer und das derzeitige Orchester in eine Sackgasse geführt hatte, aus der nicht so leicht wieder herauszukommen war, überarbeitete er das Finale nach den ersten Ausführungen um es konservativer zu gestalten, indem er die Cis-Passage eliminierte, was für ihn etwas Ungewöhnliches war.“ Ich habe jetzt nicht nachgeschaut, welches Finale Harnoncourt und die anderen spielen lassen. Mackerras steht sicher nicht allein. Mackerras´ Aufnahme gefällt mir abgesehen vom Paukensolo nicht ganz so gut wie die von Harnoncourt und Davis. Allerdings ist sie sehr günstig, das Booklet hervorragend und die mit enthaltene Militärsinfonie fantastisch..
Für diejenigen, die es interessiert, hier noch die Spielzeiten:
Fischer: .........9:25...10:30...5:11...5:11
Harnoncourt: 10:05...9:50....5:13...5:47
Scherchen: ...10:00..10:41...5:08...5:28
Colin Davis: ....9:24..10:34...4:41...5:26
Mackerras: .....8:45....9:27...5:10...5:13
Viele Grüße
Thomas