Barockmusik - nein danke (???)

  • Nach nun mehr als 5 Jahren ist es an der Zeit, den Thread mal wieder nach vorn zu bringen:


    All denen, die mit Barock nicht so viel anfangen können, kann heute anhand kurzer, knackiger Beispiele - meist Dank youtube - gezeigt werden, daß es sich vielleicht doch lohnt, mal näher hinzuhören.


    Hier ein Stück aus dem Messiah von Händel, wunderbar leicht gesungen und gespielt: And the glory of the Lord



    Ausführende: Cantillation, Orchestra of the Antipodes, Sirius Ensemble, Dirigent: Antony Walker


  • Der beste der Großchöre der Welt (Mormon Tabernacle Choir) mit einem weiteren Stück aus dem Messiah: Worthy is the lamb


  • Johann Christoph Pezel (1639 - 1694) hat u.a. eine Sarabande für Bläser geschrieben, die schön und würdevoll genug ist, um dem trüben Ansinnen des Threadtitels entgegenzuwirken.


    , ab 2:03 min


    Es spiel das Yadkin Valley Brass Orchestra

  • Zitat

    All denen, die mit Barock nicht so viel anfangen können,


    Ich glaube, die sind weniger geworden. Über Interpretationen von Bach wurde ja hier im Forum schon viele geschrieben, neulich erst besipielsweise über Karl Richter und eine "Berechtigung" in unserer Zeit.


    Vivaldi war schon zur Forensteinzeit ein wenig im Focus, aber zahlreiche Neuaufnahmen - vor allem mit Giuliano Carmignola - haben das Interesse an ihm weiter verstärkt. Notabene, da er auf einigen seiner Veröffentlichungen für SONY Violinkonzerte einspielte, die erst kurz vorher aufgefunden wurden. Ich dache, da - pessimistisch wie ich bin - an Werke zweiter Güte - aber das Gegenteil war der Fall. Warum SONY Carmignola ziehen ließ und der DGG übergab wird wor auf ewig ein ungelöstes Mirakel der Schallplattengeachichte bleiben.

    Zelenka war zu Beginn des Threads vielen noch unbekannt. Das sollte heute anders sein, vo allem wenn man bedenkt, fa mehr als die Hälfte, der heute von ihm erhältlichen Einspielungen in den letzten 10 Jahren entstanden
    Hier fange ich mich soeben in der eigenen Falle, denn die hier abgebildete CD wird nächsten Monat auf meiner Bestelliste landen.

    Graupner - auch hier beginnt das eigentlich Interesse an ihm etwa kurz nach der Jahrtausendwende und domit etw 3 Jahre vor Start dieses Threads. Es hat eine ziemliche Zeit gedauert, bis die Plattenfirmen auf den Zug aufgesprungen sind . Ganz sind sie es indes noch heute nicht. Das Gesamtwerk ist ausserdem nicht wirlich gesichtet. Wikipedia gibt hier folgendes an: Er schuf etwa 2000 Werke: 1418 kirchliche Kantaten, 24 weltliche Kantaten, 113 Sinfonien, 44 Solokonzerte für ein bis vier Instrumente, 80 Orchestersuiten, 36 Kammersonaten, etwa 30 Claviersuiten, sowie mindestens acht Opern.
    Da wär noch einiges zu tun.

    Telemann dürfte den Durchbruch nun endlich geschafft haben - weg vom Image des anspruchslosen Vielschreibers - wir findne diese (haltlose) Behauptung noch im ersten Drittel dieses Thread - zum einfallsreichen, vielseitigen Komponisten. 3600 Werke sind verzeichnet - etliches gilt als verschollen - allerdings ist verschollen nicht unbedingt verloren. Aber auch wenn wir alles von ihm hätten. Welches Label würde eine Gesamtedition auf sagen wir 1545 CD wagen ???
    Aber Spaß beiseite - Die verfügbareen Aufnahmen sind recht ordentlich - qualitativ und quantitativ...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Von "Voices of Music" bzw. auch von Elizabeth Blumenstock mit anderen Formationen findet man einiges bei Youtube. Zum Teil in Auflösungen, bei denen mein Monitor die Hände hebt, weil der Rechner mit dem RUNTERrechnen der Auflösung nicht nach kommt.
    Alles was ich bisher gehört habe, hat mir ausnehmend gut gefallen. (Biber, Schmelzer, Uccelini, Bach,...)


    Die Hompage von Voices of Music sieht zwar nicht sehr professionell aus, aber ein Besuch lohnt sich trotzdem unbedingt.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Hallo Reinhard,


    in der Tat eine gute Truppe - da kann man sich auch Pachelbels Canon in D gut anhören, der ja häufig als ziemlicher Schmachtfetzen interpretiert wird. Und das Stück gehört natürlich in solch einen Thread.


  • Es fehlt noch das Adagio von Albinoni (eigentlich Remo Giazotto auf der Grundlage von Albinoni zugeschriebenen Fragmenten), dann sind die 3 großen Langsamen komplett, wie sie gern in Zusammenstellungen des Typs "Best of" kombiniert werden.


    Dieses Interpretation würde vermutlich als zu langsam kritisiert, käme sie nicht von Karajan und den Berliner Philharmonikern:


  • Dieses Interpretation würde vermutlich als zu langsam kritisiert, käme sie nicht von Karajan und den Berliner Philharmonikern:


    Das ist nun wirklich zum Abgewöhnen :thumbdown: Eine Karajan-Aufnahme als Werbung für Barockmusik geht gar nicht.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose

  • Das ist nun wirklich zum Abgewöhnen :thumbdown: Eine Karajan-Aufnahme als Werbung für Barockmusik geht gar nicht.


    Gilt nur für hip-Ohren.


    Das "normale" Publikum, also die Zielgruppe dieses Threads, wird sich da nicht echauffieren.

  • Gilt nur für hip-Ohren.


    Das "normale" Publikum, also die Zielgruppe dieses Threads, wird sich da nicht echauffieren.


    Lieber m-mueller, wenn es danach

    Zitat

    m-mueller ....
    All denen, die mit Barock nicht so viel anfangen können, kann heute anhand kurzer, knackiger Beispiele - meist Dank youtube - gezeigt werden, daß es sich vielleicht doch lohnt, mal näher hinzuhören.

    geht, kann man aber mit >Karajan und Barockmusik< keinen mehr hinterm Ofen hervorlocken, die Zeiten sind (Gottseidank) vorbei!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Ich will die Interpretationen gar nicht vehement verteidigen, als Barocker steht mir Karajan sicherlich nicht nah.


    Aber ich finde sie auch nicht schlecht: obwohl sie so langsam ist, vermeidet sie den Absturz in den Kitsch, und die Berliner Symphoniker haben nun einfach mal einen guten Sound.


  • Das ist nun wirklich zum Abgewöhnen :thumbdown: Eine Karajan-Aufnahme als Werbung für Barockmusik geht gar nicht.


    Naja, das Stück ist ja eh ein "Fake", insofern passt Karajan ganz gut :D

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Der Haupteinwand gegen das Fake-Adagio ist natürlich nicht Karajan, sondern dass das ganze Stück ein Fake ist.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Fake??


    Giazotto gibt an, er habe es auf der Grundlage von Albinoni-Fragmenten aus der Dresdner Staatbibliothek verfaßt. Die Bibliothek weiß von nichts, was aber nichts heißen muß (siehe wikipedia zu Adagio Albinoni).


    Albinoni oder "nur" Giazotto: das Stück ist jedenfalls sehr wirkungsvoll.

  • Ôbwohl ich seit ca. 30 Jahren überzeugter Verfechter der HIP bin, höre ich Barockmusik nur noch auf modernem Instrumentarium und wenn möglich in großer Besetzung. Dabei geht es mir nicht um die Barockmusik als solche, sondern um ihre Wahrnehmung, Darstellung, Interpretation zu einer bestimmtn Zeit.
    Diese Karajan-Aufnahme bereitet mir also keinerlei Probleme, ich bin mir aber jede Sekunde dieser Musik bewußt dass sie mit echter Barockmusik nur die Noten gemein hat, dass sie eigentlich ein zeitgenössisches Arrangement ist, bei dem der Arrangeur nicht genannt wird.
    Diese auf's 20. Jhdt. ausgerichtete Betrachtungsweise erlaubt mir, der HIP treu zu bleiben und trotzdem Richter, Beecham, Karajan etc. zu hören.


    John Doe :D

  • Solange Dich dieses Bewußtsein nicht daran hindert, die Musik zu genießen, ist das doch völlig in Ordnung.


    ICH möchte jedenfalls nicht zurück zu klangschwachen Hammerklavieren und zirpenden Eierschneidern. Über das, was sich ansonsten alles bei Instrumenten zwischen 1700 und heute getan hat, habe ich wenig Überblick, aber vermutlich gibt es gute Gründe, Instrumente weiterzuentwickeln - und ich wohne auch lieber in einem modernen Haus statt in einer unsanierten Fachwerkhütte.


    Ich stelle allerdings auch in dem einen oder anderen Fall fest, daß sich gute Konzepte von früher nicht haben durchsetzen können, Theorben z.B., die klanglich sicherlich eine erhebliche Bereicherung darstellen könnten.


    Btw: ich dachte, HIP wäre vor allem ein Phänomen, das sich auf Barock- und Renaissancemusik bezieht - wenn Du jetzt also zum einen sagst, Du seist HIP-Verfechter, andererseits aber Barock nur noch auf modernen Instrumenten hörst: wo bleibt dann HIP für Dich in der Praxis?

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • höre ich Barockmusik nur noch auf modernem Instrumentarium


    Ich sage zwar auch immer "moderne Instrumente", und damit weiß auch jeder, was gemeint ist. Streng genommen ist diese Bezeichnung ja eigentlich falsch, denn die Instrumente, die heute benutzt werden, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Würde man WIRKLICH moderne Instrumente hören wollen, müssten es konsequenterweise Aufführungen auf Synthesizern, E-Gitarren etc. sein. Was gar keine so schlechte Idee wäre!


    Diese Karajan-Aufnahme bereitet mir also keinerlei Probleme, ich bin mir aber jede Sekunde dieser Musik bewußt dass sie mit echter Barockmusik nur die Noten gemein hat, dass sie eigentlich ein zeitgenössisches Arrangement ist, bei dem der Arrangeur nicht genannt wird.


    Unsere Ansichten über Karajan und "moderne" Barockaufführungen stehen sich zwar absolut diametral gegenüber, weil ich persönlich doch absolut konsequent bin, was "moderne" Aufführungen angeht, aber ich finde es sehr lobenswert, dass dir bewusst ist, dass diese Versionen nichts mit dem eigentlichen Werk zu tun haben; viele haben dieses Wissen nämlich nicht und glauben, dass diese Bearbeitungen tatsächlich "Barockmusik" sind.
    Du sagst ja selbst, dass du HIP-Verfechter bist, da wirst du dich auch entsprechend informiert haben und hörst Karajan und Co. mit diesen Informationen im Hinterkopf, ohne falsche Vorstellungen oder unreflektiertes und uninformiertes HIP-Bashing :)


    Solche Beiträge wie deine geben mir doch ein bisschen Hoffnung :)




    LG,
    Hosenrolle1

  • wo bleibt dann HIP für Dich in der Praxis?

    Beispiel Messias: da gibt es die diversen 1740er Fassungen, natürlich in HIP eingespielt, und dann die Mozart-Fassung aus dwen späten 1780er Jahren, die bezüglich des Messias als solchem nicht HIP ist, als Fassung, als Arrangement aber durch aus HIP interpretiert werden kann, wie es z.B. Spering mut dem kleinen Konzert gemacht hat.
    Und dann gibt es die Goosens-Fassung aus den späten 50ern des 20. Jhdt., die der Dirigent Beecham in Auftrag gegeben und natürlich mit den Instrumenten und im Stil ihrer Entstehungszeit interpretiert hat. Also in reinstem Originalklang, weil HIP doch nichts anderes besagt, als dass die Sachen so wie zu ihrer Entstehungszeit klingen und gespielt werden sollen.
    Beecham und Goosens wollten auch nie einen historisch korrekten Messias zur Aufführung bringen, sondern einen auf die damalige Gegenwart bezogenen unter Nutzung des damals aktuellen Instrumentariums.


    John Doe

  • Also in reinstem Originalklang, weil HIP doch nichts anderes besagt, als dass die Sachen so wie zu ihrer Entstehungszeit klingen und gespielt werden sollen


    Da bin ich anderer Ansicht. HIP kann auch eine Aufführung auf modernen Instrumenten sein - den Sinn dahinter zu finden ist mir bis heute nicht gelungen. "Wenn Harnoncourt damit anfängt, dass er versucht, den Klang und die Eigenschaften einer alten Oboe mit einer modernen zu erzeugen, dann denke ich mir meinen Teil ...)


    Was du offenbar meinst ist eher eine Rekonstruktion alter Konzerte, aber darum geht es HIP eigentlich nicht. Man möchte informiert darüber sein, welches Wissen, welche Ausbildung die Musiker von damals hatten, und wovon die Komponisten ausgingen; kurzum, man sammelt alle möglichen Informationen, um das Werk an sich möglichst so aufzuführen, wie es gedacht ist.
    "Originalklang" ist ein Wort, das ich strikt ablehne, weil wir zwar durch Forschungen, Nachbauten alter Instrumente und verschiedene Quellen dem Werk sehr nahe kommen können, aber mangels Aufnahmen wissen wir nicht, wie es damals geklungen hat. Es ist nicht überprüfbar, was "original" ist, und selbst wenn, kann es sehr leicht sein, dass die Aufführungen damals durch verschiedene Umstände sehr unterschiedlich waren.


    Nein, HIP möchte dem WERK so nahe wie möglich kommen, die Komposition wieder hörbar machen, keine alten Aufführungen.




    LG,
    Hosenrolle1

  • Ich sehe das ganz pragmatisch. Hört euch den Orfeo von Monteverdi in einer Orchesterfassung der Neuzeit an (etwa die von Kraack) und dann die CD-Aufnahme mit Garrido oder die DVD mit Jordi Savall. Für mich ist das eindeutig: HIP hat die besseren Sänger, und das Orchester ist an Präzision und Farbenreichtum haushoch überlegen.
    Es gibt übrigens eine Fassung für modernes Orchester des Ulisse von Han-Werner Henze. Er bezeichnet das selber als Bearbeitung, was ich absolut akzeptieren kann. Zudem ist es eine ganz tolle Bearbeitung.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • HIP kann auch eine Aufführung auf modernen Instrumenten sein - den Sinn dahinter zu finden ist mir bis heute nicht gelungen.

    Wenn Spielweise, Orchestergröße und Orchesteraufstellung der damaligen Aktualität des Werkes entsprechen, kann man bei großzügiger Betrachtung von HIP reden, wobei aber Blech, Pauken und Tasteninstrumente problematisch bleiben, weswegen da eben sehr oft alte oder Nachbauten alter Instrumente verwendet werden.
    Natürlich kann man ein altes Cembalo unter Wahrung oben genannter Kriterien durch ein neues ersetzen, ersetzt man es aber durch einen modernen Flügel, dann sollte es dem Hörer klar sein, dass es sich dabei um ein anderes Instrument handelt, für das das Werk nicht komponiert wurde.

    Was du offenbar meinst ist eher eine Rekonstruktion alter Konzerte, aber darum geht es HIP eigentlich nicht.

    Nein, ich meine wie oben schon gesagt die damalige Aktualität unter idealen Bedingungen.
    Ideale Bedingungen deswegen, weil beispielsweise die Orchestergröße auch bei Uraufführungen durch äußere Zwänge beschränkt war, derweil dem Komponisten eigentlich ganz anderes vorschwebte. Beispiel Beethoven, dem seine Klaviere immer zu klein waren und der die Sinfonien 7, 8 und 9 mit knapp 100köpfigem Orchester uraufführen lies.
    D.h. dass aktuelle HIP-Besetzung vielleicht den Gepflogenheiten der damaligen Zeit, nicht unbedingt aber den Vorstellungen des Komponisten entsprechen. Dass man bei ihnen von Mindestbesetzungen, nicht aber von Idealbesetzungen sprechen kann.


    kurzum, man sammelt alle möglichen Informationen, um das Werk an sich möglichst so aufzuführen, wie es gedacht ist.

    Wie stehst du dann zu Bruckner 9? Dreisätzig, viersätzig, Te Deum-Lösung?

    "Originalklang" ist ein Wort, das ich strikt ablehne, weil wir zwar durch Forschungen, Nachbauten alter Instrumente und verschiedene Quellen dem Werk sehr nahe kommen können, aber mangels Aufnahmen wissen wir nicht, wie es damals geklungen hat.


    Das gilt nur für die alten Sachen, aber HIP greift ja nun schon nach dem 20. Jhdt. Immerseels Bolero-Einspielung beispielsweise, die natürlich in Konkurrenz zu Ravels eigener Einspielung dieses Werkes steht, oder Strawinski, der fast sein gesamtes Ouvre persönlich eingespielt hat. Oder die diversen Uraufführungsaufnahmen, oder die unter den kritischen Augen des Komponisten entstandenen.


    Zum besseren Verständnis muss ich aber jetzt anmerken, dass mein musikalischer Schwerpunkt auf dem 20. Jhdt. liegt und mich dessen Sichtweisen auf die alten Sachen mehr interessieren, als die alten Sachen als solche, wobei die wenigen Aufnahmen von Barockmusik, die ich die letzten Jahre gekauft hab, alle in strengem HIP waren.


    John Doe

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Beispiel Messias: da gibt es die diversen 1740er Fassungen, natürlich in HIP eingespielt, und dann die Mozart-Fassung aus dwen späten 1780er Jahren


    Das ist ein sehr gutes Beispiel!
    Harnoncourt hat, und da muss ich ihm wiederum recht geben, gemeint, dass die Menschen zu früheren Zeiten immer nur an aktueller Musik interessiert waren. Zu Mozart Zeit hat man Bachs Musik sicher geschätzt, aber man wollte aktuelle Sachen hören, nicht das alte. Im 19. Jahrhundert hat man Mozart geschätzt, aber war auch mehr interessiert an aktuellen Komponisten. Nur heute haben wir die Situation, dass wir NICHT an der heutigen Musik interessiert sind, sondern den der vergangener Jahrhunderte.
    Mozart hat, wie du richtig sagst, auch Werke von "früher" für SEINE Zeit bearbeitet, für neues Instrumentarium, eine zeitgemäße Bearbeitung, sozusagen.


    Wenn man heute, im 21. Jahrhundert, "moderne" Bearbeitungen fordert, müsste es konsequenterweise eine Bearbeitung für heutige Instrumente sein, also eben sowas wie E-Gitarren, Synthesizer, elektronische Klänge etc.
    Ich finde überhaupt, dass auch in Opernhäusern die Werke mit solchen Instrumenten gespielt werden sollten.


    Natürlich kann man ein altes Cembalo unter Wahrung oben genannter Kriterien durch ein neues ersetzen, ersetzt man es aber durch einen modernen Flügel, dann sollte es dem Hörer klar sein, dass es sich dabei um ein anderes Instrument handelt, für das das Werk nicht komponiert wurde.


    Eben das ist vielen aber NICHT klar, und das ist ja das Traurige. Wenn man, so wie du, darüber Bescheid weiß, und es trotzdem gerne hört, dann finde ich das nicht schlimm. Du hörst dir etwa so eine Karajan-Version eines barocken Stückes an und weißt, dass das mit dem Werk nichts mehr zu tun hat, kannst es aber trotzdem genießen. Das unterscheidet dich von vielen, die so etwas tatsächlich für das Werk halten, weil sie es nicht besser wissen und oft auch gar nicht wissen wollen.
    Das Cembalo-Beispiel ist gut: natürlich sollte ein Nachbau auch wie das Original sein, denn auch da gab es sehr unterschiedlich klingende Instrumente. Für eine Einspielung einfach irgendein Cembalo hernehmen und sagen "Ach was, hauptsache Cembalo, das passt schon so" ist unsinnig. Und natürlich gibt es auch grottige Nachbauten, die scheppern und unschön klingen, und nichts mit den damaligen Meisterstücken zu tun haben. Solche Instrumente wurden v.a. in der Anfangszeit von HIP-Aufnahmen auch öfter verwendet, was natürlich dazu geführt hat, dass viele Leute berechtigterweise gesagt haben "Hilfe, wie klingt denn das?".
    Angesichts mancher Antworten hier müsste der Threadtitel eigentlich lauten "Barockmusik - nein danke (außer in werkverfälschenden modernen Interpretationen) ???"



    Ideale Bedingungen deswegen, weil beispielsweise die Orchestergröße auch bei Uraufführungen durch äußere Zwänge beschränkt war, derweil dem Komponisten eigentlich ganz anderes vorschwebte.


    Genau, darum sollte es auch gehen: das WERK möglichst "richtig" wiedergeben, und nicht alte Aufführungen.



    Wie stehst du dann zu Bruckner 9? Dreisätzig, viersätzig, Te Deum-Lösung?


    Mit Bruckner habe ich mich nie beschäftigt, ich kenne kein einziges seiner Werke. Mein Schwerpunkt ist Strauss ("Salome"), Humperdinck, von Weber und Mozart.


    Was ich mit "historisch informiert" meinte war, dass man eben u.a. versucht, sich das Wissen, die Ausbildung der Musiker von damals anzueignen. Der Komponist hat sehr oft nur wenige oder gar keine Spielanweisungen in die Noten geschrieben, weil er davon ausgehen konnte, dass die Musiker mit ihrer Ausbildung von selbst wussten, wie es gespielt gehört. Die Musiker von heute haben DIESE Ausbildung nicht, weil sich die Ausbildungen im Laufe der Zeit natürlich verändert haben. Und da gibt es dann eben solche, die sich historisch informieren, die also Quellen studieren und versuchen, sich das damalige Wissen anzueignen, damit sie diese Werke wieder richtig aufführen können.
    Darum finde ich es viel besser, wenn sich HIP-Ensembles auf eine bestimmte Zeit spezialisieren, und diese dann intensivst studieren. Orchester, die heute Wagner, morgen Händel und übermorgen Mozart spielen, und das auf den selben Instrumenten und ohne die jeweilige notwendige Ausbildung haben für mich den gleichen Reiz wie Puderzucker auf freiliegenden Zahnhälsen.
    Natürlich spielen da auch andere Dinge eine Rolle: große Orchester MÜSSEN alles mögliche spielen, auch aus finanziellen Gründen, und es ist praktisch gar nicht möglich, dass man heute zur Barockgeige, und morgen zur modernen greift, dass man heute die Holzflöte und morgen wieder die moderne Metallflöte spielt. Die müssen halt für ein unkritisches oder uninformiertes Massenpublikum spielen. Deswegen sind mir die Ensembles lieber, die sich spezialisieren, weil da weiß ich, dass man viel mehr versucht, sich dem Werk anzunähern, und auch über das entsprechende Wissen verfügt. Da sehe ich die Bemühungen dahinter.




    LG,
    Hosenrolle1

  • außer in werkverfälschenden modernen Interpretationen

    Genau da wird's jetzt problematisch, denn was ist das Werk, was soll es, was will es, was bewirkt es?
    In den letzten 250 Jahren hat sich doch die Bewertung unserer Wahrnehmung deutlich verändert, Sachen die damals die Leute erschreckt haben, lassen uns heute bestenfalls noch müde lächeln, das religiöse Gefühl ist gänzlich relativiert und unser Verständnis von Humor und Witz ist auch nicht mehr völlig deckungsgleich mit dem von damals.
    Was wollen wir also? das Werk so wiedergeben wie damals, auf die Gefahr hin, dass es teilweise komisch wirkt, wo es einem doch schrecken soll - ich denke da an Telemanns Tag des Gerichts oder an die ein oder andere schmalbrüstige Messias-Interpretation - oder wollen das Wesen des Werkes betonen?
    Und wie verfahren wir, wenn Letzteres im Widerspruch zu Ersterem steht?


    Wenn man heute, im 21. Jahrhundert, "moderne" Bearbeitungen fordert, müsste es konsequenterweise eine Bearbeitung für heutige Instrumente sein, also eben sowas wie E-Gitarren, Synthesizer, elektronische Klänge etc.

    Das sind keine Orchesterinstrumente, nichtsdestotrotz gibt es die ein oder andere experimentelle Scheibe, wie z.B. Ragna Schirmers Einspielung der Händelschen Orgelkonzerte, von denen sie einen Teil auf einem Hammerflügel, einen anderen auf einem modernen Konzertflügel und einen leztzen auf einer Hammond-Orgel gespielt hat. Die Sache ist insofern von Händel abgesegnet, als dass er diese Werke unter dem Titel Konzerte für Tasteninstrument vertreiben lies.


    Orchester, die heute Wagner, morgen Händel und übermorgen Mozart spielen, und das auf den selben Instrumenten und ohne die jeweilige notwendige Ausbildung haben für mich den gleichen Reiz wie Puderzucker auf freiliegenden Zahnhälsen.


    Das Ensemble Modern ist ein Kammerorchester für zeitgenössische Musik, dass eine der besten Einspielungen von Beethovens Violinkozert hingelegt hat. Und dann die superben Einspielungen der Kammerkonzerte von Hindemith und die Referenzaufnahme von Ives 4. Sinfonie!
    Puderzucker auf freiliegenden Zahnhälsen kommt einem da nicht in den Sinn, eher Habanero auf nüchternem Magen.


    John Doe

  • Genau da wird's jetzt problematisch, denn was ist das Werk, was soll es, was will es, was bewirkt es?
    In den letzten 250 Jahren hat sich doch die Bewertung unserer Wahrnehmung deutlich verändert, Sachen die damals die Leute erschreckt haben, lassen uns heute bestenfalls noch müde lächeln, das religiöse Gefühl ist gänzlich relativiert und unser Verständnis von Humor und Witz ist auch nicht mehr völlig deckungsgleich mit dem von damals.
    Was wollen wir also? das Werk so wiedergeben wie damals, auf die Gefahr hin, dass es teilweise komisch wirkt, wo es einem doch schrecken soll - ich denke da an Telemanns Tag des Gerichts oder an die ein oder andere schmalbrüstige Messias-Interpretation - oder wollen das Wesen des Werkes betonen?
    Und wie verfahren wir, wenn Letzteres im Widerspruch zu Ersterem steht?


    Da ist natürlich die Frage, was uns ein Werk heute noch zu sagen hat. Es gibt natürlich zeitlose Werke, die praktisch immer gelten, und andere, die einfach hoffnungslos veraltet sind. Sie sind deswegen nicht schlechter, nur für uns noch schwieriger zugänglich.


    Generell meine ich, WENN man sich schon Musik von vor 100, 200, 300 oder noch mehr Jahren anhört, dann sollte man sich der Dinge, die du gerade genannt hast, im Klaren sein, und versuchen, diese Werke aus ihrer Zeit heraus zu verstehen.
    Ich habe im "Not Jazz or Classic"-Thread vorhin einen Song von Suzi Quatro gepostet, den sie 1973 aufgenommen hat. In der heutigen Zeit, wo Songtexte, aber auch Bühnenauftritte weiblicher Sängerinnen ziemlich extrem sein können, regen einen die Lyrics oder das Gestöhne in der Nummer keinen mehr auf. Da muss mir als Hörer natürlich auch klar sein, wann er aufgenommen wurde, und wie die Verhältnisse damals waren, damit ich sagen kann "Nicht schlecht, das war schon ziemlich frech". Ich werde als Hörer von heute diesen Song nicht "schockiert" oder "überrascht" anhören, weil er mir absolut harmlos vorkommt, aber wenn ich zumindest etwas über die Zeit weiß, aus der er stammt, dann kann ich ihn doch besser einschätzen.
    Ich denke, bei der klassischen Musik, speziell der Oper, ist das nicht anders.


    Das sind keine Orchesterinstrumente


    Ach, wenn ein Orchester z.B. Filmmusik von Ennio Morricone spielt, sitzt da immer ein befrackter Gitarrist mit seiner Fender Stratocaster und spielt da mit. Aber auch wenn es keine Orchesterinstrumente sind, das ist ja egal. Es geht ja nur darum, dass es wirklich moderne Instrumente sind, aus unserer heutigen Zeit. Das wäre nur konsequent.


    Das Ensemble Modern ist ein Kammerorchester für zeitgenössische Musik, dass eine der besten Einspielungen von Beethovens Violinkozert hingelegt hat. Und dann die superben Einspielungen der Kammerkonzerte von Hindemith und die Referenzaufnahme von Ives 4. Sinfonie!


    "Eine der besten Einspielungen" ist eine höchst subjektive Einschätzung, da müsste ich schon genauer wissen, welches Vorwissen die Musiker haben, welche Instrumente verwendet wurden, usw.




    LG,
    Hosenrolle1

  • da müsste ich schon genauer wissen, welches Vorwissen die Musiker haben, welche Instrumente verwendet wurden, usw.

    Moderne Instrumente, HIP gespielt, die theoretischen Grundlagen stammen von Leibowitz und Zehetmair spielt eine Rekonstruktion des ursprünglichen Violinpartes und das mit entsprechender Virtuosität.


    John Doe

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose