Händel - Messiah - Chorstücke - Interpretationsvergleich

  • Eine Petitesse am Rande: der Messias weist zwei besonders gefährliche Stellen auf; das sind die Generalpausen vor den Schlüssen von Hallelujah und Amen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Zitat

    Zitat von Johannes Roehl: Gerade Messiah musste ja, wegen der relativ begrenzten Mittel in Dublin, die mit London kaum vergleichbar waren, mit möglichst einfachen Mitteln große Wirkungen (was bei dem erhabenst möglichen Thema auch notwendig warerreichen.


    Sind die Bedingungen für die Üraufführung tatsächlich so viel schlechter gewesen als bei Oratorien-Aufführungen in London? Immerhin standen Händel zwei Kathedralchöre zur Verfügung, und Dublin war die zweitgrösste Stadt Grossbritanniens. Aber wahrscheinlich ist einfach jeder Ort Provinz - im Vergleich mit London ^^ .

  • Ich weiß nicht genau, wie die Bedingungen waren. Aber im Messiah gibt es, glaube ich, keinen einzigen Doppelchor, im Gegensatz zu zahlreichen anderen Oratorien. Die Trompete(n) spielen nur bei vier? Stücken mit, es gibt außer der obligaten Trompete in "the trumpet shall sound" keine Arie mit einem Soloinstrument, auch die Oboen spielen nur im Tutti mit, werden nie exponiert eingesetzt. Keine Flöten, keine Hörner (wurden in einer späteren Fassung in Tuttipassagen ergänzt). Das ist zwar sicher nicht dürftig, aber verglichen mit etwa Saul, Solomon, Judas Maccabaeus, Israel in Egypt etc. doch recht bescheiden.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich mag den Mormon Tabernacle Choir - er verbindet Fülle und Präzision und ist zudem gut aufgenommen, insofern ist er auch einer meiner Favoriten bei einem der weiteren spektakulären Messiah-Chöre: And the glory of the Lord


  • Eine insgesamt ausgezeichnete Interpretation ist auch die des Prager Collegium 1704 unter Vaclav Lucs, wenn auch mehr auf der leichten, federnden Seite des Spektrums.


    , ab 00:08:50 kann man "And the glory of the lord" und ab 1:15:50 "Lift up your heads" hören.

  • Wir haben den Messias Weihnachten in unserer Vorortkirche gesungen, danach war ich 2 Wochen krank. Ich kann drei Stunden singen, aber nicht 3 Stunden stehen. Daher kann ich bei meiner Besprechung auch nur den Messias als Vergangenheit erwähnen. Ich habe ihn zu oft gehört und zu oft gesungen, und lieber William, ich habe daher auch keine Lust, YouTube zu durchforsten. Heute gefallen mir die Opern Händels besser.
    N.B. Ich habe mir Mengelberg und Karl Richter abgehört, allerdings nur je 1 Minute. Ich bin aber zu faul, sie auf die YouFail-Liste zu setzen.


    Klar, irgendwann kann man sich alles leidhören.


    Aber bevor ich das mit dem Messias geschafft habe, vergeht noch einige Zeit. Ich rechne ihn neben Bachs h-moll-Messe und Mozarts Requiem zu den drei besten geistlichen (Chor-) Musiken, die ich kenne.

  • Das gehört hier nicht zum Thema und ich habe das vermutlich schon mehrmals irgendwo anders geschrieben, aber eine ganze Reihe von Arien aus dem Messiah sind ebenso bekannt und beliebt wie die Chöre, gehören zu den bekanntesten Werken Händels und finden sich auch auf Arien-Recitals usw. Schon das Tenor Accompagnato + Arie ganz am Anfang, später v.a. "He was despised", "I know that my redeemer liveth". Das Sopran-Alt-Duett "And he shall feed his flock" u.a. Auch die Bassarien "The people that walked in darkness", "The trumpet shall sound", mit Trompete (die ist meiner Ansicht nach aber eine der schwächeren, viel zu lang, interessanterweise eine der wenigen echten Dacapo-Arien in dem Werk).


    Schon richtig: im Vergleich zu den eher ausufernden Solopartien z.B. bei der Matthäus-Passion (und vielen anderen Werken Bachs) sind die Soli hier spannender und dichter - mit den Chorstücken können sie m.E. nicht mithalten.

  • Ich nenne es Einfachheit oder Schlichte. Was Händel da (wie üblich innerhalb weniger Wochen) zu Notenpapier gebracht hat ist in eben jener Schlichtheit unübertrefflich...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Dabei ist der Messias gar nicht so schlicht, kontrapunktisch ist einiges äußerst raffiniert und mitreißend. Aber vieles hört sich tatsächlich vergleichsweise einfach an, ich würde den Messias daher nicht so sehr als schlicht, sondern eher als zugänglich bezeichnen. Er spricht zumindest halbwegs barockaffine Hörer unmittelbar an.

  • ...Was Händel da (wie üblich innerhalb weniger Wochen) zu Notenpapier gebracht hat...


    Das ist sowieso der Hammer - es waren gerade mal 3 (in Worten "drei") Wochen. Da probt man heute fünfmal länger als Händel benötigte, um es zu komponieren. Er hat dabei zwar auf das eine oder andere Material zurückgegriffen, was er früher schon komponiert hatte - aber das ganze Oratorium ist über 2 Stunden lang, dabei wohl zu weit über 1 h neu.


    Ein "normaler" Komponist wäre vermutlich mit einem Stück wie dem Hallelujah schon gut gefordert, sollte er es in 3 Wochen von Klavierpartitur auf SATB umschreiben.

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  • Eines der besten Chorstücke aus dem Messiah ist "For unto us a child is borne".


    Hier in einer eher flotten Version, für die ich keine Angaben zu den Ausführenden gefunden habe, die ich aber trotzdem posten möchte, weil sie mir gut gefällt.


  • Lieber m-mueller, wenn ich von Schlichte und Einfachheit sprach, denn zielte ich auf die immer wieder (ich kenne da aus persönlicher Erfahrung etliche Beispiele) vorgenommenen Vergleiche mit Bach. Das mir noch seit Jahrzehnten im Ohr klingende Urteil, ich möge doch bitte mal die grandiose Hirtenmusik in Bachs Weihnachtsoratorium mit der banalen Pifa im Messias vergleichen, dann würde klar, wem die Krone gebühre - jedenfalls nicht Händel. Ich will hier aber keine Diskussion über Vergleiche Bach-Händel aufmachen, wollte nur den Hintergrund für meine Wortwahl erklären.


    Dabei ist der Messias gar nicht so schlicht, kontrapunktisch ist einiges äußerst raffiniert und mitreißend. Aber vieles hört sich tatsächlich vergleichsweise einfach an, ich würde den Messias daher nicht so sehr als schlicht, sondern eher als zugänglich bezeichnen. Er spricht zumindest halbwegs barockaffine Hörer unmittelbar an.

    Finessen, die Händel ja beherrschte, oft auch so, dass man sie nur im Notenbild erfährt (was natürlich nicht viele nachvollziehen können), sind tatsächlich das "Salz", das dieses Werk so zugänglich macht (beachte doch bitte meinen Zugang auf Deine Wortwahl).


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber Musikwanderer,


    ich kann Deine Motivation nachvollziehen. Ein Vergleich zwischen Bach und Händel drängt sich ja förmlich auf, zumindest zwischen Weihnachtsoratorium und Messias, ähnliche Entstehungszeit, gleiches Material, ähnlich hoher Bekanntheitsgrad und wohl ähnlich viele verschiedene Interpretationen.


    Würden beide gleichzeitig aufgeführt und ich könnte nur eine Aufführung besuchen, ich würde den Messias wählen, grandiose Hirtenmusik hin, banales Pifa her - wer sowas sagt, hat den Messias eh nicht verstanden.


    Ich kann zwar auch keine Noten lesen, aber als halbwegs erfahrener Barockmusik-Hörer erschließt sich einem das "Salz" auch ohne Noten.


  • Eines der besten Chorstücke aus dem Messiah ist "For unto us a child is borne".


    Ich hatte in jungen Jahren nicht den großen Bezug zu Bach und Händel, wie überhaupt zur Barockmusik, aber dann hörte ich das erstemal den „ Messiah " und da war es passiert, meine Liebe zu Händel begann. Bach bekam bei mir leider nie diesen Stellenwert wie so kann ich nicht sagen. Und das Halleluja? , nein „ For unto us a child is borne " ist für mich wesentlich beeindruckender!


    Und ganz arg faszinierend fand ich dies hier aus dem Theater an der Wien, in der Inszenierung von C.Guth. Der Arnold Schoenberg Chor ist doch eine Klasse für sich, auch wenn man das szenische nicht mag.


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Lieber Fiesco,


    den Chor finde ich sehr gut, er hat meine Referenz von Mozarts Requiem unter Harnoncourt eingesungen, aber im Video wird m.E. zu viel gehampelt und an einigen Stelle zu sehr Staccato gesungen. Insgesamt ist es aber sicher eine hörenswerte Interpretation.

  • z.B. im Gegensatz zu dieser hier. Der Chor entwickelt keinen vernünftigen Chorklang und singt insgesamt zu enthusiastisch, was zu erheblicher Unpräzision führt. Tremolierende Sopranistinnen sind sehr lästig, und bei den Herren sind auch einige dabei, die mit einigem Vibrato unterwegs sind.


    An sich ein schönes Beispiel dafür, wie man trotz guter Stimmen ein Stück in den Orcus singen kann.


  • Lieber Fiesco,


    den Chor finde ich sehr gut, er hat meine Referenz von Mozarts Requiem unter Harnoncourt eingesungen, aber im Video wird m.E. zu viel gehampelt und an einigen Stelle zu sehr Staccato gesungen. Insgesamt ist es aber sicher eine hörenswerte Interpretation.


    Lieber m-mueller, die hampeln doch nicht rum, das hat was mit der bildlichen Darstellung des Textes zu tun und somit entsteht auch das staccato artige Singen!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Ja, und das muß man nicht mögen. Aber ich will hier kein "Regietheather die 50. - Faß" aufmachen. Wie gesagt, insgesamt ist das ein exzellenter Chor.

  • Die Pifa ist nun wirklich ein kleines Intermezzo, die im Rahmen des Stücks gar nicht das Gewicht von der Pastorale bei Bach, die ja einen Eingangschor ersetzen muss. Etliche der großen schon genannten Chöre oder auch "Surely, he hath borne our griefs", "With his stripes", "Worthy is the lamb - Amen" müssen sicher keinen Vergleich mit Bach scheuen, obwohl bei Händel immer eine gewisse Popularität wichtig ist und nie (oder kaum jemals) musikalische, kontrapunktische oder gar theoretische Explorationen um ihrer selbst willen. Bach ist sozusagen der "musician's musician", Händel der "people's musician". Insofern sind eigentlich die Berührpunkte fast überraschender als die Unterschiede...


    Das nächste Paradox ist ja, dass die ganz auf die Zeit und ihre praktischen Anforderungen gerichtete Musik Händels, jedenfalls ein relevanter Teil davon, im Gegensatz zu fast allen Zeitgenossen nicht vergessen wurde, sondern im späteren 18. und 19. Jhd. beinahe durchweg präsent war. D.h. Messiah ist sowohl "typische" Barockmusik als auch das Gegenteil, weil das Stück eben seit 250 Jahren ungeachtet der Stilwandel ankommt und nie "ausgegraben" werden musste ;)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Glory to God in the highest - fängt bei 45:52 ein bißchen dull an, entwickelt sich dann aber ab 46:34 zu einem zwar kurzen aber prächtigen Ohrenschmaus


    , Sir Colin Davis mit Chor und Orchester des Bayrischen Rundfunks



    selten häßliches Cover

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  • Ein Kellerkind zwischen all den Galaxy-class- Chorstücken ist das eher schlicht gehaltene "He trusted in god" (... that he would deliver him) - das Wort "deliver" spielt in den verschiedenen Interpretationen eine wichtige Rolle, wird es eher als "delieeeever" gesungen, kriegt das ganze Stück eine breitere, behäbigere Basis, obwohl es vergleichsweise schnell gesungen wird, wie z. B. hier



    Vokalensemble NovoCanto; Capella Savaria; Dirigent: Wolfgang Kostner



    bitte mal vergleichen mit der bei Beitrag 35 eingestellten Interpretation von Lucs (ab 1:0816), bzw. hier:


  • In der nächsten Interpretation wird "deliver" ausgesprochen, wie es sein sollte, dafür sorgt eine andere Betonung einzelner Elemente für einen unterschiedlichen Gesamtcharakter des Stückes



    Tafelmusik Baroque Orchestra and Chamber Choir (gute Güte, was für ein Name), Ivars Taurins

  • Auch "royal" im Namen sorgt nicht für Qualität: "deliver" wird zwar ordentlich ausgesprochen, ansonsten sind aber Chor oder Aufnahmetechnik unterirdisch:



    Royal Choral Society, ein Riesenchor, der möglicherweise nicht so schlecht ist, wie sich das hier anhört, weil er einfach nur schlecht aufgenommen wurde.

  • Ein weiteres Stück, das im Schatten der berühmteren Chöre steht, ist das kurze aber sehr gute Surely, He hath borne our griefs.


    Sir Collins ist ja schon oben mit einer Version vertreten, hier ist er mit einer Version mit dem London Symphony Orchester aus dem Jahre 1966, eine Aufnahme, die eine erstaunlich gute Klangqualität aufzuweisen hat (ich denke: nachbearbeitet, vermutlich durch Dolby-Rauschfilter gelaufen - aber dennoch)


    , ab 1:09:07