Ja dürfens denn das ? - Interpretation und ihre Bewertungen

  • Zitat

    Original von Ulli
    Fehlinterpretationen kommen übrigens auch daher, dass viele der heutigen Musiker [immer noch!] die italienische Bezeichnung zu Beginn des Stückes [Allegro; Andante...] zur Tempobestimmung verwenden. Im 18. Jahrhundert war es aber üblich, die Taktart in Kombination mit den Notenwerten heranzuziehen, um erst danach über eine Interpretation der Satzbezeichung nachzudenken. Vielerlei falsche Taktarten sind heute überliefert. Das Kraus-Konzert, von dem ich kürzlich berichtete, schreibt beispielsweise im Original alla breve also C mit | vor: Zwei schläge! In der Druckausgabe von ...? [Peters?] steht nur C = vier schläge. Das verlangsamt das Tempo bis auf die Hälfte und ist zudem grottenfalsch! Mozart selbst hat bei seinen Variationen Ah! Vous dirai-je, Maman! aus einem C [4/4] später einen 2/4-Takt gemacht. Das Faksimile ist ein wunderbares Zeugnis dessen, dass die Taktart als bevorzugte Tempobestimmung galt.


    Das geht ja so weit, dass auf LP- und CD-Hüllen "ohne Satzbezeichnung" steht - oder das italienische Wörtchen ohne die Taktvorzeichung, ohne die man ja eigentlich bei Bach u.a. nichts anfangen kann - eine schwer auszurottende Sache bei Musikern wie Liebhabern.
    Wahrscheinlich ist das Einfügen von Taktvorzeichnungen den Setzern nicht zuzumuten ... ?(

    Zitat

    Bei Bach z.B. finden sich Satzbezeichnungen relativ selten.


    In Form der Taktart findet sich bei Bach natürlich in jedem Stück eine Taktvorzeichnung! "3/4" z.B. - das ist die Taktvorzeichnung! Nur die italienischen Wörter, die sie modifizieren, kommen relativ selten vor. Kirnberger hat das System seines Lehrers als das differenzierteste unter allen gelobt und sich tatkräftig für seine Verbreitung eingesetzt, aber es hat nicht viel genutzt und ist den meisten bis heute nicht klar: Bei Bach steht das Tempo in der Taktart, und das italienische oder französische Wort modifiziert es, oder gibt noch zusätzliche Hinweise zur Phrasierung - z.B. eben französische. Wäre das doch nur in die Köpfe der Menschen zu bringen ....

  • Vor einigen Tagen wurde in einem andern Thread gerade DIESES Thema wieder aufgenommen, und es wurde angeregt, amn möge doch einen eigenen Thread eröffnen. Gerade als ich mich entschliessen wollte solch einen thread neu anzulegen, habe ich DIESEN gefunden, ein wenig hat er die Hauptfrage verlassen, aber das kann man korrigieren. Die Hauptfrage war, inwieweit ein Werk INTERPRETIERT werden darf, ohne, daß es die Substanz verliert, bze welche Folgen "Nichtinterpretation" - so das überhaupt möglich ist, dem Werk nützt oder schadet...
    Hilfreich - aber nicht unbedingt gefordert wären Beispiele in beide Richtungen. Ansonst wird um ein allgemeines Statement zu dieser Problematik gebeten, die ja so vermutlich immer schon evident war, wenngleich man vor zweihundert Jahren, vermutlich gar nicht wuisste was Interpretation eigentlich ist. Man spielte die Noten, und wusste über das was nicht notiert war, allgemein Bescheid.
    Heute ist das völlig anders: Vieles was einst zur "stillschweigenden Übereinkunft" zwischen Musikern gehörte ist heute vergessen und MUSS neu interpretiert werden...
    Aber wahrscheinlich war es auch soch vor 250 Jahren der Fall, daß ein und dasselbe Werk in Paris anders klang, als beispielsweise in London, Berlin oder Wien.....


    Irgendwann scheint man dann draufgekommen zu sein, daß diese Unterscihiede ihren Reiz haben können - und hat diesen Reiz kultiviert, je nach Zeit und Kulturkreis anders.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eigenartigerweise ist dieser Thread vor Jahren nicht wirklich angekommen, obwohl er eigentlich als Dauerbrenner konzipiert war. Solange ich mich zurückerinnern kann, gab es immer das Spannungsfeld "originelle" oder "mutige" Interpretation vs "akademischer Langweiler" oder "einfallsloser Notenbuchstabierer"
    im Gegensatz zu:
    "willkürlicher Werkverfälscher", "radikaler Haudrauf" vs "Uneitler Interpret im Dienst der Sache" oder "Bewahrer des Urtextes"
    etc etc.
    Wer gehört in welche Gruppe ?


    Anzumerken ist, daß die kollektive Meinung, ob "geniale" Neudeutungen erwünscht sind oder ein Sakrileg darstellem ca alle 10 Jahre wechselt,,,,,


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Somit schließt sich der Kreis und wir landen wieder beim Nikolaus H. Sein Schweinsgalopp bei Mozarts Requiem oder der G-Moll-Sinfonie KV550 finde ich dermaßen abstoßend, dass ich die Tonträger vernichtet habe.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Somit schließt sich der Kreis und wir landen wieder beim Nikolaus H. Sein Schweinsgalopp bei Mozarts Requiem oder der G-Moll-Sinfonie KV550 finde ich dermaßen abstoßend, dass ich die Tonträger vernichtet habe.


    Hach, welch eine Wut und welcher Zorn. Hätte ich Dir, lieber Siegfried, als dem gemütlichen, bedachten, gelassenem heiteren Schwaben, den ich bisher kennenlernte, gar nicht zugetraut. Mich hat N.H. auch schon enttäuscht und geärgert, z. B mit seinem zeitlich unendlich gedehnten und dadurch langweiligen Don Giovanni.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Sagitt meint:


    Aber, aber ... so was schenkt man doch seinem besten Feind. Harnoncourt ist gegen Currentzis gemächlich. Nicht kaufen!

  • Hach, welch eine Wut und welcher Zorn. Hätte ich Dir, lieber Siegfried, als dem gemütlichen, bedachten, gelassenenn heiteren Schwaben, den ich bisher kennenlernte gar nicht zugetraut. Mich hat N.H. auch schon enttäuscht und geärgert, z. B mit seinem zeitlich unendlich gedehnten und dadurch langweiligen Don Giovanni.


    Herzlichst
    Operus


    Ja, lieber Operus, wir Schwaben werden gelegentlich verkannt und des Öfteren versucht man auch, uns für dumm zu verkaufen. Doch erfahrungsgemäß gehen diese Schüsse zumeist nach hinten los. Gut, in dir einen tatkräftigen Mitstreiter zu wissen. :jubel:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Sagitt meint:


    Aber,aber...so was schenkt man doch seinem besten Feind.Harnoncourt ist gegen Currentzis gemächlich. Nicht kaufen !


    Lieber Sagitt,


    so durchtrieben bin ich dann doch nicht. Was mir nicht gefällt, kann ich nicht weiterverschenken. Gekauft habe ich diese CDs übrigens auf Empfehlung eines sog. "Experten". Dummerweise ohne vorher reinzuhören. Hab es als Lehrgeld abgebucht.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Sein Schweinsgalopp bei Mozarts Requiem...


    Das verstehe ich nicht, denn in dieser Begriff taucht im Bereich der Interpretationsanalyse meines Wissens gar nicht auf.


    Worauf bezieht sich der genau?
    Auf welchen Teil des Requiems?
    Bezieht sich die Bemerkung lediglich auf das Tempo oder auf andere Parameter des Vortrags? Wenn ja auf welche, und weshalb genau sind die unangemessen ( wenn ich das Wort "Schweinsgalopp" halbwegs richtig interpretiere) ?
    Aus welchen analytischen Überlegungen heraus wäre z.B. ein anderes Tempo angemessen?
    Wie und an welcher Stelle soll man die Partitur besser verstehen? Was hat Mozart anders gewollt, und aus welchen Gründen ist man zu der Überzeugung gelangt?
    Was wäre im Einzelnen kritisch anzumerken ( gerne mit Taktangabe) und wie sollte man es gerade an der bewussten Stelle stattdessen richtiger/besser machen?
    Auf welche Aufnahme der zwei vorhandenen Aufnahmen des Requiems bezieht sich diese wenig schmeichelhafte "Einschätzung"?


    Ich denke, dass es sehr leicht ist, irgendeinen nebulösen, stark abwertenden und eigentlich überhaupt nicht aussagekräftigen Begriff ins Netz zu schleudern.
    Es sachlich nachvollziehbar zu begründen, erfordert schon etwas mehr, und noch etwas ganz Anderes ist es, es einmal selbst zu versuchen und einem Ensemble aus Chor und Orchester klarzumachen, wo es langgehen soll.


    Harnoncourt vor jeder Kritik abschirmen zu wollen, liegt mir faktisch fern. Es gibt an seiner Mozart-Sicht Teile, die auch ich als durchaus problematisch empfinde, wie man es auch in den entsprechenden Threads nachlesen kann.
    Aber mit solchen Begriffen wie "Schweinsgalopp" etc. kann man imho ohne jede Erläuterung kaum etwas anfangen.
    Jeder, der das liest, wird eben nicht "schon wissen" was gemeint ist, sondern selbst bei einer eventuellen Zustimmung wahrscheinlich irgendetwas Anderes damit verbinden.
    Da fragt man sich manchmal, warum man denn überhaupt noch über klassische Musik redet, wenn man doch zwangsläufig aneinander vorbeireden muss. .....


    Ein Glenn Gould hat definitiv oft so gespielt, dass die Frage " darf man das" ständig auftauchen musste.
    Durfte er das?
    Ja, weil er es zunächst einmal handwerklich und auch künstlerisch außerordentlich überzeugend präsentieren konnte.
    Das, was man oft als "Verrücktheit" hätte empfinden können, wurde nie als Selbstzweck oder aus Eitelkeit heraus so gemacht, sondern es gab immer irgendeinen tieferen Aspekt des Werkverständnisses, den er damit beleuchten konnte und der einem die Augen dafür öffnete, dass eben das auch im Werk enthalten ist, was in der Tat bzw. im Wortsinn als "unerhört" und möglicherweise als schockierend und neu wirkt.
    Seine Interpretationen waren eigentlich Nachkompositionen, eine Art von Nachschöpfung, oftmals spontan und sehr unterschiedlich, je nach dem, wie er es gerade für richtig ansah.



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Harnoncourt ist gegen Currentzis gemächlich


    Eigentlich glaube ich, daß die Einwohner von Perm froh sind, Currentzis losbekommen zu haben. Ich habe 3 Jahre in Perm gelebt (lange vor Currentzis) und die Menschen dort als ausgesprochen konservativ kennengelernt. In der Kunst, der Musik, der Oper. Schon optisch paßte Currentzis nicht in das Beuteschema der alten Russen. Gut, vielleicht haben sich die Ansichten auch geändert.


    Den Stuttgartern viel Spaß für die Zukunft.


    Herzlichst La Roche


    Übrigens habe ich Currentzis mehrfach mit seinem Permer Orchester auf yt gesehen. Mich hat nichts überzeugt, optisch und akustisch nicht. Aber das ist meine Meinung.

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Das verstehe ich nicht, denn in dieser Begriff taucht im Bereich der Interpretationsanalyse meines Wissens gar nicht auf.
    Gruß
    Glockenton


    Dem kann abgeholfen werden.


    1. Worauf bezieht sich der genau?
    Wolfgang Amadeus Mozart: Requiem d-moll KV 626


    2. Auf welchen Teil des Requiems?
    1 Introitus: Requiem 4'16"
    2 Kyrie 2'40"
    3 Dies irae (Sequenz) 1'49"
    4 Tuba mirum 3'41"
    5 Rex tremendae 1'53"
    6 Recordare 6'18"
    7 Confutatis 2'38"
    8 Lacrimosa 2'54"
    9 Domine Jesu (Offertorium) 3'45"
    10 Hostias 3'01"
    11 Sanctus 1'25"
    12 Benedictus 5'14"
    13 Agnus Dei 3'18"
    14 Communio: Lux aeterna 5'22"


    3./4./5./6. Bezieht sich die Bemerkung lediglich auf das Tempo oder auf andere Parameter des Vortrags? Wenn ja auf welche, und weshalb genau sind die unangemessen ( wenn ich das Wort "Schweinsgalopp" halbwegs richtig interpretiere) ?
    Spitzfindigkeiten haben hier keinen Platz.


    7. Aus welchen analytischen Überlegungen heraus wäre z.B. ein anderes Tempo angemessen?
    Nicht analytische Überlegungen, sondern die Empfindlichkeit von Ohr und Seele sind hier relevant.


    8./9 Wie und an welcher Stelle soll man die Partitur besser verstehen?
    Das war nicht Gegenstand meiner Aussage.


    10./11. Was hat Mozart anders gewollt, und aus welchen Gründen ist man zu der Überzeugung gelangt?
    Sobald ich ein geeignetes Medium gefunden habe, werde ich Kontakt zum Genius aufnehmen und dir dann antworten.


    12./13. Was wäre im Einzelnen kritisch anzumerken ( gerne mit Taktangabe) und wie sollte man es gerade an der bewussten Stelle stattdessen richtiger/besser machen?
    Diese Frage ist objektiv nicht zu beantworten. Ein Requiem ist eine Totenmesse und ist dementsprechend würdig und getragen aufzuführen. Mein Vorschlag: Hör dir die Böhm-Aufnahme https://www.youtube.com/watch?v=-1DsJ5YQr5s an und du hast die perfekte Antwort.


    14. Auf welche Aufnahme der zwei vorhandenen Aufnahmen des Requiems bezieht sich diese wenig schmeichelhafte "Einschätzung"?
    Die Teldec-Aufnahme von 1981 mit Rachel Yakar, Ortrun Wenkel, Kurt Equiluz, Robert Holl, Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, Concentus Musicus Wien.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ein Requiem ist eine Totenmesse und ist dementsprechend würdig und getragen aufzuführen.


    Wenn es Eigenschaften gibt, die Mozarts Requiem nicht hat, dann "würdig und getragen". Und Kirchenmusik im engeren Sinne ist es natürlich auch nicht. Dass sich das bei Böhm so anhört, wundert mich nicht, aber zu Böhms Mozart-Verständnis hat Stimmenliebhaber an anderer Stelle schon alles Nötige gesagt. :thumbdown: Harnoncourt kommt dem Stück da schon wesentlich näher, wobei beide Aufnahmen ihre Vorzüge haben.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • An diesem "Kontra um des Kontra willen" werde ich mich nicht beteiligen. Mag doch jeder seine Meinung haben, ich habe die meinige und lebe gut damit.
    Und wer hier glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, möge damit glücklich sein.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • An diesem "Kontra um des Kontra willen" werde ich mich nicht beteiligen. Mag doch jeder seine Meinung haben, ich habe die meinige und lebe gut damit.


    Lieber Siegfried, ich würde es mal so sagen wollen: Wenn eine Interpretation nur auf Kosten einer anderen gewürdigt wird, will mir das nicht in den Sinn. Mozarts "Requiem" ist nach meinem Verständnis sehr wohl auch "würdig und getragen" denkbar. Legionen von Dirigenten haben das vorgemacht. Sollen die sich alle geirrt haben?

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wenn eine Interpretation nur auf Kosten einer anderen gewürdigt wird, will mir das nicht in den Sinn.

    "Siegfried" tut genau das, indem er Harnoncourt heruntermacht und Böhms Interpretation im Gegensatz dazu als dem Werk einzig angemessene hinstellt:


    Somit schließt sich der Kreis und wir landen wieder beim Nikolaus H. Sein Schweinsgalopp bei Mozarts Requiem oder der G-Moll-Sinfonie KV550 finde ich dermaßen abstoßend, dass ich die Tonträger vernichtet habe.

    Ein Requiem ist eine Totenmesse und ist dementsprechend würdig und getragen aufzuführen. Mein Vorschlag: Hör dir die Böhm-Aufnahme https://www.youtube.com/watch?v=-1DsJ5YQr5s an und du hast die perfekte Antwort.

    Auf Glockentons Nachfrage, wie er seine Kritik an Harnoncourts schnelleren Tempi begründe, wusste er neben obiger, m. E. höchst fragwürdiger Aussage nur zu antworten, dass "Empfindlichkeit von Ohr und Seele" hier relevant seien. Nun, die Empfindlichkeit meines Ohrs und meiner Seele sagen mir, dass Harnoncourt dem Wesen dieses Werks erheblich näher kommt als Böhm. Und nun?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Und nun?


    Tja - Da gibt es keine Antwort darauf, ausser daß eben Harnoncourt - und nach ihm zahlreiche andere - mit Interpretationstraditionen bricht.
    Wer Traditionen bricht, der poloarisiert - im günstigsten Falle.
    Im ungünstigsten Falle verschwindet er rasch in der Versenkung.
    Böhm war fest verwurzelt in der Tradition, verfeinerte aber die Werke durch seine minutiöse Interpretation.
    Er war auch in seiner Generation und generell zu Lebzeiten anerkannt.
    Harnoncourt galt lange als Aussenseiter, der vermutlich durch seine gesellschaftlichen Kontakte seine Ideen durchsetzen konnte
    Erst folgenden Generationen stellten Böhm in Frage.
    Und jetzt schreib ich es mal - wie ich es subjektiv empfinde:
    Manchmal hinterfragt man selbst kritisch, ob man nicht in der Tat einen "veralteten" Geschmack hat.
    Dann aber betrachte ich mal das, was gemeinhin als "heutige Gesllschaft" mit "zeitgemäßem Lebensstil gesehen wird.
    Leute, die vorzugsweise in Jeans daherlaufen und sich von Fast food ernären, die im billigsten Supermarkt einkaufen, die sich mit Gehältern zufriedengeben, für die wir nicht mal einen Finger gerührt hätten, die überteuerte "Bio"ware einkaufen und "Fair Trade", wo man ihnen einredet, da würden die "Bauern in Afrika - oder sonstirgendwo" gerecht bezahlt. In der Realität handelt es sich dabei lediglich um qualitativ minderwertige Ware, die eigentlich "unverkäuflich" sein sollte. Dieselbe Generation steht vor "Gemälden" wo irgendjemand irgendwelche Farben hingepatzt hat oder in günstigeren Fällen Geometrische Figuren hingepinselt hat. Man hört Dichterlesungen mit Gedichten die sich nicht reimen, kocht Phantasiegerichte, die irgendwo von "Promiköchen" veröffentlicht wurden und wohnt im Wohnngen die schon billig für sie eingerichtert wurden, denn der Mitverrtag läuft sowieso in 3 Jahren aus. Ich könnte das noch weiter ausführen, aber für meine Zwecke der Demonstration reicht das.


    Das sind jene Leute, die Böhm als "langweilig" abtun und Karajan ablehnen (warum. das habe ich momentan nicht gegenwärtig)
    Und hier sage ich mir - im musikalischer Hinsicht: Mit diesen Leuten werde ich geschmacklich nie Konsens erziehlen können, denn unser Weltbild - und was wir uns vom LEben erwarten . ist ein völlig anderes. Und selbst wenn ich mich bemühe das zu akzeptieren, so wird es auf der Gegenseite immer wieder aggressive Spitzen geben, ganz einfach, weil unser Lebensstil und die Klangfarbe unserer Sprache von den meisten als arrogant empfunden wird.


    Musikalischer Geschmack ist davon ebenfalls betroffen


    mfg aus Wien
    Alfred



    Um von Böhm - offenbar ein Reizthema - wgzukommen.

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Böhm war fest verwurzelt in der Tradition, verfeinerte aber die Werke durch seine minutiöse Interpretation.

    Ich schätze Böhm auch sehr, lieber Alfred (und Glockenton glaube ich auch, bei Schubert z.B. ist er seine Referenz, das hat er immer wieder geschrieben). Nur die Frage ist natürlich: Verwurzelt in welcher Tradition? Sicher, Harnoncourt bricht mit dieser Aufführungstradition, der etwa Böhm und auch Karajan verpflichtet sind. Aber gleichzeitig knüpft er damit ja auch wieder an eine - ältere - Tradition an, nämlich die aus dem Barock herkommende musikalische Rhetorik mit ihrer sehr "sprechenden" Phrasierung und dramatisierenden Agogik. Da steht dann also Tradition gegen Tradition. Manchmal kann eben die Erinnerung an eine (hier: ältere) Tradition bewirken, den Blick darauf lenken, was eine etablierte Tradition verschüttet hat. Ich selbst finde Interpreten, die sich um Aufführungstraditionen durchaus nicht scheren, in den wirklich bedeutenden Fällen die beglückendsten. Beim Klavier fallen mir da jetzt Titanen wie Claudio Arrau, Arturo Benedetti Michelangeli oder Svjatoslav Richter ein. Interpreten, die Ansprüche stellen und an denen man sich manchmal reiben kann, sind mir lieber, als die aalglatten, die alles konformistisch "richtig" machen wollen. (Das bezieht sich jetzt natürlich nicht auf Böhm oder Karajan, denn beide waren alles Andere als Konformisten.)



    Leute, die vorzugsweise in Jeans daherlaufen und sich von Fast food ernären, die im billigsten Supermarkt einkaufen, die sich mit Gehältern zufriedengeben, für die wir nicht mal einen Finger gerührt hätten, die überteuerte "Bio"ware einkaufen und "Fair Trade", wo man ihnen einredet, da würden die "Bauern in Afrika - oder sonstirgendwo" gerecht bezahlt. In der Realität handelt es sich dabei lediglich um qualitativ minderwertige Ware, die eigentlich "unverkäuflich" sein sollte. Dieselbe Generation steht vor "Gemälden" wo irgendjemand irgendwelche Farben hingepatzt hat oder in günstigeren Fällen Geometrische Figuren hingepinselt hat. Man hört Dichterlesungen mit Gedichten die sich nicht reimen, kocht Phantasiegerichte, die irgendwo von "Promiköchen" veröffentlicht wurden und wohnt im Wohnngen die schon billig für sie eingerichtert wurden, denn der Mitverrtag läuft sowieso in 3 Jahren aus. Ich könnte das noch weiter ausführen, aber für meine Zwecke der Demonstration reicht das.

    Da frage ich mich: Wo ist der Bezug zu Harnoncourt? Sind alle Leute, die moderne Malerei lieben und fair gehandelten Bio-Kaffe trinken, gleich Harnoncourt-Enthusiasten? Ich z.B. durchaus nicht. :D Mit seiner letzten Beethoven-Aufnahme konnte ich mich nicht wirklich anfreunden (habe ich auch im entsprechenden Thread auch geschrieben!).


    Einen schönen Sonntag wünscht
    Holger

  • Und jetzt schreib ich es mal - wie ich es subjektiv empfinde:
    Manchmal hinterfragt man selbst kritisch, ob man nicht in der Tat einen "veralteten" Geschmack hat.
    Dann aber betrachte ich mal das, was gemeinhin als "heutige Gesllschaft" mit "zeitgemäßem Lebensstil gesehen wird.
    Leute, die vorzugsweise in Jeans daherlaufen und sich von Fast food ernären, die im billigsten Supermarkt einkaufen, die sich mit Gehältern zufriedengeben, für die wir nicht mal einen Finger gerührt hätten, die überteuerte "Bio"ware einkaufen und "Fair Trade", wo man ihnen einredet, da würden die "Bauern in Afrika - oder sonstirgendwo" gerecht bezahlt. In der Realität handelt es sich dabei lediglich um qualitativ minderwertige Ware, die eigentlich "unverkäuflich" sein sollte. Dieselbe Generation steht vor "Gemälden" wo irgendjemand irgendwelche Farben hingepatzt hat oder in günstigeren Fällen Geometrische Figuren hingepinselt hat. Man hört Dichterlesungen mit Gedichten die sich nicht reimen, kocht Phantasiegerichte, die irgendwo von "Promiköchen" veröffentlicht wurden und wohnt im Wohnngen die schon billig für sie eingerichtert wurden, denn der Mitverrtag läuft sowieso in 3 Jahren aus. Ich könnte das noch weiter ausführen, aber für meine Zwecke der Demonstration reicht das.


    Das sind jene Leute, die Böhm als "langweilig" abtun und Karajan ablehnen


    Alfred, das ist einfach köstlich und macht meinen Sonntag!!!!! :jubel:


    Was mich nun angeht, bin ich ja gar keine strenger Parteigänger von Böhm. Mitnichten! Ich höre mich doch auch aktuell ständig um und gehe in Konzerte und habe dort betörende Erlebnisse. Mir liegt nur daran, dass sein Werk anerkannt wird und nicht verteufelt, um etwas anderes, was nach ihm kam, hoch leben zu lassen. Es gab ja an anderer Stelle sogar die Vermutung, dass, wer Böhm schätzt, offenkundig zu viel Operette höre. Dieser Vatermord ist doch völlig unnötig und gereicht auch nicht den neuen Göttern zur Zierde. Eher schadet es ihnen. Nicht ganz zufällig höre ich dieser Tage den "Tristan" unter Böhm von 1966 aus Bayreuth in zweierlei technischer Ausführung. Er ist in dieser Edition eben erst auf dem Markt gekommen:



    Obwohl ich diese Aufnahme in der ursprünglichen Ausführung, die auch schon gut klingt, seit vielen Jahren nicht mehr gehört hatte, bin ich erschüttert, wie es dem Böhm gelingt, mich hineinziehen in den Sog dieser Musik. Wo manch anderer in der Sonne an der Oberfläche herumplanscht und schöne Wellen schlägt, dringt er in die dunklen Tiefen vor. Nach all dem, was ich in letzter Zeit gehört und gesehen habe, entdecke ich Böhm als einen der - nach meinem Empfinden - besten Sachwalter Wagners im 20. Jahrhundert.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Harnoncourt galt lange als Aussenseiter, der vermutlich durch seine gesellschaftlichen Kontakte seine Ideen durchsetzen konnte
    Erst folgenden Generationen stellten Böhm in Frage.
    Und jetzt schreib ich es mal - wie ich es subjektiv empfinde:
    Manchmal hinterfragt man selbst kritisch, ob man nicht in der Tat einen "veralteten" Geschmack hat.
    Dann aber betrachte ich mal das, was gemeinhin als "heutige Gesllschaft" mit "zeitgemäßem Lebensstil gesehen wird.
    Leute, die vorzugsweise in Jeans daherlaufen und sich von Fast food ernären, die im billigsten Supermarkt einkaufen, die sich mit Gehältern zufriedengeben, für die wir nicht mal einen Finger gerührt hätten, die überteuerte "Bio"ware einkaufen und "Fair Trade", wo man ihnen einredet, da würden die "Bauern in Afrika - oder sonstirgendwo" gerecht bezahlt. In der Realität handelt es sich dabei lediglich um qualitativ minderwertige Ware, die eigentlich "unverkäuflich" sein sollte. Dieselbe Generation steht vor "Gemälden" wo irgendjemand irgendwelche Farben hingepatzt hat oder in günstigeren Fällen Geometrische Figuren hingepinselt hat. Man hört Dichterlesungen mit Gedichten die sich nicht reimen, kocht Phantasiegerichte, die irgendwo von "Promiköchen" veröffentlicht wurden und wohnt im Wohnngen die schon billig für sie eingerichtert wurden, denn der Mitverrtag läuft sowieso in 3 Jahren aus. Ich könnte das noch weiter ausführen, aber für meine Zwecke der Demonstration reicht das.


    Ja, lieber Alfred, das war als Demonstration Deiner rückwärtsgewandten Weltanschauung völlig ausreichend. ;) Was das mit Harnoncourt zu tun hat, erschließt sich mir allerdings ebensowenig wie Holger. Ich zum Beispiel finde mich in Deiner Beschreibung nur teilweise wieder, bin andererseits aber auch kein kritikloser Anhänger von Harnoncourt. Dass ich seinen Mozart überragend finde, seinem Beethoven aber nur wenig abgewinnen kann, liegt dann womöglich daran, dass ich zwar im Bioladen einkaufe, aber nie in billigen Wohnungen gelebt habe. Oder ist es umgekehrt? Oder liegt es vielmehr daran, dass ich zeitgenössische Kunst schätze, aber von Fast Food die Finger lasse? Du wirst es wissen.


    Die Zeiten, in denen Harnoncourt Außenseiter war, sind nun wirklich lange vorbei. In den letzten Jahrzehnten seines Lebens war er "Mainstream", hat die Wiener Philharmoniker dirigiert, war ein umjubelter Star bei den Salzburger Festspielen und leitete sogar das Jubiläumskonzert der Gesellschaft der Musikfreunde - etablierter in der bürgerlichen Kulturszene Österreichs kann man kaum noch sein (vom Ausland gar nicht zu reden).


    Und was hat das nun alles der Frage zu tun, ob die Tempi in Harnoncourts Aufnahme des Mozart-Requiems zu schnell sind oder nicht?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich bin in der Tat "Parteigänger von Böhm. Er stell für mcih das non plus Ultra eines Dirigenten dar - in dem von mir gemochten Genre - und teilweise darüber hinaus. Als ich jung war, habe ich mich über jeder Richard Strauß Aufnahme geärgert, den ich nicht mochte, und sagt: Er soll doch bitte Mozart aufnehmen - und nicht sien Teit mit Richard Strauß verplempern . wer weiß wie lange er noch lebt. In der Tat wollte Böhm noch eineml alle Sinfonien Mozarts aufnehmen - mit den Wier Philharmonikern. In der Tat kam das Projekt aber nicht über 3 oder 4 Langspielplatten hinaus. Böhm hat in seinen letzten Jahren, wenn er über Zukunftsprojekte sprach, immer wieder den Satz; "Wenn ich es noch erlebe" angefügt. Sein zweites Mozart-Sinfonien-Projekt (mit den WIENER Philharmonikern) hat er nicht mehr erlebt. Das ist schade, denn die wenigen bereits vorhandenen Aufnahmen bezeugen, daß die leichten Schwächen der Berliner Einspielung hier nicht existieren. Das bezieht sich vor allem auf das leicht kernigere Klangbild, nicht auf die Güte der Orchester. Es gibt aber zumndest die Sinfonien 29+35+38+39+40+41.
    Bei Karajan muß ich dsage, daß ich mit sicherheit kein Parteigänger bin. Es mag in diesem Zusammenhang erstaunen,warum ich ihn dann immer wieder verteidige wie ein Löwe. Die Ursache ist, daß die Kritik, die man seiner Person entgegenbringt in der einst dominierenden Rolle, die dieser (Halb?)gott unter den Dirigenten einst spielte, und seine Affinität zu den "Reichen und Schönen"
    Heute punktet man als Musiker eher, wenn man in irgendeinem Dorf Kammermusik mit Nachwuchskünstlern aus aller Welt macht und irgendwann dann ein Festivel gründet, wo auch jene willkommen sind, die sich gern in Sack und Asche kleiden - unser Zeitgeist eben, der indes allmählich verblasst.


    Ja, lieber Alfred, das war als Demonstration Deiner rückwärtsgewandten Weltanschauung völlig ausreichend.

    Wenn man die Erdkugel einmal auf grader Linie umquert, dann erlebt man das in der Tat verwirrende Phänomen, daß jene Landschaft (Stadt, Eiffelturm etc. oder was auch immer)die man beim Start hinter sich gelassen hat, plötzlich wieder vor einem auftaucht. So wie es derzeit aussieht wird mein Weltbild bald nicht mehr als rückwärtsgewandt sondern eher als zukunftsorientiert gelten. Gut zu sehen am jungen (!!!) österreichischen Aussenminister, den viele schon als künftigen österreicheische Bundeskanzler sehen (wollen) und der ziemlich unwidersprochen in Europa auftritt, als wäre er Präsident der vereinigten Staaten von Europa.


    Wir werden (vermutlich) sehr bald mit einem erzkonservativem Amerika konfrontiert werden. Japan ist is ebens - vor allem auf dem Gebiet der Kultur, zahlreiche, bei uns längst "abeschriebne" Interpreten geniessen in Japan noch heute höchstes Ansehen, ihre Aufnahmen muß man von dort um teures Geld importieren.


    Im übrigen bin ich in mancher Hinsicht moderne, als man hier vermuten möchte, aber ich versuche, die Balande zwischen allzu Progressiv und konservativ zu wahren.
    Denn naturgemäß (ich habe das erst zu spät erkannt) finden sich in Foren stets die progressiven Kräft, bzw sind sie am aktivsten. Das führt IMO zu einem verzerrten Weltbild. Käme ich als Mitleser in mein Tamino Klassikforum, dann hätte ich den Eindruck eines sehr vom Zeitgeist geprägten Forums. Diesen Eindruck möchte ich keinesfalls vermitteln, denn derzeit ist in der realen Welt mehr vohranden als man gemeinhin annehmen darf. Wo aber bitte sind sie denn alle die Konservativen, die am althergebrachten hängen ??? (Die Frage habe ich mir LANGE gestellt)
    Ein Teil davon besitzt kein Internet oder nicht mal einen Computer, ein Teil sitzt am Bildschirm, nickt zufreden zu meinen Ausführungen, und denkt nicht in Traum daran sich irgendwo irgendwie aktiv zu betätigen oder zu äussern. Ich habe Leute kenengelernt, die gut 15-20 Jahre jünger waren als ich, die riesige Schallplattensammlungen (vorzugsweise Vinyl)besitzen und mir stolz erklärten, die hätten weder Internet, noch Computer, noch Fernseher....


    Und was hat das nun alles der Frage zu tun, ob die Tempi in Harnoncourts Aufnahme des Mozart-Requiems zu schnell sind oder nicht?


    Es hat mit Harmoncourt ALLGEMEIN zu tun, denn nur auf dem von mir geschilderten Unfeld konnte er sich entwickeln - vorher war er ausgegrenzt-
    Im übrigern wil ich hier kein Harnoncourt-Bashing betreiben, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag.
    Ich halte ihn indes für eine Zeiterscheinung, eine Figur an der man nicht kommentarlos vorbeigegen kann (Das hätte er selbst auch nicht gewollt)
    WAs ich ihm indes nicht glaube, ist, daß er die Klanbilder des 18. und 19 Jahrhunderts wiederentdeckt hat. Irgendwie erinnern mich seine Interpretationen - und MEHR NOCH die seiner Nachahmer ans Regiethether. Hauptsache ANDERS, wobei man HÄSSLICHKEIT ganz bewusst in Kauf nimmt.
    (Letzter Satz war an Hr. Dr. Kaletha als Antwort auf seine Bemerkungen mit den verschiedenen Traditionen gemünzt)


    Daß sich Bertarido in meinen Beschreibungen nicht - oder nur teilweise wiederfindet, liegt daran, daß ich ja nicht EINEN Menschtyp dargestellt - sondern - in aller Kürze - mehrere.
    Was haben beispielsweise Personen die in abgetragenen Jeans und verwaschenen Tshirt auch zu Klassikeireignissen erscheinen, mit jenen zu tun, die "Designerklamotten" tragen, wo man allenfalls am Etikett erkennen kann, daß sie teuer waren, zu tum ? - Beides sind Typen die dem "Zeitgeist" entsprechen, wogegen "Bildungsbürger", "Elite", "Nationalstolz" heute Negativbegriffe sind und der Begriff "Ehre" zumindest ins Zwielicht geraten ist :baeh01:


    mfg aus Wien
    Alfred


    PS: Ich werde in Zukunft mehr Smileys setzen um meine Beiträge zu "entschärfen" - denn Humor und das erkennen feiner Ironie sind auch nicht ausgesprochene Tugenden unseres Zeitgeistes.... :hahahaha:

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Im übrigern wil ich hier kein Harnoncourt-Bashing betreiben, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag.
    Ich halte ihn indes für eine Zeiterscheinung, eine Figur an der man nicht kommentarlos vorbeigegen kann (Das hätte er selbst auch nicht gewollt)
    WAs ich ihm indes nicht glaube, ist, daß er die Klanbilder des 18. und 19 Jahrhunderts wiederentdeckt hat. Irgendwie erinnern mich seine Interpretationen - und MEHR NOCH die seiner Nachahmer ans Regiethether. Hauptsache ANDERS, wobei man HÄSSLICHKEIT ganz bewusst in Kauf nimmt.


    Gerade das ist es, was mir an Harnoncourt überhaupt nicht gefällt. Einerseits hatte er zweifelsohne das Bestreben, Musik auf den Instrumenten der zugehörigen Zeitepoche zu präsentieren. Das Spiel auf historischen Instrumenten verfehlt aber andererseits bei mir jede moralische Berechtigung, wenn er auf der Bühne zuläßt, daß modernste Bühnenbilder und modernste Kostüme vorgeführt werden. Ich empfinde das als Heuchelei, historische Aufführungspraxis im Orchestergraben zu zelebrieren, wenn sich das im Bühnengeschehen nicht widerspiegelt. Deshalb habe ich nie einen Draht zu Harnoncourt gefunden.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Harnoncourt galt bis etwa Anfang der 1980er als "Außenseiter" (und bei Alfred vielleicht noch ein bißchen länger), aber er hat schon seit um 1970 so viele vielbeachtete Einspielungen gemacht, seit Mitte der 1970er auch "traditionelle" Orchester dirigiert, dass man einen gewissen Anspruch auf "Außenseiterstatus" hat, wenn man Harnoncourt danach noch partout als Außenseiter einordnen will.


    Ich habe nur mal schnell die Spieldauern überflogen (und nur den Introitus angehört, zu mehr fehlt mir gerade die Zeit).
    Von allen Tempi Harnoncourts im Requiem (1981) sind genau zwei deutlich zügiger als "üblich" (vgl. mit Bruno Walter 1956, Peter Schreier 1982 und Hogwood 1983), nämlich der Introitus mit 4:16 statt etwa 5 min. und das Hostias (3:01 statt 4:30-5 min). Die anderen Tempi weichen selbst gegenüber der 60 Jahre alten Einspielung Walters meist nur im Rahmen von etwa 10-15 sec. ab (durchaus in beide Richtungen!), also praktisch kaum ein Unterschied. Nur beim Domine Jesu Christe ist Walter auch deutlich langsamer (aber Schreier etwa wie Harnoncourt und Hogwood ein paar Sekunden schneller).


    D.h., was auch immer bei Harnoncourt anders oder ungewohnt ist, es sind mit Ausnahme von zwei von vierzehn Abschnitten nicht die Tempi. Und Fricsay brauchte Anfang der 1950er 4:34 min für den Introitus, liegt also recht nahe an Harnoncourt, ist dafür in einigen späteren Sätzen anscheinend viel langsamer als nicht nur Harnoncourt, sondern auch Walter oder Schreier; ein "Extremist" wie Scherchen braucht 1958 für den Introitus etwa 7 min, das ist so lange wie Fricsay für Introitus+Kyrie zusammen!


    Das sind größtenteils also Unterschiede, die sich alle schon ähnlich in Aufnahmen lange vor oder unabhängig von Harnoncourt finden lassen. Das kann man je nach Einzelfalls gelungener oder weniger gelungen finden, aber es ist einfach Unsinn (und riecht stark nach Kontra um des Kontra willen...) so zu tun, als ob Harnoncourts Aufnahme hier deutlich und durchweg aus dem Rahmen fallen würde. (Sie ist überdies mit dem inhomogen und wenig durchsichtig klingenden Staatsopernchor in "bester Gesellschaft" mit Böhm und Co, leider...)
    http://www.deutschegrammophon.com/en/cat/4454082


    Ich finde es zu begrüßen, wenn bei tiefgründigen und schwierigen Werken (und das Mozart-Requiem ist aufgrund der fragmentarischen Gestalt ein besonders heikler Fall), viele unterschiedliche Interpretationen ausprobiert werden. Zu meinen, irgendjemand habe das 1965 genau richtig gemacht und seitdem sei alles falsch ist schlicht nicht diskussionswürdig...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Käme ich als Mitleser in mein Tamino Klassikforum, dann hätte ich den Eindruck eines sehr vom Zeitgeist geprägten Forums.


    Mein Eindruck, als ich zum ersten Mal in das Forum kam, war hingegen das eines sehr konservativen Zirkels (mit einigen wenigen Ausnahmen). :hahahaha: Erstaunlich, dass mich das nicht abgeschreckt hat. Von einer Dominanz des "Zeitgeistes" (was auch immer das ist) kann hier bestimmt keine Rede sein.


    Wenn man sich ältere Beiträge anschaut, dann relativiert sich das nach meinem Empfinden etwas, früher scheint der Teilnehmerkreis etwas anders zusammengesetzt gewesen zu sein.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Irgendwie erinnern mich seine Interpretationen - und MEHR NOCH die seiner Nachahmer ans Regiethether. Hauptsache ANDERS, wobei man HÄSSLICHKEIT ganz bewusst in Kauf nimmt.
    (Letzter Satz war an Hr. Dr. Kaletha als Antwort auf seine Bemerkungen mit den verschiedenen Traditionen gemünzt)

    Da kommt der Philosoph, lieber Alfred, auf Oswald Spengler und sein Buch "Der Untergang des Abendlandes" und die Kritik daran. Diese Art der Kulturphilosophie arbeitet bezeichnend mit sehr gewagten Analogien und weitesten Verallgemeinerungen. Diese "Methode" scheint so ein bisschen durch in Deinem analogisierenden Vergleich mit Harnoncourt, Regietheater und der "Ästhetik des Hässlichen". Ich sehe bei Harnoncourt diesen Aspekt allerdings nicht. Sicher, bei Harnoncourt ist vieles oft knallig und dramatisch aufgeputscht. Aber deshalb häßlich? Ist das nicht viel eher Wirkungsrhetorik, die packen, erschüttern, aufrütteln will?



    Ich habe nur mal schnell die Spieldauern überflogen

    Ich finde ja lustig, lieber Johannes, wie sich diese "Irrtümer", was die Zeitwahrnehmung angehen, wiederholen. Einst meinte mal jemand hier in Bezug auf Horowitz, er spiele das Finale der Trauermarschsonate von Chopin unerträglich schnell. Dann habe ich die Spielzeiten aufgelistet und es zeigte sich: Horowitz liegt eher im Mittelfeld. Dasselbe bei Harnoncourt und dem Mozart-Requiem und einem Chopin-Walzer und Lipatti aktuell. Tja... :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Harnoncourt galt bis etwa Anfang der 1980er als "Außenseiter" (und bei Alfred vielleicht noch ein bißchen länger), aber er hat schon seit um 1970 so viele vielbeachtete Einspielungen gemacht, seit Mitte der 1970er auch "traditionelle" Orchester dirigiert, dass man einen gewissen Anspruch auf "Außenseiterstatus" hat, wenn man Harnoncourt danach noch partout als Außenseiter einordnen wil


    Ich habe mich mit Harnoncourt nicht allzuviel befasst (besitze aber eigenartigerweise viele Aufnahmen mit ihm, vor allem mit den Concentus Musicus) aber irgendwie kommt mir sein Pholosophie doppelzüngig vor:
    Ursprünglich spielte er mit dem Concentus musicus auf Originalinstrumenten, wobei manches klang wie jaulende Hunde. Irgendwann, die "Originalinstrumente-Welle" war , soweit ich mich erinnern kann, verließ Harnocout diese Schiene und begann "moderne" (oder besser gesagt "romantische") Orchester zu dirigieren. Das war natürlich der Presse nicht verborgen geblieben, und man befragte ihn diesbzüglich mit unverkennbar hämischem Unterton. Harnoncourt war indes nicht in Verlegenheit zu bringen, Es ginge (plötzlich !!) nicht um die Wahl der Instrumente, sondern um die Art sie zu spielen. Man spiele die neuen Instrumente wie alte und erreiche damit ein Höchstmaß an Authenzität!! Ich habe ihm nie geglaubt und tue das auch heute nicht. Inzwischen erschienen Orchester mit Originalinstrumenten auf der Bildfläche, die überhaupt nicht harsch klangen (Trevor Pinnock mit "The English Concert" oder die "Akademie für alte Musik",Berlin. Irgendwo in einer Klassikzeitschrift kam dann auch diese Frage aufs Tapet, und die Antwort war - man höre und staune - die Musiker vor 10 oder 15 Jahren, hätten mit den alten Instrumenten noch nicht umzugehen gewusst - sie mussten von vorne beginne - und das Handling lernen. Inzwischen waren zahlreiche "konventionell" spielenden Orchester ins out gedrängt, unter anderem die einst viel gepriesen "Academy of St. Martin in the Fields" unter Neville Marriner. Alles was wir seit Jahren von Mozart kannten war plötzlich (angeblich) historisch uninformiert und falsch. Synchron zu dieser angeblich historischen Bewegung entstand das Regietheater, das vorgab, die Opern der Vergangenheit dem Publikum von heute verständlich zu machen und näher zu bringen. (wir hatte einst ein "Kotz"-Smiley im Forum. WO iST ES ???) :stumm::hahahaha:


    mfg aus Wien
    Alfred

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  • Ich habe hier schon viel gelesen, aber eine solch peinliches Dokument einer argumentativen Hilflosigkeit kommt einem auch nicht alle Tage unter.


    Siegfried bezeichnete die Interpretation des Mozart-Requiems durch Harnoncourt pauschal als "Schweinsgalopp".
    Auf meine Nachfrage, worauf genau sich diese volkstümliche Art der Interpretationsbesprechung beziehe, und woran er seine Kritik denn spezifisch festmache, erhalte ich als Antwort erst einmal eine penible, sekundengenaue Abschrift der einzelnen Tracks einer CD (!)
    Wenn man inhaltlich nichts zu sagen hat, versteckt man sich hier also hinter formal korrekten Titel- und Zeitangaben....
    Wen soll denn das überzeugen? Das ist nicht nur dünn, sondern eigentlich nichts.


    Eine Interpretation eines Meisterwerks besteht aus vielen Bestandteilen, wovon das Tempo nur eines von vielen ist.
    Wenn man also etwas an der Aufführung loben oder kritisieren will, dann sollte man - gerade wenn man derart drastisch wie er verreißt- doch wenigstens benennen können, worauf man sich bezieht. Man könnte sagen (nur als Beispiel) : " der Chor lässt es im Kyrie an Intonationsreinheit vermissen, und zwar die Soprane an bestimmten Stellen", wobei man das auch nur dann anführen wird, wenn man diese Dinge tatsächlich hören kann.
    Solche elementar wichtigen Parameter wie Klangbalance, Artikulation, Phrasierung, Dynamik im Kleinen und Großen, atmende Pausen, Zusammenspiel, Gestik, Textausdeutung uvm. werden von Siegfried wie folgt zusammengefasst :" Spitzfindigkeiten".
    Diese hätten "hier keinen Platz." Wenn dem so wäre, dann könnte man in einem Kompositionsforum nicht über eine Partitur/ über einen Choralsatz sprechen, dann hätten in einem Kochforum Zutatenlisten und Zubereitungsanweisungen ebenfalls "keinen Platz" und in einem Hundeforum wäre das Stichwort Hundefutter ebenfalls unter diese irrelevanten Details.
    Wenn ein Juror in der ZDF-Küchenschlacht seine Geschmackseindrücke und Bewertungen von sich gibt (zu salzig, zu labberige Struktur....), dann wären das dieser Logik folgend wohl auch Spitzfindigkeiten.


    "Empfindlichkeiten von Ohr und Seele" sind für Siegfried relevant, jedoch "nicht analytischen Überlegungen?


    OK, das kann ja jeder persönlich und subjektiv so halten wie er will. Niemand ist gezwungen, eine Interpretationsanalyse vorzunehmen (eine gute Werkanalyse sollte dem eigentlich vorausgehen) , und jeder kann (wie bei Facebook) sagen "das gefällt mir" und "das gefällt mir nicht".
    Dann muss man sich aber auch gefallen lassen, das so ein Beitrag als "dem Niveau von gewissen Facebook-Kommentatoren nicht unähnlich" bewertet wird, vor allem wenn man das Wort "Schweinsgalopp" verwendet.
    In den sozialen Medien liest man ja täglich bei politischen Inhalten wahnsinnig aussagekräftigen Kommentare wie "Dünnschiss, was Du da laberst. Für so etwas gibt es Ärzte!" Nun ja, pöbeln liegt im Zeitgeist - damit müssen wir wohl leben.
    Aber die musikalische Klassik ist ja deswegen klassisch, weil sie eben eine zeitlose Qualität innehat, bzw. eine Qualität, die die Zeiten überdauert. Ich finde, dass es durchaus einem Klassikforum nicht schadet, wenn man diesem Tatbestand auch in seinen Bemerkungen über Interpretationen irgendwie doch Rechnung trägt, auch wenn einem diese Interpretationen ggf. nicht gefallen.
    Zudem spricht die Aussage "Empfindlichkeiten von Ohr und Seele sind relevant" anderen Musikhörern, die in diesem Fall die Harnoncourt-Fassung des Requiems nicht pauschal als "Schweinsgalopp" bewerten, eben jene relevante "Empfindlichkeit von Ohr und Seele ab".
    Die eigene subjektive Auffassung wird dann zum Maßstab. Ich beobachte in den Online-Diskussionen unserer Zeit eine genaue in diese Richtung gehende Tendenz, und ich finde das bedenklich. Ein wirklicher Dialog kommt so niemals zustande.


    Wenn man eine Gesamtinterpretation des Requiems pauschal-negativ als "Schweinsgalopp" bezeichnet, dann ist die Behauptung, dass man an - in diesem Fall sogar allen Stellen - die Partitur anders zu verstehen habe, ein fundamentaler Bestandteil der eigenen, despektierlichen Aussage und der eigenen Auffassung dieser Musik.
    Wenn man diesen klaren logischen Schluss schlechthin verleugnet, dann ist das nur eines: schwach.


    Jeder klassischer Musiker und auch jeder klassischer Hörer stellt sich tagtäglich die Frage, wie es der Komponist wohl wirklich gemeint hat. Dem Hörer wird diese Frage wichtig, wenn er von ein und demselben Werk verschiedene Interpretationen nacheinander hört. Dabei fällt ihm auf, dass es so unterschiedlich klingen kann, dass man fast nicht glauben kann, es handele sich um dasselbe Werk.
    Der ernsthafte Musiker/Interpret stellt sich also diese Frage ständig. Es liegt in der Natur der Sache, dass bei jedem dennoch etwas Anderes herauskommen muss. Aber auf dem Weg zu diesem oder jenem Ergebnis gibt es eine große Menge von Begründungen und Abwägungen.
    Diese Thematik aber so abzutun " Sobald ich ein geeignetes Medium gefunden habe, werde ich Kontakt zum Genius aufnehmen und dir dann antworten" lässt einen Abgrund von Unverständnis für diese Prozesse des Musizierens erahnen. Der Versuch, sich hier mit Schnoddrigkeit irgendwie zu befreien, ist durchschaubar, und er scheitert in der Tat kläglich.


    Dann kommt auf die Frage, wie man es an welcher Stelle denn besser machen sollte ein lapidarer Youtube-Link.
    Darauf kann ich nur noch mit Sarkasmus reagieren und dieses Icon dazusetzen : :no:
    Machs wie der Böhm, passtscho - also wirklich!
    Abgesehen davon, dass Böhm als echter Künstler sicher sehr viel dagegen hätte, dass Leute seine Interpretationen einfach nachspielen, stellt sich dann die Frage, warum man überhaupt nach Böhm noch das Requiem aufführen sollte? Man könnte ja im Konzertsaal eine Lautsprecheranlage aufbauen, die CD abspielen und dazu multimedial noch Böhm-Fotos auf einer Leinwand laufen lassen.
    Wozu sollte man sich überhaupt noch mit dem Werk auseinandersetzen, wenn es uns ( in diesem Falle) der Böhm doch vorgemacht hat? Dann wäre es schon anstößig, wenn ein anderer Musiker sich überhaupt eigene Gedanken zu diesem Werk machte und es sich neu erarbeitet.
    Genau das ist aber künstlerisches Arbeiten und Wirken. Wer nur Youtube-Links anführt und das unkommentiert als Argument hinstellt, verleugnet damit eigentlich schon das Grundwesen jeglicher lebendiger Kunst und stellt sich auch deswegen argumentativ vollends ins Abseits. Einerseits kann eine Interpretation, die einfach nur anders sein will, niemals gut sein, aber andererseits ist Leben immer auch Veränderung, und dementsprechend kann eine lebendige Kunstausübung niemals statisch sein. Auch große Pianisten spielen ein Werk an jedem Abend anders. Wenn sie es nach Jahren aufgreifen, kann es durchaus sein, dass es mit der bekannten Interpretation der CD kaum noch etwas zu tun hat.
    Das sind dann eben diese künstlerischen Prozesse, dieses Leben mit dem Werk. Wir Organisten leben z.B. mit vielen Standardwerken Bachs. Deren eigene Interpretation verfeinert und verändert sich im Laufe der Jahre und unterscheidet sich meistens verstörend stark von jenen der Kollegen....


    Der Hinweis darauf, dass das Requiem als Totenmesse generell getragen zu spielen sei, ist durchaus ein gewisser Standpunkt, der jedoch im großen Widerspruch zur Mozarts Deutung dieses katholischen Liturgie-Textes steht. Wer z.B. meint, das Dies Irae Mozarts sei als eine getragene Musik gemeint und sollte dementsprechend auch so gespielt werden ..... ach komm, den Satz vollende ich jetzt nicht.
    Bei Böhm klingt es - Gott sei Dank - auch nicht getragen. Sonst würde er Böhm musizieren, aber nicht Mozart.


    Harnoncourt hat übrigens das Requiem noch einmal aufgenommen, beim zweiten Mal mit dem aus meiner Sicht kultivierter und feiner singenden Arnold-Schönberg-Chor:




    Und wer hier glaubt, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, möge damit glücklich sein.

    Nur, weil an der kritisierten Musik selbst diskutieren möchte und sich nicht in einem allgemeinen, gar schon verschwörungstheoretisch-weltanschaulichen Geschwafel ergehen will, wird man doch nicht von sich selbst meinen, "die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben". Was sollen denn solche Unterstellungen?
    Diesen Schuh zieh ich mir jedenfalls nicht an. Fakt ist, dass ich auf konkrete und sachliche Fragen im Grunde genommen nichts als heiße Luft als Antwort erhielt, und das ist noch ein Euphemismus.



    Das Spiel auf historischen Instrumenten verfehlt aber andererseits bei mir jede moralische Berechtigung, wenn er auf der Bühne zuläßt, daß modernste Bühnenbilder und modernste Kostüme vorgeführt werden. Ich empfinde das als Heuchelei, historische Aufführungspraxis im Orchestergraben zu zelebrieren, wenn sich das im Bühnengeschehen nicht widerspiegelt. Deshalb habe ich nie einen Draht zu Harnoncourt gefunden.

    Zunächst einmal führte Harnoncourt niemals moralische oder gar gesellschaftliche Argumente ins Feld, wenn es um alte Instrumente ging. Aus seiner Sicht hatten und haben sie eine musikalische und ästhetische Berechtigung. Das Thema Moral kann ich hier nicht entdecken.
    Harnoncourt hat jahrzehntelang mit dem Concentus musicus Wien nur "Alte Musik" instrumental und konzertant aufgeführt, irgendwann dann auch viel geistliche Musik des Barocks. Darin liegt der Kern der "Neuheit" seines Musizierens, die eigentlich auch ein "Zurück zum Ursprung" des aufführungspraktischen Verständnisses der sogenannten "Alten Musik" war. Um das Thema Regietheater ging es ihm nie.
    Zu Harnoncourts ersten und wichtigen Opernprojekten zählten die drei Monteverdi-Opern, und zwar in Zusammenarbeit mit Ponnelle in Zürich.
    Der Regisseur wurde hierbei für seinen "altmodischen" Inszenierungsstil kritisiert. Es war das genaue Gegenteil von dem, was hier als Regietheater bezeichnet wird:



    Natürlich gab es später wohl auch andere Beispiele. Aber man muss auch sehen, dass nur Karajan eine Allmacht im Opernbereich ausüben konnte, und das auch nur - wenn ich mich recht erinnere - in Salzburg.
    Auch ein als konservativ angesehener Thielemann (ich schätze ihn sehr) hat durchaus meinen Geschmack nach schon ziemlich RT-mäßige Inszenierungen dirigiert, bzw. dirigieren müssen. Wie er dazu steht, weiß ich nicht.
    Ist er deshalb musikalisch unglaubwürdig? Nein. In einem Opernbetrieb gibt es eine Fülle von verschiedenen Kräften und Mächten. Ich hätte zu all dem eh keine Lust, aber das ist ein anderes Thema....


    Holger hat noch zum Thema Traditionsbruch etwas Wichtiges - wie so oft - perfekt auf den Punkt formuliert:


    Verwurzelt in welcher Tradition? Sicher, Harnoncourt bricht mit dieser Aufführungstradition, der etwa Böhm und auch Karajan verpflichtet sind. Aber gleichzeitig knüpft er damit ja auch wieder an eine - ältere - Tradition an, nämlich die aus dem Barock herkommende musikalische Rhetorik mit ihrer sehr "sprechenden" Phrasierung und dramatisierenden Agogik. Da steht dann also Tradition gegen Tradition. Manchmal kann eben die Erinnerung an eine (hier: ältere) Tradition bewirken, den Blick darauf lenken, was eine etablierte Tradition verschüttet hat.


    Und dann noch zum Thema Häßlichkeit:


    Ich sehe bei Harnoncourt diesen Aspekt allerdings nicht. Sicher, bei Harnoncourt ist vieles oft knallig und dramatisch aufgeputscht. Aber deshalb häßlich? Ist das nicht viel eher Wirkungsrhetorik, die packen, erschüttern, aufrütteln will?

    Dem kann ich nur zustimmen! Zudem habe ich ja gerade neulich und wiederholt an Harnoncourts Mozart-Lesart kritisiert, dass sie bei allem rhetorischen und gestischen Verständnis hinsichtlich Phrasierung/Artikulation usw. bisweilen ins Übertreibende abdriftet. Die sf-Akzente wurden dann schon vorhersehbar sehr stark gesetzt, die Kontraste so stark wie möglich ausgespielt usw. , was die eigentlich gewünschte Wirkung wieder etwas relativiert.
    Dass Mozart mehr als nur ein idyllisches Heile-Welt-Bild zeichnen wollte, stimmt schon, aber ob es dann immer gleich die Schlacht von Stalingrad sein muss, wäre dann eben die Frage.
    In ähnlicher Weise könnte man übrigens das Gewitter der 6. von Beethoven unter Karajan kritisieren. Bei ihm ist es der Weltuntergang, während es ja eigentlich nur ein Sommergewitter sein sollte....


    Wenn es bei Mozart zu sehr ins Dramatische kippt, dann bleiben andere Aspekte bisweilen auf der Strecke, vor allem die mit Schubert wesensverwandte Lyrik. Manchmal wirkt ein nicht voll ausgespielter Abgrund eben noch abgründiger, weil man klanglich und auch sonst noch im Rahmen bleibt. Mit "klanglich" meine ich hier den Ambitus, der einem bei den Instrumenten (gerade auch bei den alten) zur Verfügung steht. Es gibt da im ff und darüber hinaus Bereiche, bei denen es irgendwann scharf bis unangenehm klingen kann. Weniger wäre bei Harnoncourt in manchen Fällen m.E. mehr gewesen. Doch will ich keine Pauschalkritik anbringen, sondern lieber konkrete Stellen nennen, an denen diese Devise zuträfe.
    Dafür gäbe es dann wieder auch viel zu viele gut gemachte Stellen. Das Generalisieren und Vereinfachen führt bei der Bewertung von Interpretationen und auch bei anderen Dingen des Lebens selten zu einer sich der Wirklichkeit annähernden Rhetorik.


    Apropos Rhetorik und der Vergleich Böhm/Harnoncourt:




    Böhms Interpretation ist eigentlich ästhetisch in ihrer Breite und Flächigkeit eigentlich sowohl der Kirchenmusik der Renaissance als auch der Romantik verwandt, wobei bei ihm aufgrund seiner handwerklichen Präzision immer auch der Eindruck von klassischem Ebenmaß entsteht, hier allerdings weniger im für meine Begriffe etwas ungehobelt/unkultiviert singenden Chor, als im auf ihn eingespielten Orchester.
    Aber eine nahezu zwingendes Überstrahlen seiner Requiem-Interpretation höre ich hier weniger als bei seiner DG-Zauberflöte, wenngleich ich immer wieder auch Böhms Aufnahmen gerne höre.
    Bei der Zauberflöte mit Böhm ist instrumental vieles einfach mustergültig, ganz abgesehen von der Traumbesetzung Wunderlich/Fischer-Dieskau.
    Aber "getragen" musiziert Böhm das Requiem hier keineswegs. Beim Ende des Kyrie lässt er die Pauken nahezu harnoncourtisch knallen, und auch beim Dies Irae geht er in die Vollen. Mehr kann der Chor da an Lautstärke auch nicht mehr bringen - von wegen "getragen".


    Harnoncourts Requiem ist vom Ansatz her - wie schon richtig von Holger erwähnt - in der im Barock essentiell wichtigen und auch entstandenen Klangrede, jener sprechend-gestischen Rhetorik dieser Epochen verortet. Sieht man sich die Noten an, dann stellt man fest, dass er damit in der Tat "recht" hat, sie sind voll von derartigen "Figuren". Es beginnt mit dem vor Sündennot schluchzenden Vorspiel, dann das Kyrie als verzweifelt bittender Schrei um Erbarmen. Es kommt aber auch eine wundervolles Trostmotiv, dass den weinenden Sünder sozusagen warm in den Arm nimmt.


    Die Frage des jeweiligen Ausspielens von vorgegebenen Kontrasten ist dann noch etwas Anderes, eine Frage, die man aus meiner Sicht vor allem bei der späten Aufnahme der letzten drei Mozart-Symphonien stellen kann.


    Beim Rex tremendae ist der Auffassungsunterschied zwischen Böhm und Harnoncourt sehr deutlich zu hören. Die Punktierungen werden bei Harnoncourt ganz im Verständnis der barocken Tradition als Gewaltausübung verstanden. Man kann dafür in Handels Messiah aber auch in der Matthäus-Passion Bachs bekannte Beispiele finden. Hier verwendet sie Mozart, um den Grund dafür musikalisch zu beschreiben, warum alle Welt vor dem König der Welt vor Angst erzittert - eben weil er Gewalt mit der Kraft seiner Rechten ausüben kann.
    Bei der Stelle Salvas gratis (errettest aus Gnade) sind die instrumentalen Vorzüge der sprechenden Spielweise des Concentus musicus Wien hörbar.
    Hier wird die harmonische Klangwirkung von Vorhalten und Auflösungen auch detail-dynamisch nachvollziehbar umgesetzt. Das fehlt bei Böhm naturgemäß.


    Allerdings höre ich dieses Requiem unter Böhms Leitung doch auch gerne. Die Vorzüge sind die klangliche Schönheit, die Perfektion im Orchestralen, die klassische Ausgewogenheit, das schöne Ausformulieren im melodisch-Lyrischen, ein großer Sinn für Atmosphäre und ein Musizieren, das unter die Haut gehen kann.
    Der Chor jedoch gleitet mir manchmal einfach zu stark ins Schwere, Schleppende und Behäbige ab, das Orchester jedoch nicht.
    Hätte er einen virtuoseren Kammerchor zur Verfügung gehabt, wäre es wohl anders. Man höre auf das Lacrimosa. Es beginnt sehr schön, dann kommt der Chor und es wirkt zwischenzeitlich recht zäh, dann wieder sehr gelungene Momente bei 32.00 herum.


    Holger hat auch recht, wenn er sagt, dass ich ein Böhm-Fan bin. Einiges von Mozart sowie von Schubert die "Fünfte", die "Unvollendete" sowie die "Große-C-Dur " in gewissen Aufnahmen sind m.E. einfach unerreicht. Ansonsten halte ich beim Thema späte Schubert-Symphonien auch sehr viel von Günter Wand, bei manchen Symphonien - jedoch nicht allen und nicht denen mit dem Concertgebouw - höre ich auch Harnoncourts Lesart als sehr gelungen, z.B. bei der Vierten mit den Berliner Philharmonikern.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Glockenton,


    gegen diese ausführliche und gründlich recherchierte Argumentation kann man nichts sagen. Fachlich sicher korrekt. Kein Widerspruch.


    Ich sollte höchstens meine alten "Opernglas"-Sammlungen nochmals studieren, denn darin glaube ich mich zu erinnern standen mehrere Opernrezensionen unter Harnoncourts Leitung, bei denen Regisseure am Werk waren, die nicht zu meinen Lieblingen zählen. Aber der Aufwand ist mir in Anbetracht Deiner fachlichen Kompetenz zu groß.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dem kann ich nur zustimmen! Zudem habe ich ja gerade neulich und wiederholt an Harnoncourts Mozart-Lesart kritisiert, dass sie bei allem rhetorischen und gestischen Verständnis hinsichtlich Phrasierung/Artikulation usw. bisweilen ins Übertriebende abdriftet. Die sf-Akzente wurden dann schon vorhersehbar sehr stark gesetzt, die Kontraste so stark wie möglich ausgespielt usw. , was die eigentlich gewünschte Wirkung wieder etwas relativiert.

    So ging es mir, lieber Glockenton, als ich in meiner Jugend mit Harnoncourts Aufnahme der Mozart-Symphonien in Berührung kam. Ein Freund von mir war großer Harnoncourt-Fan. Ich hörte mir eine Symphonie an und fand: Spannend! Dann hörte ich aber die zweite und dritte und fand: Dieser Harnoncourt-Mozart ist irgendwie "ausrechenbar", das klingt alles immer wieder gleich und sehr "schematisch" unflexibel gerade in der Behandlung der Akzente. Deswegen ist mein Interesse, da weiter zu hören, in der Folge einfach eingeschlafen.



    Dass Mozart mehr als nur ein idyllisches Heile-Welt-Bild zeichnen wollte, stimmt schon, aber ob es dann immer gleich die Schlacht von Stalingrad sein muss, wäre dann eben die Frage.
    In ähnlicher Weise könnte man übrigens das Gewitter der 6. von Beethoven unter Karajan kritisieren. Bei ihm ist es der Weltuntergang, während es ja eigentlich nur ein Sommergewitter sein sollte....

    Irgendwo liegt das natürlich in der Natur des rhetorischen Stils: die Übertreibung nämlich. Denn letztlich steht die Grundauffassung dahinter, dass man der Musik den Ausdrucksgehalt gewissermaßen mit Gewalt abtrotzen muss, damit sie ihn überhaupt hergibt. Deswegen ist der rhetorische Interpretationstsil auch immer ein Drahtseilakt - die Grenze zum Manierismus und zur wirklichen Gewaltsamkeit wird schnell überschritten. Und auch der Hörer kann dadurch irritiert werden. Denn diese Grenze ist mehr oder weniger fließend.



    Wenn es bei Mozart zu sehr ins Dramatische kippt, dann bleiben andere Aspekte auf der Strecke, vor allem die mit Schubert wesensverwandte Lyrik bisweilen auf der Strecke. Manchmal wirkt ein nicht voll ausgespielter Abgrund eben noch abgründiger, weil man klanglich und auch sonst noch im Rahmen bleibt.

    Das finde ich auch ist die große Kunst der romantischen Tradition: die hohe Kunst der Anspielung, Andeutung, die Hintergründigkeit gegenüber der allzu leicht ins Plakative abdriftenden Vordergründigkeit, zu welcher der rhetorische Stil neigt.


    Herzlich grüßend
    Holger