ZitatOriginal von Ulli
Fehlinterpretationen kommen übrigens auch daher, dass viele der heutigen Musiker [immer noch!] die italienische Bezeichnung zu Beginn des Stückes [Allegro; Andante...] zur Tempobestimmung verwenden. Im 18. Jahrhundert war es aber üblich, die Taktart in Kombination mit den Notenwerten heranzuziehen, um erst danach über eine Interpretation der Satzbezeichung nachzudenken. Vielerlei falsche Taktarten sind heute überliefert. Das Kraus-Konzert, von dem ich kürzlich berichtete, schreibt beispielsweise im Original alla breve also C mit | vor: Zwei schläge! In der Druckausgabe von ...? [Peters?] steht nur C = vier schläge. Das verlangsamt das Tempo bis auf die Hälfte und ist zudem grottenfalsch! Mozart selbst hat bei seinen Variationen Ah! Vous dirai-je, Maman! aus einem C [4/4] später einen 2/4-Takt gemacht. Das Faksimile ist ein wunderbares Zeugnis dessen, dass die Taktart als bevorzugte Tempobestimmung galt.
Das geht ja so weit, dass auf LP- und CD-Hüllen "ohne Satzbezeichnung" steht - oder das italienische Wörtchen ohne die Taktvorzeichung, ohne die man ja eigentlich bei Bach u.a. nichts anfangen kann - eine schwer auszurottende Sache bei Musikern wie Liebhabern.
Wahrscheinlich ist das Einfügen von Taktvorzeichnungen den Setzern nicht zuzumuten ...
ZitatBei Bach z.B. finden sich Satzbezeichnungen relativ selten.
In Form der Taktart findet sich bei Bach natürlich in jedem Stück eine Taktvorzeichnung! "3/4" z.B. - das ist die Taktvorzeichnung! Nur die italienischen Wörter, die sie modifizieren, kommen relativ selten vor. Kirnberger hat das System seines Lehrers als das differenzierteste unter allen gelobt und sich tatkräftig für seine Verbreitung eingesetzt, aber es hat nicht viel genutzt und ist den meisten bis heute nicht klar: Bei Bach steht das Tempo in der Taktart, und das italienische oder französische Wort modifiziert es, oder gibt noch zusätzliche Hinweise zur Phrasierung - z.B. eben französische. Wäre das doch nur in die Köpfe der Menschen zu bringen ....