Kann man denn bei dem ganzen analysieren, rezensieren, vergleichen, theoretisieren überhaupt noch Spaß an der Musik haben?
Ich glaube, lieber Reinhard, dass Du hier doch etwas zuspitzt. Es gibt ja nicht nur die reinen Konsumenten, sondern viele Musikhörer spielen ein Instrument, spielen im Hobbyorchester, singen im Kirchenchor etc. Wenn die dann "ihre" Stücke über CD hören, vergleichen sie selbstverständlich. Zum anderen: Warum hören wir 30 Jahre und mehr immer dieselben Stücke? Warum wird uns das nicht langweilig? Eben weil wir Interpretationen vergleichen, analysieren, wir wollen das, was wir mögen, besser verstehen usw. Wenn ich höre und zugleich verstehe, ist der Genuss deutlich größer. So geht es sicherlich nicht nur mir. Warum kaufe ich wohl die 20. Interpretation einer Mahler-Symphonie? Nur für den reinen "Genuss" würde ja eine vollends reichen. Du erwähnst die Tempi. Aktuelles Beispiel: Ich mag allgemein Svjatoslav Richters "langsame" Tempi bei Schubert sehr, etwa bei der B-Dur-Sonate (D 960). Kürzlich hörte ich aber D 840 von ihm und da war er mir im Kopfsatz einfach viel zu langsam. Das gefiel mir nicht. Da möchte ich nun wissen: Warum mag ich das langsame Richter-Tempo bei D 960, bei D 840 aber nicht? Da gibt mir dann die Analyse die Antwort.
Und: Zwischen solchem auf die konkrete Hörpraxis des Hörens und Spielens bezogenem "Analysieren" und wissenschaftlichem Theoretisieren ist doch wohl ein Unterschied. Musikwissenschaftliche Analysen, die die "Fliegenbeine" zählen und nur z.B. harmonische Funktionsanalyse betreiben (oder Formanalyse), ohne dass klar wird, was mir das für mein Hörerlebnis für einen Gewinn bringt, finde ich auch unergiebig. Anders ist es aber, wenn wir z.B. darüber diskutiert haben, inwieweit das Finale von Beethovens op. 13 "Pathetique" noch ein Kehraus-Finale ist oder nicht. Eine solche Diskussion verändert meine Wahrnehmung. Hier hatte mich Christian B. kritisiert, dass dies eben nicht nur ein Kehraus-Finale ist, wie ich schrieb, womit er völlig Recht hatte und ich ihm dafür sehr dankbar bin. Dadurch habe ich nämlich wirklich etwas in diesem Forum gelernt. So sollte es doch sein, oder?
Schöne Grüße
Holger