Das Stück handelt von einem Ritter (Ariodante, Mezzosopran: Alice Coote), dem vom schottischen König (Bassbariton: Matthew Brook) dessen Tochter Ginevra (Sopran: Christiane Karg) und damit das Reich zugesprochen wird. Beides begehrt auch der Ritter Polinesso (Kontra-Alt: Sonia Prina). Dieser heuchelt der Kammerzofe Dalinda (Sopran: Mary Bevan) Liebe vor; die ihn (als Ginevra verkleidet) daraufhin in das Gemach ihrer Herrin einlässt. Ariodante stürzt sich ob der vermeintlichen Untreue seiner Geliebten ins Meer, überlebt aber. Ginevra wird von Lurciano (Bruder des Ariodante, Tenor: David Portillo) der Untreue angezeigt. Im Duell tötet Lurciano den intriganten Polinesso, Ariodante erscheint, klärt alles auf, Dalinda bereut, alle sind glücklich.
Der Ariodante sollte von Joyce Di Donato gesungen werden. Wegen Erkrankung hatte sie die Tourneerolle an Alice Coote abgegeben. Diese sang den Ariodante mit warmer modulationsfähiger Stimme, nutzte die schwierigen Koloraturen zum Ausdruck von Leid oder Empörung und zeigte eine große Strimmspannweite. Es war eine großartige gesangliche Leistung. Die eher weiße Stimme von Christiane Karg fand ich bei aller technischen Perfektion zu uncharismatisch, um der gesungenen Partie viel Empathie entgegen gebracht zu haben. Über einen wärmeren Stimmklang verfügte Mary Bevan, Die Stimme von Matthew Brook verfügte eher über Glanz in der Höhe als sonoren Klang in der Tiefe. Sein leidendes Spiel schien mir etwas überzogen. Sonia Prina und David Portillo sangen ohne Fehl und Tadel.
Insgesamt war das stimmliche Niveau sehr hoch, keine der Sängerinnen oder Sänger hatte ein stärkeres Vibrato, mir fielen jedenfalls keine deutlich wahrnehmbaren Tonhöhenschwankungen auf. Bei insgesamt sechs Protagonisten ist das eigentlich ungewöhnlich. Lag das eventuell an den akustischen Bedingungen des Großen Saals der Elbphilharmonie? Denn die Höhe erwies sich offenbar als ein Problem für die Stimmen, nicht eine Frequenzbegrenzung des Gesangs nach oben, sondern die bauliche Höhe des Saales. Die Stimmen der Sängerinnen und Sänger wirkten (zumindest auf der Ebene 16, wo wir saßen, und damit sehr hoch im Saal) insgesamt verschlankt, wie um Füllvolumen entkleidet. Solches empfand ich, in allerdings verstärktem Umfang, bei Freilichtaufführungen wie in der Arena von Verona oder auch in der ebenfalls sehr in die Höhe entwickelten Metroplitan Oper in New York. Ein weiteres Beispiel: die aktuelle Hamburger Rummelplatz-Traviata hat eine seitlich und vor allem nach oben offene Bühne, so das der Bühnenraum, dem die Resonanzfläche der Bühnendekoration fehlte, einen Teil der vokalen Emission zu verschlucken schien. Ganz so war es in der Elbphilharmonie nicht. Alles, auch die Piani, waren deutlich zu hören, an Hand des verteilten Textbuches lies sich der Gesang auch hervorragend textverständlich mitverfolgen. Woran es aber mangelte, war im gewissen Sinne die Resonanz der gedeckelten Bühne, die der Stimme mehr Raumeindruck nach vorn zum Publikum hin gibt. Besonders fiel mir das auf, als eine Sängerin während der halbszenischen Darstellung beim Hinausgehen unter einem Balkonvorsprung weiter sang und der Ton einen anderen, im gewissen Sinne vitaleren Klang annahm. Im Gegensatz zu meiner Vermutung spielte die Richtung des Gesangs im Kessel des Großen Saals keine wirkliche Rolle. Nicht immer sangen die Sängerinnen und Sänger nach vorn, sondern auch zur Gegenseite hin. Der akustische Unterschied war minimal.
Ganz anders klang das (von Harry Bicket geleitete) Kammerorchester „The English Concert“. Warm, voller Volumen und dabei durchsichtig und zugleich glanzvoll (Hörner) entfaltete sich Händels Musik im Großen Saal, so dass man wünschte, diesen Orchesterklang akustisch festzuhalten und für immer im Gedächtnis zu bewahren. Deshalb war es trotz der langen Aufführungsdauer (von 20 Uhr bis kurz vor Mitternacht, mit zwei Pausen) keine Sekunde langatmig oder einschläfernd. Insgesamt war es ein großartiger Abend, der trotz der späten Stunde viel bejubelt wurde.
Bisheriges Fazit: der Große Saal der Hamburger Elbphilharmonie hat für Orchestermusik eine großartige, hinreißende Akustik (entsprechende Erfahrung auch bei Mahlers 6. Sinfonie auf denselben Plätzen), für reinen Operngesang müsste man aber wohl dem Opernhaus den (akustischen) Vorzug geben.