D-A-CH Symphoniker im 20. Jahrhundert


  • Kurt Weill's 2. Symphonie entstand zur ungünstigsten Zeit, die sich ein deutscher Komponist jüdischer Herkunft aussuchen konnte, 1933/34. An eine Aufführung in Deutschland war da nicht mehr zu denken, die UA fand 1934 in Amsterdam mit dem Concertgebouw Orchestra unter der Leitung von Bruno Walter statt. Bis heute hat sich das Werk wie auch die 1. Symphonie nicht durchsetzen können. Ich muss zugeben, dass ich das Werk heute zum ersten Mal bewusst höre, auch wenn die CD schon ewig in meiner Sammlung steht. Es ist sicher auch kein Werk, das gleich "zündet", aber es hat genügend interessante Momente, die eine nähere Betrachtung verdienen.

  • Ein Meister der Symphonie war der Österreicher Gottfried von Einem.
    Vielfach belächelte man ihn als konservativ und altmeisterlich - doch dabei übersieht man, daß genau diese Meisterhaftigkeit das Selbstverständnis Einems war. Seine Musik ist ein letzter Ausläufer der bei Haydn begonnen und in Bruckner und Mahler gipfelnden sehr (deutsch/)österreichischen Linie. Einem war der letzte Meister des vierstimmigen Satzes und der traditionellen Variations- und Variantentechniken. Er liebte Mozart, Schubert und Mahler, wohl auch Beethoven und Bruckner, was man seiner Musik anmerkt - und doch ist da ein eigener Tonfall in der Rhythmik und der weit ausgreifenden Melodik, die diesen Werken etwas Besonderes verleiht: Auf ganz eigentümliche Weise kombiniert Einem Klangseligkeit und Sperrigkeit, Dissonanz und Schönklang, fließende Melodie und stampfenden Rhythmus.
    Einem hat vier Symphonien geschrieben, von denen drei Beinamen haben.


    - Philadelphia Symphony (1961);


    - Wiener Symphonie (1977);

    ,
    ,


    - Münchner Symphonie (1985);


    - Vierte Symphonie (1988);

    ...

  • Das ist auch wieder ein Beispiel für einen Komponisten der weitestgehend unbekannt geblieben ist. Warum???


    Ich habe noch aus meiner "Tonband-Aufnahme - Phase" eine WDR-Aufnahme des 16minütigen Orchesterwerkes Bruckner-Dialog für Orchester op.39, von dem ich ziemlich angetan bin. Leider das einzige von Einem-Werk, das bei mir bisher je ans Ohr gedrungen ist.
    Es ist eine Aufnahme aus den 80er mit dem Kölner RSO unter Wilfried Böttger.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Das ist auch wieder ein Beispiel für einen Komponisten der weitestgehend unbekannt geblieben ist. Warum ???


    Eigentlich wollte ich an dieser Stelle energisch widersprechen. Einem hat zumindest 8 Opern geschrieben, 4 davon waren sogar mir namentlich bekannt, eine habe ich an der Wiener Staatsoper gesehen. Opern zählen generell zum Zentrum seines Schaffens. Aber nicht mal "Der Besuch der Alten Dame" nach dem Schauspiel von Friedrich Dürrenmatt ist derzeit auf Tonträger zu haben. So gesehen trifft die Phrase vom "weitgehend unbekannt geliebenen Komponisten" dennoch zu. Vom Besuch der Alten Dame gab es übrigens einst eine Aufnahme unter Horst Stein - aber mit dem Ende des Labels Amadeo verschwand auch diese Aufnahme aus den Katalogen.
    Es gibt noch Streichquartette und Klaviermusik, sowie ein wenig Konzertantes und Orchestrales am Markt. Die Sinfonien wurden indes scheinbar nie aufgenommen....
    Von Einem stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie mit besten Beziehungen nach allen Seiten, er war auf Einkünfte durch seine Kompositionen scheinbar nicht angewiesen und schrieb in gewisser Weise aus "Passion".
    Soweit ich informiert bin ist er aber in Wiens Gesellschaft mit Affinität zu Kunst, Kultur, Literatur und Musik noch als musikalische Größe bekannt und es gibt eine eigene "Gottfried von Einem Stiege" in der Wiener Hofburg.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe soeben den gesamten Thread überflogen und teilweise gelesen, aber vielleicht ein wenig zu flüchtig, weil ich den Namen Felix WEINGARTNER hier nicht gefunden habe. "In der Nachfolge von Gustav Mahler" ? - wie mans nimmt. Vom Geburtsjahr lagen die beiden ja nur 4 Jahre auseinander, aber Weingartner hat Mahler um über 30 Jahre überlebt. Wikipedia betont, daß Weingartner, trotz seiner Fülle an Kompositionen (uns interessieren hier vorzugsweise seine 7 Sinfonien) beinahe dem Vergessen anheim gefallen wäre, aber durch die bei cpo erschienene Gesamtaufnahme sei das Interesse wieder erwacht. Immerhin 4 Sinfonien wurden erst nach Gustav Mahlers Tod komponiert....
    Im Bekanntheitsgrad würde ich ihn ähnlich wie Franz Schmidt einteilen.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eigentlich wollte ich an dieser Stelle energisch widersprechen.


    Mach das ruhig, Alfred, Du hast nämlich recht. Und dann auch wieder nicht.
    Gottfried von Einem ist das Paradebeispiel eines hochangesehenen Komponisten, der sich durch sein querständiges Denken und Reden eine Tür nach der anderen zuschlug - so lange, bis er tatsächlich von den Spielplänen verschwand.
    Einem stieg nach 1945 schnell zur zentralen Komponistenpersönlichkeit Österreichs auf. Wie er das schaffte? - Nun: Er kam aus einer einflußreichen Familie und nützte Beziehungen. "Was ich bin, bin ich durch Freunde", sagte er ganz offen in einem Interview im Fernsehen. 1947 spielten die Salzburger Festspiele (!) die Uraufführung (!) seiner Oper "Dantons Tod", da war Einem 29 Jahre alt und hatte gerade einmal, man möge sich das auf der Zunge zergehen lassen, ein 50-minütiges Ballett, drei Orchesterstücke, einen Klavier- und einen Liederzyklus vorgelegt. Immerhin, das "Concerto für Orchester" des 26-Jährigen hatte Herbert von Karajan mit der Berliner Staatskapelle uraufgeführt, auch nicht gerade die schlechteste Adresse.
    Der Rest ist dann bekannt: Einem war Direktoriumsmitglied der Salzburger Festspiele, zerstritt sich mit dem Salzburger Landeshauptmann und nachmaligen Bundeskanzler Josef Klaus, weil dieser Bertolt Brecht nicht zum Intendanten der Salzburger Festspiele machen wollte, wurde Kompositionsprofessor an der Musikhochschule in Wien und verstand es, jederzeit im Hintergrund, sozusagen als Graue Eminenz, die Fäden des österreichischen Musiklebens zu ziehen. Welche Bedeutung Einem hatte, kann man daraus ersehen, daß die Staatsoper kurzfristig (den im Repertoire befindlichen) "Danton" ansetzte, damit Einem Friedrich Dürrenmatt quasi live davon überzeugen konnte, ihm die Vertonungsrechte der "Alten Dame" zu geben.
    Soweit, so gut.
    Doch dann machte Einem einen taktischen Fehler nach dem anderen. Zuerst vergraulte er die Sozialisten, denen er zugerechnet wurde, durch seine Parteinahme für den wegen unklarer Vergangenheitsaufarbeitung ins Zwielicht geratenen Präsidentschaftskandidaten Kurt Waldheim, den die konservative ÖVP aufgestellt hatte. Dann unterlief Einem den Versuch, Hitler in einer Fernsesendung als kompletten Idioten darzustellen: Einem war in der NS-Zeit Korrepetitor in Bayreuth gewesen und hatte Hitler persönlich kennengelernt; jetzt stellte er dar, daß Hitler bestimmte Musikwerke sehr genau gekannt hatte und durchaus in der Lage war, sich über sie selbst mit Fachleuten zu unterhalten. Damit stand Einem im rechten Eck. Nur um einem falschen Eindruck gleich vorzubeugen: Am 12. August 2002 wurde er vom Yad Vashem in Israel als Gerechter unter den Völkern ausgezeichnet, er hatte den jüdischen Musiker Konrad Latte durch seine Unterstützung vor der Deportation bewahrt. Ich selbst kannte Einem recht gut, und ich weiß, wie knallhart er über Nationalsozialisten und natürlich auch über Hitler sprach; was ihn störte, war, wenn man mit Lügen und Unwahrheiten Zerrbilder der Geschichte anfertigen wollte, nur, um eigene ideologische Standpunkte durchzusetzen.
    Einem war mittlerweile im Bewußtsein der Öffentlichkeit ein "Rechter", oder zumindest ein "Konservativer" (obwohl er größte Sympathien für die gerade aufstrebenden Grünen hatte und für die mit ihren Ideen liebäugelnden liberalen ÖVP-Politiker Jörg Mauthe und Erhard Busek), als er sich mit der Oper "Jesu Hochzeit" schließlich auch die Türen dieses Lagers zuschlug: Man glaubte, in dem Mysterienspiel eine antireligiöse Oper zu erkennen, was dieses Werk jedoch nicht ist. Gleichzeitig gewannen die Vertreter der Neuen Musik zunehmend Aufmerksamkeit und setzten nun alles daran, Einem so zu bekämpfen, wie er sie zuvor bekämpft hatte (damals gab es eben noch Glaubenskriege um die Zwölftontechnik).
    Soll man anführen, daß obendrein der ohnedies lebenslange übermäßige Alkoholkonsum Einems Schaffenskraft zusetzte? - Die späten Werke, so etwa ab op. 71, sind arg ausgeblutet, und wirklich bedeutende Stücke wie "Alchemistenspiegel", "Fraktale" und die Vierte Symphonie sind in dieser Schaffensperiode selten. Einem wird zu einem Komponisten, der befreundete Musiker und Ensembles mit auf den Leib geschriebener Kammermusik bedient und gerade noch beim "Carinthischen Sommer" ein festes Standbein hat. Die letzten Jahre dieses so großen und für mich ungeheuer wichtigen Komponisten gehören zu meinen bittersten Erinnerungen.
    Umso mehr: Freuen wir uns, daß 2018 der 100. Geburtstag Gottfried von Einems nicht übersehen wird: Das Theater an der Wien bringt den "Besuch der Alten Dame", die Staatsoper "Dantons Tod" und auch in Konzerten wird einiges von ihm gespielt werden.
    (Und pardon für diesen Exkurs in diesem Thread.... :pfeif: )

    ...

  • Lieber Edwin,


    Hier wurden Fragen gestellt, die sehr ausführlich beantwortet wurden und auch ehrlich gesagt, auch ich habe nicht alles gewusst. Aber dein Artikel ist hochinteressant und vielleicht wächst dadurch auch das internationale Interesse an diesem Komponisten.
    Es gibt übrigens bereits einen eigenen (sehr kurzen) Thread über Gottfried von Einem im Tamino Klassikforum:


    Gottfried von Einem - eine Erinnerung


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mir war nicht bewusst, dass von Einem vier Symphonien geschrieben hat. Über die Philadelphia Symphonie habe ich mal kurz in dem von Alfred erwähntem thread berichtet. Und über das 2. SQ. Ach, es gibt noch so viel zu hören. Erstaunlich, dass die Symphonien bis heute nicht komplett vorliegen, aber das geht den Deutschen Günter Raphael und dem eingangs erwähnten Johann Nepomuk David ja nicht anders. Von Max Butting und seinen 10 Symphonien reden wir gar nicht erst.

  • aber das geht den Deutschen Günter Raphael und dem eingangs erwähnten Johann Nepomuk David ja nicht anders.


    Raphael ist auf dem CD-Markt ziemlich gut vertreten - glücklicherweise. Immerhin Sinfonien 2-5 + Chorsinfonie (), Violinkonzert, diverse Orchester-, Kammer- und Chormusik.


    David - mir unverständlich. Die Sinfonie-Edition ist offenbar sanft entschlafen. Ich weiß, daß es bei David ziemlich schwache Werke gibt, auch unter den Sinfonien, dennoch ist es schade, auch er war einer dieser "Meister" im Sinne des Handwerklichen. Übrigens gibt es ein ziemlich wirkungsvolles Chorwerk von ihm, "Ezzolied".


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    Was die Österreicher betrifft: Es ist auch bitter, wie sehr Marcel Rubin vergessen ist - das hat meiner Meinung nach ebenfalls politische Hintergründe. Er war Kommunist und Musikkritiker der kommunistischen Tageszeitung "Die Volksstimme", die damit die (auch stilistisch) besten Musikkritiken des Landes hatte. Er war promovierter Jurist, als Komponist Schüler von Darius Milhaud. Vor den Nationalsozialisten floh er zuerst nach Frankreich (wo er Jura Soyfers "Dachaulied" komponierte, ohne von Herbert Zippers heute bekannter Version zu wissen) und nach Südamerika. Nach dem Krieg kehrte er zurück und half beim Wiederaufbau des Kulturlebens. 1969 trat er wegen interner Querelen um den Ausschluß Ernst Fischers aus der Kommunistischen Partei aus und beendete die Mitarbeit in der "Volksstimme". Dennoch haftete ihm der Ruf an, Kommunist zu sein, und als er dann im Alter zwei große religiöse Werke, die Oratorien "Auferstehung" und "Licht über Damaskus", komponierte und auch in anderen Werken religiöse Bindungen erkennen ließ, stand er im mittlerweile zunehmend areligiösen Kunstleben Österreichs wieder auf der falschen Seite. Rubin kümmerte es wenig, er war immer ein Mann gewesen, der seinen Überzeugungen treu war, aber dem Weiterleben seiner Werke nach seinem Tod (1995) hat es geschadet.
    Rubin komponierte zehn Sinfonien, von denen die ersten vier deutliche Spuren Milhauds aufweisen mit bi- und polytonalen Wendungen und einer fast grellen Frische; ab der fünften Sinfonie wird die Sprache "deutscher", sie bleibt klar, aber die kontrapunktische Meisterschaft gemahnt immer öfter an Hindemith, während die Art des Themenbaus sich nach wie vor an Milhaud orientiert. Die letzten beiden Sinfonien sind etwas zähflüssig, die restlichen aber hervorragend. Wie gut Rubin sein konnte, kann man hier nachhören:



    Allein dieses "Dies irae"-Scherzo (ab 13'50'') und das Finale würden mir genügen, um Rubin als echten Symphoniker einzustufen.

    ...

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  • Raphael ist auf dem CD-Markt ziemlich gut vertreten - glücklicherweise.


    Beim Label querstand ist eine Reihe mit 5 CDs von Raphael erschienen.


    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • ...und bei jpc die erhaltenen Symphonien und das zweite Violinkonzert kombiniert mit der Kammermusik für Violine. Damit dürfte Raphael in einer ziemlich privilegierten Position unter den "vergessenen Komponisten" sein - nicht zu Unrecht, er war ein Meister; doch eine solche Breite hätte ich gerne auch im Fall von Johann Nepomuk David, Karl Höller und Marcel Rubin...


    ...

  • Karl Höller kommt immerhin auf 5 CDs, viel verglichen mit Theodor Berger (2 CDs) und Max Brand (nichts) wenn man bei jpc sucht. Aber hier soll es nur um Sinfonien gehen?

  • ..und bei jpc die erhaltenen Symphonien und das zweite Violinkonzert kombiniert mit der Kammermusik für Violine. Damit dürfte Raphael in einer ziemlich privilegierten Position unter den "vergessenen Komponisten" sein - nicht zu Unrecht,


    So dankbar man für die Symphonien-Box bei cpo sein muss, ist gerade bezüglich der grandiosen 4. eine historischen Aufnahme von 1950 selbst unter Celibidache nicht ausreichend. Das ist Musik, die nach einer modernen stereophonen Aufnahme geradezu schreit. Man stelle sich vor von Carl Nielsens 4. gäbe es nur eine Aufnahme von 1950.