Tamino Opernkanon

  • Solange Peri, Cesti und A. Scarlatti drinbleiben, soll's mir recht sein ... von mir aus reicht aber auch Hasse als Vertreter der späten Seria, warum müssen da zwei rein?


    Ich finde die späte Seria halt wichtig genug, um mit zwei Werken vertreten zu sein. Aber wenn ich der einzige bin und die Mehrheit meint, dass Hasse reicht, dann schließe ich mich dem natürlich an. Ist ja nicht meine private TOP 25 hier. Wichtiger wäre mir, dass eine Vivaldi-Oper drin bleibt.


    Ob Cäsar oder Rodelinda ist mir auch egal, beide scheinen mir populärer als Tamerlano.


    "Giulio Cesare" sollte schon dabei sein. Ich wollte den gar nicht rauswerfen, bei meiner Antwort auf Joseph ging es nur um meine persönliche Vorliebe.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Bleibt die Hamburger Bürgeroper am Gänsemarkt, die immerhin für 60 Jahre das wichtigste deutschsprachige Theater war und deren Existenz von teils heftigen Debatten um die Zulässigkeit der Kunstform Oper begleitet wurde (der sogenannte Hamburgische Theaterstreit). Ich bin dankbar, dass einige dort uraufgeführte Werke genannt wurden, denn ich kenne mich hier nicht aus. Die Werke, die der junge Händel für Hamburg verfasst hat (u.a. „Almira“), kann man vernachlässigen, weil er noch nicht auf der Höhe seiner Kunst angelangt war. Bleiben Reinhard Keiser, von dem der „Croesus“ genannt wurde, und Telemann als die wichtigsten Vertreter.


    Lieber Bertarido!
    Ich bin kein Experte für die Hamburger Bürgeroper, habe den "Croesus" aber zweimal gehört (In der Hamburger Hochschule und in der Staatsoper Berlin) und fand ihn doch höchst bemerkenswert.
    Nach der mäßigen Ouvertüre nimmt das Stück erstaunlich Fahrt auf. Die Arien - alle in deutscher Sprache! - sind relativ kurz und strophig (keine Dacapo-Arien) alle konzentriert und prägnant gearbeitet, es gibt erstaunlich viele Duette und effektvolle Finales, sodass keine Langeweile aufkommt. Vor allem hat Keiser köstliche Einfälle in der Instrumentierung und er erfindet manch eingängige und einschmeichelnde Melodien, wobei die Singstimme für diese Zeit eher ungewöhnlich in den Instrumentalklang eingebettet ist.
    Ich halte den "Croesus " für ein bedeutendes Werk. Es bietet großes, durchaus effektvolles Musiktheater und verrät doch nicht den volkstümlichen Ton wie er zu der Zeit für Moritaten gängig war.


    Wenn Platz für die Hamburger Bügeroper ist, dann würde ich "Croesus " durchaus für Kanon-würdig halten!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Schütz‘ “Daphne“ ist leider verloren, daher macht eine Aufnahme in den Kanon wenig Sinn.

    Da muß ich leider ein wenig korrigieren.


    Die Oper Daphne von Heinrich Schütz gilt weiterhin als erste Oper in deutscher Sprache. Der Text wurde nach einer italienischen Vorlage von M. Opitz ins Deutsche übertragen und vom Bad Köstritzer Heinrich Schütz in Töne gesetzt. Die Uraufführung erfolgte am 13.4.1627 im Schloß Torgau. Leider sind die Noten nicht erhalten. wohl aber der Text.


    In Torgau hat man sich der Mühe unterzogen, aus Musikfragmenten von Schütz eine Daphe zu rekonstruieren, ein Verfahrensweg, den man bei Liszt, Mahler, Bruckner und natürlich auch bei Puccini (und vielen anderen) auch gegangen ist. Diese rekonstruierte Oper wurde ebenfalls in Torgau am 9.12.2011 wieder aufgeführt. Inwieweit die Originaloper mit dem "Nachbau" identisch ist, wird wohl keiner erfahren.


    Es bleibt aber der Ruhm des Heinrich Schütz, die erste deutschsprachige Oper geschrieben zu haben. Schon allein diese Tatsache dürfte Folgen für das gesamte deutsche Opernschaffen gehabt haben, der Anfang war gemacht, genau wie mit der Bibelübersetzung.


    Natürlich ist die Bedeutung mangels anderer Kenntnise zweifelhaft, aber jeder deutsche Opernfreund sollte wissen, wo unsere so reiche Operngeschichte ihren Ursprung hat.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber La Roche, ich meinte mit "verloren" auch die Noten und nicht den Text. Die historische Bedeutung dieses Werks steht ganz außer Frage, da hast Du völlig recht. Aber der Sinn eines Kanons besteht doch darin, solche Werke aufzulisten, die ein Opernfreund kennen sollte, und kennen meint hier: gehört haben, im Idealfall auf der Bühne. Und das ist bei der Daphne nun mal leider nicht möglich. Und wenn ich es richtig verstanden habe, dann war die von Dir erwähnte Rekonstruktion auch keine Vervollständigung von wiederentdeckten Fragmenten der Partitur, die es eben nicht gibt, sondern beruhte auf anderen Musikstücken von Schütz, aus denen man - sehr spekulativ - eine Oper gebaut hat, von der, wie Du selbst sagst, keiner weiß, wie ähnlich sie der tatsächlichen "Daphne" ist. Soweit ich weiß, ist nicht einmal klar, ob es sich bei dem Werk um eine Oper im engeren Sinne handelte oder ein gesprochenes Drama mit Gesangs- und Balletteinlagen. Auch eine Aufnahme auf CD oder DVD habe ich davon nicht gefunden. Insofern ist die Lage dann doch eine ganz andere als z.B. bei Puccinis "Turandot": von der Oper fehlte nur der Schluss, und für den lagen Skizzen vor, die als Grundlage einer Vervollständigung dienen konnten. Gleiches gilt für Bergs "Lulu".


    Daher halte ich eine Aufnahme des Werks in den Kanon nach wie vor nicht für sinnvoll (ebensowenig wie bei der verschollenen "Dafne" von Peri, die als erste Oper überhaupt natürlich eine noch größere historische Bedeutung hat).

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido,


    natürlich stimmt alles, was Du sagst. Und auch alles was ich sage.


    Man kann ein Werk, welches es nicht mehr gibt, nicht auf eine Hitliste setzen. Betrachte meinen Hinweis als Erinnerung an die mehr 99 % aller Deutschen, die den Namen der ersten deutschen Oper nicht kennen. Die Taminos sind damit in der Mehrzahl nicht gemeint, aber mancher Gast wird sicher das erste mal davon erfahren, daß auch vor Händel in D schon Opern komponiert wurden.+


    Und zufällig stammt Schütz aus einem Vorort meiner Geburtsstadt. Sonst würde ich das vielleicht auch nicht wissen.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Betrachte meinen Hinweis als Erinnerung an die mehr 99 % aller Deutschen, die den Namen der ersten deutschen Oper nicht kennen. Die Taminos sind damit in der Mehrzahl nicht gemeint, aber mancher Gast wird sicher das erste mal davon erfahren, daß auch vor Händel in D schon Opern komponiert wurden.+


    Wenn das ein Resultat der Diskussionen um diesen Kanon wäre, dann würde mich das freuen. :hello:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Auf der Basis der bisherigen Diskussionen mache ich folgenden Vorschlag für die Auswahl von 25 Opern von den Anfängen bis ca. 1750.


    Die Werke in schwarz sind m.E. unstrittig. Grün sind die noch diskutierten Werke, für die mir am meisten zu sprechen scheint. In Rot sind die Vorschläge, die nach Verlauf der Diskussion wohl eher herausfallen sollten. Schwarz und grün zusammen sind genau 25. Wer also noch ein "rotes" (oder gar nicht aufgeführtes) Werk hineinnehmen möchte, muss ein anderes streichen.


    Peri - Euridice - 3


    Monteverdi - L'Orfeo - 14
    Monteverdi - Ritorno d'Ulisse in Patria - 8
    Monteverdi - L'incoronazione di Poppea - 11


    Cavalli - Il Giasone - 4
    Cavalli - La Calisto - 5
    (exemplarisch für Cavallis Dramma per Musica)


    Cesti - Orontea - 1


    Lully - Armide - 4
    Lully - Atys - 4
    (exemplarisch für Lullys Tragédie lyrique)


    Charpentier M.-A. - Médée - 2


    Rameau - Hippolyte et Aricie - 5
    Rameau - Dardanus - 4
    (exemplarisch für Rameaus Tragédie en musique)


    Rameau - Les indes galantes - 6
    (exemplarisch für Rameaus Opéra-ballet)


    Rameau - Platée - 5
    (exemplarisch für Rameaus Comédie lyriques)



    Purcell - King Arthur - 3
    (exemplarisch für Purcells Semi operas)


    Purcell - Dido and Aeneas - 10


    Keiser - Der hochmütige, gestürzte und wieder erhabene Croesus - 2
    (exemplarisch für die Anfänge der deutschen Oper an der Hamburger Bürgeroper)


    Scarlatti A. - Griselda - 3


    Vivaldi - Orlando furioso - 2


    Händel - Rinaldo - 5
    Händel - Giulio Cesare in Egitto - 11
    Händel - Orlando - 3
    Händel - Alcina - 7
    Händel - Serse - 5
    Händel - Acis & Galathea - 3


    Hasse - Cleofide - 5
    Vinci - Artaserse - 1
    (exemplarisch für die späte Opera seria)


    Pergolesi - La serva padrona - 6
    (exemplarisch für die frühe Opera buffa)

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  • Obgleich durch das Zurückziehen meiner 150er-Liste nicht abstimmungsberechtigt, würde ich gerne einige Bemerkungen zur nunmehr vollzogenen Vorauswahl machen. Es besteht mittlerweile wohl Konsens dahingehend, ein posthum erstelltes Pasticcio nicht als repräsentativ für einen so bedeutenden Opernkomponisten wie Cesti zu erklären - andernfalls könnten wir uns bei Wagner auch mit Maazels „Ring without words“ begnügen.


    Doch ist es im Sinne der in Beitrag 1 genannten Massgaben, Cestis Goldapfel durch Orontea zu ersetzen? Trotz der dort hervorgehobenen genetischen Kriterien ist die gesamte Oper des 17. Jahrhunderts ausschliesslich durch Komponisten der venezianischen b.z.w. pariser „Schule“ vertreten. „Restitalien“, von A bis Abbatini bis Z wie Ziani fehlt, also auch die Römische Oper (ganz zu schweigen vom frühen Neapel, Bologna, Modena, Torino) - ein entwicklungsgeschichtlich entscheidender Strang der Operngeschichte. Ohne die Römische Oper des 17. Jahrhunderts gäbe es letztlich keinen Verdi oder Wagner!


    Ebenso ist die deutsche Oper dieses Jahrhunderts nicht vetreten. Cestis Pomo d’Oro, ohnehin eine Ikone der Operngeschichte, liesse sich nun wenigstens als Minimalkompensation verwenden. Einerseits ist der römische Einfluss m.E. präsenter als bei Orontea, vermutlich bedingt durch Cestis Aufenthalt in den 1660ern. Andererseits träte hierdurch die Wiener Oper in Erscheinung, das massgebende deutsche Haus dieser Zeit. Damit wird zwar nicht das Fehlen von Landi und Legrenzi und Rossi oder von Fux und Caldara ersetzt, ihrer aber doch wenigstens im Vorübergehen gedacht.


    So unzugänglich, wie hier mehrfach deklariert, ist Pomo d’Oro nun auch nicht. Die Partitur wurde bereits 1896/97 in den DTÖ publiziert, recht früh also für eine Barockoper. Der bei YouTube zu findende Mitschnitt ist natürlich überlieferungsbedingt nicht vollständig, hat aber immerhin eine Laufzeit von mehr als 5 Stunden:
    https://youtu.be/_gXisSOsfNY
    Wenn Orontea discographisch präsenter ist, liegt dies wohl eher an der praktischen Rezeptionsgeschichte, namentlich den „Festwochen der Alten Musik“ in Innsbruck, wo man naturgemäss dem genius loci huldigt.


    Als „exemplarisch“ für die Wiener Oper würde ich Cesti dennoch nicht betrachten, ebensowenig wie etwa Cavallis Giasone für dessen Oevre. Letzteres ist doch ungemein vielgestaltig, die beiden frühesten venezianischen Opern eigentlich noch sehr „unvenezianisch“, daneben kammerartige Besetzungen, dann wiederum Werke mit grossen Chorszenen und Tableaus …. Nun suggeriert die häufige Bezeichnung „exemplarisch“ aber doch, die genannten Werke seien besonders typisch oder charakteristisch für das Opernschaffen des jeweiligen Komponisten. Vielleicht wäre die Auswahl mit „stellvertretend für…“ treffender bezeichnet, auch wenn der Unterschied nur gering erscheinen mag.

  • Charpentier ist zwar auch nicht „exemplarisch“ für die Französische Oper der Zeit zwischen Lully und Rameau – dafür stünde im Zweifelsfall eher Campra – aber die Médée ist ein lohnend zu hörender Wurf.


    Zitat

    von Bertarido
    Bleibt die Hamburger Bürgeroper am Gänsemarkt, die immerhin für 60 Jahre das wichtigste deutschsprachige Theater war und deren Existenz von teils heftigen Debatten um die Zulässigkeit der Kunstform Oper begleitet wurde (der sogenannte Hamburgische Theaterstreit). Ich bin dankbar, dass einige dort uraufgeführte Werke genannt wurden, denn ich kenne mich hier nicht aus. […] Bleiben Reinhard Keiser, von dem der „Croesus“ genannt wurde, und Telemann als die wichtigsten Vertreter. Vielleicht kann jemand, der diese Werke vorgeschlagen hat, etwas zu deren Bedeutung sagen. Ich kenne sie nur in Auszügen, wenn überhaupt. Maximal eines könnte man aufnehmen.


    Keiser dürfte dann wohl als gesetzt gelten, zumal ja Staden, Franck, Fux, Biber oder Kerll ungenannt blieben. Doch wo ist der arme Telemann, zweifellos einer der ganz grossen (Opern-)Komponisten, der Brücken schlägt zwischen Barock und Klassik [nicht „Vorklassik“...] und der nicht nur an der Hamburger, sondern auch an der Leipziger Oper wichtige Arbeit leistete? Um dem restriktiven 25er Limit zu entkommen, sei auf den bereits genannten „Don Quichotte“ verwiesen, erst nach 1750 entstanden, also nicht mehr Gegenstand der Barockliste. Ein vorzügliches Werk, ausserdem ein schönes Beispiel für die - keineswegs nur komische - komödiantische Oper, zumal Highlights wie Keisers „Jodelet“ keine Nominierung für den Kanon erhielten. Und nachdem hier letztlich wieder so manches Vorurteil über Beliebigkeit und Austauschbarkeit von Barockoper bestätigt wurde, sollte nicht auch noch jenem Vorurteil Vorschub geleistet werden, welches den Deutschen Sinn für Humor abspricht :P .
    *

  • Lieber Gombert,


    vielen Dank für Deine sachkundigen Anmerkungen, die allerdings noch hilfreicher gewesen wären, wenn sie etwas früher gekommen wären. ;) Ich scheue mich, jetzt das Fass wieder aufzumachen und Opern z.B. aus Rom oder Wien hineinzunehmen, die nicht einmal auf der Vorschlagsliste standen. Und was sollte man dafür streichen? Bei einer limitierten Gesamtzahl muss man einen Kompromiss zwischen Breite und Tiefe eingehen, und ich denke, das haben wir trotz Deiner sicher berechtigten Bedenken ganz gut hinbekommen.


    "Stellvertretend" statt "exemplarisch" zu schreiben finde ich gut.


    Was Cesti betrifft: Ich sehe immer noch nicht viel Sinn darin, mit "Pomo d'Oro" eine Oper aufzunehmen, von der keine einzige Aufnahme vorliegt, mit Ausnahme eines YouTube- Videos, von dem man nie weiß, wie lange es erhalten bleibt. Das Studium der Partitur ist für den typischen Klassikhörer, an den wir uns hier richten, sicher keine Alternative. Daher bin ich für die pragmatische Lösung, ein Werk aus seinem Oevre zu nehmen, das auch zugänglich ist. Wenn es neben "Orontea" ein anderes solches gibt, das exemplarischer ist, dann gerne.


    Und mit Keisers "Croesus" haben wir ein Werk stellvertretend für die Hamburger Bürgeroper und damit auch für die frühe deutsche Oper. Ob wir nun etwas von Keiser oder Telemann nehmen, da bin ich ganz leidenschaftslos, aber zwei Werke aus diesem Bereich scheinen mir dann doch etwas zu viel zu sein. Es würde sich wieder die Frage stellen: Was dafür streichen? Einen Händel, einen Rameau? Sicher nicht, dazu sind die einfach zu wichtig, bei aller Wertschätzung für Telemann. Die Aufnahme des "Don Quichotte" können wir gerne noch einmal im nächsten Abschnitt erwägen, zu dem wir dann in Kürze auch kommen werden.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Trotz der Einwände von Gombert möchte ich nun mit dem „allgemeinen“ Teil beginnen. Wir nähern uns damit dem Bereich, der für die meisten Opernfreunde das Hauptinteresse darstellt (Mozart steht vor der Tür!). Daher hoffe ich, dass sich nun noch mehr Teilnehmer an der Diskussion beteiligen!


    I. Glucks Reformoper


    Gluck - Orfeo ed Euridice - 14
    Gluck - Alceste - 3
    Gluck - Iphigénie en Tauride - 8


    „Orfeo ed Euridice“ dürfte außer Frage stehen, man könnte lediglich diskutieren, ob man eine bestimmte Fassung vorschlägt und welche. Über Für und Wider der italienischen und der französischen Version könnte man lange diskutieren. Beide haben ihre Vorzüge. Ich würde für die italienische Erstfassung plädieren, weil sie deutlicher zeigt, dass Gluck hier bei allen schon deutlich werdenden Reformbestrebungen noch in vielen Punkten der barocken Tradition verhaftet ist. Wenn dann noch die Taurische Iphigenie dazu kommt, woran als Höhepunkt des Gluckschen Opernwerks m.E. kein Weg vorbei führt, hat man eine schöne Auswahl von früher und später, italienischer und französischer „Reformoper“. „Alceste“ finde ich hingegen verzichtbar. (Interessant übrigens, dass niemand die Aulidische Iphigenie nominiert hat.)


    Nun kommen Bereiche, in denen ich mich wenig bis gar nicht auskenne:


    II. Haydn


    Haydn - L´infedeltà delusa - 1
    Haydn - Il mondo della luna - 2
    Haydn - Lo Speziale (Der Apotheker) - 2
    Haydn - Orlando paladino - 1


    Wie bedeutend ist Haydn als Opernkomponist? Die Frage mögen andere beantworten. Ich beschränke mich auf die Anmerkung, dass von Haydn drei komische Oper und der heroisch-komische „Orlando“ nominiert wurden und bitte diejenigen, die dies getan haben, nun das Wort zu ergreifen (und jeden anderen natürlich auch).


    III. Noch mehr komische Opern


    Telemann - Don Quichotte auf der Hochzeit des Comacho - 1


    Dittersdorf - Doktor und Apotheker - 2


    Galuppi - Filosofo in Campagna - 2
    Piccinni - La Cecchina, ossia La Buona Figliuola - 1
    Cimarosa - Il matrimonio segreto - 5


    Ein Spätwerk von Telemann, ein frühes deutsches Singspiel und drei italienische Buffo-Opern. Was davon soll in den Kanon? Die Werke von Galuppi und Cimarosa kenne selbst ich, obwohl ich mich für das Genre wenig interessiere. „Il matrimonio segreto“ hat mit Abstand die meisten Stimmen, ist also wohl gesetzt? Brauchen wir noch eine zweite Oper aus dieser Liste? Zur Erinnerung: Pergolesis "La serva padrona" haben wir schon, damit hätten wir zwei Beispiele für die italienische Buffa. Galuppis "Filosofo in Campagna" ist natürlich auch recht bekannt, aber bringt die etwas anderes hinein als diese beiden?


    Für Telemanns Don Quichotte hat sich Gombert stark gemacht (siehe Beitrag 102). Und Dittersdorf?


    IV. Seria und kein Ende


    Bach J. Chr. - Lucio Silla - 1
    Jommelli - Fetonte - 1
    Piccinni - Catone in Utica - 1
    Cimarosa - Eine der Opere serie nach Wahl - 1
    Salieri - Les Danaïdes (stellvertretend für Salieris Seria-Opern) - 1
    Traetta - Ifigenia in Tauride - 1


    Wie schon erwähnt: die Opera seria lebt auch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts noch. Ich persönlich ziehe jedes dieser Werke den vorgenannten Buffo-Opern vor und hätte nichts dagegen, noch eine in den Kanon aufzunehmen. Ob ich damit Unterstützung finde?


    Salieri habe ich vorgeschlagen, weil mir dieser arme Mensch als Komponist zu wenig Beachtung findet und er m.E. eine ganze Reihe vorzüglicher Opern geschrieben hat, deren Licht allerdings neben dem alles überstrahlenden Mozart verblasst. Auch Jommellis „Fetonte“ aus der Stuttgarter Zeit des Komponisten ist ein beachtliches Werk, das die Seria-Form durch französische Einflüsse anreichert und in Arienstil und Orchesterbehandlung viele innovative Züge aufweist (der Vorschlag kam von Siegfried). Johann Christian Bachs „Lucio Silla“ hat dr.pingel vorgeschlagen, Traettas „Ifigenia“ und Piccinnis „Catone in Utica“ kamen von Caruso. Dazu kann ich nichts sagen und bitte diese beiden um Wortmeldung.


    V. Mozart


    Mozart - Bastien und Bastienne - 1
    Mozart - Idomeneo - 9
    Mozart - Die Entführung aus dem Serail - 12
    Mozart - Le Nozze di Figaro - 15
    Mozart - Don Giovanni - 15
    Mozart - Così fan tutte - 12
    Mozart - La Clemenza di Tito - 2
    Mozart - Die Zauberflöte - 14


    Über die „Big Five“ müssen wir wohl nicht reden. „Bastien und Bastienne“ sehe ich ebensowenig im Kanon wie „La Clemenza di Tito“, auch wenn ich dieses letztere Werk sehr schätze. Diskussionsbedarf sehe ich beim „Idomeneo“, der immerhin neun Nominierungen bekommen hat. In or out?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Das Fehlen der "Iphigénie en Aulide" fiel mir auch auf. Auf Tonträger scheint sie ja eher besser dokumentiert zu sein als die "Iphigénie en Tauride", die ich trotzdem bevorzugen würde und auch nominiert habe.


    Interessant auch der immer noch merkliche, wenn auch nicht so ins Gewicht fallende Abstand der "Così fan tutte" zu den anderen Da-Ponte-Opern. Im 19. Jahrhundert wäre die vermutlich in einem Opernkanon sogar durchgefallen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das Fehlen der "Iphigénie en Aulide" fiel mir auch auf. Auf Tonträger scheint sie ja eher besser dokumentiert zu sein als die "Iphigénie en Tauride",


    Wenn man die Tondokumente vom so genannten grauen Markt mit einbezieht, dann rangiert die "Tauridische" deutlich vor der "Aulidischen" - ungefähr im Verhältnis drei zu eins. Das ist zwar kein Beweis, wenigstens aber ein Indiz dafür, welchem Werk der Vorzug gehören könnte. Ich habe genau wie Du auch die "Iphigénie en Tauride" nomoiniert, weil ich sie im Aufbau klarer, dichter und kompakter finde.

    Interessant auch der immer noch merkliche, wenn auch nicht so ins Gewicht fallende Abstand der "Così fan tutte" zu den anderen Da-Ponte-Opern. Im 19. Jahrhundert wäre die vermutlich in einem Opernkanon sogar durchgefallen.


    Das ist eine interessante Bemrkung. Die "Cosi" wurde einfach nicht verstanden. Und wenn, dann für "unanstädig" befunden, wie es in einem Opernführer von 1906 steht, den ich mal eben hervorgesucht habe. Es gab seit der Uraufführung viele Versuche, das Libretto umzuschreiben, ganz zu ersetzen, wenigsten aber den Titel zu verändern. "Liebe und Versuchung" , "Eine machts wie die andere", "Mädchen sind Mädchen", "Die Wette", "Die Zaubertprobe" sind nur ein paar Beispiele. Französisch erschien die Oper zunächst in der Handlung nach Shakespeares "Verlorene Liebesmüh". Für mich ist "Cosi fan tutte" das Mozartsche Meisterwerk schlechhin. :) Wäre im Kanon nur eine Mozartoper gestattet gewesen, ich hätte mich für die "Cosi" entschieden.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Da durch die Verfügbarkeit via youtube von Cestis Pomo d'oro das Argument hinfällig ist, dass keine Opern drin sein sollen, die man nicht anhören kann, sollte Orontea wieder durch den ohnehin öfter nominierten Pomo d'oro ersetzt werden.
    :yes:

  • Idomeneo ist die beste Opera seria ever, eher ein Schlusspunkt in der Gattung (obwohl sicher jemand eine Rossinische Seria nominieren wird...). Aber immerhin erfolgreich im 20. Jhd. fürs Repertoire reaktiviert und erheblich präsenter als einiges, was aus "historischen Gründen" aufgenommen wurde. Sechs Werke für den im deutschsprachigen Raum nach wie vor das Repertoire dominierenden Komponisten (typischerweise findet man 3-4 Mozart-Opern in den top 10 der Aufführungsstatistiken) scheint mir auch nicht exzessiv und es ist klar, dass Idomeneo der Kandidat vor einer der früheren Opern oder Titus oder Schauspieldirektor ist.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich glaube, dass für Haydn eine Oper genügt, und das wäre die bekannteste und auch heute noch oft gespielte "L´infedeltà delusa".
    Cimarosas "Matrimonio" ist ja wohl gesetzt, da sie heute noch oft gespielt wird (ich habe sie 3x in verschiedenen Häusern gesehen") und auch zeigt, dass es großartige Komponisten neben Mozart gab.
    Johann Christian Bachs "Lucio Silla" wäre dann eine Bach-Oper, die wir, wenn wir mal von der Johannespassion absehen :D , ja sonst nicht haben. Ich kenne Lucio Silla aus einer WDR-Aufnahme sehr gut; sie ist allerdings so bearbeitet, dass die Rezitative wegfielen und die Handlung erzählt wird. Die Musik ist allerdings sehr gut; sie zeigt deutlich die Entwicklung Johann Christians weg von der Musik meines Vaters. Außerdem weiß man ja, dass Johann Christian damals der berühmteste Bach überhaupt war.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Außer Gluck und Mozart sehe ich jetzt anhand der Nominierungen nur Haydn und Cimarosa als mögliche Kandidaten für das späte 18. Jahrhundert, abgesehen von Cherubinis Médée, die offenbar erst später verhandelt werden soll.


  • Das ist eine interessante Bemrkung. Die "Cosi" wurde einfach nicht verstanden. Und wenn, dann für "unanstädig" befunden, wie es in einem Opernführer von 1906 steht, den ich mal eben hervorgesucht habe.


    Das ist aber doch hochgradig relevant für die historische Bedeutung einer Oper. Ich finde ja auch begrüßenswert, dass Così im 20. Jhd. sich einen Platz zurückerobern konnte, aber es ist eben nicht unwichtig, dass ein Mozart-Verehrer wie Beethoven die Idee eines Kanons der Hauptfiguren klauen, aber das Sujet vehement ablehnen konnte und dass das Stück im 19. Jhd. praktisch "tot" war (anscheinend war auch Figaro deutlich weniger verbreitet als Don Giovanni und Zauberflöte). Ein Kanon hat idealerweise solche historischen Entwicklungen "aufgesogen" und spiegelt sie zumindest teilweise.


    Daher könnte man m.E. auf eine Oper Haydns auch ganz verzichten.

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    (Bob Dylan)

  • Vielleicht, aber heute wird die "Infideltà" nur noch italienisch gesungen!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich halte fest:


    Cesti: Wenn die Mehrheit die Meinung von Gombert und kurzstueckmeister teilt, dass ein YouTube-Clip reicht, um ein Werk kennenzulernen, dann soll es mir recht sein, „Il pomo d'oro“ statt „Orontea“ zu nehmen.


    I. Gluck:


    Es gab keinen Widerspruch gegen meinen Vorschlag, die italienische Erstfassung von „Orfeo ed Euridice“ und die „Iphigénie en Tauride“ auszuwählen.


    II. Haydn:


    Die Begeisterung für Haydns Opern hält sich in Grenzen, aber es gab auch keinen vehementen Widerspruch gegen dr.pingels Vorschlag von „L´infedeltà delusa“. Wenn sich daran nichts ändert, lassen wir sie drin, vielleicht wieder mit dem Vermerk „stellvertretend für Haydns Opern“.


    III. Komische Opern:


    Zu Telemanns „Don Quichotte“ hat sich niemand mehr geäußert nach Gomberts sachkundigem Plädoyer dafür. Ich lasse sie mal drin mit Fragezeichen.


    Dittersdorfs „Doktor und Apotheker“ fliegt raus, wenn niemand Argumente dafür bringt (wurde von Alfred und Knusperhexe vorgeschlagen, die dafür in den Ring steigen müssten, da es offenbar sonst niemand tut).


    Von den drei Italienern würde nur Cimarosas „Il matrimonio segreto“ überleben, wenn sich nicht doch noch jemand für Galuppi stark macht.


    IV. Seria-Opern


    Für Johann Christian Bachs "Lucio Silla" hat sich der dottore ausgesprochen. Ich persönlich wäre ja eher für Salieri, der zu Lebzeiten doch wohl noch berühmter war als der Bach-Sohn und dessen Opern größtenteils sehr erfolgreich waren (nicht nur in Wien). Aber beide Komponisten sind hier mit nur einer Nominierung natürlich schwach gestützt, ebenso wie alle anderen genannten. Man könnte auch auf alle verzichten, da wir dann bei Mozart ja noch eine weitere Seria haben. Gibt es weitere Meinungsäußerungen dazu?


    V. Mozart


    Dass „Idomeneo“ die „beste Opera seria ever“ ist, muss man nicht unterschreiben, aber auf jeden Fall ist es eine verdammt gute, und ich bin natürlich sehr glücklich damit, sie aufzunehmen. Sechs Werke von Mozart im Kanon finde ich völlig gerechtfertigt.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Lieber Bertarido!


    Danke wieder für Deine wunderbare Vorsortierung!


    Es gab keinen Widerspruch gegen meinen Vorschlag, die italienische Erstfassung von „Orfeo ed Euridice“ und die „Iphigénie en Tauride“ auszuwählen.


    Volle Zustimmung!


    Die Begeisterung für Haydns Opern hält sich in Grenzen, aber es gab auch keinen vehementen Widerspruch gegen dr.pingels Vorschlag von „L´infedeltà delusa“.


    Meine Begeisterung für die Opern Haydns ist auch begrenzt. Für die „L´infedeltà delusa“ aber habe ich gar keine Begeisterung. Ich habe sie zweimal live gehört (zuletzt in Anthony Pilavachis hinreißender Lübecker Inszenierung!) . Das Beste ist das Libretto! Witzig, gallig, zynisch! Bei der Musik ist mir nicht aufgegangen, dass Haydn ein bedeutender Operkomponist war.
    Wesentlich interessanter fand ich "Armida"! Es ist sicher kein Zufall, dass es da großartige Einspielungen von gibt: Janowitz, Norman, Gencer, Bartoli und so weiter! Ein Werk, das Haydn selbet für seine beste Oper hielt!


    Dittersdorfs „Doktor und Apotheker“ fliegt raus, wenn niemand Argumente dafür bringt


    Keine Träne!!
    Telemanns „Don Quichotte“ reicht!!


    Für Johann Christian Bachs "Lucio Silla" hat sich der dottore ausgesprochen. Ich persönlich wäre ja eher für Salieri, der zu Lebzeiten doch wohl noch berühmter war als der Bach-Sohn und dessen Opern größtenteils sehr erfolgreich waren (nicht nur in Wien).


    Bachs "Lucio Silla" hat schon seine Qualitäten. Aber Salieris "Les Danaides" würde ich doch für bedeutender halten! Ich habe sie nie live gehört, aber die Aufnahme mit Margaret Marshall und Raul Gimenez finde ich schon eindrucksvoll und ich höre ich öfter. Vor allem wäre Dein Argument, dass Salieri der in der Epoche bedeutender war als Johann Christian Bach, nicht von der Hand zu weisen! Sollte das nicht auch eine Rolle spielen?


    Sechs Werke von Mozart im Kanon finde ich völlig gerechtfertigt.


    Ich finde das OK! Zumal Verdi und Wagner vermutlich auch mit einem halben Dutzend vertreten sein werden!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich bin mit den Korrekturen von Caruso einverstanden; "Infideltà delusa" habe ich genommen, weil ich sie einigermaßen kenne. Wenn ihr auf "Armida" wechseln wollt, nur zu.
    Auch "Lucio Silla" kann durch einen Salieri ersetzt werden, da kenne ich mich aber nicht aus.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Der Salieri fliegt spätestens wieder raus, wenn wir bei Puccini angekommen sind und feststellen, dass zu viele Opern drin sind.
    (Bzw. Dittersdorf und J.C.Bach, sofern die jetzt noch drin sein sollten.)

  • Dittersdorfs „Doktor und Apotheker“ fliegt raus, wenn niemand Argumente dafür bringt (wurde von Alfred und Knusperhexe vorgeschlagen, die dafür in den Ring steigen müssten, da es offenbar sonst niemand tut).


    Oh, das Werk hätte ich aber wirklich gerne dabei. Abgesehen davon, dass es in einer Lünette der Semperoper abgebildet ist, halte ich es auf Grund seiner volkstümlichen Melodien für eine der gelungensten Nummernopern.

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