Schuberts „Winterreise“ post Fischer-Dieskau

  • Robert Holl singt am 10. März 2017 Schuberts Winterreise?
    Bemerkenswert! An diesem Tag wird er siebzig Jahre alt.


    Oh, vielen Dank, dass du so aufmerksam bist! Mir ist das gar nicht aufgefallen.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Nein, Du musst Dich nicht bedanken, lieber Melot1967!
    Mir war das ja gar nicht bewusst, da ich nicht zu denen hier im Forum gehöre, die von Sängern und Sangeskunst wirklich was verstehen und diesbezüglich über große einschlägige Kenntnisse verfügen.


    Ich wurde nur stutzig, als ich den Namen "Robert Holl" las, denn ich hatte ihn ja bei meinen Einlassungen zu diesem Thread, um die Generation wissend, der er angehört, gar nicht berücksichtigt.


    Gleichwohl gibt es hier dankenswerterweise Kommentare zu seiner Winterreise-Interpretation, und zwar von Glockenton (Beitrag 123) und von William B.A. (Beitrag 127)

  • Es ist vielleicht in diesem Zusammenhang interessant, dass Robert Holl die Winterreise zumindest dreimal aufgenommen hat, zum ersten Mal im Jahre 1980 mit Konrad Richter, im Alter von 33 Jahren:



    dann zum zweiten Mal (erschienen 1992) mit Oleg Maisenberg, evtl. im Alter von 45 Jahren:
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    dann zum dritten Mal im Jahre 1995 mit Naum Grubert, im Alter von 48 Jahren (diese Aufnahme ist in meiner Sammlung):
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    Alle drei Gesamtaufnahmen sind bei Amazon Music über die "Unlimited-funktion" komplett kostenlos anzuhören..


    Am 10. März werde ich aus gegebenem Anlass noch etwas näher auf Robert Holl eingehen, einen, wie ich finde, äußerst vielseitigen Musiker.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Die Interpretation der „Winterreise“ durch Robert Holl vermag – aus meiner Sicht, versteht sich - in hohem Maße zu überzeugen. Dies deshalb, weil man in allen Liedern vernimmt, dass ihrer gesanglichen Gestaltung ein interpretatorisches Konzept zugrundeliegt, das auf einem spezifischen Verständnis des Protagonisten basiert. Es ist das eines still vor sich hin wandernden, einsamen, seine existenzielle Situation reflektierenden und dies in monologische Äußerungen umsetzenden Menschen.


    Bemerkenswert, und darin gleichsam der Niederschlag dieses interpretatorischen Konzepts, ist Holls Verzicht auf den großen expressiven Ausbruch. Sein Gesang verbleibt allemal in der monologischen Stille des einsamen Wanderers, und die Ausbrüche, die es – vom zugrundeliegenden lyrischen und von Schuberts Notentext her – natürlich geben muss, erfolgen gesanglich bemerkenswert zurückhaltend und werden auf die wirklich relevante liedmusikalische Passage beschränkt.


    Um das zu konkretisieren, sei kurz auf das erste Lied eingegangen. Holl fügt sich hier ganz und gar in die von Schubert vorgegebene, wie schicksalhaft anmutende Gleichförmigkeit des chromatisch harmonisierten Schreit-Rhythmus ein. Eben deshalb setzt er kaum deklamatorische Akzente. So wird das Wort „fremd“ nicht sonderlich hervorgehoben, vielmehr deklamatorisch in die fallende melodische Linie eingebunden. Das gilt auch das nächste lyrisch relevante Wort „der Mai“. Hier verfährt er deklamatorisch genauso. Dort aber, wo in die retrospektivische Reflexion das zurückliegende Erlebnis einbricht, wird Holl – und das macht eben die Stimmigkeit seiner Interpretation deutlich – punktuell expressiv.


    So bei etwa bei den Worten „die Mutter gar von Eh´“. Bei den Worten „nun ist die Welt so trübe“ fällt er aber wieder in seinen zurückhaltend-introvertierten und wie resignativ wirkenden gesanglich-interpretatorischen Gestus zurück. Die in Moll-Harmonik gebettete und ganz und gar vom Fall geprägte melodische Linie auf den Worten „Ich kann zu meiner Reise“ gibt er gesanglich deshalb so überzeugend wieder, weil er sich ihr völlig überlässt, dergestalt dass er kein Wort deklamatorisch hervorhebt. Und wie sehr er Schuberts Liedmusik interpretatorisch gerecht wird, das wird an dem Umschlag sinnfällig, der mit einem Mal bei den Worten „Es zieht ein Mondenschatten“ in die gesangliche Realisierung der melodischen Linie kommt: Nun wird jedem deklamatorischen Schritt auf den einzelnen Silben des lyrischen Textes ein behutsam vorgenommenes, also keineswegs auf Expressivität angelegtes Gewicht beigemessen.


    Diese Erfahrungen, Zeugnisse einer hochgradig reflektierten und – selbstverständlich – adäquaten gesanglichen Realisierung Auseinandersetzung mit Schuberts Liedmusik, macht man bei allen Liedern der „Winterreise“ in der Interpretation durch Robert Holl.


    (Zugrunde liegt diesen Anmerkungen der Höreindruck, wie ihn die 1980 entstandene Aufnahme mit Konrad Richter am Klavier vermittelt)

  • vom zugrundeliegenden lyrischen und von Schuberts Notentext her – natürlich geben muss, erfolgen gesanglich bemerkenswert zurückhaltend und werden auf die wirklich relevante liedmusikalische Passage beschränkt.


    Robert Holl komponiert selbst Lieder und Klavierstücke, das könnte der Grund sein, warum er die Anweisungen des Komponisten in ganz besonderer Weise achtet. Schon oft durfte ich ihn im Konzertsaal erleben, Zurückhaltung ist so eine Art »Markenzeichen« von ihm.

  • Zit.: "Zurückhaltung ist so eine Art »Markenzeichen« von ihm."


    Mir ist diese "Zurückhaltung" als Wesensmerkmal seiner Winterreise-Interpretation aufgefallen, und ich habe sie als interpretatorische Konsequenz aus seinem Verständnis des Protagonisten, wie ihn Schubert liedmusikalisch gestaltet hat, verstanden.
    Wenn sie überdies ein "Markenzeichen" von Robert Holl ist, dann ist er also im Falle der Winterreise als Sänger nicht nur beim Protagonisten, sondern auch bei sich selbst.

  • Man lese die ursprüngliche Intention für diesen Thread: Schuberts „Winterreise“ post Fischer-Dieskau


    Ich habe beim Renovieren der schwarzen a....-Löcher festgestellt, dass diese erwähnte Aufnahme ohne Cover erwähnt wurde.


    Man könnte die Interpreten dieser Winterreise-Aufnahme, den Bariton Hans Christoph Begemann und den Pianisten Thomas Seyboldt im Thread übersehen. Auf dem Cover ist der Titel Winterreise nicht sichtbar..


    Helmut Hofmann hat in Beitrag 369 das Lied Im Dorfe daraus gewürdigt. Schuberts „Winterreise“ post Fischer-Dieskau


    Ich stelle die Box hier vor, worin Winterreise D. 911 enthalten ist. Beim Werbepartner ist sie noch erhältlich.


    Es ist eine Live-Aufnahme, die der Südwestfunk 1997 aufgezeichnet hatte.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Auf diese Aufnahme wurde ich durch den Liedbegleiter Thread aufmerksam gemacht.


    Der Tenor Jan van Elsacker und der Pianist Tom Beghin haben 2013 die schubertsche Winterreise D. 911 aufgenommen und 2014 beim Label Evil Penguin veröffentlicht.


    Bemerkenswert ist: Es kommt ein Hammerklavier von Gottlieb Hafner zum Einsatz. Es stammt aus dem Jahr 1830 und wurde in Wien gefertigt. Es bietet gegenüber dem modernen Konzertflügel klanglich weitere Möglichkeiten.


    Tom Beghin ist ein ausgewiesener Fortepiano-Spezialist. Er setzt die klanglichen Möglichkeiten ein, die ihm das Instrument bieten. In Die Post hört man dies auch im Hörschnipsel Track 11. Wenn er das Pedal einsetzt, bekommt die Begleitung einen murmelnden Klang. Die Phrasierung setzt er anders ein, als ich sie von anderen Begleitern kenne. Ich muss mich in seine Interpretation eingewöhnen. Das Irrlichten in Täuschung Track 19 mit abgesetzten Akkorden sagt mir zu. Rubato setzt er oft ein.


    Ich muss meine Partitur der Winterreise aus dem Stapel suchen um zu prüfen, wie eng sich die Interpreten an den Notentext halten.


    Dass Deutsch nicht die Muttersprache des Sängers ist, darüber muss man hinweghören. Die Stimme ist hell. Jan van Elsacker wählt einen deklamatorischen Ansatz.



    Zum Sänger:


    Jan Van Elsacker gewann Erste Preise in den Fächern Gesang und Klavier am Königlichen Flämischen Konservatorium in Antwerpen. Bereits in jungen Jahren arbeitete er mit Philippe Herreweghe, Gustav Leaonhardt, Sigiswald Kuyken und Jos van Immerseel. Heute tritt Jan Van Elsacker regelmäßig mit Le Poème Harmonique (Vincent Dumestre), L'Arpeggiata (Christina Pluhar), Concerto Palatino (Bruce Dickey), Weser Renaissance (Manfred Cordes) und La Fenice (Jean Tubery) auf. 1996 war er Preisträger beim internationalen Wettberweb Musica Antiqua in Brugge. 2003 nahm er beim Festival Musica Antiqua in Brugge eine zentrale Rolle ein, als er neben dem Combattimento di Tacredi e Clorinda (Monteverdi) ein Schumann-Recital mit der Pianistin Claire Chevallier gab. Im Januar 2008 gab er sein Debüt als Orfeo (Monteverdi) am Nationalen Opernhaus in Polen mit dem Ensemble La Fenice (Leitung: Jean Tubery).

    "Ein außergewöhnlicher Evangelist, der dem Text atemberaubende Präsenz verleiht", Jan Van Elsacker ist jedes Jahr sehr gesucht, um die Passionen von J.S.Bach aufzuführen. Aber sein raffiniertes Feingefühl passt auch perfekt zur italienischem Monodie des Anfangs des siebzehnten Jahrhunderts.


    Seit 2010 unterrichtet Jan Van Elsacker an der Staatlichen Hochschule für Musik in Trossingen/Deutschland.


    Quelle: Webseite Staatliche Hochschule für Musik Trossingen



    Zum Pianisten


    Tom Beghin studierte am Lemmens-Institut in Löwen, Belgien (bei Alan Weiss), an der Musik-Akademie in Basel, Schweiz (bei Rudolf Buchbinder und Jean Goverts) und promovierte bei Malcolm Bilson und James Webster an der Cornell University ( Ithaka, New York). Nach seiner Tätigkeit an der Fakultät der University of California, Los Angeles (1997–2003) und einem Aufenthalt am National Humanities Center (North Carolina) als „William J. Bouwsma Fellow“ (2002–03) wurde er außerordentlicher Professor an der University of California, Los Angeles an der Schulich School of Music der McGill University (Montreal, Kanada), wo er Musikgeschichte, Aufführungspraxis und Hammerklavier unterrichtet. Seit 2015 ist er außerdem Senior Researcher am Orpheus Institute (Gent, Belgien).


    Quelle Webseite McGill University



    Mehr zur Aufnahme und dem Fortepiano erfährt man in diesem You Tube Film.



    Der Leiermann



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    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Wer den Notentext der Winterreise im Autograph verfolgen möchte, die Webseite von The Morgan Library & Museum, New York macht es zugänglich.


    zum Browsen (rote Schaltfläche oben) oder als PDF (rote Schrift unten)


    https://www.themorgan.org/music/manuscript/115668


    Aufschlussreich ist schon der Beginn der Klaviereinleitung "Gute Nacht" im 2/4-Takt mit der Tempoangabe: Mässig, in gehender Bewegung


    Schubert setzt p für piano, dann, man muss sehr genau hinsehen zwei mal fp




    "in gehender Bewegung" fehlt, im zweiten Takt sind vier Punkte über den Noten hinzugefügt (Edition Peters, hohe Stimme)



    bei Breitkopf 1895 steht "Mässig, in gehender Bewegung", die vier Punkte in zweiten Takt sind hinzugefügt


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
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