Transzendente Musik - Maurice Ravel

  • Nein absolut nicht, aber wenn du noch weiter der Idee nachgehst, den Reclamführer nicht nur als Tür-offen-Halter zu verwenden, sehe ich schwarz für deine Glaubwürdigkeit vor Gericht als Zeuge. :baeh01:

    Das Frühstück ist ihm viel zuviel Zeremonie. Die ganze Lächerlichkeit kommt zum Ausdruck, wenn ich den Löffel in die Hand nehme. Die ganze Sinnlosigkeit. Das Zuckerstück ist ja ein Anschlag gegen mich. Das Brot. Die Milch. Eine Katastrophe. So fängt der Tag mit hinterhältiger Süßigkeit an.

  • Lieber Thomas,
    den Reclam-Führer kannst Du vergessen. In meinem steht, daß Mahler alles zusammengestohlen hat und Strauss das Wasser micht reichen kann. Da sind offenbar ein paar Vorurteile nicht getilgt worden.
    :hello:

    ...

  • Heute vor 75 Jahren ist er in Paris gestorben:



    Joseph-Maurice Ravel (* 7. März 1875 in Ciboure, Département Pyrénées-Atlantiques; † 28. Dezember 1937 in Paris) war ein französischer Komponist und neben Claude Debussy Hauptvertreter des Impressionismus in der Musik.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo,


    ob das nun transzendente Musik ist? - nachdem es keinen anderen allgemeinen Thread zu Ravel gibt, poste ich also hier.

    Es geht um die Orchestersuite Nr. 2 aus Ravels Ballettmusik Daphne und Chloe.


    Daphne und Chloe sind ein antikes griechisches Liebespaar, das in einer pastoralen Umgebung (hier nicht religiös zu verstehen, sondern ländlich, also unter Schaf- und Ziegenhirten) aufwächst und dort auch weiterlebt - der Text ist Vorlage geworden zu vielen Werken der Musik, Dichtung und darstellenden Kunst.


    Die von Ravel stammenden Überschriften der 3 ineinander übergehenden Sätze lauten: Lever du jour, Pantomime und Danse generale.


    Ich gehe nun nicht programmatisch auf die Musik ein, sondern auf den Orchesterklang und die einmalige Farbpalette der verwendeten Instrumente (und der sicher sehr individuellen Wirkungen, welche die Musik beim Hörer auslöst), allein die Percussion: Pauke, große + kleine Trommel, baskische Trommel, Rühr/Schnarrtrommel, Zimbeln, Triangeln, Kastagnetten, Celesta, Caisa (Stahlbecken).


    Mit Arpeggioklängen der 2 Harfen über einem tiefen, etwas undefinierbaren Orchesterklang beginnt das Werk, dazu kommt nun Celesta (=ein weicherer Klang als Glockenspiel), Triangeln, Zimbeln und sehr hohe, z. T. leicht scharf klingende Flöten. Das ganze hat sich nun mit cresc. zu einem volltönenden, aber dennoch ungewöhnlich (geheimnisvoll?) klingenden Orchesterklang gesteigert, das nun dim. abnimmt und in den tiefen Streichern eine Thema emporkommt, das mit Phrasen von sehr hohen Flöten und Oboen umspielt wird. Um diesem Rausch an Klangfarben nun noch die Krone aufzusetzen (wie Debussy in seinen "Nocturnes"), lässt Ravel das Thema - mehrmals in chromatischen Varianten - durch einen vokalisierenden Chor vortragen, damit den Charakter der Musik noch verstärkend. Die Streicher erhöhen nun die Dynamik, worauf in dim. tiefe Harfenarpeggien die Themawiederholung in den Celli und Kontrabässen vorbereiten und der Klang mit großem cresc. und dem vollen Orchester in obere Tonhöhen gleitet; am höchsten Punkt wieder der Chor vokalisierend und auch die volle Percussion den Klang erweiternd. Nach einem sehr langen dim. kommen nun erst 2 Klarinetten, gefolgt von hohen Holzbläsern, die nun zu einer dunkleren Orchesterfarbe, mit Harfeneinwürfen, überleiten. Es folgen kurze, durch die solistisch eingesetzten Instrumente immer wieder stark wechselnde Klangfarben. Nach einer sehr hohen Violin-Solopassage wiederholt sich der (geheimnisvolle?) Orchesterklang. Sehr markante Blechbläser bringen das Thema, Streicher und Holzbläser geben die Klangstütze, was nun zu einem ganz anderen sehr bewegten Rhythmus führt, da kommen auch die diversen Trommeln, Pauke zum Einsatz. Die Rühr-/Schnarrtrommel "heizt" das Tempo wieder an, in welchem der Chor, dynamisch und in den Akkordfolgen sich steigernd, auch eingebunden wird. Mit ekstatischen Steigerungen in Dynamik, Rhythmik und Harmonik geht das Werk zu Ende.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • An Ravel finde ich überhaupt nichts Transzendentes. Für mich ist das eher hochvirtuose und bis ins kleinste Detail sorgfältig konstruierte Musik. Ravel war sicherlich technisch gesehen einer der besten Komponisten, die jemals gelebt haben - aber gerade das Vergeistigte fehlt mir bei ihm völlig. Eher erscheinen mir seine Werke als "Kompositionsprojekte" ohne tiefes Gefühl. Mich erinnert Ravel also sehr stark an Richard Strauss, aber sicherlich tue ich ihm damit unrecht.

  • ...Für mich ist das eher hochvirtuose und bis ins kleinste Detail sorgfältig konstruierte Musik. Ravel war sicherlich technisch gesehen einer der besten Komponisten, die jemals gelebt haben - aber gerade das Vergeistigte fehlt mir bei ihm völlig. Eher erscheinen mir seine Werke als "Kompositionsprojekte" ohne tiefes Gefühl. Mich erinnert Ravel also sehr stark an Richard Strauss, aber sicherlich tue ich ihm damit unrecht.


    In welche "Schublade" er gesteckt wird ist mir egal - ich mag das "inschubladenstecken" nicht.
    Sorgfältig konstruierte komponierte Musik - seine Orchestrierung ist hohe Kunst, ebenso wie die von Berlioz usw.
    "Das Vergeistigte, das Gefühl" bringt er durch Klangfarben (eine der Domänen der Musik) zum Ausdruck.
    Meinst Du die sinfonischen Dichtungen von Strauss? Da höre ich Ravel ganz anders.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler


  • In welche "Schublade" er gesteckt wird ist mir egal - ich mag das "inschubladenstecken" nicht.
    Sorgfältig konstruierte komponierte Musik - seine Orchestrierung ist hohe Kunst, ebenso wie die von Berlioz usw.
    "Das Vergeistigte, das Gefühl" bringt er durch Klangfarben (eine der Domänen der Musik) zum Ausdruck.
    Meinst Du die sinfonischen Dichtungen von Strauss? Da höre ich Ravel ganz anders.

    Und ich mag es nicht, wenn jemand in praktisch jedem seiner Beiträge glaubt anführen zu müssen, was er an anderen mag und was nicht. Aber wurscht - zur Sache:


    Was Ravel mit Strauss meiner Meinung nach zusammen hat, ist das "Missverhältnis" zwischen technischer Raffinesse einerseits und Aussagegehalt bzw. Tiefe andererseits. Prinzipiell scheinen mir beide Komponisten enormen Wert auf eine polierte Oberfläche zu legen. Auch Strauss war ein Meister der Orchestrierung, der, wie Dir wohl bekannt sein dürfte, Berlioz' Instrumentierungslehre überarbeitet bzw. "aktualisiert" hat. Konkrete Ähnlichkeiten gibt es natürlich auch, allerdings ging es mir nicht darum: z.B. Till Eulenspiegel vs. Alborada del Gracioso.

  • "Die Musik Ravels drückt etwas aus, aber nur deshalb, weil sie es nicht gewollt hat. Ravel ist gerade deshalb tief, weil er oberflächlich ist; das ist die durchsichtige Tiefe, diejenige, die ganz in der Genauigkeit beruht. Das Gegenteil ist die dialektische Tiefe. - Ravels Tiefe ist die kristallklare Tiefe der Unbefangenheit. Diese göttliche Unbefangenheit hat er in seiner Umgebung in vielen Forem gesucht; bei den Tieren, denen er seit den Histoires naturelles immer wieder treue Liebe gezeigt hat, und vor allem bei den Kindern. Für ihn sind die Kinder nicht, wie für Schumann, ein geistiges Mysterium, kleine ernste, tiefe Wesen - >fast zu ernst< -, sondern ganz einfach liebenswürdige Anekdoten, die nichts anderes bedeuten als das, was sie sind: denn es ist der Unschuld eigen, schon durch ihr bloßes Dasein tief zu sein, und nicht erst als Allegorie oder als Zeichen für etwas anderes.


    Hier hört das Geheimnis der Masken auf. Alles ist klar, jungfräulich und vollkommen durchsichtig geworden. Eine dunkle Reinheit. Aber diese Durchsichtigkeit ist von einer elementaren Ursprünglichkeit, denn das in L´Enfant et les Sortilieges entfesselte kleine Wesen gleicht in nichts der braven Puppe in >Childrens Corner< (Debussy), die mit ihren Elefanten in einer sehr kultivierten Kinderstube spielt; in seinem Zerstörungstrieb erinnert es viel mehr an die wilden Kleinen Mussorgskys. Wenn also >der Dichter spricht<, so spricht er nicht, um das Rätsel aufzulösen oder den geheimen Sinn dieser Spiele zu enthüllen, sondern um uns die durch Güte verwandelten Kräfte der Leidenschaft zu zeigen. Es gibt kein Geheimnis."


    Vladimir Jankelevitch

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Im Eingangsposting wird m.E. deutlich, dass der Schreiber nur auf der Suche nach einem griffigen Titel war (und sich dabei vielleicht vergriffen hat ;)). Es ist wohl nicht sehr fruchtbar, sich an den Ausdruck transzendent zu hängen, bei dem ich auch nicht weiß, was das genau in der Musik bedeuten sollte.
    Ich denke, dass der Unterschied zu zB Strauss gerade bezüglich der Dimension der irgendwie "metaphysisch" aufgeladenen Tiefe deutlich ist. Anders als Ravels "Bekenntnis zur Oberfläche" (in manchen Werken, ich kann das oft auch gar nicht nachvollziehen), haben Stücke wie "Tod und Verklärung", "Zarathustra" diese Titel ja nicht zufällig. Man kann kaum vermeiden, daraus einen Anspruch der Musik auf eine dem Sujet entsprechende Tiefe abzuleiten. Klar, man kann Strauss vorwerfen, dass er diese Tiefe nicht erreicht.


    Verglichen mit Mahler mag Strauss "distanziert" oder "objektiv" wirken, aus meiner Sicht ist er in dieser Dimension aber viel näher an Mahler als an Ravel, der eben noch weit distanzierter und weniger subjektiv komponiert. Strauss ist immer noch ein Spätromantiker, Ravel ähnlich wie Stravinsky in mancher Hinsicht ein Anti-Romantiker. Obwohl ich, wie gesagt, Werke wie Gaspard de la Nuit oder das Klaviertrio, nicht so recht einordnen kann...

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Beides sind keine Zitate von Holger, er zitiert vielmehr Vladimir Jankelevitch:


    Ravel ist gerade deshalb tief, weil er oberflächlich ist;

    Oder zumindest an der Oberfläche oberflächlich erscheinen will (um seine Gefühlstiefe zu verbergen?)? Ich denke dabei an seine überlieferte Bemerkung zum Erfolg des "Bolero".



    bei den Tieren, denen er seit den Histoires naturelles immer wieder treue Liebe gezeigt hat,

    Das gehört nun allerdings nicht hierher: Im Umgang mit meiner Katze ist mir des Märchen vom "Froschkönig" ganz neu aufgegangen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    im Nachgang zu meinem Beitrag Nr. 36 - siehe auch dort die CD mit Abbado und dem Boston SO - einige Bemerkungen zu "Pavane pour une infante defunte" von Ravel.


    https://www.youtube.com/watch?v=kzw16RyS_0M Abbado mit dem London SO mit gleicher Laufzeit (6,40) wie seine Aufnahme mit dem Boston SO


    https://www.youtube.com/watch?v=OqAlMItkV44 OZAWA mit dem Boston SO, Laufzeit 6,19


    https://www.youtube.com/watch?v=MPZROBIFHWY Klavierfassung mit Shura Cherkassky, Laufzeit 6,47


    https://www.youtube.com/watch?v=tn6_yT9SKpM Klavierfassung mit Ravel (Papierrolle), Laufzeit 5.43


    Was zur "Tiefe" in den voran gegangenen Beiträgen gesagt wurde, kann an den eingestellten Aufnahmen m. E. gut nachvollzogen werden (die kurze Laufzeit bei Ravel!).
    So schön die Aufnahmen mit Orchester klingen, ich komme mit den Klavierfassungen besser zurecht; hier höre ich das Wesentliche, die Aussage in der "Einfachheit" der Komposition, bei den Orchesterfassungen können die sehr viel intensiveren Klangfarben ablenken.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • So schön die Aufnahmen mit Orchester klingen, ich komme mit den Klavierfassungen besser zurecht; hier höre ich das Wesentliche, die Aussage in der "Einfachheit" der Komposition, bei den Orchesterfassungen können die sehr viel intensiveren Klangfarben ablenken.

    Lieber Horst,


    die Klavierfassung (welche ja die ursprüngliche ist) ist einfach "gedanklicher", nachdenklicher, als das sinnliche opulente Orchester. Ich ziehe deshalb letztlich auch das Klavier vor, so "schön" die Orchesterversion auch ist! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo,


    Ravel hat eine komplette Ballettmusik zu Daphne und Chloe geschrieben (Dauer ca. 1 Std.) und daraus 2 Suiten entwickelt, wobei die Suite Nr. 2 soviel ich weiß die bekanntere ist. Die Ballettmusik habe ich in einer Aufnahme mit dem Opernchor und dem National-Orchester von Bordeaux. Die Suite Nr. 2 auf LP (1976) mit Barenboim und dem Orchestre de Paris (ohne Chor) und auf CD (1971) mit Abbado, dem Boston-Symphony-Orchestra und einem nicht genannten Chor, der den Orchesterklang mit vokalisierenden Chorpassagen erweitert. Mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln kann ich nicht klären, welche der Fassung Suite Nr. 2 (mit/ohne Chor) nun das Original ist? Wer kann mir bitte weiterhelfen?


    Danke und viele Grüße


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln kann ich nicht klären, welche der Fassung Suite Nr. 2 (mit/ohne Chor) nun das Original ist? Wer kann mir bitte weiterhelfen?


    Ich nehme an, dass es zwei Varianten gibt, aufführungspraktisch bedingt. Man kann, wenn kein Chor zur Verfügung steht, auch die Besetzung ohne Chor nehmen. Das wird in der Partitur vermerkt sein und ist zudem von Vorteil für den Komponisten und das Werk. Ohne Aufwand des Chores wird es einfach häufiger aufgeführt. ;)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo,


    Berichtigung meines Beitrags Nr. 46: Bei der Aufnahme mit Abbado handelt es sich nicht um einen “unbenannten Chor“, sondern um den “New England Conservatory Chorus“.


    Doch nun zu Klärung meines eigentlichen Problems:
    Am 6.1.17 habe ich in Erlangen/Ladeshalle (gute Akustik) mit dem Bayerischen Landesjugendorchester u. a. eine sehr gelungene Aufführung der Ballettsuite Nr. 2 aus der ca. einstündigen Ballettmusik Daphnis und Chloe von Ravel gehört – ohne mehrstimmigen vokalisierenden Chor. Die rein orchestrale Aufführung war sehr gut und bewies das außerordentlich hohe Niveau des Landesjugend -(13-20-jährige)-orchesters. Nun erinnerte ich mich an meine Aufnahmen in Beitrag Nr. 46.


    Am Listenende der Orchesterbesetzung einer in Moskau verlegten Partitur ist zu lesen (sinngemäße Übersetzung aus frz.): Der Chor kann durch hervorgehobene Varianten aus der Orchesterpartitur im Orchester ersetzt werden (was der kostengünstigeren Aufführung dient). Ravel ist auch als der Meister der Orchestrierung anerkannt; das bedeutet aber auch, dass durch den mehrstimmig vokalisierenden Chor sehr wohl eine Bereicherung des ohnehin schon überragenden Klangspektrums erreicht wird.


    Es gibt bei YouTube eine Vielzahl von Aufnahmen der 2. Suite (u.a. auch mit Hervorhebung besonderer Orchesterstimmen/-gruppen) - 2 habe ich ausgewählt:
    https://www.youtube.com/watch?v=amGl9Qmgu7E


    https://www.youtube.com/watch?v=2FXbZJndsCU Diese berücksichtigt den Chor dynamisch etwas mehr (oder liegt es an der optischen Präsenz?), weswegen ich die vokalisierenden Chorpassagen in der Laufzeit benenne: 02:20 bis 03:12 – 04:14 bis 04:34 – 14:15 bis 15:30


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler