Hugo Wolf: „Spanisches Liederbuch“

  • Wer sein holdes Lieb verloren,
    Weil er Liebe nicht versteht,
    Besser wär´ er nie geboren.
    Ich verlor sie dort im Garten,
    Da sie Rosen brach und Blüten.
    Hell auf ihren Wangen glühten
    Scham und Lust in holder Zier.
    Und von Liebe sprach sie mir;
    Doch ich größter aller Toren
    Wusste keine Antwort ihr -
    Wär´ ich nimmermehr geboren.


    Ich verlor sie dort im Garten,
    Da sie von sprach Liebesplagen,
    Denn ich wagte nicht zu sagen,
    Wie ich ganz ihr eigen bin.
    In die Blumen sank sie hin;
    Doch ich größter aller Toren
    Zog auch davon nicht Gewinn -
    Wär´ ich nimmermehr geboren!


    Da klagt ein Mann über den Verlust der Geliebten, den er dadurch erlitt, ja herbeiführte, dass er sich nicht auszusprechen und seine eigene Liebe zu bekennen wagte. Dabei ist sein Seelenschmerz so tief, dass er in den Ruf ausbricht: „Wär´ ich nimmermehr geboren!“ – und dies auch noch wiederholt. Da das alles lyrisch sprachlich ein wenig übertrieben daherkommt, stellt sich die Frage, wie Wolf diese Verse gelesen und in Musik gesetzt hat. D. Fischer-Dieskau meint, dass das Klavier „die jammervolle Klage raffiniert zu Ende und ad absurdum“ führe und übernimmt dabei – wie so oft – wörtlich das Urteil des Wolf-Biographen Kurt Honolka, der auf den Sachverhalt verweist, dass Wolf sich hier, ähnlich wie in seinen Mörike-Liedern, coupletartiger Floskeln bedient. Erik Werba sieht das aber ganz anders. Er vernimmt in dem Lied den Ausdruck „wahrer Klage, Selbstanklage des Liebenden“ und fügt in Klammer hinzu: (Die) „von einzelnen Interpreten hineingeheimniste Ironie ist durchaus fehl am Platz“.
    Nun ist es ja zunächst einmal eine Sache der sängerischen Interpretation, wie weit man aus diesem Lied Humor und Ironie zu vernehmen vermag. Aber wenn ein Sänger sie in seiner Interpretation herausarbeitet, dann muss es dafür eine Grundlage in der Faktur des Liedes geben. Also soll in deren Betrachtung in diesem Fall a priori auch diese Fragestellung einbezogen sein.


    Das Lied entstand am 28. Oktober 1889, es weist einen Zweivierteltakt auf, und fis-Moll ist die Grundtonart. Im fünftaktigen Vorspiel erklingt eine Figur, der eine Art leitmotivische Funktion für das Lied zukommt. Sie besteht aus einer Folge von Oktaven, die dadurch leicht rhythmisiert ist, dass auf einen Sekundsprung in Gestalt von Achteln ein punktiertes Achtel und dann ein Sechzehntel folgt, mit dem eine Fallbewegung eingeleitet wird, der noch zwei Achtel-Oktaven angehören. Das ereignet sich drei Mal, allerdings zwei Mal dann ohne Auftakt, danach folgt ein arpeggierter Cis-Dur-Akkord, was eine harmonische Rückung beinhaltet, denn das Vorspiel war in fis-Moll gehalten. Die danach einsetzende melodische Linie auf den Worten „Wer sein holdes Lieb verloren“ setzt ebenso auftaktig wie das Vorspiel ein und beschreibt zwar nicht dessen melodische Linie ganz genau, wirkt ihr aber sehr ähnlich, weil sie genau so rhythmisiert ist. Dieser rhythmischen Figur („punktiertes Achtel / Sechzehntel / zwei Achtel“) begegnet man, z.T.in auftaktiger Gestalt, in diesem Lied permanent, und zwar nicht nur dadurch, dass das Klavier sie in ihrer oktavischen Form in Zwischenspielen und im Nachspiel erklingen lässt, der Klaviersatz setzt sich zu seinem größten Teil aus ihr zusammen, und in der melodischen Linie vernimmt man sie bis zum Liedende weitere zwölf Mal. Dies nicht nur, weil sich bei den identischen Versanfängen „“Wer sein holdes Lieb…“, Ich verlor sie dort…“ und „Doch ich größter aller…“ auch die melodische Linie wiederholt, innerhalb der Melodiezeile auf den Worten „Wär´ ich nimmermehr geboren“ vernimmt man sie auch.


    Der Gedanke liegt nahe, in dieser Rhythmisierung der Liedmusik auf einen lyrischen Text, dessen zentraler Inhalt die Klage um den Verlust der Geliebten ist, ein Indiz für den Humor zu sehen, den Wolf in sie hineingelegt hat. Beachtet man dabei aber, an welchen Stellen die leichte Dehnung in Gestalt eines punktierten Achtels auftaucht, dann stellt man fest: Sie ist wortgeneriert. Durchweg erfüllt sie die Funktion einer Akzentuierung lyrisch wichtiger Worte: „holdes“, „verlor“, „hell“, „größter“, „Liebe“, “Blumen“. Und auch bei dem Vers, in dem die Klage gleichsam auf die Spitze getrieben ist, bei den Worten „Wär´ ich nimmermehr geboren“ kommt ihr eben diese Funktion zu. Hier beschreibt die melodische Linie eine auf einem hohen „E“ ansetzende und sich über eine Septe erstreckende Fallbewegung in kleinen Sekunden, die in fis Moll harmonisiert ist. Das punktierte Achtel, die Dehnung also, liegt dabei auf dem Wortteil „-mehr“ und die erste Silbe von „geboren“ trägt das Sechzehntel. Das entspricht dem Gestus, in dem dieser Satz gesprochen wird, und überdies verleiht es dem Wort „nimmermehr“ einen deutlichen Akzent. Am Ende dieser Fallbewegung, auf der letzten Silbe von „geboren“ ereignet sich eine Rückung nach D-Dur, und das Klavier geht in der eineinhalbtaktigen Pause der Singstimme zur Artikulation der Figur aus dem Vorspiel über, die wieder in einen arpeggierten Akkord mündet.


    Es gibt keinen Grund, diesen Klageruf nicht als wahren und echten Ausdruck seelischen Empfindens zu verstehen und entsprechend gesanglich zu realisieren. Das gilt auch für die anderen Melodiezeilen, die in diesem Lied wiederholt werden. Da ist die auf den ersten drei Versen, die Wolf am Ende – abweichend vom lyrischen Text – in ihrer Faktur unverändert wiederholen lässt. Die Fallbewegung auf den Worten „Besser wär´ er nie geboren“ ereignet sich ebenfalls in kleinen Sekundschritten. Sie ist in fis-Moll harmonisiert, und am Ende erfolgt wieder die Rückung nach D-Dur. Die kleine Dehnung liegt hier auf dem Wort „nie“ und hebt es auf diese Weise musikalisch hervor.


    Bemerkenswert ist die Passage auf den Worten „Und von Liebe sprach sie mir“. Die Liedmusik darauf wiederholt sich bei den Worten „In die Blumen sank sie hin“. Hier liegt auf dem Wort „Liebe“ ein leicht gedehnter und das Wort akzentuierende Sekundfall, und zu dem Wort „sie“ hin ereignet sich ein Quartfall, der in einen Sekundsprung übergeht. Das soll wohl zum Ausdruck bringen, dass das lyrische Ich dieses „Sprechen von Liebe“ zwar vernommen hat, damit aber nichts anzufangen wusste, - genauso wie beim Hinsinken in die Blumen. Das Klavier legt mit seiner Begleitung eine solche Deutung recht nahe. Vor dem Wort „Liebe“ (bzw. „Blumen“) lässt es eine Folge von Sechzehntel-Oktaven aufsteigen. Dann folgt auf dem Wort selbst ein arpeggierter d-Moll-Akkord, der bei „mir“ durch einen Cis-Dur-Akkord abgelöst wird. Und danach artikuliert das Klavier „zart“ (Anweisung) eine steigende und nach wellenartigem Verweilen wieder fallende Sechzehntel-Figur, die stark an Chopin erinnert. Auch das ist zu vernehmen als musikalisches Aufgreifen und Umsetzen einer lyrischen Szene, die für das lyrische Ich mit wahren Gefühlen und Empfindungen verbunden ist und von Wolf nicht in Humor umgebogen wurde.


    Schließlich wiederholt sich auch die Liedmusik auf den Versen „Doch ich größter aller Toren / Wusste keine Antwort ihr – / Wär´ ich nimmermehr geboren“ (die ja in der zweiten Strophe textlich variiert werden) in unveränderter Form. Die Tonrepetitionen, die nach der anfänglichen Fallbewegung der melodischen Linie einsetzen, vernimmt man als Ausdruck echter Empörung und Verwunderung über das eigene Verhalten, zumal das Klavier der fallenden Linie der Melodik eine ansteigende Folge von Akkorden entgegensetzt, die bei dem Wort „Toren“ ihren Höhepunkt erreicht. Auch hier vermag man – ich jedenfalls - keinen Humor herauszuhören.

  • Ich fuhr über Meer,
    Ich zog über Land,
    Das Glück das fand
    Ich nimmermehr.
    Die Andern umher
    Wie jubelten sie! –
    Ich jubelte nie!


    Nach Glück ich jagte,
    An Leiden krankt´ ich;
    Als Recht verlangt´ ich
    Was Liebe versagte.
    Ich hofft´ und wagte –
    Kein Glück mir gedieh,
    Und so schaut´ ich es nie!


    Trug ohne Klage
    Die Leiden, die bösen,
    Und dacht´, es lösen
    Sich ab die Tage.
    Die fröhlichen Tage
    Wie eilen sie! –
    Ich ereilte sie nie!


    Im Zentrum dieses Lyrischen Textes eines unbekannten spanischen Autors steht – wie so oft in den Gedichten dieser Sammlung – die Klage. Es ist die Klage um das nie erfahrene Glück und den nie erlebten inneren Jubel. Bemerkenswert an Wolfs Liedmusik darauf ist der energische Grundton, den sie aufweist. Sie entstand am Nachmittag des 31. Oktober 1889, ein Zwölfachteltakt lieg ihr zugrunde, und die Grundtonart ist h-Moll. Sie soll „lebhaft und mit leidenschaftlichem Ausdruck“ vorgetragen werden, so dass sich D. Fischer-Dieskau zu der Bemerkung veranlasst sah: „Für Heldentenöre noch zu entdecken“. Der Grund dafür, dass Wolf seine Liedmusik nicht in Melancholie und Schwermut versinken lässt, wie das angesichts der allesamt in dem Ausruf „nie“ endenden Strophen naheliegend zu sein scheint, liegt aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Typus Mensch, den er bei der Komposition vor sich sah. Es ist einer, der in der Suche nach Glück, Liebe und Lebenserfüllung große Aktivität entwickelt hat, die so weit ging, dass er „als Recht verlangt(e), was Liebe versagte.“


    Und so kam ein Lied dabei heraus, dessen Melodik stark auf die wortorientierte Deklamation kleiner Melodiezeilen ausgerichtet ist, das starke Schwankungen im Tempo aufweist (sechs Mal wird das Tempo auf „langsam“ zurückgenommen) und dessen Dynamik große Schwankungen zeigt. Zwar herrschen das Forte und das Fortissimo vor, immer dort aber, wo dem lyrischen Ich bewusst wird, was ihm an Glück versagt blieb, schlägt dieses ins Piano um. Beim Schlussvers der drei Strophen wird die Dynamik gar ins Pianissimo zurückgenommen, weist aber ein Crescendo zum Piano hin auf, um dem Wort „nie“ jeweils einen Akzent zu verleihen. Auch in der Harmonik herrscht Instabilität: Modulationen sind zahlreich, und immer wieder ereignen sich Rückungen vom an sich dominierenden Moll in den Dur-Bereich.


    Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch der Klaviersatz: Er besteht im Diskant zumeist aus bitonalen Oktaven, von denen jeweils drei im Wert eines Achtels in eine im Wert von drei Achteln münden. Im Bassbereich ist der Klaviersatz ähnlich angelegt, wobei diese triolischen Figuren aus zumeist Einzeltönen immer dort erklingen wo im Diskant gerade eine Dehnung herrscht. Das verleiht dem Lied vom Klaviersatz her einen vorwärts drängenden Gestus, der die melodische Linie mitzureißen scheint, so dass diese immer wieder einmal das Tempo zurücknehmen muss, wenn das lyrische Ich einen Anfall von Melancholie bekommt.


    Die Struktur, die die Liedmusik bei der ersten Strophe aufweist, ist repräsentativ für das ganze Lied: Kurze Melodiezeilen, die nur einen, maximal zwei Verse umfassen und durch Pausen voneinander abgeboben sind, folgen aufeinander, wobei sich eine Steigerung der Expressivität einstellt, die am Ende, beim Umschlag der Dynamik ins Piano des letzten Verses, wie in sich zusammenzufallen scheint. Sowohl die Melodik, wie auch der Klaviersatz sind an dieser Steigerung beteiligt. Der aus einer Dehnung hervorgehende Anstieg der melodischen Linie bei den Worten „Ich führ über Meer“ wiederholt sich beim zweiten Vers, dabei setzt die melodische Linie aber um eine kleine Terz höher an. Die Worte „das Glück“ werden auf einem hohen „G“ deklamiert, danach geht die melodische Linie in eine Fallbewegung über eine Undezime über, so dass das Wort „nimmermehr“ auf einem tiefen „F“ deklamiert wird und dadurch in einen starken Kontrast zu dem am Anfang dieser Melodiezeile stehenden Wort „Glück“ tritt.


    Bezeichnend für die Unruhe in der Harmonik ist, dass die ersten beiden Melodiezeilen in h-Moll stehen, die dritte aber anfänglich in C-Dur harmonisiert ist, das am Ende nach Cis-Dur moduliert. Auch der Klaviersatz weicht in dieser Melodiezeile von dem der beiden ersten Zeilen ab: Bewegten sich dort die Oktaven im wesentlichen auf nur einer tonalen Ebene, so steigen sie bei dem Wort „nimmermehr“ in hohe Lage empor und treten damit in Gegensatz zur Fallbewegung der melodischen Linie. Gleichzeitig aber verlangsamt sich da Tempo und die Dynamik geht mit einem Decrescendo vom Forte ins Piano zurück.


    Da äußert sich musikalisch ein lyrisches Ich, das in seinem situativ-gegenwärtigen Rückblick in die eigene Vergangenheit von Depressionen, Enttäuschungen und seelischen Zerknirschungen heimgesucht wird. Daher die deklamatorisch expressive, in der Struktur der melodischen Linie kurzschrittig wirkende und in Dynamik, Tempo und Harmonik uneinheitliche Liedmusik. Wenn dieser Mensch in seinem Rückblick auf „die anderen“ zu sprechen kommt, so setzt er melodisch mit einem gedehnten Quartfall auf diesen Worten ein, lässt dann – und dies fortissimo! – die melodische Linie bei den Worten „wie jubelten sie“ einen verminderten Sextsprung beschreiben, nimmt dabei aber wieder das Tempo zurück. Derweilen lässt das Klavier wieder eine Kette von in hohe Lage aufsteigenden Oktaven erklingen. Die nachfolgende melodische Linie auf den Worten „ich jubelte nie“ wirkt mit ihren Dehnungen auf den Worten „ich“ und nie“, ihrem Verharren auf nur einer tonalen Ebene, ihrer h-Moll-Harmonisierung und ihrem Rückfall ins Pianissimo - nach diesem Ausbruch ins Fortissimo gerade – wie der vollkommen adäquate musikalische Ausdruck tiefer Depression und Melancholie.

  • Blindes Schauen, dunkle Leuchte,
    Ruhm voll Weh, erstorbnes Leben,
    Unheil, das ein Heil mir däuchte,
    Freud´ges Weinen, Lust voll Beben,
    Süße Galle, durst´ge Feuchte,
    Krieg in Frieden allerwegen,
    Liebe, falsch versprachst du Segen,
    Da dein Fluch den Schlaf mir scheuchte.


    Ein wütender, stürmischer weil in der unmittelbaren Aufeinanderfolge von Gegensätzen sich artikulierender Fluch auf die Liebe ist das, was der dem 15. Jahrhundert angehörige spanische Dichter Cota de Maguaque da lyrisch zum Ausdruck brachte. Und so mutet auch Wolfs Liedmusik darauf an, die zwar „gemessen“, „doch leidenschaftlich“ vorgetragen werden soll. Sie entstand am Vormittag des 26. November 1889, und ein Viervierteltakt liegt ihr zugrunde. Zwar ist h-Moll als Grundtonart vorgegeben, die Harmonik moduliert jedoch permanent, und das in einem weiten Rahmen des Quintenzirkels. Schon allein dieses deutet auf tiefe Erregung, ja Wut des lyrischen Ichs hin. Aber auch die Melodik und der Klaviersatz vermitteln in recht drastischer Weise diesen Eindruck.


    Dies vor allem in ihrem Zusammenspiel. Melodische Linie und Klaviersatz machen dabei den Eindruck, als würde sie sich in ihrem Bestreben, die Haltung des lyrischen Ichs zum Ausdruck zu bringen, gegenseitig überbieten wollen, wobei das Klavier mit der Grundfigur, die es dabei benutzt, sich wie trotzig gegen den zugrundeliegenden Viervierteltakt richtet. Sie beherrscht von Anfang bis Ende den ganzen Klaviersatz: Vier bitonale Achtel-Oktaven steigen im Sekundschritt an, eine Kombination aus punktiertem Achtel- und einem Sechzehntel-Akkord folgt, und danach dasselbe noch einmal als Viertel-Akkord. Dieses gleichsam aus einem Anlauf hervorgehende, leicht rhythmisierte und in eine Dehnung mündende dreimalige Erklingen des gleichen Akkords wirkt wie eine herrisch-trotzige Akzentuierung dessen, was die melodische Linie zum Ausdruck bringt.


    Während das Klavier die Dehnung an das Ende des Taktes setzt, legt sie die melodische Linie zu Beginn des Liedes auf den Anfang, also dorthin, wo im Klaviersatz der Oktaven-Aufstieg in Sekunden liegt. Überdies neigt sie dazu, einen Ton deklamatorisch zu verdoppeln. Das ist bei den ersten drei Versen durchgehend der Fall. Die Modulation durchläuft dabei eine ganze Reihe von Tonarten: h-Moll, e-Moll, F-Dur, H-Dur und fis-Moll bei den Worten „das ein Heil mir däuchte“. Hier ereignet sich ein melodische Quartsprung, der in eine Dehnung bei dem Wort „Heil“ mündet und danach in einen Fall in drei Schritten über eine ganze Oktave übergeht. All das verleiht ihrer Aussage einen starken Nachdruck. Vom vierten Vers an („Freud´ges Weinen…“) nimmt die melodische Linie zwar diesen konstatierenden Gestus ein wenig zurück und beschreibt ein Auf und Ab in kleineren Schritten, die Tonrepetition behält sie aber als Mittel für den Ausdruck des Zorns bei.


    Sie steigert sich darin sogar. Die Worte „Krieg im Frieden allerwegen“ werden auf einer melodischen Linie deklamiert, die in silbengetreuer Deklamation auf einem hohen „E“ verharrt, bei dem Wort „Frieden“ eine Dehnung aufweist und erst bei „allerwegen“ in eine Fallbewegung in Sekunden und einer Terz am Ende übergeht. Diese Melodiezeile ist in „Dis-Moll“ harmonisiert, das an ihrem Ende nach Cis-Dur rückt. Das Klavier lässt bei dem Wort „Krieg“ seine Oktaven nicht, wie sonst“ aufsteigen, sondern eine Fallbewegung beschreiben. Das tat es zuvor auch bei den Worten „Süße Galle“ und „durst´ge Feuchte“, und es will wohl damit zum Ausdruck bringen, dass derlei Versprechen von Anfang an eine Absurdität waren.


    Bei den beiden letzten Versen erreicht die Empörung des lyrischen Ichs über die falschen Versprechen der „Liebe“ ihren Höhepunkt. Nach einem Sekundfall auf eben diesem Wort „Liebe“ beschreibt die melodischen Linie zu dem Wort „falsch“ hin einen Quartsprung und verharrt auf dem damit erreichten hohen „Fis“ in insistierender Deklamation, bis sie auf der zweiten Silbe von „Segen“ in einen Sekundfall übergeht. Damit hat sie aber noch nicht den Höhepunkt ihrer Expressivität erreicht. Beim letzten Vers steigt sie zum höchsten Ton des Liedes, einem „G“, auf, den es bezeichnenderweise bei dem Wort „mir“ erreicht, und geht von dort über einen Sekundfall in eine lange Dehnung bei dem Wort „scheuchte“ über, die auf der letzten Silbe in einen Quintfall mündet.


    Das Klavier begleitet hier mit seiner Grundfigur, lässt diese aber in immer höhere Lage aufsteigen und setzt das auch noch im dreitaktigen Nachspiel fort. Die Dynamik, die sich bislang durchweg im Forte-Bereich bewegte, geht im Verlauf dieser letzten Melodiezeile in ein Crescendo über und erreicht bei dem Wort „scheuchte“ den Bereich des dreifachen Forte.

  • Eide, so die Liebe schwur,
    Schwache Bürgen sind sie nur.


    Sitzt die Liebe zu Gericht,
    Dann, Señor, vergesset nicht,
    Daß sie nie nach Recht und Pflicht,
    Immer nur nach Gunst verfuhr.
    Eide, so die Liebe schwur,
    Schwache Bürgen sind sie nur.


    Werdet dort Betrübte finden,
    Die mit Schwüren sich verbinden,
    Die verschwinden mit den Winden,
    Wie die Blumen auf der Flur.
    Eide, so die Liebe schwur,
    Schwache Bürgen sind sie nur.


    Und als Schreiber an den Schranken
    Seht ihr nichtige Gedanken.
    Weil die leichten Händlein schwanken,
    Schreibt euch keiner nach der Schnur.
    Eide, so die Liebe schwur,
    Schwache Bürgen sind sie nur.


    Sind die Bürgen gegenwärtig,
    Allesamt des Spruchs gewärtig,
    Machen sie das Urteil fertig; -
    Vom Vollziehen keine Spur!
    Eide, so die Liebe schwur,
    Schwache Bürgen sind sie nur.


    Das Lied entstand am Nachmittag des 31. März 1890. Ein Dreivierteltakt liegt ihm zugrunde, die Grundtonart ist h-Mol, und es soll „Sehr gehalten“ vorgetragen werden. Im Zentrum des lyrischen Textes eines unbekannten spanischen Dichters steht die Klage über die Unbeständigkeit der Liebe. Es ist aber mehr als Klage, Anklage nämlich, der ein bitter-sarkastischer Ton innewohnt. Rahmen und Leitlinie dabei bilden die fünf Mal auftretenden Verse, die das Gedicht einleiten.


    Wolfs Liedmusik auf diese Verse wirkt auffallend verhalten, weist keine heftigen Ausbrüche in klangliche Bitternis auf, entfaltet sich vielmehr in ruhiger Kantabilität der melodischen Linie und wirkt zunächst einmal gar nicht sarkastisch, - es sei denn, man interpretiert eben diese melodische Ruhe als Sarkasmus in dem Sinne, dass sie Ausdruck eines tief resignativen Sch-Abfindens mit dem Sachverhalt ist. Geht man einmal von der Liedmusik der wie ein Refrain auftretenden und damit eine Schüsselfunktion einnehmenden Verse „Eide, so die Liebe schwur,/ Schwache Bürgen sind sie nur“ aus, dann bietet sich folgendes Bild. Sie treten im Lied in Gestalt zweier Melodiezeilen auf, von denen die erste sich am Ende der dritten Strophe und der letzten Strophe, dort allerdings modifiziert, wiederholt; die zweite (die auf den Versen am Ende der zweiten Strophe liegt), erklingt in unveränderter Gestalt noch einmal am Ende der vierten Strophe.


    Wolf setzt den lyrischen Refrain also liedmusikalisch differenziert ein, und diese Differenzierung ist recht aufschlussreich hinsichtlich seiner Rezeption dieser Verse und der musikalischen Aussage, die er daraus herleitet. Bei der ersten Version setzt die melodische Linie aus hoher Lage mit einem Septfall ein, führt diese Fallbewegung dann in Sekundschritten weiter bis in tiefe Lage fort, um danach aber mit einem Sextsprung wieder in mittlere Lage emporzusteigen, sich dort einer Dehnung zu überlassen und dann in ein Auf und Ab überzugehen. Am Ende beschreibt sie einen verminderten Quartfall. Voraus geht dem im Klaviervorspiel ein Anlauf von fünf Achtel-Oktaven, und danach lässt das Klavier eine Folge von drei Akkorden erklingen, von denen der auf dem Wort „Liebesschwur“ eine arpeggierter ist. Die Harmonik moduliert hier von einem anfänglichen verminderten Cis-Akkord auf dem Wort „Eide“ über Fis- nach G-Dur. Der verminderte Quintfall am Ende der Melodiezeile ist mit einer Rückung nach fis-Moll verbunden.


    Zwar wird durch den Septfall auf „Eide“, die Verminderung der Harmonik hier und die Tatsache, dass der Einsatz die Liedmusik forte erfolgt, ein gleichsam negativer Akzent auf dieses Wort gelegt, die Rückung der Harmonik in den Dur-Bereich, die Rücknahme der Dynamik ins Piano und die Tatsache, dass die melodische Linie sich einer Dehnung überlässt, all das erweckt nicht den Eindruck einer bitter-sarkastischen Anklage. Diese Version des Refrains mutet klanglich an wie die mit leichtem Bedauern vorgebrachte Feststellung eines Sachverhalts.


    Die zweite Version des Refrains, die erstmals am Ende der zweiten Strophe erklingt, ist in der Grundstruktur der melodischen Linie und des Klaviersatzes mit der ersten weitgehend identisch, sie weist aber Modifikationen auf, die der musikalischen Aussage einen stärkeren Akzent in Richtung resignative Klage verleihen: Die Fallbewegungen und die Sprünge, die die melodische Linie macht, sind im Intervall vermindert, und der konstatierende Gestus, den die erste Version mit dem Quintfall am Ende annimmt, fehlt hier, weil die melodische Linie einen kleinen Sekundanstieg beschreibt.


    Hört man nun den Refrain im Kontext der Liedmusik der einzelnen Strophen und fasst ihn gleichsam als die vorangehende Aussage zusammenfassenden Kommentar auf, dann stellt sich sehr wohl der Eindruck einer sarkastisch angehauchten Satire auf die Liebe ein. In der ersten Strophe ist die melodische Linie zunächst in Moll harmonisiert, bei den Worten „Daß sie nach Recht und Pflicht / Immer nur nach Gunst verfuhr“ geht die Harmonik aber überraschenderweise nach Dur (Fis, Cis) über und die die melodische Linie beschreibt nach einem anfänglichen Bogen Sprünge auf und ab über ein großes Intervall. Die dissonante Harmonik, die dann auf dem forte deklamierten Wort „Eide“ mit seinem verminderten Quartfall (Typ II) liegt, gewinnt nun tatsächlich die klanglich Anmutung von sarkastischer Bitternis.


    In der dritten Strophe passiert etwas Ähnliches: Hier wiederholt die melodische Linie bei den Worten „Die mit Schwüren sich verbinden, / Die verschwinden mit den Winden“ immer wieder die gleichen Bewegungen und geht dann bei den Worten „/Wie die Blumen auf der Flur“ in einen wie lapidar wirkenden Fall über In diesem gleichsam leiernd konstatierenden Gestus gewinnt sie ebenfalls einen Anflug von Sarkasmus, der dann durch den Refrain wie bestätigt wirkt. Die Rückung nach Dur, das dann am Ende wieder in Moll umschlägt, wiederholt sich noch einmal bei den Worten „Weil die leichten Händlein schwanken, /
    Schreibt euch keiner nach der Schnur“ (vierte Strophe), wobei der Legato-Bogen der in den Sekundsprung bei den Worten „der Schnur“ eingelagert ist, wiederum satirisch aufgefasst werden kann.


    Vollends den Eindruck von sarkastischer Satire macht dann die melodische Linie auf den Worten „Von Vollziehen keine Spur“, - und das tatsächlich in dem Sinne, dass der konstatierende und sich darin ins Piano zurücknehmende Gestus des Auf und Ab in tiefer Lage mit seinem Kontrast zu dem vorangehenden expressiven Terzsprung und Septfall bei den Worten „das Urteil fertig“ eben diese Wirkung entfaltet. Der Refrain, der dann nachfolgt, weist am Ende eine die Kadenz herbeiführende Modifikation dergestalt auf, dass die melodische Linie bei den Worten „sie nur“ auf einem „H“ in mittlerer Lage verharrt. Nicht aber ohne zuvor bei dem Wort „schwache“ dieses Mal einen aus der Dehnung hervorgehenden und durchaus schelmisch-ironisch wirkenden triolischen Fall zu beschreiben.

  • Herz, verzage nicht geschwind,
    Weil die Weiber Weiber sind.


    Argwohn lehre sie dich kennen,
    Die sich lichte Sterne nennen
    Und wie Feuerfunken brennen.
    Drum verzage nicht geschwind,
    Weil die Weiber Weiber sind.


    Laß dir nicht den Sinn verwirren,
    Wenn sie süße Weisen girren;
    Möchten dich mit Listen kirren,
    Machen dich mit Ränken blind;
    Weil die Weiber Weiber sind.


    Sind einander stets im Bunde,
    Fechten tapfer mit dem Munde,
    Wünschen, was versagt die Stunde,
    Bauen Schlösser in den Wind;
    Weil die Weiber Weiber sind.


    Und so ist ihr Sinn verschroben,
    Daß sie, lobst du, was zu loben,
    Mit dem Mund dagegen toben,
    Ob ihr Herz auch Gleiches sinnt;
    Weil die Weiber Weiber sind.


    Der lyrische Text stellt eine regelrechte Flut von verächtlichen Äußerungen über die Frauen dar, deren angeblich üble charakterliche Eigenschaften für den, der sie hier von sich gibt, darin gründen, dass sie „Weiber“ sind, in ihrer Geschlechtszugehörigkeit also. Wie mit einem Hammer wird das durch den fünf Mal auftretenden Refrain dem Leser eingehämmert, wobei der geheime Witz ganz offensichtlich darin gründet, dass sich hier einer schlecht über Frauen auslässt, weil er bei ihnen keinen „Erfolg“ hat.


    Genau hier setzt Wolfs Liedkomposition an. Sie stellt in der geradezu dramatischen Lebhaftigkeit und expressiven Zuspitzung der Liedmusik in den Passagen zwischen den klanglich davon abgesetzten und wie ein Rahmen wirkenden Refrains eine höchst geistvoll witzige Komposition dar, die den Frauenverächter in den banalen Motiven entlarvt, von denen er sich leiten lässt. Vielleicht hat Wolf ja, weil die Thematik ein wenig an den „Figaro“ erinnert und dem Lied auch ein gewisser arioser Esprit eigen ist, diese Komposition in seinen „Corregidor“ aufgenommen. Sie entstand am 19. November 1889, steht in e-Moll als Grundtonart, weist einen Dreivierteltakt und zwei Tempi auf: „Lebhaft“ gilt als Grundtempo, der Refrain wird aber mit den Anweisungen „langsam“, „langsam und gedehnt“ und „sehr breit“ deutlich davon abgesetzt.


    Der Refrain nimmt mit jedem Auftritt eine neue liedmusikalische Gestalt an. Zwar setzt die melodische Linie auf den Worten „weil die Weiber“ durchweg mit einer Tonrepetition ein, aber sie ereignet sich in verschiedenen tonalen Lagen und in unterschiedlicher Dehnung des Tones auf der ersten Silbe des Wortes „Weiber“. Mit der Wiederholung dieses Wortes nimmt die melodische Linie von Fall zu Fall einen unterschiedlichen Verlauf. Mal geht sie, wie beim ersten Mal, aus einer Dehnung in eine Fallbewegung über, mal verharrt sie (wie im dritten Fall) nach einem Sekundfall auf der tonalen Ebene, und mehrmals ist in sie am Ende ein kleines triolisches Melisma eingelagert, das ihr einen leicht schelmischen Unterton verleiht. Immer aber setzten die kleinen Melodiezeilen des Refrains in Moll-Harmonisierung ein, durchlaufen eine harmonische Modulation, bei der auf dem zweiten „Weiber“ kurz Dur-Harmonik gestreift wird, und am Ende mündet die Harmonisierung mit nur einer Ausnahme in e-Moll. Auch der Klaviersatz ist unterschiedlich angelegt. Gemeinsam ist ihm aber, dass er bei dem zweimaligen „Weiber“ aus gewichtig artikulierten, länger gehaltenen Akkorden besteht und sich, da ja langsames Tempo vorgeschrieben ist, von den rhythmisierten, weil sich aus Achteln und Sechzehnteln zusammensetzenden Folgen von bitonalen und drei- bis vierstimmigen Akkorden, wie sie ansonsten den Klaviersatz dominieren, deutlich abhebt.


    Die Refrains variieren, weil Wolf sie – und das macht mit den Witz dieses Liedes aus – sie die jeweils vorangegangene musikalische Aussage reflektieren lässt. Beim gleichsam programmatischen Auftritt des Refrains am Liedanfang beschreibt die melodische Linie zum zweiten „Weiber“ hin einen Terzsprung und geht nach einer Dehnung mit einer Triole in eine Fallbewegung über, die in e-Moll Harmonik mündet. Nachdem in den ersten Versen der zweiten Strophe die „Weiber“ mit dem Brennen von Feuerfunken in Verbindung gebracht wurden und die melodische Linie diese mit einer Sprung- und Fallbewegung über das Intervall einer Quinte zum Ausdruck brachte, beschreibt die melodische Linie dieses Mal bei dem doppelten „Weiber“ einen Fall über eine Septe in tiefe Lage und erhebt sich daraus mit einem als Bogen zu deklamierenden Oktavsprung, was dem Refrain dieses Mal einen höhnischen Unterton verleiht.


    Auf die Verse der dritten Strophe („Laß dir nicht den Sinn verwirren…“) legt Wolf eine melodische Linie, die am Versanfang mit einer Dehnung einsetzt, danach in eine kurzschrittige Fallbewegung in Sekunden übergeht, um am Ende (bei „verwirren“ und „girren“) einen Quintsprung aus punktiertem Achtel und Sechzehntel zu beschreiben, der sich bei „mit Listen“ gar zu einem Oktavsprung ausweitet. Auf diese Weise gewinnt die melodische Linie die Anmutung von beschwörender Eindringlichkeit. Und dieses Mal findet sich auf „Weiber Weiber“ zwar wieder eine Triole, die leitet aber keine Fallbewegung ein, sondern verbleibt auf der Ebene eines „A“ und eines „H“ und senkt sich in schönster Volksliedmanier harmonisch über die Dominante H-Dur zu einem „Gis“ in E-Dur ab. Das empfindet man als eine Steigerung des höhnischen Tons.


    Ohnehin weist das Lied eine Steigerung der musikalischen Expressivität auf, an der die permanent erklingenden, mit einem Akkord und einer nachfolgenden Sechzehntelpause eingeleiteten rhythmisierten Sechzehntel-Achtel-Folgen einen wesentlichen Anteil haben. Aber auch die melodische Linie weist diesen Effekt auf. Bei den Worten „bauen Schlösser in den Wind“ beschreibt sie einen verminderten Septsprung und setzt diese Aufwärtsbewegung mit weiteren Sekundschritten zu einem hohen „Fis“ fort, das – auf dem Wort „Wind“ – eine Dehnung trägt. Dieses Mal erstreckt sich die triolische Fallbewegung des Refrains am Ende gar über eine Quinte. Sie soll „sehr breit“ vorgetragen werden. Und bei den Worten „Ob ihr Herz auch Gleiches sinnt“ steigt die melodische Linie zunächst in silbengetreuer Deklamation über eine ganze Oktave an und beschreibt dann am Ende – bei „sinnt“ – einen vielsagenden verminderten Quintfall. Und dieses Mal weist der Refrain in seinem Verharren in tiefer Lage, aus der sich die melodische Linie mit ihrer Triole nur kurz erhebt, um gleich wieder zurückzufallen, einen resignativ anmutenden Ton auf.

  • Sagt, seid Ihr es, feiner Herr,
    Der da jüngst so hübsch gesprungen
    Und gesprungen und gesungen?


    Seid Ihr der, vor dessen Kehle
    Keiner mehr zu Wort gekommen?
    Habt die Backen voll genommen,
    Sangt gar artig, ohne Fehle?
    Ja, Ihr seid´s, bei meiner Seele,
    Der so mit uns umgesprungen
    Und gesprungen und gesungen.


    Seid Ihr´s, der auf Castagnetten
    Und Gesang sich nicht verstand,
    Der die Liebe nie gekannt,
    Der da floh vor Weiberketten?
    Ja, Ihr seid´s; doch möcht´ ich wetten,
    Manch ein Lieb habt Ihr umschlungen
    Und gesprungen und gesungen.


    Seid Ihr der, der Tanz und Lieder
    So herausstrich ohne Maß?
    Seid Ihr´s, der im Winkel saß
    Und nicht regte seine Glieder?
    Ja, Ihr seid´s, ich kenn´ Euch wieder,
    Der zum Gähnen uns gezwungen
    Und gesprungen und gesungen!


    Da macht sich eine junge Frau in Carmen-Manier auf neckisch-schelmische Weise über einen Mann lustig, der gockelhaft mit „Tanz und Liedern ohne Maß“ zu imponieren versuchte. In provokativer Weise wird eine Frage an die andere gereiht, und jede Strophe endet mit dem Refrain „Und gesprungen und gesungen“, der in eben dieser Wiederholung das Ganze vollends ins Lächerliche zieht. Wolfs Liedmusik auf diese Verse zeichnet sich dadurch aus, dass sie nicht auf der Ebene der im Grunde banalen und aufs Lächerlich-Machen des Anderen abzielenden Provokation verbleibt, sondern im spöttischen Verhalten der Frau die Dimension der graziösen Koketterie aufklingen lässt. Aus diesem Grund lautet die Vortragsanweisung auch ganz bewusst: „Sehr lebhaft und mit Grazie“. Das Lied entstand am Nachmittag des 19, November 1889, es steht in G-Dur als Grundtonart, und ein Viervierteltakt liegt ihm zugrunde.


    Die Lebhaftigkeit des Liedes gründet vor allem im Klaviersatz. Durchgehend weist er die gleiche Grundstruktur auf: Im Bass ereignet sich ein Auf und Ab von Achtel-Quinten, das ein wenig an Lautenklang erinnert; immer wieder einmal drängt sich einen Takt lang eine Folge von fortissimo angeschlagenen und mit Portati versehenen sechsstimmigen Viertel-Akkorden dazwischen, die wohl den vielen Fragen Nachdruck verleihen sollen. Zu der rhythmischen Lebhaftigkeit, die von diesen Faktoren ausgeht, kommt im Diskant ein klanglicher Reiz hinzu: In einer Aufeinanderfolge von Achteln bildet sich eine melodische Linie heraus, die teilweise parallel zu der derjenigen der Singstimme verläuft, teilweise aber auch deren Bewegung vorausnimmt oder sie echohaft nachklingen lässt. Die Harmonisierung der melodischen Linie bleibt, bis auf eine kurze Passage, durchweg im Dur-Bereich, durchläuft dabei aber diverse Rückungen in vom F-Dur abweichende Tonarten. Harmonische Vielfalt ereignet sich jeweils in den Akkordfolge-Passagen. Dort ereignen sich kurzschrittige Modulationen im Bereich von Moll- und verminderter Harmonik.


    Dass dieser Frau der Schelm im Nacken sitzt, lässt die melodische Linie der Singstimme erkennen, die eine für Wolf ungewöhnliche Eigenart aufweist: Zu den auf eine Vorsilbe gelegten Sechzehntel-Sekundfällen treten mehrfach Achtelvorschläge, die deutlich vernehmen lassen, dass da jemand seine Scherze mit einem Anderen treibt. Gleich bei der Liedmusik auf der ersten Strophe ist das der Fall. Nach dem zweitaktigen Vorspiel, in dem das Klavier im Diskant eine aus einer zweimaligen Dehnung hervorgehende Folge von fallenden Vierte-Akkorden erklingen lässt, setzt die Singstimme mit einem hohen E“ in Gestalt eines punktierten Viertels ein, das das Fragewort „sagt“ zunächst einmal melodisch exponiert. Danach geht es, nach einer Viertelpause auf die Worte „feiner Herr“, melodisch munter auf und ab, wobei sich die Bewegungen bei den Worten „gesprungen und gesprungen“ wiederholen und jedes Mal die Vorsilbe „ge“- mit einem Achtel-Vorschlag deklamiert werden. Bei dem Wort „gesungen“ geht die melodische Linie mit einem ebenfalls wie ein Vorschlag wirkenden Achtel-Sechzehntel-Sprung in hohe Lage über und verharrt dort fast einen ganzen Takt lang. In der nachfolgenden Pause für die Singstimme erklingen im Klavier fortissimo die vier sechsstimmigen Akkorde, von denen die beiden letzten ebenfalls mit einem Vorschlag versehen sind.


    Dass auch von der melodischen Linie die Anmutung großer Lebhaftigkeit ausgeht, liegt daran, dass sie von der Bewegung in Schritten von Viertelnoten immer wieder zu Achtelschritten übergeht, in die plötzlich Dehnungen treten, sogar Sechzehntel-Sekundfälle aufweist und häufig von Pausen untergliedert ist. Das alles geht natürlich aus der Art und Weise hervor, wie sie den lyrischen Text in seiner Struktur und seiner Aussage reflektiert.. Und diesbezüglich zeigt sich immer wieder auf höchst beeindruckende Art: Die provokativen, herausfordernden und spöttischen Elemente desselben erfahren durch die melodische Linie in ihrem Zusammenspiel mit den melodischen Figuren des Diskants eine eminente Steigerung ihrer Expressivität. Bei der Frage „Seid Ihr der, vor dessen Kehle / Keiner mehr zu Wort gekommen?“ etwa geht die melodische Linie nach einem Terzfall auf dem Wort „Kehle“ in einen Quintsprung über, dem eine lange Dehnung auf dem Wort „keiner“ folgt, der diesem Wort einen starken Akzent verleiht. Auch „Wort“ trägt eine solche Dehnung, und bei dem Wort „gekommen“ liegt dann ein Sechzehntel-Sekundfall auf der Vorsilbe und ein Achtel-Sekundfall auf den beiden anderen Silben, und beides zusammen verleiht diesem Wort einen ausgeprägt spöttischen Unterton.


    Der Vers „Sangt gar artig, ohne Fehle?“ wird melodisch in zwei kleine Zeilen umgesetzt, zwischen denen eine Viertelpause liegt. Dabei liegt auf dem Wort „artig“ ein Quartsprung, der in der zweiten Zeile auf dem Wort „Fehle“ als Quartfall auf denselben Tönen wiederkehrt, - womit die Frage eigentlich beantwortet ist. Die Feststellung „Ja, ihr seid´s“ wird auf einer Repetition eines hohen „E“ mit nachfolgendem, in eine Dehnung übergehenden Quintfall deklamiert, und das Klavier schlägt dabei die gedehnten Akkorde an, mit denen es im Vorspiel einsetzte, - und dies forte. Nach einer Achtelpause geht die melodische Linie dann bei den Worten „bei meiner Seele, / Der so mit uns umgesprungen / Und gesprungen und gesungen“ nach einem Sekundfall aus großer Höhe in eine permanent sich wiederholende Wellenbewegung über, die auf höchst raffinierte Weise mit der dreimaligen Wiederholung der Silbe „-ungen“ den spöttischen Ton reflektiert, der damit im lyrischen Text verbunden ist.


    Das wiederholt sich am Ende der dritten Strophe noch einmal, und hier setzt das Klavier noch einen oben drauf, indem es die Achtelfiguren im Diskant, die, staccato artikuliert, ihrerseits eine wellenartige Linie beschreiben, nach dem Ende dieser Melodiezeile mit einem Mal in Gestalt von fallenden Terzschritten in hohe Diskantlage aufsteigen und in einen fünfstimmigen Akkord münden lässt. Diese das Lied refrainartig begleitenden Worte werden am Ende mit einer melodischen Linie aufgegriffen, die man als Gipfel des Hohns empfindet, der hier über den Mann ausgeschüttet wird. Bei „gesprungen“ beschreibt sie eine bogenförmige Bewegung, wobei am Ende auf einer Dehnung ein Sechzehntel-Sekundfall bei der letzten Silbe von „gesprungen“ liegt. Danach steigt sie mit einem Terz- und einem Quartsprung zu einem hohen „Gis“ auf, und das wird nun auf dem Wortteil „-sungen“ fast einen ganzen Takt lang gehalten. Fast, denn am Ende ereignet sich ein veritabler, legato deklamierter und höchst expressiver Oktavfall. Das ist blanker Hohn. Und das Klavier verstärkt ihn mit seinem Nachspiel, indem es in Diskant-Oktavlage eine Folge von Quarten und Sexten in extreme Höhe emporsteigen lässt.

  • Mögen alle bösen Zungen
    Immer sprechen, was beliebt:
    Wer mich liebt, den lieb´ ich wieder,
    Und ich lieb´ und bin beliebt.


    Schlimme, schlimme Reden flüstern
    Eure Zungen schonungslos;
    Doch ich weiß es, sie sind lüstern
    Nach unschuld'gem Blute bloß.
    Nimmer soll es mich bekümmern,
    Schwatzt so viel es euch beliebt;
    Wer mich liebt, den lieb´ ich wieder,
    Und ich lieb´ und bin geliebt.


    Zur Verleumdung sich verstehet
    Nur, wem Lieb 'und Gunst gebrach,
    Weil´s ihm selber elend gehet,
    Und ihn niemand minnt und mag.
    Darum denk´ ich, daß die Liebe
    Drum sie schmähn, mir Ehre gibt;
    Wer mich liebt, den lieb´ ich wieder,
    Und ich lieb´ und bin geliebt.


    Wenn ich wär´ aus Stein und Eisen,
    Möchtet ihr darauf bestehn,
    Daß ich sollte von mir weisen
    Liebesgruß und Liebesflehn.
    Doch mein Herzlein ist nun leider
    Weich, wie´s Gott uns Mädchen gibt;
    Wer mich liebt, den lieb´ ich wieder,
    Und ich lieb´ und bin geliebt.


    Vier Mal, und das in Refrain-Manier, bekennt diese junge Frau, dass sie ihre Lebenserfüllung darin sieht, zu lieben und geliebt zu werden. So zu leben, verleiht ihr Ehre. Liebesgruß und Liebesflehn kann sie nicht von sich weisen, weil ihr „Herzlein“ nun einmal „weich“ ist, wie´s Gott geschaffen hat. Und aus diesem Grund weist sie alle Vorhaltungen, die man ihr ob ihrer Lebensweise macht, von sich. Es ist ein unbekümmertes, ganz und gar von sich selbst überzeugtes, seines Liebreizes ganz offensichtlich voll bewusstes junges Wesen, das sich in der Art einer bekenntnishaften Lebensbeichte äußert. In Wolfs Liedkomposition auf diese Verse eines unbekannten spanischen Autors begegnet dem Hörer genau diese Lebenshaltung in beeindruckender Weise: Die melodische Linie wirkt, als würde sie sich so lebhaft leicht und beschwingt entfalten, dass sie kaum aufzuhalten ist, und das Klavier beflügelt sie darin. „Munter“ lautet die Anweisung für den Vortrag des Liedes, das am Nachmittag des 3. April 1890 in Perchtoldsdorf entstand. Es weist einen Dreiachteltakt auf und steht in D-Dur als Grundtonart.


    An dem Eindruck von munterer Beschwingtheit hat das Klavier einen wesentlichen Anteil. Es gibt diesen Ton nicht nur mit der Abfolge von rhythmisierten Sechzehntel-Achtel-Dreierfiguren im viertaktigen Vorspiel vor, es entfaltet auch in einem vielgestaltigen Klaviersatz mindestens ebenso viel musikalische Substanz wie die die Singstimme, und manchmal hat man gar den Eindruck, dass es diese darin übertreffen will. Vielgestaltig ist der Klaviersatz deshalb, weil in ihm nicht nur die rhythmisierten Dreierfiguren des Vorspiels fortgesetzt werden(dies im Bassbereich), sondern melodisch sich entfaltende Sechzehntel-Folgen, repetierende bitonale Sechzehntel und zudem auch noch vielstimmige Akkorde hinzutreten, dies einmal sogar in arpeggierter Form. Auch die Harmonisierung der melodischen Linie ist vielgestaltig. Die Harmonik moduliert permanent, und das D-Dur tritt allenfalls am Anfang oder am Ende einer Melodiezeile auf. Häufig rückt es in seine Parallele h- Moll, wie überhaupt die Tongeschlechter auffällig häufig miteinander abwechseln. Neben h-Moll durchläuft die melodische Linie auch g-Moll, a-Moll, e-Moll und einmal gar fis-Moll. Das Tongeschlecht Moll wirkt aber nicht dominant. Diesem heiteren Wesen, das sich hier artikuliert, ist allein das Dur angemessen. Zum Moll greift es nur, wenn es auf die „bösen Zungen“ zu sprechen kommt und die Vorwürfe abwehrt, denen es sich ausgesetzt fühlt.


    Die melodische Linie liebt die aus einem Sprung hervorgehende Tonrepetition, die am Ende in einen wiederum sprunghaften Fall mündet. Diese Melodik wirkt dem hier sich artikulierenden weiblichen Wesen wie auf den Leib geschneidert, und das verleiht dem Lied seinen bestechenden Charme. Es ist keiner von vordergründiger Oberflächlichkeit. Man möchte Erik Werba schon zustimmen, wenn er feststellt: Das „ist mehr als ein Soubretten-Liedchen, ist mozartisch in seiner biegsamen Durchsichtigkeit und ein Bekenntnis wahrer Ungebundenheit.“ Die Art, wie die melodische Linie einsetzt, ist typisch für die Art und Weise, wie sie sich auch im folgenden entfaltet. Bei „Mögen alle bösen“ ereignet sich auf den beiden Silben des Wortes je eine Tonrepetition, und die melodische Linie beschreibt erst einen Quartsprung und dann einen Sekundfall, dem zu dem Wort „Zungen“ hin ein kleiner Terzfall folgt. Auch bei den Worten „sprechen was beliebt“ erfolgen zwei Tonrepetitionen mit einem dazwischen gelagerten Quartsprung und –fall, und der auf der zweiten Silbe von „beliebt“ sich ereignenden Quintfall wird mit einem Legato-Vorschlag deklamiert, was der melodischen Aussage einen schnippischen Ton verleiht. Die Harmonik setzt mit D-Dur ein, moduliert danach mehrfach und endet in h-Moll.


    Diese Tonrepetitionen ereignen sich in der melodischen Linie immer wieder, und es ist bezeichnend, wo dies geschieht: Immer dort, wo das lyrische Ich sein Selbstbewusstsein bekundet. So etwa bei den Worten „Doch ich weiß es, sie sind lüstern“, „Nimmer soll es mich bekümmern“, „Drum denk ich, dass die Liebe…“, „Wenn ich wär´ aus Stein“ und „Doch mein Herzlein ist nun leider…“: Und auch der Refrain, in dem sich das Wesen dieser jungen Frau in gleichsam repräsentativer Weise ausdrückt, weist diese aus Tonrepetitionen und Sprüngen bestehende, allerdings zwei Mal leicht abgewandelte Grundstruktur auf. Am Anfang ereignet sich ein aus einer Tonrepetition auf „Wer mich“ erfolgender veritabler Oktavsprung (der in der letzten Version zu einem Sextsprung gemindert wird), anschließend wird in silbengetreuer Deklamation jeder Ton wiederholt, auf den Worten „ich lieb´“ liegt eine aus einem Terzsprung hervorgehende Dehnung in hoher Lage, und am Ende, bei den Worten „und bin geliebt“ beschreibt die melodische Linie eine doppelte Sprung- und Fallbewegung über unterschiedliche, aber allemal große Intervalle.


    Während, wo das lyrische Ich von sich auf Andere und ihr Verhalten ihm gegenüber zu sprechen kommt, die Harmonik von Dur nach Moll hin moduliert, ist es beim Refrain genau anders herum. Drei Mal setzt er in h-Moll ein und endet in Dur-Harmonisierung (A-Dur, D-Dur). Nur bei beim letzten Auftritt verbleibt die Harmonik durchweg im Dur-Bereich (D-Dur). Das Klavier, das sich ansonsten vorwiegend in fließend sich entfaltenden Achteln oder in bitonalen Akkordrepetitionen ergeht, artikuliert beim Refrain durchweg vier- bis sechsstimmige und z.T. staccato angeschlagene Sechzehntel-Akkorde, die durch Sechzehntel-Pausen voneinander getrennt sind. Es will auf diesem Weise dem Nachdruck verschaffen, was das lyrische Ich melodisch zum Ausdruck bringt. Und dies ist ein ausgeprägtes, vom Wissen um die Sinnhaftigkeit des eigenen Lebensweges der Liebe und des Geliebt-Werdens getragenes Selbstbewusstsein.

  • Köpfchen, Köpfchen, nicht gewimmert,
    Halt dich wacker, halt dich munter,
    Stütz´ zwei gute Säulchen unter,
    Heilsam aus Geduld gezimmert!
    Hoffnung schimmert,
    Wie sich´s auch verschlimmert
    Und dich kümmert.
    Mußt mit Grämen
    Dir nichts zu Herzen nehmen,
    Ja kein Märchen,
    Daß zu Berg dir stehn die Härchen;
    Da sei Gott davor
    Und der Riese Christophor!


    „Preciosa´s Sprüchlein gegen Kopfweh“, so sind diese Verse betitelt, die aus den „Novelas Ejemplares“ des Miguel de Cervantes stammen. Wolfs Komposition darauf entstand am Abend des 31.Oktober 1889. Ein Vierachteltakt liegt ihr zugrunde, die Grundtonart ist B-Dur, und die Vortragsbezeichnung lautet „Mäßig“. D. Fischer-Dieskau kommentiert das kleine Lied ein wenig abfällig mit den Worten: „Vor einer gewissen Beiläufigkeit retten auch die erprobten staccati im Klavier kaum“, und er ist auch darin – wie so oft – einer Meinung mit Kurt Honolka, der seinerseits konstatiert: „… und die dissonant garnierten Klavier-Staccatos bleiben so unverbindlich wie Verse und Stimmpart“.


    Nun handelt es sich bei diesem Liedchen gewiss nicht um eine der großen Kompostionen dieses Zyklus, einen gewissen kompositorischen Witz und klanglichen Reiz kann man ihr gleichwohl nicht absprechen. Und die Staccato-Achtel, die mit Ausnahme des letzten Verses den Klaviersatz in Bass und Diskant beherrschen, stellen durchaus keinen vordergründigen Gag dar, sondern akzentuieren rhythmisch den Charakter der beschwörenden Einrede, der den Versen innewohnt. Überdies reflektiert der Klaviersatz in seinem Zusammenspiel von Diskant und Bass die Aussagen des lyrischen Textes und damit indirekt die Emotionen des lyrischen Ichs, die sich darin niederschlagen. Das geschieht insbesondere durch die Figuren aus Terzenparallelen, die bezeichnenderweise im Klaviersatz dort auftreten, wo das lyrische Ich von „Geduld, „Hoffnung“ und davon spricht, sich „mit Grämen nichts zu Herzen nehmen“ zu wollen.


    Die arme Preciosa hat Kopfschmerzen. Mit den „Sprüchlein“, die sie in Versgestalt von sich gibt, versucht sie, ihr Leiden zu bewältigen. Wolfs Liedmusik reflektiert dieses Selbstgespräch in den Gedanken, den Entschlüssen, den Emotionen, die damit einhergehen, - bis hin zur Anrufung Gottes und den Riesen „Christophor“ am Ende. Nach der Ansprache an das eigene Köpfchen geht die melodische Linie bei den Worten „nicht gewimmert“ in eine bogenförmige Bewegung über, und der Aufforderungscharakter von „halt dich wacker“ wird mittels einer aus mittlerer in hohe Lage aufsteigenden melodischen Linie aufgegriffen. Diese melodischen Figuren wiederholen sich danach noch einmal, worin sich die Eindringlichkeit dieser Ansprache an sich selbst ausdrückt. Das Klavier begleitet das mit in mechanischer Starre und beharrlicher Ruhe angeschlagenen Staccato-Achteln im Diskant. Aber zugleich lässt es in dem Auf und Ab von Achteln im Bass eine ansteigende melodische Linie erklingen, worin sich wohl die Willensenergie ausdrückt, die hinter den Worten des lyrischen Ichs steht.


    Bei den Worten „heilsam aus Geduld gezimmert“ beschreibt die melodische Linie bemerkenswerterweise eine Fallbewegung über das Intervall einer Septe. Schlägt sich darin ein Nachlassen des Glaubens an die Wirksamkeit der „Säulchen aus Geduld“ nieder? Das Klavier scheint aber dagegen zu halten, denn nun lässt es die Staccato-Achtel in Gestalt von Oktaven erklingen, und im Bass erklingen Achtelfiguren aus einer Sexte und einer Terz, die eine Aufstiegsbewegung beschreiben. Und das setzt sich nun im Klaviersatz so fort. Nach einer mehr als eintaktigen Pause deklamiert die Singstimme die Worte „Hoffnung schimmert“ wiederum entgegen ihrer Semantik auf einer kleinen, von einer Pause gefolgten Melodiezeile, die aus einem doppelten Sekundfall und einem Quintfall auf dem Wort „schimmert“ besteht. Es scheint so, als ob die nachfolgende kleine Melodiezeile, die wiederum in eine Pause mündet, hier eine gewisse Rückwirkung zeitigt. Die Worte „wie sich´s auch verschlimmert“ werden auf einer zunächst in hoher Lage repetierenden und danach am Ende erneut in einen Quintfall übergehenden melodischen Linie deklamiert. Das Kopfweh scheint arg schlimm zu sein.


    Und auch hier hält das Klavier wieder dagegen Während es die Artikulation von Staccato-Oktaven fortsetzt, lässt es im Bass permanent eine Folge von aufsteigenden und am Ende in eine Dehnung mündenden bitonalen Terzen erklingen. Das setzt sich fort bis zum Ende der Melodiezeile auf den Worten „Mußt mit Grämen dir nichts zu Herzen nehmen“. Denn auch sie, ebenso wie die kleine, von Pausen eingegrenzte Zeile auf den Worten „und dich kümmert“, endet in einem Quintfall. Das Klavier scheint dem – schmerzbedingten – Pessimismus der armen Preciosa einen konsequent durchgehaltenen Optimismus entgegen setzen zu wollen. Von dem Wort „verschlimmert“ an lässt es die Oktaven in hoher Diskantlage erklingen, geht allerdings bei der letzten Melodiezeile mit seinen Terzanstiegen mit einem Decrescendo ins Pianissimo über.


    Was an diesem Lied so beeindruckt und durchaus – anders, als eine Kritiker das sehen – als ein Ausweis liedkompositorischer Größe betrachtet werden kann, das ist dieser langsame Übergang von gleichsam tastend sich entfaltender, weil vom Klaviersatz so rhythmisierter Melodik zu der Entschiedenheit, wie sie die Liedmusik auf den letzten beiden Versen zum Ausdruck bringt. Bewegte sich die melodische Linie bei den Worten „Ja kein Märchen, / Daß zu Berg dir stehn die Härchen“ noch in Sprüngen über den tonalen Raum einer Undezime, vom Klavier im Gestus des Liedanfangs begleitet, so geht sie bei den Worten „Da sei Gott vor“ zum syllabisch-exakt deklamatorischen Verharren auf der Ebene eines hohen „D“ über, das nach kleinen Anhebungen und Senkungen um nur eine Sekunde bei dem Wort „Christophor“ in einen über eine Sechzehntel-Figur erfolgenden Anstieg zu einem hohen „F“ übergeht, wo sich ein mit einer Fermate versehenes Innehalten ereignet. Das lyrische Ich hat in seinem Kopfweh zu sich selbst gefunden und ruft in seinem Widerstand dagegen Gott und die Heiligen um Beistand an.


    Und das erklärt auch das Ungewöhnliche Liedes Liedschlusses: Die für Wolf ungewöhnliche Wiederholung dieser beiden letzten Verse. Sie erfolgt auf einer melodischen Wellenlinie, die am bei dem Wort „Christophor“, in eine auf dem Grundton „B“ endende Fallbewegung mündet. Und das Klavier hat in dieser letzten Phase des Liedes, darin der melodischen Linie voll gerecht werdend, von seiner Staccato-Rhythmisierung abgelassen und ist zur Artikulation von Akkord-Folgen übergegangen.

  • Sagt ihm, daß er zu mir komme,
    Denn je mehr sie mich drum schelten,
    Ach, je mehr wächst meine Glut!


    O zum Wanken
    Bringt die Liebe nichts auf Erden;
    Durch ihr Zanken
    Wird sie nur gedoppelt werden.
    Sie gefährden
    Mag nicht ihrer Neider Wut;
    Denn je mehr sie mich drum schelten,
    Ach, je mehr wächst meine Glut!


    Eingeschlossen
    Haben sie mich lange Tage;
    Unverdrossen
    Mich gestraft mit schlimmer Plage;
    Doch ich trage
    Jede Pein mit Liebesmut,
    Denn je mehr sie mich drum schelten,
    Ach, je mehr wächst meine Glut!


    Meine Peiniger
    Sagen oft, ich soll dich lassen,
    Doch nur einiger
    Woll'n wir uns ins Herze fassen.
    Muß ich drum erblassen,
    Tod um Liebe lieblich tut,
    Und je mehr sie mich drum schelten,
    Ach, je mehr wächst meine Glut!


    Vier Mal, wieder in einer Art Refrain, bekennt sich da ein Mädchen zu seiner Liebe, weist alle „Schelte“, die es dafür ertragen muss, von sich, setzt ihr trotzig entgegen, dass die „Glut“ dadurch nur noch stärker wachse und spricht gar vom Tod, den es um der Liebe willen auf sich nehmen wolle, da er „lieblich“ sei. Wolfs Lied auf diesen Text eines unbekannten spanischen Dichters entstand am Vormittag des 4.April 1890, ein Dreivierteltakt liegt ihm zugrunde, die Grundtonart ist h-Moll, und die Vortragsanweisung lautet „Mäßig, innig und leidenschaftlich.“


    Die Liedmusik auf den das Gedicht einleitenden ersten drei Versen lässt das Bild eines Mädchens erstehen, das sich keineswegs selbstbewusst zu seiner Liebe bekennt, sich vielmehr aus einer Verteidigungshaltung heraus artikuliert. Die Worte „Sagt ihm, daß er zu mir komme“, die ja doch einen Aufforderungscharakter aufweisen, wurden von Wolf offensichtlich eher als eine flehentliche Bitte gelesen. Die melodische Linie beschreibt zwei Mal eine Fallbewegung in Sekunden, geht dann bei dem Wort „komme“ zwar in eine Dehnung über, die mündet aber auf der letzten Silbe dieses Wortes in einen Quintfall, und durchweg herrscht dabei h-Moll-Harmonik.


    Auch der hier erstmals auftretende Refrain ist nur schwerlich als Ausdruck von Selbstbewusstsein aufzunehmen und zu verstehen. Zwar setzt die melodische Linie hier mit einem Sextsprung ein und sie ist von Tonrepetitionen in hoher Lage geprägt, aber wieder geht die Dehnung auf dem Wort „schelten“ am Ende in einen Quintfall über, und auf den Worten „meine Glut“ beschreibt sie nicht, wie man eigentlich erwarten würde, in einen Anstieg, sondern sie macht einen Sekund- und einen Quartfall. Wieder dominiert Moll-Harmonik. Nur kurz wird bei dem Wort „schelten“ Dur-Harmonik (H-Dur)gestreift, und das ist auch am Ende dieser Melodiezeile der Fall. Wieder nur kurz klingt bei dem Wort „Glut“ ein Fis-Dur auf, das geht aber sofort in ein fis-Moll über, das vom Klavier in dem sich an diese Melodiezeile anschließenden zweitaktigen Nachspiel aufgegriffen wird.


    So gestaltet sich die Harmonisierung der melodischen Linie in diesem Lied durchweg, und dass man das als Ausdruck einer im Grunde defensiven Haltung und großer innerer Unsicherheit des lyrischen Ichs verstehen mag, dazu tragen auch die starken Dynamik-Schwankungen insbesondere im Refrain bei. Die erste Melodiezeile setzt piano ein, schon bei den Worten „daß er zu mir komme“ geht das anfängliche Crescendo gleich wieder ins ein Decrescendo über. Das Forte, in dem die Dehnung auf dem Wort „schelten“ deklamiert wird, schlägt bei dem Quintfall auf dem Ausruf „ach“ in ein Piano um, dann allerdings wächst die Dynamik kontinuierlich bis zu dem Fortissimo an, das die Liedmusik bei dem Wort „Glut“ erreicht. Dieses in ein Fortissimo mündende Crescendo wiederholt sich aber nicht bei den nachfolgenden Refrains.


    Diese sind zwar in der Struktur der melodischen Linie unterschiedlich angelegt, sie weisen aber darin, in ihrer Harmonisierung und in ihrer Dynamik bemerkenswerte Gemeinsamkeiten auf. Drei Mal setzt die melodische Linie mit einem Sprung in hohe Lage ein. Dort bewegt sie sich zunächst in Gestalt von Tonrepetitionen oder in einem leichten Sekundfall. Die maßgeblichen Worte „je mehr“ und „schelten“ werden dabei melodisch höchst unterschiedlich behandelt. Der Akzent, den sie bei der ersten Version des Refrains tragen, wird bei den nachfolgenden Auftritten desselben mehr und mehr zurückgenommen. Beim zweitletzten Refrain liegt auf dem Wort „schelten“ zwar ein Quartsprung, beim letzten aber wird daraus ein leicht schmerzlich wirkender Sekundfall. Und dazu passt, dass dieses Mal der Klagelaut „ach“ durch Pausen in der melodischen Linie exponiert wird. In allen Fällen beschreibt diese am Ende eine Fallbewegung. Und nicht nur dieses ist vielsagend hinsichtlich der Seelenlage dieses lyrischen Ichs, auch die Harmonisierung und die Dynamik der Melodik dieses Refrains sind es. Moll-Harmonik (h-Moll, fis-Moll) herrscht vor, erst am Ende, bei dem Wort „Glut“ rückt die Harmonik in den Dur-Bereich (Fis). Die Dynamik aber, die bei dem Wort „schelten“ über ein Crescendo ins Fortissimo vorgedrungen ist, sinkt bei den Worten „wächst meine Glut“ rapide ins Piano ab.


    Dem Klaviersatz kommt eine für die Aussage der melodischen Linie höchst bedeutsame Funktion zu. Eine klangliche Figur prägt ihn maßgeblich. Sie erklingt gleich am Liedanfang: Eine von einer Oktave zu einer Quinte sich verengende Achtel-Figur geht in eine Sechzehntel-Tonrepetition über. Diese Figur wechselt immer wieder mit bionalen Achtel-Akkorden ab, die in unterschiedlicher Intervall-Stärke der melodischen Linie der Singstimme folgen und sie klanglich einbetten, wie man das beispielhaft gleich am Anfang bei den Worten „O zum Wanken / Bringt die Liebe nichts auf Erden“ vernehmen kann. Bei der Liedmusik auf den Refrain spielt diese den Klaviersatz durchgehend strukturierende klangliche Figur eine dominante Rolle, und man meint gerade hier in besonders markanter Weise ihre Funktion erfassen zu können: Sie imaginiert klanglich die untergründige Leidenschaft, die „Liebesglut“, von der der Refrain spricht und die der Quell der lyrisch-musikalischen Aussagen ist, die die musikalische Substanz dieses Liedes bilden.

  • Bitt´ ihn, o Mutter,
    Bitte den Knaben,
    Nicht mehr zu zielen,
    Weil er mich tötet.


    Mutter, o Mutter,
    Die launische Liebe
    Höhnt und versöhnt mich,
    Flieht mich und zieht mich.
    Ich sah zwei Augen
    Am letzten Sonntag,
    Wunder des Himmels,
    Unheil der Erde.
    Was man sagt, o Mutter,
    Von Basilisken,
    Erfuhr mein Herze,
    Da ich sie sah.
    Bitt´ ihn, o Mutter,
    Bitte den Knaben,
    Nicht mehr zu zielen,
    Weil er mich tötet.


    Die Erfahrung der Liebe wird hier in ihrer den Menschen bis ins Innerste ergreifenden und in seiner Existenz gefährdenden Seite lyrisch thematisiert. Das lyrische Ich bittet die Mutter um Hilfe, sie möge es schützen vor dem neuerlichen Pfeil, den Amor auf es abschießen könnte, wie das bei der Begegnung mit den „zwei Augen“ geschehen ist, die als „Wunder des Himmels“ und als „Unheil der Erde“ zugleich bezeichnet werden. Die Anspielung auf den antiken Mythos des Basilisken, der im Christentum die Todsünde der Wollust symbolisiert, deutet die Tiefe der Erschütterung an, die sich hier ereignet hat. Das lyrische Ich ist hin und her gerissen zwischen Anziehung und Flucht, und diese menschliche Situation wird von Hugo Wolf in höchst feinfühliger Weise musikalisch ausgeleuchtet. Er erweist sich hier wieder einmal als der große Psychologe unter den Liedkomponisten.


    Das Lied entstand am Nachmittag des 26. November 1889. Ein Viervierteltakt liegt ihm zugrunde, g-Moll ist die Grundtonart, und es soll „unruhig bewegt und leidenschaftlich“ vorgetragen werden. Es ist von einer drängenden Unruhe erfüllt. Die melodische Linie entfaltet große Expressivität, und sie wirkt wie getrieben von einem Klaviersatz, der sich in einem geradezu stürmischen Gestus entfaltet. Seine Struktur bleibt über das ganze Lied hin die gleiche: Zischen vier Viertel-Akkorde im Bass, die größtenteils als Arpeggien angeschlagen werden, drängen sich vier Zweiergruppen von Sechzehnteln oder Achteln im Diskant, die sich partiell zu einer Dreiergruppe erweitern können und eine in Sekunden ansteigende oder fallender Bewegung beschreiben. Die rhythmisch-klangliche Unruhe, die vom Klaviersatz ausgeht, erfährt dadurch eine Steigerung, dass diese Achtel-, bzw. Sechzehntelfiguren im Diskant nur in wenigen Passagen des Liedes auf der gerade eingenommenen tonalen Ebene verbleiben, vielmehr immer wieder stürmisch in große Höhe drängen. Bezeichnenderweise geschieht das häufig dort, wo die melodische Linie ihrerseits mit einer Dehnung auf einer tonalen Ebene verharrt oder eine Fallbewegung beschreibt.


    Bei den Worten „Bitt´ ihn, o Mutter, bitte den Knaben“ verharrt die melodischen Linie in eindringlich-insistierender, weil in Gestalt von Tonrepetitionen erfolgender Weise in hoher Lage, nur um einer Sekunde davon abweichend. Und diese flehentliche Ansprache an die Mutter wiederholt sich noch ein zweites Mal am Anfang der zweiten Strophe und in identischer Weise bei der Wiederkehr der Verse der Eingangsstrophe am Ende des Liedes. Sie nimmt dabei im dritten Fall den gleichen, im zweiten einen nur leicht angewandelten Verlauf, behält aber auch dort ihren Charakter als flehentlicher Hilferuf. Danach geht sie bei den ersten vier Versen in eine Fallbewegung über, aus der sie sich zwar noch einmal aufrichtet, am Ende aber, bei dem Wort „tötet“, beschreibt sie eine lange Dehnung auf einem tiefen „F“, von dem sie mit einem Terzsprung in ein „A“ übergeht. Durchweg ist sie in g-Moll harmonisiert, das am Ende allerdings nach d-Moll rückt. Das Klavier will mit seinen Sechzehntel-Figuren im Diskant diese Fallbewegung der melodischen Linie nicht mitvollziehen. Zweimal steigen diese in hohe Lage empor undsenken sich erst bei der langen Dehnung auf dem Wort „tötet“ wieder ab, wobei sie diese Abwärtsbewegung in dem nachfolgenden dreitaktigen Zwischenspiel fortsetzen. Dieses geht am Ende freilich in eine Sprungbewegung von Vierteln über, die in einen Akkord münden, der die Liedmusik zur Fortsetzung der melodischen Linie auf den Worten „Motter, o Mutter“ öffnet.


    Bei der Wiederholung dieser vier Verse am Ende des Liedes sind melodische Linie und Klaviersatz bis zum dritten Vers einschließlich die gleichen. Dann aber, beim vierten Vers, geht die melodische Linie in eine Bewegung über, die vernehmlich werden lässt, wie tief der Schrecken reicht, den das Ich in seiner – vermutlich ersten – Liebeserfahrung gemacht hat. Sie geht dieses Mal nicht, wie am Liedanfang, in eine Fallbewegung über, sondern steigt bei den Worten „weil er mich“ in Sekundschritten zu einem hohen „Es“ empor, von dem aus sie einen Sekundfall hin zu dem Wort „tötet“ beschreibt, auf dem nun eine lange, den Takt überschreitende Dehnung liegt, die am Ende in einen Oktavfall mündet, der, abweichend von der ersten Version, nun in D-Dur harmonisiert ist. Den Anstieg der melodische Linie vollzieht das Klavier mit seinen Sechzehntel-Figuren im Diskant bis in hohe Lage mit, lässt sie dann aber, wie auch im ersten Fall, langsam wieder in mittlere Lage absinken.


    Die deutlich gesteigerte Expressivität, in der die Liedmusik endet, ist gleichsam der Höhepunkt einer Entwicklung, die sie zuvor genommen hat. Im Ausdruck seiner Ängste und Befürchtungen steigert sich das lyrische Ich kontinuierlich. Bei den Worten „flieht mich und zieht mich“ beschreibt die melodische Linie erstmals eine Dehnung in hoher Lage, und das Klavier steigt mit seinen Sechzehntel-Figuren in extrem hohe Diskantlage empor, dies mit einem Crescendo, das im Fortissimo endet. Bei den Worten „Wunder des Himmels“ erfolgt die melodische Dehnung sogar noch um eine Terz höher, auf einem hohen „A“ nämlich, und wieder erklingen die Sechzehntel-Figuren in der Oktavlage des Diskants. Bei den nachfolgenden Worten „Unheil der Erde“ senkt sich die melodische Linie zwar zweimal um eine Sekunde ab, verbleibt aber dennoch in hoher Lage und geht dort in eine lange Dehnung über, die am Ende in einen Oktavfall mündet. Die Harmonik moduliert dabei von einem anfänglichen D-Dur (bei „Wunder des Himmels“) über ein g-Moll hin zu einem G-Dur am Ende der Melodiezeile.


    Mit den Worten „Was man sagt, o Mutter…“ tritt eine regelrechte dramatische Steigerung in die melodische Linie, sie beschreibt in einem Crescendo einen langsamen chromatischen Anstieg, der mit den entsprechenden harmonischen Rückungen begleitet wird und am Ende in eine extrem lange, nämlich sich über mehr als zwei Takte erstreckende Dehnung auf einem hohen „Fis“ bei dem Wort „sah“ mündet. Ein sechs Takte langes Zwischenspiel folgt, in dem das Klavier mit seinen fallenden Sekunden, die dieses Mal Achtel sind, in tiefe Lage heruntersteigt und zu letzten Strophe überleitet, die ja die Wiederholung der ersten darstellt.

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  • Liebe mir im Busen
    Zündet´ einen Brand.
    Wasser, liebe Mutter,
    Eh das Herz verbrannt!


    Nicht das blinde Kind
    Straft für meine Fehle;
    Hat zuerst die Seele
    Mir gekühlt so lind.
    Dann entflammt´s geschwind
    Ach, mein Unverstand;
    Wasser, liebe Mutter,
    Eh das Herz verbrannt!


    Ach, wo ist die Flut,
    Die dem Feuer wehre?
    Für so große Glut
    Sind zu arm die Meere.
    Weil es wohl mir tut,
    Wein´ ich unverwandt;
    Wasser, liebe Mutter,
    Eh das Herz verbrannt!


    Wie das vorangehende Gedicht enthält auch dieses einen Hilferuf an die Mutter, der als Refrain am Ende der drei Strophen ausgebracht wird. Das lyrische Ich bittet um Wasser, das den Brand löschen soll, den die Liebe in ihm entfacht hat und der droht, das ihm das Herz zu verbrennen. Wolfs Liedmusik greift dies mit einer lebhaft bis stürmisch sich entfaltenden melodischen Line auf und mit einem Klaviersatz, der über weite Passagen von in Bass und Diskant vorandrängenden Achteln wie getrieben wirkt. Das Lied entstand am Mittag des 2.April 1890, es steht in a-Moll als Grundtonart und soll „Äußerst rasch, mit leidenschaftlichstem Ausdruck“ vorgetragen werden.


    Das dreitaktige Vorspiel wirkt mit seiner Kette von Achteln, die im dreitaktigen Vorspiel als Oktavparallele in Bass und Diskant in Sekundschritten aus tiefer Lage nach oben steigt, wie eine Hinführung zu dem leidenschaftlichen Gestus, mit dem die melodische Linie sich regelrecht in den Klaviersatz hineindrängt. Sie tut das mit einer Dehnung in hoher Lage auf dem Wort „Liebe“ und geht danach in eine von Tonrepetitionen geprägte Fallbewegung über. A-Moll-Harmonik herrscht vor, und das Klavier begleitet mit fortissimo angeschlagenen siebenstimmigen Akkorden aus punktierten Vierteln. Beim nachfolgenden ersten Erklingen des Refrains behält es diese Form der Begleitung der Singstimme bei. Und der Refrain ist auch die einzige Passage des Liedes, in der der Klaviersatz akkordisch geprägt ist. Ansonsten besteht er aus einer Folge von Achteln, die in Bass und Diskant zumeist als Oktavparallele angelegt ist und deshalb so drängend-stürmisch wirkt, weil sie häufig aus einem zwei- bis dreistimmigen Viertel-Akkord hervorgeht, wobei eine Achtel-Pause zwischengeschaltet ist.


    Der dreimalige und das Lied stark prägende, weil wie in seinem Zentrum stehend wirkende Hilferuf nach Wasser weist in den beiden ersten Fällen in Melodik und Klaviersatz eine identische Struktur auf, im dritten Fall ist er am Ende modifiziert, um eine Kadenz herbeizuführen und in diesem Zusammenhang auch die Expressivität zu steigern. Auf den Worten „Wasser, liebe Mutter“ liegt in allen drei Fällen eine repetierendes hohes „F“, wobei dieses bei „Wasser“ eine Dehnung aufweist. Beim letzten Auftritt tragen sogar die beiden Silben von „Mutter“ eine Dehnung. Bei den Worten „eh´ das Herz versinkt“ geht die melodische Linie in einen Sekundfall über, der in den drei letzten Schritten gedehnt ist, wobei auf der zweiten Silbe von „verbrannt“ der Grundton „A“ in Gestalt einer halben Note liegt. Bei der das Lied beschließenden Version trägt das Wort „Herz“ eine lange, den Takt übergreifende Dehnung. Dafür ist aber die letzte auf „verbrannt“ auf ein punktiertes Viertel verkürzt. Dies deshalb, weil auf diese Weise der nachfolgende a-Moll-Schussakkord in dem Sforzato, mit dem er auftritt, wie eine höchst nachdrückliche Bekräftigung des Hilferufs wirkt.


    Die innere Erregtheit des lyrischen Ichs schlägt sich in der melodischen Linie dergestalt nieder, dass sich mehrfach Dehnungen mit kurzschrittigen Bewegungen abwechseln, so etwa bei den Worten „Nicht das blinde Kind straft für meine Fehle“ oder „Dann entflammt´s geschwind, ach, mein Unverstand“. Dort aber, wo das lyrische Ich davon spricht, dass ihm „die Seele so lind gekühlt“ wurde und bekennt, dass es nun „unverwandt“ weine, kommt etwas mehr Ruhe in die melodische Linie, und dies in Gestalt weiter gestreckter Dehnungen und eines längeren Verbleibens auf der gerade eingenommenen tonalen Ebene. So werden die Worte „wein´ ich“ auf einer Dehnung in hoher Lage deklamiert, die sich über fast drei Takte erstreckt, bei „unverwandt sind es zwei Dehnungen, die zusammen mehr als zwei Takte in Anspruch nehmen. Die melodische Linie verbleibt bei dieser Melodiezeile durchweg auf der tonalen Ebene eines hohen „Cis“, bzw. „D“ und steigt am Ende über ein „Dis“ noch zu einem hohen „E“ auf.


    Das Klavier begleitet hier mit einer Folge von fallend angelegten Achtel-Dreiergruppen, entwickelt dabei über ein Crescendo immer mehr Expressivität, und am Ende steigert es sich gar in eine forte ausgeführte wellenartige Abfolge von Achteln in hoher Lage, die am Ende in einen Fall übergeht. Mit der Unruhe, die es hier, wie generell im ganzen Lied, entfaltet, reflektiert es die seelische Befindlichkeit des lyrischen Ichs. Nur in den Refrains geht es zu fortissimo angeschlagenen siebenstimmigen Akkordfolgen über. Dem an die Mutter gerichteten Hilferuf des Mädchens wird auf diese Weise starker Nachdruck verliehen.

  • Schmerzliche Wonnen und wonnige Schmerzen,
    Wasser im Auge und Feuer im Herzen,
    Stolz auf den Lippen und Seufzer im Sinne,
    Honig und Galle zugleich ist die Minne.


    Oft, wenn ein Seelchen vom Leibe geschieden,
    Möcht´ es Sankt Michael tragen in Frieden:
    Aber der Dämon auch möcht´ es verschlingen;
    Keiner will weichen, da geht es ans Ringen.


    Seelchen, gequältes, in ängstlichem Wogen
    Fühlst du dich hierhin und dorthin gezogen,
    Aufwärts und abwärts. In solches Getriebe
    Stürzt zwischen Himmel und Höll´ uns die Liebe.


    Mütterchen, ach, und mit siebenzehn Jahren
    Hab´ ich dies Hangen und Bangen erfahren,
    Hab´s dann verschworen mit Tränen der Reue;
    Ach, und schon lieb´ ich, schon lieb' ich aufs neue!


    Ein lyrischer Kommentar zum Thema Liebe, der diese in ihrer den Menschen tief ergreifenden Ambivalenz beschreibt, hin und her gerissen zwischen „schmerzlichen Wonnen“ und „wonnigen Schmerzen“. Aber er kommt nicht aus neutralem Munde. Es eine Betroffene die sich hier äußert. Sie bekennt, dass sie zwar der Liebe abgeschworen hatte und „Tränen der Reue“ empfand, nun aber doch aufs neue liebe. Und weil das so ist, entfaltet Wolfs Liedmusik auf diese Verse ein wahres klangliches Feuerwerk im Wechselspiel von melodischer Linie und Klaviersatz, wobei diesem eine dominante Rolle zukommt, die schließlich dazu führt, dass er schließlich übrig bleibt und sich in einem für diesen Zyklus ungewöhnlich langen und klanglich mächtigen Nachspiel ausleben kann. Das Lied entstand am Nachmittag des 29.März 1890, ein Sechsachteltakt liegt ihm zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet „Sehr rasch und leidenschaftlich“.


    Der Notentext weist drei Kreuze als Vorzeichen auf, die Tonart A-Dur wird aber nur einmal kurz gestreift und findet sich erst im Schlussakkord wieder. Der Harmonik dieses Liedes wohnt ein eminent schweifender Gestus inne, der sich vor allem im Bereich der Tonarten „Fis“, „Dis“ und „Gis“ entfaltet, wobei die Modulation häufig über den verminderten Dominant-Akkord erfolgt und das Tongeschlecht immerzu wechselt. Damit intensiviert die Harmonik den schweifend-vorwärtsdrängenden Gestus des Klaviersatzes. In dessen Grundstruktur ereignet sich permanent ein Ausbrechen aus dem Verharren, wie es die Akkordrepetition klanglich suggeriert. Das geschieht in Gestalt von ansteigenden oder fallenden Akkordfolgen oder Achteln in Bass und Diskant und nimmt von Strophe zu Strophe zu, was wesentlich zu dem Eindruck beiträgt, dass sich das lyrische Ich in der Emphase, in der es sich melodisch über die Liebe äußert, mehr und mehr steigert.


    Schon das zweitaktige Vorspiel vermittelt eine Ahnung von der Leidenschaftlichkeit, in der die Liedmusik sich danach entfalten wird: Das Klavier lässt forte eine Folge von dissonant wirkenden, weil aus einer kleinen Sekunde bestehenden Achteln erklingen, in die die Singstimme im dritten Takt einfällt. Die melodische Linie bewegt sich unruhig auf und ab, geht bei dem Wort „Schmerzen“ in einen Septfall über, setzt bei „Wasser“ erneut in hoher Lage an, beschreibt eine Fallbewegung und macht dann bei „Feuer“ einen Quintsprung, der sie wieder in hohe Lage führt. Das Klavier begleitet mit bitonalen Akkordrepetitionen, die sich von Takt zu Takt mit einer Folge von sich im Intervall ausweitenden und wieder verengenden Akkorden abwechseln. Mit den Worten „Stolz auf den Lippen“ geht die melodische Linie zu einer Aufeinanderfolge von Sprüngen und Fallbewegungen über große Intervalle über, und das Klavier begleitet im Diskant ausschließlich mit Akkordrepetitionen, die von Dreistimmigkeit zu Vierstimmigkeit übergehen.


    Mit der zweiten Strophe („Oft, wenn ein Seelchen…“) kommt zunächst ein wenig mehr Ruhe in die Bewegung der melodischen Linie, und auch der Klaviersatz nimmt sich in seiner klanglichen Stärke zurück. Die Singstimme deklamiert anfänglich nur auf einem „A“ in mittlerer Lage, und das Klavier begleitet mit der Repetition desselben Tons im Diskant. Aber die fallenden Terzen im Bass deuten schon an, dass es bei dieser Ruhe nicht bleiben wird, und in der melodischen Linie ist das auch so: Die tonale Ebene, auf der die zweite, den zweiten Vers beinhaltende Melodiezeile einsetzt, ist um eine Sekunde angehoben, was auch eine harmonische Rückung zur Folge hat. Bei den Worten „tragen in Frieden“ geht die melodische Linie schon wieder in einen Aufstieg in hohe Lage über, der am Ende in einen veritablen Oktavfall mündet. Danach beschreibt sie wieder ihre Bewegungen in Sprüngen über große Intervalle, und auch das Klavier kehrt zu seinen vierstimmigen Akkordrepetitionen zurück, die von Takten mit aufsteigenden oder fallenden Achteln unterbrochen werden.


    Das Bild von dem „Seelchen“, das sich „in ängstlichem Wogen“ „hierhin und dorthin“ gezogen fühlt, reflektiert die Liedmusik mit einer melodischen Linie, die sich in kurzschrittigem Auf und Ab bewegt, wobei das Klavier permanent dreistimmige, aber sich im Intervall erweiternde Akkorde in die Höhe steigen lässt. Mit den Worten „aufwärts und abwärts“ und dem Bild vom „Sturz zwischen Himmel und Hölle“ geht das Klavier mit seinen Akkordfolgen in gegenteilige Bewegung über: Aus hoher Lage, und eingeleitet mit einem Akkord, stürzen Achtel-Oktaven abwärts, die sich im weiteren Verlauf zu Einzeltönen verdichten. Und am Ende, wenn die Singstimme bei dem Wort „Liebe“ in eine lange Dehnung mit Quintfall auf der letzten Silbe übergeht, findet sich auch das Klavier mit seinen aus einem Akkord hervorgehenden Achtel-Folgen auf mittlerer tonaler Ebene in Gestalt eines Auf und Abs von Sekunden ein.


    Mit der Anrede „Mütterchen, ach…“ (vierte Strophe) kommt wieder eine dramatisch anmutende Steigerung der Expressivität in die Liedmusik. Zunächst verharrt die melodische Linie wie insistierend auf der tonalen Ebene eines hohen „Dis“, während das Klavier wieder seine bitonalen dissonanten Sekunden repetierend erklingen lässt, sie sich im nachfolgenden Takt im Intervall erweitern und wieder in sich zusammenfallen. Dann, mit den Worten „hab´s dann verschworen“ geht sie erneut zu ihren expressiven Sprüngen über große Intervalle über, die das Klavier mit dreistimmigen Akkordrepetitionen begleitet. Die Worte „Ach, und schon lieb´ ich, schon lieb' ich aufs neue!“ werden dann auf einer zwei Mal fallenden und am Ende mit einem Quartsprung in eine lange Dehnung auf dem Wort „neue“ mündenden melodischen Linie deklamiert, die auf der letzten Silbe wieder einen Quintfall vollzieht.


    Das Klavier ist dabei zu stürmisch nach oben drängenden bitonalen Oktaven übergegangen, und diese Bewegung setzt es im nachfolgenden dreizehntaktigen Nachspiel nicht nur fort, es steigert sich regerecht in sie hinein, indem sie die Oktaven immer höher steigen lässt, bis sie dann nach einer vierfachen Wirbelbewegung in hoher Lage im Wert eines Viertels gehalten werden. Am Ende ereignet sich dann eine Fallbewegung der Oktaven, die in einen A-Dur-Akkord mündet.

  • Trau nicht der Liebe,
    mein Liebster, gib Acht!
    Sie macht dich noch weinen,
    Wo heut du gelacht.


    Und siehst du nicht schwinden
    Des Mondes Gestalt?
    Das Glück hat nicht minder
    Nur wankenden Halt.
    Dann rächt es sich bald;
    Und Liebe, gib Acht!
    Sie macht dich noch weinen,
    Wo heut du gelacht.


    Drum hüte dich fein
    Vor törigem Stolze!
    Wohl singen im Mai'n
    Die Grillchen im Holze;
    Dann schlafen sie ein,
    und Liebe, gib Acht!
    Sie macht dich noch weinen,
    Wo heut du gelacht.


    Wo schweifst du nur hin?
    Laß Rat dir erteilen:
    Das Kind mit den Pfeilen
    Hat Possen im Sinn.
    Die Tage die eilen,
    Und Liebe, gib Acht!
    Sie macht dich noch weinen,
    Wo heut du gelacht.


    Nicht immer ist´s helle,
    Nicht immer ist´s dunkel;
    Der Freude Gefunkel
    Erbleicht so schnelle.
    Ein falscher Geselle
    ist Amor, gib Acht!
    Er macht dich noch weinen,
    Wo heut du gelacht.


    Wieder eine Warnung vor der Liebe, die fünf Mal in einen Refrain mündet. Im Zentrum steht die Vergänglichkeit von Glück und Liebe. Amor wird als „falscher Geselle“ bezeichnet, und aus diesem Grund ist es töricht, ihm zu vertrauen. So ganz ernst scheint Hugo Wolf diese Warnungen aber nicht genommen zu haben. Sein Lied auf diese Verse atmet – auf der Grundlage eines Sechsachteltakts - einen leicht beschwingten, tänzerischen Rhythmus, und das a-Moll, das als Grundtonart vorgegeben ist, dominiert die Harmonisierung der melodischen Linie in keiner Weise. Das Tongeschlecht Moll herrscht zwar in der Harmonik vor, sie mündet aber am Ende der Zeilen, in die sie gegliedert ist, immer wieder in das Tongeschlecht Dur. Das Lied entstand am Nachmittag des 28.März 1890 in Perchtoldsdorf. Es soll „Leicht bewegt“ vorgetragen werden.


    Bei der ersten Strophe, die ja den nachfolgenden Strophen sozusagen als programmatische Einleitung vorangestellt ist, kann man die Liedmusik in ihrer Grundstruktur in gleichsam programmatischer Weise vernehmen und erfassen. Mit einer Folge von Quinten, die in Gestalt eines Nacheinanders von einem Achtel und einem Viertel rhythmisiert ist, setzt das zweitaktige Vorspiel ein. Dieser Grundrhythmus bleibt über das ganze Lied hin erhalten, der Klaviersatz reichert sich allerdings schon im dritten Takt mit Oktaven im Diskant an, die sich später zu mehrstimmigen Akkorden erweitern. Im fünften Takt treten Achtel-Sechzehnte-Figuren hinzu, die in diesem Lied eine wichtige Rolle spielen. Sie kommentieren das, was von der melodischen Linie der Singstimme ausgedrückt wurde, und in dieser Funktion kommt ihnen besonders im Nachspiel zum Refrain eine für die musikalische Aussage des Liedes wichtige Aufgabe zu.


    In a-Moll-Harmonisierung setzt die melodische Linie ein, und diese bleibt auch durchweg dominant, - bis sich am Ende, bei der langen Dehnung auf dem Wort „gelacht“ eine Rückung nach H-Dur ereignet. Die Vokallinie ist in zwei Zeilen gegliedert, die jeweils zwei Verse umfassen. Nach dem in eine Dehnung mündenden Quintsprung auf den Worten „gib acht!“ erklingt erstmals das Zwischenspiel aus der Sechzehntel-Achtel-Figur, das in ausführlicherer Form das Nachspiel nach jedem Refrain bildet, wobei die Harmonik jeweils eine Rückung in die Dominante und wieder zurück beschreibt. In seiner perlend-tänzerischen Klanglichkeit mutet es an wie ein ironischer Kommentar zu all den Warnungen, die der lyrische Text hinsichtlich der Liebe ausspricht. Dies in dem Sinn: Sie sind sinnlos, denn die Liebe spielt ohnehin ihr ewiges Spiel mit dem Menschen.


    Auf dem Vers „Sie macht dich noch weinen, wo heut´ du gelacht“ liegen unterschiedliche melodische Linien. Vor allem in ihrem Ansatz differieren sie. Zweimal – so wie hier am Liedanfang – erfolgt er aus tiefer oder mittlerer Lage. In den anderen drei Fällen setzt die melodische Linie in hoher Lage ein, aber durchweg beschreibt sie danach eine bogenförmige Bewegung und mündet am Ende in eine lange, sich über mehr als zweit Takte erstreckende Dehnung, bei der sich eine Rückung in Dur-Harmonik (D-Dur, A-Dur, D-Dur) ereignet. Der unterschiedliche Ansatz ergibt sich aus der melodischen Figur, die jeweils auf dem vorangehenden „gib acht!“ liegt. Auch diese wird von Wolf unterschiedlich gestaltet. Man sollte denken: Sie hat immer die Gestalt eines Sprungs über ein mehr oder weniger großes Intervall, so wie am Ende der ersten Melodiezeile. Dem ist aber nicht so. Und das ist ein Indiz für die Subtilität, mit der Wolf den lyrischen Text kompositorisch interpretiert.


    Die melodische Gestalt, die das „gib acht!“ annimmt, hängt von der Aussage der jeweiligen Melodiezeile ab, an deren Ende es erklingt. Bei den Worten „Dann rächt es sich bald“, die sich auf das „Glück“ beziehen, verbleibt die melodische Linie zunächst, forte deklamiert, auf der tonalen Ebene eines „H“ und beschreibt danach einen in h-Moll harmonisierten Quartfall. Die Worte „und Liebe, gib acht“ erhalten durch die über eine Terzsprung und zwei Sekundsprünge in hohe Lage aufsteigende melodische Linie eine hohe Expressivität im Sinne ihrer Semantik. Bei dem Bild von den einschlafenden „Grillchen im Holze“ ist das ganz anders. Hier steigt die melodische Linie pianissimo über mehrere Sprungbewegungen aus tiefer Lage über eine ganze Oktave an, wobei der Terzsprung auf „Liebe“ legato deklamiert wird. Die melodische Linie bleibt hier bei dem „gib acht“ auf der tonalen Ebene, die sie mit dem Wort „Liebe“ erreicht hat. Die Worte „Die Tage die eilen“ werden ebenfalls auf einer melodischen Linie deklamiert, die über eine Oktave in hohe Lage aufsteigt, nur tut sie das nach einer eingeschobenen Fallbewegung über einen Legato-Sextsprung, und das nachfolgende „gib acht“ weist nun durch den Quintfall, der auf ihm liegt, weitaus weniger Expressivität auf, denn es geht ihm ja eine Allerweltsweisheit voraus.


    Wenn es aber dann am Ende um den falschen Gesellen „Amor“ geht, beschreibt die melodische Linie über einen lebhaften Anlauf einen forte deklamierten Septfall, und das „gib acht“ erklingt auf einem verminderten Sekundsprung in hoher Lage. Das Klavier begleitet das mit in Sekunden fallenden Oktaven, die im Nachspiel in eine Kette ebenfalls fallender Achtel übergehen.

  • Ach, im Maien war´s, im Maien,
    Wo die warmen Lüfte wehen,
    Wo verliebte Leute pflegen
    Ihren Liebchen nachzugehn.


    Ich allein, ich armer Trauriger,
    Lieg´ im Kerker so verschmachtet,
    Und ich seh´ nicht, wann es taget,
    Und ich weiß nicht, wann es nachtet.


    Nur an einem Vöglein merkt´ ich´s,
    Das da drauß im Maien sang;
    Das hat mir ein Schütz getötet –
    Geb´ ihm Gott den schlimmsten Dank!


    Das ist ein seltsames Lied. Seltsam, weil die Musik in keiner Weise zu dem lyrischen Text passen will. Der Wolf-Biograph Kurt Honolka trifft den Sachverhalt genau, wenn er feststellt: „Dieses kantable Lied bleibt psychologisch eines seiner rätselhaftesten.“ Das Gedicht eines unbekannten spanischen Autors handelt von einem Menschen, einem Mann, der, als „armer Trauriger“, wie er sich bezeichnet, sein Leben im Kerker verbringt, in dem er nicht sehen kann, ob es draußen tagt oder nachtet. Auch vom „Maien“, der in der Natur draußen aufgekommen ist, und von dem er weiß, dass in dieser Zeit „verliebte Leute“ ihren „Liebchen nachzugehen“ pflegen, erfährt er nichts. Nur am Gesang eines „Vögleins“ vernahm er etwas von dieser maienhaften Welt draußen. Das aber hat ihm „ein Schütz“ getötet. Ihm bleibt nur der Fluch.


    Wolfs Liedmusik auf diesen Text – sie entstand am Sonntag, dem 30.März 1890 - mutet an, als sei sie auf einen ganz anderen lyrischen Text komponiert, - und als stamme sie nicht wirklich von einem Hugo Wolf. Klaviersatz, melodische Linie und Harmonik sind in ihrer Anlage von einer Simplizität, die man von Wolf ansonsten nicht kennt. Völlig unverändert, nur harmonisch hie und da mal modulierend, erklingt hundertzwanzigmal die gleiche, einen hüpfenden Rhythmus generierende Figur in der Klavierbegleitung. Sie ist zwar durchaus als solche originell – in eine Kombination von einem Achtel und einem bitonalen Achtelakkord im Bass zwängst sich im Diskant eine solche aus einem Zweiunddreißigstel und einem dreistimmigen Akkord -, aber da sich daran bis zum Ende des Liedes, auch im Nachspiel also, nichts ändert und überdies die Bassfigur auf einem Basso ostinato aufgebaut ist, wirkt das Ganze auf eigenartige Weise monoton.


    In der Harmonik dominiert A-Dur. Es ist als Grundtonart vorgegeben. Zwar ereignen sich auch harmonische Rückungen und Modulationen, und dort, wo das lyrische Ich sich als im Kerker liegender „Trauriger“ bezeichnet, auch ein Umschlag in Moll-Harmonik (g-Moll, d-Moll. e-Moll), die Harmonik bewegt sich aber nie weit von der Grundtonart weg, neigt dazu, sich mit der Rückung von der Tonika in die Dominante zufrieden zu geben, und vor allem gibt es keinen modulatorischen Reichtum in der Binnenstruktur der melodischen Linie.


    Die Melodik wirkt, als singe hier einer, von der Rhythmik des Dreiachteltaktes geflügelt, im Grunde unbeschwert vor sich hin. Das ist keiner, der wirklich leidet, dem Traurigkeit schwer auf der Seele liegt, der gar „verschmachtend“ m Kerker liegt. Die einzige seelische Regung, die diese Liedmusik zum Ausdruck bringt, vernimmt man bei der Verwünschung am Ende: „Geb´ ihm Gott den schlimmsten Dank!“. Selbst die Aussage „Das hat mir ein Schütz getötet“ weist keinen klanglichen Anflug von tief gehender Betrübnis auf. Der Gestus der melodischen Linie wirkt hier gleichsam konstatierend: Auf den ersten vier Worten liegt je ein punktiertes Viertel in hoher Lage, wobei sich beim zweiten Viertelpaar die tonale Ebene um eine Sekunde absenkt; Das Wort „Schütz“ trägt eine Dehnung, und danach geht die melodische Linie mit einem kleinen Melisma in eine Abwärtsbewegung zu einem „A“ in mittlerer Lage über.


    Die melodische Linie der Singstimme weist in ihrer Struktur volksliedhafte Einfachheit auf. Dazu gehört auch, dass sich die Liedmusik der ersten Strophe bei den beiden ersten Versen der dritten wiederholt. Was so typisch volksliedhaft anmutet, das ist die nur leicht modifizierte Wiederholung melodischer Bewegungen und die Kadenzbildung der Melodiezeilen über die Rückung in die Dominante. Die melodische Linie auf dem dritten Vers der ersten Strophe ähnelt der des Liedanfangs sehr stark, und das, was sich harmonisch bei der bogenförmigen Fallbewegung auf den Worten „war´s im Maien“ vernimmt, der Beschluss der Melodiezeile über eine kurze Rückung in die Dominante E-Dur, wiederholt sich in diesem Lied – in anderen Tonarten – immer wieder. Gleich in der Liedmusik auf den zweiten Vers bei den Worten „Lüfte wehen“ in Gestalt einer Rückung in die Dominante H-Dur mit anschließender Rückkehr nach E-Dur.


    Wolf strebt, und das ist so überdeutlich, eine für seine Liedkomposition ungewöhnlich schlichte Kantabilität der melodischen Linie an. Dieser Eindruck drängt sich vor allem dort auf, wo man - bei ihm - vom Text her eine Brechung der melodischen Linie in ihrer Struktur und ihrer Harmonisierung erwarten würde: Bei der zweiten Strophe also. Immerhin spricht das lyrische Ich hier von der Trauer und der Einsamkeit, die die Verbannung in den Kerker mit sich bringt. Aber auch hier bewegt sie sich in diesem Gestus der Schlichtheit, wie man das von der ersten Strophe schon kennt. Bei den Worten „Ich allein, ich armer Trauriger“ entfaltet sie sich, wie am Liedanfang, zunächst in hoher tonaler Lage, nur mit dem Unterschied, dass sie mit einer vierfachen Tonrepetition auf der Ebene eines hohen „D“ verbleibt und die Harmonisierung nun in Moll (g-Moll) stattfindet. Danach aber geht sie ähnlicher Weise wie beim ersten Vers der ersten Strophe mittels einer Achtelfigur in eine Fallbewegung über, die bei dem Wort „Trauriger“ nun aber in einen kleinen Quartsprung mündet.


    Erst mit den Worten „Das hat mir ein Schütz getötet“ tritt eine leichte Wandlung in den Gestus der Melodik, auch weil eine weiter ausgreifende Rückung in die Harmonisierung kommt (nämlich nach F-Dur). Und die melodische Linie, die auf den Worten „Geb´ ihm Gott den schlimmsten Dank“ liegt, weist tatsächlich eine gesteigerte Expressivität auf: Mit ihrer Dehnung auf dem Wort „geb´“ und dem in eine noch längere Dehnung mündenden Quintsprung mit nachfolgendem Sextfall auf dem Wort „schlimmsten. Ein bemerkenswert langes, sich über zwanzig Takte erstreckendes Nachspiel folgt, in dem die Grundfigur des Klaviersatzes auffällig dissonante Klanglichkeit annimmt.

  • In der Wolf-Literatur finden sich verschiedene Mutmaßungen hinsichtlich der kompositorischen Intention, die diesem ungewöhnlichen Lied zugrundliegen könnte. So meint Frank Walker, Wolf habe hier den Ton altspanischer Volksballaden imitiert. Fischer-Dieskau vermutet, Wolf habe sich ganz einfach in die „prickelnd süße Melodie“ verliebt, und beim dem „Vöglein“ handele es sich um die Geliebte, der im Nachspiel ein Fluch hinterher geschickt werde. Kurt Honolka versteigt sich gar in die Hypothese, hier habe man es mit einer „nachschubertschen Vision eines Hoffnungstraumes zu tun (>Winterreise<:, „Ich träumte von bunten Blumen“)“.


    Das scheint mir aber nun wirklich ein wenig weit hergeholt zu sein, vor allem, weil – im Unterschied zu Schubert – bei Wolf im Rahmen des „Spanischen Liederbuchs“ gar kein Motiv erkennbar ist. Auch Fischer-Dieskaus Hypothese, bei dem „Vöglein“ handele es sich um die Geliebte, lässt sich vom lyrischen Text her nicht halten. Wolf hätte diesen dabei ja in seiner Aussage regelrecht vergewaltigt. Vielleicht ist die Vermutung von Frank Walter noch die plausibelste, - auch wenn Wolf diesen altspanischen Balladen-Ton gar nicht kannte. Aber da er sich hier ja in spanischen lyrischen Gefilden bewegt, könnte er sich in eine Vorstellung davon hineingesteigert haben. Der im Sechsachteltakt hüpfende Grundrhythmus macht diese Hypothese durchaus wahrscheinlich.

  • Alle gingen, Herz, zur Ruh,
    Alle schlafen, nur nicht du.


    Denn der hoffnungslose Kummer
    Scheucht von deinem Bett den Schlummer,
    Und dein Sinnen schweift in stummer
    Sorge seiner Liebe zu.


    Dieser lyrische Text, der im ruhigen Fluss seiner Trochäen die nächtliche Situation der Schlaflosigkeit aus Liebekummer umkreist, hat den Mörike-Komponisten in Wolf geweckt, und herausgekommen ist eines der großen Lieder dieses Liederbuchs, der sich sehr wohl auch im Mörike-Band finden könnte. Hier gelingt ihm wieder einmal in vollkommener Weise, was seine große liedkompositorische Kunst ist: Mit dem Mittel der Musik in die Tiefe der Seele zu leuchten. Der kurze Ausbruch der Liedmusik aus der in F-Dur gebetteten Stille des Anfangs ins Forte einer expressiven, klanglich von triolischen Akkordrepetitionen geprägten Moll-Harmonik, die sich alsbald wieder ins Pianissimo des Anfangs zurücknimmt, evoziert auf wahrlich meisterhafte Weise die Situation nächtlicher Stille in der sich das Leiden an der Liebe ereignet. Das Lied entstand am 2.November 1889, es weist einen Viervierteltakt auf und steht in der Grundtonart F-Dur.


    Pianissimo setzt die Liedmusik ein: Das Klavier lässt im Bass nichts anderes als eine Kombination von Achteltriolen erklingen, die mittels einer Legato-Bindung an ein Achtel-Paar gebunden sind. Das ist der sanft pochende und in diesem Pochen auch wieder eingefangene Rhythmus, der dem ganzen Lied zugrunde liegt, sich später aber aus der Stille des Einzeltons in die klangliche Mächtigkeit von vierstimmigen Akkorden erweitert, bis dann das Klavier im Nachspiel wieder zur Artikulation von Einzeltönen zurückkehrt. Die melodische Linie der Singstimme fällt, in F-Dur harmonisiert, in langsamen Schritten von großen und kleinen Sekunden von einem „A in mittlerer Lage zu einen „D“ in tiefer ab, - ganz der Semantik der Worte „Alle gingen, „Herz, zur Ruh“ entsprechend. Die Harmonik rückt an dieser Stelle nach D-Dur. Bei den Worten „alle schlafen“ ereignet sich das noch einmal, wobei die melodische Linie bemerkenswerterweise noch einmal auf dem gleichen „A“ ansetzt, aber nicht mehr so tief abfällt. Hier rückt die Harmonik nach g-Moll. Die Worte „nur nicht du“ erhalten nun einen deutlichen Akzent, denn das lyrische Ich kommt auf seine eigene Situation zu sprechen, die sich von der derjenigen unterscheidet, die es sich gerade vorgestellt hat. Auf dem Wort „nur“ liegt eine Dehnung in Gestalt eines „As“. Die melodische Linie setzt nun also einen Halbton tiefer an. Nach einem kleinen Sekundfall beschreibt sie dann eine Quartsprung zu einem hohen „C“ auf dem Wort „du“, das ebenfalls eine Dehnung trägt. Die Harmonik hat inzwischen wieder nach F-Dur moduliert.


    Mit den Worten „Denn der hoffnungslose Kummer“ beginnt die Liedmusik größere Expressivität zu entfalten. Die Harmonik rückt nach b-Moll, im Diskant erklingt die Klaviersatz-Grundfigur nun in Gestalt von bitonalen Oktaven, und im Bass beschreiben ebenfalls Oktaven eine Aufstiegs- und eine triolische Fallbewegung. In das bislang herrschende Piano kommt ein lang gestrecktes Crescendo, und die melodische Linie der Singstimme geht zu lebhafteren Bewegungen in Gestalt von Achtelfolgen, statt zuvor Vierteln über. „“Anschwellend“ lautet hier die Vortragsanweisung. Die Singstimme setzt mit einem zweimal repetierenden tiefen „F“ ein und beschreibt dann innerhalb des Wortes „hoffnungslose“ einen verminderten Sextsprung, der in eine Dehnung auf einem hohen „Des“ mündet und anschließend in eine triolisch Fallbewegung übergeht. Die Worte „Scheucht von deinem Bett den Schlummer“ werden auf einer melodischen Linie deklamiert, die mit einem expressiven Septfall einsetzt und dann langsam wieder über eine verminderte Septe in hohe Lage emporsteigt. Hier hat die Dynamik bereits das Forte erreicht.


    Aber die Expressivität der Liedmusik steigert sich noch weiter. Mit den Worten „und dein Sinnen schweift in stummer Sorge“ vollzieht die melodische Linie, mit einem weiteren Crescendo in hoher Lage ansetzend, noch einmal einen Sekund-Anstieg in repetierenden Schritten, der mit einer permanenten Rückung in der Harmonik nach c-Moll einsetzt. Die repetierenden Achtelakkord-Triolen sind nun vierstimmig geworden. Bei dem Wort „liebe“ gipfelt sie in Gestalt einer langen Dehnung in hoher Lage auf, wobei nun das Fortissimo erreicht ist, geht aber auf der letzten Silbe dieses Wortes in einen Quintfall über, der sich in einem Sekundfall und einer Dehnung auf dem Wort „zu“ fortsetzt. „Wieder nachlassend“ lautet hier die Anweisung.


    Die Worte „seiner Liebe zu“ werden wiederholt. Hier hat sich das Lied wieder in der Stille eines Pianissimos eingefunden. Die melodische Linie geht mit einem verminderten Quartsprung und einem Sekundfall in eine lange Dehnung auf dem Wort „Liebe“ über und endet nach einem doppelten Terzfall auf dem Grundton „F“. Die Harmonik setzt bei dieser letzten Melodiezeile mit d-Moll ein und rückt über f-Moll in die Dominante C-Dur, um am Ende zur Grundtonart F-Dur zu gelangen. Im viertaktigen Nachspiel lässt das Klavier zwei Mal eine fallende melodische Linie erklingen, die an die des Liedanfangs erinnert, und schließt dann mit drei Akkorden ab. Der dreistimmige F-Dur-Akkord am Ende wird pianissimo artikuliert.

  • Dereinst, dereinst
    Gedanke mein,
    Wirst ruhig sein.
    Lässt Liebesglut
    Dich still nicht werden:
    In kühler Erden
    Da schläfst du gut;
    Dort ohne Liebe
    Und ohne Pein
    Wirst ruhig sein.


    Was du im Leben
    Nicht hast gefunden,
    Wenn es entschwunden,
    Wird dir´s gegeben.
    Dann ohne Wunden
    Und ohne Pein
    Wirst ruhig sein.


    Diese Verse von Cristobal de Castillejo (c. 1490-1550) atmen einen trist-resignativen Geist. Die „kühle Erde“ wird von aller Pein auf dieser Welt Erlösung bringen, - auch von der Liebesglut, die hier ganz offenbar ambivalent erfahren wird. Die Nähe von Wolfs Liedkomposition auf diesen lyrischen Text zeigt sich in ihrem klanglichen Charakter, der von einer melodischen Linie mit chromatisch fallender Tendenz und einer überwiegend in Moll und verminderten Tonarten modulierenden Tonarten geprägt ist. Sie entstand am 11. April 1890, weist einen Zweihalbe-Takt auf, steht in f-Moll als Grundtonart und soll „langsam“ vorgetragen werden.


    Die erste Melodiezeile, die die ersten drei Verse umfasst, ist ganz von Fallbewegungen in kleinen und großen Sekunde geprägt. Schon die Worte „dereinst“ werden auf je einem verminderten Sekundfall deklamiert, wobei sie von einer Achtelpause voneinander getrennt sind und der zweite Sekundfall überdies auch noch um eine kleine Sekunde tiefer ansetzt. Zwar erhebt sich die melodische Linie bei „Gedanke mein“ einmal um eine Sekunde, sie sinkt aber danach gleich wieder auf den Ausgangspunkt zurück. Moll-Harmonik dominiert, und wenn man erwarten würde, dass bei der Dehnung auf dem Wort „mein“, wie es die melodische Linie suggeriert, ein A-Dur im Klaviersatz aufkäme, so wird man enttäuscht: Das Klavier artikuliert einen verminderten A-Akkord. Die melodische Linie auf den Worten „wirst ruhig sein“ beschreibt allerdings einen sehr ruhigen (halbe Noten) Anstieg in kleinen Sekunden und mündet in eine lange Dehnung auf dem Wort „sein“. Eine eineinhalbtaktige Pause folgt, in der sich im Klaviersatz Überraschendes ereignet: Es erklingt eine Folge von drei- und vierstimmigen Akkorden in reinem G-Dur, dem Dominantseptakkord dazu und erneut einer in G-Dur, die jeweils lange gehalten werden (halbe und ganze Noten). Das soll wohl bedeuten: Diese (ewige) Ruhe wird wunderbar sein, - wie sich dieses lyrische Ich einredet.


    Bei der nächsten Melodiezeile, die die Verse vier bis sieben der ersten Strophe beinhaltet, begegnet man erneut dieser fallenden Tendenz der melodischen Linie in großen und kleinen Sekunden. So liegt auf dem Wort „Liebesglut“ ein zweifacher kleiner Sekundfall. Das Wort „still“ wird zwar mittels eines Quartsprungs mit einem besonderen Akzent versehen, danach aber setzt die melodische Linie auf einem hohen „C“ an und senkt sich langsam zu einem „F“ hin ab, um aber dann bei den Worten „schläfst du gut“ allerdings in einen Sekundanstieg mit einer Dehnung am Ende überzugehen. Das ist ähnlich wie bei der vorangehenden Melodiezeile, und wieder rückt die Harmonik in den Dur-Bereich, um diese Imagination klanglich positiv zu bewerten. Es ist allerdings nur ein D-Dur, das bei dem Wort „schläfst“ kurz aufklingt, danach ereignet sich eine kurze Modulation über E-Dur in einen verminderten A-Akkord. Traut das lyrische Ich doch dem nicht so ganz, was es sich hier vorstellt?


    Dennoch: Alle Melodiezeilen enden, nachdem sich die melodische Linie zuvor in modulierender Moll-Harmonisierung entfaltet hat, in Dur Harmonik, die mit einem Anstieg der melodischen in Sekundschritten verbunden ist. So bei der dritten Zeile auf den letzten drei Versen der ersten Strophe. Wieder das langsame Sich-Senken der melodischen Linie in Sekunden, bei den Worten „ruhig sein“ dann aber nach einem gedehnten Sekundfall ein Terzsprung auf der zweiten Silbe von „ruhig“ und danach eine aus einem Sekundfall hervorgehende lange Dehnung auf dem Wort „sein. Die Harmonik rückt hier von der Dominante C-Dur nach F-Dur. Und das nachfolgende kurze Zwischenspiel aus fallenden Oktaven im Diskant steht ebenfalls in F-Dur, nach einer kurzen Rückung in die Subdominante.


    Die zweite Strophe gliedert sich in zwei Melodiezeilen auf die Verse eins bis vier und fünf bis sieben. Bei der ersten verbleibt die melodische Linie – wiederum in modulierender Moll-Harmonisierung – zunächst in mittlerer tonaler Lage, beschreibt dann bei dem Wort „entschwunden“ einen veritablen Oktavfall, der ihm auch deshalb einen starken Akzent verleiht, weil er in Gestalt von halben Noten erfolgt. Danach kommt es wieder zu einem Anstieg der melodischen Linie aus tiefer Lage, und bei dem Wort „gegeben“ beschreibt sie einen kleinen Sekundanstieg, der anschließend aber wieder zurückgenommen wird. Erneut rückt die Harmonik hier nach F-Dur.


    Auch bei der letzten Melodiezeile behält die melodische Linie ihre Neigung bei, eine in hoher Lage ansetzende Abwärtsbewegung zu beschreiben. Das tut sie hier zweimal, bei zweiten Mal mit einem Quartsprung auf den Worten „und ohne“ ansetzend. Und es ist ja nicht nur die Melodik, die in diesem Lied stark von dem Sekundfall geprägt ist, das ist auch beim Klaviersatz der Fall. Eine dort permanent wiederkehrende Figur ist der Oktavfall in kleiner oder großer Sekunde. Bereits am Liedanfang vernimmt man ihn, wenn die Singstimme die Worte „dereinst, dereinst“ deklamiert, und in jeder nachfolgenden Melodiezeile ist er Hauptbestandteil des Klaviersatzes im Diskant.


    Auf den Worten „wirst ruhig sein“ am Ende des Liedes liegt die gleiche Liedmusik wie am Ende der ersten Strophe. Auf dem Wort „ruhig“ ereignet sich eine lange bogenförmige Dehnung in Gestalt eine Sekundfalls und eines auf der letzten Silbe sich ereignenden Terzsprungs. Dem schließt sich ein – nun letzter – Sekundfall an, - in Gestalt eines den ganzen Takt einehmenden „A“ auf dem Wort „sein“. Das Klavier begleitet wieder mit seinen Sekundfall-Oktaven im Diskant, und die Harmonik rückt über die Dominante in die Tonika F-Dur. Das Nachspiel nimmt nur einen Takt ein: Auch hier lässt das Klavier im Diskant seine in Sekunden fallenden Oktaven erklingen.

  • Tief im Herzen trag´ ich Pein,
    Muß nach außen stille sein.


    Den geliebten Schmerz vehehle
    Tief ich vor der Welt Gesicht;
    Und es fühlt ihn nur die Seele,
    Denn der Leib verdient ihn nicht.
    Wie der Funke frei und licht
    Sich verbirgt im Kieselstein,
    Trag´ ich innen tief die Pein.


    Dieser lyrische Text von Luiz Vaz de Camoens (c. 1525-1580) hat die seelische Innenschau zum Gegenstand, wie sie sich aus der Zurückgezogenheit aus der Außenwelt ergibt. Die „Pein“, die das lyrische Ich trägt, will es nicht nach draußen dringen lassen. Es will „nach außen stille sein“, weil dort kein wirklicher Ort für das ist, was es seinen „geliebten Schmerz“ nennt. Die „Pein“ ist also, ohne dass näher gesagt wird, was ihr eigentlicher Gegenstand ist, zugleich etwas, das als „geliebt“ erfahren wird, ein kostbarer seelischer Schatz, in dem das lyrische Ich sich wiederfindet, - so kostbar, dass es diesen nicht einmal seinem „Leib“ überlassen möchte, geschweige denn der Außenwelt. Das Bild vom „Funken“, der im „Kieselstein“ verborgen und geborgen ist, stellt eine treffende Metapher für dieses Verständnis von Ich und Welt dar, das sich darin als ein für das sechzehnte Jahrhundert erstaunlich modernes erweist.


    Es ist kein Wunder, dass sich Wolfs Liedmusik darin in vollkommener Einheit damit wiederfindet und die seelischen Dimensionen in ihrer Tiefe auf höchst intensive Weise auszuloten vermag. Das geschieht in einem Zusammenspiel von melodischer Linie und Klaviersatz, in dem diesem eine bedeutende Rolle und Funktion zukommt. Das Klavier lässt – auf der Grundlage eines Dreivierteltakts – im Grunde eine langsame Mazurka erklingen, die auch ohne die melodische Linie der Singstimme als eigenständiges musikalisches Werk Bestand hätte. Gleichwohl ist diese – bei Wolf eine Selbstverständlichkeit – nicht integraler Bestandteil des Klaviersatzes, sondern fungiert in dialogischer Weise als melodisches Ins-Wort-Setzen dessen, was das Klavier zur lyrischen Aussage kommentierend und interpretierend beizutragen hat. Das Lied entstand am 12.April 1890. Als Grundtonart ist c-Moll vorgegeben, und die Vortragsanweisung lautet „Langsam und sehr ausdrucksvoll“.


    Das Klavier setzt zwar mit der Liedmusik vor der Singstimme ein, ein wirkliches Vorspiel ereignet sich aber nicht, denn die melodische Linie beginnt mit ihrer Entfaltung schon im zweiten Takt nach einer Viertelpause. Bei den Worten „Tief im Herzen trag´ ich Pein“ verharrt sie zunächst auf einem „As“ in mittlerer Lage, geht dann in ein Auf und Ab von Sekunde und Terz über und sinkt bei dem Wort „Pein“ über einen Quart- und einen Sekundfall in die tiefe Lage eines „D“ ab. Das geschieht in ruhigen, wie müde wirkenden Bewegungen. Das Klavier begleitet mit Figuren im Diskant, die aus aus einem bitonalen Akkord hervorgehenden Triolen mit einem Sekundfall am Ende bestehen. Zwar ist dies nicht durchweg die Struktur des Klaviersatzes, dieser Figur kommt aber, da sie immer wieder in verschiedenen Varianten erklingt, eine große Bedeutung in diesem Lied zu. Man kann sie durchaus als klangliche Imagination der seelischen Befindlichkeit des lyrischen Ichs aufnehmen und verstehen. Bezeichnend ist, dass das Klavier den Sekundfall der melodischen Linie auf dem Wort „Pein“ im kurzen Zwischenspiel nach der ersten Melodiezeile auf den gleichen Noten noch einmal erklingen lässt.


    Klanglich stark geprägt wird das Lied von einer in müden und wie in schweren Schritten sich entfaltenden melodischen Linie, einer ausgeprägten Moll-Harmonisierung und einem Klaviersatz, in dem der kleine und der große Sekundfall eine dominante Rolle einnehmen. Es tritt zwar immer wieder einmal Dur-Harmonik in die Liedmusik, sie kann sich dort aber nicht halten und wird alsbald durch Moll oder verminderte Harmonik ersetzt. So ist zum Beispiel die erste Melodiezeile u.a. in f-Moll harmonisiert, und nach ihrem Ausklingen tritt D-Dur an seine Stelle, aber schon die zweite Melodiezeile auf den Worten „Muß nach außen stille sein“ setzt mit c-Moll ein, und erst wieder nach ihrem Ende erklingt im Nachspiel ein G-Dur. Die melodische Linie neigt dazu, auf der gerade eingenommen melodischen Linie zu verharren und sich nur über kleinere Intervalle davon wegzubewegen. So steigt sie bei der zweiten Melodiezeile in Gestalt von Tonrepetitionen von einem tiefen „C“ über ein „Es“ zu einem „G“ empor, also gerade mal in zwei Schritten über eine Quinte.


    An zwei Stellen weicht die melodische Linie von diesem müde wirkenden Gestus in ihren Bewegungen ab. Bezeichnenderweise geschieht dies dort, wo das lyrische Ich Dinge, bzw. Sachverhalte anspricht, die ihm wichtig und wertvoll sind. Bei den Worten „Den geliebten Schmerz verhehle tief ich vor der Welt Gesicht“ setzt die melodische Linie auf einem „G“ in mittlerer Lage ein, bewegt sich über zwei Sekunden und eine Terz hoch zu einem „Es“, wo es bei dem Wort „verhehle“ eine Dehnung mit einem nachfolgenden Sekundfall beschreibt. Zu dem Wort „tief“ hin macht sie aber einen Quintfall, der sie wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückführt, von dem es dann weiter abwärts geht bis zu einem tiefen „Es“. Das Wort „Gesicht“ erhält aber einen Akzent dadurch, dass die melodische Linie hier einen verminderten Quintsprung beschreibt, der in ein „H“ mündet, - das heißt: Auch hier stellt sich am Ende der Melodiezeile nach dem Vorherrschen von f-Moll Dur Harmonik ein (G-Dur).


    Die andere Stelle, an der ein etwas aufgehellter Ton in die Liedmusik kommt, findet sich bei den Worten „Wie der Funke frei und licht / Sich verbirgt im Kieselstein“. Gerade hat die melodische Linie, in verminderter B-Harmonik, bei den Worten „der Leib verdient ihn nicht“ eine chromatische, in tiefe Lage führende Fallbewegung beschrieben – die aber bezeichnenderweise vom Klavier wieder mit einem Des-Dur-Akkord kommentiert wird - , da geht sie mit den Worten „Wie der Funke…“ mit einem Terzsprung in eine Aufwärtsbewegung über, die in As-Dur harmonisiert ist, und bei den Worten „frei und licht“ mit einem in eine Dehnung mündenden Quartsprung auf einem hohen „Es“ aufgipfelt. Die Dynamik steigt hierbei mit einem Crescendo vom Piano ins Mezzoforte an. Danach, bei den Worten „sich verbirgt im Kieselstein“ geht sie zwar wieder in eine sich über eine ganze Oktave erstreckende Abwärtsbewegung über, die Harmonik verbleibt dabei aber im Dur-Bereich und rückt von C-Dur nach E-Dur. Und überdies suggeriert dieses Innehalten der melodischen Linie auf einem doppelten „E“ in tiefer Lage nicht deren Ende, sondern verlangt infolge dieser Rückung nach E-Dur eine Fortführung.


    Und die erfolgt auf den Worten des letzten Verses mit einem in H-Dur harmonisierten Einsatz der melodischen Linie auf einem gedehnten „H“ bei dem Wort „trag´“, der sich in einem Sekund- und Terzsprung zu einem hohen „Es“ bei den Worten „ich innen“ fortsetzt, wobei sich klanglich eine kurze Trübung durch ein as-Moll ereignet, das aber sofort wieder in As-Dur übergeht. Und dann ereignet sich das für dieses Lied eigentlich Typische und höchst Bezeichnende: Zu den Worten „tief die Pein“ hin beschreibt die melodische Linie einen veritablen Oktavfall, der mit einer Rückung nach es-Moll und einer Rücknahme der Dynamik ins Piano verbunden ist und sich in einem in einem tiefen „C“ endenden Sekundfall fortsetzt.
    Im viertaktigen Nachspiel lässt das Klavier wieder seine fallenden Triolen erklingen, wobei die Harmonik von as- nach c-Moll moduliert und über eine kurze Rückung nach G-Dur im Schluss-Akkord zur Grundtonart c-Moll zurückkehrt.

  • Aus persönlichen Gründen musste ich die Arbeit an diesem Thread für einige Tage unterbrechen und bitte dafür um Verständnis. Nun wird er weiter und zu Ende geführt.
    Hoffentlich hat die Pause das Interesse daran nicht erlahmen lassen. Das wäre sehr betrüblich!

  • Komm, o Tod, von Nacht umgeben,
    Leise komm zu mir gegangen,
    Daß die Lust, dich zu umfangen,
    Nicht zurück mich ruf´ ins Leben.


    Komm, so wie der Blitz uns rühret,
    Den der Donner nicht verkündet,
    Bis er plötzlich sich entzündet
    Und den Schlag gedoppelt führet.
    Also seist du mir gegeben,
    Plötzlich stillend mein Verlangen,
    Daß die Lust, dich zu empfangen,
    Nicht zurück mich ruf´ ins Leben.


    Diese Verse des spanischen Dichters Comendador Escriva (c. 1450-1520) bringen lyrisch Sehnsucht nach dem Tod zum Ausdruck, dies verbunden mit dem Wunsch, dass er „leise“ kommen möge und vor allem so, dass er nicht die Lust zur Rückkehr ins Leben weckt. Ohne dass dies lyrisch explizit gemacht wird, steht hinter diesen Versen Lebensmüdigkeit, die den Tod als Erlösung von einem nicht mehr als sinn- und glückserfüllt erfahrenen Leben sieht.
    Wolfs Liedmusik, die am 14.April 1890 entstand, bringt diese Ambivalenz des lyrischen Textes, dieses Neben- und Ineinander von Lebensmüdigkeit und Sehnsucht nach Erlösung im Tod auf höchst beeindruckende Weise zum Ausdruck. Der Wolf-Biograph Kurt Honolka merkt mit gutem Grund kritisch an:
    „Ein tiefempfundenes, auch durch kühne Modulationen fesselndes Lied der Todessehnsucht, ein Kleinod nicht nur dieses Zyklus. Unbegreiflich, wie beiläufig es in der gesamten bisherigen Wolf-Literatur behandelt wurde.“


    Das Lied steht in Des-Dur als Grundtonart, und ihm liegt ebenfalls, wie dem vorangehenden, ein Dreivierteltakt zugrunde. Die melodische Linie setzt zwar in Des-Dur-Harmonisierung ein, aber schon bei den Worten „o Tod“ ereignet sich die erste Modulation, und das geschieht in der ersten Melodiezeile auf dem ersten Vers noch weitere zwei Mal, nämlich über „Fes“ nach „Ces“ am Ende. Auf den Worten „Komm o Tod“ liegt eine Kombination aus Sekundfall und vermindertem Quintfall, die, weil „Komm“ und „Tod“ je eine Dehnung tragen, die dem innigen Wunsch, der hier zum Ausdruck gebracht wird, besonderen Nachdruck verleiht. Das Klavier begleitet hier – wie durchweg im ganzen Lied – mit einer Figur im Diskant, die aus einem Sekundsprung und –fall von Achteln mit nachfolgendem doppeltem Nachschlag besteht, wobei dies unter einem den ganzen Takt über gehaltenen und im nächsten Takt legato in eine neue tonale Ebene übergehenden Einzelton geschieht. Diese Figur erklang bereits im zweitaktigen Vorspiel, und man vernimmt sie nicht nur – dies in vielerlei Variationen und Kombinationen mit bitonalen Akkorden – permanent in der Begleitung der Singstimme, sie erklingt, in sozusagen sich reduzierender und auslaufender Gestalt, auch im achttaktigen Nachspiel.


    Zweierlei klangliche Wirkung geht von dieser Figur aus. Auf der einen Seite bringt sie durch die Aufeinanderfolge eines Viertels und eines Achtels im Doppel-Nachschlag eine Rhythmisierung im Sinne einer Mazurka in das Lied, zum andern kommt, so kann man das jedenfalls empfinden, in diesem Verharren auf der tonalen Ebene mit dem einmaligen Ausbruch daraus über einen Sekundschritt die Eindringlichkeit zum Ausdruck, mit der sich die Todessehnsucht melodisch artikuliert. Man vernimmt das erstmals in durchaus beeindruckender Weise bei der Bitte, die im zweiten Vers geäußert wird. Bei den Worten „Leise komm zu mir“ verharrt die melodische Linie in silbengetreuer Deklamation auf der tonalen Ebene eines „A“, ganz dem lyrisch zentralen Wort „leise“ entsprechend. Mit den Worten „zu mir gegangen“ steigt sie über einen kleinen Sekundschritt zu einem hohen „Des“ auf, fällt dort auf ein „D“ zurück und endet in einem „Es“. Das Klavier begleitet das durchweg mit seiner Grundfigur, und die Harmonik moduliert, wie das auch die melodische Linie tut, in ansteigender Weise. Melodik und Harmonik entfalten hierbei, gerade weil sie sich in ihrem Ausdruck nur in verhaltener Weise steigern, eine ganz besonders eindringliche Expressivität. Bei den nachfolgenden Worten „Daß die Lust, dich zu umfangen“ gehen dann allerdings sowohl die melodische Linie, wie auch Klaviersatz und Dynamik gleichsam stärker aus sich heraus. Die melodische Linie beschreibt zu dem Wort „dich“ hin einen Quartsprung in die hohe Lage eine „E“ und bewegt sich dort wellenartig, wobei sie bei „umfangen“ zu einem „Fis“ hin aufgipfelt und die Dynamik den Forte-Bereich erreicht. Harmonisch erfolgt dabei eine Rückung von E-Dur nach A-Dur (um das mit Kreuztonarten auszudrücken).


    Die Liedmusik auf diesen beiden Versen, die sich ja wiederholen, begegnet dem Hörer in ganz besonderer Weise als Zeugnis für die Größe dieser Komposition. Melodische Linie, Klaviersatz und Harmonik sind dabei im wesentlichen identisch. Im zweiten Fall ist nur der Sekundfall auf dem Wort „Leben“ aus Liedschluss-Gründen über das Taktende hinaus gedehnt. Die liedkompositorische Größe zeigt sich hier vor allem darin, wie die sanfte Steigerung der Expressivität in der vorangehenden Melodiezeile aufgegriffen und darin zunächst weitergeführt wird, dann aber, bei den Worten „nicht zurück mich ruf´ ins Leben“ ganz sanft wieder zurückgenommen wird und gleichsam in sich zusammensinkt. Aber wie das geschieht, das ist ein wahrliches liedkompositorisches Meisterstück, denn es verrät, wie tief Wolf mit seiner Liedmusik in die Seele dieses lyrischen Ichs eingedrungen ist.


    Der, der hier seine Todessehnsucht auf höchst innige und eindringliche Weise zum Ausdruck bringt, hat Angst, ins Leben zurückgerufen zu werden. Es gibt also noch eine tief innere Bindung an dieses Leben in ihm, und die Worte vom „Stillen des Verlangens“ sind diesbezüglich höchst verräterisch. Wolf hat dies – „natürlich“, möchte man sagen – erkannt, und die melodische Linie, der Klaviersatz und – nicht zuletzt! – die Harmonik lassen das in höchst beeindruckender Weise vernehmen. Bei den Worten „nicht zurück“ beschreibt die melodische Linie zunächst einen kleinen Sekundfall, geht aber unmittelbar danach wieder in einen Sekundanstieg mit nachfolgender Dehnung über, der mit einer Rückung von A-Dur nach Des-Dur verbunden ist. Die melodische Bewegung, die auf den letzten Worten „mich ruf´ ins Leben“ liegt, mutet überaus müde, gar kraftlos an. Sie setzt mit einem Quintfall zu dem Wort „mich“ hin einen, verharrt zunächst auf dem „As“ in mittlerer Lage, das damit erreicht wird, und geht danach mit einem Sekundfall in die lange Dehnung auf dem Wort „Leben“ über, die mit der letzten Silbe in einen neuerlichen Sekundfall mündet.


    Bemerkenswert ist die Harmonisierung dieses Liedschlusses, dem ja, da er eine Wiederholung darstellt, eine zentrale Bedeutung für die Aussage des Liedes zukommt. Nach der Grundtonart „Des“, die auf dem Wort „zurück“ liegt, durchläuft die melodische Linie bei dem Wort „Leben“ mehrere harmonische Modulationen, und das tiefe „Es“, auf dem sie in der Dehnung auf „Leben“ endet, ist nicht in Des-Dur, sondern in der Dominante As-Dur harmonisiert. Erst das Nachspiel setzt dann mit Des-Dur ein. Das ist ein offener Schluss, den man durchaus so verstehen kann, dass die Todessehnsucht des lyrischen Ichs zwar aus Lebensmüdigkeit kommt, die innere Bindung an dieses Leben aber noch nicht vollkommen abgerissen ist.

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  • Lieber Helmut,


    gerade konnte ich mich aus den ewigen Diskussionen (Querelen) über das Pro und Contra des Regietheaters herauslösen. Wie wohltuend ist es da Deine Liebbeiträge zu lesen - welch schön Freudsche Fehlleistung, dass ich Liebbeitträge schrieb -, denn die Liedtexte, Deine Analysen und Kommentare bieten dem Leser in der Tat: Kontemplation, Ruhe, Besinnung, Bereicherung und Freude. Danke für diese segensreiche Arbeit und die liebevolle Zuwendung, die Du uns dadurch schenkst. :jubel: :angel: :hello:


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Du scheinst ein feines Näschen für Dinge zu haben, die sich hinter einer solch allgemeinen Wendung wie "aus persönlichen Gründen" verstecken, lieber operus.
    Danke!

  • Ob auch finstre Blicke glitten,
    Schöner Augenstern, aus dir,
    Wird mir doch nicht abgestritten,
    Daß du hast geblickt nach mir.


    Wie sich auch der Strahl bemühte,
    Zu verwunden meine Brust,
    Gibt´s ein Leiden, das die Lust,
    Dich zu schaun, nicht reich vergüte?
    Und so tödlich mein Gemüte
    Unter deinem Zorn gelitten,
    Wird mir doch nicht abgestritten,
    Daß du hast geblickt nach mir.


    Das lyrische Ich ergeht sich, was ja eine regelrechte Standard-Situation in diesem „Spanischen Liederbuch“ ist, in der Klage, ja im Vorwurf gegenüber dem Anderen, dass er – oder sie – mit finsteren Blicken seine „Brust verwundet“ und sein „Gemüte“ geradezu „tödlich“ unter „seinem Zorn“ gelitten habe, dass aber all dieses Leiden letztendlich auch eine „Lust“ sei, weil, wie das wieder einmal in refrainhafter Weise hervorgehoben wird, so beglückend ist, dass ihm ein „Blick“ von dem Anderen geschenkt – oder einfach nur zuteil – wurde.


    Das sind Verse, die in ihrer lyrischen Aussage vordergründig bleiben, keinen tieferen Einblick in die Seele gewähren, und so bleibt denn auch Wolfs Liedmusik darauf zwar nicht ebenfalls vordergründig, aber im Bereich von Melodik, Klaviersatz und Harmonik ohne wirkliche Tiefe. Soll heißen: Sie weisen keine sonderliche Komplexität auf, sind von einer Einfachheit und Schlichtheit, die zwar durchaus anzusprechen vermag, aber kein hohes musikalisch-evokatives Potential aufweist, das die Hörerin oder den Hörer im Innern anrühren und treffen kann. Dietrich Fischer-Dieskau und Erik Werba ignorieren es in ihren Schriften über Wolf, und der um sorgfältiges Sich-Einlassen auf dessen Lieder bemühte Kurt Honolka merkt lakonisch an: „Ein chromatisch sprödes Liebeslied, leidet nicht nur unter der geringen Prägnanz der Gesangsmelodie, sondern auch darunter, daß der Übersetzer Geibel den wiederholten Schlußvers … mit einer geradezu operndeutschen Inversion verunstaltet hat.“


    Das Lied entstand am 16. April 1890, ein Sechsachteltakt liegt ihm zugrunde, die Grundtonart ist h-Moll, und die Vortragsanweisung lautet: „Mäßig langsam“. Im dreitaktigen Vorspiel gibt das Klavier im Diskant der melodischen Linie der Singstimme ihren Einsatz vor. Es ist die mit einem Terzsprung einsetzende und danach in kleinen und großen Sekunden fallende Linie auf den Worten „Ob auch finstre Blicke glitten“. Sie wiederholt sich noch einmal bei den Worten „Und so tödlich mein Gemüte“, aber nicht nur das verleiht ihr eine dieses Lied in seinem klanglichen Charakter prägende Bedeutung, - es ist der melodische Gestus, der ihr zugrunde liegt. Er schlägt sich in der Struktur der melodischen Linie in der Weise nieder, dass sie in den einzelnen Zeilen dazu neigt, zunächst auf der gerade eingenommenen tonalen Ebene in einem Auf und Ab zu verbleiben, am Ende dann aber in eine Fallbewegung überzugehen, in der die Sekunde eine große Rolle spielt. Man kann das durchaus als liedmusikalischen Reflex der Ambivalenz sehen, die den Äußerungen des lyrischen Ichs in seinem Verhältnis zum Anderen zugrunde liegt.


    Der ersten Melodiezeile, die die beiden ersten Verse beinhaltet, kommt insofern eine gleichsam exemplarische Funktion zu. Nach der schon beschriebenen Bewegung der melodischen Linie auf dem ersten Vers verbleibt sie bei den Worten „Schöner Augenstern, aus dir“ zunächst auf der tonalen Ebene eines „Cis“, bzw. „C“ in oberer Mittellage, danach aber geht sie mit einem Sekund-, einem Terz- und einem Quartfall in eine rapide Abwärtsbewegung über, die nach zweimaligem Sekundfall auf einem tiefen „H“ endet. Das ist die für dieses Lied typische Art und Weise, wie sich die Ambivalenz der lyrischen Aussage musikalisch niederschlägt. Da ist das an sich höchst positive Bild vom „schönen Augenstern“, auf das die Liedmusik mit einem Ansatz der Melodik in hoher Lage und einem gewissen Verweilen dort reagiert. Aber sie ist von Anfang an in Moll (h-Moll) harmonisiert und geht schließlich in eine Fallbewegung über, darin das Bild von den „finstren Blicken“ reflektierend. Wobei bemerkenswert ist – und sich auch mehrfach noch ereignet -, dass am Ende dieser Melodiezeile eine harmonische Rückung nach Dur (H-Dur) erfolgt. Dieses lyrische Ich ist dem Du gegenüber, bei all den „Verwundungen“, die es erleidet, doch in Liebe verbunden.


    Das Klavier hat zu all dem nichts Sonderliches beizutragen, - auch das ein Sachverhalt, der dieses Lied nicht zu einem wirklich Großen des Liederbuchs werden lässt. In Diskant und Bass erklingen parallel zwei- und mehrstimmige Akkord-Paare oder Einzelakkorde, die nach einer Achtelpause einsetzen und auch durch eine solche Pause voneinander getrennt sind. Lediglich in den Zwischenspielen nach der ersten und nach dem vierten Vers der zweiten Strophe und im Nachspiel nimmt der Klaviersatz eine andere Gestalt an: Legato-Folgen von Achteln oder Achtel-Oktaven im Diskant über akkordischen Figuren im Bass. In der Begleitung der Singstimme geht das Klavier an einer Stelle des Liedes von dieser Grundfigur ab. Es ist die, an der die Liedmusik ihre stärkste Expressivität entfaltet, bei den Worten „Gibt´s ein Leiden, das die Lust,/ Dich zu schaun, nicht reich vergüte?“nämlich. Schon bei den vorangehenden Worten „zu verwunden meine Brust“ kommt ein Crescendo in das Lied, und nun erreicht die Dynamik den Forte-Bereich. Auf den Worten „Gibt´s ein Leiden“ beschreibt die melodische Linie, in cis-Moll harmonisiert, nach einem Terzsprung, der sie in hohe Lage führt, eine Fallbewegung in kleinen Sekunden, und das wiederholt sich bei „das die Lust, dich“ gleich noch einmal. Die melodische Linie verbleibt danach mit einem Auf und Ab in hoher Lage, und erst bei den Worten „reich vergüte“ beschreibt sie, nach einer neuerlichen Fallbewegung in kleinen Sekunden einen Sextfall am Ende. Das Klavier begleitet hier mit einer Folge von Oktaven im Diskant über dreistimmigen Akkorden im Bass.


    Um noch einmal auf das Urteil von Kurt Honolka zurückzukommen:
    Von so geringer „Prägnanz“, wie er meint, ist die melodische Linie dieses Liedes gar nicht. Sie vermag durchaus in die Seele des lyrischen Ichs zu blicken und die Regungen dort zu reflektieren. Man vernimmt und sieht das daran, dass Wolf die Liedmusik auf den Worten „Wird mir doch nicht abgestritten,/ Daß du hast geblickt nach mir“ bei deren Wiederkehr am Ende des Liedes nicht wiederholt. Nun setzt die melodische Linie mit längeren Tonrepetitionen ein und geht nun bei „nicht abgestritten“ nicht, wie beim ersten Mal, in eine Fallbewegung über, sondern beschreibt einen Septsprung, dem ein doppelter kleiner Sekundfall in hoher Lage folgt, der in die melodischen auf den Worten „hast geblickt nach mir“ übergeht, die allerdings identisch mit denen der ersten Fassung sind.


    Das lyrische Ich will nach all der Vergegenwärtigung der „finstren Blick“, der „Verwundungen“ und des „tödlichen“ Leidens unter dem „Zorn“ der nicht bestreitbaren Tatsache noch einmal besonderen Nachdruck verleihen, dass der „Blick“ der ihm zuteilwurde, ein wertvolles Geschenk darstellt.

  • Bedeckt mich mit Blumen
    Ich sterbe vor Liebe.


    Daß die Luft mit leisem Wehen
    Nicht den süßen Duft mir entführe,
    Bedeckt mich!


    Ist ja alles doch dasselbe,
    Liebesodem oder Düfte
    Von Blumen.


    Von Jasmin und weißen Lilien
    Sollt ihr hier mein Grab bereiten,
    Ich sterbe.


    Und befragt ihr mich: Woran?
    Sag´ ich: Unter süßen Qualen
    Vor Liebe.


    In diesen Versen, die, von Geibel nachempfunden, möglicherweise von Maria Doceo stammen, steigert sich das lyrische Ich in die pathetische Imagination eines Todes aus der Überfülle an Liebe, wobei diese mit reichlich Blumenmetaphorik regelrecht aufgeladen ist und dabei an die Schwelle zum Kitsch gerät. Aber das Erstaunliche ist. In Wolfs Liedmusik ist von dieser etwas fadenscheinigen und masochistischen Süßlichkeit des lyrischen Textes nichts mehr zu vernehmen. Er wird in seiner Verwandlung in Liedmusik zu einer ernsthaften und glaubwürdigen Beschwörung der Macht, die von der Liebe auf den Menschen ausgehen kann. Eine ganz wesentliche Rolle spielt dabei das Pendeln der Liedmusik zwischen chromatisch-verminderter und Moll-Harmonik und den Phasen einer ungebrochenen Dur-Harmonisierung der melodischen Linie, wie sie sich zweimal in diesem Lied finden. Aber gerade die Harmonik des Schlusses der melodischen Linie, auf den noch näher einzugehen sein wird, rückt diese Phasen wieder in das Licht der Fragwürdigkeit und lässt den Hörer definitiv erleben und erkennen, dass er es mit einer Wolf-Komposition zu tun hat, die meilenweit entfernt ist von jeglicher Kitsch-Anmutung.


    Sie entstand am 10. November 1889. Ein Sechsviertel-Takt liegt ihr zugrunde, vier B bilden das Vorzeichen, und die Vortragsanweisung lautet „Mäßig“. Die vier „B“ geben ein As-Dur oder ein f-Moll vor, und tatsächlich pendelt die Harmonik des Liedes nicht nur zwischen diesen beiden Tongeschlechtern, sondern auch zwischen denen anderer Tonarten hin und her. Schon der Liedanfang lässt das ja in gleichsam programmatischer Weise vernehmen. In verminderter As-Harmonik einsetzend, moduliert die Harmonik bei der melodischen Linie auf den ersten beiden Versen über weitere chromatische Eintrübungen hin zu einem Es- und einem As-Dur und endet bei dem Wort „Liebe“ schließlich in einem geradezu kühn in die Harmonisierung des Melodiezeilen-Endes einbezogenen e-Moll. Schon das weckt beim Hörer die Ahnung, dass diese Worte „Ich sterbe vor Liebe“ nicht als Faktum zu nehmen sind, - jedenfalls aus der Sicht ihres Komponisten Hugo Wolf.


    Auch die melodische Linie auf diesen ersten beiden Versen, die ja in ihrem konstatierenden sprachlichen Inhalt wie eine Eröffnung der Liedmusik wirkt, weist als solche, abgesehen von ihrer Harmonisierung, einen ambivalenten Charakter auf. Sie setzt in hoher Lage an, bewegt sich in großen und kleinen Sekunden abwärts und geht ausgerechnet bei dem Wort „Blumen“ in einen verminderten Quartfall über. Bei den Worten „ich sterbe“ schwingt sei sich zwar mit einem Terzsprung zu einem hohen „Des“ auf und verharrt dort in einer den Takt übergreifenden Dehnung, aber noch innerhalb des Wortes „sterbe“ geht sie wieder in eine Sekundfall-Bewegung über. Der Sextsprung, den sie am Ende bei dem Wort „Liebe“ beschreibt, wirkt, absolut genommen, zwar emphatisch, dies auch deshalb, weil er in Gestalt von melodisch gedehnten (halbe Noten) Schritten erfolgt, die Moll-Harmonik, in der er gebettet ist, bringt aber eine gewisse Brechung in diese Emphase.


    Diesen Liedanfang erfährt man auch hinsichtlich des Klaviersatzes und seiner Funktion als programmatisch. Durchweg besteht er in Bass und Diskant aus Viertelakkord-Folgen. Diese stehen aber unter Führung durch eine melodische Leitlinie, wie sie ihnen im Diskant in Gestalt einer Aufeinanderfolge von punktierten und nichtpunktieren halben Noten gleichsam übergeordnet ist. Und diese spezifische Eigenart des Klaviersatzes entfaltet eine für die musikalische Aussage des Liedes höchst bedeutsame Wirkung: Die melodische Linie des Klaviersatzes tritt nämlich in einen vielgestaltigen Dialog zu der der Singstimme. Dieser reicht von der Begleitung derselben auf der gleichen Linie oder in einem Sext- oder Terzintervall dazu über die Gegenläufigkeit bis zu einem echohaften Nachklang. Aber auch die dreistimmigen Akkorde übernehmen in Bezug auf die melodische Linie der Singstimme diese Funktion, und all dies führt dazu, dass diese in ihrer Aussage eine Akzentuierung erfährt und sie in die klangliche Sphäre der Lieblichkeit gerückt wird.


    Vor allem bei den reinen Dur-Passagen des Liedes, also bei den Strophen zwei und vier, ist das in besonders beeindruckender Weise zu vernehmen. Bei den Worten „Daß die Luft mit leisem Wehen / Nicht den süßen Duft mir entführe“ bewegt sich die melodische Linie pianissimo in einem ruhigen Auf und Ab in kleinen Intervallen auf mittlerer tonaler Ebene. Sie ist dabei in C-Dur harmonisiert, das am Ende dieser Melodiezeile nach D-Dur rückt. Die Fallbewegung in Sekunden, die die melodische Linie bei den Worten „mit leisem Wehen“ beschreibt, vollzieht die Hauptstimme des Diskants im Sextintervall mit und lässt sie am Ende noch einmal nachklingen, so dass sie eine besonders einschmeichelnde Wirkung entfaltet. Bei den Worten „mir entführe“ geht sie hingegen, anders als die Singstimme, in eine Aufwärtsbewegung über. Und diese Tendenz greifen die Akkorde am Ende der Melodiezeile auf: Während das Wort „entführe“ auf einer melodischen Fallbewegung aus kleiner Sekunde und großer Terz deklamiert wird, setzen die Akkorde zu einer Ausweitung ihres immanenten Intervalls an, so dass sich eine klangliche Aufwärtsbewegung ergibt, die sich in die kleine Pause für die Singstimme hinein wie ein kurzer Kommentar fortsetzt.


    Diesem kompositorischen Mittel der Steigerung der Expressivität mit den klanglichen Mitteln des Klaviersatzes begegnet man in diesem Lied immer wieder. Besonders bedeutsam wird das bei den ja auch im lyrischen Text exponierten Worten „bedeckt mich“, „ich sterbe“ und – in herausragender Weise – „vor Liebe“. Bei „bedeckt mich“ verharrt die melodische Linie in Gestalt einer Dehnung in hoher Lage und geht am Ende in einen Sekundfall über. Diese kleine Melodiezeile ist, wie das auch bei den beiden anderen der Fall ist, durch lange Pausen davor und danach liedmusikalisch exponiert, die Harmonik rückt dabei vom vorangehenden D-Dur nach G-Dur. Das Klavier geht wieder zur Ausweitung der Intervalle in den Akkorden über, beschreibt also einen klanglichen Bogen. Aber während die Singstimme in den Sekundfall übergeht, setzt das Klavier mit seiner Hauptstimme den Weg nach oben fort und geht, im Einklang mit den Akkorden, erst in der Pause der Singstimme in eine Fallbewegung über. Das steigert die Expressivität der melodischen Aussage enorm. Ähnlich ist das bei „ich sterbe“. Die Worte werden auf einem doppelten Sekundfall mit eingelagerter Dehnung in tiefer Lage deklamiert. Beim letzten Sekundfall setzt das Klavier wieder mit seiner akkordischen Aufwärtsbewegung ein, wobei die Harmonik von D-Dur nach F-Dur rückt, und die Hauptstimme im Diskant steigt wieder zu einem hohen „C“ empor, woraus dann eine akkordische Abwärtsbewegung in der Pause der Singstimme hervorgeht.


    Bei „vor Liebe“, den letzten Worten dieses Liedes, begegnet man Hugo Wolf in einem seiner liedkompositorischen Meisterstücke. Wieder deklamiert die Singstimme eine in der Mitte gedehnte Fallbewegung in einer kleinen und einer großen Sekunde. Die Akkorde im Klavierdiskant beschreiben dabei eine Aufwärtsbewegung. Das „As“, auf dem die melodische Linie in Gestalt einer Dehnung endet, ist aber nicht in As-Dur, also der Grundtonart harmonisiert, sondern in b-Moll. Und dieses fungiert nun gleichsam als Vorhalt für das sechstaktige Nachspiel, das mit seinen staccato artikulierten Akkordbewegungen modulatorisch mehrere harmonische Stationen durchläuft (unter anderem Es-Dur und f-Moll) und erst mit dem drittletzten Takt, wo sich die Akkorde im dreifachen Piano aufzulösen beginnen, in As-Dur übergeht, in dem dann auch der Schlussakkord erklingt.


    Dieser zweifellos hochgradig artifizielle Liedschluss ist aber keine vordergründige kompositorische Spielerei. Er fügt sich in die harmonische und tongeschlechtliche Ambivalenz, die das ganze Lied prägt und auszeichnet, den lyrischen Text in seinem süßlichen Pathos reduziert und zu einem schwärmerischen Lobpreis der Liebe werden lässt.

  • Dieser lyrische Text wurde auch von Robert Schumann vertont, nämlich als Duett in seinen 1849 entstandenen „Spanischen Liebesliedern, op.138“. D. Fischer-Dieskau spricht diesbezüglich von einer „überlegenen Vertonung“. Wolfs Lied kommentiert er mit den Worten: „>Bedeckt mich mit Blumen< kann als Liebesschwärmerei in Todessehnsucht durchaus bezaubern, sofern Schumanns überlegene Vertonung nicht zum Vergleich herangezogen wird.“ Und in dem Booklet zu der Hyperion-Produktion „Schumann, The Complete Songs“ fand ich gar die Auffassung, diese „kontrastiere mit der Schlaffheit von Wolfs Vertonung der Worte als Sologesang“.


    Ich muss bekennen, dass ich diese Urteile nicht nachvollziehen kann. Hinter Schumanns Vertonung, die mir in ihrem musikalischen Gestus wie ein Opern-Duett entgegenkommt, steht eine gänzlich andere Interpretation dieser Verse. Das ist musikalischer Ausdruck leidenschaftlicher Verliebtheit, die mit der sprachlichen Floskel „Sterben vor Liebe“ kokettiert. Hugo Wolf versteht den lyrischen Text hingegen – vielleicht darin über seine spezifische Aussage hinausgehend – tatsächlich als lyrisch-sprachlichen Ausdruck eines Ergriffen-Seins von Liebe, das als existenzielle Erfahrung so tief reicht und allumfassend ist, dass einem „zum Sterben vor Glück“ zumute ist.


    Und wieder einmal regt sich in mir der so tiefe Wunsch, mit einem anderen Menschen darüber sprechen zu können, wie das in einem „Forum“ wie diesem ja möglich sein sollte und sein eigentlicher Sinn und Zweck ist.
    Aber ich will nicht jammern. In der Hoffnung auf ein wenig Glück stelle ich einfach man die YouTube-Links zu diesen beiden Liedern ein. Die gesangliche Interpretation des Wolf-Liedes durch Elisabeth Grümmer (begleitet von Aribert Reimann) finde ich übrigens sehr beeindruckend.


    https://www.youtube.com/watch?v=EmoYVR1seFE


    https://www.youtube.com/watch?v=_5V2IE_ZQaw

  • Und schläfst du, mein Mädchen,
    Auf, öffne du mir;
    Denn die Stund´ ist gekommen,
    Da wir wandern von hier.


    Und bist ohne Sohlen,
    Leg´ keine dir an;
    Durch reißende Wasser
    Geht unsere Bahn.


    Durch die tief tiefen Wasser
    Des Guadalquivir;
    Denn die Stund´´ ist gekommen,
    Da wir wandern von hier.


    Da fordert ein Liebhaber sein „Mädchen“ zur Wanderschaft in ihre neue gemeinsame Welt auf, für die, wie er das begründet, „die Stund` gekommen“ ist. Auch wenn der Weg durch „reißende Wasser“ und gar durch die „tief tiefen“ des „Guadalquivir“ führen wird, es ist ein Ton von Entschlossenheit und Entschiedenheit in diesen Versen. Vielleicht war es ja das, was Wolf bewogen hat, sie in die Reihe seiner „Spanischen Liederbuch“-Kompositionen einzubeziehen. Den appellativen, vom Willen zum Aufbruch beflügelten Geist des lyrischen Textes lässt seine Liedmusik auf sie jedenfalls nicht nur vernehmen, man erfährt sie sogar als eine Potenzierung desselben, wobei, neben der stark von Tonrepetitionen geprägten melodischen Linie der Singstimme, dem Klaviersatz und der Harmonik in diesem Zusammenhang eine bedeutsame Rolle und Funktion zukommt. Das Lied entstand Am 17. November 1889, es steht in Es-Dur als Grundtonart, weist einen Sechsachteltakt auf und soll „bewegt“ vorgetragen werden.


    Den rhythmischen Geist des Liedes, der einer des beschwingten Aufbruchs ist, gibt das zweitaktige Vorspiel vor. Im Bass erklingt eine Figur, die den Klaviersatz durchgehend beherrscht, und dies auch dann, wenn sie eine andere klangliche Gestalt annimmt. Denn ihre Grundstruktur bleibt dabei erhalten. Diese besteht, von den Notenwerten her, aus einer Kombination aus einem punktierten Achtel, einem Sechzehntel, einem Achtel und einem punktierten Viertel. Diese Aufeinanderfolge von Länge, Kürze und neuerlicher Länge wirkt rhythmisch beschwingt, weist aber überdies auch noch die Anmutung von Aufbruch auf. Die Figuren, die das Klavier im Diskant artikuliert und mit denen es die melodische Linie der Singstimme begleitet, sind entweder fallende zwei- und dreistimmige Akkorde oder aus einem Akkord hervorgehende Bewegungen von Achteln, die wiederum in einen Akkord münden, sie sind aber ebenfalls in dieser Weise rhythmisiert.


    Aufbruch evoziert mit klanglichen Mitteln auch die Harmonik. Das Lied weist diesbezüglich eine durchgehende Grundstruktur auf: Auf eine verminderte Harmonisierung der melodischen Linie der ersten beiden Strophen-Verse folgt eine in Dur-Harmonik bei den folgenden Verspaaren. Das ist, zugegeben, ein für die Liedkomposition eines Hugo Wolf recht simples harmonisches Strickmuster, und mit ein Grund dafür, dass dieses Lied wohl nicht zu den wirklich bedeutenden des „Buches“ zu zählen ist, aber es verleiht der Liedmusik den klanglichen Schub, den sie im Aufgreifen des Geists des lyrischen Textes benötigt. Denn es ist nach dem Prinzip des harmonischen Vorhalts gestaltet.


    Man begegnet all dem, was die melodische Linie, den Klaviersatz und die Harmonik strukturiert und klanglich prägt, in gleichsam exemplarischer Weise schon in der Liedmusik der ersten Strophe. Das fängt mit dem Vorspiel an, das ganz und gar von Quinten beherrscht ist, die zu der chromatischen Harmonisierung der nachfolgenden melodischen Linie der Singstimme hinführt. Die setzt mit der für sie in diesem Lied typischen Tonrepetition ein, wie sie auf den Worten „Und schläfst du, mein Mädchen“ in Gestalt eines hohen „D“ liegt, wobei sich allerdings am Ende, auf dem Wort „Mädchen“ also, ein veritabler Sextfall ereignet. Das Wort „auf“ wird auf der gleichen tonalen Ebene deklamiert, mit der das Lied einsetzt. Beim zweiten Vers ereignet sich wiederum eine Tonrepetition: Die Singstimme deklamiert die Worte „Denn die Stund´ ist gekommen“ silbengetreu auf einem „B“ in mittlerer Lage, und erst bei den Worten „da wir wandern von hier“ kommt Bewegung in die melodische Linie, dies allerdings nur in Gestalt von Sekundschritte auf und ab. Auf dem Wort „wandern“ liegt, um es zu akzentuieren, eine Dehnung mit einem kleinen Melisma auf der zweiten Silbe. Dieser Bursche drängt sein Mädchen zum Aufbruch, und das insistierende Deklamieren auf einem Ton bringt das zum Ausdruck. Dazu passt, dass die Harmonik nun nach B-Dur rückt und das Klavier im Diskant zur Artikulation von nach oben steigenden Achteln und Sechzehnteln übergeht, dies freilich wieder in Kombination mit gedehnten Akkorden, so dass die Grundrhythmisierung erhalten bleibt.


    Die melodische Linie auf den Worten „Und bist ohne Sohlen,/ Leg´ keine dir an“ setzt erneut mit Tonrepetitionen ein, geht dann aber wie in der ersten Melodiezeile bei „Mädchen“ wieder in einen Sextfall bei „Sohlen“ über. Bei den Worten „Durch reißende Wasser“ beschreibt sie einen für dieses Lied ungewöhnlichen Anstieg über eine ganze Oktave, wobei auf der ersten Silbe von „reißende“ und Wasser“ ein legato zu deklamierender Quart-, bzw. Terzsprung liegt. Auch hier rückt die Harmonik beim zweiten Vers wieder in den Dur-Bereich. Es wiederholt sich auch die neuerliche Rückung innerhalb der Dur Harmonik am Ende der Strophe: Her ist es eine von H-Dur nach D-Dur bei dem Wort „Bahn“, auf dem eine sich über zwei Takte erstreckende Dehnung liegt.


    Beschrieb die melodische Linie bei dem Bild vom „reißenden“ Wasser eine Aufstiegsbewegung in hohe Lage, so tut sie das bei den „tief tiefen Wassern“ des „Guadalquivir“ erneut, und das dieses Mal sogar in zwei Anläufen. Und wieder ist sie in verminderte Harmonik gebettet, die sich dann nach dem Prinzip der Auflösung eines Vorhalts mit den Worten „Denn die Stund´ ist gekommen“ in Es-Dur-Harmonik auflöst. Die Worte „da wir wandern von hier“ werden – bei Wolf ungewöhnlich – wiederholt. Zuvor wiederholt sich die melodische Bewegung auf den Worten „Denn die Stund´ ist gekommen“, wie man sie aus der ersten Strophe kennt. Es-Dur-Harmonik herrscht vor, und das Klavier begleitet nun immerzu, bis zum Ende des Liedes, mit diesen Figuren, in denen ein Sechzehntel und ein Achtel aus einem bitonalen Akkord nach oben steigen. Die melodischen Linien auf der für das Lied zentralen und deshalb wiederholten Aussage „Da wir wandern von hier“ unterscheiden sich. Beim ersten Mal verbleibt die Dehnung am Ende auf der tonalen Ebene, mit der die Melodiezeile bei „Denn die Stund´ ist gekommen“ einsetzt. Beim zweiten Mal beschreibt die melodische Linie eine Abwärtsbewegung, und die Dehnung am Ende liegt auf dem Grundton „Es“. In allen Fällen aber trägt das Wort „wandern“ eine lange melodische Dehnung mit einem kleinen Melisma auf der letzten Silbe. Von ihm geht der größte lyrische Zauber aus.

  • Sie blasen zum Abmarsch,
    Lieb Mütterlein.
    Mein Liebster muß scheiden
    Und lässt mich allein!


    Am Himmel die Sterne
    Sind kaum noch geflohn,
    Da feuert von ferne
    Das Fußvolk schon.
    Kaum hört er den Ton,
    Sein Ränzelein schnürt er,
    Von hinnen marschiert er,
    Mein Herz hinterdrein.
    Mein Liebster muß scheiden
    Und lässt mich allein!


    Mir ist wie dem Tag,
    Dem die Sonne geschwunden.
    Mein Trauern nicht mag
    So balde gesunden.
    Nach nichts ich frag´,
    Keine Lust mehr heg´ ich,
    Nur Zwiesprach pfleg´ ich
    Mit meiner Pein –
    Mein Liebster muß scheiden
    Und lässt mich allein!


    Ein fast schon klassisches Thema der Liedliteratur: Die Liebende, die verlassen zurückbleibt, weil ihr „Liebster“ ihr vom militärischen Ruf zum Abmarsch von der Seite gerissen wird. Man kennt es von Mahler zum Beispiel. Aber wie anders klingt Wolfs Liedmusik darauf. Zwar kennt sie auch die klangliche Imagination von militärischen Signalen, aber sie klingen eigenartig sanft und mild, fast schon lieblich angehaucht, weil als Terzen-Folgen angelegt. Aber es ist ja Hugo Wolf, der sich diesem lyrischen Thema widmet, und dem geht es nicht um die situativen Gegebenheiten, sondern um die Seelenlage des zurückgebliebenen Dem kommt entgegen, dass es sich hier im Grunde um einen lyrischen Monolog handelt. Zwar wird am Anfang die Mutter angesprochen (das „lieb“ Mütterlein“), aber die nachfolgende Strophe stellt das Geschehen im historischen Präsens dar, im Sinne einer Vergegenwärtigung aus der augenblicklichen Situation, die mit den Worten der dritten Strophe beschrieben und charakterisiert wird. Das Lied entstand am Vormittag des 13. Dezember 1889, es steht in g-Moll als Grundtonart, weist einen Viervierteltakt auf und ist „Im Marschtempo“ vorzutragen.


    Auch wenn das Klavier im zweitaktigen Vorspiel eine mit Sechzehntel-Doppelvorschlag eingeleitete Folge von staccato angeschlagenen zunächst fallenenden und dann zweimal wieder steigenden Terzen erklingen lässt, der im dritten Takt eine zwischen zwei Viertel-Oktaven eingelagerte Achtel-Oktavtriole nachfolgt, so dass sich die klangliche Anmutung eines militärischen Signals einstellt, - von einem „Marsch“ ist dieses Lied rhythmisch und klanglich weit entfernt. Diese Staccato-Terzenfolgen beherrschen den Klaviersatz der ersten Strophe im Bass und im Diskant und münden im sechstaktigen Zwischenspiel sogar in drei fortissimo artikulierte arpeggierte Akkorde, denen drei Achtel-Triolen nachfolgen, was wohl klanglich eine Art Trommelwirbel mit nachfolgendem Trompetensignal suggerieren soll, - aber da ist einerseits die Dominanz einer Moll-Harmonik und zum andern eine melodische Linie der Singstimme, die in der Art, wie sie sich in kleinen Zeilen zwischen Pausen entfaltet, wie ein Einspruch gegen diese Evokation von militärischem Geist durch das Klavier wirkt. Und vielleicht wagt dieses sich deshalb ja nicht so recht vor, meidet alle Dissonanzen und überlässt sich dem Klang von Terzen oder – wie in der zweiten Strophe – terzenbetonten Akkorden. Erst in der dritten Strophe geht es zu expressiveren Oktavenfolgen über, dort geht es ja aber auch um die Selenlage des lyrischen Ichs, und militärische Klänge sind völlig unangebracht.


    Die Liedmusik auf die Verse der ersten Strophe vernimmt man als eine beeindruckende Evokation der Situation, aus der der lyrische Text kommt. Eingeleitet mit den signalhaften Terzenfolgen und im folgenden begleitet von ihnen deklamiert de Singstimme kleine, von Pausen eingegrenzte Melodiezeilen, die in ihrer Struktur situationsgeboren wirken: Eine sich nur um eine Sekunde erhebende, dann aber in einer Sekunde unter die Ausgangslage fallende melodische Linie auf den Worten „Sie blasen zum Abmarsch“; eine im Klagegestus sich erhebende und wieder fallende melodische Figur auf den Worten „lieb Mütterlein“, ein Terzsprung mit Tonrepetition auf dem Wort „scheiden“ und eine mit einem kleinen Sekundfall und einer Dehnung einsetzende und weiter fallende und in eine Dehnung auf dem Wort „allein“ mündende melodische Linie am Ende.


    Das alles ist in Moll harmonisiert, vorwiegend g-Moll, aber am Ende der kleinen Melodiezeilen ereignen sich jeweils Rückungen in den Dur-Bereich: Von g-Moll nach F-Dur und nach A-Dur und von f-Moll nach F-Dur. Die Rückung aus dem Moll-Bereich in das Tongeschlecht Dur ereignet sich in diesem Lied noch viele Male. Und so endet das Lied ja auch: Mit einer Rückung von g-Moll nach B-Dur auf den Worten „lässt mich allein“. Und das Nachspiel ergeht sich ganz und gar in Dur-Harmonik, und das – freilich darin im vierfachen Piano verklingend – in diesem fast tänzerisch beschwingten Marschrhythmus, der dem Lied zugrundeliegt. Setzt sich darin die jugendlich vitale Welt des Militärs, in die der Geliebte aufbricht, gegen das stille Leiden des alleingelassenen Mädchens durch? Man empfindet es als Hörer so.


    Das sechstaktige Zwischenspiel nach der ersten Strophe, das eigentlich eher wie ein Nachspiel zu dieser wirkt, bestärkt einen in dieser Auffassung der Liedmusik. Das von Regelmäßigkeit geprägte Auf und Ab der Terzen, die nachfolgenden Arpeggien-Akkorde und die triolisch angeschlagenen Achtel am Ende, - das alles ereignet sich in Dominantseptim-Harmonik, die sich in das B-Dur auflöst, in dem die melodische Linie auf den Anfangsworten der zweiten Strophe („Am Himmel die Sterne…“) einsetzt. Diese weist in der ganzen zweiten Strophe eine bemerkenswert kantabel gebundene Struktur auf, die in den ersten drei Zeilen immer in einer Fallbewegung endet. Es ist ein Klagegestus, der sich darin ausdrückt. Aber hier dominiert Dur-Harmonik: Von B-Dur über Es-, und C- bis zu F-Dur. Nur vereinzelt wagt sich Moll-Harmonik vor, so bei den Worten „da feuert ferne“ („das Fußvölkchen“). Aber sie kann sich nicht halten. Und dazu passt, dass sich das Klavier in dieser Strophe in Bass und Diskant in drei- bis vierstimmigen, allesamt aufwärts gerichteten und marschmäßig rhythmisierten Akkord-Folgen ergeht. Auch die melodische Linie auf dem Refrain „Mein Liebster muß scheiden und lässt mich allein“, die hier nicht in einem Sekundfall, sondern in einem Terzsprung mit Dehnung endet, ist nur anfänglich in g-Moll harmonisiert, das wird aber sofort von einem D-Dur verdrängt, und diese Verdrängung wiederholt sich sogar noch einmal.


    Wie ein expressives und ganz und gar in die Chromatik von Moll-Harmonik (g-Moll und f-Moll) gebettetes und darin fast schon wie ein dramatisches Aus-sich-Herausgehen der Liedmusik wirkt die melodische Line auf den Versen der dritten Strophe, bevor erneut die Liedmusik auf dem Refrain einsetzt. Auch hier schleicht sich zwar Dur-Harmonik ein (bei „die Sonne“ und „balde gesunken“ D-Dur und B-Dur), hier aber hat das Moll harmonisch die Oberhand. Die Ebene der Tonrepetitionen steigt permanent an: Von einem „G“ zu einem „B“, von da zu einem C“ und schließlich zu einem hohen „Es“. Danach, mit den Worten „Nach nichts ich frag´“, geht die melodische Linie bis zum Ende dieser Melodiezeile in eine Fallbewegung über. . Bei den Worten „pfleg´ ich mit meiner Pein“ bäumt sie sich noch einmal bogenförmig auf, sinkt aber dann zum Grundton „Es“ in tiefer Lage ab. Diese bogenförmige Bewegung der melodischen Linie wird danach vom Klavier im dreitaktigen Zwischenspiel in Gestalt von dreistimmigen Akkorden wiederholt. Es setzt hier die äußerst expressiv wirkenden Achteloktav-Läufe, mit denen es zuvor die Singstimme begleitet hat, im Bass fort und lässt sie am Ende in ein in Sekundschritten erfolgendes Auf und Ab von Achteln in Diskant und Bass übergehen,


    Der Refrain erklingt am Ende in einer wiederum modifizierten Gestalt. Die melodische Linie senkt sich mit einer Dehnung auf „Liebster“ bogenfömig ab und geht in einen melismatischen Quartsprung bei „scheiden“ über. Auf den Worten „und lässt mich allein“ liegen dieses Mal, mit Ausnahme von „und“ mehr oder weniger lange Dehnungen, wobei sich die tonale Ebene von einem hohen „D“ über ein „Des“ und ein „C“ zu einem „B“ in mittlerer Lage absenkt. Die Harmonik moduliert dabei von g-Moll nach B-Dur am Ende.
    Das zehntaktige Nachspiel wirkt in seiner durchgehenden Dur-Harmonik und den aus einer austeigenden Kette von Terzen und einer Quarte hervorgehenden Achtel-Sechzehntel-Figuren bemerkenswert heiter, ja tänzerisch. Die vom Klaviersatz getragene und klanglich imaginierte militärische Welt setzt sich über das allein gelassene Mädchen hinweg. Individuelles seelisches Leid hat in ihr keinen Platz.

  • Weint nicht, ihr Äuglein!
    Wie kann so trübe
    Weinen vor Eifersucht,
    Wer tötet durch Liebe?


    Wer selbst Tod bringt,
    Der sollt´ ihn ersehnen?
    Sein Lächeln bezwingt
    Was trotzt seinen Tränen.
    Weint nicht, ihr Äuglein!
    Wie kann so trübe
    Weinen vor Eifersucht,
    Wer tötet durch Liebe?


    Ein lyrischer Text von Lope de Vega, der sich – jedenfalls in der Übersetzung durch Paul Heyse - recht abstrakt anmutenden Fragen widmet und zu dementsprechend abstrakten Feststellungen gelangt, wie „Sein Lächeln bezwingt / Was trotzt seinen Tränen“. Es mangelt an affektiv geladenen lyrischen Bildern, und der einzige Vers, der ein kleines emotionales Potential aufweist, ist der Appell: „Weint nicht, ihr Äuglein!“. Es konnte, so möchte man meinen, eigentlich kein wirklich großes Lied daraus hervorgehen. Eine unbedeutende Komposition ist das allerdings dann doch nicht, wozu Hugo Wolf am Vormittag des 29. März 1890 inspiriert wurde. Reizvoll ist sie vor allem durch den Dialog zwischen der melodischen Linie, die das Klavier im Bass entfaltet und derjenigen die die Singstimme deklamiert, wobei man den Eindruck gewinnt, dass das Klavier dabei die Führung übernimmt. Das Lied steht in h-Moll als Grundtonart, ein Sechsachteltakt liegt ihm zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet „lebhaft“.


    Das Lied weist eine deutliche Binnengliederung auf: Die Liedmusik auf der ersten Strophe wiederholt sich ohne jegliche Modifikation bei der Wiederkehr der Verse am Ende. Die Liedmusik auf den ersten vier Versen der zweiten Strophe hebt sich in der Struktur der melodischen Linie, der Dynamik und den Anweisungen zu ihrem Vortrag deutlich davon ab. Lauten diese bei dem ersten und demgemäß auch dem dritten Teil „zurückhaltend“ und „immer sehr zurückhaltend“, so gilt für den Mittelteil des Liedes die Anweisung „lebhaft“. Der Klaviersatz ist, jedenfalls in seiner Grundstruktur, für alle Teile des Liedes der gleiche. Im Bass artikuliert das Klavier melodische Figuren in Gestalt von Achtel-Bewegungen, die allerdings aus länger gehaltenen bitonalen Akkorden hervorgehen oder in diese münden. Der Diskant ist durchgehend gleich gestaltet: Er besteht pro Takt aus zwei Dreiergruppen von zwei- bis dreistimmigen Achtel-Akkorden, die zumeist als Repetitionen erklingen, aber auch da und dort aufwärts oder abwärts gerichtete Bewegungen beschreiben, wobei sie sich in ihrer Gestalt, die in der Regel terzenbetont ist, zu Sekundenverdichtung oder zu oktavischen Erweiterung wandeln. Dieses Lied ist, so schlicht es seinem Hörer entgegen kommt, in seiner kompositorischen Struktur durchaus komplex.


    Die Hauptfigur, die das Klavier im Bassbereich zur melodischen Linie der Singstimme beiträgt, und das dergestalt, dass sie sie vorab, begleitend oder im Nachspiel erklingen lässt, vernimmt man gleich im Vorspiel, und das unter den dreistimmigen Achtelakkord-Gruppen im Diskant, die sich schon im zweiten Takt vom Prinzip der Repetition lösen und sich nach oben hin erweitern, um zum Einsatz der Singstimme hinzuführen. Diese Figur, der man im Lied immer wieder in verschiedenen Varianten begegnet, besteht aus einem aus einem Viertelton hervorgehenden Sekundfall von vier Achteln, der in einen Sprung hin zu einem Sekundfall von zwei länger gehaltenen Tönen übergeht. Dieser Bewegung begegnet man in der melodischen Linie auf den Worten „Weint nicht, ihr Äugelein“ gleich wieder, allerdings ohne den Quintsprung, den die Bass-Figur danach macht. Dabei bleibt es dort aber nicht: Der aus diesem Quintsprung hervorgehende gedehnte Sekundfall geht erneut über einen Quintfall in eine Abwärtsbewegung über, die in sehr tiefe Lage führt und darin die melodische Linie der Singstimme gleichsam weiterführt. Sie konterkariert aber dabei die akkordischen Bewegungen im Diskant, denn diese sind aufwärts gerichtet.


    Schon am Liedanfang wird vernehmlich und erkennbar: Es gibt eine innere Disparatheit in diesem Lied, und sie schlägt sich im dialogischen Verhältnis von Melodik und Klaviersatz nieder, wobei letzterer dieses Disparatheit auch aufweist. Sie führt zwar an keiner Stelle des Liedes zu dissonanten Spannungen, und das ist für eine Komposition von Hugo Wolf durchaus bemerkenswert. Aber vielleicht ist das der Aussage des lyrischen Textes geschuldet und darin nun doch wieder ein Sachverhalt, der typisch für dessen Liedmusik ist. Die kontroverse Bipolarität, die der lyrische Text mit seinen beiden Fragen aufwirft, ist ja doch letzten Ende keine emotional tief bewegende, sondern eine wesenhaft kognitive, die gleichwohl eine emotionale Dimension aufweist. Die Frage „Wer selbst Tod bringt, / Der sollt´ ihn ersehnen?“ unterstellt dem lyrischen Du, das in ihr angesprochen wird, es könne mit seiner Liebe den Tod bringen.


    Der Mittelteil des Liedes reflektiert mit seiner Liedmusik diese Dimension, und der erste und der mit ihm identische dritte Teil wirken im dialogischen Verhältnis von Melodik und Klaviersatz wie ein sinnstiftender Rahmen. Die melodische Linie beschreibt, nun in „lebhafter“ Deklamation drei bogenförmig angelegte Linien, die immer höher ansetzen und in größere Hohen aufsteigen, so dass ein leicht dramatischer Effekt aufkommt, nicht zuletzt deshalb auch, weil damit jeweils harmonische Rückungen verbunden sind und beim letzten Bogen auf den Worten „was trotzt meinen Tränen“ das Klavier mit seinen Akkorden im Diskant der melodischen Aufstiegsbewegung folgt. Die Dynamik hat sich an dieser Stelle vom Forte ins Fortissimo gesteigert, geht aber dann mit einem starken Decrescendo bei der melodischen Fallbewegung auf dem Wort „Tränen“ in ein Piano über. Sie wird vom Klavier im Zwischenspiel unmittelbar darauf in Gestalt von Akkorden nachvollzogen.


    Die melodische Linie im ersten und dritten Teil das Liedes wirkt wie unter der Regie ihres Anfangs stehend: Der Fallbewegung auf den Worten „Weint nicht, ihr Äuglein!“. Auf dem Wort „Weint“ liegt eine Dehnung in Gestalt eines Hohen „D“, dann senkt sich die melodische Linie in Sekundschritten ab, wobei auf der ersten Silbe des Wortes „Äuglein“ ein Legato-Sekundfall liegt. Die Harmonik vollzieht dabei eine Rückung vom anfänglichen h-Moll nach Fis-Dur am Ende. Die „Äuglein“ sollen ja eben nicht weinen. Die melodische Linie auf den beiden nachfolgenden Versen beschreibt eine doppelte Bogenbewegung, die sich bis zu einem hohen „Fis“ hin steigert, und wirkt wie eine Bekräftigung dieser Aufforderung. Die Dynamik geht dabei allerdings vom Forte ins Piano zurück, und es soll ja auch „immer sehr zurückhaltend“ deklamiert werden. Für die melodische Linie auf den Worten „wer tötet durch Liebe“ ist ausdrücklich ein Pianissimo vorgeschrieben. Sie beschreibt eine auf einem „Cis“ in Mittellage ansetzende Sekundfallbewegung, die zu dem Wort „Liebe“ hin in einen Quintsprung übergeht, dem eine mit einem Sekundfall eingeleitete lange Dehnung auf wiederum einem „Cis“ folgt. Die Harmonik rückt dabei von Fis-Dur über die Dominante wieder zurück nach Fis.
    Es ist ein in die Stille zurückgenommener Vorwurf, den das lyrische Ich dem Du hier macht. Gerade deshalb aber wirkt er umso eindringlicher.

  • „Wer tat deinem Füßlein weh?
    La Marioneta,
    Deiner Ferse weiß wie Schnee?
    La Marion?“


    Sag´ Euch an, was krank mich macht,
    Will kein Wörtlein Euch verschweigen:
    Ging zum Rosenbusch zur Nacht,
    Brach ein Röslein von den Zweigen;
    Trat auf einen Dorn im Gang,
    La Marioneta,
    Der mir bis ins Herze drang
    La Marion.


    Sag´ Euch alle meine Pein,
    Freund, und will Euch nicht berücken:
    Ging in einen Wald allein,
    Eine Lilie mir zu pflücken;
    Traf ein Stachel scharf mich dort,
    La Marioneta,
    War ein süßes Liebeswort,
    La Marion.


    Sag´ Euch mit Aufrichtigkeit
    Meine Krankheit, meine Wunde:
    In den Garten ging ich heut,
    Wo die schönste Nelke stunde;
    Hat ein Span mich dort verletzt,
    La Marioneta,
    Blutet fort und fort bis jetzt,
    La Marion.


    „Schöne Dame, wenn Ihr wollt,
    Bin ein Wundarzt guter Weise,
    Will die Wund´ Euch stillen leise,
    Daß Ihr´s kaum gewahren sollt.
    Bald soll Ihr genesen sein,
    La Marioneta,
    Bald geheilt von aller Pein,
    La Marion.“


    Der Dialog zwischen Mann und Frau, den diese Verse eines unbekannten spanischen Autors wiedergeben, ist voll von neckischen Verspieltheiten und amourösen Anspielungen. „La Marioneta“, wie der Herr sie anspricht und sie dies in koketter Weise auch tut, gefällt sich darin, in mehreren, aus der Natur genommenen Metaphern, ihre Verliebtheit anzudeuten und diese als tiefe seelische Verwundung zu deklarieren. Und der Herr seinerseits, der sich mit der Frage nach ihrer „Ferse weiß wie Schnee“ auf übertrieben stilisierter Weise genähert hat, gibt sich am Ende des Dialogs als „Arzt“ aus, der der guten „Marioneta“ baldige Genesung von ihrem angelblichen Leid verschaffen könne. Hugo Wolf hat mit seiner Liedmusik diesen Dialog in seiner fast schon ans Groteske grenzenden abgrundtiefen Geziertheit regelrecht offengelegt. Sie ergeht sich in einer der spanischen Folklore nachempfundenen klanglichen Verspieltheit, die bewusst an der Oberfläche des Geschehens bleiben will und gerade deshalb das Wesen dessen, was sich hier dialogisch ereignet, in einer den lyrischen Text in vertiefenden Weise erfasst.


    Das Lied entstand am Abend des 5. Dezember 1889. Und es ist, wie das vorangehende, mit dem es die Dominanz des Klaviersatzes mit seinen repetierenden Dreier-Akkord-Gruppen und einer das Ganze beherrschenden melodischen Bass-Linie gemeinsam hat, gewiss keines von den Großen dieses Liederbuchs. Aber es geht, wie das auch bei jenem der Fall ist, eine gewisse liedmusikalische Faszination von ihm aus, und wie dort wurzelt diese in einem durchaus kunstvoll gestalteten Zusammenspiel von melodischer Linie der Singstimme und Klaviersatz. Noch stärker als dort ist diese aber hier in diesen eingebettet, wird regelrecht von ihm klanglich umspielt und dabei in ihren Bewegungen begleitet, akzentuiert, konterkariert und nachträglich kommentiert. Was unüberhörbar zu einer klanglichen Dominanz des Klaviers führt. Die Singstimme wirkt dabei so, als würde sie die vielen kleinen Melodiezeilen, in die sich für sie der lyrische Text auflöst, wie vom Klavier getrieben, ja gehetzt, in den Klaviersatz sporadisch einbringen.


    Das gilt allerdings nur für den Mittelteil des Liedes, die „Damenstrophen“ also. Denn sie sind eingebettet in die beiden „Herrenstrophen“ am Anfang und am Ende, und diese heben sich in ihrer Faktur, was Melodik und Klaviersatz anbelangt, deutlich von jenen ab. Während für das Lied, das in einem Sechstachteltakt steht, grundsätzlich die Vortragsanweisung „sehr schnell“ gilt, vermerkt der Notentext für die Liedmusik der letzten Strophe: „bedeutend langsamer“. Zwar steht die erste Strophe auch unter dem Gebot des „sehr schnellen“ Vortrags, aber beiden Strophen ist gemeinsam, dass sich der Klaviersatz hier im Diskant auf Achtelakkord-Repetitionen in Dreiergruppen beschränkt, wobei sich im Bass Achtel in Gestalt einer melodischen Linie bewegen. Und das hat zur Folge, dass die melodische Linie der Singstimme etwas weniger vom Klaviersatz vereinnahmt wird, also in dem, was sie zu sagen hat, etwas stärker in den Vordergrund zu treten vermag. Ihre Struktur lässt dies deutlich erkennen. Anders als bei „la Marioneta“, wo sich die melodische Linie in lebhaftem Auf und Ab über große tonale Intervalle entfaltet, ist sie in den „Herrenstrophen“ – und besonders in der ersten – stark von Tonrepetitionen geprägt.


    Die Fragen, die der Herr an „La Marioneta“ richtet, setzen mit einer Tonrepetition ein, die am Ende in eine kurze Aufwärtsbewegung übergeht. Das geschieht in fis- bzw. a-Moll Harmonisierung, während die Ansprache dann in E-Dur harmonisiert ist. Das Klavier begleitet vorwiegend mit Repetitionen von terzbetonten Akkorden. Bei den „Frauenstrophen“ geht es hingegen zur Entfaltung eines wahren klanglichen Wirbels über. Wenn die Singstimme auf zwei von Pausen eingegrenzten kleinen Melodiezeilen die Worte „Sag´ Euch an“ und „was mich krank macht“ deklamiert, steigen im Diskant d-Moll-Terzen in hohe Lage empor und gehen von dort als Triller-Terzen in eine Fallbewegung über. Das wiederholt sich bei der von einem „A“ in mittlerer Lage zu einem hohen „G“ aufsteigenden melodischen Line auf den Worten „Will kein Wörtchen Euch verschweigen“, wobei die aufsteigenden Terzen die Bewegung der melodischen Linie gleichsam vorwegnehmen.


    Bei den Worten „Ging zum Rosenbusch zur Nacht, / Brach ein Röslein von den Zweigen“, die auf einer mehrfach sich wiederholenden aufsteigenden melodischen Linie deklamiert werden, begleitet das Klavier immerzu mit Triller-Terzen zwischen zwei Akkorden, geht dann zu in hohe Lage aufsteigen Triller-Sekunden über und lässt in dem dreitaktigen Zwischenspiel zwei Mal staccato angeschlagene Einzeltöne aus hoher Lage über eine Oktave in die Tiefe stürzen. Im Bass wird all das mit permanent repetierenden Quinten begleitet, die später in Terzen und in dreistimmige Akkorde übergehen. Man empfindet diesen höchst lebhaften und klanglich brillanten Klaviersatz als klangliche Imagination des „Außerordentlichen“, von dem „La Marioneta“ hier berichtet.


    Erst mit der letzte Strophe kehrt ein wenig Ruhe in dieses Lied ein, in dem sich die melodische Linie in Gestalt von kleinen, durch Viertel- und Achtelpausen voneinander abgegrenzten Melodiezeilen gegenüber dem klanglichen Wirbel, den das Klavier entfacht, zu behaupten versucht. Die melodische Linie auf den Worten „Schöne Dame, wenn ihr wollt“ setzt wieder mit einer Tonrepetition ein und senkt ich dann langsam mit einem doppelten Sekund- und einem Quartfall in untere Mittellage ab. Wenn der Herr sich anbietet, als „Wundarzt“ die „Wunde von La Marion“ zu stillen, bringt er das auf einer mehrfach neu ansteigenden melodischen Linie zum Ausdruck, dies aber „zurückhaltend“ und bei der bogenförmigen Bewegung der melodischen Linie am Ende „noch mehr gedehnt“. Das Klavier beschränkt sich jetzt wieder auf Akkordrepetitionen im Diskant und Bewegungen von Oktaven im Bass, die gegen Ende des Liedes, dort, wo der Herr baldige Heilung verspricht und in die dreifache Anrede „La Marion“ übergeht, zu Bewegungen von einzelnen Achteln werden.


    Die Harmonik, die sich in den Frauenstrophen auch mehrfach im Moll-Bereich bewegte (d-Moll, e-Moll), verbleibt nun völlig im Tongeschlecht Dur. Sie pendelt in der letzten Strophe zwischen H-Dur und Fis-Dur hin und her, und die Fallbewegung der melodischen Linie auf den Worten „daß Ihr´s kaum gewahren sollt“ mündet am Ende in ein Cis-Dur. Bei der dreifachen Ansprache „la Marion“ beschreibt die melodische Linie eine bogenförmige Bewegung aus Quart- und Sekundsprung, die in einen Terzfall mit Dehnung mündet. Die Harmonik rückt dabei jeweils von E-Dur nach A-Dur.

  • Deine Mutter, süßes Kind
    Da sie in den Weh´n gelegen,
    Brausen hörte sie den Wind.


    Und so hat sie dich geboren
    Mit dem falschen wind´gen Sinn.
    Hast du heut ein Herz erkoren,
    Wirfst es morgen treulos hin.
    Doch den zähl´ ich zu den Toren,
    Der dich schmäht der Untreu wegen:
    Dein Geschick war dir entgegen;
    Denn die Mutter, süßes Kind,
    Da sie in den Weh´n gelegen,
    Brausen hörte sie den Wind.


    Bei dem lyrischen Text, der diesem Lied zugrundeliegt, handelt es sich nicht um eine Übertragung aus dem Spanischen, sondern um ein Original von Heyse selbst. In seinem Zentrum steht das Bild eines Menschen, der in hintergründig zweideutiger Weise als „süßes Kind“ tituliert und dem vorgehalten wird, er habe einen „falschen windigen Sinn“, werfe den am nächsten Tag weg, den er heute erkoren habe. Und in fast schon höhnisch anmutender Weise wird dies, in refrainhafter Weise, darauf zurückgeführt, dass die Mutter in den Wehen den Wind habe „brausen“ hören.


    „Wind“ und „windig“ sind also die lyrisch zentralen Worte. Und Wolfs Liedmusik auf dieses Heyse-Gedicht lässt das in überaus markanter Form vernehmen: In einem Klaviersatz, der von einer regelrecht „windig“ anmutenden Figur beherrscht und geprägt ist; in einer melodischen Linie, die von kleinen Zeilen unruhiger und große Intervalle durchlaufender Bewegung zerstückt wirkt und zu keiner inneren Einheit zu finden scheint; und von einer Harmonik, die weder in einer Tonart, noch in einem Tongeschlecht festen Halt zu finden vermag. Fis- Moll ist bei dieser Komposition, die am Nachmittag des 2. April 1890 entstand und einen Sechsachteltakt aufweist, zwar als Grundtonart vorgegeben und das Lied setzt auch damit ein und endet darin, dazwischen aber schweift die Harmonik durch die Tonarten „H“, „Cis“ und „Gis“, und die Melodiezeilen sind dabei zumeist so angelegt, dass die Harmonisierung in Moll einsetzt und, nach eventuellen Modulationen im Rahmen dieses Tongeschlechts, in Dur endet.


    Die Figur, die den Klaviersatz durchgehend prägt, dies natürlich in vielerlei Varianten, erklingt gleich am Anfang des Liedes, dessen „Vorspiel“ aus nur einem arpeggierten fis-Moll-Akkord besteht: Drei Mal folgt eine Kombination aus einem Sechzehntel-Sekundsprung, der in einen Sekundfall in ein Achtel mündet, aufeinander, und nach zwei Achtel-Terzen, die nachfolgen, rauscht eine Sechzehntel-Terz in die Höhe. Man empfindet diese Figur, vor allem deshalb, weil sie einem unablässig begegnet, als höchst eindrückliche klangliche Imagination von „Wind“ und „Windigkeit“, dem substanziellen lyrischen Zentrum des Liedes. Nur an zwei Stellen nimmt der Klaviersatz eine andere Gestalt an, und das ist bemerkenswert: In dem kurzen Zwischenspiel nach der einleitenden Strophe und bei der Liedmusik zu den Worten „Hast du heut´ ein Herz erkoren, / Wirfst es morgen treulos hin.“


    Es sind die Stellen, an denen das Klavier in seiner Begleitung der melodischen Linie der Singstimme von seiner klanglich imaginierenden Funktion zu einer gleichsam kommentierenden übergeht. Nachdem die Singstimme die Worte „Brausen hörte die den Wind“ auf einer melodischen Linie deklamiert hat – und das tut sie ja zwei Mal -, die aus einem aus hoher Lage erfolgenden Quintfall in eine neuerliche Aufstiegsbewegung übergeht und sich dann am Ende einer langen Dehnung auf dem Wort „Wind“ überlässt, geht das Klavier, abweichend von seiner Hauptfigur, zu einem in Sekunden erfolgenden Auf und Ab von Sechzehnteln und Achteln in hoher Lage über, das am Ende, ganz im Gegensatz zur Hauptfigur, in einen triolischen Achtel-Absturz mündet. Und das will wohl sagen: Dieses Brausen des Winds hatte üble Folgen. Die andere Stelle, an der der Klaviersatz von seiner Hauptfigur abweicht, ist wohl ähnlich zu interpretieren. Wenn das lyrische Ich dem „süßen Kind“ vorhält, es werfe die Herzen, die es gerade „erkoren“ hat, am nächste Tag wieder weg, dann geschieht das auf einer melodischen Linie, die sich aus hoher Lage in Sekundschritten absenkt, bei dem Wort „morgen“ kurz auf einen „As“ in mittlerer Lage verharrt, dann aber am Ende dem Wort „treulos“ mit einem Quintsprung und nachfolgendem Sextfall zu dem Wort „hin“ einen starken Akzent verleiht. Das Klavier begleitet das mit – zum Teil staccato angeschlagenen – Oktaven im Diskant und geht dann bei dem Wort „treulos“ zur Artikulation von zwei nach oben gerichteten Ketten von Sechzehnteln über.


    Die melodische Linie ist, wie das ja für Wolf typisch ist, auch in diesem Lied konsequent wortorientiert in dem Sinn, dass sie die syntaktische Struktur und die Semantik des lyrischen Textes in ihrer eigenen Struktur reflektiert. Und wenn, wie das hier der Fall ist, der lyrische Text nicht metaphorisch ausgerichtet ist, sondern in hohem Maße rational-gedanklich, insofern er weitgehend aus Feststellungen, Vorwürfen und Vorhaltungen besteht, dann schlagt sich das in der Weise in der melodischen Linie nieder, dass sie wenig „melodiös“ ist, im Sinne einer weiter gespannten und auf innere Bindung der einzelnen deklamatorischen Schritte ausgerichteten Phrasierung. Bei der Melodik der ersten Strophe ist das bereits ganz deutlich ausgeprägt. Auf den Worten „Deine Mutter“, „süßes Kind“ und „da sie in den Weh´n gelegen“ liegen drei kleine, von Pausen gegeneinander abgehobene Melodiezeilen, die aus über kleine Intervalle erfolgenden deklamatorischen Schritten bestehen, wobei die Worte „Kind“ mit einem kleinen Quintfall und „gelegen“ mit einem Quartsprung einen besonderen Akzent erhalten. Nur bei „brausen hörte sie den Wind“ ist die melodische Linie ein wenig stärker auf kantable innere Bindung hin angelegt: Durch Dehnungen auf den Worten „brausen“ und „Wind“.

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