Die Versuchung ist groß, den berühmten Jägerchor so umzuformulieren, wenn man am Samstag den 30. Juli die zweite Aufführung von Carl Maria von Webers Freischütz bei den Zwingenberger Schlossfestspielen miterleben durfte. Schon der Aufführungsort im Schlosshof - eine der schönsten historischen Anlagen mit mächtigen Mauern und Türmen -schafft die romantisch märchenhafte Stimmung für Webers Meisterwerk. Ein Meisterwerk ist auch die ungewöhnlich lebendige, turbulente, witzig- ironische Inszenierung, die dem Stuttgarter Michael Gaedt bei seiner ersten Opernregie gelungen ist. Auf einer mehrstufig gebauten Bühne gelingt es dem Regieteam einen farbenfrohen Rummelplatz zu schaffen, der zudem für alle Akte einen perfekten Rahmen liefert. Eine Glücksbude, Schießplätze, Geisterbahn und ein nostalgisches Motorrad suggerieren Volksfeststimmung. Das Ungewöhnliche
sind jedoch die vielen witzig-ironischen Gags, die der Regisseur Gaedt mit dem sicheren Instinkt des erfahrenen Comedian genau passend zur Handlung gefunden hat. Alles sitzt, nichts gleitet ins plump Kitschige ab. Ein weiterer Trumpf dieser Aufführung ist der semiprofessionelle Chor, zusammengestellt aus Sängerinnen und Sängern der Region und das Volk. Was hier sängerisch und schauspielerisch geleistet wird ist erstaunlich und Beweis für eine gelungene Personenregie. Schon von Anfang an stürmen alle Mitwirkenden die Bühne. Temperamentvolles Opernspectakulum vom ersten Takt der berühmten „Freischütz“-Ouvertüre an. Dirigiert werden die Massen vom Erbförster Kuno, von Werner Pürling bühnenfüllend und stimmmächtig dargestellt. Der Spottchor wird von Bejamin Schuster als jugendlich stimmschöner Kilian angeführt.
Nun aber zu den Regieeinfällen, die der Handlung so ungewöhnlich neue und frische Impulse gegeben haben: Max, der als Rocker auftritt - ein Outfit, das überhaupt nicht stört - schießt seine erste Freikugel nicht auf einen Adler ab, sondern auf einen großen Luftballon, dessen leere Hülle dann das Brautkleid für Agathe werden soll, Samiel ist die Stuttgarter Zauberkünstlerin Roxana, die als fabelhaft aussehende rote Teufelin mit ausdruckvoller Körpersprache das Geschehen lenkt. Die Wolfsschluchtszene dominieren weiße umherirrende Gespenster. Kilian füllt eine Waschmaschine mit Geisterwäsche und undefinierbaren Gegenständen. Wie von Geisterhand fängt die Zaubermaschine an zu tanzen und produziert offenbar die explosive Füllung der sieben Freikugeln, die von Roxana dann hervorgezaubert werden. Weitere heitere Höhepunkte sind, als das Scheusal Kaspar in einer großen Mülltonne entsorgt wird und der seine Mahnungen verkündende Eremit, eindrucksvoll gesungen von Cornelius Hauptmann, sich in einer Art himmlisch-höllischer Ökumene mit der Teufelin Roxana vereint. Als am Ende gar Max und mit dem nostalgischen Motorrad in der Hand mit seiner Agathe in das Probejahr stürmt, ist die Stimmung nicht mehr zu toppen.
Die wehmütig sorgenvolle Stimmung von Agathe im Försterhaus mit den Aufheiterungsversuchen von Ännchen werden überzeugend realisiert, weil Agathe und Ännchen , ihrem Rollentyp ideal entsprachen. Ännchen liebreizend aussehend und gestaltet von Xenia von Randow singt die heitere Romanze „Einst träumte meine selige Base“ mit jugendlich schlankem Sopran und dem geforderten heiteren Ausdruck.
Agathe sang ihre anspruchsvolle Arie „Wie nahte mir der Schlummer“ mit Bravour und einem technisch gut geführten, in allen Lagen perfekt ansprechendem Sopran. Richtig zu Herzen gehend war das Lied „Wir winden Dir den Jungfernkranz“ vom Chor und Kindern als abwechslungsreiche Polonaise tänzerisch dargebracht.
Weitere Asse waren die beiden Jägerburschen. Kaspar verkörperte der agil wendige Kai Preusker, der die beiden gefürchteten Arien stimmschön und mit ausgezeichneter Wortverständlichkeit sang. Selbst die gefürchteten Stellen in der Arie „Schweig, schweig, damit dich niemand warnt“ wurden ausgezeichnet gemeistert. Was dem jungen Bassisten in der Tiefe noch fehlt, kompensierte er mit Verve und Schwung im Vortrag. Der Tenor Thorsten Büttner hat sich das jugendlich-heldische Fach endgültig erobert. Seine Stimme zeichnet sich durch Volumen, vollen Klang und Strahlkraft in der Höhe aus. Dazu kommt, dass er bereits gesanglich differenziert gestaltet. Seine Arie „Durch die Wälder, durch die Auen“ war der bejubelte sängerische Höhepunkt des Abends.
Das vom Intendantender Festspiele Rainer Roos als Dirigent geleitete Orchester begleitete die Sänger aufmerksam und sicher. Die geniale Ouvertüre wurde sauber und klangschön serviert. Eine besondere Herausforderung für den Dirigenten und alle Mitwirkenden war die erhöhte, entfernte Position des Dirigenten. Offenbar war so gut probiert worden, dass fast alle Einsätze einwandfrei klappten.
Es ist kaum möglich, den ganzen Zauber und die Originalität dieses „Freischütz“ treffend zu beschreiben. Man muss diese Aufführung, den Ort, die Begeisterung der Mitwirkenden, das Engagement eines ganzen Ortes und die Einmaligkeit dieser ungewöhnlichen Inszenierung einfach erleben. Hoffentlich gibt es Aufzeichnungen. Alle Diskussionen über modernen oder traditionellen Inszenierungsstil sind hier überflüssig. Die Märchenoper wurde handlungsgerecht, stimmig, voll gelungen, mit neuen Ideen erzählt und dargestellt. Deshalb lautet mein abschließendes und anerkennendes Fazit: So muss Oper sein!
Herzlichst
Operus
Aus Angst, dass mir die umfangreiche Besprechung abhaut schrieb ich sie in Word. Dann kopierte ich diese ins Forum und wieder war es vermurkst, denn die Zeilen sind nur halb gefüllt. Sorry, ich werde es wohl nie lernen.