Opernästhetik

  • Zitat

    Ich halte es aber für irreführend, dass das der Normalfall wäre (...)


    Ich glaube und hoffe, dass niemand diese Meinung vertritt. Indes: Das Leugnen diverser Einzelfälle führt auch nicht weiter.


    Um etwas Konstruktives zum Thread beizutragen: Gerade im literarischen Bereich bedeutet moderne Regie oft den Verzicht auf quasi naturalistische Kulissen zugunsten denkbar karger Einzelelemente, idealerweise mit Symbolkraft. Selbst wenn ich jetzt die gemäßigten Freunde des klassischen Bühnenbildes gegen mich aufbringe: Ich halte viel von einem solchermaßen herbeigerufenen Druck, sich auf die Musik zu konzentrieren sowie auf Mimik, auf Gestik, auf Pausen und auf Bewegungsimpulse. Ich glaube noch nicht einmal, dass das rein Konzertante dem Opernerlebnis wirklich schaden muss, habe dies auch schon selbst erfahren.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Um etwas Konstruktives zum Thread beizutragen: Gerade im literarischen Bereich bedeutet moderne Regie oft den Verzicht auf quasi naturalistische Kulissen zugunsten denkbar karger Einzelelemente, idealerweise mit Symbolkraft. Selbst wenn ich jetzt die gemäßigten Freunde des klassischen Bühnenbildes gegen mich aufbringe: Ich halte viel von einem solchermaßen herbeigerufenen Druck, sich auf die Musik zu konzentrieren sowie auf Mimik, auf Gestik, auf Pausen und auf Bewegungsimpulse. Ich glaube noch nicht einmal, dass das rein Konzertante dem Opernerlebnis wirklich schaden muss, habe dies auch schon selbst erfahren.

    Da bin ich ganz bei dir! Ich brauche auch keinen Plüsch!

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da bin ich ganz bei dir! Ich brauche auch keinen Plüsch!


    Das freut mich, das wusste ich auch. Und genau hier liegt dann auch der dialektische Gegenpart: Jede aufdringliche moderne Verfremdung - mag man das nun wertend benennen, wie immer man will -, umso mehr jede plump modernistische, also alle die Nazi-Kostümierungen und Körpersaftspritzer und und und ... was außer Sensationsgier, knüppeldicker Billig-Belehrung über das Oberflächliche einer Deutung, Gleichmacherei, Selbstdarstellung des Regisseurs zeigen sie denn auf ?? Sicherlich: Es wird Ausnahmen geben: originelle, wirklich zielführende. Wenn aber der Regisseur selbst erklärt, dass es ihm um nichts anderes geht -- bittebitte: Nicht schon wieder behaupten, dies sei nicht möglich, und Beweise fordern; ich nehme schon lange nicht mehr ab, dass eine solche Forderung aufrichtig gemeint sein kann -- wer kann von mir verlangen zu akzeptieren, nachzuvollziehen, dass hier die Provokation per se ein neues Konzept darstellt - wenn ich genau weiß, dass es eben nur Mode ist, wenn es sich nur einreiht in die Schar des aktuell Immergleichen??


    NB: Ich weiß, dass Internet-Kommunikation mit anderen Mitteln funktioniert - dennoch: Wie oft - ich wiederhole: wie oft - wurden genau diese Argumente jetzt eigentlich schon angeführt, mit unterschiedlichen Worten, aber wahrlich auch schon von jedem, meist mehrfach von diesem und dieser jeden ...... Fragezeichen ...... :cursing:


    :P:hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Jede aufdringliche moderne Verfremdung - mag man das nun wertend benennen, wie immer man will -, umso mehr jede plump modernistische, also alle die Nazi-Kostümierungen und Körpersaftspritzer und und und ... was außer Sensationsgier, knüppeldicker Billig-Belehrung über das Oberflächliche einer Deutung, Gleichmacherei, Selbstdarstellung des Regisseurs zeigen sie denn auf ??

    Und auch hier bin ich ganz bei dir! Deswegen finde ich ja auch diese entweder-oder-Diskussionen so furchtbar. Wenn es diese extremen Auswüchse nicht gäbe, hätte das moderne Regietheater auch nicht solche Akzeptanzprobleme und würde als zeitgenössisches Theater viel stärker akzeptiert werden, als es so der Fall ist.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ganz genau. Doch es gibt diese extremen Auswüchse eben - vielleicht nicht so häufig, wie manche meinen, aber eben in Gestalt einer Mode, im üblichen und im schlechten Sinne des Wortes. Es ist keine bewusste ästhetische Haltung, davon bin ich fest überzeugt - dies mag sie einst gewesen sein -, es ist eine heuchlerische Form von Provokation, hinter der alles andere stehen mag, nur eben nicht Überzeugung, persönlicher Stil, Aufrichtigkeit. Leide ich hier unter Voreingenommenheit, mache ich es mir zu einfach? Noch habe ich aber in diesem Forum nicht sonderlich viel gelesen, das mich hier eventuell widerlegen könnte. Man kann lange streiten über Biogasanlagen und dann würde ich mitstreiten. Aber es muss dabei etwas Konkretes ausgesagt werden, es sollte auch etwas Konkretes seitens des jeweiligen Regisseurs ausgesagt sein, das hinausweist über nichtssagende Sprechblasen bezüglich einer persönlicher Befindlichkeit oder eben der bewussten Vermeldung einer Provokationsabsicht. Dann können wir weiterreden. Biogasanlagen finde ich merkwürdig, aber die Inszenierung kenne ich nicht und werde mich gewiss zurückhalten. Sei's drum. Doch gewisse Plumpformen, die zum hundertsten Mal Tabus mit Gewalt brechen wollen, fühle ich mich nicht verpflichtet, zu verinnerlichen und ernst zu nehmen. Dafür stehe ich gerade.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Doch gewisse Plumpformen, die zum hundertsten Mal Tabus mit Gewalt brechen wollen, fühle ich mich nicht verpflichtet, zu verinnerlichen und ernst zu nehmen.

    Und auch da bin ich wieder ganz bei dir! Die kann ich auch nicht mehr ernst nehmen! :yes: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Da sind wir uns vielleicht alle einig, aber hilft eben nichts.
    Wenn ich einmal Freiheiten zulasse, muss ich auch mit gelegentlichem Blödsinn rechnen. Das ist bei der musikalischen Interpretation nicht anders. Christian Zacharias hat schon vor etwa 30 Jahren in Aufnahmen von Mozartkonzerten (allerdings erst in der Kadenz) eine Schellack-Aufnahme der Don Giovanni-Ouverture (im d-moll) und ein Glockenspiel (weiß nicht in welchem) hereingemixt. Und einige Interpretationen ohne Gimmicks sind ähnlich provokant (z.B. von Glenn Gould). Oder Minimalbesetzungen vs. spätromantische Bearbeitungen von Barockmusik usw. Von einer erhellenden Andersartigkeit bis zur grotesken Verzeichnung ist es oft nur ein kleiner Schritt.
    Wer viel riskiert und viele Freiheiten zulässt, kann eben auch grandios (oder schlicht peinlich) scheitern.


    Der von Euch geschätzte Minimalismus erntete vor 60 Jahren, als Wieland Wagner mit der "leeren Bühne" anfing, verbreitet Hohn und Spott, und es gibt zahlreiche andere Beispiele, die inzwischen bei den meisten anerkannt sind, seinerzeit für Befremden sorgten (und wie oft lese ich hier von Teilnehmern Ensetzen über aus meiner Sicht völlig harmlose "Abweichungen").
    Bloß weil kaum ein heutiger Regisseur ein Wieland Wagner ist, kann man aus "quod licet Iovi..." eben keine Regel machen, weil man vorher nicht immer weiß, wer sich als Zeus und wer als Ochse herausstellen wird. Die Freiheit gilt für die Ochsen genauso.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Beweise finden sich im Kontext des Weikl-Artikels.

    Naja. Wenn ein Historiker in 100 Jahren über das RT-Theater forscht, wird er besonders diese "Quelle" (Zitate ungeprüft aus 2. oder 3. Hand, verkürzt und skandalheischend zusammengebastelt) wohl kaum als seriöse betrachten können.


    Wenn ein Regisseur mir erklärt, er könne mit der Musik nichts anfangen, mit der er sich befasse, kann ich mich mit ihm nicht ernsthaft auseinandersetzen. Wenn Du Dich dazu berufen fühlst, dies zu tun, bist Du offensichtlich stärker als ich bereit, Dich um der Theorie oder um des Prinzips willen zu verbiegen.

    Von Schönberg stammt der irritiertende Satz: "Wenn ich ein Gedicht vertone, brauche ich den Text gar nicht zu kennen!" Darüber könnte ich mich nun aufregen, anfangen zu psychologisieren (Schönberg ist rücksichtslos, was Texte angeht oder ignorant), oder weiter gehen und sagen: Schönberg will gar nicht wirklich vertonen. Ich kann aber auch davon absehen und fragen: Was steckt dahinter für eine ästhetische Auffassung des Verhältnisses von Text und Musik? - wenn ich der provozierenden Formulierung mal nicht auf den Leim gehe. Ebenso wäre es doch möglich, dass dieser Regisseur meint, Oper sei verstaubt und bedürfe die Anpassung an das moderne Sprechtheater. Dann will er vielleicht damit sagen: Ich brate Musiktheater keine Extrawurst, sondern verfahre hier genauso, als wenn es sich um Sprechtheater handeln würde.


    Das hat noch nicht einmal etwas damit zu tun, dass ich hier schon jemals die Erfahrung gemacht hätte, der zufolge Du von Deiner Konzeption aufgrund der Argumentation anderer abweichen würdest


    Was ich sehr wohl glaube, dass es gibt - auch wenn Du es Dir offenbar
    nicht vorstellen kannst - sind Regisseure, die Dich auslachen würden,
    würden sie Dich erleben.

    "Konzeption" ist ja auch etwas viel verlangt. Wer ändert schon seinen religiösen Glauben deshalb, wenn er dem Andersgläubigen auch mal Recht gibt? Ich unterstelle mal, dass meine "Konzeption" eine weit größere Toleranzbreite hat als viele RT-Gegner das öffentlich zeigen mit ihrer Haltung polemischer Ablehnung. ;)


    Letzteres werde ich bei nächster Gelegenheit ausprobieren. Mir ist nämlich nachträglich klar geworden, dass die Münsteraner Regie bei "Hoffmanns Erzählungen" Elemente aus dem Brecht/Weill-Theater verwendet, aber dabei das Kunststück versucht, diese romantischer Oper nicht wie es der Intention des Brecht-Theaters entspräche, zu entromantisieren. Keine der Kritiken, die ich im Netz gelesen habe, ist das irgendwie aufgegangen oder hat das gewürdigt. Mal sehen, ob der Regisseur, wenn ich ihn darauf bei nächster Gelegenheit daraufhin anspreche, das lächerlich findet. Persönlich vorgestellt bei ihm habe ich mich ja bereits. :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Inhaltlich liegen wir vermutlich kaum auseinander.


    Du wirst indes nicht erwartet haben, dass ich Deine letzte Antwort als ein Entgegenkommen an meine Position empfinde. Ich sehe den Deinigen nun auch nicht unbedingt als Beitrag zu einem ernstzunehmenden wissenschaftlichen Diskurs. Denn dort (bei Dir), wo ich Dir gerne zustimme, sind keine strittigen Punkte betroffen, und dort (bei mir in dem letzten halben Dutzend Postings), wo ich mich über eine positive Stellungnahme tatsächlich gefreut hätte, hältst Du Dich bedeckt.


    Mir ist klar, dass Du Dich nicht mit einem Regisseur umgibst, der Dich voraussichtlich auslachen wird. Mir ist ebenso klar, dass die Bernd-Weikl-Quelle in hundert Jahren niemanden als Beweis für irgendetwas interessieren wird. Trotzdem stellt sich mir die Frage, worauf Du eigentlich hinaus willst. Und mir wird immer klarer, dass es eigentlich nur noch um eines geht - allen dialektischen Spitzfindigkeiten und Verrenkungen zum Trotze und diese hinter sich lassend. Mein Weltbild enthält den Typus des Regisseurs, den ich ablehne, so wie es Architekten und Köchinnen gibt, Metzgerinnen und Erzieher und Päpste, die ihren Beruf besser nicht ausüben sollten. Du hebst den Künstlertypus schlechthin auf eine ideale Ebene und rückst davon keinen Deut ab. Dies geschieht auf derart groteske Weise, wie man sie eigentlich nur bei Fundamentalisten antrifft. Ich nehme an: Du bist kein Fundamentalist. Spielst Du die Rolle aus wissenschaftlichen Erwägungen heraus? Du spielst sie gut.


    Nichts für ungut!


    Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Auch historisch ist doch fragwürdig, wenn ein Stück, das seinerzeit brisant und provokant gewesen ist (Da-Ponte-Opern, La Traviata, Tannhäuser, Tristan usw.), heute nur noch als gepflegte Unterhaltung wahrgenommen wird.


    Könnte man meinen, doch gibt es genug Gründe warum das in gewissen Fällen so sein muss.
    Reden wir vom Tristan, dann ist die Provokation musikalischer Natur und will man sie der Moderne anpassen muss man konsequenterweise das Notenbild verändern, was wohl nicht gestattet ist. Wie auch, Vierteltöne einbauen und orientalische Sänger verpflichten?


    Beim Tannhäuser dagegen hat der Regisseur natürlich die Wahl ein Märchen zu erzählen, an das niemand glaubt oder die Handlung auf ein symbolisches Niveau zu verlagern.
    Geht jedoch der Erlösungsgedanke verloren, ist es eben kein Tannhäuser mehr.
    Die Traviata und mit ihr viele andere Opern sind entweder Sittengemälde ihrer Zeit oder geben historische Geschehnisse wieder, wenn auch oft arg verfälscht wie z.B. im Don Carlo.


    Dagegen hält sich der Boris Godunov eng an die überlieferte Historik. Warum sollte man hier korrigieren? Der Verdacht liegt nahe, dass ein Intendant eher auf die Kosten schaut als auf den künstlerischen Output, wenn er den Zaren im Straßenanzug anstatt im teuren Brokatgewand erscheinen lässt. Das ist verständlich in der heutigen Situation, aber man sollte die Meinung akzeptieren, dass damit ein künstlerischer Verlust entsteht, denn es ist nun einmal so, dass viele Opern keine großen Eingriffe vertragen ohne an Substanz zu verlieren. Wie auch, wenn nicht in herkömmlicher, meinetwegen auch biederer Weise, könnte man den Charme des einstigen böhmischen Landlebens und die damaligen Praktiken der Heiratsvermittlung vermitteln, wenn nicht in genauer, historischer Gestaltung? Da müssen auch die Kostüme stimmen, anders geht es eben nicht.


    Es versteht sich, denke ich von selbst, dass man nicht jeder beliebigen Oper ein modernistisches Mäntelchen umhängen kann, ohne deren künstlerischen Wert zu mindern. Ein Regisseur, der Wagners Musik nicht versteht und daher nur den Text beachtet, wird es schwer haben, ein stimmiges Gesamtbild zu schaffen. Irgendetwas ist dann bestimmt falsch daran und selbst einem Regisseur-Genie wird nichts Anderes als eine Verfälschung gelingen, mag sie auch noch so gekonnt sein.


    Das ist hier kein Plädoyer gegen das Regietheater im Allgemeinen, sondern ein Argument gegen die Wahllosigkeit der Eingriffe.
    Ich denke, dass ich nicht daneben liege, wenn ich annehme, dass einem bestimmten Werk ein gewisses Quantum Freiheitsgrade in der Gestaltung zugeordnet ist. In deren Rahmen sollte ein verantwortungsvoller Regisseur seine Arbeit oder Kunst verrichten, anstatt, wie es doch nachweislich geschieht, sich auf Kosten des Werkes einen Namen zu machen.


    Die historische Fragwürdigkeit, die Johannes meint, müssen wir in passenden Fällen eben hinnehmen, wenn nicht der Eindruck entstehen soll, dass hier ein Jünger von Prokrustes durch Abhacken oder Dehnen der Gliedmaßen das Werk dem Bett seiner eigenen Vorstellung zurecht gestutzt hat.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • 1799er hami! (Man kann einen Satz nicht mit Kleinbuchstaben beginnen, will man korrektes Deutsch schreiben.)


    Ich bin ohnehin kein großer Opernkenner, falls ich das erst dreiundzwanzig Mal gesagt haben sollte. Woran könnte es liegen, dass ich Deinem Beitrag (und dem von Dir beantworteten natürlich ebenso) mit Gewinn folgen konnte?


    ?( Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Woran könnte es liegen, dass ich Deinem Beitrag (und dem von Dir beantworteten natürlich ebenso) mit Gewinn folgen konnte?


    Gesunde Gene sind wohl eine Voraussetzung, denke ich und natürlich Deutschkenntnisse die etwa dem Niveau eines finnischen Realschulabschlusses mit Deutsch als Drittsprache entsprechen.
    Opern sind gewiss nicht jedermanns Sache, aber so schlecht wie ihr Ruf sind sie sicher nicht, da kann nicht einmal der Richard Wagner etwas daran ändern. Außerdem kann man ja mit Richard Strauss beginnen, sollte man sich als Anfänger fühlen. Es lohnt sich, wirst Du sehen.


    Übrigens, ich sehe deutsche Anredepronomen immer öfter klein geschrieben. Ist das jetzt die Regel?

  • Zitat

    Zitat von Hami: Übrigens, ich sehe deutsche Anredepronomen immer öfter klein geschrieben. Ist das jetzt die Regel?

    Lieber Hans,


    es ist so. Mit der Rechtschreibreform wurde eingeführt, dass "du" und "ihr" auch in Briefen kleingeschrieben wird. Groß bleibt lediglich das Anrede-Sie und die davon abgeleitete Form "Ihr". Ich habe mich damals auf die neue Rechtschreibung umgestellt. Mit einer Reform der Reform wurden dann beide Versionen zugelassen. Ich habe mich dann nicht noch einmal umgestellt und wende weiterhin die Kleinschreibung an, weil ich das "du" und "ihr" nur in Briefen schon früher für eine unsinnige Regel hielt.
    Aber das gehört nicht hierhin, ich wollte lediglich deine Fragen beantworten.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Mir ist klar, dass Du Dich nicht mit einem Regisseur umgibst, der Dich voraussichtlich auslachen wird.

    Wer soll das bitte sein? Bislang habe ich bisher nur solche kennengelernt, die über Euch lachen! :D


    Mir ist ebenso klar, dass die Bernd-Weikl-Quelle in hundert Jahren niemanden als Beweis für irgendetwas interessieren wird.

    Außer ein paar RT-Gegnern interessiert diese dubiose Quelle auch heute schon niemanden! (Dazu haben Dieter Stockert und Bertarido ja schon Passendes gesagt.)


    Trotzdem stellt sich mir die Frage, worauf Du eigentlich hinaus willst. Und mir wird immer klarer, dass es eigentlich nur noch um eines geht - allen dialektischen Spitzfindigkeiten und Verrenkungen zum Trotze und diese hinter sich lassend. Mein Weltbild enthält den Typus des Regisseurs, den ich ablehne, so wie es Architekten und Köchinnen gibt, Metzgerinnen und Erzieher und Päpste, die ihren Beruf besser nicht ausüben sollten. Du hebst den Künstlertypus schlechthin auf eine ideale Ebene und rückst davon keinen Deut ab. Dies geschieht auf derart groteske Weise, wie man sie eigentlich nur bei Fundamentalisten antrifft.

    Wenn man Menschen nicht vorverurteilt und in Klassen von gut und böse einteilt ist man nach traditionellem Verständnis kein Fundamentalist, sondern ein Skeptiker. Zu welcher Kategorie gehören wohl RT-Gegner, die a priori aus "Prinzip" wissen, was ein "böser" und ein "guter" Regisseur ist, von dem sie meist weder etwas gehört und gesehen haben noch sich die Mühe machen, ihn zu verstehen - statt dessen kräftig "psychologisieren" und polemisieren?


    Ich nehme an: Du bist kein Fundamentalist. Spielst Du die Rolle aus wissenschaftlichen Erwägungen heraus? Du spielst sie gut.

    Das hoffe ich doch. Denn es ist eine große Befriedigung, vielleicht doch für ein bisschen Gerechtigkeit sorgen zu können gerade auch für die, die man so gerne mit Verachtung überschüttet!


    Schöne Grüße
    Holger

  • diese dubiose Quelle


    Ja, Professor Bernd Weikl ist in Bezug auf das Operngeschehen bestimmt eine dubiose Quelle. Gut, dass es Philosophen gibt, die neulich mal in der Oper waren und uns viel objektiver darüber aufklären können, was von der heutigen Oper in Praxis und Theorie zu halten ist.

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."




  • Aber lieber Herr Doktor,
    Du wirst mir doch nicht einreden wollen, dass Du über die semantische Funktion der Worte "abdriften" und "berufen" nicht Bescheid weißt.

    Die Aufregungverstehe ich erhlich gesagt nicht. Es gibt entweder mit Horaz die Verbindung von prodesse und delectare oder es polarisieren beide. Das ist erst einmal ein deskriptiver Befund von einem, der "mit dem Hammer" philosophiert. :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Wer soll das bitte sein? Bislang habe ich bisher nur solche kennengelernt, die über Euch lachen! :D


    Falls Du damit mich meinst, muss ich Dich enttäuschen. Ich bin kein Regietheater-Gegner, wie ich oft genug gesagt habe. Und pass lieber auf, dass Deine Studenten nicht viel mehr lachen, nämlich hinter Deinem Rücken über Dich "Skeptiker" - köstlich, hat Schwejk'sche Qualitäten!


    EDIT: Danke für Deinen Einwurf, hasiewicz. Es wird Dir dennoch nichts nützen. Du könntest auch Deinem Nachthafen von der Relativitätstheorie predigen.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Es gibt entweder mit Horaz die Verbindung von prodesse und delectare oder es polarisieren beide. Das ist erst einmal ein deskriptiver Befund von einem, der "mit dem Hammer" philosophiert


    An den Horaz hatte ich nicht gedacht, sondern eher an Sigmund Freud.
    Dem Horaz will ich natürlich nicht widersprechen, erlaube mir aber "die submisseste Bemerkung", dass der Rosenkavalier keineswegs eine Fabel ist und das einzig Lehrreiche daraus ist, dass a gschäata Hammi koa jungs Maderl heiratn soi blos wuis vui Goid hot.
    Man sollte eben nur dort belehren, wo es einen Sinn macht. Die Sonne als Wasserstoffbombe von einem Astronomen erklärt oder als Lebensspender von einem Dichter besungen bleibt sich gleich. Doch alles eben am rechten Ort zur rechten Zeit. Das ist, lieber Herr Doktor, eine Sache des Fingerspitzengefühls. Wie wir doch schon wissen, hat der heutige Überschuss an Information und Belehrung nicht die Menschen klüger und auch nicht besser gemacht, denn moralisch ist ganz Europa schon im Schlamm versunken, wie es die Behandlung der Menschen zeigt, die jahrelang unter furchtbarem Terror gelitten haben und jetzt auf unsere Hilfe angewiesen sind.


    Da spielt es doch keine Rolle mehr, dass wir zur "Unterhaltung abdriften" anstatt uns von einem "berufenen Regisseur" belehren zu lassen. Wie gesehen, bleibt der Erfolg im letzteren Falle aus.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Da spielt es doch keine Rolle mehr, dass wir zur "Unterhaltung abdriften" anstatt uns von einem "berufenen Regisseur" belehren zu lassen. Wie gesehen, bleibt der Erfolg im letzteren Falle aus.


    Nun weiß ich nicht, was in solchem Falle der Apotheker Herrn Doktor K. empfiehlt, bei Dir und mir ist der Hopfen indes verloren. Lasset uns ans Malz uns heften!


    Noch ein wenig Ernst: Ich will nicht verhehlen, dass mir Deine Replik ansonsten Respekt abnötigt, vielleicht sogar einen Schuss neidlosen Neid, sozusagen.

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat Holger Kaletha

    Zitat

    Naja. Wenn ein Historiker in 100 Jahren über das RT-Theater forscht, wird er besonders diese "Quelle" (Zitate ungeprüft aus 2. oder 3. Hand, verkürzt und skandalheischend zusammengebastelt) wohl kaum als seriöse betrachten können.


    Das kommt, lieber Holger, darauf an, was er rekonstruieren möchte :)
    Ein Alltagshistoriker wird es vermutlich als eine Stimme interessant finden, mit anderen Stimmen abgleichen und dann feststellen, dass sich unter die großen Auseinandersetzungen der Weltgeschichte auch diejenige über die Form der Aufführung von Open reiht :D


    Aber Spaß beiseite, ich finde es bedrückend, dass dieser thread, den ich inhaltlich für wichtig halte und für dessen Einrichtung ich Dir sehr danken möchte, wieder abdriftet. Es geht mir auch gar nicht darum, nun wieder minutiös herauszufiltern wie es dazu kam., sondern nach vorn zu schauen. Denn für "klein klein" ist das Thema zu groß und zu wichtig. Ich halte allerdings nichts davon, bestimmte Quellen als wichtiger als andere anzusehen, sondern würde ganz postmodernistisch meinen, dass es ohnehin nur Meinungen und keine Wahrheiten gibt (Ich weiß schon selbst, dass sich diese Behauptung nicht halten lässt, möchte aber darauf hinwirken, alle Quellenaussagen zu relativieren).


    Ich würde daher gern an eine Bemerkung von Johannes Roehl knüpfen, die ich sehr bedenkenswert finde

    Zitat

    Auch historisch ist doch fragwürdig, wenn ein Stück, das seinerzeit brisant und provokant gewesen ist (Da-Ponte-Opern, La Traviata, Tannhäuser, Tristan usw.), heute nur noch als gepflegte Unterhaltung wahrgenommen wird.


    Das sehe ich genauso (man könnte - aber das ist ein anderes Thema - in der Aufstellung den Fidelio ergänzen). Interessant wäre hier zu verfolgen, ob evtl. ebensolche Werke zu neigen, heute in provokanten Inszenierungen gestaltet zur erden, um ihnen ein Stück ihrer Provokation zurückzugeben. Ich weiß das nicht, habe aber eher den Eindruck, das einige Inszenierungen ein Stück weit beliebig sind (hami hatte dies sehr schön mit "Wahllosigkeit der Eingriffe" umschrieben). Um dann wieder auf die Opernästhetik zurückzukommen würde mich weiterhin interessieren, warum man sich nicht stärker mit der Frage auseinandersetzt, wie man über eine spezifische, subversive Ästhetik - d. h. gezielte kleine Brüche - zum Ziel kommen kann. Und kann nicht heute das, was wir gemeinsamen als "klassisch" bezeichnen in einem modernen Setting selbst als subversives Element gebraucht werden?


    fragt sich
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Die Provokation von einst ist heute meist keine mehr. Beispiele waren ja genannt: Traviata, Cosi, Giovanni, Figaro etc. Deshalb fürchte ich, dass es nicht gelingen kann, Provokantes durch eine entsprechende Inszenierungen diesen Stücken zurückzugeben. Das wird zwar versucht, aber es muss scheitern. Darin sehe ich eines der Probleme des heutigen Theaters. Wir kriegen die Werke einfach nicht mehr unter in unserer gesellschaftlichen Realität. Sie ist darüber hinweg gegangen. Ich habe den Eindruck, dass viele Regisseure dies nicht wahrhaben wollen und deshalb zu rigorosen Mitteln greifen. Wenn sich die Werke - meist sind es ja ohnehin immer wieder dieselben - in "gepflegte Unterhaltung" wandeln, hätte ich nichts dagegen. Unterhaltung und Genuss sind doch etwas schönes. :) Es ist schon etwas her, dass ich in Berlin eine "Sonnambula" besuchte, in der Juan Diego Flórez sang. Nach einer Arie, die in tosendem Beifall endete, weil sie so betörend und hinreißend gesungen war, flüsterte mir mein Nachbar zu: "Deshalb kommt man her." Daran musste ich denken, als ich mich durch diesen wort- und gedankenreichen Thread arbeitete.



    Ich habe weiter oben mit großem Interesse gelesen, wie Harnoncourt die Konstanze in seiner "Entführung" gedeutet hat. Das hätte mir sehr gefallen. Es muss nicht so sein, aber es kann etwas daran sein. Warum also nicht viel öfter diese versteckten und zutiefst menschlichen Konflikte herausfinden? Darin sehe ich Ansatzpunkte.


    Der Vollständigkeit halber hier noch das vollständige Zitat von Johannes aus Beitrag Nr. 7:


    "Z.B. meint Harnoncourt meiner Erinnerung nach im Beiheft zu seiner Aufnahme der "Entführung", die Qualen Konstanzes bestünden nicht zuletzt darin, dass sie sich in den Bassa verliebt hat und ihr Problem ist nicht hauptsächlich, von Belmonte getrennt und eingesperrt zu sein, sondern die Schwierigkeit, ihm treu zu bleiben, obwohl sie inzwischen den Bassa bevorzugt. Das mag man als bizarre Umdeutung sehen, ich finde es zumindest nicht idiotisch, zumal es den Konflikt vom platten Orientklischee eher in Richtung erotischer Verwirrungen a la Cosi/Figaro rückt. Keine Ahnung, ob und wer das Stück schon mal entsprechend inszeniert hat."


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Da spielt es doch keine Rolle mehr, dass wir zur "Unterhaltung abdriften" anstatt uns von einem "berufenen Regisseur" belehren zu lassen. Wie gesehen, bleibt der Erfolg im letzteren Falle aus.


    Die Provokation von einst ist heute meist keine mehr. Beispiele waren ja genannt: Traviata, Cosi, Giovanni, Figaro etc. Deshalb fürchte ich, dass es nicht gelingen kann, Provokantes durch eine entsprechende Inszenierungen diesen Stücken zurückzugeben. Das wird zwar versucht, aber es muss scheitern. Darin sehe ich eines der Probleme des heutigen Theaters. Wir kriegen die Werke einfach nicht mehr unter in unserer gesellschaftlichen Realität. Sie ist darüber hinweg gegangen. Ich habe den Eindruck, dass viele Regisseure dies nicht wahrhaben wollen und deshalb zu rigorosen Mitteln greifen.


    dieses offenbar unausrottbare "Unterhaltungsbedürfnis" von Opernfreunden


    Das ist so ziemlich der Stand der Dinge: Sowohl das Publikum mit ihrem "unausrottbaren Unterhaltungsbedürfnis" (man merkt den grimmigen Furor des Aufklärers) als auch die Opern mit ihren "verstaubten Inhalten" stellen sich für den RT-Regisseur als naturgegeben widerspenstiges Material dar. Da muss man doch zu drastischen Mitteln greifen, um dem saturierten Bürger eins mitzugeben.


    Wenn sich die Werke - meist sind es ja ohnehin immer wieder dieselben - in "gepflegte Unterhaltung" wandeln, hätte ich nichts dagegen. Unterhaltung und Genuss sind doch etwas schönes.


    Du Provokateur! ;)


    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Zitat

    Zitat von WolfgangZ: Falls Du damit mich meinst, muss ich Dich enttäuschen. Ich bin kein Regietheater-Gegner, wie ich oft genug gesagt habe. Und pass lieber auf, dass Deine Studenten nicht viel mehr lachen, nämlich hinter Deinem Rücken über Dich "Skeptiker" - köstlich, hat Schwejk'sche Qualitäten!

    Sehr recht. Ich kenne inzwischen sehr viele, nicht nur hier im Forum sondern auch Besucher, die ich kenne, die solches Gewäsch - soweit sie es über haupt noch lesen - schon lange nicht mehr ernst nehmen, sondern lachen. Ich möchte mir hier nicht erlauben, das zu nennen, als was Verschiedene die Ergüsse Herrn Dr. beurteilen. Nur erselbst scheint das nicht zu erkennen. Vielleicht schreit er jetzt wieder nach den Moderatoren.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ohne große Quellenangaben (die finden sich vermutlich - ich lese das jetzt nicht nochmals durch - in den Einleitungsbeiträgen) möchte ich darauf hinweisen, dass das verpönte Unterhaltungsbedürfnis gleichermaßen essentieller Bestandteil der Theaterprogramme eines Schiller wie eines Brecht sind. Dass damit eine die Moral betreffende, eine "moralische" Funktion (das Adjektiv wurde bei Schiller noch nicht primär auf der Meta-Ebene verstanden) einhergeht, ist selbstverständlich, dass sie sich wechselseitig befruchten, ebenso.


    Ich unterstelle jedem Theater- und Opernbesucher, dass er sich dessen auch im Sinne einer Katharsis explizit oder zumindest implizit bewusst ist. Diese Funktionen machen es auch all denen schwer, die sich - vielleicht aus einer allzu selbstgefälligen Sicht des Kenners heraus - erhaben dünken über Sitcoms iwS, die man einst Posse oder Farce nannte (ich zähle mich notfalls schon gerne dazu), kunstwissenschaftlich zu ihren Gunsten zu argumentieren. Von einem "unausrottbaren Unterhaltungsbedürfnis" zu sprechen, ist gefährlich; es kann schnell wie der Schlaghammer auf das Theoriegebäude des Urhebers zurückfallen. Die Wahrheit ist keine extreme, sie ist es so wenig, wie wenn hier ständig von RT auf der einen Seite und Nicht RT auf der anderen Seite gesprochen wird, als spielten diese Extreme eine gar so große Rolle - ganz abgesehen davon, dass beide Extreme, die ohnehin niemand definieren kann, eben gerade nichts mit Schiller und Brecht zu tun haben, weil beide Dichter in diesem Sinne keine "Extremisten" waren (Brecht vielleicht im realpolitischen Sinne). Wer aber mit dem Vorsatz ins Operntheater geht, sich nicht unterhalten zu lassen, handelt wie der Magenkranke (handeln muss), der vor dem Essen Angst hat.


    Noch einmal auf einem anderen Blatt steht, dass Brechts antibürgerliches Opernkonzept bekanntlich auf eine dialektisch höchst bemerkenswerte Weise gescheitert ist: Die Dreigroschenoper wurde schlechthin Bürgernummer par excellence. Wie viele modische Fassungen des Mackie-Messer-Songs gibt es wohl! Dem Bürgerschreck und Genießer Brecht hätte es vermutlich dennoch gefallen, er hätte es in sein Weltbild bestens integrieren wollen und daher eben auch können.


    Das Pferd von hinten aufgezäumt, heißt das: Die Angst vor der Unterhaltung hat ein doppeltes Gesicht, denn hinter dem intellektuellen Genießer, der wir doch alle sein wollen, steckt der intellektuelle Spießer, der Gutmensch im schlechten Sinne des Wortes.


    NB: An anderem Ort hatten wir Ereiferungen über politisch und historisch belasteten Wortschatz. Ich bin als ehemaliger Sprachwissenschaftler etwas empfindlich, wenn dies übertrieben wird. Sei's drum: Gar so schön ist das Adjektiv "unausrottbar" jetzt auch wieder nicht. Stimmt's?


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Denn für "klein klein" ist das Thema zu groß und zu wichtig.

    Da sprichst Du mir aus der Seele, lieber Jörn! :)


    Was zur Opern- und Theaterästhetik gehört, ist eben auch eine "Dramaturgie des Publikums" (in Anlehnung an Volker Klotz). Ich hatte da schon versucht im Eingangsartikel an die Rhetorik anzuknüpfen, welche die Wirkungswiese auf das Publikum untersucht. Bei Cicero finden sich die drei grundlegenden Aspekte:


    1. Belehrung (docere) = Faktenschilderung, Argumentieren


    2. Vergnügen und Unterhaltung (delectare)


    3. die "Rührung", die Auslösung von Affekten (movere)


    Wenn man die Quellen studiert, z.B. des 18. Jhd., wird man feststellen, dass eigentlich immer alle drei Momente vorkommen, jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung, Wertschätzung usw. Und all das unterliegt dem historischen Wandel, d.h. die Publikumshaltung verändert sich ebenso wie die Ansprüche der Kunst mit dem "Zeitgeist". Ich kann das vielleicht mal in einem eigenen Artikel darstellen.


    Wenn ich vom "unausrottbaren" Unterhaltungsbedürfnis gesprochen habe, dann bezog sich das auf das heutige Opernpublikum. Das Unterhaltungsmoment kann aber tatsächlich auch ganz fehlen wie in der antiken Tragödie. Ödipus, der seinen Vater umbringt und seine Mutter heiratet oder Kreon, der seine eigene Tochter zum Tode verurteilt und lebendig einmauern läßt sind Scheusale. Das ist so wenig unterhaltsam wie ein IS-Video, wo ein Gefangener geköpft wird (wenn der Zuschauer "normal" ist und nicht verroht freilich). Wenn Schiller auch beim Drama den Genuss als Ziel betont, dann ist das Ausdruck einer sehr modernen ästhetischen Einstellung, die der Antike überhaupt fremd war.


    Ich halte allerdings nichts davon, bestimmte Quellen als wichtiger als andere anzusehen, sondern würde ganz postmodernistisch meinen, dass es ohnehin nur Meinungen und keine Wahrheiten gibt (Ich weiß schon selbst, dass sich diese Behauptung nicht halten lässt, möchte aber darauf hinwirken, alle Quellenaussagen zu relativieren).

    Ja, allerdings bewertet - wie Du natürlich weißt - ein Historiker Quellen stets auf ihre Ausagekraft hin. Weikl ist zwar Professor für Gesang, als Hermeneut jedoch ein Dilettant. Das hat wirklich nicht mehr als Bild-Zeitungs-Niveau.


    Aber was, lieber Rheingold, ist die Alternative? Ist das nicht allzu resignativ? Sind wir dann nicht bei Wagner, wo man, nimmt man ihn wörtlich, die Oper nach der Uraufführung gleich verbrennen müßte und eine neue komponieren?


    Die Provokation von einst ist heute meist keine mehr. Beispiele waren ja genannt: Traviata, Cosi, Giovanni, Figaro etc. Deshalb fürchte ich, dass es nicht gelingen kann, Provokantes durch eine entsprechende Inszenierungen diesen Stücken zurückzugeben. Das wird zwar versucht, aber es muss scheitern.

    Was ist mit "Der Bachelor" und ähnlichen Erscheinungen des
    Medienzeitalters? Ist da nicht der Don Giovanni immer noch sehr
    aktuell? :hello:


    Schöne Sonntagsgrüße
    Holger

  • Zitat von »Dr. Holger Kaletha«
    dieses offenbar unausrottbare "Unterhaltungsbedürfnis" von Opernfreunden




    Das ist so ziemlich der Stand der Dinge: Sowohl das Publikum mit ihrem "unausrottbaren Unterhaltungsbedürfnis" (man merkt den grimmigen Furor des Aufklärers) als auch die Opern mit ihren "verstaubten Inhalten" stellen sich für den RT-Regisseur als naturgegeben widerspenstiges Material dar. Da muss man doch zu drastischen Mitteln greifen, um dem saturierten Bürger eins mitzugeben.

    Ja, absolut, das Unterhaltungsbedürfnis des Theater- und Opernpublikums ist "unausrottbar", und das ist auch gut so, denn es ist die Hauptantriebsquelle für Opern- und Theaterbesuche, sonst würde keiner mehr reingehen (oder nur noch eine Handvoll, aber für die würde nicht mehr gespielt werden). Und daran ist auch überhaupt nichts Verwerfliches! Wer das nicht kapieren will, ist mir diesem ganzen Thema ohnehin hoffnungslos überfordert...


    Glücklicherweise gibt es inzwischen immer mehr Regisseure (z.B. Kosky oder Herheim), die wieder begreifen, dass sie ihre Botschaften nur unters Volk bringen können, wenn sie auch das Unterhaltungsbedürfnis des Publikums befriedigen und so ins Theater locken. Es geht also nicht um ein "Entweder - Oder" (was im richtigen Leben ohnehin höchst selten der Fall ist), sondern um beides, und das andere lässt sich nicht gegen das eine, sondern nur mit diesem Zusammen realisieren!


    Walter Felsenstein: "Wenn es mir gleingt, das Theater zu verbessern, gelingt es mir vielleicht, auch die Welt zu verbessern. Aber eine Welt ohne Unterhaltung kann ich mir nicht vorstellen."


    Gar so schön ist das Adjektiv "unausrottbar" jetzt auch wieder nicht. Stimmt's?

    Ja, das stimmt absolut. Aber der Äußerer, also der Herr Dr., ist ja auch so einer, der die problematischen Begriffe immer nur bei den anderen findet...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Peter Konwitschny: „Ich habe etwas gegen diese Opernpathetik und mag es auch, diesem konservativen Publikum etwas ins Gesicht zu schleudern ...“ und weiter S. 36: „Wer die Bühne missbraucht, um dort für viel Geld schöne, perfekte Töne zu singen, ist asozial. Ich verstehe da keinen Spaß ..“ S. 39 Von Frau Beyer als Frage an Konwitschny: „Aber es gefällt einem doch nicht, was Sänger machen“.“


    Es ist schon etwas her, dass ich in Berlin eine "Sonnambula" besuchte, in der Juan Diego Flórez sang. Nach einer Arie, die in tosendem Beifall endete, weil sie so betörend und hinreißend gesungen war, flüsterte mir mein Nachbar zu: "Deshalb kommt man her." Daran musste ich denken, als ich mich durch diesen wort- und gedankenreichen Thread arbeitete.


    Wenn man sich in dieser Weise gegenüber steht, wird ein Kompromiss nicht möglich sein. Selbst hat es mich zu Zeiten der Nilsson auch oft enttäuscht, dass ich damals so häufig auf das letztere Extrem gestoßen bin. Man steht, eigentlich sitzt, in Stockholm 24 Stunden Schlange für den Tristan und der Nachbar offenbart, dass er von Wagner keine Ahnung habe und nur wegen der Nilsson hier sei. Wenn ich hier Nachbar sage, meine ich bedeutend mehr als zehn, denn ich war immer sehr neugierig. In Deutschland mag es anders ausgesehen haben.
    Nun ist aber die Freude an einer sängerischen Leistung schon seit einigen hundert Jahren eine legitime Gefühlsäußerung und ein wichtiger Teil des Opern-Vergnügens.
    Dem gegenüber steht der kühne Revolutionär Konwitschny, der nach IS-Manier alles bisher als schön Empfundene niederreißt.


    Dabei entsteht die paradoxe Situation, dass sich hier die Extreme recht gut vertragen, denn wer nur am Gesang interessiert ist, dem kann es egal sein, wie der Rest aussieht.
    Der Rest der Besucher aber schaut in die Röhre, könnte man sagen. Man fragt sich dann, warum einem großen Teil der heutigen Opernbesucher die Freude per se versagt werden soll. Dem zukünftigen wohl nicht, denn dass sich das bald ändern wird, liegt auf der Hand. Revolutionen lassen zwar ihre Spuren zurück, doch meist geht es bald wieder in gewohnter Manier weiter. Nicht einmal der immer noch geliebte Mao konnte den Kapitalismus ausrotten.


    Wenn der Opern-Calvinist Konwitschny nun glaubt, ein neuer Bildersturm könnte auf Dauer etwas bewegen, wird er sich bald enttäuscht fühlen, denn mit dem heutigen Wissen und dem fast freien Zugang zu relevanter Information, ist es auch leichter, nach Motiven zu forschen und dann fragt man sich, wie ein Mensch zu einer so gehässigen Einstellung gelangt, wie es das genannte Zitat zeigt.
    Der Verdacht liegt nahe, dass hier nicht in verantwortlicher Weise ein sicher notwendiger neuer Eintrag in der Historik der Opernästhetik geschrieben werden soll, sondern dass Provokation das eigentliche oder sogar das einzige Ziel ist, das keinen anderen Vorteil bringt, als die Produktionskosten zu senken.


    Das wird auf die Dauer nicht genügen.

  • Wenn man sich in dieser Weise gegenüber steht, wird ein Kompromiss nicht möglich sein.

    Ich denke schon, dass beides auchin Verbindung möglich ist.


    Esgibt übrigens ein interessantes Konwitschny-Interview aus der Zeit um die Jahrtausendwende, wo er begeister von Erlebnis einer konzertanten Aufführung der Oper "Roberto Devereux" mit Edita Gruberova berichtet, welche die Figur auch konzertant ungeheuer spannend gestaltet und somit mehr beglaubigt hätte, als es vielleichr in einer (schwächeren) Inszenierung möglich gewesen wäre. :yes:


    Und wie passt dieser Konwitschny, der sich begeistert über eine konzertante Belcanto-Opernaufdführung äußert, nun zum anderen Konwitschny, er den Opernfreunden die Kulinarik austreiben will? Je nun, es passt nicht immer alles zusammen im Leben... ;)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose