Beethoven, Klaviersonate Nr. 11 B-dur op. 22, CD-Rezensionen und Vergleiche (2016)

  • Ich finde den Klang des Aura-Mitschnitts Michelangelis etwas hart und dynamisch eingegebnet (vermutlich nicht die Schuld des Pianisten). Abgesehen davon hat mir die auch gut gefallen (sofern mir das Stück überhaupt gefällt, auf das Menuett könnte ich gut verzichten). Warum auch immer hat ABM bei den nur fünf? Klaviersonaten Beethovens, die er gespielt hat, drei dabei, die zu den von mir (teils deutlich) weniger geschätzten (bzw. höchstens geschätzten, nicht geliebten) gehören. Das vorliegende Werk ist eine davon...


    Eine Schwierigkeit beim langsamen Satz (weswegen man auch vorsichtig mit "zu schnell/zu langsam" sein sollte) ist, ob man Achtel oder punktierte Viertel als Bezug nehmen sollte. Dieses Problem teilt der Satz mit einer ganzen Reihe weiterer (meist im 6/8, 9/8, 12/8) langsamer Beethovensätze. Die wenigen originalen Metronomziffern (und die von Czerny) deuten darauf hin, dass die selbst bei adagio-Bezeichnung durchweg in relativ flüssigen Achteln bzw. so, dass man die punktierten Viertel als Bezug noch spüren kann, genommen werden sollen. Allerdings spielt das kaum jemand so, weil es "viel zu schnell" scheint; bei der Hammerklaviersonate geht es bekanntlich sogar bis zum halben Tempo hinunter, typisch sind etwa 2/3 der Metronomziffer.
    Ungeachtet solcher m.E. relativ eindeutigen Hinweise sind sich Interpreten in solchen Sätzen anscheinend besonders uneins, was zu dem breiten Spektrum an Tempi führt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Schönen Dank für deinen interessanten Beitrag, lieber Johannes. Heute möchte ich zu Emil Gilels kommen, der wieder ein ganz anderes, eigenes Tempomagement gewählt hat, und nicht nur das:



    Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Emil Gilels, Klavier
    AD: Juni 1985
    Spielzeiten: 8:04-11:14-3:48-7:18 -- 30:24 min.;


    Emil Gilels ist in allen Sätzen langsamer als seine Kollegen, aber, zumindest, was den Kopfsatz betrifft, mindestens ebenso spannungsreich. Sein Brio ist nicht äußerlich und hochdynamisch, sondern es entwickelt einen inneren Schwung, und dynamisch hat er ein anderes Konzept, das den Gesamtumfang mehr nach unten verlagert. Seine ersten Ausrufezeichen setzt er in der Überleitung in den Sforzandi Takt 16, 18 und 20. Ansonsten ist sein Vortrag hochlyrisch, vor allem hörbar im Legatoschluss der Überleitung. Das ist hochfein gezeichnet.
    Das Seitenthema hat eine so sonor klaren Glockenklang, den ich so wunderbar noch nicht gehört habe. In der Wiederholung mit den verkürzten Notenwerten macht er keinen Echoklang, sondern er verschlankt lediglich den Klang, auch eine frappierende Variante. Auch seine Bögen ab Takt 44 und die Sequenz mit den Oktavwechseln ab Takt 48 mit Auftakt sind vom Feinsten und wiederum dynamisch nicht bis zum Letzen ausgeschöpft, sondern in einem klanglich runden moderaten Rahmen verbleibend.
    Die Schlussgruppe ist unglaublich. er kommt aus dem Pianissimo und geht hier in der Tat bis zum Fortissimo- grandios!. Natürlich wiederholt er die Exposition. Welch ein Wunder im Decrescendo ab Takt 35 ereignet sich da zum zweiten Mal.
    In der Einleitung der Durchführung ist er in der Sequenz aus dem Beginn der Schlussgruppe gleich wieder im Pianissimo, aus dem sich dann am Beginn der Konfrontierung ein veritabler dynamisch Kontrast ergibt, eben weil er aus der dynamischen Tiefe kommt.
    In der Konfrontierung selber und im Austrag bleibt er ebenfalls dynamisch moderat und legt mehr Wert auf die rhythmischen Kontraste staccato-legato. Man erlebt es ja auch nicht alle Tage, dass eine äußerlich dramatische Durchführung so weitgehend aus lyrischen Legatobögen besteht. Gilels spielt den ganzen Passus vom Decrescendo Takt 104 ab bis zur Mitte des 4. Teils, der Vorbereitung der Reprise, im Piano Pianissimo, und so klar verständlich. Das ist höchste Klavierkunst. Auch das Crescendo ab Takt 120 ist zwar klar vernehmbar, geht aber höchstens bis zum mezzopiano und sinkt dann langsam in die pp-Fermate in Takt 126/127- herausragend!
    Auch in der Reprise bleibt er dynamisch moderat, betont jedoch wieder die rhythmischen Eigenheiten, wie die die Oktaven wechselnden Themenanfänge Takt 139/140, denen er besonders kecke Ecken verleiht. und gleich darauf rhythmisch und dynamisch wunderbar mit dem langen Bogen Takt 142 bis 145 kontrastiert. Alles wiederholt sich genauso meisterlich wie in der Exposition, der lyrische Schlussteil der Überleitung, das sonore Seitenthema mit dem unglaublichen Decrescendo, mit den anschließenden Sechzehntelbögen, die Oktavwechsel und die wunderbare Schlussgruppe- eine grandiose Interpretation des Kopfsatzes.


    Das Adagio, noch eine Minute langsamer als Arrau, ist ein Wunder, das im tiefsten Pianissimo entsteht, sich in langsamem, beseligenden Fluss, in den er feinste dynamische Bewegungen einflicht, einschließlich eines wiederum moderaten Crescendos ab Takt 6. Es ist immer wieder zu bewundern, wie Gilels in diesem langsamen Fortgang dennoch aufgrund seines Anschlags, seiner Akzentuierungen eine ungeahnte musikalische Tiefe erreicht. Das kann man allerdings nicht messen, sondern nur fühlen. Insofern ist das, was ich hier schreibe, natürlich subjektiv.
    M. E. steigert sich der Ausdruck noch nach dem Doppelstrich in der thematischen Fortschreibung, Das Seitenthema erlangt m. E. überirdische Sphären, das kann man m. E. nicht besser spielen. Gilels zeigt m. E., was man erreichen kann, wenn man sich Zeit lässt, sich ganz auf den Ausdruck konzentriert. Die beseligenden Schlussgruppe schließt sich in wunderbarer Weise an.
    Die Durchführung ist m. E. auch rein lyrisch, zwar mit einem leichten melancholischen Schleier bedeckt, mit leisen webenden dynamischen bewegungen, die Akzente im zweiten Teil der Durchführung fein nachzeichnend und in den Schlussbögen ganz sanft in die Reprise hineinführend, die e4r ebenso berührend spielt wie die Exposition.
    Unglaublich ausdrucksstark spielt Gilels auch hier die Seufzerkette Takt 61ff., wieder, zum Seitenthema hin, im ppp langsam versinkend.
    Kann eine Steigerung noch möglich sein? In dem höher liegenden überirdischen Seitenthema meine ich: ja, vor allem in Verbindung mit dieser unglaublichen Schlussgruppe.


    Bei Emil Gilels fließt das Minuetto ganz entspannt und pastoral dahin. Im zweiten Teil des Minuetto steigert Gilels zum ersten Mal deutlich über das Forte, aber es verläuft trotzdem organisch. Vor allem, es bleibt ständig, auch in der Themenwiederholung, im Fluss.
    Auch das Minore, hier durchweg im Forte, bleibt im Fluss. hier stockt nichts. Daran schließt Gilels das Minuetto Da Capo an.


    Das Rondo Allegretto ist von Beginn an beseligender, entspannter, sanft fließender Gesang- wie wunderbar! Das Seitenthema mit seinen Arpeggien geht so recht zu Herzen, und auch die Schlussgruppe spielt er unglaublich, und auch die Überleitung und die Themenwiederholung sind auf allerhöchstem Niveau anzusiedeln.
    In der Durchführung verdunkelt er zunächst stark und wird schwer, aber schon mit Einsetzen der Zweiunddreißigstel klärt es sich m. E. wieder auf. Auch der verhaltene Ernst des Durchführungskern wirkt m. E. nicht bedrohlich, höchstens etwas streng. Dann, mit Wiedereinsetzen der Zweiunddreißigstel: siehe oben. In der Überleitung ab Takt 103 ist sozusagen schon fast alles wieder im Lot.
    Der Beginn der Reprise ist m. E. vielleicht die Krönung der ganzen Sonate in Gilels' Lesart. Das habe ich so glaube ich noch nicht gehört. Das bringt mich aus der Fassung. Die kurzen Oktavenwechsel kommen bei ihm so natürlich, so unangestrengt, das ist wunderbar. Und wieder erfreuen wir uns an dem tief anrührenden Seitenthema und der herrlichen Schlussgruppe mit dem Thema in der atemberaubenden hohen Oktave. Wie wunderbar spielt er auch die Sechzehnteltriolen in der Themenwiederholung ab Takt 165 und die Sechzehntelduolen ab Takt 173, und mit der wundersamen Coda schließt er kongenial diese ganz eigene überragende Version des op. 22 ab, und: Gilels spielt es ja nicht so, weil ich es so liebe, sondern ich liebe es so, weil Gilels es so spielt.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Richard Goode, Klavier
    AD: 1991
    Spielzeiten: 7:04-7:01-3:05-5:50 -- 23:00 min.;


    Richard Goode ist im Kopfsatz schneller Als Arrau, Ciccolini und Gilels, aber etwas langsamer als Frank. Sein Weg durch die Partitur, zumindest hier durch die Exposition bis dahin ist leicht, rhythmisch prägnant und dynamisch moderat. Die lyrische zweite Hälfte der Überleitung spielt er sehr ätherisch und dynamisch weiterhin nicht ausufernd.
    Im Seitenthema, dessen Themenwiederholung mit den verkürzten Notenwerten er ebenfalls wie ein Echo spielt, könnte er generell die Sforzandi stärker akzentuieren. Im dritten Teil des Seitenthemas legt er zwar dynamisch etwas zu, erreicht aber noch lange nicht die Verve beispielsweise eines Claude Frank oder gar eines ABM. Auch in der Schlussgruppe lässt er sich dynamisch noch Luft nach oben. Dann wiederholt auch er selbstverständlich die Exposition.
    In der Wiederholung legt er generell die dynamische Messlatte etwas höher, sowohl in der stärkeren Akzentuierung der Sforzandi im Seitenthema als auch in den Oktavenwechsel im letzten Abschnitt desselben.
    In Goodes Lesart ist die Einleitung der Durchführung auch dynamisch noch sehr moderat und auch die dramatische Figur ist nicht sehr dunkel. Eigentlich ist das weiter ein alertes Spiel, nur nach Moll eingefärbt, und von den sechs Fortissimo-Glockenschlägen, die wir andernorts vernommen haben, ist hier keine Spur. Auch das Crescendo am Ende der Reprisenvorbereitung (5. Teil der Durchführung) fällt verhalten aus. Goode gehört halt zu den Leisen in dieser Sonate. Rhythmisch ist er dagegen sehr präzise, also gelingt auch stets das Zusammenspiel von Staccato un Legato, und die musikalischen Figuren bereiten ihm eh nicht die geringsten Schwierigkeiten. Durch sein leichtfüßiges, ätherisches Spiel tritt die lyrische Sequenz in der Überleitung durch die höhere Lagen och großartiger hervor. Ich vergaß zu erwähnen, dass er, wie ich es schon andernorts gehört habe, ebenfalls im zweiten Teil des Seitenthemas in moderates Crescendo einbaut. Auch die Schlussgruppe verändert ihre Gestalt gegenüber der Exposition nicht.


    Das Adagio sielt er in sehr schönem Klang, aber es erscheint mir mit rund 7 Minuten auch ein wenig zu schnell. Es kommt nicht der Eindruck von Ruhe und Entspannung auf, die größere musikalische Tiefen erschließt, wenn man sich mehr Zeit lässt.
    Zitat Joachim Kaiser: Wählt der Interpret ein so rasches Tempo wie Friedrich Gulda - der statt des vorgeschriebenen 9/8Taktes eher 3/4-Takt spielt und die Begleitakkorde zu Triolen macht, dann braucht ein solches Tempo, eine solche "Auffassung", nicht einmal unbedingt zu schnell zu sein. Sie macht es nur später unmöglich, den Charakter des Hallenden und Mystisch-Tönenden, Nachtönenden noch herzustellen. Weil Gulda die Begleitachtel als Triolen versteht und konsequenterweise die jeweils erste Triole noch akzentuiert, bringt er eine allzu scharfe rhythmische Gliederung ins Spiel und löscht jedes Geheimnis aus.- Zitat Ende
    Kaiser stellt dem dann die Lesart Samuel Feinbergs gegenüber, den ich inzwischen auch in meiner Sammlung habe und schon vor Annie Fischer hätte besprechen müssen. Aber er war wieder von meinem Schirm verschwunden.
    Im zweiten Teil des Hauptsatzes, jenen wundersamen 5 Takten mit Auftakt 13 bis 17, wirkt sein Spiel langsamer, und sogleich habe ich den Eindruck, dass er hier mehr in die Tiefe dringt. Im Seitenthema geht es wieder leicht in die andere Richtung, und in der Schlussgruppe ist er natürlich in der Tempofalle gefangen, da muss er die Zweiunddreißigstel sehr rasch spielen, um , weil sie sich sonst von den Achteln nicht unterscheiden würden. Die anschließende Achtelsequenz erscheint wieder akzeptabler.
    In die Durchführung, die wiederum etwas sehr rasch erscheint, bringt er jedoch vergleichsweise größere dynamische Bewegung hinein als in den Kopfsatz.
    In der Reprise haben wir wieder das gleiche Tempoproblem wie in der Exposition. Gilels spielt den Satz über 4 Minuten langsamer- welch ein Unterschied in der musikalischen Tiefenwirkung!
    Auch im Seitenthema will sich das beseligende Gefühl nicht so recht einstellen, das ich bei Gilels mit allen Fasern meines Herzens spürte, in der Schlussgruppe desgleichen.


    Im Minuetto ist er nur unwesentlich schneller als ABM aber doch deutlich schneller als die anderen hier Genannten. Dennoch ist dieser Satz temporal durchaus in Ordnung, rhythmisch sowieso und dynamisch ist er bisher am intensivsten.
    Das Minore spielt er ebenfalls durchaus zügig, aber das kommt dem Fluss dieses Abschnittes und dem drängenden Charakter eher entgegen. Das Minuetto schließt er dann Da Capo an.


    Im Finale ist er geringfügig langsamer als ABM und Frank, aber schneller als Arrau, Ciccolini und Gilels. Auch sein Spiel ist hier beglückender Gesang. Die Arpeggien im Seitenthema sind sehr anrührend, und die Schlussgruppe fließt wunderbar transparent (wie übrigens die ganze Sonate) dahin und dynamisch bleibt alles im Rahmen. Auch die Themenwiederholung bleibt auf diesem hohen Ausdrucksniveau.
    Die Durchführung wird auch bei Richard Goode kein Drama, sondern ist höchstens zu Beginn und im Durchführungskern dunkel und etwa schwer, im letzteren rhythmisch sehr überzeugend, und in der zweiten Zweiunddreißigstelsequenz wieder sehr behände, eigentlich auch spielerisch, und schon in der Überleitung zur Reprise wieder zur Ruhe kommen und sich aufhellend.
    Wunderbar die Reprise mit ihren Dreieroktavwechseln zu Beginn in der hohen Begleitung und kurz darauf den grandiosen Zweiunddreißigstel-Oktavwechseln (ab Takt 121), und kurz darauf das wiederum anrührende Seitenthema und die perlende Schlussgruppe, die in das Thema in der hohen Lage führt- herrlich! Auch die triolische Themenwiederholung ab Takt 165 spielt er brillant, ebenso die neuerliche Themenwiederholung mit den Duolen ab Takt 173. Auch die wundersame Coda ist vom Feinsten.
    Ich meine, dass ihm dieser Satz am besten gelungen ist, hier stand die Tempofrage einer großartigen Interpretation nicht im Wege.
    Ohne einige dynamische Irritationen im Kopfsatz und die unzureichend gelöste Tempofrage im Adagio wäre dies m. E. eine große Interpretation geworden.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Samuel Feinberg, Klavier
    AD: ?
    Spielzeiten: 5:31-9:04-3:14-6:10 --- 23:59 min.;


    Samuel Feinberg spielt den Kopfsatz in einem, wie ich finde, normalen Tempo, genau vergleichen kann ich es nur mit Backhaus, der etwa das gleiche Tempo spielt. Und noch eine Parallele stelle ich fest. Feinberg spielt im Themenauftakt eine ähnliche Echowiederholung wie Backhaus. Aber ansonsten meine ich, dass er doch dynamisch etwas mehr zulegt als Backhaus. Im zweiten Teil der Überleitung, dem lyrischen, ist sein Spiel auch äußerst leicht und luzide.
    Im Seitenthema spielt er kraftvoll, allerdings schwächt er nach den Sforzandi nicht ab, sodass man die Sforzandi als solche nicht erkennen kann. Den zweiten Teil spielt auch er als Echo. Das Legato-Crescendo spielt er äußerst kraftvoll, ebenso die Sequenz mit den Oktavwechseln. Auch in der Schlussgruppe ist seine dynamische Grundlautstärke eher hoch, was natürlich ab Takt 62 zu äußerst kernigen Oktavgängen führt. Leider wiederholt er die Exposition nicht, ebenso wie Backhaus.
    Auch zu Beginn der Durchführung vernehme ich wieder diesen seltsamen Echoeffekt, den ich aber in Feinbergs Ausführung als durchaus reizvoll empfinde. Ansonsten ist auch hier die dynamische Grundlautstärke durchaus wieder nicht niedrig.
    Vor allem in der Konfrontierung wird er der Partitur gerecht, indem er die sechs Fortissimi auch dementsprechend spielt. Diesen dynamischen Impetus trägt er partiturgetreu weiter über den Austrag (3. Teil der Durchführung) bis zum Frieden (4. Teil), in dem er ein berührendes Decrescendo spielt, und auch im fünften Teil, der Vorbereitung der Reprise, spielt er mit der gleichen dynamischen Konsequenz weiter, durchaus wieder das Forte erreichend, bevor er in einer selten harmonischen Bewegung in der sagenhaften pp-Fermate ausläuft.
    Die wechselnden Themenanfänge in der Reprise spielt er mit einem sagenhaften rhythmischen Aplomb (Takt 138 bis 140). Auch der anschließende Legatobogen ist atemberaubend, bevor es wieder in die hochtemporale Sechzehntelbewegung geht (ab Takt 147). Im lyrischen Teil der Überleitung gerät das Ganze wieder ins Schweben. Seitenthema und ab schließende Schlussgruppe (anstelle einer Coda) bilden einen dynamisch und rhythmisch kontrastreichen Satzschluss.
    Bis auf die leichten Irritationen im Seitenthema in den Sforzandi ist nur eins zu bedauern, nämlich, dass er die Exposition nicht wiederholt hat.


    Auch im Adagio, zumindest im Hauptsatz, besticht sein dynamisch extrovertiertes Spiel, in einem kräftigen Piano und deutlichen dynamischen Bewegungen. Das habe ich auch schon viel unbewegter gehört. Das Crescendo in Takt 15 ist in seiner verhaltenen Kraft geradezu seine Offenbarung. Das strahlt. Auch die Seufzersequenz erhält aus dieser dynamischen Fallhöhe eine ganz andere Wirkung- faszinierend.
    Das Seitenthema gestaltet er in seiner seltenen Diesseitigkeit auch mit den anschließenden aufwärts gerichteten Seufzern ganz grandios und führt in eine strahlende dynamische Höhenbewegung er Schlussgruppe- wunderbar und in dieser kraftvollen Klarheit selten gehört.
    Auch die Oktaven im Bas zu Beginn der Durchführung sind klar, sonor und, ja, diesseitig, oberhalb des Pianissimo. Und er spielt die ganze Passage auch dynamisch bewegt. Auch sei noch Eines gesagt, dass er ungeheuer transparent und sonor klingend spielt, dass dies wirklich eine klanglich ausgezeichnete Aufnahme ist.
    Auch in der Reprise bestätigt er dies, indem er die Legatobögen mit den Crescendi in wunderbarer Strahlkraft spielt.
    Wiederum zieht ab Takt 61 diese wunderbare Seufzersequenz an uns vorüber, und das Seitenthema ist in der höheren Lage in seiner Interpretation von einer ungeheuren Strahlkraft, gefolgt von einer genauso intensiven Schlussgruppe, die eigentlich den Bogen nur weiterspannt, den Feinberg über diesem Ganzen atz errichtet hat.


    Gleiches gilt für das Minuetto. Es ist die zweite Seit einer Medaille, die Feinberg wählt, Diesseitigkeit, Strahlkraft, Helligkeit und im zweiten Teil des Minuetto eine leuchtend dynamische Steigerung mit einem anschließenden wunderbaren Decrescendo.
    Das Minore ist in seinem dynamischen Furor unglaublich fließend und kontrastreich. Das Minuetto spielt auch Feinberg natürlich dann Da Capo.
    Ich glaube, das war eines der besten Minuettos, das ich bisher gehört habe.


    Auch im finalen Rondo bleibt Feinberg bei seiner etwas höher angesiedelten dynamischen Grundhöhe. Im Verein mit seiner klaren Diktion ist das ein großartiges Vorgehen gerade in dieser auch von Beethoven aus gesehenen diesseitigen Sonate, die voller Spielfreude steckt. Dabei kommt natürlich auch seine hohe pianistische Qualität zum Tragen. Das Seitenthema in den Arpeggien ab Takt 22 offenbart einmal mehr sein transparentes Spielt, in dem die Partitur offen zutage liegt, und die Schlussgruppe schließt sich strahlend hell an, die über die bei ihm auch fließende Überleitung unmittelbar in die Themenwiederholung einfließt.
    Den Durchführungsbeginn nimmt er dann natürlich auch kräftig und dunkel, alles Andere hätte auch nicht in sein dynamisches Konzept gepasst, auch nicht der kolossale Kontrast, den er ins einer Zweiunddreißigstelsequenz offenbart- grandios. Der bachische Durchführungskern wirkt bei ihm äußerst authentisch, der temporal-dynamische Kontrast am Ende des Durchführungskerns grandios, die Überleitung zur Reprise faszinierend.
    Die Reprise eröffnet er äußerst berührend. Es gehört ja zu Beethovens ureigensten Eigenschaften, dass man nie weiß, wo er das Thema ansiedelt, ob in der oberen oder unteren Oktave, und dennoch wirkt alles bei ihm so schlüssig, dass keine Frage offen bleibt. Die Zweiunddreißigstel-Oktavwechsel spielt er überragend, Seitenthema und Schlussgruppe selbstredend.
    Wunderbar auch seine Interpretation des Themas in der hohen Oktave ab Takt 153. Auch die letzte Themenwiederholung weicht kein Quäntchen von dem Höchstniveau ab, das Samuel Feinberg die ganze Sonate hindurch gehalten hat, die Staccato-Duolen in Takt 173ff. selbstverständlich einbegriffen.
    Auch die wundersame Coda ist an Leichtigkeit und Spielfreude nicht zu überbieten.


    Ohne die leichten Irritationen im Kopfsatz hätte ich diese Aufnahme als Koreferenz eingesetzt, einfach weil sie herausragend ist.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hochinteressant, lieber Willi. Ich bin leider immer noch nicht dazu gekommen, Feinbergs op. 7 zu besprechen, und natürlich will ich auch noch Gilels mit op. 22 "nachhören". :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

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  • Lieber William,


    herzlichen Dank für Deinen Beitrag zu Feinbergs Beethoven.
    Besäße ich die Wortgewalt wie Du, hätte ich ähnlich Partei ergriffen für diese Aufnahme wie Du.


    Nochmals also herzlichen Dank und ebensolche Grüße,
    Mike

  • Nachtrag: heute früh hörte ich Wim Winters mit eben jener Sonate.
    Winters spielt Clavichord.
    Innerhalb des unausgesprochenen Kanons hier würde ich nicht versuchen, eine solche Aufnahme ins Feld zu führen.
    Und doch: die Sonate, die Musik "funktioniert"!
    Natürlich sind Bassläufe eher tonlos, dienen nur der Struktur. Wirklich nichts vom hier propagierten "reinen Klang" ist zu vernehmen, sondern die Reduktion auf die Formvollendung des Werkes, unabhängig von ihrer schönklingenden Realisierung.


    Man kann Beethoven auf solche Art lesen!
    Die Musik ist zu gut gearbeitet als dass sie zwingend Wohlklang nötig hätte.


    Pianisten wie Feinberg gelingt es, beides zu verwirklichen- darum nochmals, etwas konkreter formuliert, danke für Deinen Beitrag, Deine kluge Analyse.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Lieber Mike,


    schönen Dank für deine beiden Beiträge. Du hast natrlich Recht. Man kann Beethovens Sonaten auch auf einem solchen Instrument spielen. Die Frage ist nur, ob man solche Aufnahmen mit anderen, z. B. auf einem Steinway gespielten fair vergleichen kann.
    Ich habe eben versucht, die Aufnahme von Wim Winters zu finden, bin aber nur auf eine CD mit Orgelwerken Bachs gestoßen.
    Vielleicht meldest du dich mal wieder, denn ich habe in dieser Sonate noch über 20 weitere Pianisten zu besprechen. Als nächste ist Maria Grinberg an der Reihe.


    @ Holger: Ich bin gespannt, wie dir dir Gilels-Aufnahme gefällt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • @ Holger: Ich bin gespannt, wie dir dir Gilels-Aufnahme gefällt.

    Ich kenne sie ja, lieber Willi! :) Im Nachhören will ich nur noch einmal meinen Eindruck verlebendigen und dann in Worte fassen. Von Feinberg habe ich leider op. 22 nicht (nur op. 7), es sei denn, Du öffnest in diesem Fall den "kleinen Dienstweg", dann kann ich mitreden! :D


    Dieter Stockert hat eine umfangreiche Sammlung mit Aufnahmen mit Hammerflügel. Vielleicht hilft er uns hier ja weiter - ich fände das spannend! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ich hatte ja vor guter Jahresfrist die Gelegenheit zum Vergleich zwischen Hammerflügel und großem Bechstein-Flügel mit exakt dem gleichen Programm:


    am 14. 1. 2015 spielte Rondald Brautigam in der Kölner Philharmonie auf einem Hammerflügel Beethovens Pathétique, Waldstein-Sonate und Sonate Nr. 32:
    am 18. 1. 2015 spielte Boris Giiltburg im Konzerttheater Coesfeld auf einem großen Bechstein-Flügel die gleichen Sonaten:
    Das Ergebnis war nicht überraschend, aber klanglich doch krass. Brautigam mühte sich redlich, spielte wie um sein Leben, aber die Philhamonie war eindeutig einige Nummern zu groß für seinen Flügel. Der reichliche Beifall galt dann auch mehr seinem Feuereifer und seinem exakten Spiel als dem klanglichen Ergebnis.
    Boris Giltburg, wie ich finde, ein zwar noch junger, aber doch schon hervorragender Pianist, füllte das Konzerttheater mit seiner hervorragenden Akustik voll aus und lieferte nebenbei noch eine ausgezeichnete Interpretation ab. Von ihm wird man sicherlich noch mehr hören.


    Liebe Grüße


    Willi


    P.S.: Nr. 11 is coming.

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  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Maria Grinberg, Klavier
    AD: 1964
    Spielzeiten: 8:08-8:56-3:06-5:41 -- 25:49 min.;


    Maria Grinberg spielt den Kopfsatz in gemäßigtem Tempo, aber dennoch mit Schwung. Auch dynamisch greift sie durchaus beherzt zu.
    In den lyrischen abschnitten, so in der zweiten Hälfte der Überleitung, lässt sie es wunderbar fließen und erreicht auch die Leichtigkeit, die diese Passage innewohnt.
    Im Seitenthema gehört sie zu denjenigen, die die Sforzandi stärker hervorheben als die übrigen Noten, wie es auch eigentlich sein sollte, und in der zweiten Sequenz mit den verkürzten Notenwerten ist bei ihr der Echoeffekt nicht so ausgeprägte. Im dritten Teil mit den Oktavwechseln lässt sie ordentlich schwingen und hebt die Forte-Halben im Tiefbass stark hervor. Auch die Schlussgruppe spielt sie dynamisch sehr kontrastreich. Natürlich wiederholt auch sie die Exposition.
    In der Durchführung geht sie nicht bis zum Äußersten im dynamischen Spielraum, vor allem in der Konfrontierung, dem zweiten Teil, ist sie noch ein Stückchen vom Fortissimo entfernt, und im Austrag ist sie stark auf dem dynamischen Rückweg und gleitet so in den Frieden hin, in dem tiefes Pianissimo herrscht.
    Auch in der Vorbereitung der Reprise fällt ihr Crescendo moderat aus, was ihre Lesart ausdrückt, die umfangreiche Durchführung nicht zu sehr zu dramatisieren, sondern immer den Spielcharakter der Sonate im Auge zu behalten. So läuft sie sanft in der pp-Fermate aus. In der Reprise gestaltet sie dann auch die Oktavwechsel der Themenanfänge ab Takt 138 sehr lustbetont. n der Überleitung ist die lyrische Sequenz in der hohen Oktave reiner, pastoraler Gesang.
    Das Seitenthema ist wiederum kraftvoll und diesseitig, fast hymnisch, desgleichen die kontrastreiche Schlussgruppe.


    Über dem Hauptsatz des Adagios liegt bei Maria Grinberg eine sanfte, leise, friedliche Stimmung. auch im Crescendo ab Takt 6 bringt sie nur moderate dynamische Bewegung. m Abschnitt nach dem Doppelstrich erhöht sich die elysische, sangliche Stimmung noch, und im Seitenthema erfährt das Ganze noch eine weitere anrührende Steigerung, die in den aufwärtsführenden Seufzern ab Takt 22 eine geradezu unglaubliche Wirkung entfaltet, und die sich in den Zweiunddreißigstelbögen ab Takt 24 noch weiter intensiviert- grandios!
    In der Durchführung ist die Oktavbegleitung, zunächst zweistimmig, dann vierstimmig und dann dreistimmig, sehr eindringlich, nur zu Beginn jedes Taktes sanft von einem sforzando strukturiert.
    Die sanfte Melancholie, die sich über die Durchführung legt, ist bezaubernd in Maria Grinbergs bewegender Interpretation. Grandios auch ihr Übergang zur Reprise in seiner Klarheit und Geradlinigkeit.
    Auch die Reprise ist trotz der wiederum moderaten dynamischen Bewegung ganz anrührend gespielt.
    Herausragend wieder die Seufzerepisode, hier ab Takt 61, und gänzlich elysisch das nun höher liegende Seitenthema ab Takt 65- wer dabei nicht ins Träumen gerät, ist selber schuld., auch ganz herausragend wieder die Schlussgruppe- eines der schönsten Adagios der Nr. 11, das ich bisher gehört habe.


    Als ganz keckes und anmutiges, federleichtes kleines Stück entfaltet Maria Grinberg das Minuetto im ersten Teil. Im zweiten Teil geht sie mal einmal dynamisch bis zum Fortissimo, aber weiterhin im leichten, behänden Stil. In der Themenwiederholung setzt sie das federleichte geradezu mozartinische Spiel fort.
    Das Minore begreift sie gleich zweifach als dynamischen Kontrast, zunächst das ganz Minore rhythmisch-dynamisch als Kontrast zum Minuetto und dann den zweiten Teil des Minore als dynamischen Kontrast zum ersten Teil- faszinierend!
    Dann schließt sie das Minuetto Da Capo an, natürlich unter Auslassung der Wiederholungszeichen.


    Im Rondo gehört Maria Grinberg zu den Schnellen, temporal bei Ashkenazy, schneller als Badura-Skoda und etliche Andere.
    Ihre Lesart ist auch hier klarer diesseitiger Gesang, und, schon im Hauptsatz, aber auch im Seitenthema und, vor allem in der Schlussgruppe, doch große dynamische Kontraste und federleichte Rhythmik, vor allem in den großen Bögen der Überleitung zur Themenwiederholung.
    Und dann der große Kontrast im Durchführungsbeginn mit der großen, dramatisierenden Verdunklung, und dann die Zweiunddreißigstel, nicht so aufhellend wie in anderen Interpretationen, und auch der Durchführungskern bleibt dramatisch gewichtiger und eckiger las in mancher anderen Interpretation, ebenso die zweite Zweiunddreißigstel-Sequenz, und in ihrer Überleitung zur Reprise ab Takt 103, liegt ein vielleicht noch größerer, überraschenderer Kontrast, und dann die Reprise selbst: das ist herausragende Pianistik, mit der sie Die anfänglichen Zweiunddreißigstel-Bögen und die anschließenden kurzen Zweiunddreißigstel-Oktavwechsel spielt. Die atemberaubenden Arpeggien des Seitenthemas und die Schlussgruppe schließen sich an, der neuerliche faszinierende Rhythmuswechsel in der Themenwiederholung und die sich anschließenden verdichtende Rhythmisierung in den Sechzehntelduolen ab Takt 173, und dann die wundersame Coda als wunderbarer Abschluss einer wahrhaft großen Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Friedrich Gulda, Klavier
    AD: 1967
    Spielzeiten: 6:45-5:29-2:58-4:58 -- 20:10 min.;
    Friedrich Gulda nimmt den Kopfsatz temporal etwa wie Ashkenazy und Badura-Skoda, also wesentlich schneller als Maria Grinberg. Dabei entwickelt er auch jenen magischen mozartinischen Ton, der vor Leichtigkeit und dynamsicher Intimität geradezu schwebt. Das changiert, zumindest im Hauptthema, zwischen Pianissimo und maximal mezzoforte.
    Der lyrische Schluss der Überleitung Takt 22 mit Auftakt bis Takt 29 ist ein Gedicht, auch das Seitenthema passt noch in diese moderate dynamische Form, die Sforzandi, im ersten Abschnitt etwa mezzoforte, im zweiten mezzopiano, sind wunderbar abgesetzt. Auch die Sechzehntelsequenz ab Takt 44, rhythmisch äußerst leicht und dynamisch weiter intim, fernab eines fortissimo, ist Teil seiner ganz eigenen Welt, die er hier erschafft. Er entfernt sich weit von der dynamischen Vorlage, aber er tut es mit einer Konsequenz, die schon wieder überzeugend wirkt. Auch in der Schlussgruppe verlässt er diesen vorgewählten Pfad nicht.
    Natürlich wiederholt er die Exposition.
    Selbst in der Durchführung ist alles nur halbe "Power" und vor allem "Schwere" und letztlich auch "Ernsthaftigkeit", es bleibt mehr im "spielerischen" Modus und macht so seinen äußerst leichten Weg durch die ganze umfangreiche Durchführung. In dieser "Leichtigkeit des Seins" spielt Gulda m. E. eine ganz andere Sonate.
    In der Reprise setzt er dieses Konzept natürlich fort. Das ist schon große Pianistik und kaum mit dem zu vergleichen, was ich bisher gehört habe. Das stammt fast aus "einer anderen Welt".


    Im Adagio stößt dieses Guldasche Konzept nicht nur an seinen Grenzen, sondern überschreitet sie m. E. Die durchaus im Rahmen befindliche Tempowahl des Kopfsatzes rechtfertigt durch Nichts diejenige des Adagios, was ja nun wirklich keines ist, sondern bestenfalls eine Allegretto Das Geheimnisvolle, Hintergründige, auch Überirdische und Elysische dieses Satzes kommt so nicht ansatzweise zur Entfaltung. Besonders krass kommt dies in der Schlussgruppe zum Vorschein, die sich nur als virtuoses Perlen entpuppt, ohne jeden musikalischen Tiefgang.
    Ebenso verhält es sich mit der Durchführung, deren dramatischer Impetus hier überhaupt nicht zum Tragen kommt. Man vergleiche nur damit das Wunder, das Emil Gilels im Adagio (in der doppelten Zeit!) zum Erblühen bringt.
    Dass wir uns nicht falsch verstehen: wenn ich noch kein anderes Adagio gehört hätte und ich nicht wüsste, dass dies ein Adagio sein soll, und nur die Pianistik beurteilen sollte, wäre das sicher eine tolle Sache, doch leider habe ich schon 20 Adagios gehört und werde nochmal 20 hören, und ich bin fast davon überzeugt, dass ich nicht noch einmal ein so schnelles und verfehltes "Adagio" hören werde.


    Wie viel anders und wie viel besser ist doch das Minuetto, wieder voll mozartinischer Leichtigkeit und vor allem Wahrhaftigkeit. Auch der zweite Teil des Minuetto, ab Takt 9 mit Auftakt, all das ist in positivem sinnen unglaublich, gehört mit zu dem Besten, was ich bisher gehört habe.
    Auch das Minore erfüllt diesen hohen Anspruch, den die Partitur an den Interpreten stellt. Gulda lässt es wunderbar fließen, spürt den Wellenbewegungen der Partitur nach und schließt dann das Minuetto Da Capo an- grandios!


    m Rondo Allegretto ist Gulda wiederum der Schnellste, und ich weiß nicht, ob er nicht wieder des Guten (Schnellen) zu viel getan hat, zumindest herrscht nicht im Entferntesten die Entspannung und die fast jenseitige pastorale Stimmung wie bei dem um zwei Minuten langsameren Gilels oder bei dem über jeden Zweifel erhabenen, der, ebenso wie Gilels, die floralen Strukturen dieses finales so wunderbar entflicht.
    Bei Gulda klingt das über weite Strecken wie ein virtuoses Bravourstück, wie z. B. in der Schlussgruppe (Takt 32 bis 39).
    Da ist kein Verharren, kein Durchatmen, nur ein Voraneilen, vor allem in der Durchführung, in den prägnanten Zweiunddreißigstelpassagen, die hier durch ihren Tempozuwachs eine Entschärfung des dramatischen Impetus bewirken sollen, kommt dies zum Ausdruck. Auch im weiteren Verlauf geht es nur eilends voran, nirgends ein Verharren. Das ist mindestens zwischen Allegro con brio und presto anzusiedeln, nichts anderes.
    Auch in der Themenwiederholung in der Schlussgruppe der Reprise ab Takt 165 mit Auftakt können die Sechzehnteltriolen gar nicht so richtig zur Entfaltung kommen. Auch die darauf folgenden Duolen ab Takt 173 verlieren völlig ihre rhythmische Eigenart, indem Gulda den Rhythmus einebnet.
    Selbst in der wundersamen Coda entfaltet Gulda durch sein übergroßes Tempo keinerlei Wunder.


    Leider ist diese Aufnahme für mich eine Enttäuschung.


    Liebe Grüße


    Willi :(:(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    nun schon wieder meinen Dank für Deine Analyse der Aufnahme der Grinberg.
    Deren GA ich vor Kurzem ja auf LP erstand, von der sie weniger grell klingt als von der CD, dafür aber Schlussfolgerungen ihrer Logik nachvollziehbarer wirken.


    Wim Winters' Aufnahme findest Du auf Youtube ohne Probleme.
    Kann man fair vergleichen fragst Du. Finde ich durchaus, denn es geht bei Beethoven doch nicht allein darum, dem Steinway- Klang zu huldigen, sondern der Kunst seiner Kompositionen, die vieles an Instrumenten zu wählen möglich macht.
    Zumindest verstehe ich ja auch Deinen Ansatz. Nebenwege können dabei durchaus hilfreich sein.


    Für mich ist ein Steinway nur eines von vielen möglichen Instrumenten, Beethoven "auf den Leib" zu rücken, nicht zwingend die ultima ratio.
    Deine Art der Analyse zielt auf Ähnliches- wie ich sie lese.
    Und Dir nur noch ein weiteres Mal danke.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • Lieber Mike,


    vielen Dank für deine Einschätzung. Ich habe mich mal ein wenig nach Wim Winters erkundigt. Er ist ja wohl hauptsächlich als Organist unterwegs. Aber ich werde mir seine Aufnahme der Nr. 11 auf Youtube auch mal anhören. Weiterhin viel Freude an den Beethovensonaten und adn den Sonaten Threads und


    liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Das Finale ist wie das Adagio ein Satz, bei dem unklar ist, welche Zählzeit man als Bezug nehmen soll. Wenn im Finale sich das allegretto auf Viertel beziehen soll, ist Guldas Tempo korrekt, ca. 84 ist eher an der unteren Grenze für ein allegretto. Wenn es sich aber auf Achtel bezieht und wir "eigentlich" einen 4/8-Takt haben (eine Vorzeichnung, die bei Beethoven nie vorkommt, obwohl viele andante und adagio-Sätze de facto 4/8-Takt haben), ist das zu schnell, denn 160-168 wäre eher allegro con brio.


    Was immer man von der Interpretation halten mag, Gulda ist sowohl hier als auch im Adagio konsequent und bezieht die Tempi auf die größeren Zählzeiten. Gilels ist nach der anderen Seite hin konsequent, bezieht die Angaben jeweils auf die Achtel (ca. 63 im adagio, ca. 112 im Finale)
    Die meisten anderen liegen irgendwo dazwischen (120-140 für Achtel in Finale). Das ist im Finale weder Fisch noch Fleisch, d.h. im Grunde zu langsam, wenn man Viertel zugrunde legt und zu schnell, wenn man das allegretto auf Achtel bezieht...


    Dagegen kann man anhand anderer Beethoven-Sätze für das Adagio sicher ein Tempo von ca. 90 für Achtel (wie in der Hammerklaviersonate, was freilich außer Gulda kaum jemand spielt) vertreten (entspricht einer Spieldauer von etwa 7-8 min). Gulda spielt ca.126! Aber auch das ist nicht per se abwegig: Beethoven gibt für das 9/8-Adagio im Quartett op.18/1 138 für Achtel als Tempo vor! (Ein Grund für solch ungewöhnliche Angaben ist, dass Beethovens Metronom nur bis 48 oder 50 ging, d.h. er konnte nicht 40 oder 44 für (punktierte) Viertel, sondern musste in solchen Fällen die kürzere Zählzeit angeben.)


    Ich finde Guldas Tempo im Adagio durchaus natürlich fließend. Die Girlanden in T 25/26 sind Koloraturen. Man stelle sich das Stück wie eine instrumentale Arie (entspricht dem Satz weit eher als eine Zeitlupentraumlandschaft) vor und versuche mal, die "seufzenden" Einwürfe in T 39-42 zu singen. Ich wette, man gelangt eher zu Guldas Tempo als zu Gilels. Dessen extrem langsames Tempo hat mich von der Sonate anfangs eher abgestoßen; seine Aufnahme war die erste, die ich gehört habe, zwei Jahre später dann Gulda und es war ein völlig anderes Stück. Oder man nehme T.11. Die sforzandi haben kaum einen Sinn, wenn man nicht den 3/4-Takt über dem 9/8 wenigstens ahnen kann, was bei Gilels' Tempo nicht möglich ist. (Ich kann auch nicht nachvollziehen, dass Gulda am Anfang des Satzes das jeweils erste Achtel zu deutlich betonen würde.)


    So beeindruckend man Gilels finden mag, ich finde beide Sätze (viel) zu langsam, sozusagen in Zeitlupe (wie manches von Gould :untertauch: ) Zumindest im Adagio ist auch klar Gilels der "Ausreißer", nicht Gulda, da die meisten sich wohl um 7-8 min bewegen. Das Finale müsste ich noch in ein paar unterschiedlichen Interpretationen hören, da ist mir Gulda auch ein wenig zu zügig, obwohl mir das Tempo von der "Systematik" her völlig einleuchtet. Und auch anhand des virtuosen Anspruchs der Sonate liegt ein zügiges Tempo nahe.


    Hatten wir eigentlich schon op.14/2? Wenn ich mir den Anfang des ersten Satzes dieser Sonate und das Finale von op.22 versuche vorzusingen, könnten die etwa im gleichen Tempo sein. Oder?
    Edit: Gilels ist deutlich zügiger im Kopfsatz von op.14/2: Viertel ca. 66 ggü. ca. 56 im Rondo von op.22. Die historischen Tempovorschläge von Czerny und Moscheles sehen op.14/2, i ein klein wenig zügiger als das Finale von op.22 80 vs. 69-76. op.14/2, i ist für mich melodisch unendlich viel schöner als das op.22-Rondo, da kann ich ein etwas genießerischeres und entspannteres Tempo weit eher verstehen.

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    (Bob Dylan)

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  • Schönen Dank für deine ausführliche Bergründung für die deiner Ansicht nach richtigen Tempi Guldas, lieber Johannes. Nun bin ich ja bei den langsamen Sätzen Beethovens immer ein Freund der wirklich langsam gespielten Sätze gewesen, und ich lasse mich hauptsächlich von meinem Gefühl leiten, da wir ja bis auf die Sonate op. 106 ohnehin keine Metronomzahlen haben. In der Tat ist ja die Tempofrage nicht nur bei den Hörern, sondern auch bei den Pianisten, auch in dieser Sonate höchst unterschiedlich beantwortet, und es wäre ja auch nicht gut, wenn in dieser Hinsicht alle Interpretationen gleich wären.
    Bevor ich mich mit dieser Sonate befasste, schienen mir die Ausführungen Joachim Kaisers zur Tempofrage im Adagio, spezeill seine Meinung zu Gulda, sehr schlüssig, da sie sich mit meinem Empfindn deckten.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Wie gesagt, ich empfehle einfach mal, sich das Stück vorzusingen oder zu summen. Ich finde naheliegend, dass die Melodie in den ersten 5 Takten in punktierten Vierteln (also dem 3/4-Takt) geht und die 16tel eher als Verzierungen zu sehen sind. Auch die Harmoniewechsel sind anfangs nur in jedem neuen Takt. Der Satz "geht" auch im flüssigen Tempo nicht schnell, wird aber viel sanglicher, vielleicht (wie Du zu Guldas Interpretation des Kopfsatzes sagtest) mozartnäher.


    Ich habe gerade die Tempovorschläge von Czerny, Moscheles und Kolisch gefunden.
    Adagio Czerny: Achtel = 100 (116 in einer späteren Auflage), Moscheles 116, Kolisch 132-138 (vermutlich analog zu op.18/1). D.h. Gulda ist sogar einen Tick langsamer als Kolisch vorschlägt. (Die Analogie kann man natürlich anfechten; obwohl mir ein fließendes Tempo sehr gut gefällt, ist es sicher ein insgesamt weit ruhigerer Satz als das "appassionato" im Quartett op.18/1) Auch die beiden historischen Vorschläge sind deutlich zügiger als die oben von mir "erschlossenen" 90-100. 100 entspräche gut 7 min, 116 gut 6 min. Spieldauer. In diesem Bereich liegen jedenfalls noch einige mehr als nur Gulda.


    Beim Finale ist Gulda dagegen etwas schneller als die Vorschläge: Czerny 69-76, Moscheles 76, Kolisch 69-80 (natürlich immer Viertel).
    Gulda liegt eher bei 82-84. D.h. meine Analogieüberlegung mit anderen allegretto-Sätzen war anscheinend nicht ganz korrekt.
    Eine Spieldauer von 5:30-5:50 entspräche etwa den historischen Tempoverschlägen, wobei für gewisses Rubato, Fermaten usw. natürlich ein wenig Luft nach oben ist. Wieder ist aber Gulda weniger zu schnell als Gilels mit >7 min zu langsam. Wobei ich das beim Finale sowohl Gulda wie auch Gilels noch im Rahmen plausibler Abweichungen von den historischen Tempi sehen würde.
    Das Adagio im halben Tempo aber nicht...


    Beim Kopfsatz 76-84 für Halbe (Kolisch hat mutmaßlich unspielbare 92...), entspricht etwa 6:30-7 min (mit der Wiederholung), wird nur von den schnelleren Interpretationen erreicht (ist aber keineswegs "unmöglich")
    (Menuett rechne ich jetzt nicht aus, da gibt es ja auch die geringsten Unterschiede.)


    Ergänzung: Wie ich weiter oben schonmal schrieb, gehört die Sonate nicht zu meinen Favoriten. Beethoven hatte hier anscheinend den Ehrgeiz, mit "Allerweltsmaterial" eine virtuose und großdimensionierte "grande sonate" zu komponieren. Das ist ihm fraglos gelungen, aber ich teile die von Willi angedeutete Charakterisierung als "Spiel" (sowohl im Sinne virtuoser Herausforderung als auch des Komponierens als "abstraktes Spiel der Tonkombination"). Das Stück ist für mich emotional eher neutral, melodisch-thematisch wenig attraktiv (verglichen mit den ähnlich dimensionierten "großen" op.2,2+3, op.7, op.10/3). Vermutlich daher bevorzuge ich die "klassischen" Interpretationen, die diesen spielerischen, virtuosen Charakter herausstellen (wie Gulda oder Michelangeli) gegenüber denen wie Gilels, die versuchen, aus den großen Dimensionen große Emotionen (die ich eben immer noch nicht höre) herauszuholen...

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  • Das Beispiel Gulda bestätigt mich in meiner Auffassung, die Metronomangaben als nicht eigentlich letztgültig zu betrachten. :D Ich lasse mir im Prinzip jedes Tempo gefallen, wenn es denn Sinn macht, aussagekräftig ist. Satz 1 bei Gulda ist in Ordnung - typischer Gulda, klar, linear und in seinem Rigorismus eben nicht bürgerlich-bieder (wie vielleicht ein bisschen Buchbinder :untertauch: ) Satz 2 dagegen ist überschrieben mit Adagio con molto espressione. Daraus wird bei Gulda schlicht eine Parodie. Das Tempo ist eben deshalb falsch, weil große Emotion sich ins Allerwenigste, ins reduktionistische Nirvana verflüchtigt hat. Statt dessen werden die Gewichte verschoben. Man hört nur den banalen Dreier-Rhythmus der Linken, Beethoven verjazzt oder als Vorübung für Prokofieffs Toccata. Das Argument mit dem Spielerischen ist ja richtig. Aber auf Guldas Beethoven-Parodie paßt eher der mahnende Satz von Eduard Hanslick: "Musik ist ein Spiel, aber keine Spielerei!" :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Was soll daran "verjazzt" sein? Sorry, aber das ist doch Unsinn. Wird die linke Hand weniger "banal", wenn im halben Tempo gespielt wird? (nicht eher noch banaler...) Dass das "nur Begleitung" in den ersten Takten ist, ist doch völlig unabhängig vom Tempo offensichtlich (keine selbständige Stimmführung, seltene Harmoniewechsel usw.)


    Singt Euch mal den Satz vor. Der hat Züge einer Arie. Seit wann hat Emotion/ "espressione" etwas mit möglichst breitem Tempo zu tun?
    Der weitaus leidenschaftlichere "Romeo&Julia"-Satz in op.18/1 hat ebenfalls 9/8 und eine noch zügigere Tempovorschrift: Achtel= 138. Das scheint zwar kaum jemand so schnell zu spielen, der Satz hat allerdings auch viel mehr 32tel-Passagen. Gespielt werden eher 108-120, das ist aber immer noch erheblich zügiger als typische/durchschnittliche Tempi für das adagio von op.22.


    In einem Tempo wie Gilels (der übrigens rein statistisch ein größerer Ausreißer ist als Gulda) droht die Melodie, in Einzelteile zu zerfallen. Und der Sforzato-Takt 11 (s.o.) wird unverständlich. Was soll ein sf auf den "schwachen" (3/6/9) Schlägen, wenn alles so langsam ist, dass man überhaupt kein Gefühl mehr für Schwerpunkte hat?


    Ich sehe ja ein, dass Gilels konsequent ist, in dem er adagio auf Achtel bezieht. (Selbst angesichts dessen ist er sehr langsam; für das largo e mesto aus op.10/3 hat Czerny z.B. Achtel=72.) Ich halte das aber nicht nur wegen der Tempovorschläge Czernys und Moscheles (die historisch zwar nahe dran, aber nicht die Komponisten des Stücks sind) und analoger Sätze in anderen Werken, sondern besonders anhand von Gestus und Struktur der Melodie für verfehlt. Mir ist vollkommen schleierhaft, warum man (wie anscheinend Kaiser) dagegen sein sollte, dass man hier den 3/4-Takt noch mindestens ahnt. "Statt 9/8 3/4" ist einfach eine unsinnige Aussage. Der Witz bei einem 9/8-Takt ist doch, dass man 3x3, nicht einfach 9 Schläge im Takt hat. Alles an dem Satz (melodischer Gang des ersten Themas, Begleitung, relative Seltenheit von 32teln) und alles, was wir an Tempoangaben von Beethoven und (Beinahe)Zeitgenossen wie Czerny haben, spricht für ein flüssiges Tempo.
    Man vgl. z.B. das largo e mesto in op.10/3. Da geht die Melodie in Achteln und die Figurationen sind 32teltriolen und 64tel!


    Dagegen scheinen mir Argumente mit "Stimmung", Emotion oder dem durchschnittlichen Tempo 20 bekannter Pianisten sehr subjektiv zu sein.


    Guldas Tempo ist sehr flüssig und es ist natürlich am Ende Geschmackssache, was man bevorzugt. Bevor ich Gulda gehört und die historischen Tempi nachgesehen habe, war mein Vorschlag ja ca. 90 f. Achtel (knapp 8 min Spieldauer entsprechend), also ziemlich genau die Mitte zwischen Gulda und Gilels und vermutlich ein häufig genommenes Tempo für das Stück. Mir kommt Gulda hier, anders als in einigen anderen Sätzen (z.B. hier im Finale) wirklich kein bißchen "gehetzt" vor.


    Wie auch immer. Ich plädiere letztlich nur dafür, dass man nicht aus bloßer Gewohnheit und weil es vom Durchschnitt abweicht, eine Interpretation als (viel) "zu schnell" abkanzelt. Außer subjektivem Geschmack sehe ich im vorliegenden Satz nichts, was gegen eine Lesart wie Guldas spräche.

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  • Was soll daran "verjazzt" sein? Sorry, aber das ist doch Unsinn. Wird die linke Hand weniger "banal", wenn im halben Tempo gespielt wird? (nicht eher noch banaler...) Dass das "nur Begleitung" in den ersten Takten ist, ist doch völlig unabhängig vom Tempo offensichtlich (keine selbständige Stimmführung, seltene Harmoniewechsel usw.)

    Mein Eindruck und meine Meinung :P : Zur zeitgenössischen Semantik (Forkel) gehört bezeichnend der Gegensatz von Rhythmik und Melodik. Bei Gulda werden die Gewichte schlicht in ihr Gegenteil verkehrt. Die Melodik wird "unscheinbar" einer tragenden Rhythmik gegenüber, wo sie doch das Wesentliche als Ausdrucksträger sein soll. Damit verliert schließlich auch der ganze langsame Satz sein Gewicht als das Zentrum der Sonate, wird zur zügig durchgespielten Belanglosigkeit.


    Mir kommt Gulda hier, anders als in einigen anderen Sätzen (z.B. hier im Finale) wirklich kein bißchen "gehetzt" vor.

    Mir schon. Ihm gelingt einfach keine ideale Balance von nachdrücklicher Expressivität und fließender Bewegung wie z.B. Arrau. Genau darum geht es finde ich in diesem Satz. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Ich habe hier mal die Adagio-Zeiten der Aufnahmen, die ich bis jetzt besprochen habe:


    Arrau 1963: ........................10:43
    Arrau 1988: ........................10:12
    Ashkenazy 1978:................... 8:33
    Backhaus 1963: .....................7:08
    Badura-Skoda 1969:.............. 8:03
    Barenboim 66-69:................. 9:30
    Benedetti-Michelangeli 1981: . 8;47
    Brendel 1962:....................... 6:33
    Brendel 1977:....................... 6:39
    Brendel 1994:...................... 6:42
    Buchbinder 1982:................. 8:14
    Buchbinder 2011:................. 8:46
    Ciccolini 1995:..................... 8:17
    Feinberg: ............................9:04
    Fischer, A. 77.78:................ 8:12
    Frank 1971: ........................8:46
    Gieseking 1956: ..................8:55
    Gilels 1985: ......................11:14
    Goode 1991:...................... 7:01
    Grinberg 1964:................... 8:56
    Gulda 1967: .......................5:29


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Vielen Dank für die Liste!
    Ich habe die Frage nochmal anderswo angesprochen und ein bißchen nachgelesen. Es deutet sehr viel darauf hin, dass Tempi von 6/8, 9/9, 12/8-Sätze bei Beethoven auf punktierte Viertel bezogen sind. Zwar gibt es nur wenige originale Tempoangaben, aber auch die von Czerny gehen in diese Richtung. Selbst wenn das heute oft nicht so gespielt wird, spricht historisch alles dafür (und oft auch die melodischen Gestalten). Ich habe auf die Schnelle nur zwei Ausnahmen gefunden, das sind Czernys Angaben für das largo e mesto aus op.10/3 (s.o., 72 für Achtel, aber auch dieses Tempo ist schneller als irgendjemand das spielt, "typische" tempi liegen eher bei 56-60) und die "Introduzione" in der Waldsteinsonate (Achtel=56-60 lt. Czerny und Moscheles). Die Introduzione ist aber ein Sonderfall und auch der andere Satz ist offensichtlich langsamer gedacht als der vorliegende (s.o. 64telfigurationen).
    M.E. ist ca. 30 für punktierte Viertel ungefähr das langsamste Tempo, in dem man die noch halbwegs als Zählzeit wahrnehmen kann. Das ist etwa das Tempo von Goode und Backhaus (Spieldauern um 7 min.)
    Ich habe vorhin die Sonate mit A. Lucchesini gehört, der spielt ein "übliches" Tempo von ca. 82-84 (ca. 8:15 Spieldauer), das fließt zwar noch halbwegs, aber die punkt. Viertel höre ich da nicht mehr. Noch


    Es mag ja auch sein, dass man das flexibler spielen sollte als Gulda es tut. Aber dass der Satz besonders langsam sein sollte (vgl. z.B. mit dem aus op.10/3 oder auch dem Adagio der Hammerklaviersonate) leuchtet mir nach wie vor nicht ein. Für mich ist das eine sangliche Opernarie und es leidet gerade die Melodik bei dem gletscherhaften Tempo von Gilels. Das könnte kein Mensch sinnvoll singen.


    Ein paralleler Satz ist das Adagio grazioso in op.31/1 (auch 9/8). Der hat Züge einer Parodie auf eine überverzierte Opernarie. Hier müssen 64tel gespielt werden, aber die Achtelbegleitung (und der einleitende Triller über eine halbe Note lang) zeigen, dass auch hier punktierte Viertel gezählt werden. Meiner Ansicht nach sollten die beiden Sätze ungefähr im selben tempo gespielt werden. Für mich unverständlich, warum man den in op.22 erheblich langsamer spielen sollte. Wenn überhaupt, ein wenig schneller...
    Arrau: beginnt mit 90 für Achtel in op.31/1,ii (klingt für mich auch etwas zu "buchstabiert") ggü. 66 oder langsamer in op.22. Gilels, der noch langsamer in op.22 war, beginnt mit 104 oder so.
    Sehr interessant. Anscheinend sind sich selbst die "langsamen" bei dem Satz in op.31/1 einig, dass er "in 3" gehen soll, während selbst durchschnittliche Tempi in op.22,ii zu langsam dafür sind und von der Liste nur Gulda, Brendel, Backhaus, Goode dafür zügig genug spielen.
    Trotzdem bestätigt mich das in meiner Ansicht, dass für op.22,ii das zügigere Tempo richtig ist. Die Sätze sind einfach zu ähnlich im Gestus.

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  • Es mag ja auch sein, dass man das flexibler spielen sollte als Gulda es tut. Aber dass der Satz besonders langsam sein sollte (vgl. z.B. mit dem aus op.10/3 oder auch dem Adagio der Hammerklaviersonate) leuchtet mir nach wie vor nicht ein. Für mich ist das eine sangliche Opernarie und es leidet gerade die Melodik bei dem gletscherhaften Tempo von Gilels. Das könnte kein Mensch sinnvoll singen.

    Sein soll - natürlich nein! Einverstanden! Aber dürfen selbstverständlich! :D Ich finde, Gilels gibt dem Satz damit eine ganz neue Dimension. Aber dazu komme ich noch.... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Johannes Roehl: für mich ist das eine sangliche Opernarie...


    Jürgen Uhde sieht darin etwas Anderes:

    Zitat

    Jürgen Uhde, Beethovens Klaviersonaten, s. 301: Im übrigen ist der Satz ein sehr wichtiges Beispiel instrumentaler Transparenz, das heißt, des von Beethoven so oft geübten Verfahrens, in einem Instrument ein anderes Instrumentarium durchscheinen zu lassen: im Klavierspiel immer wieder das Streichquartett, das Orchester oder das Konzert mit Orchester. In diesem Fall scheint etwa eine Violinsonate mit Orchesterbegleitiung durch. Das zu wissen, kann für den Interpreten ein entscheidender Gesichtspunkt sein: Noch mehr als sonst kommt es hier auf die genaue Klangvorstellung an.....


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Beethoven, Sonate Nr. 11 B-dur op. 22
    Eric Heidsieck, Klavier
    AD: 1968 bis 74
    Spielzeiten: 5:44-9:33-2:55-5:47 -- 23:55 min.;


    Eric Heidsieck geht den Kopfsatz in normalem Tempo an. Dynamisch gibt e sich, zumindest im Hauptsatz, noch moderat, präferiert einen leichten federnden Rhythmus und einen transparenten Klang. Auch in der Überleitung im lyrischen teil schwebt es. das Crescendo zum Seitenthema hin könnte vielleicht etwas kraftvoller ausfallen.
    Im Seitenthema vermag ich gar nach den jeweiligen Sforzandi sogar Verzögerungen auszumachen, die sich mir nicht so recht erschließen. Jedenfalls sind keine Fermaten auszumachen. In der zweiten Hälfte mit den verkürzten Notenwerten spielt er ein starkes Echo, auch hier wieder die leichten Verzögerungen zwischen den Sforzandi, wobei ich ja nicht einmal sagen will, dass mir das nicht gefällt.. Das ist mal eine andere Sichtweise. Auch im dritten Teil des Seitenthemas mit den Oktavwechseln bleibt er dynamisch moderat- ein sanfter Franzose. Und da er in der Schlussgruppe im Pianissimo beginnt, muss er im Decrescendo Takt 59 weiter nach unten gehen, sodass er in der Tat ein abgrundtiefes Piano Pianissimo erreicht- faszinierend. Von da aus ist auch der anschließende Takt 62 dynamisch äußerst kontrastierend.
    Wie ich es mir leider schon gedacht habe, gehört auch er zu den Wenigen, die leider die Exposition nicht wiederholen (das hat er nicht zum ersten Mal gemacht). Dabei hat er sie doch ganz ansprechend und auch etwas anders gespielt.
    Auch in der Durchführung bleibt er bei seiner sanften, ich möchte fast sagen, etwas harmlosen Lesart. Hier müsste es doch zumindest ein bisschen krachen im Gebälk, tut es aber nicht. Dafür fließen die Bögen wunderbar. Dennoch finde ich, dass er das Spielerische hier vielleicht etwas übertrieben hat. Im letzten Teil der Durchführung, der Vorbereitung der Reprise, spielt er so leise, dass man die Tiefbässe kaum noch vernehmen kann. Auch das Crescendo mit dem anschließenden Decrescendo, hin zur pp-Fermate, ist abgrundtief sanft und hier natürlich prachtvoll.
    In der Reprise , in dem langen bogen ab Takt 142 retardiert er, was ich allerdings schon mal gehört habe.
    In der Überleitung ist die lyrische Sequenz, diesmal in der höheren Lage noch eindrucksvoller als zuvor. Weiter spielt er die Reprise wie die Exposition zuvor.


    Im Adagio, dass er, wie ich finde, auch in einem angemessenen Tempo spielt, bleibt er bei seinem moderaten dynamischen Gesamtkonzept. Gleichwohl gefällt mir der Ausdruck seines Spiels sehr wohl. Die themenerweiternde Überleitung nach dem Doppelstrich (Takt 13 mit Auftakt) spielt er vielleicht noch anrührender, wunderbar die Seufzersequenz in Takt 16 und 17, und das Seitenthema mit den abschließenden aufwärts strebenden Seufzern spielt er m. e. schlichtweg atemberaubend, und in den wunderbaren Zweiunddreißigstelbögen der Schlussgruppe wird m. E. die Tempofall so überaus deutlich, in die sich ein Pianist begibt, der das Stück zu schnell spielt, vielleicht gar so schnell wie Gulda. Das ist dann nur noch virtuos, da ist dann von Ausdruck, gar von "molto espressione", wie Beethoven es verlangt, bei Gulda nichts zu spüren. Wie viel mehr spüre ich da von einem vermeintlichen Pianisten "aus der zweiten Reihe" wie Eric Heidsieck, wie er diese wunderbare geheimnisvolle Stimmung dieses Satzes einfängt, die sich nur erschließt, wenn man nicht darüber hinwegbraust. Diese Stimmung kann nur aus dem tiefen Pianissimo erstehen, wie es in der Durchführung bei entsprechendem Tempo so wunderbar zu spüren ist, mit einem atemberaubend kleinschrittigen Crescendo (Takt 33ff. und Sforzandi in jedem folgenden Takt auf der Eins sowie dynamischen Akzenten ab Takt 39/40 jeweils im Taktübergang und mit drei unglaublichen Crescendo-Ansätzen in Takt 43, 44 und 45, jeweils wieder aus dem Piano heraus, und dann wieder in die beseligende Reprise überfließend.
    Und wenn man das so spielt wie hier Heidsieck und wie schon etliche andere vor ihm, dann fällt hier auch nichts auseinander, sonder dann ist das ein unheimlich geschlossener, intensiver Vortrag.


    In der Reprise steigert Heidsieck seine dynamischen Bemühungen noch ein wenig, womit er einen gewissen Kontrast zur Exposition sieht.
    Nach den heutigen Meinungsvergleichen hier in diesem Thread bin ich, auch dank des grandiosen Vortrags Heidsiecks, zumindest in diesem Satz, mehr denn je zu der Überzeugung gelangt, dass die Geheimnisse dieses Satzes nur in diesem oder einem ähnlichen Tempo zu entschlüsseln sind. Das ist ja oft so in langsamen Sätzen.
    Als ich heute am frühen Abend in meinem Stammcafé weilte, habe ich mir die Aufnahme Korsticks angehört. Das gleiche Mysterium, wobei Korstick einen dynamisch anderen Ansatz wählte, aber auch da dieser Zauber zu verspüren war.
    Um bei Heidsieck zu bleiben, in der Seufzersequenz vor dem Seitenthema (Takt 61 bis 64 wird es wieder überdeutlich: diesen Ausdruck zu treffen, braucht Zeit. Der Satz ist kein Bravoursatz, sondern ein Ausdruckssatz. Das Seitenthema und die Schlussgruppe geben noch einmal ein beredtes Beispiel von der großen Ausdruckskunst Heidsiecks. Welch ein grandioser Satz!


    Im Minuetto ist Heidsieck sogar etwas rascher als Gulda, aber hier sind beide m. E. auf Augenhöhe in ihrem leichten mozartinischen Spiel. Besonders der zweite Teil des Minuetto gefällt mir über die Maßen, wie Heidsieck da innerhalb der Phrase beschleunigt und gleichzeitig crescendiert, das ist schon sehr eindrucksvoll.
    Das Minore fügt sich in Heidsiecks rhythmisches Gesamtkonzept des Fließens ein, ähnlich, wie ich es heute am frühen Abend von Korstick hörte.
    Auch Heidsieck schließt natürlich das Minuetto Da Capo an.


    Auch Heidsieck geht das Rondo Allegretto recht rasch an, aber seine Lesart ist m. E. so entspannt, dass ich keinerlei Hast und Eile entdecken kann, und gleich nach dem Hauptsatz spielt einen betörenden Übergang und ein nicht minder betörendes Seitenthema, in dem er die Arpeggien schwerelos schweben lässt. Auch die Schlussgruppe schließt sich an dieses fließende Spiel an. Überleitung und Themenwiederholung gehen ineinander über. Heidsieck entfacht einen Zug, der aber nicht überbordet.
    Weiterhin bleibt er auch bei diesem zwar lebhaftem, aber auch pastoralen Satz im Rahmen seines dynamischen Gesamtkonzeptes. Ihm ist einfach kein Fortissimo zu entlocken, das ist bei dieser schlüssigen Interpretation auch gar nicht nötig.
    Auch seine Lesart der Durchführung erscheint in einem ganz anderen Licht. Da ist nichts von Dunkelheit und Schwere, allenfalls von leichter Eintrübung und Gedankenschwere, und die Zweiunddreißigstel ab Takt 32 huschen gar in elfenhafter mendelssohnscher Manier dur die Partitur.
    Auch im Durchführungskern geschieht nichts Tragisches, vielleicht ist doch der rhythmische Impetus sogar etwas zu leicht, aber nur im Vergleich mit anderen Interpretationen. Zu seinem Konzept passt das ganz hervorragend, wie auch im zweiten Teil dieser Sequenz.
    Es gibt ja Stimmen, die sagen, dass die Ecksätze in dieser Sonate von ihrem musikalischen Gehalt her abfallen. Ich sehe das nicht so, ich finde nur, dass ihr musikalischer Gehalt anders ist, mehr das Spielerische dieser Sonate betont, wobei natürlich im Kopfsatz auch noch allerhand Virtuoses zu bewältigen ist.
    Noch ein letztes Mal beglückt uns Eric Heidsieck in der Reprise des Rondos mit seiner hier wirklich grandiosen lyrischen Qualität, wobei hier natürlich auch nicht die kurzen Zweiunddreißigstel-Oktavwechsel ab Takt 121 durchaus sehr virtuos sind. Ein letztes Mal "zelebriert" Heidsieck die Arpeggien des Seitenthemas, und dann die Schlussgruppe, die dann in die atemberaubende hohe Oktave des Themas überfließt, was Heidsieck wieder mit wunderbarer Leichtigkeit spielt, wie ich es kaum bisher gehört habe. Auch in der letzten Themenwiederholung vor der Coda spielt Heidsieck das mit der gleichen Zartheit und Leichtigkeit.
    Mit der Coda schließt er eine wahrhaft für mich unerwartete, aber umso mehr ergreifende Interpretation ab.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Jürgen Uhde sieht darin etwas Anderes:


    Ich sehe da keinen starken Widerspruch. Ein langsamer sanglicher Violinsonaten oder -konzertsatz ähnelt ja auch einer Opernarie.


    Jedenfalls sehr interessant, dass von den mir vorliegenden der einzige Pianist, der annähernd das gleiche Tempo (tatsächlich ist auch er in op.31/1 ein wenig schneller) in den beiden Sätzen spielt, Gulda (amadeo, in einer anderen Aufnahme ist er in op.22,ii anscheinend fast eine Minute langsamer, etwa wie Brendel) ist. Der spielt beide klar "in 3", op.22,ii ca. 42, op.31/1,ii ca. 46 für punktierte Viertel. Kolisch schlägt für beide identisch 44-46 vor. Czerny (Achtel: 116-126) Moscheles (Achtel: 132) geben etwas schneller als in op.22 (100-116), aber jedenfalls in derselben Größenordnung und nur um die geht es ja.
    Ansonsten ist anscheinend nahezu Konsens, op.31/1,ii "in 3" (wenn auch meist merklich langsamer als die historischen Vorschläge, eher 36 (108)), op.22,ii dagegen "in 9" mit ca. 80 für Achtel als "üblichem" Tempo. Das wundert mich wirklich sehr. Selbst wenn man Czernys Vorschläge zu schnell findet, könnte man ja beide deutlich langsamer, aber eben in einem ähnlichen Tempo spielen.


    Während ich früher z.B. Gilels in op.31/1,ii auch viel zu langsam fand, hat mich gestern das zumindest als Option überzeugt und es ist (im Ggs. zu nicht nur Gilels in op.22) auch klar noch "in 3" hörbar. Er ist auch ein ganzes Stück schneller als Arrau oder Schnabel (12:30). Meine langsamste habe ich nicht angehört (Heidseick mit knapp 14 min...)
    Kann jemand mal für die anderen "Ausreißer" Brendel, Backhaus und Goode die Spieldauern oder Tempi für op.31/1,ii (oder Brautigams für op.22,ii) posten?
    Selbst wenn das eine andere Sonate ist, finde ich das interessant wegen der Verwandtschaft der langsamen Sätze.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Brautigam habe ich nicht, lieber Johannes, aber ich habe mal bei JPC nachgesehen:


    op. 22, 2. Satz:


    - Brautigam: 6:58


    op. 31.1, 2. Satz:


    - Backhaus: ...8:17
    - Brautigam: 10:05
    - Brendel77: 11:06
    - Goode: .......9:37


    Mir scheint, dass sich diese vier "Ausreißer" bei diesem langsamen Satz nicht so einig sind.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Zumindest Brautigam, Brendel (die spätere Aufnahme gibt als mp3 download 10:30) und Goode (10:08, was mich an Zeitangaben auf Covern zweifeln lässt, 30 sec. Unterschied kann wohl kaum daher kommen, ob eine Pause zum vorherigen oder folgenden Track gerechnet wird) scheinen ebenfalls nur recht geringe Unterschiede im Tempo zwischen op.22,ii und 31/1,ii zu machen, auch wenn sie wohl alle etwas schneller im letztgenannten Satz sind. In der 77er Aufnahme könnte Brendel sogar (als einziger?) einen Tick langsamer in op.31 als in op.22 sein, da müsste man reinhören und das genaue Tempo bestimmen, die Spieldauern sind zu grob.


    Wie auch immer, zumindest einige bedeutende Pianisten haben die enge Verwandtschaft der Sätze erkannt ;) und spielen sie in ähnlichem und halbwegs angemessenen Tempo. Wenn die Spieldauer Backhaus' stimmt, ist er fast so schnell wie Gulda in op.31/1 (damit allerdings auch erheblich zügiger als in op.22,ii).
    Mir leuchtet nach wie vor nicht ein, warum op.22,ii nicht ungefähr im selben Tempo gehen sollte, oder wenn breiter, dann jedenfalls auch noch klar "in 3"; punkt. Viertel 33-34 (ca. wie Goode) für op.22 und 40-42 für op.31/1 (etwas breiter als Gulda) wären immer noch ein deutlicher Tempounterschied, aber doch so, dass man op.22,ii noch "in 3" hören könnte.


    Jedenfalls schade, dass die Interpretationen in mich überzeugenden Tempi so dünn gesät sind. Ich kann nachvollziehen, dass man Gulda zu "nüchtern" findet; aber das liegt keineswegs nur am Tempo. Wenn ein paar mehr das Adagio im Bereich der Gulda - Brendel - Backhaus Tempospannweite spielen würden, gäbe es sicher auch leidenschaftlichere/flexiblere Lesarten ohne (für mich) zu starke Verschleppung.

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  • Zitat

    In der 77er Aufnahme könnte Brendel sogar (als einziger?) einen Tick langsamer in op.31 als in op.22 sein, da müsste man reinhören und das genaue Tempo bestimmen, die Spieldauern sind zu grob.


    Die Zeitangaben in meinen Hörberichten sind immer exakt, jedenfalls, was das jeweilige Satzende betrifft. Da ich meine Hörberichte direkt am Computer schreibe, kann ich das Satzende direkt bestimmen, wenn das Nachschwingen am Pedal endet. Ich lasse den Ton über einen ordentlichen Yamaha-Verstärker laufen und höre ihn über einen Kopfhörer der Marke Grado Signature SR 325 e. Da stoppe ich dann nach dem Nachschwingen direkt die Zeit ab.


    Ich könnte natürlich die Sonate Nr. 16 als Nächste besprechen, das ginge dann aber erst frühestens im Mai nach meinem Urlaub. Da würden wir den Zeitunterscheiden natürlich schnell auf die Spur kommen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Dieter Stockert hat eine umfangreiche Sammlung mit Aufnahmen mit Hammerflügel.

    Ich habe alle Sonaten in der Einspielung von Ronald Brautigam, die Nummern 9, 10, 11, 16, 17, 18, 20, 22, 23, 24, 25, 26, 27, 30, 31 und 32 auch von Paul Komen, die Nummern 13, 17, 20 auch von Alexei Lubimov.

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