Gustav Mahler. Seine Lieder, vorgestellt und besprochen in der Reihenfolge ihrer Entstehung und Publikation

  • Das dem Lied zugrundliegende Gedicht ist, wie man schon im neunzehnten Jahrhundert erkannt hatte und wie mit Heinz Röllekes quellenkritischen Untersuchungen definitiv nachgewiesen ist, in seinen wesentlichen Teilen ein „Machwerk“ der Herausgeber der „Wunderhorn“-Sammlung, - vor allem in seinem „VaterlandsHeimweh“-Aspekt, den es aufweist, und in dem es das Leiden unter der napoleonischen Fremdherrschaft und die Sehnsucht nach Heimat in nationaler Einheit zum Ausdruck bringt. Es weist aber auch einen durchaus historisch relevanten Kern auf: Die aus schwerem Leid erfolgende Desertion des aus wirtschaftlicher Not in den soldatischen Dienst feudaler Herrschaft getretenen und dort rücksichtslos ausgebeuteten, ja vergewaltigten Menschen aus einfachen gesellschaftlichen Verhältnissen. Hinzugefügt haben Achim von Arnim und Clemens von Brentano allerdings dabei das Motiv der im Leben unter Fremdherrschaft allmächtig werdenden Sehnsucht nach dem Heimatland.


    Diese historischen und editorischen Aspekte des „Wunderhorn“-Gedichts interessierten Mahler aber nicht, - wenn er, was zu bezweifeln ist – überhaupt davon gewusst hat. Was ihn an diesen Versen ansprach, das lässt seine Liedkomposition auf sehr deutliche und beeindruckende Weise vernehmen:
    Es ist das Leiden eines Menschen unter den Folgen einer Handlung, die dem Sich-Bekennen zur eigenen Identität und den daraus hervorgehenden Bedürfnissen entspringt. Der Ruf des „Alphorns“ wird als Signal vernommen, das zum Ausbruch aus dem „In-der-Fremde-Sein“ in den Raum des existenziellen „Zuhause-Seins“ aufruft und dazu führt, dass alle auferlegten Pflichten und Verhaltensregeln abgeworfen und hinter sich gelassen werden. Dass Mahler dieses Ereignis im historischen Umfeld vergangener Zeiten begegnete, wie das in „Des Knaben Wunderhorn“ der Fall war, musste er wohl als Bestätigung dafür verstanden haben, dass es sich hier um einen existenziell fundamentalen Vorgang handelt. Und als solchen behandelt er ihn dann auch liedkompositorisch.


    Das klangliche Umfeld, in das er ihn bettet, die musikalische Evokation von militärischer Lebenswelt also – vom Marschrhythmus bis hin zum geradezu penetrant wirkenden Trommelwirbel – ist dabei letztendlich von sekundärer Bedeutung. Eigentlich dient es nur dazu, der Aussage des lyrischen Ichs, wie sie in der überaus ausdrucksstarken zwischen konstatierender Härte und gefühlvoller Hingabe hin und her pendelnden melodischen Linie klangliche Gestalt annimmt, den angemessenen Nachdruck zu verschaffen, - dies auf dem Weg einer Einbindung in eine historisch konkrete Lebenswelt.


    Vielleicht aber gibt es noch einen weiteren Aspekt, der für den Griff Mahlers nach diesem „Wunderhorn“-Text eine Rolle spielte, - und für die so großartige Liedmusik, die daraus hervorging, kompositorisch prägend und richtungsweisend war. Es könnte durchaus sein, dass er sich – zumindest partiell – in der situativ-existenziellen Befindlichkeit dieses lyrischen Ichs wiederfand und sich mit ihr identifizierte.


    So wie dieser Mensch dem Ruf folgte, den er in seinem tiefsten Innern vernahm, dem zwar von außen kommenden, ihn aber im Kern seiner Existenz ansprechenden Ruf des „Alphorns“, und in Folge davon in eine gesellschaftliche und existenzielle Grenzsituation geriet, so sah und erlebte auch Mahler seine eigene Situation, wie sie sich daraus ergab, dass er seinem inneren Ruf als schaffender Künstler folgen zu müssen meinte. Seine Briefe und in zeitgenössischen Quellen überlieferten Äußerungen belegen das in vielfältiger Weise. Bezeichnend eine wie diese, von Natalie Bauer-Lechner bezeugte:
    „Wie schmerzlich aber ist es, diese (eigenen) Werke lebendig begraben zu sehen, und wie fürchterlich auf der anderen Seite die wachsende Vereinsamung (…) Man möchte sich am liebsten gar nicht mehr in die Welt begeben, denn jede Hoffnung, ein Verständnis zu finden, ist irrig und eitel.“

  • Kuckuck hat sich zu Tode gefallen,
    An einer grünen Weiden.
    Kuckuck ist tot! Kuckuck ist tot!
    Hat sich zu Tod gefallen!


    Wer soll uns denn den Sommer lang
    Die Zeit und Weil´ vertreiben?
    Kuckuck! Kuckuck!
    Wer soll uns denn den Sommer lang
    Die Zeit und Weil´ vertreiben?


    Ei, das soll tun Frau Nachtigall,
    die sitzt auf grünem Zweige!
    Die kleine, feine Nachtigall,
    Die liebe süße Nachtigall!
    Sie singt und springt, ist allzeit froh,
    wenn andre Vögel schweigen.


    Wir warten auf Frau Nachtigall,
    die wohnt im grünen Hage,
    und wenn der Kuckuck zu Ende ist,
    dann fängt sie an zu schlagen!



    Das Gedicht aus „Des Knaben Wunderhorn“ besteht aus nur acht Versen. Mahler hat daraus unter Einfügung von eigenen Versen und vielen, den Volksliedcharakter verstärkenden Wiederholungen ein vierstrophiges Lied gemacht, aus dessen musikalischer Substanz er dann den dritten Satz seiner Dritten Symphonie entwickelte. Eigene sprachliche Einschübe sind in der ersten Strophe „Kuckuck ist tot, hat sich zu Tode gefallen“ und bei der vierten Strophe der gesamte Text. Ein Zweivierteltakt liegt dem Lied zugrunde, und es soll „mit „Humor“ vorgetragen werden.


    Die Frage ist freilich, ob es sich im Charakter eines humorvollen Scherzliedes erschöpft. Beim zugrundeliegenden Wunderhorn-Text kann man wohl davon ausgehen. In seinem Zentrum steht das in seiner lyrischen Sprachlichkeit und seiner Semantik komisch wirkende Bild vom „zu Tode gefallenen“ Kuckuck. Daraus wird nichts weiter gemacht als die Frage aufgeworfen, wer denn den Menschen nun über den Sommer hin „die Zeit und Wie´ vertreiben“ solle. Die Antwort ist: Die Nachtigall. Und die wird nun in ihren Eigenschaften gepriesen.


    Allein die textlichen Hinzufügungen Mahlers lassen schon erkennen, dass er aus der Wunderhorn-Vorlage mehr macht. Er greift darin die lyrischen Aussagen auf, die sich auf den Charakter der Nachtigall beziehen, dass sie nämlich „singt und singt“ und „allzeit froh ist“, „wenn andre Vögel schweigen“. Er siedelt sie als naturhaftes Wesen „im grünen Hage“ an und betont die Besonderheit, dass sie, wenn der Kuckuck zu Ende ist, zu schlagen anfängt, - den Menschen also mit ihrem Gesang Freude spendet. Der Nachtigall wird damit ein sich vom Kuckuck abhebender besonderer Rang verliehen. Sie wird darin zur Metapher für die Bedeutung von Kunst und Musik für den Menschen.


    Und genau das lässt dann auch die Liedmusik in klanglich beeindruckender Weise vernehmen. Es gibt tatsächlich so etwas wie eine klangliche Polarität in diesem Lied, - und das in allen Elementen der Liedmusik: Der Melodik, dem Klaviersatz und der Harmonik. Auf einen Nenner gebracht könnte man sagen: Dem Kuckuck ist die leicht dissonant wirkende Kombination aus Quinte und Quarte zugeordnet, und dies in Verbindung mit dem Tongeschlecht Moll; der Nachtigall hingegen die lieblich wirkende Terz und das Tongeschlecht Dur.


    Das Kuckucksmotiv erklingt gleich im zweitaktigen Vorspiel und begleitet die melodische Linie der Singstimme bei den ersten beiden Versen. Es besteht aus einer rhythmisierten Kombination von Quintsprung und Quartfall und wirkt klanglich deshalb dissonant, weil ihm im Bass eine Figur aus Achteln zugeordnet ist, die klanglich sperrige Intervalle erzeugt. Die Fallbewegung, die die melodische Linie auf dem ersten Vers beschreibt, ereignet sich in Sekundschritten, wobei zweimal triolische Tonrepetitionen erfolgen. Da sie in a-Moll harmonisiert ist, weist sie eine Anmutung von Kläglichkeit auf.


    Und das gilt für die ganze erste Strophe. Besonders eindringlich wird dieser Klageton bei dem dreimaligen Sekundfall der melodischen Linie in der Wiederholung des Wortes „Weiden“. Hier ist es nämlich nicht ein Ton, der repetiert, sondern es ist eine Figur aus im Sekundabstand sich auf und ab bewegenden Sechzehnteln. Und die rufartig wirkende Sprung- und Fallbewegung auf den Worten „Kuckuck ist tot“ begegnet einem wie die im Intervall verkleinerte Fassung des anfänglichen Kuckucksmotivs. Über die ganze Strophe hin schlägt das Klavier im Bass eine Folge von Achteln an, die über eine Quinte und eine Quarte aufsteigen und dann einen Oktavsturz machen. Das Bild vom zu Tode gefallenen Kuckuck ist also in klanglich höchst eindringlich wirkendes Chroma gebettet.


    Es gibt noch ein zweites Kuckucksmotiv, das eine Variante des ersten darstellt, unter stärkerer Betonung des Rufcharakters. Es besteht aus einer Kombination von Oktavsprung und Quartfall und erklingt erstmals im Zwischenspiel vor der zweiten Strophe und dann in derselben bei dem Ruf „Kuckuck“, „Possierlich“ soll die melodische Linie hier vorgetragen werden. Sie besteht aus der Wiederholung der gleichen Fallbewegung auf den Worten „Wer soll uns denn den Sommer lang die Zeit und Wie´ vertreiben?“, nur dass sie im zweiten Fall um eine ganze Terz höher ansetzt, womit der Nachdruck, der auf der Frage liegt, deutlich erhöht wird. Er generiert sich ganz wesentlich daraus, dass jeder Ton in dieser fallenden melodischen Linie wiederholt wird und das Klavier diese Bewegung mit synchron staccato angeschlagenen Akkorden begleitet.


    In A-Dur erklingt das Vorspiel zur dritten Strophe. Man kann bei diesem Auf und Ab von Sechzehntel-Terzen und –Quarten wirklich von einem Vorspiel sprechen, denn das Lied nimmt mit der melodischen Linie auf den Worten „Ei, das soll tun Frau Nachtigall“ einen klanglichen Charakter an, der sich vom Chroma der vorangehenden Strophen deutlich abhebt. Munter wirkt die Vokallinie in ihren Bewegungen. Wie befreit von der Tendenz zum Fallen in Sekundschritten bewegt sie sich nun in oberer Mittellage mit häufigen Doppelschritten beschwingt auf und ab und bettet die Worte „Nachtigall“ und „süße Nachtigall“ durch kleine Melismen in eine Aura klanglicher Lieblichkeit.


    Das Klavier begleitet vom Anfang der Strophe an mit einer im Diskant auf und ab laufenden Ketten von Sechzehnteln, die in dem Augenblick, wo im lyrischen Text die Nachtigall mit Epitheta versehen wird, durch Quarten und Terzen angereichert werden, - die klanglichen Markenzeichen der Nachtigall. Und wenn die melodische Linie bei den Worten „sie singt und springt“ ihrerseits zu Sprungbewegungen übergeht, beginnt das Klavier mit der Artikulation von in hohe Lage aufsteigenden Sechzehntel-Figuren, denen triolische Sechzehntel in tiefer Lage folgen. Bei den Worten „wenn andre Vögel schweigen“ kommen die Sechzehntel auch in die melodische Linie: In Gestalt einer von einer fast dreitaktigen Pause gefolgten gleichsam offen endenden, weil mit einer Rückung nach H-Dur verbundenen und in einen Viertelton mündenden Sechzehntel-Wellenbewegung.


    In tänzerischen Triolen geht es in dieser Pause im Klavierdiskant beschwingt abwärts. Die melodische Linie der Singstimme behält in der letzten Strophe („Wir warten auf Frau Nachtigall…“) ihren Gestus der Wiederholung der deklamierten Schritte in einem Auf und Ab der tonalen Ebene bei, allerdings kommt es in der Harmonisierung zu kleinen chromatischen Trübungen in Gestalt permanenter, das Tongeschlecht wechselnder Modulation. Kommt da ein wenig Ungewissheit in die Liedmusik, - Unsicherheit, ob das Warten auf Frau Nachtigall von Erfolg gekrönt sein wird? Es ist ja auch wieder eine leichte Falltendenz in der Melodik zu vernehmen. Allerdings rafft sich die melodische Linie dann bei den Worten „im grünen Hage“ mit zwei Sechzehntel-Sprüngen in hohe Lage auf, um sich dann bei den Worten „und wenn der Kuckuck zu Ende ist“ deklamatorisch nur noch auf der Ebene eines „A“ in mittlerer und eines „E“ in hoher Lage zu bewegen. Das Klavier begleitet dies mit der oktavischen Variante des Kuckucksmotivs.


    Mit einer bogenförmig ansteigenden, wieder fallenden und am Ende mit einem Sekundfall in den Grundton „A“ mündenden Sechzehntel-Bewegung klingt die melodische Linie bei den Worten „fängt sie an zu schlagen“ aus. Das a-Moll hat sich nun in der Harmonisierung wieder voll durchgesetzt. Warum aber, - wo doch vom Schlagen der Nachtigall die Rede ist? Vielleicht gibt das Nachspiel die Antwort auf diese Frage. Mit seiner forte angeschlagenen, in a-Moll eine fallende Linie beschreibenden, immer wieder in Einzeltönen nach oben ausbrechenden und am Ende in den Kuckucksruf mündenden Folge von Terzen klingt es nicht so, als stünde eine große Gewissheit hinter diesem „Warten auf Frau Nachtigall“.

  • In der Nachbarschaft von „Zu Straßburg auf der Schanz´“ nimmt sich dieses Lied höchst wunderlich aus. Von dem im Zentrum stehenden Bild des „Kuckucks“ her wirkt es geradezu grotesk, denn diesem Vogel wird ja lyrisch-sprachlich etwas nachgesagt, was bei einem solchen Geschöpf gar nicht möglich, sondern aus dem menschlichen Bereich genommen ist: Dass er sich „zu Tode gefallen“ habe. Und die leicht rhythmisierten Quinten-Quarten-Figuren, die im Zwischenspiel zu Oktavsprüngen mit Quartfall regelrecht ausarten können oder im Nachspiel sich zu mickerigen verminderten Terzen verengen, sind ebenso eine liedmusikalische Konkretion dieses grotesken Bildes wie die in triolisch repetierende, sich chromatisch langsam absenkende und deshalb kläglich anmutende melodische Linie, die auf den Eingangsworten liegt. Die geradezu aufdringliche Wiederholung der Worte „Kuckuck ist tot“, die auf derselben, dem Kuckuck zugeordneten, aber nun auf der im Intervall von der Quinte zur Quarte und von dieser zur Terz verkleinerten Figur deklamiert wird, setzt der Groteske die Krone auf.


    Man vernimmt ein – klanglich überaus beeindruckendes und kompositorisch zweifellos meisterliches – liedkompositorisches Dokument von Mahlers musikalischem Humor. Es ist freilich – eben weil es ein mahlerscher ist – kein flacher und vordergründiger, in schierer klanglicher Effekthascherei sich erschöpfender, sondern ein hintergründiger, einer der den Hörer nachdenklich werden lässt. Denn es geht in diesem Lied ja letzten Endes um mehr als um das, was das Wunderhorn-Gedicht als solches beinhaltet. In diesem Achtzeiler wird das Bild tatsächlich wörtlich genommen: Der Kuckuck ist verstummt, nun tritt die Nachtigall an seine Stelle, um dem Menschen ihn erfreuenden Vogelsang zu bescheren, - was freilich ein wenig wunderlich ist, denn die Nachtigall singt bekanntlich im Sommer nicht.


    Mahler hat aus diesen Versen durch eigene textliche Hinzufügungen und mittels seiner Liedmusik etwas ganz anderes gemacht und es ungefähr fünf Jahre später im dritten Satz seiner Dritten Symphonie aufgegriffen und fortgesetzt. Was sich dort ereignet, die Demaskierung der Idylle des Menuettos des zweiten Satzes durch den dritten, ist im Grunde hier programmatisch vorgegeben - und wieder einmal ein schöner Beleg für die sachliche Berechtigung von Willem Mengelbergs Feststellung: „Der Kern der Bachschen Musik – die Materie – ist der Choral; der Kern der Mahlerschen Musik ist das Volkslied.“


    Denn das Thema dieses Liedes ist ja doch, in das Gewand der Humoreske gekleidet, ein zutiefst ernstes und für den Komponisten und Musiker Mahler existenziell höchst relevantes: Die Frage nach dem Wesen von wahrer Kunst und den Chancen und Möglichkeiten ihrer Erschaffung, Pflege, Rezeption und Bewahrung m Raum lebensweltlicher Realität. Und hört man auf die Musik dieses Liedes unter diesem gleichsam hintergründigen, sein klangliches Wesen aber maßgeblich prägenden Aspekt und bedenkt dabei, dass die letzte Strophe von Mahler dem Wunderhorn-Text hinzugefügt wurde, dann vernimmt man in ihr die tiefe Skepsis und die Zweifel, die ihr Erschaffer diesbezüglich hegte, und man erfährt – wieder einmal – die Bitterkeit, die Mahlers Humor zu einem ganz eigenen macht.


    Das „wir“ in den Worten, mit denen die letzte Strophe eingeleitet wird, ist ein Plural, in dessen Zentrum Mahler selbst steht. Und das „Warten“ auf „Frau Nachtigall“ wird von ihm hinsichtlich seiner Erfüllung auf bemerkenswerte Weise liedmusikalisch kommentiert. Die sich bei den Worten „im grünen Hage“ in melismatischem Aufschwung ergehende und in E-Dur harmonisierte melodische Linie, schwenkt mit einem Mal bei den Worten „und wenn den Kuckuck zu Ende ist“ in ein in a-Moll harmonisiertes sachlich konstatierendes Auf und Ab um, und dieses a-Moll dauert auch fort, wenn die Singstimme zur Deklamation der, wiederum melismatischen, Melodik auf den Worten „dann fängt sie an zu schlagen“ übergeht. Gäbe es die Gewissheit, dass die Nachtigall ihr Singen ertönen lässt und die Herzen der Menschen damit erfreut, dann wäre hier eine Dur-Harmonisierung der melodischen Linie angezeigt. Stattdessen ergeht sich das Nachspiel mit seinen verminderten Terzen und oktavisch übersteigerten Kuckucks-Motiven weiter in Moll-Harmonik und mündet in einen bemerkenswert hart und fortissimo angeschlagenen a-Moll-Akkord.

  • Es ritten drei Reiter zum Tor hinaus!
    Ade! Ade!
    Fein´s Liebchen, das schaute zum Fenster hinaus!
    Ade! Ade! Ade!
    Und wenn es denn soll geschieden sein,
    so reich´ mir dein goldenes Ringelein!
    Ade! Ade!
    Ja, Scheiden und Meiden tut weh, tut weh!
    Ja, Scheiden und Meiden tut weh, tut weh!
    Ade! Ade! Ade!


    Es scheidet das Kind schon in der Wieg´!
    Ade! Ade!
    Wann werd´ ich mein Schätzel wohl kriegen?
    Ade! Ade!
    Und ist es nicht morgen, ach, wär´ es doch heut!
    Es machte uns beiden wohl große Freud´!
    Ade! Ade! Ade! Ade! Ade! Ade!
    Ja, Scheiden und Meiden tut weh, tut weh!
    Ja, Scheiden und Meiden tut weh, tut weh!
    Ade!



    Mahler hat den zugrundeliegenden Wunderhorn-Text im wesentlichen unverändert übernommen, - bis auf das Ersetzen des Wortes „doch“ („kriegen“) durch „wohl“ („kriegen“) und die von ihm so häufig in die Lieder eingebrachten Wiederholungen. Allerdings hat er, vermutlich weil ihn das Thema hier störte, eine ganze Strophe herausgenommen, die vom „Tod“ handelt, „der uns scheidet“.
    Das Lied besticht klanglich durch den das Anfangsbild von den zum Tor hinaus reitenden „Reitern“ aufgreifenden punktiert wirkenden Rhythmus auf der Basis eines Sechsachteltakts. Er bildet sich schon im viertaktigen Vorspiel in Gestalt von unter einem lang im Diskant gehaltenen Triller im Bass rhythmisiert angeschlagenen oktavischen Auf und Ab von Achteln und Sechzehnteln heraus und trägt die melodische Linie durchweg. Allerdings, und das ist einer der Faktoren, die die klangliche Vielfalt des Liedes bedingen, zwei Mal in seiner Grundgestalt zwar nicht annulliert, aber doch stark gedämpft: Dort nämlich, wo der Sechsachtel- durch einen Zweivierteltakt abgelöst wird. Das geschieht mit dem fünften Vers für den Rest der ersten Strophe und bei den beiden letzten Versen der zweiten.


    Die starke klangliche Wirkung, die von dem Lied ausgeht, gründet unüberhörbar in den Ruf „Ade“. Acht Mal erklingt er, und dies in stets neuen melodischen Varianten. Mahler hat das Lied in höchst kunstvoller Weise so angelegt, dass die sich aus der Struktur und der Aussage des lyrischen Textes ergebenden melodischen Einheiten in eben diesen Ade-Ruf münden, wobei dieser dann jeweils in seiner spezifischen Klanglichkeit wie der Niederschlag der Aussage der melodischen Linie, ihre Quintessenz gleichsam, wirkt. Aus diesem Grund erklingt dieses „Ade“ in stets neuer Weise, auf der Grundlage einer unterschiedlichen Ruf-Struktur und Harmonisierung und in Form einer wechselnden Zahl von Wiederholungen. Nur einmal, am Schluss nämlich, wird das „Ade!“ nur einmal deklamiert, hier allerdings in eine sich über fast drei Takte erstreckenden Dehnung mündend. Ansonsten reicht die Zahl der Wiederholungen von zwei bis sechs, - allein das schon ein Grund dafür, dass dieses „Ade!“ zum melodischen Zentrum des Liedes wird.


    Mahler hat, darin vom lyrischen Text abweichend, seinem Lied eine strophische Gliederung verliehen, die sich in einem unterschiedlichen Charakter der Musik auf die jeweiligen Versgruppen und formal in Zwischenspielen konstituiert. Die erste Strophe umfasst die Verse eins bis vier, und hier bereits ist die vielfältige Funktion, die dem Ade-Ruf jeweils zukommt, deutlich zu vernehmen und zu erfassen. Die erste Melodiezeile beschreibt eine aufwärts gerichtete Bogenbewegung, die lebhaft und in der durch Punktierung erzeugten Rhythmisierung erfolgt, die dem ganzen Lied zugrunde liegt. Danach geht sie in eine Aufwärtsbewegung über. Die zweite tut das auch, aber hier ist die Bogenbewegung nach unten gerichtet. Der Grund: Die drei Reiter brechen frohgemut in die Welt auf, „Feinsliebchen“ aber bleibt zurück und schaut ihnen nach.


    Und damit ist die Grundthematik des Liedes angesprochen: „Scheiden und Meiden“ tut weh, - aber nicht jedem! Es trifft den, der zurückbleibt. Bei dem, der davongeht, muss das nicht der Fall sein, weil ihn der Aufbruch beflügelt und freudig stimmt. Und genau diesen Sachverhalt reflektieren die verschiedenen klanglichen Varianten des Ade-Rufs. Die meisten sind in Moll harmonisiert, aber einige auch in Dur. Das „Ade“ der drei Reiter besteht aus einem in F-Dur harmonisierten Quartsprung, der in eine gedehnte Fallbewegung aus einer Quarte und einer Terz besteht. Das zweite, dreifache „Ade“ folgt auf die in g-Moll gebettete melodische Linie des dritten Verses und ist als Niederschlag der Empfindungen von „Feinsliebchen“ zu verstehen. Hier setzt die melodische Linie zwar auch mit einem Quartsprung ein, geht aber dann in eine gedehnte, weil aus punktierten Vierteln bestehende nach unten gerichtete bogenförmige Bewegung über, die wie ein Nachruf klingt, weil das hohe „C“, das auf der zweiten Silbe des letzten „Ade“ liegt, eine besonders lange Dehnung trägt.


    In das zunächst in F-Dur tänzerisch rhythmisierte Zwischenspiel aus im Diskant aufsteigenden Sexten und Quinten dringt gegen Ende vereinzelt ein f-Moll ein, und das ist dann auch die Harmonik, in der die melodische Linie mit den Worten „Und wenn es denn soll geschieden sein“ einsetzt. Ein Zweivierteltakt liegt ihr nun zugrunde, und die schwungvoll große tonale Räume durchmessende Bewegung hat sie abgelegt. Die ersten vier Worte werden ausschließlich auf einem „as“ in mittlerer Lage deklamiert, und danach sinkt die melodische Linie in ruhiger Entfaltung bis zu einem tiefen „C“ hin ab. Nur wie von fern ist im Klaviersatz noch die Rhythmisierung zu vernehmen, mit der das Lied einsetzte: In Gestalt einer Aufeinanderfolge von einem Viertel und zwei Achteln im Diskant. Im Bass erklingen aufsteigende Triolen aus zwei Achteln und einem Sechzehntel, die wie der Ausdruck seelischer Erregung anmuten.


    Hier wird schmerzlich geschieden, aber doch so, dass der Eine von den Beiden nicht nur passiv leidet. Bei den Worten „so reich mir dein goldenes Ringelein“ kommt ein höchst expressiver, weil mit einer überraschenden Rückung von f-Moll nach As-Dur verbundener Aufschwung in die melodische Linie. Sie steigt „in breiten Triolen“ von einem tiefen „C“ über das Intervall einer Undezime bis zu einem hohen „F“, verharrt dort bei der ersten Silbe von „goldenes“ in einer Dehnung und senkt sich dann in fünf gewichtigen Schritten langsam zu einem „B“ in mittlerer Lage ab, hier in Es-Dur harmonisiert. Das nachfolgende, zweimal deklamierte „Ade“ ist nun ein klanglich schmerzvolles, das in eine in b-Moll einsetzende Rückung gebettet ist.


    Den Worten „Ja, Scheiden und Meiden tut weh“, die das Thema des Liedes unmittelbar ansprechen und deshalb wiederholt werden, liegt eine melodische Linie zugrunde, die den beiden Haupt-Worten einen starken Akzent verleiht und sich darin bei der Wiederholung sogar noch steigert. Steigt sie beim ersten Mal mit einem Crescendo nur bis zu einem hohen „D“ auf, um danach eine bogenförmige Fallbewegung zu beschreiben, so erfolgt die Aufgipfelung bei dem Wort „Meiden“ im zweiten Fall forte auf einem hohen „F“, also eine Terz höher, und das auch noch in Gestalt eines Sekundsprungs. Beim letzten „tut weh“ macht die melodische Linie einen gewichtigen, nun in eine harmonische Rückung von b-Moll nach f-Moll gebetteten Terzfall.


    Das dreifache „Ade“, das dem nachfolgt, besteht aus einem Oktavsprung, der im ersten Fall noch in f-Moll harmonisiert ist, dieses rückt aber dann bei zweiten und dritten „Ade“ nach F-Dur. Die lange Dehnung auf der zweiten Silbe begleitet das Klavier mit seinen tänzerisch rhythmisierten Figuren, die nun bis zu einem hohen „A“ hin ausgreifen. Die Ambivalenz des Scheidens wird hier klanglich sinnfällig. Bei der dritten Strophe (einsetzend mit den Worten „Es scheidet das Kind schon in der Wieg´“), die in der Struktur der melodischen Linie und deren Harmonisierung stark der zweiten („Und wenn es denn soll geschieden sein“) ähnelt, beschreibt die melodische Linie beim „Ade“ zunächst wieder den klanglich schmerzlich wirkenden kleinen Sekundfall. Dann aber, nachdem sie bei den Worten „Wann werd´ ich mein Schätzel wohl kriegen“ in As- und Des-Dur-Harmonisierung wieder fortissimo in hohe Lage ausgebrochen ist, erklingt das zweimalige „Ade“ zunächst in Gestalt eines Sekundsprungs und danach in einem verminderten Sextfall. Hier weist es die Anmutung von Wehmut auf.


    Mit den Worten „Und ist es nicht morgen“ nimmt die melodische Linie deutlichen Schwung auf. In relativ rascher bogenförmiger Bewegung schwingt sie sich zwei Mal über ein großes Intervall nach oben auf, wobei das bei den Worten „große Freud´“ ein Septsprung ist. Hier nun wirkt das „Ade“ mit seinem sechsmaligen Fortissimo-Auftritt wie der Höhepunkt des Liedes. Und der ist harmonisch regelrecht inszeniert, denn zu dem B-Dur, in dem die Singstimme sechs Mal den Oktavsprung auf dem „Ade“ deklamiert, stellt die C- und F-Dur-Harmonik, die den beiden vorangehenden Melodiezeilen zugrundeliegt, eine Art Vorstufe dar. Und wie eine weitere Steigerung der Expressivität wirkt, dass die beiden ersten gedehnten Oktavsprünge dann in kurze übergehen.
    Auch dieses Lied zeigt wieder, dass die am Geist des Volksliedes sich orientierende klangliche Eingängigkeit bei Mahler eine höchst kunstvoll generierte ist, - und das allemal.

  • Nicht übernommen aus dem mit „Drei Reiter am Tor“ betitelten Wunderhorn-Gedicht hat Mahler die Verse:
    „Und der uns scheidet, das ist der Tod,
    Ade!
    Er scheidet so manches Jungfräulein rot,
    Ade!
    Und wär doch geworden der liebe Leib
    Der Liebe ein süßer Zeitvertreib,
    Ade! Ade! Ade!
    Ja, scheiden und meiden tut weh.“


    Auch wenn das immer ein wenig spekulativ bleiben muss: Es ist durchaus von Belang, über die Gründe dafür nachzudenken, verrät doch sein Umgang mit den „Wunderhorn“-Texten sehr viel über seine grundlegende liedkompositorische Intention und die künstlerisch-musikalische Aussage, auf die sie letztendlich ausgerichtet ist. Er sieht sich darin ja, wie er es selbst bekannt haben soll, wie ein Steinmetz, der aus nur halbwegs behauenen „Felsblöcken“ „das Seine“ formt. Und die Liedkomposition auf den „Wunderhorn“-Text ist ein in der Tat beeindruckender Beleg für das, was „das Seine formen“ für Mahler heißt.


    Er hat diesen Wunderhorn-Versen nicht nur eine andere thematische Ausrichtung gegeben, er hat sie mit den Mitteln der Liedmusik in ihrer lyrisch-sprachlichen Aussage dimensional in geradezu gewaltig anmutendem Umfang bereichert. Das „Wunderhorn“-Gedicht thematisiert das Thema „Scheiden“ mit szenischen Bildern, die seinen Kern umkreisen: Die Vergänglichkeit. Aus diesem Grund wird in das menschlich-alltägliche metaphorische Szenario auch zwei Mal der Tod einbezogen. Mahler aber setzt einen anderen Akzent. Die Tatsache, dass – und dies nicht nur rein quantitativ - im Zentrum seines Liedes das „Ade“ steht, dem alle emotionalen Inhalte, die es existenziell-lebensweltlich haben kann, in kompositorisch höchst kunstvoller Weise abgewonnen werden, lässt deutlich erkennen: Thema und Inhalt des Liedes ist der Abschied in all seinen existenziellen und affektiv-emotionalen Dimensionen, die er für den Menschen aufweisen kann.


    Tod und Vergänglichkeit bleiben dabei im Hintergrund präsent, werden aber nicht ausdrücklich liedmusikalisch thematisiert. Deshalb wird die obige Strophe ausgeschieden. Das wird sie überdies auch noch aus einem anderen Grund: Sie lenkt für Mahler nicht nur vom Thema ab, sie ergeht sich im sinnlichen Aspekt von Liebe im Sinne eines „süßen Zeitvertreibs“, dem er von seiner menschlichen Haltung her künstlerisch grundsätzlich aus dem Wege geht: Er widmet sich dem Thema Liebe eher in einem idealisierenden Sinn. Die ebenfalls den Tod ansprechenden Verse „Es scheidet das Kind wohl in der Wieg´“ berücksichtigt er zwar, aber er widmet ihnen – und das ist höchst bezeichnend – keine eigene Liedmusik: Auf ihnen liegt die gleiche melodische Linie wie auf den Worten „Und wenn es denn soll geschieden sein“, und sie ist wie dort in f-Moll harmonisiert. Allerdings wird er ihnen, und das ist typisch für seine liedkompositorische Grundhaltung, in ihrer spezifischen Aussage doch in feinsinniger Weise gerecht: Er modifiziert den Klaviersatz, indem er ihn nun nicht akkordisch anlegt, sondern im Diskant die für dieses Lied substantiell so wichtigen rhythmisiert-triolischen Figuren erklingen lässt, und dieses Mal klanglich spitz nach oben ausgreifend.


    Das Thema „Abschied“ als existenzielle Grunderfahrung wird nun allerdings in diesem Lied in einem Reichtum an Aspekten ausgelotet, der wahrlich höchst beeindruckend ist, - wie hoffentlich in der Vorstellung desselben aufgezeigt werden konnte. Mahler präsentiert hier – wieder einmal – ein musikalisches Dokument seiner Fähigkeit, den Volksliedton mit höchst kunstvollen Mitteln zu generieren, das aber so, dass man das Artifizielle dieser Genese gar nicht vernimmt, weil es sich nicht aufdrängt, sich zu verbergen weiß. Der analytische Blick auf und in die Faktur offenbart es freilich in seinem Reichtum. Der erstreckt sich von den vielen melodischen und harmonischen Varianten, in denen das zentrale Wort „Ade“ aufklingt, über den Taktwechsel (Sechsachtel und Zweiviertel), die rhythmisch retardierenden hemiolischen Passagen in den Takten 29 bis 35 und 68 bis 76, die hochgradig expressiven harmonischen Rückungen (etwa die von f-Moll nach As-und Des-Dur bei „und wenn es denn soll geschieden sein, so reich´ mir dein goldenes Ringelein“ oder der geradezu raffinierte Steigerungseffekt der doppelten Dominant-Septimenakkord-Rückung vor dem sechsfachen Fortissimo-Ade) bis hin zu den in überaus kunstvoller Weise zwischen Quinte und Quarte changierenden und durch den Einschub eines Sechzehntels tänzerisch rhythmisierten triolischen Figuren, aus denen die Zwischenspiele jeweils ihre kommentierende Funktion gewinnen.

  • "Und nun ade, mein herzallerliebster Schatz,
    Jetzt muß ich wohl scheiden von dir, von dir,
    Bis auf den andern Sommer,
    Dann komm´ ich wieder zu dir!
    Ade! Ade!, mein herzallerliebster Schatz,
    mein herzallerliebster Schatz!


    Und als der junge Knab´ heimkam,
    Von seiner Liebsten fing er an:
    "Wo ist meine Herzallerliebste,
    Die ich verlassen hab´? "


    „Auf dem Kirchhof liegt sie begraben,
    Heut´ ist´s der dritte Tag!
    Das Trauern und das Weinen
    Hat sie zum Tod gebracht!“
    Ade, ade, mein herzallerliebster Schatz,
    Mein herzallerliebster Achatz!


    "Jetzt will ich auf den Kirchhof geh´n,
    Will suchen meiner Liebsten Grab,
    Will ihr all´ weile rufen, ja rufen,
    Bis daß sie mir Antwort gab.


    Ei du, mein herzallerliebster Schatz,
    Mach´ auf dein tiefes Grab!
    Du hörst kein Glöcklein läuten,
    Du hörst kein Vöglein pfeifen,
    Du siehst weder Sonne noch Mond!
    Ade, ade, mein herzallerliebster Schatz,
    mein herzallerliebster Schatz! Ade!“



    Das Thema „Abschied“ war für Mahler ganz offensichtlich eines, von dem er sich bei seiner Auswahl aus den Texten von „Des Knaben Wunderhorn“ leiten ließ. Er hat ihm, wie die Lieder „Aus! Aus!“ und „Scheiden und Meiden“ gezeigt haben, ganz unterschiedliche musikalische Akzente verliehen. Hier, bei diesem Lied, ist es der einer so tief anrührenden Schmerzlichkeit, dass man wohl von einer starken Betroffenheit Mahlers durch die Aussage des lyrischen Textes sprechen darf. Das den Hörer so Anrührende, ihn betroffen Machende ist bei diesem Lied, dass es die Schmerzlichkeit der Lebenserfahrung, die sein zentraler Gegenstand ist, in einer stufenweisen Steigerung der Expressivität zum Ausdruck bringt, wobei diese einen Grad erreicht, den man bei der piano einsetzenden und „schwermüthig“ vorzutragenden melodischen Linie gar nicht erwartet.


    Mit einem leisen, wie verloren wirkenden Rufton, einem zweimaligen, in eine Dehnung mündenden Sekundsprung und –fall setzt das Lied ein. Die melodische Linie bewegt sich ruhig in tiefer und mittlerer Lage, zunächst in Fis-Dur harmonisiert, dann aber bei dem Wort „Schatz“ in die Grundtonart h-Moll übergehend. Bei den Worten „bis auf den anderen Sommer“ gipfelt sie in Gestalt eines Sextsprungs zu einem hohen „D“ erstmals auf, das Gewicht der Aussage – Trennung auf ein ganzes Jahr – reflektierend. Und eine solche Aufgipfelung ereignet sich dann noch einmal, und das in deutlich expressiverer Form, bei den Worten „zu dir“, am Ende der ersten Gedichtstrophe also. Die Worte „Ade, mein herzallerliebster Schatz“ sind Hinzufügungen Mahlers. Zwar ereignet sich hier wieder ein Sextsprung in der Melodik, der mündet aber in eine mezzoforte deklamierte Dehnung, die in cis-Moll harmonisiert ist. Sie geht mit einem Sekundfall unmittelbar in das erste „Ade“ über, das auf einem in h-Moll stehenden Quartfall deklamiert wird.


    Mahler hat die mit dem Ade-Ruf eingeleitete Passage nicht aus Gründen einer vordergründigen klanglichen Bereicherung des Liedes hinzugefügt, sie hat vielmehr einen tiefen kompositorischen Sinn: Sie ist gleichsam die Quelle der musikalischen Aussage. Wie eine Art Refrain erklingt sie am Ende der ersten, der dritten und der letzten Strophe. Und obwohl die Struktur der melodischen Linie im wesentlichen identisch ist, weist sie kleine, aber bedeutsame Modifikationen auf, die zusammen mit dem anders angelegten Klaviersatz den an den „Herzallerliebsten Schatz“ gerichteten Ade-Ruf in seiner klanglichen Schmerzlichkeit deutlich steigern. Dieser Refrain reflektiert in seinem klanglichen Charakter die gemachte Erfahrung: Auf den Abschied mit der Hoffnung auf Wiederkehr, auf die Nachricht vom Tode der Geliebten und auf die imaginative Begegnung mit ihr am Grab. Und er entfaltet eine so starke Wirkung gerade weil die die Expressivität steigernden Modifikationen seiner Faktur auf der Grundlage einer strukturell identischen Melodik erfolgen. Es ist die im wesentlichen immer gleiche, zwei Mal in Sekunden aus mittlerer in tiefe Lage erfolgende Fallbewegung, durchweg in Moll harmonisiert, im ersten Fall aber in einen Aufstieg (Terzsprung bei „Schatz“) mündend, und erst im zweiten über eine ganze Oktave in die Tiefe sinkend.


    Höchst beeindruckend und ein Beleg dafür, wie großartig Mahler lyrische Sprache in ihrem Gehalt und ihrer Gestalt in Musik umzusetzen vermag, ist das, was nun liedmusikalisch geschieht. Gerade ist die melodische Linie bei dem zweiten „herzallerliebster Schatz“ in die Tiefe eines „D“ der h-Moll-Harmonik versunken, da rafft sie sich mit dem „Und“ am Anfang des ersten Verses der zweiten Strophe neu auf. Sie setzt zwar auf dem gleichen Ton an, geht aber von da aus in eine Aufwärtsbewegung über, und das auch noch verbunden mit einer harmonischen Rückung von h-Moll nach Fis-Dur.


    Und nun kommt es sowohl melodisch, wie auch harmonisch zu einem Steigerungseffekt, der hinführt zu der Frage, die im Zentrum der Strophe steht: „Wo ist meine Herzallerliebste?“ Die in Fis-Dur harmonisierte Aufstiegsbewegung der melodischen Linie des ersten Verses wird von der melodischen Linie auf dem zweiten Vers („von seiner Liebsten fing er an“) fortgesetzt, allerdings um eine Terz angehoben und nun in A-Dur harmonisiert. Das C-Dur, in dem die Melodik der so wichtigen Frage einsetzt, wirkt hier wie das Ziel, auf das sich die harmonische Modulation der vorangehenden Melodiezeilen hinbewegt. Bei den Worten „die ich verlassen hab´“ geht die Vokallinie dann allerdings wieder in eine in b-Moll gebettete Fallbewegung in Sekundschritten über, die in tiefer Lage endet. Das Klavier vollzieht sie im kurzen Zwischenspiel noch einmal.


    „Wie fernes Glockenläuten“ (Vortragsanweisung) klingt das Auf und Ab der Klavierbass-Oktaven, die die melodische Linie auf den Worten „Auf dem Kirchhof liegt sie begraben“ begleiten. Auch sie bewegt sich, zwischen h-Moll und e-Moll-Harmonisierung pendelnd, zunächst in tiefer Lage, geht dann aber bei den Worten „das Trauern“, um ihnen einen Akzent zu verleihen, mit einem Sextsprung in höhere Lage über, das aber nur, um sich danach wieder einer Fallbewegung zu überlassen, - schließlich geht es um „Trauern“, Weinen“ und den „Tod“.


    Hier nun, bei dem Wort „gebracht“, kommt es zu dem melodisch und harmonisch expressiven Sextsprung, den man schon vom Ende der ersten Strophe her kennt: Er ist mit einer Rückung nach cis-Moll verbunden und leitet zum zweiten Auftritt des Ade-Refrains über. Die Todeserfahrung, die das lyrische Ich gerade machte, hat zur Folge, dass nun die erste Fallbewegung mit einem verminderten Sekundfall einsetzt und schmerzerfüllte Klage in die melodische Linie tritt. Das Klavier lässt hier im Bass ein dumpfes Auf und Ab von tiefen Oktaven erklingen. Die vierte Strophe ist in ihrer melodischen Struktur und ihrer Harmonisierung mit der zweiten weitgehend identisch, bis auf die Wiederholung der Fallbewegung auf dem Wort „rufen“ mit einem vorgeschalteten „ja“. Der Klaviersatz weicht durch die dumpfen Oktav-Glockentöne von dem der zweiten ab. +++


    Mit der fünften Strophe kommt ein klanglich lieblicher ton in das Lied, der auf dem Hintergrund der zuvor so dominanten Moll-Harmonik geradezu überrascht. Das lyrische Ich spricht in einer imaginativen Vergegenwärtigung der Toten seine Geliebte an, und das in einem melodisch überaus zärtlichen Gestus. Die melodische Linie bewegt sich, einem reinem H-Dur harmonisiert, sehr ruhig. Die Worte „dein tiefes Grab“ werden durch eine Aufgipfelung mit nachfolgendem Quartfall klanglich hervorgehoben. Da die Verse drei und vier jeweils mit den Worten „du hörst“ eingeleitet werden, liegt auf beiden die gleiche, leicht wehmütig anmutende Fallbewegung in Sekundschritten. Aber der schmerzliche Klageton bleibt fern: Auch hier keine Moll-Harmonik, vielmehr eine Rückung in die Dominante. Diese Passage des Liedes ist auch deshalb klanglich so eingängig, weil das Klavier der Bewegung der melodischen Linie mit Terzen im Diskant folgt und im Bass anfänglich bogenförmig auf und ab steigende Staccato-Viertel erklingen lässt.


    Der letzte Ade-Refrain wirkt mit seinem Ausbruch der Liedmusik in leidenschaftliche Expressivität wie ein starker Kontrast zum zärtlich Ton gerade davor. Forte setzt die Singstimme mit der Deklamation der Worte „Ade! Ade!“ ein, - in der bekannten Fallbewegung. Das Klavier folgt ihr mit forte angeschlagenen vierstimmigen Akkorden im Diskant über den Oktav-Glockenschlägen im Bass. Bei den Worten „mein herzallerliebster Schatz“ steigt die melodische Linie nun – abweichend von den beiden Fällen davor – mit einem Quartsprung in hohe Lage auf und geht von dort in eine Fallbewegung über. Bei der Wiederholung beschreibt sie erneut eine Sprungbewegung, nun aber eine Terz tiefer ansetzend. Und dann wird jedem Ton auf dem Wort „herzallerliebster“ mit einem Portato großes Gewicht verliehen, - auch dadurch, dass das Klavier das melodische Auf und Ab in Sekundschritten in akzentuierter Weise mitvollzieht.


    In den beiden letzten Takten steigert sich das Lied in seiner schmerzlichen Expressivität auf den Höhepunkt. Bei der langen, forte vorgetragenen Dehnung auf dem Wort „Schatz“ lässt das Klavier im Bass ein zweifaches Tremolo erklingen, über dem im Diskant e-Moll-Terzen eine Fallbewegung beschreiben. Und während dieses Tremolo noch anhält, deklamiert die Singstimme fortissimo, jeden einzelnen Ton mit einem Portato versehend, das letzte „Ade“ auf einem in eine lange Dehnung mündenden doppelten Sekundfall. Diese Dehnung, die das Klavier mit einem in einem Tremolo verklingenden h-Moll-Akkord begleitet, liegt nicht auf dem Grundton „H“, vielmehr auf der Quinte „Fis“.
    Das ist ein gleichsam offener Schluss in der Melodik des Liedes, der den Schmerz des lyrischen Ichs kein Ende finden lassen will.

  • Es ist, glaube ich, mein absolutes Lieblingslied von Mahler und ich kann es natürlich auswendig singen, allerdings nur im Wald, und der befreundete Hund hat andere Interessen. Ich hab es schon einige Male geschrieben, aber hier gehört es besonders hin. Daniele Gatti (mit einem Londoner Orchester) hat mit Ruth Ziesak die Vierte von Mahler aufgenommen; als Zugabe gibt es vier Lieder, bei denen der Klavierpart für Orchester gesetzt ist. Das obige Lied ist das letzte Stück und von einer so unglaublichen Wucht, dass es einem das Herz zerreißt.


    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Die Orchesterfassung ist nicht von Berio, sondern wurde für diese Aufnahme von David und Colin Matthews erstellt. Die beiden Brüder haben auch den Text des informativen booklets verfasst. Darin bezeichnen sie die musikalische Form von "Nicht wiedersehn" als den ersten von Mahler komponierten Trauermarsch.
    Das Orchester ist das "Royal Philharmonic Orchestra". Außer "Nicht wiedersehn" sind noch die Lieder "Ich ging mit Lust", "Ablösung im Sommer" und "Starke Einbildungskraft" auf der CD. In den nächsten Tagen werde ich mir einen schönen Abend machen, indem ich deine Analysen ausdrucke und mir dabei die Lieder einzeln anhöre.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Danke, lieber dr. pingel, für diese Klarstellung, was die Orchestrierung des Liedes in der Aufnahme anbelangt, auf die Du hier verwiesen hast und die Dich so sehr in Bann zu schlagen vermochte. Ich kannte sie ja nicht (werde mir sie aber zulegen).
    Aber letzten Endes gründet das ja alles in der Musik Mahlers.
    Und weil ich diese liebe wie Du, freut mich diese Bemerkung von Dir so sehr: " In den nächsten Tagen werde ich mir einen schönen Abend machen, indem ich deine Analysen ausdrucke und mir dabei die Lieder einzeln anhöre."

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  • Auf der Suche nach der spezifischen Wesensart von Mahlers Musik im Allgemeinen und seiner Liedmusik im Besonderen meint man in diesem Lied in einer ganz besonders ergiebigen Weise fündig zu werden. Mahlers Musik ist in ihrem Kern die künstlerische Auseinandersetzung mit der Lebenswelt in ihren existenziell relevanten Komponenten und Dimensionen im Sinne einer Repräsentation und einer Konfrontation derselben mit einer künstlerischen Gegenwelt. In einem an Bruno Walter (New York 1909) gerichteten Brief findet sich der auf seine Erste Symphonie Bezug nehmende Ausruf: „Was ist das für eine Welt, welche solche Klänge und Gestalten als Widerbild auswirft“. Musik als „Widerbild“ einer als schmerzlich und innerlich verstörend erfahrenen, ja in Verzweiflung stürzenden realen Lebenswelt, - das verweist auf den wesenhaft ernsten, weil grundsätzlich die existenziell relevanten Aspekte von menschlicher Lebenswelt aufgreifenden, und diese – wie das bei den „Wunderhorn“-Liedern der Fall ist – auch in ihren historischen Ausprägungen aufsuchenden Charakter seiner Musik.


    Das Szenario, das diese „Wunderhorn“-Verse entwerfen, ist eines, das nicht frei ist von einem gewissen sentimentalen Anflug. Ein junger Mensch, ausdrücklich als „Knab´ bezeichnet, zieht in die Welt, lässt seine Liebste, zurück, findet sie nach seiner Rückkehr auf dem „Kirchhof“ wieder und begegnet ihr in den liebevollen Worten, die er dort an sie richtet, imaginativ wieder. Nur die schlichte einfache lyrische Sprachlichkeit, in der die Wunderhorn-Verse dieses Szenario entwerfen, bewahrt das Ganze vor dem Abgleiten in flache Sentimentalität.


    Mahler aber, und das ist typisch für seinen liedkompositorischen Zugriff auf die „Wunderhorn“-Sammlung und den Umgang mit ihren Texten, nimmt dieses Szenario ernst, weil ihm darin eine fundamental-existenzielle Grunderfahrung begegnet: Der Einbruch der Vergänglichkeit in Gestalt des Todes in eine noch junge, gerade sich erst entfalten wollende individuelle Lebenswelt. Er wird dieses Thema noch mehrfach aufgreifen, insbesondere in den „Soldatenliedern“ aus dem „Wunderhorn“ und danach noch in der „Kindertotenliedern“. Ernst-Nehmen, das heißt für ihn liedkompositorisch: Jeglicher Verführung zu klanglich-affektivem Auskosten des Szenarios aus dem Wege zu gehen, die lyrische Sprache in ihrer geradlinig-direkten Schlichtheit ernst zu nehmen und sie darin in adäquate Liedmusik umzusetzen. Dies allerdings in der Weise, dass ihre existenziell relevanten semantischen Dimensionen mit deren spezifischen Mitteln ausgeleuchtet werden.


    Eines dieser „Mittel“ – und in diesem Fall höchst bedeutsames – ist bei Mahler die Harmonik. Er setzt sie in ihrem modulatorischen Potential hier auf höchst kunstvolle Weise ein, dies aber nicht zu vordergründig-klanglichen Zwecken, sondern mit dem Ziel, die emotional-affektive Dimension des lyrischen Szenarios und der Sprache, in der es sich generiert, auszuloten. Dem Tongeschlecht kommt dabei eine wesentliche Funktion zu. Mahler lässt die melodische Linie in ihrer Harmonisierung in schmerzlich wrkender Weise immer wieder vom Dur ins Moll abstürzen, - und dies auch unter Einbeziehung harmonischer Rückungen, was zu einer Steigerung der Expressivität dieses harmonischen Vorgangs führt. Gleich die erste große Melodiezeile lässt dies ja vernehmen. Das Fis-Dur, in dem sie einsetzt, schlägt schon bei dem Wort „Schatz“ in h-Moll um und vergräbt sich bei den folgenden Worten regelrecht darin, dabei zur Subdominante modulierend.


    Aber erst im Zusammenspiel mit der spezifischen Struktur der melodischen Linie, insbesondere mit der, die auf dem Klageruf „Ade“ liegt, entfaltet die Harmonik des Liedes die von Mahler intendierte musikalische Aussagekraft. Was dieses Lied in diesem Zusammenhang zu einer so hochgradig beeindruckenden und anrührenden Komposition macht, ist der Steigerungseffekt, den Mahler in eben diese musikalische Aussage zu bringen versteht. Damit ist natürlich in erster Linie der leidenschaftliche Ausbruch der Liedmusik in das Forte der letzten Ade-Klagerufe angesprochen, der Mahler durchaus in die Nähe des musikalischen Expressionismus bringt. Vom Piano-Anfang des Liedes her stellt er ein nicht zu erwartendes musikalisches Ereignis dar.


    So ganz und gar überraschend ist dieses freilich nicht. Dieser Ausbruch wirkt so schroff, weil er forte auf die pianissimo vorgetragene, in reines H-Dur gebettete und vom Klavier mit Terzen und Sexten in Parallele begleitete melodische Linie auf den Ansprache-Worten am Grab folgt. Dieser Ausbruch der Liedmusik in hochgradige Expressivität deutet sich aber bereits vorher an. Und dies maßgeblich in der Harmonisierung der melodischen Linie, die starke Rückungen nicht nur in den Tonarten, sondern auch im Tongeschlecht aufweist. Nicht nur die „Ade“-Klagerufe sind dafür markante Beispiele, sondern auch die zwei Mal sich ereignende Rückung, wie sie sich erstmals in der Harmonik der melodischen Linie auf den Worten „Wo ist meine Herzallerliebste, die ich verlassen hab´?“ ereignet. Es ist eine vom C-Dur-Dominant-Septakkord nicht etwa hin zur Tonika, sondern über diese hinweg nach b-Moll. Und darin ist sie von zweifellos hoher, Klage und Leid zum Ausdruck bringender musikalischer Expressivität.

  • Ich weiß nicht, wie mir ist!
    Ich bin nicht krank und nicht gesund,
    Ich bin blessiert und hab´kein' Wund ',
    Ich weiß nicht, wie mir ist!


    Ich tät´ gern essen und schmeckt mir nichts;
    Ich hab ' ein Geld und gilt mir nichts,
    Ich weiß nicht, wie mir ist!


    Ich hab´ sogar kein´ Schnupftabak,
    Und hab´ kein Kreuzer Geld im Sack, kein Geld im Sack!
    Ich weiß nicht, wie mir ist, wie mir ist!


    Heiraten tät´ ich auch schon gern ",
    Kann aber Kinderschrei'n nicht hör'n, Kinderschrei'n nicht hör'n!
    Ich weiß nicht, wie mir ist!


    Ich hab´ erst heut' den Doktor gefragt,
    Der hat mir´s ins Gesicht gesagt:
    "Ich weiß wohl, was dir ist, was dir ist:
    Ein Narr bist du gewiß! "
    "Nun weiß ich, wie mir ist, nun weiß ich, wie mir ist“!



    Unmittelbar nach „Nicht wiedersehen“ gehört, löst dieses Lied ein kleines Schock-Erlebnis aus: Es steht in einem geradezu extremen inhaltlichen und klanglichen Kontrast dazu. Unter den Wunderhorn-Vertonungen Mahlers nimmt es insofern eine Sonderstellung ein, als die Liedmusik hier keine semantischen Tiefendimensionen des lyrischen Textes erschließt. Die weist er nicht auf, und Mahler scheint sich – wohl mit großem Vergnügen – ganz bewusst darauf beschränkt zu haben, den selbstreflexiven Monolog, der am Ende in die Erkenntnis mündet, ein Narr zu sein, mit der Liedmusik in seiner lyrisch-sprachlichen Gestalt nachzuvollziehen, wobei er deren Mittel natürlich dazu einsetzt, die sprachliche Diktion zu akzentuieren, die einzelnen lyrischen Aussagen zu gewichten und sie in ihrem semantischen Gehalt klanglich auszuleuchten, - und dies in der Absicht, diesem närrischen Gesellen gleichsam in die Seele zu blicken.


    Melodik und Klaviersatz sind in ihrer Anlage einfach strukturiert, und die Harmonik moduliert größtenteils zwischen der Tonika F-Dur, Dominante und Subdominante. Aber da hier ein Gustav Mahler kompositorisch am Werk ist, erweist sich die klangliche Einfachheit bei genauerem Hinhören als untergründig subtil, differenziert und reflektiert. Dies vor allem im musikalischen Verfolgen der wachsenden Erregung, in die sich das lyrische Ich bei seiner Selbstreflexion steigert.


    „In verdriesslichem Ton“ soll das Lied vorgetragen werden, und die melodische Linie der Singstimme bietet in ihrer Struktur dafür beste Gelegenheit. Immer wieder steigt sie in höhere Lage auf, um gleich wieder zurückzufallen. Dabei zerfällt sie in kleine, von Pausen eingegrenzte Zeilen, was den Eindruck erweckt, als würde dieser Mensch das, was er zu sagen hat, verärgert aus sich herausstoßen. Verstärkt wird dieser Effekt dadurch, dass das Klavier im Diskant die Bewegung der melodischen Linie in ihren deklamatorischen Schritten mitvollzieht, und dies im Staccato. Das ist allerdings nicht durchgängig der Fall, was zeigt, dass Mahler hier, was den Klaviersatz anbelangt, durchaus differenziert verfährt. Gegen Ende der dritten Strophe geht er von diesem Prinzip der synchronen Übereinstimmung von melodischer Linie und Klavierdiskant ab und kehrt erst dann wieder zu ihm zurück, wenn das lyrische Ich am Ende des Liedes mit seinem „Nun weiß ich, wie mir ist“ einsetzt.


    Wiederholung ist ein kompositorisches Prinzip, das Mahler in seinen Wunderhorn-Liedern sehr gerne und oft anwendet. Hier tut er das in geradezu exzessiver Weise. Und das hat seinen guten Sinn. Dadurch, dass er bei der Wiederholung die Möglichkeit der Variation nicht nur der melodischen Linie, sondern auch des lyrischen Textes nützt, kann er der Liedmusik eine gesteigerte Expressivität im Zum-Ausdruck-Bringen von Verdrießlichkeit und Verärgerung verleihen. Häufig lässt er bei der Wiederholung einer Textpassage die melodische Linie deutlich höher ansteigen, als dies beim ersten Mal der Fall war. Bei „und gilt mir nichts“ macht sie am Ende einen Septsprung. In der Wiederholung wird daraus ein Nonensprung, der überdies auch noch in einen gedehnten Sekundfall übergeht.


    Wie geradezu raffiniert Mahler das Prinzip der Textwiederholung in diesem Lied handhabt, das wird bei der dritten Strophe auf eindrucksvolle Weise deutlich. Er wiederholt nicht nur die Verse zwei und drei, sondern innerhalb derselben noch einmal deren Ende. Und auch hier ereignet sich in der melodischen Linie eine Steigerung der Expressivität durch Modifikation ihrer Struktur. Bei dem Wort Schnupftabak“ macht er aus dem großen Sekundfall am Ende einen kleinen, der mit einer harmonischen Rückung verbunden ist, und bei den Worten „und hab´ kein´ Kreuzer Geld im Sack, kein´ Kreuzer Geld im Sack“ lässt er die melodische Linie, die beim ersten Auftreten der Worte „Geld im Sack“ am Ende einen Terzsprung und beim zweiten einen Sekundsprung macht, nun beim dritten und vierten Auftreten mit abwärts gerichteten Sprüngen regelrecht in der Tiefe versinken, - über das Intervall einer Duodezime. Und das Klavier setzt in der kurzen Pause für die Singstimme diese Sturzbewegung staccato im Bass fort.


    Mit der vierten Strophe ändert sich der Ton des Liedes: Die Verdrießlichkeit des lyrischen Ichs schlägt in Verärgerung um (Anweisung: „verärgert“). Die melodische Linie setzt nun in d-Moll-Harmonisierung ein, dieses d-Moll geht aber im Verlauf der vierten Strophe zu A-Dur und e-Moll über. Und sie lässt vor allem nun von dem Nach-oben-Streben und vom Durchmessen großer tonaler Räume ab. Stattdessen deklamiert die Singstimme wie verstockt immer wieder einmal auf nur einer tonalen Ebene. Schon bei der Standard-Feststellung „Ich weiß nicht, wie mir ist“ pendelt die Vokallinie zwischen einem tiefen „D“ und einem „F“ hin und her, und die Worte „Heiraten tät ich auch schon gern“ werden fast ausschließlich silbengetreu auf einem „F“ in tiefer Lage deklamiert.


    Das alles geschieht forte, vom Klavier nun nicht mehr im getreulichen Mitvollzug der melodischen Schritte begleitet, sondern mit Achtelakkord-Folgen im Diskant und Oktaven im Bass. Bei der Wiederholung der Worte „Kinderschrei´n nicht hör´n“ beschreibt die melodische Linie eine kläglich wirkende Fallbewegung in kleinen Sekunden, die dann aber bei dem neuerlichen „Ich weiß nicht, wie mir ist“ mit einem „poco accel.“ Deklamierten Anlauf bei dem Wort „ist“ zu einem wie ein Verzweiflungsschrei anmutenden, mit einer Rückung nach e-Moll verbundenen und fortissimo deklamierten lange gehaltenen (Fermate) Oktavsprung übergeht.


    Nach dem kläglich wirkenden, weil in d-Moll harmonisierten Anstieg der melodischen Linie in Sekundschritten bei den Worten „Ich hab´ erst heut den Doktor gefragt“ kommt die Antwort dieses „Doktors“ in ihrem ersten Teil geradezu sachlich daher. Die Worte „Ich weiß wohl, was dir ist“ werden mit zwei Terzsprüngen auf der Ebene eines tiefen „E“ deklamiert und sind in klanglich nüchtern wirkendes C-Dur gebettet. Allerdings deutet sich im Klaviersatz an, dass da noch etwas nachkommen wird. Während im Diskant Achtel bogenförmig auf und ab steigen, stürzen im Bass drei Mal Oktaven in die Tiefe. Und dann ereignet sich in der fast viertaktigen Pause der Singstimme ein staccato angeschlagener Fall von Terzen aus hoher Diskantlage über das Intervall einer None, der sich im Bass dann fortsetzt. Das „Ein Narr bist du gewiß“ weist nun mit dem zweimaligen und jeweils in einen Sekundfall mündenden Anstieg der melodischen Linie eine recht deutliche Anmutung von Spott auf.


    Am Ende des Liedes bringt Mahler noch einmal in höchst wirkungsvoller Weise das Prinzip der Montage in Gestalt von Textwiederholungen zum Einsatz. Während der närrische Geselle vier Mal sein „Nun weiß ich, wie mir ist“ deklamiert, zunächst auf einer in hoher Lage pendelnden, dann aber auf einer von dort mit Sprüngen in tiefe abfallenden melodischen Linie, erklingt mittendrin noch einmal die melodische Figur auf den Worten „Ein Narr bist du gewiß“, - und das wieder in dem ihr zugehörigen C-Dur.

  • Man hat dieses Lied als eine Art „Epilog“ der ersten Gruppe der „Wunderhorn“-Kompositionen Mahlers bezeichnet (Mathias Hansen). Vielleicht mag die Tatsache, dass es in der nach Mahlers Tod unter dem Titel „Lieder aus der Jugendzeit“ erschienenen Publikation dieser Lieder als Nummer neun am Ende steht, dazu verleitet haben, - von seiner Faktur und seiner musikalischen Aussage her spricht eigentlich nichts dafür. Es hat nichts von einem bilanzierenden Rückblick auf die erste Phase der liedkompositorischen Auseinandersetzung mit der „Wunderhorn“-Sammlung an sich, was der Begriff „Epilog“ unter anderem ja doch beinhaltet. Eher nimmt es eine Ausnahmestellung in dieser Gruppe ein. Dies vor allem durch seine den Hörer geradezu anspringende klangliche Vordergründigkeit. Damit ist – nicht im Sinne von Kritik - nicht nur der Mangel an die lyrisch-sprachliche Semantik auslotender musikalischer Tiefe gemeint, sondern auch die geradezu exzessiv anmutende, und offensichtlich lustvoll betriebene kompositorische Arbeit mit buffonesk-effektorientierten klanglichen Kontrasten.


    Und hier, in dieser spezifischen Eigenart seiner Faktur, ist wohl die Antwort auf die Frage zu finden, warum Mahler sich auf diesen – im Grunde ja doch jegliche semantische Tiefendimension entbehrenden – „Wunderhorn“-Text eingelassen hat. Er liefert ihm den Stoff für eine seiner grundlegenden liedkompositorischen Intentionen: Die musikalische Charakterskizze auf der Basis des literarischen Monologs oder Dialogs. Fast allen Liedern dieser Gruppe liegt diese Intention in mehr oder weniger stark ausgeprägter Form zugrunde, und in der nächsten Gruppe wird sich dies fortsetzen, - in liedkompositorisch allerdings deutlich gewichtigerer Form.


    Vom Stoff dieses Textes musste für Mahler in der komisch-skurrilen Gestalt, in der er sich personal präsentiert, eine große Verlockung ausgegangen sein. Vielleicht, so malt man sich aus, wenn man über keine einschlägigen Quellenzeugnisse verfügt, weil er einmal dieser seiner liedkompositorischen Neigung frönen wollte, ohne dabei in die Abgründe menschlicher Existenz und ihrer Lebenswelt vorstoßen zu müssen, vielmehr stattdessen die Möglichkeit genießen konnte, sich in gleichsam ungehemmter Weise einem musikalischen Humor hingeben zu dürfen, der nicht in Bitterkeit abstürzen muss, wie das ansonsten für ihn bei der liedkompositorischen Auseinandersetzung mit gewichtigeren Themen so oft unvermeidlich war.


    Dieses Lied weist in seiner Faktur ja tatsächlich einen Zug von kompositorischer Hemmungslosigkeit auf. Wo man hinblickt, stößt man auf dieses Wesensmerkmal. In seiner Dynamik zum Beispiel. Permanent wechselt sie vom Piano zum Forte und wieder zurück, Crescendo folgt auf Decrescendo, und das innerhalb der Melodiezeile. Ganz typisch sind diesbezüglich die beiden kleinen Melodiezeilen auf den Worten „Kinderschrei´n nicht hör´n“ und (nachfolgend) „Ich weiß nicht wie mir ist“. Die erste setzt forte ein und endet – in ihrer Kürze! – piano; die zweite bleibt anfänglich in diesem Piano, der Oktavsprung auf den Worten „mir ist“ mündet aber in ein mit einer Fermate versehenes und mit einem mächtigen e-Moll-Akkord akzentuiertes Fortissimo.


    Und auch die Struktur von Melodik und Klaviersatz weist eine Fülle von solchen kompositorischen „Hemmungslosigkeiten“ auf. Das wurde in seiner obigen Vorstellung aufzuzeigen versucht. Aus diesem Grund sei hier nur noch einmal das Augenmerk auf Details wie diese gelenkt:
    - Das geradezu penetrant wirkende Wiederholen einer Figur der melodischen Linie in Gestalt einer die Expressivität steigernden Modifikation ihrer Struktur;
    - der exzessive Einsatz bestimmter melodischer Bewegungen mit affektivem Potential (kläglich wirkende Fallbewegungen, Verärgerung ausdrückende deklamatorische Repetitionen auf einer tonalen Ebene, emotionale Ausbrüche in große Höhen oder Tiefen);
    - Zwischenspiele von hoher klanglicher Expressivität (wie etwa der Fortissimo- Absturz von Staccato-Terzen nach dem ersten „Ich weiß wohl, was dir ist“);
    - und schließlich die permanenten Rückungen in Tonart und Tongeschlecht, die man als musikalischen Ausdruck der wirren Seelenlage dieses Neurotikers aufnimmt und versteht. Denn als solchen hat Mahler diesen Wunderhorn-Gesellen doch wohl - aus durchaus zeitgenössisch-moderner Perspektive - seinerseits verstanden und auf faszinierende Weise in Musik gesetzt.

  • An sich wäre es sinnvoll, nun bei dem Thema „Mahler und >Des Knaben Wunderhorn<“ zu bleiben und die nächste, fünfzehn Lieder umfassende Gruppe der Wunderhorn-Vertonungen vorzustellen. Das wird auch geschehen. Da aber beabsichtigt ist, hier chronologisch vorzugehen, stehen nun erst einmal die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ an.
    Was auf den ersten Blick als rein formalistische Vorgehensweise anmuten mag, hat einen tieferen Sinn. Auch Mahler durchläuft eine liedkompositorische Entwicklung. Man kann diese vordergründig schon daran ablesen, dass es sich bei der nächsten Gruppe der Wunderhorn-Vertonungen in der Endfassung um Orchester-Lieder handelt, während Mahler die erste als Klavierlieder komponierte und eine nachträgliche Orchestrierung nicht vornahm. Die Gründe dafür sind nicht bekannt, und in der Mahler-Literatur findet sich auch – meines Wissens – keine plausible Hypothese für diesen Sachverhalt. Eine mögliche Erklärung wäre: Man vermag zwar in der Faktur dieser Lieder – was insbesondere den Klaviersatz und seine funktionale Ausrichtung anbelangt – eine liedkompositorisch orchestrale Konzeption ausmachen, sie war für Mahler aber wohl nicht hinreichend entwickelt, um für eine nachträgliche Orchestrierung der Lieder tragfähig zu sein.
    Das ist bei dieser Liedgruppe nun anders, und es wird im Zusammenhang mit ihrer Vorstellung und Besprechung der Frage nachzugehen sein, was sich daraus hinsichtlich der Entwicklung von Mahlers Liedsprache ablesen lässt.

  • Wann diese Lieder in ihren Fassungen als Klavierlied und als Orchesterlied jeweils entstanden sind, ist Gegenstand ausführlicher Untersuchungen gewesen, weil die Quellenlage nicht ganz klar und eindeutig ist und die überlieferten Notentexte alle erst aus den neunziger Jahren stammen. Man kann sich aber inzwischen ein hinreichend gesichertes Bild davon machen.
    Die ältesten Dokumente zu diesen Liedern stammen aus dem Jahr 1884. Es sind die Autographe der Texte zu den späteren Liedern „Die zwei blauen Augen“, datiert auf den „5.12.84“ und „Ich hab´ ein glühend´ Messer“, datiert auf den „19.12.84“. Man geht heute davon aus, dass die Fassung für Singstimme und Klavier im Jahr 1885 begonnen wurde. Die Komposition muss sich aber wohl hingezogen haben. Jedenfalls wurde das zweite Lied am 14.6.1886 mit Mahler am Klavier aufgeführt. Die These, dass die Lieder 1 und 3 erst 1887 entstanden seien, da Mahler damals erst die Wunderhorn-Sammlung kennengelernt habe, aus der er ja im ersten Lied zitiert, ist wohl unzutreffend. Er kannte die Wunderhorn-Gedichte, wie Renate Hilmar-Voit nachgewiesen hat, in der Berliner Ausgabe schon in seiner Zeit in Kassel 1883-85. Die Orchester-Fassung wurde wahrscheinlich – aber das ist umstritten - 1892/93 abgeschlossen, und die Uraufführung erfolgte – nach einigen Überarbeitungen - am 16. März 1896 in Berlin. Publiziert wurde das Werk 1897 in Leipzig.


    Über die biographischen Hintergründe der Entstehung sind wir hauptsächlich durch einen Brief informiert, den Mahler am 1. Januar 1885 an seinen ehemaligen Studienkollegen Friedrich Löhr richtete. Er hatte damals eine unglücklich verlaufene Beziehung zu einer Sängerin am Kasseler Theater (an dem er als Musikdirektor tätig war), namens Johanna Richter. In einem Brief vom Jahresende 1884 findet sich die Bemerkung: „Ich bin ihr wieder entgegengetreten, sie ist so rätselhaft wie immer! Ich kann nur sagen: >Gott helfe mir!<“.
    In dem Brief an Friedrich Löhr berichtet er über einen Silvesterabend, den er mit Johanna Richter verbrachte und der wohl mit einer kleinen Katastrophe endete. So muss man wohl solche Worte verstehen wie diese:
    „Sie ging in das Nebenzimmer und stand eine Weile stumm am Fenster, und als sie wiederkam, still weinend, da hatte sich der unnennbare Schmerz wie eine Scheidewand zwischen uns aufgestellt, und ich konnte nicht anders, als ihr die Hand drücken und gehen.“
    Die wichtigste Passage in diesem Brief ist freilich diese:
    „Ich habe einen Zyklus Lieder geschrieben, vorderhand sechs, die alle ihr gewidmet sind. Sie kennt sie nicht. Was können sie ihr anderes sagen, als was sie weiß. Das Schlußlied will ich mitschicken, obwohl die dürftigen Worte nicht einmal einen kleinen Teil geben können. – Die Lieder sind so zusammengedacht, als ob ein fahrender Gesell, der sein Schicksal gehabt, nun in die Welt hinauszieht, und so vor sich hin wandert.“


    Mit den Worten „einen Zyklus Lieder“ kann Mahler, so die Mahler-Forschung, nicht den Liedzyklus selbst, sondern nur die Texte gemeint haben, aus denen er dann später vier auswählte, um sie zu vertonen. Es war zu seiner Zeit üblich, wie in „Meyers Konversationslexikon“ damals nachzulesen, vom „Lied“ als „lyrischem Gedicht in singbarer Form“ zu sprechen. Was aber die biographischen Aspekte der „Gesellen-Lieder“ anbelangt, so ist das, was Mahler in eben diesem Brief an Friedrich Löhr dazu geäußert hat, durchaus aufschlussreich für das Verständnis der musikalischen Aussage derselben, ohne dass man freilich darum wissen muss, um sie in ihrer musikalischen Aussage verstehen zu können. Wenn Mahler von einem „unnennbaren Schmerz“ spricht, der sich für ihn wie eine „ewige Scheidewand“ zwischen ihn und den anderen Menschen stellt, und dann bekennt „Aber ich weiß doch, daß ich fort muß“, dann artikuliert er eine Lebenserfahrung, die für ihn wohl von allgemeiner existenzieller Relevanz war. In ihr gründet wohl das entscheidende Motiv für die Komposition der „Lieder eines fahrenden Gesellen“.


    In der Wanderschaft - im Sinne eines schicksalhaft „in die weite Welt Geschickt-Seins“- verkörpert der „Geselle“ eine Urerfahrung menschlichen Seins: Das in die Einsamkeit der Wanderschaft Geraten, weil Gemeinschaft mit dem anderen Menschen nicht gelingen will. In Schuberts „Winterreise“ ist dies in künstlerisch großer Form zum Ausdruck gebracht, und Mahler fand sich darin offensichtlich wieder, - daher die unübersehbaren Parallelen, bis hin zur Metapher des „Lindenbaums“. In seinem Liederzyklus drückt sich freilich aus, dass der Schöpfer ein künstlerischer Vertreter der Moderne ist. Von daher rühren die das musikalische Werk in seiner spezifischen Eigenart konstituierenden und von Schuberts Werk unterscheidenden Merkmale:
    - Der weit fortgeschrittene Prozess der Musikalisierung des Klavierliedes, der hin zur Orchestrierung drängt;
    - die Konzentration und Reduktion der musikalischen Aussage auf wenige Lieder;
    - die grundlegende Modifikation der Metapher vom „Lindenbaum“, auf die bei der Besprechung des Zyklus noch näher einzugehen sein wird. Dies aber vorab: Der „Lindenbaum“, den Schuberts Wanderer flieht, weil er mit der trügerischen Ruhe im Tod lockt, wird von dem „Gesellen“ Mahlers gesucht: Er wird zum Ort der Erlösung vom schicksalhaften Leid in der träumerischen Vision gelungenen Lebens. Eine temporäre freilich nur, die Wanderschaft nicht beendende. Der Schluss des Zyklus lässt das sehr deutlich musikalisch erleben.

  • Wenn mein Schatz Hochzeit macht,
    Fröhliche Hochzeit macht,
    Hab 'ich meinen traurigen Tag!
    Geh´ ich in mein Kämmerlein,
    Dunkles Kämmerlein,
    Weine, wein´ um meinen Schatz,
    Um meinen lieben Schatz!


    Blümlein blau! Blümlein blau!
    Verdorre nicht! Verdorre nicht!
    Vöglein süß! Vöglein süß!
    Du singst auf grüner Heide.
    Ach, wie ist die Welt so schön!
    Ziküth! Ziküth!


    Singet nicht! Blühet nicht!
    Lenz ist ja vorbei!
    Alles Singen ist nun aus.
    Des Abends, wenn ich schlafen geh' ,
    Denk´ ich ein mein Leide,
    An mein Leide!


    Der Text, der diesem Lied zugrundeliegt, stellt eine Montage aus eigenen Versen und solchen dar, die Mahler in „Des Knaben Wunderhorn“ vorgefunden hat. Es handelt sich um zwei Strophen, die dort zwar hintereinander stehen, aber zusammen kein Gedicht bilden. Die Art und Weise, wie Mahler mit den Wunderhorn-Texten umgegangen ist, vermittelt hochinteressante Aufschlüsse über seine lyrischen Aussage-Intentionen, dieses Led, aber auch den ganzen Zyklus betreffend. Hier die beiden Wunderhorn-Strophen:


    Wann mein Schatz Hochzeit macht,
    Hab ich einen traurigen Tag:
    Geh ich in mein Kämmerlein,
    Wein um meinen Schatz.


    Blümlein blau, verdorre nicht,
    Du stehst auf grüner Heide;
    Des Abends, wenn ich schlafen geh,
    So denk ich an das Lieben.


    Alle Eingriffe in den Wunderhorn-Text und alle Ergänzungen, die Mahler vorgenommen hat, laufen auf eine Steigerung und eine Intensivierung der affektiven Dimension der lyrischen Aussage hinaus. Das geschieht im wesentlichen auf drei Wegen: Dem Ersetzen einzelner Wörter durch andere, der Wiederholung von Textpassagen und der Ergänzung durch textliche Elemente, die auf die kontrastive Gegenüberstellung von realer Außenwelt und seelischer Innenwelt abzielen.


    Im Einzelnen:
    Die „Hochzeit“ des „Schatzes“ wird mit dem Akzent „fröhlich“ versehen; der „traurige Tag“ wird durch das Possessivpronomen zum eigenen des lyrischen Ichs gemacht; dem „Kämmerlein“ wird in der Wiederholung das Adjektiv „dunkel“ beigegeben; die Wiederholung des Wortes „wein´“ bringt die Schwere der seelischen Erschütterung zum Ausdruck; der „Schatz“ wird in der Wieerholung ausdrücklich zum „lieben“ gemacht; die Angstvision des „verdorrenden blauen Blümleins“ erfährt eine Steigerung durch Wiederholung der Verse und die Hinzufügung des Bildes vom „Vöglein süß“; das Wort „Lieben“ im letzten erst der zweiten Strophe wird durch „mein Leide“ ersetzt, und auch hier wird wieder mit dem Mittel der Wiederholung gearbeitet.


    Hinzugefügt wird eine Gruppe von 5 Versen, die ganz und gar Mahlers Eigenschöpfungen sind. Eingeleitet mit den Worten „Ach, wie ist die Welt so schön“ zielt diese Gruppe auf die Evokation des Kontrasts von naturhaft-schöner Außenwelt und leiderfüllter Innenwelt ab. Damit ist ein Wesenselement des lyrisch-musikalischen Gehalts nicht nur dieses Liedes, sondern des ganzen Zyklus angesprochen. Der Kontrast ist ein Wesensmerkmal des Gehalts und ein strukturelles der Liedmusik. Er dürfte darin Ausfluss der allgemeinen Weltsicht und Lebenshaltung Mahlers sein, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann. Wohl aber ist hinzuweisen auf den Unterschied zu Schuberts „Winterreise“, zu der die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ ja in einem unübersehbaren Bezug stehen.


    Bei Schubert stehen real-winterliche Außenwelt und seelische Innenwelt des Protagonisten in einer immer wieder in eindringlicher Weise lyrisch-musikalisch zum Ausdruck gebrachten Kongruenz. Das ist bei Mahler nicht der Fall. Aus der Welt, in der „sein Schatz Hochzeit macht“, zieht sich das lyrische Ich in sein „dunkles Kämmerlein“ zurück. Es weiß von seinen früheren Erfahrungen her, dass diese Welt „schön“ sein kann, ja das in diesem Augenblick noch ist, aber es ruft den Blümlein“ zu, sie möchten nicht blühen, und den „Vöglein“, sie sollten nicht singen, denn für es selbst ist nun „alles Singen aus“. Dieser Dualismus, das unvermittelte Nebeneinander von realer Außenwelt und seelischer Innenwelt ist ein konstitutives Merkmal des Gehalts des lyrischen Textes, und in ihm gründet ein wesentliches Strukturmerkmal der Liedmusik des Zyklus: Ihre Polyphonie.


    In der Fachliteratur wird dieser Begriff unter Bezugnahme auf Äußerungen Mahlers verwendet. Natalie Bauer-Lechner berichtet in ihren „Erinnerungen“, dass Mahler diesen Begriff in einem Kommentar zum Trauermarsch im dritten Satz der Ersten Symphonie verwendet habe, und beim Besuch eines Volksfestes in der Nähe des Wörthersees im Sommer 1900 soll er beim Ineinanderklingen der Musiken von Männergesangverein, Militär und Schießbuden ausgerufen haben:
    „Hört ihr´s ! Das ist Polyphonie und da hab´ ich sie her! (…) Gerade so, von ganz verschiedenen Seiten her, müssen die Themen kommen und so völlig unterschieden sein in Rhythmik und Melodik (alles andere ist bloß Vielstimmigkeit und verkappte Homophonie): nur daß sie der Künstler zu einem zusammenstimmenden und –klingenden Ganzen ordnet und vereint.“


    Dieser Begriff der Polyphonie wurde – unter Bezugnahme auf die Erste Symphonie – von Mahler sogar mit dem Adjektiv „rücksichtslos“ versehen. Bei den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ begegnet sie dem Hörer auf mehreren Ebenen: Innerhalb der Liedmusik selbst als kontrastreiches, ja schroffes Nebeneinander und Aufeinander-Folgen von klanglichen Elementen, und das nicht nur im Zusammenspiel von melodischer Linie der Singstimme und Orchester, sondern auch innerhalb des Orchestersatzes selbst; überdies aber auch in der Anlage des Zyklus, der Aufeinanderfolge der einzelnen Lieder in ihrer spezifischen Klanglichkeit und musikalischen Aussage. Das wird im einzelnen aufzuzeigen sein.


    Die Änderungen und Ergänzungen, die Mahler an den Wunderhorn-Strophen vorgenommen hat, ermöglichten es ihm, dem Lied eine Dreiteiligkeit nach dem Schema A-B-A zugrundezulegen. Der B-Teil in der Mitte hebt sich deutlich von dem ihn rahmenden A-Teil ab, und dies in allen Bereichen seiner Klanglichkeit: Vom Gestus der melodischen Linie über ihre Harmonisierung bis hin zum Takt. Hier dominiert Dur-Harmonik, während dieses Tongeschlecht im ersten und dritten Teil des Liedes nur kurz auftaucht und sofort wieder vom ganz und gar vorherrschenden Moll verdrängt wird.

    Starke klangliche Kontraste und rhythmische Unruhe prägen den Charakter dieses Liedes, - Ausdruck der tiefen seelischen Verstörung des lyrischen Ichs, das sich im Leiden unter dem Verlust eines geliebten Menschen aus einer Welt zurückzieht, die es ehedem als „schön“ empfunden hat. Bemerkenswert ist, dass Mahler, darin sich etwa von Richard Strauss unterscheidend, den hohen affektiven Gehalt, den er mit seinen Änderungen und Ergänzungen am Wunderhorn-Text vorgenommen hat, nicht in die Struktur der melodischen Linie der Singstimme übergehen lässt. Für die Singstimme gilt von Anfang an die Vortragsanweisung „Leise und traurig bis zum Schluss“. Zwar weist die Vokallinie melodische Figuren auf, die ein hohes Potential an Klage und Schmerz beinhalten, sie bleiben aber in auffälliger Weise verhalten und gedämpft, entfalten sich nie in Gestalt von expressiven Fall- und Sprungbewegungen über große tonale Intervalle. Seine Expressivität im musikalischen Aufgreifen der lyrischen Aussage bezieht das Lied aus dem von starken Kontrasten geprägten Wechselspiel von melodischer Linie und Orchestersatz. Der Kontrast erweist sich hier – und das gilt für den ganzen Zyklus – als das für die musikalische Aussage gleichsam konstitutive kompositorische Ausdrucksmittel, und er ist darin als wesentlicher Bestandteil des Instrumentariums zu verstehen, mit dem Mahler seine „Polyphonie“ musikalisch realisiert.
    (Fortsetzung folgt)

  • Rhythmische Unruhe und klanglicher Kontrast begegnen dem Hörer schon in den ersten acht Takten. Begleitet von Triangel und Harfe lassen die Klarinetten zunächst eine bogenförmige Sechzehntel-Figur aus Terzen erklingen, die im nächsten Takt in eine Achtel-Sexte und – nach einer Achtel-Pause – in eine Viertel-Terz mündet. Ihr kommt eine Schlüsselfunktion in diesem Lied zu. In seiner tänzerischen Rhythmisierung fällt es im ersten und im dritten Teil des Liedes immer wieder in den ruhig sich entfaltenden verhaltenen Klageton der melodischen Linie ein und tritt auf diese Weise in seiner Suggestion von „fröhlicher Hochzeit“ in einen geradezu schroffen Kontrast zu ihr.


    Dieses Motiv wirkt in seinem Auftreten klanglich verstörend, ist es doch in sich von rhythmischer Unruhe geprägt. Der Hüpfer am Ende ist triolisch angelegt und fügt sich damit nicht ganz in den zugrundeliegenden Zweivierteltakt. Und überdies: Diese Figur drängt sich regelrecht in die melodische Linie hinein. Wie man gleich bei der ersten Melodiezeile auf den Worten „Wenn mein Schatz Hochzeit macht“ vernehmen kann, setzt sie genau mit dem „A“ ein, auf dem die Singstimme das Wort „macht“ deklamiert, - und dies forte in das Pianissimo der melodischen Linie. Der Rückzug in das dunkle Kämmerlein vermag das lyrische Ich nicht davor zu bewahren, dass sich die reale Außenwelt mit der Hochzeit der Geliebten in verstörender und schmerzlicher Weise in seine seelische Innenwelt drängt.


    In d-Moll harmonisiert und begleitet von den Streichern, die ihre Dämpfer aufgesetzt haben und ihren Bewegungen mit zarter, sie tragender Klanglichkeit folgen, setzt die melodische Linie der Singstimme ein. Bemerkenswert ist, dass die Figur, die sie auf dem ersten Vers beschreibt, identisch ist mit dem Motiv, mit dem die Klarinetten das Lied eröffnen, - nur dass es nun in Achteln und nicht in Sechzehnteln steht und auf dem Wort „Schatz“ gar eine Dehnung in Gestalt einer halben Note liegt. Auch die Kombination aus Quartsprung und –fall deklamiert die Singstimme, und auch sie wirkt ruhiger, sanfter, ohne den hüpfend-tänzerischen Gestus der ihm bei den Klarinetten eigen ist. Dieses lyrische Ich reflektiert zwar die Tatsache der Hochzeit seiner Geliebten, aber es ist in solch schmerzlicher Lethargie versunken, dass es sich nur in einer überaus müde wirkenden Melodik äußer kann. Zwar nimmt es das fatale Wort „Hochzeit“ noch einmal in den Mund, eben weil es von solch fundamentaler Bedeutung für das eigene Leben ist, aber nun rückt die Harmonisierung der melodischen Linie nach g-Moll, und aus dem Quartsprung am Ende wird ein noch müder wirkender Terzsprung.


    Und wieder fallen die Klarinetten mit ihrer leicht modifizierten – Tanzfigur dem lyrischen Ich kommentierend ins Wort, - wie sie das auch bei der nächsten Melodiezeile auf den Worten „Hab´ ich meinen traurigen Tag“ tun Hier erhebt sich de melodische Linie mit einem Sextsprung zu einem hohen „F“, dies aber nur, um in einer doppelten Fallbewegung in Sekunden wieder zu ihrem Ausgangspunkt, einem „A“ in mittlerer Lage, zurückzukehren. Die Streicher folgen ihr dabei mit Terzen. Das geschieht in d-Moll-Harmonik und weist die klangliche Anmutung von schmerzlicher Klage auf. Sie geht einher mit tiefer innerer Unruhe. So versteht man jedenfalls die starken Temposchwankungen in der Liedmusik.


    In der Klavierfassung hatte Mahler noch mit den traditionellen Anweisungen „Andante“ und „Allegro“ gearbeitet, hier aber verwendet er im ersten und im dritten Teil (einschließlich Nachspiel) die Anweisungen „langsamer“ und „schneller“, und dies gleich 27 Mal. An manchen Stellen, so etwa bei den gerade besprochenen Liedzeilen der beiden ersten Verse, folgen diese Anweisungen, für nur zwei bis drei Takte jeweils gültig, unmittelbar aufeinander. Der Mittelteil des Liedes hebt sich davon deutlich ab, - wie er das ja auch klanglich tut. Im Unterschied zu Teil eins und drei, die in einem Zweivierteltakt stehen, weist er einen Sechsachteltakt auf. Über eine lange Passage gilt die Anweisung „sanft bewegt“, und erst bei dem Ruf „Ziküth soll der Vortrag „drängend“ erfolgen. Wie wichtig Mahler dieser permanente Tempowechsel war – eben weil er musikalisch seelische Unruhe reflektiert - , kann man der Anmerkung in der Klavierfassung entnehmen: „Auf den fortwährenden Tempowechsel ist zu achten“.


    Bei den beiden folgenden Versen, die vom Rückzug des lyrischen Ichs in sein Inneres, das „dunkle Kämmerlein“ sprechen, bewegt sich die melodische Linie in Sekundschritten zunächst in mittlerer tonaler Lage, wirkt dabei aber so beschwert, dass sie mehr und mehr in tiefe absinkt. Und weil es um einen Rückzug nach innen geht, ereignen sich auch noch harmonische Rückungen. Zunächst moduliert die Harmonik zwischen B-Dur und d-Moll. Im weiteren Absinken der melodischen Linie bei den Worten „weine, wein´ um meinen Schatz“ senkt sich auch die Tonart nach Es-Dur ab und moduliert von daher mit d-Moll. Seelischen Schmerz und Bedrückung bringt die Liedmusik hier zum Ausdruck. Der verminderte Sextsprung, der sich am Anfang der Wortgruppe „um meinen lieben Schatz“ ereignet und in eine, nun in c-Moll und g-Moll gebettete und erneut in einen Fall übergehende melodische Linie mündet, wirkt wie ein großer, aus tiefer Seele kommender Seufzer. Und wieder lassen die Klarinetten, dem lyrischen Ich am Ende ins Wort fallend, ihr Tanzmotiv erklingen, dieses Mal von Tremoli der Violinen und der Celli unterstützt.


    Als strömte mit einem Mal helles Licht in die triste Szene, mit der der erste Liedteil schließt, so mutet der Auftritt von Oboen, Klarinetten, Hörnern und Harfe zu Beginn des zweiten Teils an. Es-Dur-Harmonik herrscht vor, ein wiegender Sechsachteltakt liegt zugrunde. Und das alles wirkt wie eine Erlösung von der Schwere all der Moll-Harmonik, in die die melodische Linie bislang gebettet war. Die Klarinetten lassen zwei Mal eine aufwärtsgerichtete Figur aus Sexten erklingen, die von den Streichern dann aufgegriffen wird. Sie hat Einfluss auf die melodische Linie, denn nun wohnt auch ihren Bewegungen eine aufwärts gerichtete Tendenz inne. Bei den Worten „Blümlein blau“ ist es zwar zunächst nur eine Sekunde, in der es nach oben geht, dann aber, bei dem doppelten „verdorre nicht“, beschreibt die melodische Linie eine bis zu einem hohen „G“ sich aufschwingende Bogenbewegung, die dieser Bitte, in der sich auch Angst ausdrückt, große Eindringlichkeit verleiht. Das ganze Orchester stimmt in diese Bitte ein, und die Streicher, die der Bewegung der melodischen Linie folgen, hüllen die Singstimme in ein betörend sanftes klangliches Bett. Triller einer Violine begleiten sie bei der Deklamation der Worte „Vöglein süß“, die Harfe lässt Arpeggien erklingen, und auch die bisher so eigensinnigen Klarinetten fügen sich zusammen mit den Oboen in Gestalt von fallenden Sechzehntel-Figuren in das harmonische Klangbild ein.


    Eine kleine Moll-Trübung (g-Moll) kommt in die melodische Linie bei den Worten „Du singst auf grüner Heide“. Sie steigt in einer raschen Aufwärtsbewegung aus tiefer Lage über eine None bis zu einem hohen „Es“ auf, um bei dem Wort „Heide“ einen leicht gedehnten Sekundfall zu beschreiben. Die Vorstellung, dass das Vöglein verstummen und das lyrische Ich dieser so beglückenden Erfahrung verlustig gehen könnte, lässt an dieser Stelle das Moll in die Harmonik der melodischen Linie treten. Aber die Flöten lassen danach eine trillerartige Sechzehntel-Figur erklingen und fegen diese Angst hinweg. Die Harmonik moduliert nach F-Dur, und in dieser Tonart ist auch die Vokallinie auf den Ausruf „Ach, wie ist die Welt so schön!“ harmonisiert.


    Hier wagt sich die Singstimme zum ersten Mal aus dem Piano-Bereich in den des Forte vor. Zweimal gipfelt die Vokallinie in gedehnter Form auf den Worten „Ach“ und „Welt“ auf und verleiht ihnen dadurch einen Akzent. Und auch das zweifache „Ziküth“ vernimmt man ja als spontanen Ausdruck von Lebensfreude und –bejahung, wobei auch hier ein Steigerungseffekt vorliegt, insofern beim zweiten „Ziküth“ an die Stelle eines Sekundfalls ein Quintfall tritt. Das Orchester, das eben noch einen klanglichen Jubelton angeschlagen hat – mit Springfiguren in den Soloviolinen und langen Trillern der Piccolo-Flöten – geht nun im dreitaktigen Zwischenspiel vor dem Einsatz der Singstimme im dritten Teil des Liedes zu einer Art Überleitung in die Wiederkehr des schmerzerfüllten Grundtones über. Drei Mal erklingen fallende Sechzehntel-Figuren bei den Flöten und von der ersten Solo-Violine, dies verbunden mit einem Decrescendo und am Ende gar einem Ritardando. Eine dreifache Terzfall-Bewegung, von der Solo-Violine ritardando artikuliert, kündet vom Ende dieses Liedteils, der in solch faszinierender Klanglichkeit von der Schönheit der Welt singt.


    Die melodische Linie die auf den Worten der ersten beiden Verse des dritten Liedteils liegt, ist die des Liedanfangs, - mit einer wesentlichen Modifikation allerdings: Die Fallbewegung am Ende, jene auf den Worten „Alles Singen ist nun aus“, weist nun keine eingelagerten Achtel mehr auf. Schwer und müde, in der gleichförmigen Abfolge von Vierteln fällt sie in Sekundschritten vom hohen „F“ zum „A in mittlerer Lage ab. Auch bei den beiden letzten Versen greift die melodische Linie auf Strukturelemente derjenigen zurück, die bei den Versen drei und vier des ersten Liedteils erklingen. Allerdings ist die Harmonisierung eine andere: Sie moduliert nun von B-Dur über d-Moll und es-Moll nach as-Moll. Diese Rückung in den tieferen Bereich des Quintenzirkels verleiht der Fallbewegung, die die melodische Linie auch hier beschreibt, eine noch intensivere Anmutung von schmerzlicher Klage. Die Kombination von Terzsprung und vermindertem Quartfall auf dem Wort „Leide“ ist in es-Moll gebettet.


    Und wieder lassen die Klarinetten mit den Oboen, zusammen das Orchesternachspiel einleitend, das für das Lied so zentrale, in eine Sprungbewegung mündende Tanzfiguren-Motiv in Terzen erklingen. In einer wie ein Klageruf wirkenden, vier Mal sich ereignenden Fallbewegung von einer Quinte, die sich dabei zu einer gedehnten Terz verengt, wobei die Celli einen dumpf wirkenden Wirbel von kleinen Sekunden anstimmen, klingt das Lied aus. Bei dieser aus einem Quartfall bestehenden und in einen triolischen Rhythmus gebetteten Figur handelt es sich um den Hüpfer, der klanglicher Bestandteil des zentralen Klarinetten- und Oboenmotivs ist. Und bemerkenswert ist nun, dass sich die Quarte beim zweitletzten und letzten Erklingen zur kleinen Sekunde verengt.
    Der Klage, die im Zentrum des Liedes steht, ist alle expressive Kraft verloren gegangen. Sie endet in Erschöpfung.

  • Es ist ein Monolog, mit dem dieser Zyklus von Liedern einsetzt, - und monologisch wird er sich fortsetzen und zu Ende gehen. Darin, als in der Einsamkeit des Monologs sich ereignendes emotionales und reflexives Sich-Auseinandersetzen eines Menschen mit der existenziellen Situation, in die er sich geworfen sieht, zeigt sich die tiefe Verwandtschaft mit Schuberts „Winterreise“. Es ist keine Beiläufigkeit, sondern hat einen tiefen Sinn, dass die dort eine zentrale Rolle und Funktion einnehmende Metapher vom „Lindenbaum“ hier wieder auftaucht und eine eben solche, freilich anders ausgerichtete Bedeutung für die musikalische Aussage gewinnt.


    Was aber nachdenklich stimmen kann, wenn man, von Schubert kommend, sich diesem Zyklus zuwendet, ist dieses:
    Monologe, die sich in der Einsamkeit des auf sich selbst Zurückgeworfen-Seins ereignen, sind eigentlich eine Sache, die im intimen klanglichen Raum des Klavierlieds, im Dialog zwischen Singstimme und Klavier, eher an dem ihnen gemäßen musikalischen Ort zu sein scheinen. So wie man das bei Schubert in wahrlich überwältigender Weise erleben kann, - etwa wenn das Klavier das lyrische Bild „Hie und da ist an den Bäumen…“, in das der Wanderer kontemplativ versunken ist, mit einsamen hin und her irrenden Klangtupfern begleitet.


    Warum, so fragt man sich, empfand Mahler ein Ungenügen an diesem zunächst doch als Werk für Singstimme und Klavier konzipierten und realisierten Zyklus? Ungenügen in dem Sinne, dass er diesen in das klangliche Gewand eines Orchesterliedes umsetzen musste?
    Ich mag mich bezüglich dieser Frage nicht zufrieden geben mit solchen Erklärungen, wie ich sie bei Hermann Danuser finde. Er meint, dass die Klavierfassung „scheinorchestral gesetzt“ sei, dass es sich also – ähnlich wie bei den „Nuits d´été“ von Berlioz – bei der Fassung für Orchester um nichts anderes als eine Einlösung einer primär orchestral gedachten und konzipierten Komposition handele.
    Diese These wird dem Sachverhalt nicht wirklich gerecht, weil sie nicht plausibel zu machen vermag, warum Mahler nicht nur in diesem Fall der „Gesellen-Lieder“, sondern bei allen anderen Orchesterliedern, und in einem Fall sogar nachträglich, Klavierlied-Fassungen vorlegte. Und dies nicht etwa, weil er den Bedürfnissen der Hausmusik nachkommen wollte, sondern doch wohl deshalb, weil es für ihn gültige und gleichwertige kompositorische Realisierungen seiner musikalischen Aussage-Absicht waren.


    Mir scheint ein anderer Ansatz zur Erklärung dieses – in der Geschichte des Liedes eigentlich singulären – Sachverhalts plausibler: Mahler saß, als genuiner Melodiker, der er war, sein ganzes kompositorisches Leben lang zwischen zwei Stühlen. Lied, - das war für ihn eigentlich ein Werk für Singstimme und Klavier. Und als solches ist es für ein gleichsam der Quellgrund nicht nur seines liedkompositorischen Schaffens sondern seines kompositorischen Werkes insgesamt. Hat man dieses doch zu Recht als „Transformationsprozess“ seines Liedes verstanden und eingeschätzt. Allein, - nur das Orchester konnte für ihn das wahrlich zeitgemäße, mit seinem größeren klanglichen Ausdrucks-Potential den Menschen seiner gegenwärtigen Lebenswelt zu erreichen vermögende musikalische Ausdrucks-Instrument sein.


    Er wusste längst: Das Lied hat den intimen Raum des Salons verlassen und die Bühne des Konzertsaals betreten. Der bei ihm von seinen Biographen konstatierte und quellenmäßig gut dokumentierte mächtige Trieb zum musikalisch Monumentalen ist wohl als Reflex auf die moderne Massengesellschaft zu verstehen. Die irritierte und befremdete ihn zwar zutiefst, er machte ihr gar einen Mangel an Verständnis für seine Musik zum Vorwurf (Ach Gott, wie lange wird es dauern, bis die Menschen das zu hören imstande sind“), gleichwohl war er sich der Tatsache immer bewusst, dass sie die der Adressat seines künstlerischen Schaffen war.


    Der Mahler-Kenner Paul Bekker ist schon recht früh, nämlich im Jahr 1921, dessen kompositorischer Grundhaltung sehr nahe gekommen, wenn er meinte:
    „Das Lied wird aus der Enge subjektiven Gefühlsausdruckes hinaufgehoben in die weithin leuchtende, klingende Sphäre des sinfonischen Stiles. Dieser wiederum bereichert seine nach außen drängende Kraft an der Intimität persönlichsten Empfindens. Die scheint paradox, und doch liegt in solcher Vereinigung der Gegensätze eine Erklärung für das seltsame, Innen- und Außenwelt umspannende, Persönlichstes und Fernstes in seinen Ausdrucksbereich einbeziehende Wesen Gustav Mahlers. (…) Die Lieder bilden nicht nur den gefühlsmäßigen Kern der meisten sinfonischen Werke. Sie geben auch die stilistischen Grundlagen.“

  • Mit den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ sieht sich derjenige, der sich um ein Verständnis von Mahlers Liedkomposition und ein Erfassen ihres Wesens bemüht, angesichts der Tatsache, dass nicht nur hier, sondern grundsätzlich von allen Orchesterliedern auch Klavierlied-Fassungen vorliegen, erstmals vor die Frage gestellt: Worin besteht eigentlich der künstlerische Aussage-Mehrwert des der Orchester-Fassung gegenüber der für Singstimme und Klavier?
    Man könnte sich zufrieden geben mit der – natürlich unbestreitbaren – Tatsache, dass der Orchestersatz bei einer Liedkomposition ein weitaus größeres klangliches Ausdruckspotential aufweist als der Klaviersatz und dass es eben in der Logik des – schon mit Robert Schumann einsetzenden – Prozesses der Musikalisierung des Liedes liegt, dass dieser sich zum Orchestersatz ausweitet. Bemerkenswert ist ja doch, dass der letzte genuine Klavierlied-Komponist, Hugo Wolf also, immerhin von vierundzwanzig seiner Lieder Fassungen mit Orchester-Begleitung zu verfassen. Auch bei ihm weist die Begleitung der melodischen Linie der Singstimme – und dies deutlich weiter entwickelt als bei Schumann – in sehr vielen Fällen eine „Ausweitung zu einem polyphonen“ Satz (H. Danuser) auf, der letzten Endes nur in einem Orchestersatz seine adäquate Einlösung findet.


    Man kann sich mit dieser Feststellung aber nicht zufrieden geben, denn man sieht sich geradezu aufgefordert, nachzuweisen, worin denn nun im Einzelfall eines Liedes dieses künstlerische Aussage-Plus ganz konkret besteht, - also hier im Fall des ersten „Gesellen“-Liedes zum Beispiel. Und das erfordert natürlich einen Vergleich zwischen Klavierlied- und Orchesterlied-Fassung. Das muss nicht unbedingt in der Weise geschehen, dass man das ganze Lied noch einmal analytisch durchgeht. Eigentlich dürfte genügen, dass man exemplarisch verfährt und sich auf einzelne Passagen des Liedes einlässt.


    So soll – nicht durchgängig, sondern nur dann, wenn bestimmte Sachverhalte der kompositorischen Faktur das nahelegen – bei den nachfolgenden Vorstellungen und Besprechungen der Lieder Mahlers verfahren werden, denn in allen Fällen liegen ja neben den Fassungen für Orchesterbegleitung auch solche für Klavier vor. Mal soll die Orchesterlied-Fassung die Grundlage für die erste Vorstellung des Liedes sein, ein anderes Mal die für Singstimme und Klavier. Bei den „Liedern eines fahrenden Gesellen“ wird der erste Weg beschritten, bei den Wunderhorn-Vertonungen aber der zweite. Obgleich das auf den ersten Blick sachlich nicht angebracht erscheint, ist es gleichwohl im Rahmen dieses Thread-Projekts methodisch sinnvoll. Eben deshalb, weil, wie ich denke, Mahlers Liedkomposition als ein prozessualer Weg hin zum Orchester-Lied zu verstehen ist. Den hat er mit den Gesellen-Liedern“ eingeschlagen, in der chronologisch nachfolgenden zweiten Gruppe der „Wunderhorn“-Lieder aber noch keineswegs abgeschlossen und vollendet.


    Worin also besteht nun dieses musikalisch-künstlerische Aussage-Plus im Falle des ersten „Gesellen“-Liedes? Man kann es, wie ich denke, schon in der Liedmusik zu den ersten drei Versen erfassen. Das Terzenmotiv, das das Lied einleitet und in seiner die nachfolgende melodische Linie komprimierenden Gestalt wie der Einbruch der verstörenden Außenwelt in das „dunkle Kämmerlein“ der seelischen Innenwelt des „fahrenden Gesellen“ wirkt, kann das Klavier in seinem Wesen eigentlich klanglich ebenso gut zum Ausdruck bringen wie die Klarinetten. Es wirkt klanglich, insbesondere im rhythmisch abgesetzten Quartfall sogar schärfer konturiert, und erfüllt – wie ich finde – darin eigentlich seine verstörende Funktion besser.


    Anders ist das beim Einsatz der melodischen Linie auf den ersten drei Versen. Sie stellt eigentlich ein einziges klägliches, seelischen Schmerz zum Ausdruck bringenden Sich-um-sich-selber-Drehen dar. Zweimal beschreibt sie die gleiche Bewegung, im zweiten Fall nur tonal um eine Sekunde angehoben und mit einer die Expressivität steigernden harmonischen Rückung verbunden. Danach bäumt sie sich bei den Worten „hab´ ich“ zwar in einem Sextsprung schmerzlich auf, dies aber nur, um in einer resignativen Fallbewegung wieder zu dem tonalen Ausgangspunkt zurückzukehren, dem „A“ also, mit dem sie einsetzte.


    Das Klavier begleitet diese melodischen Bewegungen zwar in äußerst behutsamer Weise mit Moll-Terzen, es vermag aber mit diesen seinen klanglichen Möglichkeiten nicht das zu leisten, was den ersten und zweiten Violinen, unterstützt von den Violen und den Celli möglich ist: Die melodische Linie der Singstimme in ein klangliches Bett zu hüllen, das in seiner sich anschmiegenden Zartheit die Schmerzlichkeit der Klage, wie sie aus dem Zurückgeworfen-Sein des fahrenden Gesellen auf sich selbst kommt, erst voll und ganz vernehmlich werden lässt. Die Rückung nach g-Moll bei der Wiederholung dieser melodischen Figur vermag im Orchestersatz deutlich mehr Expressivität zu entfalten.


    Noch stärker ist dieser Effekt bei der melodischen Linie auf den Worten „hab´ ich meinen traurigen Tag“ ausgebildet. Auch wenn das Tempo, in dem der Sänger (in meinem Fall Fischer-Dieskau) sie vorträgt, in beiden Fällen gleich ist, wirkt es im Fall des Orchester-Fassung in der subjektiven Wahrnehmung langsamer, den schmerzlichen Klageton in deutlich gewichtigerer Weise zum Ausdruck bringend. Und es ist klar, woran das liegt: Die ersten Violinen folgen der melodischen Linie mit Terzen, die zweiten mit Sexten, die Violen mit Quarten, und die Bassklarinetten und die Celli setzen eine kontrastierend aufwärts gerichtete melodische Linie dagegen. Der Orchestersatz lotet auf diese Weise mit seinem klanglichen Potential die seelische Tiefendimension dessen, was die melodische Linie zum Ausdruck bringt, mit einer klanglichen Expressivität aus, die der Klaviersatz nicht aufzubringen vermag.

  • Ging heut´ Morgens über´s Feld,
    Tau noch auf den Gräsern hing;
    Sprach zu mir der lust'ge Fink:
    "Ei du! Gelt? Guten Morgen! Ei gelt?
    Du! Wird´s nicht eine schöne Welt?
    Zink! Zink! Schön und flink!
    Wie mir doch die Welt gefällt! "


    Auch die Glockenblum´ am Feld
    Hat mir lustig, guter Ding´,
    Mit den Glöckchen, klinge, kling,
    Ihren Morgengruß geschellt:
    "Wird´s nicht eine schöne Welt, schöne Welt?
    Kling, kling! Schönes Ding!
    Wie mir doch die Welt gefällt! Heia! "


    Und da fing im Sonnenschein
    Gleich die Welt zu funkeln an;
    Alles, alles Ton und Farbe gewann
    Im Sonnenschein!
    Blum´ und Vogel, groß und klein!
    "Guten Tag, guten Tag! Ist´s nicht eine schöne Welt?
    Ei du, gelt? Schöne Welt? "


    Nun fängt auch mein Glück wohl an?!
    Nein! nein! Das ich mein´,
    Mir nimmer, nimmer blühen kann!



    Dieses Lied knüpft inhaltlich und formal an Aspekte und Elemente des vorangehenden Liedes an und stellt in seinem klanglichen Charakter doch einen starken Kontrast zu diesem dar. Der Kontrast ist, worauf bereits hingewiesen wurde, ein für Mahler in diesen Liedern gleichsam konstitutives kompositorisches Ausdrucksmittel, und zwar in deren Binnenstruktur, wie auch in ihrer Aufeinanderfolge. Die formale Anbindung besteht hier darin, dass die melodische Linie der Singstimme mit der Quartenfall- und Sprungbewegung, in der sie einsetzt, die Pendelbewegung in der Quarte „D–G“ aufgreift, die die Kontrabässe in den letzten drei Takten des ersten Lies erklingen lassen. Die inhaltliche Anbindung erfolgt über den siebten Vers: „Ach, wie ist die Welt so schön“.


    Beim morgendlichen Gang „übers Feld“ fühlt sich der Wanderer vom „lust´gen Fink“ und von der „Glockenblume am Feld“ in Gestalt von Suggestivfragen auf die Schönheit der Welt aufmerksam gemacht. Und alle sinnlichen Erfahrungen, die er macht, zeigen ihm die Welt tatsächlich in eben dieser ihrer Schönheit. Alles fängt im Sonnenschein zu funkeln an, gewinnt Ton und Farbe. Er fühlt sich angesprochen, begrüßt in dieser Welt und stellt nun selbst die Frage, ob nun doch mit all diesen Erfahrungen weltlicher Schönheit sein „Glück“ – wieder? – anfangen könne. Er muss sie verneinen. Ihm wird bewusst, dass das, was für ihn „Glück“ bedeutet, ihm „nimmer blühen“ kann. Dem lyrischen Ich ist das „Glücklich-Sein ein für allemal verwehrt. Seine Wanderschaft ist die eines Menschen durch eine Welt, deren Schönheit er zwar erkennt, ohne daran aber erlebend teilhaben zu können. Darin gründet seine existenzielle Einsamkeit.


    „In gemächlicher Bewegung“ auf der Grundlage eines Viervierteltaktes und in D-Dur-Harmonik setzt das Lied mit der Staccato-Repetition eines „A“ durch die Streicher und die Piccolo-Flöten ein. Die melodische Linie der Singstimme, die schon im zweiten Takt hinzutritt, hat Mahler als Thema des ersten Satzes seiner Ersten Symphonie („Der Titan“) verwendet. Die erste Melodiezeile, die mit der schon erwähnten Kombination aus Quartfall und –sprung in tiefer Lage einsetzt und dann in eine ruhige Aufwärtsbewegung übergeht, der drei etwas lebhaftere Bögen folgen, in die Dehnungen als Ruhepunkte eingelagert sind, umfasst die ersten drei Verse und den Anfang des vierten (bis einschließlich „Ei du! Gelt?“). Erst folgt die Harfe dieser Bewegung, und dann, nachdem sie bei dem Wort „Feld“ einen arpeggierten Akkord hat erklingen lassen, tun das die Streicher. Eine heitere, ja beschwingt daherkommende Musik entfaltet sich, die in harmonisch geradezu schlichter Weise zwischen Tonika (D-Dur) und Subdominante moduliert. Den Eindruck beschwingter Heiterkeit erwecken auch ganz wesentlich die klanglichen Beiträge der einzelnen Instrumentengruppen, die Mahler ganz gezielt tonmalerisch einsetzt. So lässt er z.B. bei den Worten „Ei du! Gelt?“ und in der zweitaktigen Pause der Singstimme danach in den ersten Violinen zwei Achtel-Ketten aus hoher Lage in tiefe laufen. Und bei dem emphatischen Aufstieg der melodischen Linie über eine ganze Oktave bei den Worten „Wird´s nicht eine schöne Welt, schöne Welt?“ lassen auch die zweiten Violinen fallende Achtelketten erklingen, die mit den aufsteigenden und wieder fallenden der ersten Violinen einen wahren klanglichen Wirbel bilden. Die Expressivität steigernd wirkt hier auch, dass eine harmonische Rückung nach A-Dur erfolgt.


    Die Steigerung der musikalischen Expressivität setzt sich weiter fort und erreicht mit dem Ausruf „Wie mir doch die Welt gefällt!“ einen ersten Höhepunkt. „Übermüthig“ lautet hier die Vortragsanweisung für die Singstimme. Das „Zink, Zink“ deklamiert sie auf einem zweifachen, leicht gedehnten „A“, wobei sich eine Rückung von A- nach D-Dur ereignet. Auf den Worten „Schön und flink“ liegt eine lebhafte, aus der Abfolge von Acheln bestehende Bogenbewegung, die am Ende in einen Quartsprung mit Dehnung übergeht, - eine melodische Figur, die dieses kleine lyrische Bild mit großem klanglichen Leben erfüllt. Die melodische Linie auf den Worten „Wie mir doch die Welt gefällt!“ bringt überschwänglichen Jubel zum Ausdruck. Zu dem Sextsprung bei dem Wort „Welt“, der in eine Fallbewegung in Sekunden mündet, nimmt die Singstimme einen regelrechten Anlauf. Das alles wird von einem nun noch angewachsenen Wirbel von steigenden und fallenden Achtelketten begleitet, denn nun beteiligt sich daran nahezu das ganze Orchester, - neben allen Streichergruppen auch die Flöten und – z.T. – die Oboen. Beim Jubelruf, der abgesehen von seiner melodischen Struktur auch dadurch in klanglich markanter Weise hervorgehoben ist, weil hier die Harmonik nach G-Dur rückt, artikulieren die ersten und zweiten Geigen und die Violen fallende Staccato-Achtelfiguren, die dem jubelnden Gestus der Singstimme die Anmutung von Verzückung beigeben.


    Ein fünftaktiges Zwischenspiel folgt, bevor die Singstimme zur Deklamation der Melodik zweiten Strophe anhebt, die bis auf eine kleine Modifikation am Ende mit der der ersten Strophe identisch ist. Im Zwischenspiel lassen die ersten Violinen, die Flöten, Oboen und die Klarinetten hüpfende Achtelfiguren erklingen, die dann in einen von den ersten und zweiten Violinen und den Violen ausgeführten Wirbel von Achteln in Sekundschritten auf einer hohen tonalen Ebene übergehen, der sich vom Forte ins Forte-.Fortissimo steigert und in Sechzehntel übergeht, so dass das Ganze die Wirkung eines Auftakts zur zweiten Strophe annimmt. Ganz dem entsprechend lässt die erste Trompete am Ende eine schmetternde Folge von drei Achteln erklingen, die danach in ein lang gehaltenes „E“ münden, das die Singstimme bis zum Ende des vierten Verses der zweiten Strophe begleitet.


    Der Orchestersatz weicht in seiner Struktur nicht grundsätzlich von dem der ersten Strophe ab, aber doch in einigen wesentlichen Elementen. Sie dienen der klanglichen Akzentuierung des zentralen Bildes von der „Glockenblum´ am Feld“ und der Reaktion des „fahrenden Gesellen“ auf die Begegnung mit ihr. Er wirkt ja nun, obgleich er die gleichen Melodien vor sich hin singt, noch deutlich beschwingter, wie das begeisterte „Heia“ vernehmen lässt, in das er am Ende dieser Strophe ausbricht. Schon gleich die erste Melodiezeile wird vom Orchester anders begleitet. Die ersten Violinen lassen ihre alterierenden Staccato-Sekunden über sechs Takte weiter erklingen, und die Flöten und die Klarinetten vollziehen jeden Schritt der melodischen Linie mit. Klanglich überaus reizvoll wirkt der um einen Takt versetzte Nachvollzug der melodischen Linie in den Celli. Alles zusammen führt dazu, dass die musikalische Aussage der melodischen Linie ein stärkeres Gewicht erhält. Bei „kling, kling, kling“ meldet sich auch ein Glockenspiel, die Worte „ihren Morgengruß geschellt“ werde von lang gehaltenen Trillern der zweiten Violinen und der Violen, ferner von Oktaven und fallenden Figuren der Hörner begleitet. Die aufsteigende melodische Linie bei den Worten „Wird´s nicht eine schöne Welt?“ löst bei der harfe eine Folge von aufsteigenden Achtelketten aus, zu denen fallende Achtel in den Violen einen klanglichen Kontrast bilden.


    Beim in A-Dur stehenden vierfachen „kling“ setzen die Flöten, die Oboen und die Klarinetten mit Bogenbewegungen von Achteln ein, die dann bei den Flöten in Fallbewegungen aus hoher Lage übergehen. Sie stimmen in den klanglich geradezu rauschhaft wirkenden Wirbel ein, den die Streicher nun sogar unter Einschluss der Celli mit ihren auf und ab laufenden Achtelketten entfalten. Die melodische Linie die nun auf den Worten „Wie mit doch die Welt gefällt“ liegt, weicht nun von der entsprechenden der ersten Strophe deutlich ab. Sie setzt um eine Terz höher ein und beschreibt – im Unterschied zu ersten Strophe – dann eine Fallbewegung in Gruppen von je zwei Achteln und einem Viertel, die sich über eine Septe bis zu einem tiefen „E“ erstreckt. Sie wird von den ersten und den zweiten Violinen mitvollzogen, allerdings piano. Das nachfolgende „Heia!“, das hier ja textlich neu ist, gewinnt mit seinem Septfall, auf dem es deklamiert wird, durch diese vorangehende Fallbewegung der Vokallinie eine umso größere Expressivität.
    (Fortsetzung folgt)

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  • m zwölftaktigen Zwischenspiel lassen die Streicher, eingeleitet mit einer dreifachen Sprungbewegung, eine wie beseligt wirkende bogenförmig fallende Melodie erklingen, in der die Lebensfreude weiterzuwirken scheint, die der fahrende Geselle mit seinem „Heia!“ gerade zum Ausdruck gebracht hat. Sie geht in eine fallende und leicht rhythmisierte Figur über, die von den Klarinetten artikuliert wird und mit ihrer Modulation nach H-Dur zur dritten Strophe überleitet.


    Zwei Mal deklamiert die Singstimme auf den beiden ersten Versen die gleiche melodische Linie, von den Celli und der Harfe mit einem Auf und Ab von einzelnen Vierteln begleitet. Aus einem Quartfall heraus steigt die melodische Linie – in H-Dur harmonisiert – in Sekundschritten über eine ganze Oktave an und verharrt dann über zweieinhalb Takte lang auf einem hohen „Fis“. Wenn sich das wiederholt, begleiten es die ersten Violinen nun mit ihrer bogenförmig fallenden Melodie und die zweiten mit spitzen Staccato-Figuren, die das „Funkeln“ klanglich suggerieren. Auf höchst beeindruckende Weise gelingt es hier der Musik, das lyrische Bild klanglich erstehen und gleichsam verharren zu lassen, - im Verbleiben der melodischen Linie auf der eingenommenen tonalen Ebene. Bei den beiden folgenden Versen („Alles Ton und Farbe gewann / Im Sonnenschein!“) kommt etwas mehr Bewegung in die melodische Linie, - schließlich geht es im lyrischen Text ja um ein Geschehen: Der Sonnenschein bringt Ton und Farbe in die Welt. In dem lebhaften Auf und Ab von Achteln, das die ersten und zweiten Violinen mitvollziehen. Liegen eben deshalb – z.T. mit Portati versehene – Dehnungen auf diesen beiden Worten, und das Fis-Dur, in dem die ganze Vokallinie harmonisiert ist, verleiht dem Bild einen zusätzlichen musikalischen Akzent. Bei den Worten „im Sonnenschein“ ereignet sich dann eine Rückung nach der Ausgangstonart H-Dur, und die melodische Linie kommt in Gestalt einer kleinen, von Pausen eingegrenzten und sich auf nur einer tonalen Ebene bewegenden Zeile zur Ruhe.


    Bei dem Vers „Blum´ und Vogel, groß und klein“ entfaltet die nun wieder durch Pausen abgesetzte und in Fis-Dur stehende melodische Linie mit ihrer fallenden Taumelbewegung starke evokative Kraft, zumal die ersten Violinen in der Pause nicht nur diese Bewegung zweimal wiederholen, sondern die Singstimme sie bei dem nachfolgenden doppelten „Guten Tag!“ fortsetzt. Eine wellenförmige Bewegung mündet hier in eine Dehnung auf dem Wort „Tag“, und hier vollziehen die Oboen diese melodische Figur nach. Wie sehr dieses melodische Motiv Ausdruck der inneren Haltung des fahrenden Gesellen in diesem Augenblick ist, das zeigt sich darin, dass er es in modifizierter Form gleich noch drei Mal verwendet, um sich gesanglich auszudrücken: Bei den Ausrufen „Ei du! Gelt?“ und dem neuerlichen „schöne Welt“. In den Oboen und den Klarinetten ist es begleitend und im Nachklang mehrfach zu vernehmen.


    Während die Singstimme die Worte „schöne Welt“ deklamiert, lassen die zweiten Violinen eine in Sekunden und Terzen fallende Linie erklingen, die, verbunden mit einem „molto ritenuto“ in ein triolisches Auf und Ab von Tönen in den Celli übergeht. Sie wird ihrerseits von einer wie ein mahnendes Pochen wirkende Repetition von Einzeltönen abgelöst, das die Flöten mit in gleicher Weise artikulierten Sekunden begleiten. Die Musik will sagen: Das lyrische Ich geht in sich und denkt über die Frage nach, ob dies denn wirklich eine schöne Welt sei, - auch für es selbst. Das Bewusstsein des Verlusts kommt in die beglückende Welterfahrung zurück, und die Musik reflektiert dies mit zögerlichem Innehalten in all der Bewegung, die sie zuvor entfaltet hat. Viele Pausen gibt es in den einzelnen Instrumentengruppen, aus denen sich dann vereinzelte Stimmen herausschälen, um gleich darauf wieder in einer Pause zu verstummen.


    Und so verhält es sich auch mit der Singstimme. Bemerkenswert ist die Struktur der melodischen Linie, auf der die Singstimme die Frage „Nun fängt auch mein Glück wohl an?“ deklamiert. Es ist die mit einem Quintfall und –sprung einsetzende und in Sekunden ansteigende, die auf den anfänglichen Worten „Ging heut morgen übers Feld“ liegt, nur dass sie nun in Fis-Dur harmonisiert ist und der letzte Schritt sich nicht weiter nach oben richtet, wie am Liedanfang, sondern in einen gedehnten Sekundfall mündet. Eine Pause folgt, in der die Celli und die Oboen diese melodische Bewegung nachvollziehen. Das lyrische Ich geht in sich, die Frage wird zu einer existenziell relevanten. Deshalb deklamiert es sie noch einmal auf der gleichen melodischen Linie, die nun aber harmonisch nach H-Dur gerückt ist, womit das vorangegangene Fis-Dur sich in seiner Vorhalt-Funktion entlarvt und die Frage nun noch größere Eindringlichkeit gewinnt.


    Noch einmal klingt sie im Orchester nach, und während die Klarinetten eine klanglich und rhythmisch retardierend wirkende Figur aus in Sekunden ansteigenden Sexten erklingen lassen, ertönt ein dumpfer Paukenschlag, der in einen langen Wirbel übergeht. Die Hörner artikulieren auf mittlerer Ebene sich bewegende Terzen, und die Harfe trägt ein oktavisches Auf und Ab von Einzeltönen dazu bei. „Leise, aber mit Empfindung“ deklamiert die Singstimme ihr „Nein“ Nein““ auf einem Terzfall, dem eine Pause folgt, die ihm Nachdruck verleiht. Das Cis-Dur an dieser Stelle erweist sich wieder als Vorhalt zu dem Fis-Dur, in dem die Kombination aus kleiner Sekunde und Terzfall harmonisiert ist, die auf den Worten „das ich mein´“ liegt. Die lange Dehnung auf dem Wort „mein´“, der ein langes Tremolo in den Celli folgt, bringt seelische Tiefe in die gerade getroffenen Aussagen.


    Von geradezu überwältigender Innigkeit ist die melodische Figur, die auf den Worten „mir nimmer, nimmer blühen kann“ liegt. Mit einem Quintsprung steigt sie zu einem hohen „Gis“ auf und senkt sich dann langsam in gewichtigen, weil gedehnten Sekundschritten über eine ganze Oktave ab. Dem Wort „nimmer“ wird dabei, nicht nur, weil es auf der ersten Silbe den höchsten Ton trägt und wiederholt wird, eine überaus eindringliche Anmutung von Wehmut verliehen, auch die Harmonik trägt dazu bei, indem sie nämlich wieder eine Vorhalt-Rückung (Fis-Dur – H-Dur) macht. Die ersten undzweiten Violinen folgen dieser melodischen Bewegung, und die Harfe begleitet all dieses mit arpeggierten Akkorden.


    Es ist nur ein kurzes Nachspiel, das diesem so eindringlich wehmütigen Bekenntnis des lyrischen Ichs folgt: Sechs Takte, die sich als Nach- und Ausklingen in diesem Ton schmerzlicher Wehmut geben. Die Harfe steigt in Einzeltönen aus der Tiefe in hohe Lage, Klarinetten und Oboen lassen eine sextenbetonte Fallbewegung erklingen, und die Streicher überlassen sich einer von Harfenklängen begleiteten wellenförmig sich senkenden und dabei in zunehmende Dehnung übergehenden melodischen Linie.

  • Fast über seine ganze Länge hin wirkt dieses Lied in seiner Melodik und ihrer Harmonisierung heiter und unbeschwert, und es vermag in der geradezu volkliedhaft anmutenden Einfachheit seiner musikalischen Aussage unmittelbar anzurühren. Und doch verbirgt sich dahinter, und darin erweist es sich als typisches Mahler-Werk, eine höchst kunstvolle kompositorische Faktur. Es wurde schon darauf hingewiesen, dass er auf höchst subtile Weise über die textliche Ebene hinaus auch auf der musikalischen den Zyklen-Charakter des Werkes herstellt, indem er die Singstimme am Anfang dieses Liedes die Quarten-Pizzicati aufgreifen lässt, mit denen das vorangehende erste Lied in den Kontrabässen endet. Aber da gibt es in der Melodik noch einen weiteren, den inneren Zusammenhang der Lieder bewusst machenden Sachverhalt. Der melodischen Figur, die im ersten Lied auf den Worten „hab´ ich meinen traurigen Tag“ liegt und bei den Worten „alles Singen ist nun aus“ wiederkehrt, begegnet man in diesem zweiten zwar nicht in völlig identischer, aber strukturell ähnlicher Weise bei den Schlussworten „mir nimmer, nimmer blühen kann“, und überdies im nachfolgenden dritten Lied bei den Worten „ich wollt´, ich läg auf der schwarzen Bahr´“.


    Aber diese melodische Figur verweist im Falle dieses Liedes auf einen weiteren hochgradig artifiziellen Sachverhalt der sich klanglich oft so volksliedhaft einfach und bescheiden präsentierenden Liedkomposition Mahlers. Gemeint ist seine überaus kunstvolle Handhabung der Harmonik und des musikalischen Ausdruckspotentials, das ihre Modulation beinhaltet. Der Liedschluss auf den Worten „mir nimmer, nimmer blühen kann“ ist einer, wie ihn Mahler auf kompositorisch subtile Weise immer wieder einmal zum Einsatz bringt: Es ist ein harmonisch offener, der gleichwohl das klangliche Potential eines definitiven Schlusses beinhaltet.


    Die Harmonisierung der melodischen Linie auf den mit dem „Nein! Nein“ einsetzenden Schlussworten stellt sich wie folgt dar: Der Terzfall auf diesem „Nein! Nein!“ steht in Cis-Dur, in Fis-Dur ist die kleine Melodiezeile auf den Worten „das ich mein´“ harmonisiert, bei der Wiederholung des Worts „nimmer“ ereignet sich eine Rückung nach H-Dur, aber diese Tonart, die bei der melodischen Linie auf der wiederholten Frage „Nun fängt auch mein Glück wohl an?“ als Tonika ausgibt, ist nicht die, die am Ende dominiert. Bei „blühen kann“, den letzten Worten dieses Liedes, ereignet sich eine Rückung nach Cis-Dur. Das „Gis“, auf dem die melodische Linie in ihrem Sekundfall endet, stellt die Quinte zum Grundton dar. Ein melodisch und harmonisch also tatsächlich offener Schluss, den man so verstehen kann, dass in der vom lyrischen Ich gerade zum Ausdruck gebrachten Verneinung eines möglichen Anfangs von neuem „Glück“ ein kleiner Schimmer von Ungewissheit hinsichtlich der Zukunft liegt.
    Das kurze fünftaktige Nachspiel moduliert von dort nach Fis-Dur. Und da es dich dabei im die Dominante zur Tonart handelt, in der die melodische Linie endet, ist das gleichsam eine Bekräftigung von finaler Offenheit der Liedmusik.

  • Ich hab 'ein glühend Messer,
    Ein Messer in meiner Brust,
    O weh! O weh! Das schneid't so tief
    In jede Freud´ und jede Lust, so tief!
    Ach, was ist das für ein böser Gast!
    Nimmer hält er Ruh´, nimmer hält er Rast,
    Nicht bei Tag, noch bei Nacht,
    Wenn ich schlief!.
    O weh! O weh!


    Wenn ich in den Himmel seh´,
    Seh´ ich zwei blaue Augen stehn!
    O weh! O weh!
    Wenn ich im gelben Felde geh´,
    Seh´ ich von fern das blonde Haar
    Im Winde wehn!
    O weh! O weh!


    Wenn ich aus dem Traum auffahr´
    Und höre klingen ihr silbern Lachen,
    O weh! O weh!
    Ich wollt´, ich läg´ auf der schwarzen Bahr',
    Könnt´ nimmer die Augen aufmachen!



    Der Kontrast, eines der fundamentalen musikalischen Ausdrucksmittel Mahlers, - hier begegnet er einem in höchst intensiver Weise sowohl in der Aufeinanderfolge der Lieder, wie auch im Lied selbst. Das fortissimo auftretende „stürmisch wilde“ (Anweisung), klanglich geradezu schmerzend schrille Vorspiel steht in härtestem Kontrast zum im dreifachen Piano ausklingenden Nachspiel des zweiten Liedes und verweist damit auf die seelische Zerrissenheit dieses fahrenden Gesellen, der in einem resignativen Hinnehmen des erlittenen Verlusts keine Ruhe finden kann. Vier Mal ereignet sich klanglich das Gleiche: Posaunen und Celli setzen fortissimo mit einem Akkord aus den Tönen „D-A-D“ ein, und danach lassen die Flöten, die Oboen, die Klarinetten, die Fagotte und die Streicher eine nach oben laufende Achtelkette erklingen. Harmonisch ist dies das Klangbild eines verminderten Septimakkords, und es gibt in seiner Schmerzlichkeit und in der Heftigkeit, in der es sich artikuliert, Einblick in die Seelenlage des fahrenden Gesellen.


    Er fühlt sich wie ein Mensch, der ein „glühend Messer“ in seiner Brust trägt, das ihm Tag und Nacht böse Schmerzen zufügt. Es ist kein drückender, kein lastender Schmerz, den er ertragen muss, es ist ein scharfer Schnitt, der jede Regung von Freude und Lust zu zerstören vermag. Auch die Erinnerungen an die Geliebte sind in der Gewalt dieses „bösen Gasts“. Die Vision ihrer „blauen Augen“ oder ihres „blonden Haares“, ausgelöst durch den Blick in den blauen Himmel oder den Anblick des gelben Kornfelds, wird durch das Walten des Messers zu einer schmerzhaften Erfahrung. Selbst der Traum vermag keine Befreiung von diesem „bösen Gast“ und den Qualen, die er verursacht, mit sich zu bringen. Es sind in die Substanz des Lebens vordringende und sie zerstörende Qualen. Sie führen in den Wunsch nach Erlösung durch den Tod.


    Die melodische Linie der Singstimme bringt dies in hochgradig expressiver Weise zum Ausdruck. Sie entfaltet sich deutlich lebhafter als im vorangehenden Lied, und vor allem durchmisst sie größere tonale Räume. Das Orchester, das sie dabei begleitet, akzentuiert mit seinen klanglichen Mitteln nicht nur ihre jeweilige Aussage, es leuchtet auch deren seelische Tiefendimension aus. Gleich bei den ersten drei Versen ist das in beeindruckender Weise zu vernehmen. Fast alle Instrumentengruppen des Orchesters lassen Staccato-Repetitionen von Einzeltönen oder Terzen erklingen. Nur die Celli und die Kontrabässe folgen den Bewegungen der melodischen Linie, aber nur den nach oben gerichteten. Bei den Absenkbewegungen lassen sie sie allein. Die Singstimme setzt in einem klanglichen Raum ein, der wie von einer untergründigen Spannung durchzogen wirkt. Sie bleibt fast die ganze erste Strophe über erhalten, denn diese Staccato-Repetitionen werden, nachdem sie am Anfang gleichsam unisono erklangen, danach von einzelnen Instrumentengruppen und fortgeführt. Zunehmend kommt aber in andere Gruppen heftige Bewegung, und bei den letzten beiden Versen wirkt das Orchester nun zur Gänze wie von der inneren Erregung und den „O weh!“-Ausbrüchen der Singstimme erfasst, und nahezu alle Instrumentengruppen beschreiben immer wieder lebhafte, in hoher Lage ansetzende Fallbewegungen von Achteln aus hoher Lage.


    Mahler untergliedert die melodische Linie, die auf den ersten vier Versen liegt, die eigentlich eine syntaktische Einheit bilden, in acht kleine Zeilen, die durch unterschiedlich lange Pausen voneinander abgegrenzt werden, wobei er allerdings die Worte „so tief“ am Ende noch einmal wiederholt. Bemerkenswert ist dabei besonders die mehr als eintaktige Pause bei den Worten „Das schneid´t so tief“ / In jede Freud´ und jede Lust“, denn hier wird die Syntax regerecht auseinander gerissen. Ganz offensichtlich dient das dazu, die Expressivität der melodischen Linie zu steigern. Hierzu trägt das Orchester das Seine bei, denn gerade in den Pausen der melodischen Linie erklingen die Terzrepetitionen in den Bläsern und den Violen, und in der erwähnten langen Pause zwischen dem dritten du vierten Vers artikulieren diese Instrumentengruppen erstmals Figuren aus nach oben laufenden Achtel-Terzen, was dem Bild vom „tiefen Schneiden“ starken klanglichen Nachdruck verleiht. Unmittelbar darauf, bei den Worten „in jede Freud´ und jede Lust“ fallen sogar die ersten und die zweiten Trompeten mit einer Folge von Terzrepetitionen in die Begleitung der Singstimme ein.


    In dieser Zerstückelung der melodischen Linie drücken sich die große Erregung des lyrischen Ichs und der tiefe Schmerz aus, den das „glühend´ Messer“ ihm verursacht. Und auch die Struktur der melodischen Linie selbst reflektiert dies ja in sehr deutlicher Weise. Sie ist in d-Moll harmonisiert, - schon das ein markanter klanglicher Faktor. Und mit Ausnahme der Klagerufe „O weh!“ und „so tief“, auf denen Fallbewegungen liegen, zeigt sie in allen Zeilen die Tendenz, sich in relativ raschen Schritten nach oben zu bewegen, wobei die Worte „Messer“ und „Lust“ durch Dehnungen in hoher Lage einen besonderen Akzent erhalten. Bei den Worten „Ach, was ist das für ein böser Gast“ kommt ein dramatischer Gestus in die melodische Linie. Sie wird forte auf nur zwei tonalen Ebenen deklamiert, und bei der Wiederholung wird aus einem Quartsprung ein Quintsprung, die tonale Ebene damit angehoben. Der dramatischen Steigerung der Expressivität dient auch die Rückung nach E-Dur, sowie die Tatsache, dass die Staccato-Repetitionen in den Streichern und den Hörnern nun nicht mehr in Gestalt von Terzen, sondern von klanglich schrill wirkenden Sekunden erfolgen.


    Und sie setzt sich fort, diese Steigerung. Die Worte „Nimmer hält er Ruh´, nimmer hält er Rast“ werden auf einer wellenartigen melodischen Linie deklamiert, die die Streicher (Violinen und Celli) nun mit Sechzehntel-Tonrepetitionen begleiten, und im Anschluss daran wiederholen die Flöten, die Oboen und die Klarinetten unter dumpfem Paukenwirbel diese melodische Bewegung noch einmal. Fortissimo in hoher Lage ansetzend und in einen Fall von kleinen Sekunden übergehend, stößt die Singstimme nun regelrecht (Portati sind vorgeschrieben) ihren Schmerz heraus, der sie Tag und Nacht peinigt. Flöten, Klarinetten und Streicher folgen hier der Fallbewegung der melodischen Linie und steigern so ihren Ausdruck ins Extrem. Der kleine Sekundfall, der auf dem wiederholten Schmerzensschrei „O weh!“ liegt, wird von den Holzbläsern mitvollzogen. Die Harmonik ist hier nach g-Moll gerückt und hat damit die Anmutung von Schmerzlichkeit intensiviert.


    Die Streicher, die zunächst in einem Tremolo verharrten, gehen nach dem zweiten „O weh!“ zu einer Fallbewegung aus hoher Lage über, der sich die Bläser anschließen. Alle landen wie in einem herabstürzenden klanglich Wirbel erst einmal auf einem von einem Paukenschlag akzentuierten Ruhepunkt, bevor das ganze Orchester in immer wieder sich wiederholenden aufwärts gerichteten Sprungbewegungen, bei denen die Blechbläser in markanter Weise hervortreten, unter Rücknahme der Dynamik und des Tempos zu etwas mehr Ruhe findet. Zuletzt fällt es gar ins Piano zurück, die Aufwärtsbewegungen ersterben, die Blechbläser artikulieren nur noch lang gehaltene Pianissimo-Akkorde, und die Streicher gehen zu lang gehaltenen Tremoli über. Das ist der Ort, wo die Singstimme ihr neuerliches „O weh!“ klagend ausruft. Dieses Mal ist es lange gedehnt, erstirbt im Pianissimo und wirkt, gerade weil es nun nicht in Moll, sondern in g-Dur erklingt, umso anrührender.
    (Fortsetzung folgt)

  • Stille kehrt ein. Im Orchester erklingen nur noch leise Tremoli bei den Streichern und den Holzbläsern, in die die Bass-Klarinette einsame Rufe in Gestalt von Quintsprüngen hineinsetzt. Pianissimo-Triolenrepetitionen sind das letzte, was man noch vernimmt, bevor die Singstimme nun in reinem G-Dur zur Deklamation der Worte „Wenn ich in den Himmel seh´“ ansetzt. Eine wunderbare klangliche Metamorphose ereignet sich: Die schmerzlich-expressive dramatische Dichte der Musik geht in helle visionäre Transparenz über. Die Singstimme deklamiert diese Worte auf nur zwei tonalen Ebenen, der eines „G“ und, nach einem Quartsprung, der eines „C“. Sie tut das in syllabisch exakter Weise und hält am Ende mit einer Dehnung auf dem Wort „seh´“ inne. Nur das Piano-Pianissimo-Tremolo der zweiten Violinen begleitet sie dabei, - und von Ferne sind Hornrufe zu vernehmen. Die sprachliche, temporal-konditionale Anlage dieses Verses ist auf diese Weise so in Musik gesetzt, dass man sich als Hörer in die Situation dieses „Wenn“ einbezogen fühlt und eine offene Erwartungshaltung aufbaut.


    Genau das aber ist die Bedingung dafür, dass einen das, was nachfolgt, so sehr zu treffen vermag. Man denkt, die visionäre Haltung bringe für dieses lyrische Ich eine, wenn auch nur vorübergehende, Erlösung von seinen Qualen mit sich. Aber schon der nächste Vers lässt in seiner Musik vernehmen, dass dies nicht so ist. Die melodische Linie weist die gleiche Struktur auf und auch der klangliche Hintergrund ist der gleiche. Aber der Sprung ist dieses Mal keine Quarte, sondern eine kleine Quinte, und die so offen und unbeschwert einsetzende melodische Linie landet in einer schmerzlich anmutenden verminderten Cis-Harmonik. Und schon ist das „O weh!“ wieder da, in seinem zweifachen, von einer Pause unterbrochenen Sekundfall und seiner Einbettung in das grundlegende und darin beharrliche d-Moll, das dann nach g-Moll moduliert.


    Dieses Hereinbrechen von Chromatik ins klanglich so hell und rein wirkende C-Dur der Melodik ereignet sich noch einmal bei der zweiten Vers-Dreiergruppe der zweiten Strophe. Weder die Deklamation auf zwei tonalen Ebenen, dieses Mal aber zusätzlich von einem oktavischen Auf und Ab von „E“-Tönen in der Harfe begleitet, - und einem dumpfen Paukenwirbel, der nichts Gutes andeutet. Und wieder ereignet sich der um eine Sekunde erweiterte Sprung der melodischen Linie, der, verbunden mit einer Rückung nach d-Moll, in eine Sekundfallbewegung übergeht, an deren Ende erneut der schmerzliche Klageruf „O weh!“ steht.


    Nun aber verklingt er nicht pianissimo in einer Pause, er löst einen wahren klanglichen Fortissimo-Wirbel im Orchester aus, an dem alle Instrumentengruppen beteiligt sind. Zunächst sind es nur Akkorde in verminderter Harmonik, die Bläser und Streicher erklingen lassen. Dann aber, wenn die Singstimme fortissimo auf einer rasch in Sekunden über eine Sexte aufsteigenden melodischen Linie die Worte „Wenn ich aus dem Traum auffahr´“ deklamiert, erklingen im Fagott, in den Hörnern und in den Streichern heftige, z.T. sich auf und ab bewegende Sechzehntel- und Achtelfiguren, in die die Pauke mit einem Wirbel und die Trompeten und Posaunen mit schmetternden Tönen hineinfahren.


    Aber die ganz und gar in Moll gebettete und vorwärtsdrängende Expressivität, die das Orchester hier entfaltet, steigert sich beim zweiten und dritten Vers noch weiter. Die Singstimme scheint die Worte, wie von Atemlosigkeit gepackt, nur noch herauszustoßen. Die melodische Linie auf den Worten „Und höre klingen ihr silbern Lachen, O weh!, O weh!“ wirkt von Pausen regelrecht zerstückt, und sie verbleibt, fast nur noch in Achteln sich bewegend, jeweils auf der tonalen Ebene, die sie am Anfang der kleinen Bruchstücke eingenommen hat. Die Worte „ihr silbern Lachen“ wirken in der mit Portati erfolgenden silbengetreuen Deklamation in hoher Lage wie ein qualvoller Schrei. Die Streicher begleiten das mit Tremoli, die Hörner und Fagotte mit herabwirbelnden triolischen Achtelfiguren, die dann in Akkorde und Sprünge von Achteln und Vierteln übergehen, Flöten und Oboen lassen repetierende Achtel-Akkorde erklingen, und in all diesen klanglichen Wirbel tönen mächtig die Hörner und die Trompeten hinein.


    Beim letzten „O weh!“ steigert sich die melodische Linie auf den Höhepunkt ihrer Expressivität. Der zweimalige Sekundfall ereignet sich nun fortissimo in sehr hoher Lage (von einem „Ges“ aus ansetzend), und die Holzbläser lassen, zusammen mit den Streichern, triolische Achtel nach oben steigen, die klanglich wie Peitschenschläge anmuten. Ein aus tiefer Seele herausdrängender Schmerzensschrei ereignet sich hier, und er löst bei den Holzbläsern und den Streichern eine fortissimo aus tiefer in extrem hohe Lage emporschießende Kette aus. Die Triangel trägt ein Tremolo dazu bei, Hörner und Trompeten lassen lang gehaltene Töne erklingen. All das mündet in einen gewaltigen, vom ganzen Orchester forte-fortissimo hervorgebrachten und fast den ganzen Takt gehaltenen c-Moll-Akkord.


    In die mit den Worten „Ich wollt´, ich läg auf der schwarzen Bahre“ kläglich fallende melodische Linie stimmen alle Bläser ein. Die Streicher schweigen, und es ist, als käme große Erschöpfung in Singstimme und Orchester. Diese verbleibt zwar zunächst weiter in ihrem Gestus von gewichtigen Schritten (Portati sind vorgeschrieben), lässt das Wort „wollt´“ auf dem hohen „Ges“, mit dem auch das „O weh!“ einsetzte, in Gestalt einer langen Dehnung melodisch markant hervortreten, aber dann geht´s in silbengetreuer Deklamation mit immer müder wirkenden kleinen Schritten langsam abwärts zu einem „As“ in mittlerer Lage. Die Worte „schwarzen Bahr`“ erhalten dabei einen starken Akzent durch eine Kombination aus Dehnung und gedehntem Sekundfall. Hier hat das Orchester die Singstimme auf erschreckende Weise fast ganz allein gelassen. Nur die Flöte, die Oboe und die Posaune geben einzelne Töne von sich, der Kontrabass lässt ein dumpfes Tremolo erklingen.


    Auch auf den letzten Worten liegen in kleinen Sekunden sich vollziehende melodische Fallbewegungen. Es sind zwei, und sie stehen in es-Moll. Nach der ersten auf den Worten „könnt´ nimmer“ hält die Singstimme kurz inne und setzt danach noch einmal mit dem Wort „nimmer“ in Gestalt einer Dehnung um eine Sekunde höher erneut an. Dem Wort „nimmer“ wird auf diese Weise ein starker melodischer Akzent verliehen. Endgültigkeit klingt hier auf, und sie ist klanglich in tiefe Schmerzlichkeit und Bitternis gehüllt. Danach sinkt die melodische Linie „verlöschend“ im Piano-Pianissimo in die tiefe Lage eines „D“ ab. Einzig die Celli folgen ihr darin. Die Violen und die Pauke lassen ein Tremolo erklingen, die Hörner und die Holzbläser haben nur noch Einzeltöne dazu beizutragen. Der einsame fahrende Geselle wird sich selbst überlassen.


    Im Nachspiel klingt noch einmal die klangliche Figur auf, die das Orchester zum letzten „O weh!“ beigetragen hatte und die dort wie eine Folge von Peitschenhieben wirkte. Nun aber kommt sie unendlich müde daher, - weil pianissimo von Kontrabässen, Harfe und Holzbläsern vorgetragen. Und dann erlischt alles geisterhaft. Fagotte und Flöten lassen im dreifachen Piano aufsteigende Triolen erklingen, und während die Pauke zu einem dumpfen Wirbel ansetzt, fallen Achteltriolen aus sehr hoher Lage von den ersten und zweiten Violinen über die Violen und schließlich die Celli in absolute Tiefe. Im vierfachen Piano eines es-Moll ist dieses von so heftigen Ausbrüchen zu hochexpressiver Klanglichkeit geprägte Lied nun erloschen.

  • Lieber Helmut,
    Du machst mit dieser Zusammenstellung, die sicherlich weit mehr gelesen wird als es anerkennende Reaktionen gibt, eine ganz hervorragende Arbeit. Während wir an anderer Stelle uns in hitzigen Diskussionen über die Zukunft der Oper und den richtigen Inszenierungstil verschleißen und den gordischen Knoten doch nicht lösen können, machst Du mit unendlichem Fleiß und großer Kennerschaft diese hervorragende Arbeit. Nun kommt gleich wieder der Marketing-Spezialist, den Du eigentlich nicht schätzt:
    Diese geistvolle Zusammenstellung der Mahler-Lieder in chronologischer Form verdient eine Veröffentlichung. Vielleicht bekommen Sixtus, ich und andere Kollegen hin, dass dieser Schatz in dem Blatt für das wir schreiben publiziert werden kann. Auch eine Diskussion mit Sixtus wäre sicherlich förderlich, weil er ja bereits eine ganze Reihen von Schriften über Oper und vielbeachtete Bücher geschrieben und herausgebracht hat. Nehme diese Zeilen jedoch zunächst als ausdrücklichen Dank und Anerkennung eines treuen Lesers Deines Threads.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus,


    so sehr ich mich über Deine Worte gefreut habe (ich denke, das darf ich wohl eingestehen), so groß sind meine Bedenken gegen eine Publikation dessen, was ich hier schreibe, in einer Zeitschrift. Die Leser, bzw. Leserinnen meiner Beiträge zum Thema Kunstlied hier im Forum wissen, weil ich darauf mehrfach hingewiesen habe, dass diese von einem musikwissenschaftlichen Laien verfasst sind und lesen sie mit dem entsprechenden Vorbehalt. Bei den Lesern einer Zeitschrift ist das nicht der Fall, und das halte ich für bedenklich.

  • Ich denke, Dieter Hildebrandt war nicht wirklich weniger ein musikalischer "Laie" wie du - und er hat trotzdem ein sehr lesenswertes Buch über Bethovens "Neunte" geschrieben, das auch gedruckt wurde. :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nur damit Du mich in meinen Bedenken verstehst, lieber Stimmenliebhaber:


    Ich kenne dieses Buch von Dieter Hildebrandt nicht, versuchte mich aber eben gerade mal ein wenig kundig darüber zu machen. Und da lese ich einleitende Sätze wie diese:
    „Es ist kein musikwissenschaftlicher Versuch“. Und: „Es geht der allmählichen Verfestigung einer Faszination nach, versucht sich an der Beschreibung einer Kulturkarriere“.
    Und das ist der Punkt.
    Als wissenschaftlich ausgebildeter Historiker hätte ich mich an ein solches Thema vielleicht auch herangewagt. Was ich aber hier im Forum betreibe, ist der Versuch einer analytischen Betrachtung eines Liedes, einer Liedergruppe und gar eines ganzen liedkompositorischen Werkes, wie eben im Falle der Lieder Gustav Mahlers.
    Ich arbeite also mit musikwissenschaftlichen Kategorien. Und dazu fehlt mir ganz einfach die Qualifikation. Also darf ich zwar in einem Forum schreiben, das keinen wissenschaftlichen Anspruch an die Beiträge stellt. Ich darf aber nicht in musikwissenschaftlich ausgerichteten Organen publizieren (die übrigens meine Beiträge völlig zu Recht auch gar nicht annähmen).
    Für mich gehört sich das ganz einfach nicht!


    (Aber bitte! Ich denke, wir sollten hier kein Thema daraus machen!)

  • Dieses Lied erfährt und erlebt man als zentrales musikalisches Ereignis und Höhepunkt dieses in seinem Umfang so kleinen und in seinem künstlerisch-kompositorischen Potential so großen Liederzyklus´. Seine Stellung als zentrales Lied ist an den Bezügen auszumachen, die es zu den anderen Liedern aufweist. Mit dem Bild „Wenn ich im gelben Felde geh´“ nimmt es Bezug auf das erste Bild des zweiten Liedes. Das Bild von den „blauen Augen“, die vom lyrischen Ich im Himmel gesehen werden, greift das vierte und letzte Lied an seinem Anfang auf, und auch in dem Verzweiflungs-Ausruf „Ich wollt´, ich läg´ auf der schwarzen Bahr´“ gibt es einen Bezug zu diesem: Hier ruht der fahrende Geselle – liegend wohl – unter dem Lindenbaum, und während er in diesem dritten Lied bekennt, dass ihn der „böse Gast“ im nächtlichen Schlaf keine Ruhe finden lässt, kann er im vierten davon schwärmen, dass er „zum ersten Mal im Schlaf geruht“ habe.


    In dieser Komposition hat Mahler, darin die Gattung „(Klavier-)Lied“ sprengend und transzendierend, ein genuines Orchester-Lied geschaffen, dem in der Fassung für Singstimme und Klavier nichts auch nur annähernd Adäquates zur Seite steht. So beeindruckend diese, etwa in der Interpretation durch D. Fischer-Dieskau und Daniel Barenboim, auch sein mag, sie bleibt weit von dem entfernt, was das Orchester in seinem klanglich-expressiven Potential im Sinne des Akzentuierens, Kommentierens und Imaginierens zur Aussage der melodischen Linie beizutragen vermag.


    Mahler hat hier kompositorisch ja nicht nur die formalen gattungsspezifischen Vorgaben des traditionellen romantischen Liedes hinter sich gelassen, er hat sogar die des Orchesterliedes ausgeweitet, ja überschritten, wenn er mit den Worten „Wenn ich aus dem Traum auffahr´“ die Liedmusik in eine dramatische Expressivität ausbrechen lässt, die eigentlich auf die Opernbühne gehört. Aber im Grunde ist das die Expressivität, die Mahlers Sinfonik eigen ist, ihre spezifische kompositorische Faktur und ihren klanglichen Charakter ausmacht. Ihre Quelle findet sich in dem Geständnis, das Mahler 1895 dem Musikschriftsteller Oscar Bie gegenüber machte: „Meine Musik ist gelebt“. Für diesen Lieder-Zyklus muss das dann wohl heißen: In diesem „fahrenden Gesellen“ spricht Mahler sich selber aus.


    Mahlers liedkompositorisches Konzept kommt, wie dieses Lied mehr als die drei anderen, erkennen lässt, erst im Orchesterlied zu sich selbst. „Lied“, - das ist für Mahler nicht mehr das traditionelle musikalische Werk, in dem lyrischer Text in seiner spezifisches sprachlichen Struktur, seiner Semantik allgemein und seiner Metaphorik im Besonderen in Musik umgesetzt und darin interpretiert wird. Nur in den – hier bereits vorgestellten – „Liedern und Gesängen aus der Jugendzeit“ war er in diesem Sinne liedkompositorisch tätig, ließ aber schon deutlich die Tendenzen zur Überwindung dieser Traditionen erkennen.
    „Lied“, - das ist für ihn, wie das hier in den „Gesellen-Liedern“ und insbesondere in diesem dritten voll und ganz manifest wird, musikalischer Ausdruck eines durch den lyrisch-sprachlichen Text evozierten Komplexes von Gedanken, Emotionen, Empfindungen und seelischen Regungen, die mit den Mitteln der Musik aufgegriffen und in all ihren Dimensionen ausgelotet und zum Ausdruck gebracht werden.


    Und allein die Orchester-Musik hält mit der Bandbreite ihres Fundus an Instrumenten all die klanglichen Mittel bereit, mit denen die ganze Fülle an kognitiven und emotionalen Regungen, die ein lyrischer Text auszulösen vermag, aufgegriffen und in ein musikalisch evokatives Äquivalent umgesetzt werden kann. In diesem Lied kann man das auf wahrlich beeindruckende Weise bei dem Umschlag von der klanglichen C-Dur-Idylle der Liedmusik auf den Worten „Wenn ich im gelben Felde geh´“ in die hochgradig schroffe und expressive erfahren und erleben, die sich in geradezu explosiver Weise als Folge der Worte „Wenn ich aus dem Traum auffahr´“ entfaltet. Der lyrische Text benennt all die Gedanken und Emotionen ja nicht, die sich beim lyrischen Ich in diesem Augenblick einstellen. Die orchestrale Liedmusik aber vermag das, indem sie, auch die Möglichkeiten des kurzen Zwischenspiels nutzend, ihr ganzes evokatives klangliches Potential entfaltet.

  • Die zwei blauen Augen von meinem Schatz,
    Die haben mich in die weite Welt geschickt.
    Da mußt´ ich Abschied nehmen
    Vom allerliebsten Platz!
    O Augen, blau! Warum habt ihr mich angeblickt?
    Nun hab´ ich ewig Leid und Grämen.


    Ich bin ausgegangen, in stiller Nacht,
    In stiller Nacht wohl über die dunkle Heide.
    Hat mir niemand Ade gesagt, ade!
    Mein Gesell´ war Lieb' und Leide!


    Auf der Straße steht ein Lindenbaum,
    Da hab´ ich zum ersten Mal im Schlaf geruht!
    Unter dem Lindenbaum,
    Der hat seine Blüten über mich geschneit,
    Da wußt´ ich nicht, wie das Leben tut,
    War alles, alles wieder gut!
    Alles! Alles! Lieb und Leid!
    Und Welt und Traum!



    Mahler sprach davon, dass der „fahrende Geselle“ „ein Schicksal“ habe. Und dieser selbst sagt es von sich ja auch. Die „zwei blauen Augen“ haben ihn in die weite Welt geschickt, sie sind zu seinem Schicksal geworden, und das ist die Wanderschaft. Die lyrische Aussage dieses Zyklus ist damit bei ihrem thematischen Kern angelangt, und es zeigt sich, dass dieser einer von allgemeiner existenzieller Relevanz ist. Die Wanderschaft dieses Gesellen enthüllt sich in diesem Gedicht als ein Schicksal, das über die individuelle Erfahrung des Verlusts eines geliebten Menschen hinausweist. Die lyrische Aussage „Da wußt´ ich nicht, wie das Leben tut“ öffnet den Raum für das Verständnis dieser individuellen Wanderschaft als die Erfahrung einer dem menschlichen Leben eigenen Möglichkeit schicksalhaften Geworfen-Seins.


    Das Lied endet mit dem Lied vom „Lindenbaum“, in dem Mahler einen direkten Bezug zu Schuberts „Winterreise“ herstellt. Während deren Protagonist Lockungen des Lindenbaums nicht nachgibt, sondern sich von ihm abwendet, bettet sich der fahrende Geselle unter seine Krone, lässt die Blüten über sich schneien, und es stellt sich dabei das Gefühl ein, dass „alles, ach alles wieder gut sei“. Diesen Schluss des Zyklus hat man unterschiedlich interpretiert. Neben der Deutung, dass sich hier die Erlösung vom Leid durch den Tod ereigne, findet man auch die, dass dieses durch das Versinken des Gesellen in Schlaf und Traum geschehe, - dem freilich ein Aufwachen und die neuerliche Konfrontation mit dem Leid folge. Eine fundierte Interpretation des Schlusses dieses Zyklus bedarf freilich eines genauen Hinhörens auf seine Musik. Man wird sich ihr also erst am Ende, nach der analytischen Betrachtung der Musik dieses vierten Liedes, in Erfolg versprechender Weise zuwenden können.


    Ohne Vorspiel setzt die Singstimme mit den Flöten und dem Englisch-Horn zusammen ein, zu denen schon in den nächsten Takten die Klarinetten und die Harfe stoßen. Die Streicher schweigen. Erst vom dritten Vers an begleiten sie die Singstimme in ihren Bewegungen, wobei sie in diesem Lied nahezu ausnahmslos mit Dämpfer auftreten und ihr ein überaus zartes, lieblich wirkendes Klangbett schaffen, das der Aussage der melodischen Linie hohe Eindringlichkeit verleiht. Zunächst aber folgen die Holzbläser deren Bewegungen mit Terzen, und da sie beim ersten Vers in e-Moll harmonisiert ist und sich überdies auf nur einer tonalen Ebene bewegt, von der sie nur um eine Terz nach unten abweist, wirkt die Wehmut, die sie ausstrahlt, klanglich überaus deutlich gezeichnet. Der unmittelbare Einsatz und die Untergliederung in zwei Teile, wobei der zweite auf demselben Ton (einem „G“) ansetzt, auf dem der erste endete, tragen zu diesem Eindruck ganz wesentlich bei. Dieses lyrische Ich ist so ganz und gar von seinem Leid ergriffen und innerlich ausgefüllt, dass es dieses wie in einem Geständnis direkt aussprechen will.


    Auch beim zweiten Vers wirkt die melodische Linie wie an nur eine tonale Ebene gefesselt. Sie ist allerdings im Vergleich zur ersten um eine Sekunde angehoben, und die Harmonik rückt von e-Moll nach D-Dur, was beides eine Steigerung der Expressivität bewirkt. Diese setzt sich weiter fort beim dritten Vers, und das fordert die lyrische Aussage ja auch, denn hierspricht der fahrende Geselle erstmals in diesem Lied seinen Schmerz aus: In die weite Welt geschickt zu werden, war mit Abschied-Nehmen vom „allerliebsten Platz“ verbunden. Auch hier verharrt die melodische Linie noch auf einer, nun allerdings um eine weitere Sekunde angehobenen tonalen Ebene, geht aber bei dem Wort „allerliebsten“ mit einem Sextsprung in eine expressive Fallbewegung in hoher Lage über. Die ersten Violinen, die con sordino die melodische Linie zunächst mit bogenförmig fallenden und wieder steigenden Terzen begleitet haben, folgen dieser Sekundfallbewegung nun mit Sexten, und die Harmonik, die von G-Dur nach H-Dur modulierte, ist nun, am Ende dieser so überaus ausdrucksstarken Melodiezeile, wieder bei ihrem schmerzlichen e-Moll angelangt. Die Klarinetten lassen eine wehmütige Dreierkombination von Achtel-, Sechzehntel- und Viertel-Terzen nachklingen.


    Der vierte Vers („O Augen blau…“) wird noch einmal in diesem Gestus des Verharrens auf einer tonalen Ebene deklamiert, und dies wieder unter Begleitung durch die Holzbläser und Zurückhaltung der Streicher. Und dann ereignet sich (bei den Worten „Nun hab ich ewig Leid und Grämen“) erneut der emphatische Ausbruch der melodischen Linie, - nun in Gestalt eines Terzsprungs zu dem Wort „Leid“ hin und einer nachfolgenden, zunächst gedehnten und dann in eine triolische Achtelfigur übergehenden Abwärtsbewegung hin zu tiefer Lage bei dem Wort „Grämen“. Die ersten Violinen begleiten diese melodische Bewegung nun wieder, dieses Mal nur mit Terzen, und wiederum entfaltet die Liedmusik an dieser Stelle mit ihrer Modulation von e-Moll über D-Dur zurück zu e-Moll eine stark anrührende klangliche Wirkung.


    Zwei Mal schicken Flöten und Englisch-Horn der nun fast vier Takte schweigenden Singstimme das melodische „Augen“-Motiv in quartenbetontem e-Moll-Klang hinterher, und die Harfe begleitet das zunächst mit Akkorden. Dann aber geht sie zusammen mit der Pauke zur Artikulation eines Auf und Abs von Viertel-Oktaven im Intervall einer Quarte über. Ein neuer Ton kommt in das Lied, der müde und lastend wirkende Trauermarsch-Rhythmus weicht dem eines zwar ruhigen, aber doch entschlossenen Schreitens. Und auch das triste e-Moll muss weichen: Die Quarten deuten ein C-Dur an. Und tatsächlich steht die melodische Linie auf den Worten „Ich bin ausgegangen“, die mit einem auftaktigen Sekundsprung einsetzt und dann erst einmal auf der tonalen Ebene eines „E“ verbleibt, in C-Dur.


    Aber schon bei den nachfolgenden Worten „in stiller Nacht“ wird daraus c-Moll. Die Klarinetten akzentuieren die Rhythmisierung der melodischen Linie auf diesen Worten (ein Achtel, ein Sechzehntel, ein Viertel) mit c-Moll-Akkorden, und die Hörner greifen das bei ihrer Wiederholung am Anfang des zweiten Verses auf, - nun allerdings dabei wieder zum C-Dur zurückkehrend. Es ist die ambivalente Situation dieses fahrenden Gesellen, die sich in der tongeschlechtIichen Instabilität der C-Dur-Harmonik ausdrückt. Die nächtlich stille Heide ist ein friedlicher Raum, in dem die Seele des Wanderers sich öffnen und Ruhe finden könnte, - wäre sie nicht vom Abschied-Nehmen beschwert und wären ihre „Gesellen“ nicht „Lieb und Leide“.



    Immer wieder kommt in der Harmonisierung der melodischen Linie der zweiten Strophe diese klangliche Ambivalenz zum Vorschein, - im unvermittelten Eindringen von Moll-Chromatik. Die Worte „wohl über die dunkle Heide“ werden drei Mal auf der gleichen Sekundfall-Bewegung deklamiert, wobei auf dem Wort „über“ eine Dehnung liegt. Violen und Celli folgen dieser Bewegung mit Terzen und lassen das f-Moll, das der melodischen Linie hier die Anmutung von Wehmut und Schmerzlichkeit verleiht, durch eine weiche Klanglichkeit umso eindringlicher werden. Erst auf der zweiten Silbe des Wortes „Heide“ rückt die Harmonik wieder nach C-Dur. Auch das nachklingende rhythmisierte Ruf-Motiv, das Hörner und Klarinetten in der kurzen Pause der Singstimme wieder erklingen lassen, steht in C-Dur. Und das bleibt auch die Harmonik, in der der Anfang der nächsten Melodiezeile steht („Hat mir niemand…“): Sie beschreibt hier einen Quartsprung.


    Aber schon der nachfolgende dreifache, in kleinen Sekunden sich ereignende Sekundfall auf den Worte „Ade gesagt“ ist ganz und gar in die triste Chromatik eines g-Moll gebettet. Drei Mal noch deklamiert die Singstimme dieses „Ade“, und das immer auf einem verminderten, also chromatisch getrübten Sekundfall. Und der beherrscht auch die melodische Linie auf den Worten „Mein Gesell´ war Lieb´ und Leide“, in der sich die vierfache Fallbewegung wiederholt, die man schon von den Worten „wohl über die dunkle Heide“ her kennt. Erst begleiten die Holzbläser die „Ade“-Rufe, dann stimmen die Streicher in die Fallbewegung der melodischen Linie ein, die hier mehrere harmonische Modulationen durchläuft, vorübergehend g-Moll und Cis-Dur streift, dann aber wieder beim letzten melodischen Schritt zu C-Dur zurückkehrt.
    (Fortsetzung folgt)

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