Konzertbesuche und Bewertung

  • Zum Jahresausklang gab es am Silvesternachmittag wieder ein Konzert des RSO Stuttgart, dieses Jahr unter der Leitung des blutjungen (22 Jahre!), aber vielversprechenden venezuelanischen Dirigenten Ilyich Rivas. Dieser junge Mann stammt aus einer hochmusikalischen Familie, auch Vater Alejandros Rivas ist Dirigent und besorgte die Ausbildung seines Sohnes ab dem 6. Lebensjahr. Spätere Sporen hat sich Ilyich u.a. bei Marin Alsop in Baltimore verdient.


    Das Programm war eine gelungene Mischung aus Silvesterfavoriten und Neuland. Nach dem Dvorak-Auftakt überzeugte die Konzertmeisterin des RSO Mila Georgieva (hochschwanger) mit Sarasates Zigeunerweisen. Aram Chatschaturjans "Maskerade" folgte und ich dürfte feststellen, dass ich außer dem 1. Satz das Stück gar nicht kenne.


    Nach der Pause ging es dann Richtung Südamerika mit der Kubanischen Ouvertüre von George Gershwin. Danach für mich der Höhepunkt des Abends, Franz Bach und Alexej Gerassimez, zwei fantastische Schlagzeuger boten den 2. Satz aus dem erst 2012 komponierten Doppelkonzert für Marimba- und Vibraphon und Orchester des französischen Komponisten Emmanuel Séjourné, ein tolles Stück, dass Publikum zu ersten Begeisterungsstürmen hinriss. Leider gibt es das Stück noch nicht auf CD, aber bei youtube kann man es in einer Kammermusikversion hören. Die Solisten durften dann auch noch im Samba classique für 2 Marimbaphone, Streichorchester und Perkussion von Karl-Heinz Köper glänzen. Zwei sehr aparte Instrumente, die ich - wie wohl viele - bisher kaum auf dem Schirm hatte. Zum Abschluss dann knapp 30 Minuten aus Bernsteins Geniestreich "West Side Story", der einen beschwingt wehmütig ins Jahresende entliess.
    Als Zugabe gab es den unverwüstlichen Walzer aus Schostakovich's Jazz-Suite.


    Der Zufall wollte es, dass der junge Dirigent mit Eltern und Geschwistern am Nachbartisch beim gleichen Italiener den Jahresausklang begingen wie ich mit der besseren Hälfte und Schwiegermutter, so dass wir uns noch persönlich beim sympathischen jungen Mann für den Abend bedanken konnten. Sein großes Vorbild: Carlos Kleiber. Von dem jungen Mann wird man vielleicht noch hören.


  • Nach längerer Zeit möchte ich auch mal wieder ein Lebenszeichen von mir geben und damit beginnen, vom gestrigen Konzert in der Kölner Philharmonie zu berichten. Das Programm des Abends las sich wie folgt:



    Mozart - Sinfonie in g-moll, KV 183
    Beethoven - Violinkonzert in D-dur, op. 61
    Beethoven - Sinfonie Nr. 5 in c-moll, op. 67


    Violine: Patricia Kopatchinskaja
    Dirigent: Teodor Currentzis
    Orchester: MusicAeterna



    Das Konzept des Abends war offenbar im weiteren Sinne Revolution: Beethovens in Töne gesetzte Kampfschrift op. 67, flankiert von seinem (das habe ich mir im Programmheft angelesen) von französischer Revolutionsmusik inspiriertem Violinkonzert und eingeleitet von der für Mozart-Verhältnisse ungewöhnlich und neuartig düsteren 'kleinen' g-moll-Sinfonie.


    Sehr dazu passend war die Darbietung sicherlich eine ungewöhnliche und recht weit ab von dem, was ein rein wienerklassisches Programm normalerweise so erwarten ließe. Ich darf vorwegnehmen: ich habe mein Kommen ganz und gar nicht bereut.


    Schnell wurde klar, daß sich Teodor Currentzis und das 2004 von ihm gegründete Ensemble sich Werten wie Schönklang, klassischer Eleganz oder Formgebung nur wenig verpflichtet fühlen. So war nicht nur der Orchesterklang sehr 'original' rauh, auch in Form und Phrasierung gab sich der Dirigent viel mehr der Magie des Momentes verpflichtet als dem oft beschworenen großen Bogen, mehr dem Kontrast und dem Akzent als dem Ebenmaß. Erkennbar war der Vortrag darauf angelegt, Begeisterung für die gespielten Stücke zu wecken: von hohem Tempo, rückhaltlos und engagiert, zuweilen zulasten auch der spielerischen Perfektion. Insbesondere die eine oder andere chaotisch klingende Stelle in den Pauken ist mir erinnerlich, was den mitreißenden Gesamteindruck aber nur wenig zu schmälern wusste.


    Im Violinkonzert zeigte sich Patricia Kopatchinskaja als kongeniale Partnerin mit offenbar ganz ähnlichen Vorstellungen von einem optimalen Beethoven-Vortrag wie Currentzis: viel Schwung und Emphase zeichneten ihr Spiel aus, auch ein hohes Maß an Einfühlungsvermögen, wobei ihr allerdings jedes Pathos abging. Das raubte mancher Stelle für meinen Geschmack ein wenig die Tiefe, so z. B. der Kantilene zum Ende der Durchführung des Kopfsatzes, erwies sich jedoch dem Gesamteindruck als sehr zuträglich. Selbiges gilt auch für die Kopatchinskaja völlig abgehenden solistischen Starallüren: erkennbar begreift sie sich als Teil eines klingenden Teams und interagiert in erkennbar großer Nähe und Herzlichkeit mit Currentzis und seinem Konzertmeister. Dementsprechend legt sie auch den eigenen Solopart nicht als virtuoses Kabinettstückchen an sondern gleichsam als Improvisationsstimme des Orchesters, sich dabei nicht scheuend, teilweise auch an die Grenzen des noch Hörbaren zu gehen.


    Bereits sehr früh zeigte sich, daß Currentzis und Kopatchinskaja den Nerv des Publikums an diesem Abend mit ihrer Herangehensweise offenbar voll getroffen hatten. So klang schon nach dem ersten Mozart-Satz das erste begeisterte Klatschen aus dem so gut wie ausverkauften Zuschauerraum. Und nach den beiden Beethoven-Stücken kannte das Publikum dann endgültig kein Halten mehr. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, überhaupt schonmal rhythmisches Klatschen des versammelten Saales in einem klassischen Konzert vernommen zu haben.


    Auch rein optisch gab es übrigens einiges bemerkenswertes zu entdecken. So spielten alle Musiker, deren Instrument das erlaubt, im Stehen und nutzten die zusätzliche Bewegungsfreiheit auch erkennbar aus. Currentzis selbst verzichtete zugunsten eines direkteren Kontakts zu seinem Orchester darauf, das bereitstehende Dirigentenpult zu nutzen, sondern hielt sich die komplette Spieldauer davor auf, was für seinen nach meinem Dafürhalten reichlich eigenwilligen Dirigierstil wohl auch unabdingbar ist. Dieser basiert auf hohem körperlichen Einsatz in einem recht großen Aktionsradius: vielfach tanzte der Maestro seinen Musikern die gewünschte Interpretation des Stückes regelrecht vor; klassisches Taktschlagen blieb dafür über weite Strecken ganz außen vor, soweit ich das zu erkennen vermochte: interessant anzusehen, aber vermutlich eher nichts für Puristen.


    Einen kleinen Wermutstropfen brachte der Currentzis'sche Dirigiertanz insofern mit sich, als der Verzicht auf das (mit Filz beschichtete) Pult zugunsten der (hölzernen) Bühne vielfach das Geräusch seiner Schuhe deutlich hörbar werden ließ: für mich eine eher unwillkommene Ergänzung der Tätigkeit des Paukers. Erfreut nahm ich immerhin zur Kenntnis, daß Currentzis sich gestern Abend durchgerungen hatte, eine ordentliche Hose zu tragen, nachdem er bei meiner ersten Begegnung mit ihm (vor geschätzt 2 Jahren in Freiburg) noch in einer Art schwarzer Schlafanzung-Strumpfhose aufgelaufen war. Aber das nur am Rande… :P


    Muss man das mögen? Keinesfalls. Gehört haben darf man das für meinen Geschmack auf jeden Fall einmal! Ich für meinen Teil jedenfalls kann festhalten, wohl noch nie so von einem Konzert so begeistert gewesen zu sein, das so wenig meinen geschmacklichen Vorlieben entsprochen hat.


    Im Mai werden Kopatchinskaja und Currentzis übrigens wieder zusammen zu hören sein: dann mit dem un-historischen SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg und Schostakowitsch und Berg im Programm. Ich denke, ich werde hingehen!


  • Ein schöner Bericht, der mich in Schwierigkeiten bringt: Mit einem ähnlichen Programm werden Kopatchinskaja/Currentzis am 18.01. in Hamburg zu erleben sein. Neben dem Beethoven-Violinkonzert dann Mozarts "Prager" KV504. Allerdings ist mein Konzertplan schon so voll (am 17.01. Blomstedt/NDR-Sinfonieorchester), dass ich mir den Samstag im Hinblick auf meine Familie nicht werde "leisten" können :stumm:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ein schöner Bericht, der mich in Schwierigkeiten bringt: Mit einem ähnlichen Programm werden Kopatchinskaja/Currentzis am 18.01. in Hamburg zu erleben sein. Neben dem Beethoven-Violinkonzert dann Mozarts "Prager" KV504. Allerdings ist mein Konzertplan schon so voll (am 17.01. Blomstedt/NDR-Sinfonieorchester), dass ich mir den Samstag im Hinblick auf meine Familie nicht werde "leisten" können :stumm:


    Vielleicht kannst Du ja Deine Familie zu einem gemeinsamen Konzertbesuch verführen... Der Begeisterung nach, die gestern nach dem Konzert allenthalben herrschte, dürften sie es kaum bereuen, Dich dorthin zu begleiten! :)

  • Zubin Mehta begeht am 29. April seinen 80. Geburtstag. In Berlin gibt es zu diesem Anlass zwei Konzerte, mit der Staatskapelle Berlin und den Berliner Philharmonikern. Bleiben wir bei der Staatskapelle. Am Mittwoch, dem 13. Januar in der ausverkauften Phiharmonie.
    Das Programm:
    Robert Schumann: Konzert für Klavier und Orchester a-Moll op. 54
    Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 1 D-Dur
    Zu Beginn verblüffte die riesige Orchesterbesetzung im Saale, die Schumann ja nicht benötigt. Aber es lag ein Mikrofon auf dem Dirigentenpult, was neugierig machte. Und so kam Daniel Barenboim, Chef der Staatskapelle, und ergriff das Wort. Vom verstorbenen Pierre Boulez war die Rede, mehr verstand man nicht, weil Barenboim das Mikrofon in der heruntergelassenen Hand hatte. Als er es bemerkte und mit Mikro fortfahren wollte, ging ein Raunen durch den Saal und Barenboim fragte: Soll ich von vorn beginnen? Antwort Ja und er begann nochmal. Boulez sei hier und bleibe hier und so weiter. Ihm zu Ehren gab es die "Notations III" für Orchester. Knappe 10 Minuten schräge atonale Musik, die ich jedenfalls nicht brauche. Beifall, Umbaupäuschen und dann Schumann, jetzt Barenboim als Solist und Mehta am Pult. Ich war eigentlich sehr gespannt darauf, denn Barenboim als Solist bei einem Klavierkonzert ist selten geworden, weil der Maestro ja hauptsächlich dirigiert. Und was ich befürchtete, traf ein. Barenboim hat wahrscheinlich lange das Schumann-Konzert nicht gespielt. Dennoch die lässige Uninspiriertheit, der großzügige Umgang mit Tempi, Phrasierung, Rhythmus überraschte denn schon. Wenn es ein 20 jähriger Anfänger wäre, der sich daran versucht, dann ok, aber von einer Persönlichkeit wie Barenboim erwarte ich mehr. Holprig, ungenau, unbalanciert, das war für mich eine Zumutung. Im letzten Satz gingen ihm die Pferde durch und der Streicherapparat kam ins Schwimmen. Natürlich gab es brausenden Beifall für den Orchesterchef und auch die Orchestermitglieder beteiligten sich höflich, aber nicht überschwänglich daran. Als Dankeschön dann noch eine virtuose Schumann-Zugabe ohne Esprit.
    Nach der Pause Gustav Mahlers 1. Sinfonie, auch als "Titan" bezeichnet. Mehta ging das Ganze behutsam an, schön die Ferntrompeten am Beginn und die ruhigen, fließenden Streicherpassagen. Ungewohnt der eingeschobene "Blumine"-Satz, der von Mahler ja später getilgt wurde. Mehta ist als Dirigent sparsam mit seiner Gestik, lässt dem Orchester relativ viel Freiraum, das damit sehr gut umgeht, manchmal hätte ich mir aber auch mehr Temperament gewünscht. Klarheit, Struktur und Präzision waren zweifellos vorhanden, dennoch erschien es mir alles in allem recht kontrastarm, gemütlich und zu sehr entspannt, das große Aufbegehren blieb eigentlich bis 2 Minuten vor Schluss aus, da war dann wirklich Volldampfbetrieb. Herausragend für mich der Soloklarinettist Matthias Glander, auch der voluminöse Tubist Thomas Keller machte seinen Job sehr gut. Insgesamt eine ordentliche Aufführung ohne viel Glanz und Gloria. Mit seinen fast 80 Jahren machte Zubin Mehta am Pult, der alles ohne Noten dirigierte, keine schlechte Figur. Wer aber nicht dabei war, muss das nicht beklagen.
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Ein weiteres Mal gab das Cuarteto Casals heute ein Konzert in Stuttgarts Mozartsaal und ein weiteres Mal konnten sie belegen, dass sie zu den führenden Quartetten der Gegenwart gehören.


    Ein wundervoll ausgehörter Schubert'scher Quartettsatz , eine eindrucksvolle Interpretation von Schostakowitsch 6 (eines m.E. seiner besten Werke) und nach der Pause - quasi als Höhepunkt - eine sehr musikantisch ausgefeilte Interpretation von Beethoven 18.5. Nichts wirkte routiniert, sondern alles war mit Risiko - auch dem Risiko kleinerer Unsauberkeiten - dargeboten, und überzeugte durch Schwung und genuinem Musikantentum. Abel Tomas und Vera Martinez wechselten wie gewohnt an der Violine 1. Als Zugabe dann der letzte Satz aus Haydns Frosch und die Schostakowitsch Polka, bei der man noch einmal richtig schräg aufspielte. Ein überaus befriedigender Quartettabend.
    :jubel::jubel::jubel:

  • Einen Blick in die Zukunft zu werfen gab es womöglich beim (mittlerweile vor-)gestern offiziell ohne ausdrücklichen Grund angesetzten Sonder-Sinfoniekonzert in Wuppertal: auf dem Pult stand mit Mark Rohde einer der Anwärter auf den ab der nächsten Saison mit dem Abgang von Toshiyuki Kamioka vakanten Posten des Wuppertaler GMD. Und auch wenn es bislang niemand ausgesprochen oder -geschrieben hat, so dürfte diese Tatsache schon dafür sprechen, daß Rohde ziemlich weit vorn im Rennen liegt - oder mehr. Auf dem Programm standen:


    Ludwig van Beethoven - Coriolan-Ouvertüre, op. 62
    Alban Berg - Violinkonzert
    Franz Schubert - Sinfonie Nr. 9 C-dur, D. 944 "Die Große"


    Violie: Ingolf Turban
    Dirigent: Mark Rohde
    Orchester: Sinfonieorchester Wuppertal


    Schon bei Beethovens Ouvertüre war klar, daß am gestrigen Abend mit Rohde kein Kamioka II zum Dienst angetreten war. Er pflegte einen merkbar 'zackigeren', weniger runden Stil als der Amtsinhaber - sowohl klanglich als auch in der Phrasierung. Neben dem Fluß der Musik legte er offenkundig auch deutliches Augenmerk auf die rhythmische Struktur der Stücke. Das schien mir zuweilen etwas zulasten der ansonsten überragenden Klangkultur der Wuppertaler zu gehen: insbesondere die Streicher hatten einen Hauch ihrer gewohnten samtigen Dunkelheit eingebüßt. Dafür verstand es Rohde allerdings, mit einem aufregend straffen Dirigat zu entschädigen, das im Ergebnis nie starr wirkte, sondern der Musik ein hohes Maß an Spannkraft und Flexibilität verlieh.


    Mit offenkundigem Sinn für's Dramatische und ohne Scheu vor dynamischen Kontrasten ging Rohde die Sache an. Kräftig wirkte das und durchaus mit Einfluss von der Oper her, war klanglich verschiedentlich allerdings auch ein bißchen weniger gut durchhörbar als von Kamioka gewohnt. Letzterer Eindruck könnte aber auch der Tatsache geschuldet sein, daß mein üblicher Platz auf dem Rang diesmal nicht zu haben war (verkauft wurden nur Plätze im Parkett). Dennoch fiel mir mit zunehmender Dauer auf, wie fein es Rohde verstand, das Orchester dynamisch zu nuancieren - wenn auch vielleicht nicht ganz so detailliert wie Kamioka (wie auch: eine von dessen Königsdisziplinen ist es, auch den Unterschied zwischen ppp und pppp noch hörbar zu machen). Jedenfalls hatte Rohdes Vortrag stets 'Zug', nie ging ihm der vielbeschworene Spannungsbogen verloren.


    In Bergs Violinkonzert verschob Rohde die Akzente dann gekonnt zugunsten des Solisten mehr in den temporalen und rhythmischen statt in den dynamischen Bereich. Das kam Ingolf Turban an der Violine insofern zugute, als dieser seinen Part deutlich als mehr als 'primus inter pares' auslegte denn als Starsolist. Dies äußerte sich nicht zuletzt durch eine recht zurückgenommene Lautstärke. Dennoch zeigte sich Turban stets deutlich vernehmbar und in hohem Maße präsent; sein Spiel war gefühlvoll, aber nie gefühlsduselig. In dieses Bild passte auch sein angenehmer, unaufdringlicher Geigenton ganz ausgezeichnet. Zum Schluß bedankte er sich für den verdienten Applaus des Publikums noch mit einer Zugabe von Bach (es könnte die Sarabande aus BWV 1002 gewesen sein, aber sicher bin ich mir nicht).


    Eine Erwähnung ist mir der optisch klare, körperbetonte Dirigierstil Mark Rohdes auch insofern noch wert, als ich ihn für den Laien (also u. a. für mich) sehr hilfreich empfand, um die Strukturen der gerade gespielten Werkes besser nachvollziehen zu können. Das kam bei den manchmal recht unzugänglichen Berg'schen Konstruktionen ganz genauso zum tragen wie in den Weiten von Schuberts unendlichem Melodiefluss.


    Quasi als Aperetif gab es zuvor noch eine Konzerteinführung, diesmal gehalten nicht vom etatmäßigen Präsentator Prof. Lutz-Werner Hesse (Direktor der örtlichen MHS und Vorsitzender der Konzertgesellschaft Wuppertal) sondern vom Maestro höchstselbst. Dies geschah vorgeblich, da Prof. Hesse verhindert sei; dessen Anwesenheit im Saal erschütterte die Glaubwürdigkeit dieser Behauptung jedoch deutlich. Vermutlich wollte man einfach Rohdes Publikumswirksamkeit testen, die dieser auch mit Bravour unter Beweis gestellt haben dürfte. Genauer gesagt war das für meine Begriffe die beste Konzerteinführung, die ich in Wuppertal bisher erlebt habe. Rohde zeigte sich in offener und gewinnender Art in der Lage, dem Publikum auch mittels Klangbeispielen am Klavier, musikalisches Grundwissen die Stücke des Abends betreffend zu vermitteln. Ich für meinen Teil finde so etwas immer in höchstem Maße interessant, und der sonst üblichen Mischung aus Komponisten- und Solisten-Biographie unbedingt vorzuziehen.


    Fazit: ein Konzertabend, der in vielerlei Hinsicht anders war, als wir es in Wuppertal derzeit gewohnt sind, aber sehr gut - und musikalisch über alle am Abend dargebotenen, doch sehr unterschiedlichen Stücke hinweg durchaus ein Genuss, insbesondere für den ersten Versuch! Ich denke, mit Mark Rohde könnte das Wuppertaler Publikum, mich eingeschlossen, glücklich werden. Schauen wir mal, ob er den Thron auch wird besteigen dürfen…

  • Am vergangenen Mittwoch waren die Wiener Symphoniker zu Gast in Stuttgarts Liederhalle, als Solistin des Abends wirkte ein weiteres Mal Hilary Hahn, die auch der Hauptanlass war, dieses Konzert mit der besseren Hälfte zu besuchen. Der Chefdirigent Phillippe Jordan war erkrankt und wurde vom jungen aufstrebenden Kollegen Adrien Perruchon vertreten.


    Das Programm:


    Antonín Dvořák
    Karneval A-Dur op. 92 B 169 (1891)
    Konzert-Ouvertüre


    Antonín Dvořák
    Konzert für Violine und Orchester a-Moll op. 53 B 96/108 (1879)


    Pause


    Robert Schumann
    Sinfonie Nr. 2 C-Dur op. 61 (1845–46)


    Ein Programm also dass dem Wiener Orchester vermutlich sehr liegt, zumindest liess schon die schwungvolle eröffnende Konzert-Ouvertüre vermuten, dass das hier Hausterrain für die Wiener ist. Soweit ich mich erinnern kann, war dies auch meine erste Begegnung mit diesem Orchester. Ein wunderschöner Orchesterklang mit satten Streichern und charakteristischen Bläsern. Und Einspringer Adrien Perruchon versucht gar nicht erst, diesem Orchester einen anderen Klang zu entlocken, sondern liess sie in vermutlich gewohnter Manier aufspielen. Hörer, die einen schlankeren Orchesterklang bevorzugen, kamen sicher an diesem Abend zu kurz.


    Hilary Hahn - nach Babypause deutlich fraulicher - spielte das schöne Dvorakkonzert in gewohnt perfekter Manier. Ihr Instrument fügte sich gut in den Orchesterklang ein, und man stellte wieder Mal fest wie unnatürlich die Balance bei vielen Studioaufnahmen ist. Eine sehr befriedigende Darbietung auch wenn ich sagen muß, dass ich dieses Konzert mit der seinerzeit noch jungen Kyung Wha-Chung noch mitreissender gehört habe. Ein Satz aus einer der Bachsonaten rundete dann diesen Teil des Konzertes würdig
    ab.


    Die Schumann-Symphonie gelang dem jungen Dirigenten bestens im klassischen Sinne, neuere Ansätze der schlankeren kammermusikalischen Schumann-Exegese haben hier keinen Widerhall gefunden.


    Insgesamt ein schönes Konzert auf interpretatorisch hohem Niveau, das jetzt vielleicht nicht ewig in Erinnerung bleiben wird, aber einen zumindest an diesem Abend beschwingt nach Hause gehen liess.


    Dieses Konzert ist übrigens noch heute in Köln, morgen in Freiburg und übermorgen in Mannheim zu hören.

  • Hallo!


    Dank Operus durfte ich gemeinsam mit der besten Ehefrau von allen am Sonntag dem Konzert des Heilbronner Sinfonie-Orchesters beiwohnen.


    Nach einer ausführlichen Einführung begann das Programm mit der Ouvertüre zu einem Lustspiel von Ferucio Busoni. Ein schöner Aufwärmer, der mir allerdings nicht nachhaltig in Erinerung blieb. Anders Dvoràks 7te Sinfonie. In ihrer teilweisen Tragik und Schwere herrlich gespielt, dem dritten Satz mit seiner komplexen Überlagerung von 2/8 und 3/4 - Takten wunderschön heraus gearbeitet.


    Anders als üblich, folgte das Solokonzert mit Cynthia Maya Bal erst nach der Pause. Der Dirigent, Peter Braschkat, wollte mit einem furiosen hellen Schluss das Konzert beenden.


    Furios war das Konzert. Cynthia Maya Bal spielte für ihre erst 16 Jahre mit einer beachtlichen Souveränität und Ruhe. Der Anschlag war für meinen Geschmack vergleichsweise hart, was teilweise lebendig,frisch und direkt wirkte. An manchen Stellen hätte ich mir etwas mehr "Weichzeichner" gewünscht.


    Der Clou jedoch war die Zugabe. Sie spielte die Tarantella aus den Années de Pèlerinage, die ich erstmals hörte. Virtuos und sicher - ohne große Allüren. Hervorragend. wenngleich einigen Zuschauern anzumerken war, dass ihnen ein kürzeres, leichter verdauliches Werk als Zugabe gereicht hätte. Mir nicht.


    Insgesamt ein toller Abend.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Lieber WoKa, so interessant es ist, was du schreibst, wäre ich dir doch dankbar, wenn du mitteilen könntest,um welches Solokonzert es sich handelte. Die 7. Sinfonie von Dvorak gehört zu meinen Lieblingswerken, leider zu selten gespielt, ich werde sie demnächst in Berlin erleben dürfen.


    Beste Grüße
    :hello:

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

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  • Hallo!


    Zum ersten möchte ich mich für den faux pas entschuldigen, das Konzert nicht zu benennen: Es handelte sich um Beethovens drittes Klavierkonzert.


    Was die Zugabe betrifft, lieber Holger, möchte ich Dich bitten, mir zu helfen. Da ich die Années bisher nicht kenne und ich die Tarantella auf der DoCD, die ich seit heute hier liegen habe, nicht enthalten ist, musste ich in Wikipedia nachschauen.


    Dort heißt es:


    "Venezia e Napoli (Venedig und Neapel) – Ergänzung zum zweiten Jahr; veröffentlicht 1861, komponiert 1859, zum Teil als eine Revision einer früheren Fassung von etwa 1840 mit dem gleichen Namen.
    1.Gondoliera (Gondellied) – basierend auf dem Lied La Biondina in Gondoletta von Giovanni Battista Peruchini
    2.Canzone – basierend auf dem Gondellied Nessun maggior dolore aus Rossinis Otello.
    3.Tarantella – mit Themen von Guillaume-Louis Cottrau, 1797–1847"


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Was die Zugabe betrifft, lieber Holger, möchte ich Dich bitten, mir zu helfen. Da ich die Années bisher nicht kenne und ich die Tarantella auf der DoCD, die ich seit heute hier liegen habe, nicht enthalten ist, musste ich in Wikipedia nachschauen.


    Dort heißt es:


    "Venezia e Napoli (Venedig und Neapel) – Ergänzung zum zweiten Jahr; veröffentlicht 1861, komponiert 1859, zum Teil als eine Revision einer früheren Fassung von etwa 1840 mit dem gleichen Namen.
    1.Gondoliera (Gondellied) – basierend auf dem Lied La Biondina in Gondoletta von Giovanni Battista Peruchini
    2.Canzone – basierend auf dem Gondellied Nessun maggior dolore aus Rossinis Otello.
    3.Tarantella – mit Themen von Guillaume-Louis Cottrau, 1797–1847"


    Stimmt genau, lieber Woka! :)




    Schöne Grüße
    Holger

  • Da habe ich doch einmal hineingehört und festgestellt, wieviel musikalischer und emotionaler ich die Brendel-Version finde.
    Bei ihm klingt es mir nachvollziehbarer - jemand dreht am Klavier komplett durch; es klingt so, als ob die Musik während des Spielens sich selbst entwickelt und erfunden wird.
    Beim Kissin klingt es kühler, nach Virtuosität, Glanz und beherrschter Perfektion - sicherlich auch sehr gut, aber mir ist klar, dass ich hier den Brendel stark favorisiere.


    Auch technisch pianistisch ist die Brendel-Version perfekt. Wenn da jemand in einem anderen Thread doch tatsächlich behaupten konnte, dass der Mann technisch sich so mehr oder weniger durchwurschtelte und seine Unzulänglichkeit durch aufgesetzte Bedeutsamkeit versuchte zu kaschieren (ich überspitze die Aussage jetzt), dann konnte ich anhand der mir bekannten von Brendel gespielten Literatur dieser Aussage eigentlich nur ein unverständiges Kopfschütteln entgegenbringen.
    Angesichts dieses Videos, bei dem man ja die Noten mitlesen kann, erscheint es mir umso grotesker und absurder, solche Behauptungen aufzustellen. Wer das so spielt, der ist nicht nur technisch ganz weit oben, sondern auch musikalisch ein ganz Großer.
    Jeder, der passabel Klavier spielen kann und die Noten mitliest, der wird wohl nicht bestreiten können, dass Brendel auch technisch wirklich alles hatte, was man als internationaler Spitzenpianist eben so braucht.


    Das musste einmal `raus.... ;)


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat von Glockenton

    Jeder, der passabel Klavier spielen kann und die Noten mitliest, der wird wohl nicht bestreiten können, dass Brendel auch technisch wirklich alles hatte, was man als internationaler Spitzenpianist eben so braucht.


    Lieber Glockenton,


    hab vielen Dank für Dein energisches Statement zu Brendel, mit dem Du bei mir offene Türen einrennst. Vielleicht könnte man sagen, dass Brendel nicht über unendliche technische Ressourcen verfügte, da gab/ gibt es andere. Aber die Paarung aus technischem Können und musikalischem Verstehen ist doch ganz einzigartig.


    Herzlich
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • So, aber nun mein eigentlicher Beitrag zu diesem thread.
    Dass das GWO Leipzig Mahler kann, wird hoffentlich niemand ernstlich bestreiten wollen. Dass Markus Stenz Mahler kann, habe ich über viele Jahre in Köln immer wieder gehört. Gestern, am 5. Februar, wollte es nun der Zufall, dass Chailly nicht dirigieren konnte und Markus Stenz für ihn einsprang, um die 10. Sinfonie von Gustav Mahler zu dirigieren (in der Ergänzung durch Deryck Cooke). Nun ist es ja nicht immer so, dass ideale Grundbedingungen auch zu einem schönen Konzerterlebnis führen, aber gestern war das eindeutig der Fall.


    Mit der Expressivität und der Schärfe einer Akkorde des Adagio tue ich mich immer noch schwer. Dennoch ist mir seine Struktur seit gestern Abend wieder etwas klarer geworden, habe ich die Verwebungen, aus denen der Satz geformt ist, ein Stückchen mehr verstanden. Stenz hat sehr transparent musizieren lassen, ließ aber nicht die Zerrissenheit vermissen, die passagenweise aus diesem Satz spricht und etwa beim Neuntakkord herausbricht. Im folgenden, von Mahler nur provisorisch instrumentierten Scherzo, kam die Präzision des GWO zum Tragen, die die schnellen rhythmischen Wechsel blitzsauber umgesetzt haben. Das Zentrum der Sinfonie bildet das knappe PurgatorioAllegretto moderato, dessen gewaltiger Ausbruch im Mittelteil vielleicht nicht ein wenig mehr Gewalt ertragen hätte. Dadurch wäre allerdings die Stimmigkeit der Ansatzes von Stenz verloren gegangen. Im folgenden [Scherzo] Allegro pesante legt Stenz besonderes Augenmerk auf die Betonung der Scherzo und walzerartigen Passagen. Im Finale patzten an zwei Stellen leider die Hörer ein wenig, dafür entlohnten das traumhafte Querflöten-Solo und die herausragend breite Öffnung der Musik und das Einströmen in eine nahezu weihevolle Atmosphäre.


    Ob nun Mahler oder nicht: Stenz es geschafft, dieses Werk, das m. E. passagenweise immer ein wenig auseinanderzufallen droht und dem man sein Dasein als Torso immer meint anhören zu können, auf das Schönste zusammengehalten und es vermocht, ein Dirigat zwischen transparentem Musizieren und dem Aufblitzen von musikalischer Zerrissenheit und quälender Gewalt ohne diese gleich psychologisierend übermäßig zu betonen. Nach meinem Erleben wurde er dafür durch das fast zur Gänze gefüllte Gewandhaus mit großem Beifall gefeiert.


    Ich hoffe, Stenz nimmt auch in Zukunft das ein oder andere Gastdirigat in Leipzig wahr: ich erlebe ihn einfach allzu gern.


    Mit herzlichem Gruß zum Wochenende
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Tamino Woka und ich sind heute abend nach Wiesloch gefahren, um das Mandelring Quartett zu hören.
    Das Quartett hat kürzlich einen Austausch an der Bratsche vorgenommen, statt Roland Glassl ist jetzt Andreas Willwohl hier zu hören. So ein Austausch ist ja immer etwas heikel, aber davon war heute abend nichts zu hören. im Gegenteil, es schien als habe der neue Mann das Spiel der Mandelringer noch mehr beflügelt, wenn das denn überhaupt möglich war.
    Jedenfalls war es - kurz gesagt - ein Konzert der absoluten Spitzenklasse. Haydns op 71, 2, Schostakowitschs 8. Streichquartett und Schumanns Klavierquintett standen auf dem Programm und alle Darbietungen waren auf dem höchst denkbaren Niveau und auf der vordersten Stuhlkante gespielt. Besser geht es wohl nicht. Der Pianist Ian Fountain fügte sich beim Schumann ideal ins Team ein und lieferte ebenfalls eine sensationelle Leistung ab. Riesenbeifall im ausverkauften Staufersaal. Als Zugabe dann noch den dritten Satz aus Dvoraks Klavierquintett. Alle gingen wohl beglückt nach Hause.
    Fazit: eine Reise in die Provinz kann sich sehr lohnen und was Ex-Tamino Felix Meritis ja immer schon wusste: die Mandelringer spielen ganz oben mit.



    P.S. Demnächst gibt es einen eigenen Thread für die Mandelringer.

  • Im Finale patzten an zwei Stellen leider die Hörer


    Danke, lieber JLang, für den Bericht! Ich hoffe sehr, dass Du nicht mitgepatzt hast!!


    Mit der 10. Sinfonie habe ich persönlich immer noch meine Schwierigkeiten. Es kommt wohl - wie Du das ja entwickelst - darauf an, das Ganze irgendwie als Einheit, als Unität zu begreifen. Mir hat das bisher noch keine Aufführung überzeugend vermittelt. Dabei habe ich inzwischen vier verschiedene Vervollständigungen kennen gelernt. Das hat es mir auch nicht leichter gemacht. Mir fehlt der Schlüssel, alles als Ganzes zu verstehen - die Komplexität und Unübersichtlichkeit, die teilweise sehr schroffen Brüche, die schrillen Kontraste, die unerwarteten und für mich unmotivierten Stil- und Stimmungswechsel, das Unvermittelte und Folgenlose mancher Episoden....


    Zuletzt habe ich das Werk unter Daniel Harding gehört. Alle waren begeistert. Nur ich nicht. Vielleicht liegt es einfach auch an mir!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Mit der 10. Sinfonie habe ich persönlich immer noch meine Schwierigkeiten. Es kommt wohl - wie Du das ja entwickelst - darauf an, das Ganze irgendwie als Einheit, als Unität zu begreifen. Mir hat das bisher noch keine Aufführung überzeugend vermittelt. Dabei habe ich inzwischen vier verschiedene Vervollständigungen kennen gelernt. Das hat es mir auch nicht leichter gemacht. Mir fehlt der Schlüssel, alles als Ganzes zu verstehen - die Komplexität und Unübersichtlichkeit, die teilweise sehr schroffen Brüche, die schrillen Kontraste, die unerwarteten und für mich unmotivierten Stil- und Stimmungswechsel, das Unvermittelte und Folgenlose mancher Episoden....


    Zuletzt habe ich das Werk unter Daniel Harding gehört. Alle waren begeistert. Nur ich nicht. Vielleicht liegt es einfach auch an mir!


    Mir geht es genauso. Ich kann das Werk - trotz mehrfachem Hören von diversen Komplettierungsversuchen - nicht als eine Symphonie von Gustav Mahler akzeptieren, dafür fehlt viel zu viel in den letzten Sätzen. Niemals hätte Mahler so eine ausgedünnte und skelettartige Orchestrierung abgeliefert. Der erste Satz ist wunderbar und reicht mir völlig. Ich brauche auch keine viersätzige 9. Symphonie von Anton Bruckner, das Werk wirkt IMO nur in der dreisätzigen Form.

  • Ihr Lieben,


    wie Ihr gemerkt habt, habe ich natürlich mitgepatzt (bzw. meine Autokorrektur, die ich meinerseits nicht hinreichend korrigiert habe) :D
    Ich habe nach wie vor meine Schwierigkeiten mit dem Werk (allerdings inklusive erstem Satz), aber Stenz hat mich hier etwas schlauer gemacht, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Ich würde in eine Diskussion Mahler/ nicht-Mahler nicht eintreten: hier gibt es berechtigte Auseinandersetzungen allein um den Begriff Fragment bzw. Torso (den Cooke bevorzugt). Ich habe nur zwei Vervollständigungen gehört, aber natürlich: die machen es einem nicht leichter.
    Ich glaube, dass Cookes Auffassung, die Sinfonie spiegelbildlich um das Purgatorio zu begreifen, tendenziell einen guten Ansatz darstellt, nur ist davon ja auch herzlich wenig da. Ich frage mich bei der Sinfonie daher nicht primär, wieviel Mahler-Werk drinsteckt (vielleicht ein Fehler?).


    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

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  • Gestern hatte ich das Vergnügen, ein mir bisher vollständig unbekanntes neu Orchester neu kennenzulernen: das Akademische Orchester der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Und ich muß sagen, ich wurde positiv überrascht! Vermutlich war ich unterbewusst mit einer gewissen Überheblichkeit an das Studentenorchester herangegangen, dazu bestand allerdings kein Grund, wie sich herausstellen sollte. Auf dem Programm standen:



    Richard Wagner - Parsifal, Vorspiel zum 1. Aufzug
    Richard Strauss - Vier letzte Lieder für Sopran und Orchester
    --- Pause ---
    Béla Bartók - Konzert für Orchester, Sz 116


    Katharina Persicke, Sopran
    Hannes Reich / Akademisches Orchester Freiburg



    Wagners in weiten Strecken ohnehin schon sehr verinnerlichtes Parsifal-Vorspiel zu Beginn geriet noch etwas zu sehr zurückgenommen, wirkte teilweise gar stockend und ohne rechte Verbindung zum tieferen Sinn der Musik. Schon mit den vier letzten Liedern stand dann aber ein echtes Highlight an. Zum einen bot hier das musikalische Material dem Orchester hier eine dankbarere Grundlage dafür, eine schwungvolle Darbietung realisieren. Zum anderen machte die einfühlsame und engagierte Interpretation Katharina Persickes mit ihrem wunderbar runden, leicht mezzös-dunkel getönten Sopran die Strauss-Lieder zu einem echten Erlebnis: diesen Namen werde ich mir sicher merken!


    Nach der Pause gab es mit Bartóks Konzert für Orchester dann gleich einen weiteren Höhepunkt zu bestaunen: mit großer Prägnanz, Präzision und Spannung führte Hannes Reich das Orchester durch die vertrackte und vielgestaltige Komposition Bartóks. In Verbindung mit dem schön differenzierten Orchesterklang ergab sich damit - auch ohne Melodien zum Mitpfeifen - eine wahrhaft mitreißende Vorstellung. Die Reaktionen des gestern sehr jungen Publikums ließen darauf schließen, daß ich mit dieser Einschätzung ganz sicher nicht allein gestanden haben dürfte. Zum Dank für den nachhaltigen Applaus kredenzten Reich und das Akademische Orchester ihren Zuhörern zum Schluß dann noch Edward Elgars Nimrod als immergrüne Zugabe.


    Das Akademische Orchester Freiburg spielt scheinbar nur zwei Konzerte pro Saison (also eines im Semester), aber wenn ich es nochmal einrichten kann, werde ich gern wiederkommen! Informationen und Termine finden sich übrigens hier.

  • Gestern hörte ich - der Saal ist bei mir "vor der Tür" - dieses Studentenkonzert:


    http://www.jusi-muenster.de/konzerte/aktuelles-konzert.html


    Die junge Geigerin Dami Kim mit dem Mendelssohn-Konzert war wunderbar - mit großem, expressivem Ton auf ihrer Stradivari, technisch absolut sauber und stilsicher. Wie kommt ein Studentenorchester nur an eine solche Solistin von internationalem Format?


    http://www.jjv-hannover.de/de/kimdbio


    Wirklich eine Entdeckung wert ist die höchst originelle 2. Symphonie von Wilhelm Stenhammer. Hut ab für dieses Repertoire!


    Viel Heiterkeit entstand unter den jungen Zuhörern, als zu Beginn der Dirigent gesucht werden mußte... Nächstes Mal muß ich nur früher kommen - mit Glück ergatterte ich noch einen Sitzplatz in der überfüllten Aula der Uni.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mein Konzertbesuch war zwar nicht gestern, aber ein Erlebnis, von dem ich gern kurz berichte.
    Riccardo Chailly ist ja immer noch erkrankt und so durfte ich den 1981 in Beer Sheba geborenen Omer Meir Wellber zum ersten male erleben und muss vorweg nehmen, dass ich schwer begeistert war.


    Das Programm:
    F. Mendelssohn-Bartholdy, Konzertouvertüre „Märchen von der schönen Melusine“ F-Dur op.32
    L. van Beethoven, 4. Klavierkonzert, G-Dur op. 58, Piano N. Freire


    R. Strauss Serenade Es-Dur op. 7
    F. Schubert, 3. Sinfonie D-Dur D 200.


    Die mit dem Dirigentenwechsel verbundene Programmumstellung brachte einen Vorteil: ich konnte eines meiner liebsten Werke von F. Mendelssohn-Bartholdy im Konzert hören. Das Werk wurde 1835 im Gewandhaus uraufgeführt und von Schumann sehr gelobt. Beim Publikum löste es dagegen eher gemischte Reaktionen aus. Meir Wellber hat das hochdramatische Werk in einem dramatischen Gestus dirigiert und vor allem den Bogen vom lieblichen Beginn über die Steigerungen und Rückführung in die liebliche Grundstimmung mit leichter Melancholie musikalisch sauber und mitreißend gespannt. Interessant ist sein Dirigierstil, er scheint in den ruhigen Passagen die Töne mit dem Taktstock geradezu aus den Instrumenten ziehen zu wollen.
    Es folgte der Hauptteil, Beethoven Klavierkonzert Nr. 4. Nun ist Freire sicher nicht als Beethovenspezialist bekannt und seine Einspielung des 5. KK kann mich nicht ganz überzeugen. Die Kombination mit Meir Wellber und dem 4. Klavierkonzert dagegen schon. Natürlich bin ich bei Freire nicht objektiv, aber es scheint mir, als sei seine Annäherung an die Klavierkonzerte ausgehend vom 5. genau richtig. Das war passagenweise brillant perlend mit Leichtigkeit, aber eben auch mit den notwenigen Pranke gespielt und passte zum zupackenden Dirigat. Das Andante con moto war ein Traum, hier der zarte, aber glasklare Anschlag des Piano, dort die finsteren Streichereinlagen und ein wahrhafter Klaviersturm am Schluss. So zupackend habe ich Freire selten erlebt. Die Begeisterung war sehr groß und brachte noch eine Chopin-Zugabe, während der das Gewandhaus still wie selten war.


    Nach der Pause einer meiner weniger geliebten Komponisten: Strauss. Aber die Serenade in kleinster Besetzung war traumhaft gespielt, ohne Taktstock in langen, fließenden Bewegungen dirigiert. Hat mir gefallen. Schuberts Sinfonie Nr. 3 war ein würdiger Abschluss dieses selbst für ein Gewandhauskonzert ungewöhnlich guten Konzerterlebnisses. Der zweite Satz war ganz schlicht und im vollsten Vertrauen auf die Musik ausmusiziert, im letzten Satz paarten sich Dirigier- und Spielfreude in einem zusammenhängenden Fluß der kaskadierenden Schubert’schen Einfälle. Ein Abend, der Lust auf mehr von diesem Dirigenten gemacht hat.


    Mit herzlichem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich bin soeben aus Köln zurückgekommen, wo ich ein sehr erfüllendes Konzert erlebt habe mit dem Gürzenichorchester unter der Leitung seines Kapellmeisters Francois Xavier Roth und Akiko Suwanei, Violine.
    Auf dem Programm stand zuerst die
    Leonoren-Ouvertüre Nr III C-du Op. 72a.
    Bei ihr habe ich noch nicht auf die Uhr geschaut, aber ich hatte den Eindruck, dass sie nicht zu schnell war.
    Aber sie war von allen drei Werken am größten besetzt mit jeweils zwei Holzbläsern, 4 Hörnern, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, 12 ersten Geigen, 10 zweiten Geigen, 8 Bratschen, 6 Celli und 4 Kontrabässen. Außerdem hatte Roth noch eine Trompete, nicht wie im Programm angegeben, hinter der Bühne, sondern dem Podium gegenüber hoch in den Zuschauerrängen postiert. Die Wirkung war unglaublich, Gänsehaut pur wie immer wieder während dieser grandiosen Ouvertüre.
    Roth dirigierte das Orchester sehr fließend und zeigte, welche dynamische Bandbreite in ihm steckt und dass es seinen Beethoven absolut beherrscht
    Zuletzt hatte ich das Orchester am 17. Mai letztes Jahres unter seinem früheren Kapellmeister James Gaffigan mit den Sinfonien Nr. 2 und Nr. 8 erlebt. Da machte es genauso eine gute Figur. In dieser Saison werde ich noch am 26. Mai das WDR-Sinfonieorchester unter seinem Chefdirigenten Jukka Pekka Saraste an meinem Wohnort Coesfeld mit einem reinen Beethovenprogramm erleben: Coriolan-Ouvertüre, KK Nr. 3 (Yefim Bronfman) und Sinfonie Nr. 2 und am 22. 6. in Köln die Dresdner Philharmonie unter Michael Sanderling mit der Eroica und Mahler 1.


    Doch nun zurück zu diesem Konzert:
    Nach der Ouvertüre gab es etwas Außergewöhnliches, Peter Eötvös' Werk "Seven" für Violine und Orchester, einer Art Requiem für die sieben Opfer der Absturzkatastrophe des Space-Shuttles "Columbia" am 1. Februar 2003. Ich weiß noch, wie erschüttert ich war, als ich die Bilder damals frisch im Fernsehen sah, und so begann es sofort in meinem Kopf zu arbeiten, als ich dieses eindrucksvolle Werk erlebt, das mit einer riesigen Schlagwerk-Batterie und mit zusätzlich zum übrigen Orchester an strategische ausgewählten Punkten hoch über der Bühne rechts, links und hinten mit kleinen Streichergruppen agierte, die auch noch mit kleinen blauen Lichtern markiert waren. Jedenfalls sollten sie m. E. akustische eine Art Weltraumsituation simulieren, obwohl ja im Weltraum eigentlich nichts zu hören ist. Aber natürlich waren die einzelnen Teile des Werkes auch auf die einzelnen Mitglieder der Weltraummission zugeschnitten, und das Klanggebilde selber war auch teilweise sehr fragil und sollte sicherlich auch, wie hier bewiesen, die Zerbrechlichkeit von Weltraumfahrzeugen und den damit verbundenen jederzeit möglichen Tod ihrer Insassen symbolisieren. Das Publikum, mich eingeschlossen, lauschte sehr gebannt, und nicht nur das Orchester, sondern auch Dirigent und Solistin glänzten durch die gekonnte Bewältigung dieser gewiss nicht leichten Partitur. Außerdem lernte ich als ehemaliger Musiklehrer noch dazu, auf wie raffiniert einfache Weise man Klänge, z. B. an den verschiedenen Gongs, erzeugen konnte.
    Verdienter Beifall war der Lohn für die eindrucksvolle Vorführung, bei der es zumindest mir so ging, die Tatsache ganz aus dem Fokus zu verlieren, dass es sich hier um sehr moderne Musik handelte.


    Nach der Pause gab es da Hauptwerk:
    Beethovens Sinfonie Nr. 6 F-dur op. 68, "Pastorale".
    Roth schlug hier im Kopfsatz eine zügige, aber, wie ich finde nicht zu schnelle Gang art ein, auch im Andante war das durchaus temporal in Ordnung, und in den übrigen Sätzen sowieso. Ich mir die Satzzeiten, so gut es ging gemerkt und mal mit einer Aufnahme verglichen, in der der Dirigent die Orignial-Metronomzahlen erreicht hat:


    Roth...: 11:00-11:45-5:15-3:15-9:00 --- 39:15 min.;
    Chailly: 10:17-10:46-4:57-3:38-8:50 --- 38:28 min.;


    Auch hier war, wie in der Leonoren-Ouvertüre, festzustellen, wie fließend, ja ich möchte sagen, sanglich Roth dirigierte und über welch eine herausragende Pian(issim)o-Kultur seit Jahr und Tag verfügt, denn ich habe es ja auch zu Zeiten von Markus Stenz seit Jahr und Tag erlebt, und sogar einmal, in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, mit Günter Wand im altehrwürdigen "Jürzenisch", ebenfalls mit einem Beethovenprogramm. Ob Roth auch Mahler kann und will, wird sich noch herausstellen.
    Natürlich war der Gewittersatz ein Höhepunkt, da hat es Roth so richtig krachen lassen, wie überhaupt er bei mir sofort Punkte gesammelt hat, weil er sich so gut mit dem Paukisten Carsten Steinbach verstand und diesen auch stets animierte. Dieser Umstand war mir auch noch aus dem letzten Jahr in guter Erinnerung.
    Doch auch der zweite Satz konnte bestechen mit wunderbaren Holzbläsern, die Nachtigall, Wachtel und Kuckuck so herzerweichend präsentierten, wie überhaupt die lyrischen Partien der Partitur beim Gürzenich-Orchester ebenso gut aufgehoben waren wie die rhythmisch-dramatisch-dynamischen.


    Obwohl ich ein Dienstags-Abo habe, sind mir die ersten beiden Termine durch die Lappen gegangen, aber nach dem heutigen Abend weiß ich, dass ich wiederkommen werde, weil ich denke, dass das Orchester mit diesem Dirigenten auf einem guten Wege ist.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Mit dem Konzert am letzten Freitag habe ich die Konzerttermine im Februar abgeschlossen, in dem ich fast jede Woche einem musikalischen Ereignis beiwohnen durfte. Eigentlich war ein Mammutprogramm angekündigt, doch entfiel J. Sibelius Sinfonie Nr. 7, so dass es ein normaler Konzertabend wurde. Das Programm in der leicht geänderten Fassung sah vor:


    Henri Dutilleux — Métaboles


    Robert Schumann — Konzert für Klavier und Orchester a-moll op. 54


    Robert Schumann — 1. Sinfonie B-Dur op. 38 ("Frühlingssinfonie")


    Der Auftakt war - man möge es mir verzeihen - einfach anstrengend. Dutilleux hat in seinen 1964 erstmals aufgeführten Métaboles durchaus spritzige Momente, doch ich komme mit diesem Werk nicht klar. Das ist in den 5, unmittelbar aufeinanderfolgenden Sätzen Hörerarbeit hart an der Grenze des für mich akustisch erträglichen. Es mag kompositorisch von äußerster Filigranität sein und es ist interessant, diese Annäherung an Musik einmal kenngelernt zu haben, aber damit reicht es für mich auch.
    Der Rest des Abends war dann einem Komponisten gewidmet, der zu Leipzig in einer besonderen Beziehung steht (seine Wohnung ist heute noch erhalten und zu besichtigen): Robert Schumann. Vor der Pause gab es einen Klassiker, das Klavierkonzert a-moll op. 54. Ich durfte einen Pianisten hören, den ich live noch nicht erlebt habe: Leif Ole Ansdnes, dessen Beethoven Klavierkonzerte ich bereits zu schätzen gelernt habe, auch den Dirigenten Alan Gilbert hatte ich live noch nicht gehört. Der Auftakt mit dem Allegro affettuoso war bis auf den etwas schleppenden Auftakt gelungen, insbesondere das träumerische Hauptthema hat Ansdnes schön phrasiert. Mir fehlte aber ein wenig Tempo und Leidenschaft: Ansndes hat ohne Zweifel hervorragend musiziert, es wirkte aber insgesamt ein wenig akademisch und reserviert. Ich persönlich mag in diesem Konzert eher die Ansätze, die auch einmal etwas Risiko gehen, etwas wagen. Ansdnes blieb hier etwas distanziert. Dass dies seine Auffassung von diesem Konzert ist und er scheinbar großen Respekt vor einer "Überromantisierung" hatte, merkte man in der verhalten vorgetragegen Solokadenz und auch im zweiten Satz. Erneut waren die Phrasierungen vorbildlich, ebenso wie seine Zurückhaltung mit dem in diesem Satz nicht gerade dominanten Klavierpart. Anrührend war das Zusammenspiel mit den Bläsern. Den Anfang des dritten Satzes hat m. E. vor allem Gilbert etwas verschleppt, die Orchesterbegleitung hätte druckvoller sein können. Insgesamt ein Vertrag, bei dem Ansdnes im ersten Satz die Vibrationen des Themas sehr transparent herausgearbeitet hat, aber bei dem mir doch etwas "Sturm und Drang" fehlte. Wunderbar seine Zugaben Chopin-Etüde.
    Dass die Auffassung vom Klavierkonzert vor allem an den Vorstellungen Ansdnes lag, konnte man nach der Pause hören. Gilbert dirigierte eine klangschöne und mitreißende Frühlingssinfonie, die 1841 im Gewandhaus uraufgeführt wurde (unter keinem geringeren als Felix Mendelssohn-Bartholdy). Das Andante un poco maestoso war von Beginn des Fanfaren an wirklich maestoso, ohne übertrieben monumental zu werden, das Scherzo war sehr lebhaft und leichtfüßig vorgetragen und das Allegro animato hatte den Sturm und Drang, den ich vor der Pause noch vermisst hatte. Besonders hervorheben möchte ich den phantastischen Klang des GWO: dunkel, voll und samtig (die dunklen Streicher kamen wunderbar zur Geltung), aber auch spritzig und leicht, wenn erforderlich. Wenn also auch die Lesart des Klavierkonzerts meinen Geschmack nicht so traf, war die Interpretation der Sinfonie Nr. 1 ganz nach meinem Geschmack.
    Herzliche Grüße
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich bin um 1.00 Uhr von Köln zurückgekommen, wo sich das WDR-Sinfonieorchester die Ehre gab. Am Pult stand niemand Geringerer als Andris Nelsons. Zwar schien, seit ich ihn das letzte Mal vor 4 Jahren mit dem City of Birmingham Symphony Orchestra und Wagner, Strauss und Sibelius auf dem Programm, sein Ränzlein etwas mehr zu spannen, was aber seine Agilität und seinem vielfältigen Ganzkörpereinsatz keinen Abbruch zu tun:




    Auf dem Programm stand:


    Gustav Mahler: Symphonie Nr. 7 e-moll


    Sätze: 1. Langsam - Allegro
    ..........2. Nachtmusik.Allegro moderato
    ..........3. Scherzo. Schattenhaft
    ..........4. Nachtmusik. Andante amoroso
    ..........5. Finale.Rondo
    Spielzeiten (Grob von der Uhr gelesen): 22:00-16:00-10:00-12:00-18:00 -- 78:00 min.;
    Besetzung;
    Streicher: 16 1. Violinen, 14 2. Violinen, 12 Violen, 10 Violoncelli, 8 Kontrabässe
    Bläser: 5 Flöten, 4 Oboen, 4 Klarinetten + 1. Bassklarinette, 4 Fagotti, 4 Hörner, 3 Trompeten, 3 Posaunen, 1 Tenorhorn, eine Basstuba,
    Schlagwerksektion: Pauken, 6 Schlagwerker
    Zupfinstrumente: 2 Harfen, 1 Gitarre, 1 Mandoline. Insgesamt waren 101 Musiker auf dem Podium versammelt + Dirigent.


    Andris Nelsons führte mit dem ersten Takt mitten ins Stück. Man fühlte sich sofort in der Musik. Selten habe ich den Einsatz so leise und doch so unvermittelt gehört, und obwohl der Rhythmus dieses Trauermarsches etwas stockend und eckig ist, gelang es Nelsons doch mit seiner unnachahmlichen Art, mit der er eine tiefe Verbindung mit dem Orchester eingeht, soviel Fluss wie möglich herzustellen. Dem Solo-Tenorhornist Tim Beck (hier mit Posaune):

    gelang es, durch seine raue Tongebung zunächst wirklich tiefe Trauer zu verbreiten, bevor der Tanz dann richtig losging.
    Dabei zeigte des WDR-Sinfonieorchester, dass es trotz der großen Besetzung und der teilweise entfesselten hochdynamischen Kräfte eine erstaunliche Transparenz an den Tag legte, dass vor allem die 60 Streicher, die in der Ordnung: links die Violinen, rechts die Bratschen und Celli und rechtsaußen die Kontrabässe, aufgestellt waren, sehr gut zu unterscheiden waren und sich dynamisch auch seh gut durchsetzen konnten, was vor allem im Scherzo auffiel, das teilweise einem wilden, vor Energie berstenden Tanz gleicht, in dem die Kontrabässe mit einem fulminanten höchst dynamischen und rauen Pizzicato sich grandios in Szene setzten.
    Im Verlaufe der Symphonie hatte der neue Solohornist (seit 1. 12. 2015), Premysl Vojta:

    Gelegenheit sich auszuzeichnen, was er auch ausgiebig tat. Überhaupt muss man den vier Hornisten konstatieren, dass sie sehr riskant spielten, was auch mal einen Kiekser beinhaltete, aber zu einem höchst intensiven und anrührenden Spiel führte.
    Die beiden Nachtmusiken mag ich besonders, zumal sie m. E. zeigen, welche grandiosen Stimmungen Mahler mit solchen Sätzen einfangen konnte, wie tief sie musiklisch reichten und wie sehr sie seine Gefühle wiederspeigelten. Das alles haben die WDR-Musiker, inspiriert von Andris Nelsons, ergreifend rübergebracht.
    In gewisser Weise gehört auch dieses Finale von den rein instrumentalen Sinfonien m. E. zu denjenigen, auf die die Musik zielgerichtet ist, und die, trotz der Tonart e-moll, in einen mitreißend triumphalen Schluss mündet, ähnlich wie in der Symphonie Nr. 3 in d-moll, die in Köln in dieser Saison noch 3mal auf dem Programm steht, und zwar am 29./30. April mit dem WDR-Sinfonieorchester unter Jukka-Pekka Saraste und am 19. Juni mit dem Bayerischen RSO unter Bernard Haitink, dem ich gestern noch zum 87. Geburtstag gratulieren konnte.
    Im Hinblick auf dieses "Ziel", den Finalsatz und besonders der Coda kam das Orchester nochmal auf einen besonderen Höhepunkt. Nennen möchte ich da besonders den großartigen Solpaukisten Werner Kühn, der sich in diesem Finale noch einmal besonders ins Zeug legte:


    Insgesamt habe ich diese Symphonie nun zum zweiten Male live erlebt, das erste Mal im zweiten Mahler-Jahr 2011 mit den Berliner >Philharmonikern unter Simon Rattle, und nach alledem, was mit in Erinnerung geblieben ist, kann ich sagen dass sich das WDR-Sinfonieorchester unter Andris Nelsons nicht hinter den Berlinern unter Simon Rattle zu verstecken braucht.


    Extatischer Jubel des vollen Hauses war denn auch der verdiente Lohn für dieses grandiose Konzert. Alle Musiker, die ich hier nicht abgebildet oder genannt habe, haben aber genauso viel Lob verdient.
    Das Orchester werde ich am 26. Mai an meinem Wohnort im Konzerttheater Coesfeld wiedersehen, dann mit einem reinen Beethovenabend unter dem Chefdirigenten Jukka Pekka Saraste.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Baiba Skride, ihre Schwester Lauma und Daniel Müller-Schott (von mir mal frech als Skride Trio zusammengefasst) gaben heute abend ein Kammerkonzert in der Stuttgarter Liederhalle.


    Das Programm:


    Mozart Trio für Klavier, Violine und Violoncello C-Dur KV 548
    Brahms Trio für Klavier, Violine und Violoncello c-Moll op. 101
    Schostakowitsch Trio für Klavier, Violine und Violoncello Nr. 2 e-Moll op. 67


    Es war meine erste Begegnung mit den Musikern und sie war beeindruckend. Mit KV 548 begann der Abend noch recht locker, Mozart schien allen drei Musikern zu liegen und man spielte sich wohl auch ein wenig warm. Brahms letztes Trio war dann ein erster Höhepunkt bei dem die drei Musiker voll aufdrehten. Das übliche Trioproblem (Klavier zu laut, Streicher zu leise) war heute keins, sowohl Frau Skride wie auch Herr Müller-Schott können laut spielen und sich gegen den Flügel behaupten. Das Stück hatte ich bestimmt 20 Jahre nicht gehört, mein Verlust.
    Der Höhepunkt dann aber nach der Pause, eine hinreissende und tief berührende Darbietung von Schostakowitsch's zweitem Klaviertrio, des m.E. bedeutendsten Werkes des Genres überhaupt. Gegen Kriegsende komponiert und von tiefer (jüdisch geprägter) Trauer und Schwermut erfüllt. Der langsame Satz mit den so einfach klingenden und doch so berührenden Klavierakkorden als Vorstudie zum langsamen Satzes des 1. Violinkonzerts: einfach genial.
    Nach der exzeptionellen Darbietung liess sich auch das vor der Pause etwas reservierte Publikum zu zahlreichen Bravorufen hinreissen.
    Als Zugabe eine Satz aus einem Mozart Divertimento. Ein starker Abend.


  • Hallo!


    In Beitrag 1105 schilderte ich meine Eindrücke vom ersten Konzert der Beethoven - Reihe des belgischen Dirigenten Philippe Herreweghe mit dem Orchestre de Champs Elysées - natürlich auf Originalinstrumenten. Gestern durfte ich die Fortsetzung erleben.


    Aus dem Programm standen zunächst die 4te, anschließend das Violinkonzert und in der zweiten Hälfte die 5te, die Schicksalssinfonie.


    Meine Eindrücke decken sich hinsichtlich der Sinfonien weitgehend mit denen des ersten Konzertes. So war es auch hier ein durchaus beeindruckendes Erlebnis, die 4te Sinfonie sehr entschlackt - sozusagen back to the roots - zu hören. Wobei ich laienhaft erwähnen muss, dass mich der Klang des Horns etwas befremdete. Die Fans der historischen Aufführungspraxis können dem sicher mehr abgewinnen.


    Ebenso positiv der Eindruck bei der Fünften. Leidenschaftlich und sehr detailgetreu gespielt, den ersten Satz sehr schnell genommen. Im Zweifelsfall würde ich allerdings auch hier eher zu einer "herkömmlichen" Aufnahme greifen - z.B. George Szell.


    Ein deutliches Stück voran gebracht hat mich die Interpretation des Violinkonzertes. Solistin war Isabelle Faust. Sehr ausdrucksstark, in den ruhigen Passagen teilweise extrem leise und diffizil. Als Kadenz hatte sie die originale Beethoven-Kadenz gewählt, die ich erstmals hören durfte. Als Zugabe gab sie eine Miniatur von György Kurtág. Ich dachte noch, den Namen kannst du dir sicher merken. Denkste! Aber beeindruckend!


    Das Publikum goutierte jedes der drei Werke mit frenetischem Applaus und Bravo-Rufen.


    Insgesamt wiederum ein gelungener Abend, der mich neugierig auf die Fortsetzung macht. Dennoch bleibe ich grundsätzlich bei "zeitgenössischen" Interpretationen und Instrumentierungen. Es geht mir dabei wie nach einem guten vegetarischen Essen - anschließend habe ich Appetit auf ein Stück Fleisch.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Konzerte von Martha Argerich haben offensichtlich Event-Charakter, jedenfalls hier in Stuttgart. So viele Ovationen, Blumensträuße und Autogrammwünsche am Bühnenrand habe ich jedenfalls noch nicht erlebt. In der ausverkauften Liederhalle bot sie gemeinsam mit Langzeit-Partner Mischa Maisky ein Programm, das sich ausschließlich der Musik des 19. Jahrhunderts widmete.


    Los ging es mit Schuberts Arpeggione Sonate und Beethovens Sonate op. 5/2. Nach der Pause dann von Cesar Franck die Cellosonate. Falls jemand - wie ich - nicht wusste, das es eine Cellosonate des französichen Komponisten überhaupt gibt, es handelt sich um eine Transkription der Violinsonate, die vom Komponisten selbst vorgenommen wurde und somit autorisiert ist.


    Maisky und Argerich sind natürlich ein eingespieltes Team, das bestens aufeinander zu hören weiß und wunderbar gemeinsam gestaltet. Alle Stücke wurden IMO gelungen interpretiert. Maisky, den ich zum ersten Mal live erlebt habe, ist ein hochmusikalischer Cellist, auch wenn ihm nicht (mehr) die atemberaubende technische Perfektion einer Sol Gabetta oder Alisa Weilerstein zur Verfügung steht. Es war ein Genuss, den beiden von der 6. Reihe aus zuzuhören und zuzusehen. Dank an Tamino WoKa, der das möglich gemacht hat.


    Es gab insgesamt vier (!) Zugaben (Schostakowitsch, 2 Brahms und ?), so dass das Konzert fast 2h 45min dauerte, auch das habe ich lange nicht mehr erlebt.


  • Gestern hatte ich das erste Mal das Vergnügen, im Rahmen des diesjährigen Emil Gilels-Festivals in Freiburg einen der Pianisten der Stunde zu erleben: Grigori Sokolov. Und ich kann sagen: ich wurde durchaus überrascht! Leider dergestalt, daß ich mich den immer und überall über Sokolov zu lesenden bedingungslosen Jubelarien nicht 100%ig anschließen wollte. Meine Erwartungshaltung deckte sich mithin nicht ganz mit dem Erlebten.


    Auf dem Programm des Abends standen:



    Robert Schumann - Arabeske, op. 18
    Robert Schumann - Fantasie in C-dur, op. 17


    Pause


    Frédéric Chopin - 2 Nocturnes in B-dur / As-dur, op. 32
    Frédéric Chopin - Klaviersonate Nr. 2 in b-moll, op. 35



    Wie schon lose angedeutet zog sich durch fast alle an diesem Abend gespielten Stücke ein leider recht störender roter Faden: allzuoft schien Sokolov ebendiesen im strukturellen Klein-Klein des Werks aus dem Blick zu verlieren. Einzelne Gedanken arbeitete er höchst kunstvoll aus, vernachlässigte dabei aber den jeweils nächsten - und damit den vielbeschworenen Spannungsbogen. Das ergab nicht selten das Bild eines Klangmosaiks, dessen fein gearbeitete Einzelteile sich zum Schluss nicht passgenau zu einem Großen Ganzen fügen mögen.


    Hinzu konnte ich auch seinen agogischen Ideen manches Mal nicht unbedingt folgen, einiges schien mir da ein wenig überromantisiert - ohne allerdings Züge des Manieristischen zu tragen. Sokolovs Spiel schien wahrhaft und verinnerlicht: zuweilen wirkte sein Vortrag so intim, als belausche man ihn beim Klavierspiel im eigenen Wohnzimmer. So ergaben sich durchaus fesselnde Momente - aber eben 'nur' Momente.


    Dennoch soll das hier gesagte nicht zu negativ klingen: ich sehe den Besuch von Sokolovs Konzert durchaus als großen Gewinn. Zu groß war das Staunen, das seine sonstigen pianistischen Fähigkeiten bei mir auslösten: der Nuancenreichtum seines Spiels, die Vielfalt an Klangfarben, und natürlich seine technischen Fähigkeiten. Vor allem aber konnte mich Sokolovs schlicht überragender Anschlag begeistern: vom körperlos aus dem Nichts entstehenden Piano bis zur großen Pranke war alles von Geist und Kultur durchdrungen, wie sie ihresgleichen suchen.


    Mein persönlicher Höhepunkt des Abends war Chopins als 4. Zugabe gespieltes Regentropfen-Prélude, das in seiner rhythmischen und thematischen Einheitlichkeit die oben beschriebenen vermeintlichen Nachteile in Sokolovs Spiel kaum zum tragen kommen ließ - dessen Vorzüge aber umso mehr! Drumherum gab es noch fünf andere Zugaben, die ich u. a. als Schubert und Debussy meinte identifizieren zu können, hier ohne Blick in die morgige Zeitung aber nicht genau bezeichnen kann.


    Abschließend kann ich festhalten, daß ich morgen vermutlich nicht direkt wieder in ein Sokolov-Konzert eilen würde, aber eine deutliche Bereicherung hat meine Konzertgänger-Karriere gestern sicherlich erfahren.

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