Ragna Schirmer - es muss nicht immer Stadtfeld sein

  • Diese Aufnahme kann ich nur loben und bin froh, sie zu haben! Die Beethoven-Etüden sind wirklich eine Entdeckung - in der Gesamteinspielung aller Schumann-Klavierwerke von Jörg Demus fehlen sie! Bei den - bekannten - Symphonischen Etüden gräbt sie eine mir bislang unbekannte posthum veröffentlichte Variation aus. Sie hat sich sehr viel Gedanken über die Reihenfolge der einzelnen Etüden gemacht - Schumann hat daran ja immer wieder herumgedoktort. Für mich ist das die schlüssigste Anordnung, die ich bislang gehört habe. Auch interpretatorisch ist das sehr gut. Variation VII z.B., da merkt man ihre Erfahrung mit Händel und Bach. Hervorragend!


    Beim Konzert hier in der Oetker-Halle am letzten Freitag, wo sie Beethovens 5. Klavierkonzert spielte, kam sie in der Pause zum Signieren ihrer CDs - sehr sympathisch, man kann sich mit ihr sehr anregend über Musik unterhalten. Eine ungemein freundliche und natürliche, wirklich nette Person!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ragna Schirmer habe ich vor etlichen Jahren an meinem damaligen Wohnort, einem kleinen Dorf, als "Ersatz" für, ich glaube, Elena Bashkirova, erlebt, was sich dann natürlich nicht als Ersatz herausstellte. Es war ein großartiger Abend, im Privatgehöft eines großen Musikliebhabers, der dann Jahre später ein eigenes Konzerttheater baute.
    In diesem traf ich sie dann Jahre später wieder in einem Schumann-Abend der besonderen Art, als sie als "Clara Schumann" am Flügel Stücke von Schumann spielte und sich abwechselte mit Dominique Horwitz, der als "Robert Schumann" Liebesbriefe an seine Frau vorlas. Dieser reagierte großartig, als eine Hustenattacke im Saal entstand. Er stand auf, und mit den Worten: "Es wird kalt, die Leute auf der Stiege husten schon. Ich schließe das Fenster"- Prompt wurde das Husten weniger.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe gezögert, ob ich die kürzlich erworbene CD im thread zu den Années de pelerinage vorstelle, oder hier, aber mir schien dieser thread die bessere Wahl, weil es nicht um einen detaillierten Hörvergleich geht, sondern eine erste Einschätzung der Konzeption und aufwändigen Aufmachung.


    Ausgangspunkt für die Entstehung dieser originellen Zusammenstellung ist ein Beitrag, den Rang Schirmer zum 200. Geburtstag Liszts leisten wollte. Man kann erkennen, die CD ist nicht mehr ganz neu. Aber nun war sie für mich, der ich eine Reihe von Einspielungen der Années (Berman, Bolet, Brendel, Cziffra, Korstick) besitze im erschwinglichen Preisbereich. Die Idee ist interessant: eine Pilgerreise zu den Stätten und Werken, die Liszt "vertonte". In einem aufwendig gestalteten Beiheft hält sie einige Eindrücke verbal und in Photographien fest. Die einzelne Werke des Zyklus werden immer wieder von Madrigalen des Carlo Gesualdo (1566-1613) aus Neapel und Luca Marenzio (1553-1599) unterbrochen, die Liszts Begeisterung für die Kunst der Renaissance vor Augen führen sollen. Das ist insbesondere im zweiten Zyklus sehr passen, an anderen Stellen geht die Einheit des Zyklus imO dadurch zu sehr verloren. Aber eine Interessante Kombination ist es allemal.
    Eine Kurzeinschätzung der Zyklen, nach dem ersten Hören
    Schweiz: Eine sich wunderbar choralhaft öffnendes Chapelle du Guillaume Tell, insgesamt sehr strukturiert und mir mitunter etwas zu harmlos (z. B. bei Orage und Obermann). Phantastisch gelungen imO das klagend-melancholische Heimweh.
    Italien: ebenfalls klar strukturierte Interpretationen, aber intim, verinnerlicht, vorbildlich. Hier ist die Kombination mit den Vokalwerken (phantastisch hier das Ensemble amacord) in besonderer Weise gelungen.
    Drittes Jahr: etwas heterogen, aber unter anderem ein mich vollkommen bewegendes sursum Corda.
    Auffallend die große Treue zum Notentext, auch wenn ich mir manchmal das Ausreizen des dynamischen Spektrum von Liszt vermisse (aber wie laut "muss" schon ein ff sein, wie leise ein pp?). Ich persönlich mag bei einigen Werken einfach die Extreme. Ich würde aber vermuten, dass ich an dieser Einspielung die Perlen der Aha-Momente erst nach ein paar Mal hören herausfiltern kann. Sie zielt nicht auf Überwältigung, sondern (zu?) sorgsame Erschließung. Nach dem ersten Hören hat mich ihre Schumann-Einspielung mehr überzeugt. Aber ich werde sie in nächster Zeit wiederholt hören.


    Mit bestem Gruß
    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Ich habe gezögert, ob ich die kürzlich erworbene CD im thread zu den Années de pelerinage vorstelle, oder hier, aber mir schien dieser thread die bessere Wahl, weil es nicht um einen detaillierten Hörvergleich geht, sondern eine erste Einschätzung der Konzeption und aufwändigen Aufmachung.

    Lieber Jörn,


    mit Ragna Schirmer hatte ich mich mal in der Konzertpause, wo sie in der Bielefelder Oetker-Halle Beethovens 5. Klavierkonzert spielte, gerade auch über Liszts "Annees..." sehr nett unterhalten. Die Anschaffung ist also längst überfällig.



    Die einzelne Werke des Zyklus werden immer wieder von Madrigalen des Carlo Gesualdo (1566-1613) aus Neapel und Luca Marenzio (1553-1599) unterbrochen, die Liszts Begeisterung für die Kunst der Renaissance vor Augen führen sollen. Das ist insbesondere im zweiten Zyklus sehr passen, an anderen Stellen geht die Einheit des Zyklus imO dadurch zu sehr verloren.

    Letzteren Zweifel hatte ich auch - aber für solche ungewöhnlichen Konzepte, die Perspektiven eröffnen, bin ich natürlich immer zu haben! :)


    Ich hoffe, ich finde demnächst endlich wieder mehr Zeit zum Musikhören und auch zur Fortführung unseres schönen Liszt-Projektes!


    Herzliche Grüße zum Sonntag
    Holger

  • Zitat Holger Kaletha

    Zitat

    Ich hoffe, ich finde demnächst endlich wieder mehr Zeit zum Musikhören und auch zur Fortführung unseres schönen Liszt-Projektes!


    Lieber Holger,


    entschuldige bitte meine verspätete Reaktion, ich sitze meist auch bis spät abends am Schreibtisch, so dass mir meist nur noch ein kurzes Hören vor dem Schlafengehen vergönnt ist. Aber das wird auch wieder besser, dann setzen wir Liszt fort.


    Sei herzlich gegrüßt
    Jörn

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

  • Tamino XBeethoven_Moedling Banner
  • Vor einiger Zeit stand hier ein kurzer Eindruck der Liszt-Konzeptaufnahme von Ragna Schirmer im thread, ich persönlich mag diese Pianistin nicht zuletzt durch ihren unablässigen Einsatz für Clara Schumann (z. b. mit den Bühnen in Halle Clara. Ein Spiel für Ragna Schirmer und Puppen, wirklich grandios) , oder ihren unablässigen pädagogischen Einsatz im Bereich des frühen Klavierspiels.

    Ich möchte hier auf eine Aufnahme aufmerksam machen, die man ebenfalls den Bereich der Konzeptaufnahmen brächte: Liebe in Variationen.


    Darin spürt sie auf einem Blüthner von 1856 musikalisch der Dreierkonstellation, Schumann, Clara und Robert und Johannes Brahms nach. Anlass war der 175. Hochzeitstag von Vlara und Robert am 12. September 2015. Musikalisch äußert sich das wie folgt:


    Clara Schumann: Romance variee op. 3 (Robert Schumann gewidmet); Variationen op. 20 über ein Thema von Robert Schumann
    Robert Schumann: Impromptus op. 5 über eine Romanze von Clara Wieck

    Brahms: Variationen op. 9 über ein Thema von Robert Schumann


    Die Idee ist kurz gesagt, das persönliche Beziehungsgeflecht im Musikalischen hörbar zu machen. Mir gefällt die Idee, auch wenn ich nicht sicher bin, ob sie aufgeht. Natürlich ist Musik auch persönlicher Ausdruck, dennoch muss eine musikalische Bezugnahme nicht zwingend etwas über Persönliches aussagen, kann vielmehr immer auch auf der Ebene des Spielerischen liegen. Unabhängig davon ist der Ansatz, auf dem Blüthner zu spielen sehr gut, die Musik fließt nicht so geradlinig dahin, wie auf einem mechanisch topaktuellen Flügel, aber das muss sie m. E. auch nicht. Schirmer, die selbst einige historische Instrumente besitzt (ich hörte sie einmal an einem Abend auf verschiedenen historischen Instrumenten, die sie alle gleichermaßen beherrschte), schafft es immer wieder die Bezugsmomente zwischen den Werken auch für Laien wie mich hörbar zu machen. Insofern halte ich die Aufnahme für ein Paradebeispiel einer gut durchdachten Aufnahme, die keine Erweiterung des Repertoires oder radikal neue Lesart bekannter Stücke zum Inhalt hat, sondern vielmehr den Verbindungen zwischen bekannten Werken nachspürt. Mir persönlich gefällt dieser kluge Ansatz, den eine sehr kluge und historisch bestens informierte Pianistin hier vorträgt.


    ja, die Aufnahme ist nicht mehr topaktuell, aber mir war danach, auf sie hinzuweisen,

    Herzliche Sonntagsgrüße

    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
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  • Ragna Schirmer mit der wir beim Heilbronner Sinfonieorchester eine Reihe von Konzerten hatten ist eine fabelhafte Pianistin, eine großartige Persönlichkeit und die verbindlichste, pflegeleichteste Partnerin, die Orchester und Veranstalter haben können. So eine Häufung positiver Eigenschaften ist bei einer Solistin dieses Ranges selten zu konstatieren. Also eine Ausnahmekünstlerin.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Hallo,


    ich hatte damals Ragna Schirmer mit Bachs Goldberg-Variationen in der Düsseldorfer Tonhalle live erlebt und habe ihre Aufnahmen einer großen Auswahl der Händelschen ‚Klavier‘-Suiten (Berlin Classics). Sie ist eine exzellente und bescheidene Künstlerin, keine Frage. Ich empfinde bei ihrem Spiel einen gewissen Akademismus. Es kommt eine gewisse Langeweile auf. So höre ich die Händel-Suiten auf dem modernen Flügel nur noch mit Lisa Smirnova (ECM). Die Sonorität und Phrasierung sowie dynamische Breite ist doch eine ganz andere.


    LG Siamak

  • Die Idee ist kurz gesagt, das persönliche Beziehungsgeflecht im Musikalischen hörbar zu machen.

    Ich hatte vor ein paar Jahren das Vergnügen, dieses Programm von Ragna Schirmer in einem kleinen Konzert hören zu dürfen. Das Schöne dabei ist, dass sie eigentlich die ganzen Zusammenhänge erklärt und damit auch die Reihenfolge des Programmes transparent macht. Langeweile ist dabei nicht aufgekommen. Ob sie diese Konzerte noch gibt, weiß ich nicht.

  • sie gibt / gab solche Konzerte noch, ich hatte in Leipzig ebenjener mit den verschiedenen Flügeln gehört, das in der Anatomie der Universität stattfand und mir in sehr guter Erinnerung geblieben ist. Sie präsentiert sich auch im Konzert als Pädagogin, und zwar eine im besten Sinne. Ich persönlich habe den Eindruck, dass ihr die Werke der Romantik eher liegen als beispielsweise Händel, aber das müsste man anhand von Aufnahmen prüfen. Sie ist aus meiner Sicht zweifellos eine Bereicherung des Konzertlebens und die positivenErfahrungen, die operus geschildert hat, sprechen doch ganz für sich.

    Beste Grüße

    JLang

    Gute Opern zu hören, versäume nie
    (R. Schumann, Musikalische Haus- und Lebensregeln)

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