Maurizio Pollini - Grenzgänger zwischen Romantik und Moderne



  • Bereits vor einem Jahr erschien eine 8 CD-Box mit
    sämtlichen Klaviersonaten von Beethoven mit Pollini,
    der sie von 1975 bis 2014 eingespielt hat.


    Bei JPC gibt es die Box aktuell für nur 21,99 Euro.

    mfG
    Michael

  • Bereits vor einem Jahr erschien eine 8 CD-Box mit
    sämtlichen Klaviersonaten von Beethoven mit Pollini,
    der sie von 1975 bis 2014 eingespielt hat.


    Bei JPC gibt es die Box aktuell für nur 21,99 Euro.


    Da kann ich nur empfehlen: Kaufen! Ich habe natürlich über die Jahre die nach und nach erschienenen Einzel-CDs gesammelt. :hello:

  • Da kann ich nur empfehlen: Kaufen! Ich habe natürlich über die Jahre die nach und nach erschienenen Einzel-CDs gesammelt.


    Dieser Empfehlung bin ich nachgekommen, ein sensationeller Preis. Ich hatte bisher nur die letzten fünf Sonaten. Gerade höre ich op. 2.1. Was für ein wunderbares Klavierspiel. Ich wünsche Dir schöne Festtage und einen guten Rutsch. :hello:

  • Ich wünsche Dir schöne Festtage und einen guten Rutsch. :hello:


    Den Wunsch erwidere ich gerne (und freue mich natürlich, dass ich zu Deinem glücklichen Pollini-Kauf etwas beitragen konnte :) ) - frohes Feiern und ein feucht-fröhliches Hinübergleiten ins neue Jahr! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Dieser Empfehlung bin ich nachgekommen, ein sensationeller Preis. Ich hatte bisher nur die letzten fünf Sonaten. Gerade höre ich op. 2.1. Was für ein wunderbares Klavierspiel. [...]


    Auch ich konnte der Empfehlung nicht widerstehen, habe die Box gekauft und mir "die kleine Apassionata" angehört. Allerdings, ich gebe es zu, finde ich Pollini hier nicht sehr überzeugend. Anders, als Holger oder auch Willi (man vergleiche seinen formidablen Thread Beethoven: Klaviersonate Nr. 1 f-moll op. 2 Nr. 1, CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)) bin ich kein solcher Kenner im Bereich der Klaviermusik im allgemeinen oder der Beethoven-Sonaten im speziellen, weshalb ich lediglich meine sehr persönlichen Höreindrücke schildern kann:


    Mir kommt die Einspielung von Beginn an seltsam verschwommen vor und mir ist nicht klar, ob dies an der Aufnahme(technik) oder an Pollini liegt. Er scheint mir z.B. im ersten Satz sehr über die Töne hinweg zu huschen, so dass sich der Klang nicht gut entfaltet.Die Mittelsätze empfinde ich zwar einigermaßen gelungen, aber irgendwie auch etwas beiläufig musiziert. Der letzte Satz schließlich gefällt mir am allerwenigsten; und ich muss mich bremsen, um nicht zu behaupten, Pollini spiele hier im forte geradezu "krawallig" oder zumindest "rumpelig". Leider habe ich nicht allzuviel Vergleichsmöglichkeiten, aber immerhin konnte ich auf die spätere Brendel-Aufnahme (Philips) und Wilhelm Backhaus (Decca) zurückgreifen. Beide Aufnahmen gefallen mir (aus unterschiedlichen Gründen) besser: Bei Brendel höre ich z.B. im ersten Satz fast etwas gespenstisches. Allgemein erscheint mir sein Ansatz geradezu grüblerisch - was nicht unbedingt ein Qualitätsmerkmal sein muss, mir jedoch mehr zusagt. Ich höre die Töne bzw. Akzente bei ihm besser, wenngleich er im letzten Satz vielleicht etwas übertreibt und im forte zu sehr à la op.67 an die Türpforte pocht. Bei Backhaus wird die Sonate plötzlich vollkommen transparent und einfach. Wohl nicht nur durch die fehlenden Wiederholungen (Backhaus kommt, auf eine Gesamtspielzeit von ca. 13 Minuten, Brendel benötigt wie Pollini um die 20 Minuten) bekommt das Stück eine Stringenz vom ersten bis zum letzten Ton.
    Schließlich empfinde ich in der Pollini-Einspielung die - gegen Ende zunehmenden - Atemgeräusche (so es denn welche sind) als störend (bei mir kein grundsätzliches Problem, kann hervorragend mit Gould mitsummen ...). Und ich frage mich, ob der Maestro in der Aufnahmesitzung tatsächlich so ergriffen gewesen ist oder ob er einfach nur einen Schnupfen hatte :untertauch:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Interessant, lieber Michael,


    finde ich deine Vergleiche Pollinis mit Brendel und Backhaus.
    Ich habe eben nochmal auf meiner Bewertungstabelle nachgesehen und da vorgefunden, dass ich die Pollini-Aufnahme mit der frühen und der späten Aufnahme Brendels gleichgesetzt habe, während ich die mittlere Brendel-Aufnahme auf einem etwas höheren Niveau gesehen habe. An John Lill und Solomon, aber auch an Swjatoslaw Richter und Bruno Leonardo Gelber kamen allerdings in meinen Betrachtungen sowohl Brednel als auch Pollini nicht heran. Bei Backhaus bin ich allerdings zu einem völlig anderen Ergebnis gekommen, und das fällt für Backhaus leider nicht günstig aus:


    Beethoven: Klaviersonate Nr. 1 f-moll op. 2 Nr. 1, CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


    Liebe Grüße


    Willl :)


    (Backhaus steht direkt unter der Rezension von Solomons Aufnahme, so dass du beide Texte schön vergleichen kannst

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Mir kommt die Einspielung von Beginn an seltsam verschwommen vor und mir ist nicht klar, ob dies an der Aufnahme(technik) oder an Pollini liegt. Er scheint mir z.B. im ersten Satz sehr über die Töne hinweg zu huschen, so dass sich der Klang nicht gut entfaltet.Die Mittelsätze empfinde ich zwar einigermaßen gelungen, aber irgendwie auch etwas beiläufig musiziert.

    Lieber Michael,


    es gibt Gesamteinspielungen, die sozusagen in einem Rutsch gemacht werden (Barenboim usw.) und solche, die über Jahrzehnte entstehen wie Gilels oder Pollini. Zwischen Polinis erster Aufnahme - das sind die späten Sonaten op. 101-111 - und seiner letzten liegen 40 (!) Jahre, also ein halbes Leben! Dann spiegelt eine solche Einspielung natürlich den Wandel der Beethoven-Sicht des Pianisten und auch seiner Pianistik. Du hast zwar mit der allerersten Klaviersonate angefangen - aber das ist eine der allerletzten Aufnahmen von Pollini. Da wirst Du dann mit Pollinis "Spätstil" konfrontiert, der in der Tat manchmal etwas "unscharf" ist und weniger präziös als früher (z.B. die Oktaven in op. 2 Nr. 2), fließend und betont unauffällig. Was Du "beiläufig" nennst, ist dieses gewollte Unprätentiöse des späten Pollini, auf jede Rhetorik zu verzichten, die etwas "auffällig" machen könnte: Reduktion auf das Wesentliche und Nötigste, stets den natürlichen Fluß von Musik wahrend. Ich finde, dass dieser Ansatz bei op. 2 Nr. 1 aufgeht. Das ist ja nun Beethovens erste Klaviersonate und man muß sie nicht mit romantischer Bedeutungsschwere aufladen, wie das Brendel etwa tut. Wenn Du Dich in Pollinis Beethoven einhörst, solltest Du etwa op. 101 hören, die Sturmsonate und Waldsteinsonate und die "große" Appassionata - das ist ein Pollini-Glanzlicht. Von der Sturmsonate gibt es sogar zwei Aufnahmen - die frühere und die späte zum Vergleich. Seine letzte CD mit op. 31 ist wirklich sehr gelungen!


    Die Aufnahmetechnik ist bei Klavier immer problematisch - unter Tontechnikern gelten Klavieraufnahmen nicht ohne Grund als schwierig. Bei frühen Pollini-Aufnahmen ist oft das Problem, dass die DGG den Flügel sehr weit weg vom Hörerstandort platziert hat. Da sind die späten Aufnahmen viel besser - wenn die Mikros allerdings sehr nahe am Instrument aufgestellt werden, bekommt man dann eben auch die Atemgeräusche mit.


    Zur Problematik von Pollinis Spätstil lese mal meinen Beitrag 68 - zu seiner zweiten Aufnahme der Chopin-Preludes! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Willi, lieber Holger,


    vielen Dank für Eure erhellenden Antworten auf die "Einlassungen eines Diletanten". Gerne werde ich Euren Empfehlungen nachgehen, die Rezension zur Backhaus-Aufnahme lesen und weitere Sonaten unter Pollini hören.


    Wenn Du Dich in Pollinis Beethoven einhörst, solltest Du etwa op. 101 hören,


    Tatsächlich gefiel mir diese auch immer sehr gut, denn einer meiner sehr frühen CDs war (allerdings gekauft wg. der "Wanderer"-Fantasie") dieser inzwischen vergriffene Sampler.


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    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Tatsächlich gefiel mir diese auch immer sehr gut, denn einer meiner sehr frühen CDs war (allerdings gekauft wg. der "Wanderer"-Fantasie") dieser ( <-- hier klicken) inzwischen vergriffene Sampler.


    Lieber Michael,


    Du reizt mich, mal eine Komplettbesprechung von Pollinis Beethoven zu machen - bei so einer Aufnahme, die über Jahrzehnte geht, ist das natürlich spannend. (Im Moment fehlt mir leider die Zeit für solche Projekte!) Schade, dass er die letzten Sonaten nicht auch nochmals aufgenonnen hat! Der Schubert ist eine Jahrhundertaufnahme! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Wenn du dich in Pollinis Beethoven einhörst, solltest du etwa op. 101 hören.

    Das kann ich nur bestätigen. Pollini (1977), gehört ebenso wie Richter (1965), Sokolov (1991) und Uchida (2007) zu meinen Referenzen des op. 101 (Nr. 28).



    Zitat

    Dr. Holger Kaletha: Schade, dass er die letzten Sonaten nicht auch nochmals aufgenonnen hat! Der Schubert ist eine Jahrhundertaufnahme! :)

    Pollini wird in wenigen Tagen (5. 1. 2016) "erst" 74 Jahre, da ist es durchaus möglich, dass er sich nochmal an die späten Sonaten heranwagt ("Man gönnt sich ja sonst nichts" :D ).



    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Eure erhellenden Antworten auf die "Einlassungen eines Diletanten".

    P.S. ... aber eines "Dilettanten" mit sehr viel trefflichem Gespür für die wesentlichen Dinge! :D Pollini gehört zu den großen Pianisten mit eigener Klangästhetik. Er erzeugt immer ein sehr ästhetisches "Kontinuum". Im einen oder anderen Fall kann es aber auch sein, dass genau das nicht so ganz paßt. Aber solche "Schwankungen" gibt es letztlich bei jeder GA von Beethoven-Klaviersonaten mit ihrer ungeheuren Vielfältigkeit, welche wieder auf die besonderen Dispositionen der Interpreten trifft. Selbst dann, wenn es mal nicht völligen Einklang und Einstimmigkeit gibt mit gewissen Reibungen, haben die großen Interpreten, zu denen Pollini natürlich unzweifelhaft gehört, dann doch immer noch etwas Eigenes zu sagen. :hello:



    Pollini wird in wenigen Tagen (5. 1. 2016) "erst" 74 Jahre, da ist es durchaus möglich, dass er sich nochmal an die späten Sonaten heranwagt ("Man gönnt sich ja sonst nichts" :D ).

    Das wäre zu wünschen. Im Konzert spielt er sie ja - vielleicht dann als Live-Mitschnitt! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Durch Zufall bin ich heute morgen auf den folgenden Mitschnitts von Beethovens op. 111 gestoßen, 1998 in Tokio von Maurizio Pollini gespielt, und möchte nicht versäumen, den mit Euch zu teilen:


    You Tube meldet

    Video nicht verfügbar

    Dieses Video ist nicht mehr verfügbar, weil das mit diesem Video verknüpfte YouTube-Konto gekündigt wurde.



    Wie ich finde ein wunderbares Zeugnis der Pollini eigenen Art, mit Kraft, Stringenz und klarem Blick die Werkstrukturen zu erarbeiten und sich dennoch (bzw. dadurch!) als intimer Kenner der Tiefen der Beethoven'schen Seele zu erweisen, ohne je ins Gefühlsduselige abzugleiten.

  • Hallo Tobias!


    Vielen Dank für diesen tollen Link. Ich habe die letzte Klaviersonate noch nie so eindrücklich wahrgenommen wie hier. :jubel:


    Immer wieder bin ich perplex im 2. Satz: Beethoven als Erfinder des Boogie Woogie! 8-)


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Vielen Dank für diesen tollen Link. Ich habe die letzte Klaviersonate noch nie so eindrücklich wahrgenommen wie hier. :jubel:


    Moin WoKa! :)


    Ich freue mich, daß Die die Aufnahme so zusagt! Pollini war nicht nur schon immer einer meiner (wenn nicht der) bevorzugten Beethoven-Interpreten, sondern seinerzeit mit ein Auslöser, mich weiter halbwegs intensiv mit klassischer Musik zu beschäftigen. Ich bekenne allerdings, daß ich erst relativ spät Zugang zu Beethovens op. 111 gefunden habe. Lange hat mir diese Sonate nicht sonderlich viel bedeutet, bis ich eines Tages Igor Levit die Arietta habe live spielen hören: da hat es dann 'klick' gemacht!


    Demzufolge wüsste ich im Moment keine fundierte Aussage darüber zu treffen, wer nun den größten Eindruck auf mich macht(e). Ich werde wohl recht viele Aufnahmen noch einmal hören (müssen), um das beurteilen zu können. Früher oder später wird es sicher so weit sein. Vermutlich wird sich Pollini aber auch da auf den ganz vorderen Plätzen wiederfinden... :)

  • Hallo!


    Ich werde Pollini vermutlich am 14.2. erstmals live erleben. In der Stuttgarter Liederhalle bietet er folgendes Programm:


    Chopin:
    Prelude cis-Moll op. 45
    Barcarolle Fis-Dur op.60
    Nocturnes op. 55/1-2
    Polonaise-Fantaisie As-Dur op. 61
    Scherzo Nr. 3 cis-Moll op. 39
    Debussy:
    Prelude Heft II


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

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  • Angekündigt für den 27. Januar 2017:



    Programm:


    1. Barcarolle In F Sharp Major, Op. 60
    2. No. 1 In A Minor. Moderato (3 Mazurkas, Op. 59)
    3. No. 2 In A Flat Major. Allegretto (3 Mazurkas, Op. 59)
    4. No. 3 In F Sharp Minor. Vivace (3 Mazurkas, Op. 59)
    5. Polonaise-Fantaisie In A Flat Major, Op. 61
    6. No. 1 In B Major. Andante (2 Nocturnes, Op. 62)
    7. No. 2 In E Major. Lento (2 Nocturnes, Op. 62)
    8. No. 1 In B Major. Vivace (3 Mazurkas, Op. 63)
    9. No. 2 In F Minor. Lento (3 Mazurkas, Op. 63)
    10. No. 3 In C Sharp Minor. Allegretto (3 Mazurkas, Op. 63)
    11. No. 1 In D Flat Major. Molto Vivace (3 Valses, Op. 64)
    12. No. 2 In C Sharp Minor. Tempo Giusto (3 Valses, Op. 64)
    13. No. 3 In A Flat Major. Moderato (3 Valses, Op. 64)
    14. No. 4 Andantino (Mazurka In F Minor, Op. Posth. 68)


    :) :) :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich bin schon ganz gespannt auf das Programm, das er am 10. 2. 2017 in Köln spielen wird. Vielleicht ist ja etwas von der avisierten CD dabei.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Wenn man diese Chopin-Platte von Maurizio Pollini hört, die er sich wohl selbst zum 75. Geburtstag geschenkt hat, dann vernimmt man reifes Klavierspiel, das Altersmilde verströmt. Pollini verzichtet auf jegliche Kraftakte am Klavier, auf heroische Gesten, auf scharfe Kontraste, auf Detailfanatismus. Da ist er wieder, Pollinis Spätstil, die Musik in Fluss zu bringen und vor allem immer im Fluss zu halten. Man meint, je älter er wird, desto flüssig entspannter spielt er, was sich auch anhand der Aufnahmezeiten dokumentieren lässt. Es gibt nun zwei Arten, wie man diese Pollini-Platte hören und auch kommentieren kann. Hört man wie man so schön sagt das Programm einfach „durch“, dann ist Pollinis Vortrag an Souveränität und Geschlossenheit kaum zu überbieten. Pollini gestaltet seinen Chopin immer treffsicher, kann eine kleine Mazurka ebenso überzeugend dezent zum Tänzeln bringen wie auch die Polonaise-Fantasie umsichtig und dramatisch schlüssig erzählen. Dazu kommt sein schöner, voller und „feuchter“ Ton, der Chopins Musik nie zur spröden Oberflächenbrillanz austrocknet. Nimmt man sich allerdings die einzelnen Programmpunkte vor und vergleicht, reißt sie also aus dem Kontext des Albums, dann, ja dann, kommt man ins Grübeln. Die Barcarolle gehört zu Pollinis gelungensten Interpretationen. Auch in dieser Aufnahme schafft es der Meister, den wiegenden Rhythmus zugleich feinsinnig herauszuarbeiten, ohne den musikalischen Fluss ins Stocken geraten zu lassen. Die drei Mazurken klingen idiomatisch treffsicher – doch, hört man zum Vergleich Artur Rubinsteins letzte RCA-Aufnahme, dann ist man verblüfft. Bei Rubinstein vernimmt man fast schon an Beethoven gemahnende Frage-Antwort-Strukturen in der Phrasierung. Wo Rubinstein gliedert, phrasiert, kontrastiert, spielt Pollini einen die Einzelheiten zusammenschmelzenden melodischen Bogen, „italianisiert“ Chopin also sanft, interessiert sich mehr für die schön-traurigen Melismen als Charaktervielfalt auf engstem Raum. Wo Chopin selber solche Melismen tieftraurig aufs Klavier haucht wie in der Mazurka op. 68, vermag Pollini dann auch den Hörer restlos zu beeindrucken. Noch einmal aufschlussreich ist der Vergleich mit Rubinstein beim Walzer op. 64 Nr. 2. Rubinstein zeigt geradezu aufregend, dass es in einer Phrase zwei verschiedene Walzer-Rhythmen gibt, die in Pollinis Klang-Kontinuum einfach verschwinden. Wo Pollinis Spätstil für meinen Geschmack wirklich einen interpretatorischen Meilenstein gesetzt hat, ist bei den Nocturnes. Hier zeigt sein Ansatz, die Musik in Fluss zu bringen, dass die Nachtstücke nicht nur biedermeierlich gemütliche Stimmungsbildchen sind, sondern im Lyrischen ein dramatischer Puls steckt. Bezeichnend ist Pollini in dieser letzten Aufnahme bei beiden Nocturnes op. 62 genau 15 Sekunden geschwinder als in der älteren Gesamtaufnahme. Doch genau diese 15 Sekunden sind einfach zuviel! Die Feinheit, die fragile Balance von In-sich-Ruhen und leisem Vorwärtsdrang aus der früheren Einspielung, sie geht damit verloren. So wirkt dann das bezaubernd schöne Nocturne op. 62 Nr. 1 doch leicht unpersönlich und fast schon ein bisschen ernüchtert, so dass kein impressionistischer Zauber entstehen will. Hier lohnt es sich wirklich, Pollini mit Pollini zu vergleichen. Das Meisterstück seiner Gesamtaufnahme kann der Meister hier nicht ganz erreichen, finde ich. 1 Min. 45 Sekunden zügiger ist er in der Polonaise-Fantasie. Auch hier überzeugt mich die alte Aufnahme mehr. Dort nämlich hat pianistische Kraft Bedeutung, der heroische, aufrührerische Gestus, die balladenhaften Kontraste von Lyrischem und Dramatischen, sie kommen beim Pollini von einst zur Geltung. Heute sind sie einem altersmilden, freilich den Hörer durchaus einnehmenden Erzählton gewichen. Irgendwie haben Pollinis Neuaufnahmen Kontinuität. Über seine zweite Aufnahme der Prélude schrieb ich, dass hier die Einzelstücke wie in einem bunten Glasfenster zu Teilen eines Ganzen werden, also Integration und nicht die akribische Einzelzeichnung dominiert. Genau so ist es auch hier! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich komme noch mal zurück auf meinen Konzertbesuch vom letzten Freitag, wovon ich noch den Kurzbericht zur h-moll-Sonate nachliefern muss, aber es bisher aus anderen Gründen nicht konnte.
    Pollini hat ganz sicher noch eine profunde Technik an den Tag bzw. Abend gelegt, aber keienswegs introvertiert gespielt. Er hatte alles, vom überragenden Pianospiel bis zu veritablen Forti und Fortissimi und ein berückendes Legato. Das war mitreißend uund extroviertiert.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Er hatte alles, vom überragenden Pianospiel bis zu veritablen Forti und Fortissimi und ein berückendes Legato. Das war mitreißend uund extroviertiert.


    Lieber Willi,


    in der Kölner Philharmonie habe ich Pollini ja auch erlebt, lieber Willi. Ich kenne ihn aber noch aus dem Konzert in den 70iger Jahren. Damals hat er wirklich unglaubliche Kräfte auf dem Flügel bewegt, dass es (ich saß damals auf dem Podium im Düsseldorfer Schumann-Saal, der inzwischen abgerissen ist) sogar an die Schmerzschwelle ging. Das ist wirklich kein Vergleich zu heute! Kaum eine der Studio-Aufnahmen kann das auch nur erahnen lassen, auch das unglaubliche Stehvermögen, das er besaß. So wurde im Radio damals mal von Bartok "Im Freien" gesendet, wo man es vernehmen konnte - das sollten sie endlich mal veröffentlichen! :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Es trifft sich gut, daß dieser Pollini Thread nun fortgesetzt wird, denn er wäre nun auch bei mir an der Reihe (die Reihenfolge wird DERZEIT in der Reihenfolge eines Tamino-Voting Threads abgewickelt)
    Ich habe ein wenig recherchiert und fand in Joachim Kaisers "Große Pianisten unserer Zeit" einn überraschendes Statement, den damals noch jungen Maurizo Pollini betreffend:


    Zitat

    "Wenn Pollini die Apassionate, die Les-Adieux-Sonate oder das Es Konzert interpretiert, dann sind glänzende Technik und musikalische Ernsthaftigkeit bewunderungswürdig - aber ein entscheidendes Spannungsmoment fehlt noch".
    (Piper TB 2376 4. Auflage 2004)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich habe ein wenig recherchiert und fand in Joachim Kaisers "Große Pianisten unserer Zeit" einn überraschendes Statement, den damals noch jungen Maurizo Pollini betreffend:

    Da muss man einfach sagen, lieber Alfred, dass das Buch von Kaiser hoffnungslos veraltet ist. Das Buch kennt nur den Beethoven des ganz, ganz jungen Pollini, noch bevor er irgend eine Plattenaufnahme machte. Gerade die "Appassionata" ist ein Pollini-Sternstunde, da wirkt das, was Kaiser schreibt, einfach nur befremdlich.

    Alle müssen dem Alter Tribut zollen:


    Pollini

    Mein Lehrer sagte immer: Es gibt Fingertechniker und es gibt die, welche mit "Gewicht" und Körpereinsatz spielen, d.h. den Arm einsetzen. Erstere behalten ihre technischen Fähigkeiten bis ins hohe Alter (wie Horowitz oder Michelangeli), letztere haben dann eben die "Wucht" nicht mehr, wenn der Leib gebrechlich wird. Das ist bei Pollini sicherlich der Fall. Aber viele seiner späten Aufnahmen zeigen, dass es auch ohne physische Kraftakte geht. Die Pianistik ist dann eben nur anders. Pollinis Spätstil hat so wie ich es sehe nur sehr bedingt etwas mit seiner Physis, sondern vor allem mit seinem Kopf zu tun. Das ist eine bestimmte Einstellung zur Musik, die letztlich von seiner Bewunderung für Artur Rubinstein herkommt: das Bemühen um ein absolut natürliches, unmanieriertes Spiel. Und ich wundere mich immer über den Nonsens, den solche Kritiker schreiben. Angeblich ist Pollinis Chopin "nüchterner" geworden durch seine Auseinandersetzung mit Neuer Musik - sehr schön wird da das Klischee bemüht, dass Neue Musik nur eine Sache für den Kopf wäre. Man braucht aber nur die Dokumente vom Chopin-Wettbewerb 1960 hören, den der damals 18jährige Pollini gewann. Da ist nämlich genau diese neusachliche Nüchternheit schon da - und genau damit, mit diesem modernen Chopinspiel, machte er Furore. Gerade weil Pollini sein Repertoire nicht verengt hat, gibt es eben diese Wechselwirkungen mit Neuer Musik. Viel einleuchtender ist die umgekehrte These, dass Pollini gerade deshalb, weil er kein reiner Neue Musik-Spezialist ist, eben diese Neue Musik viel lebendiger spielt als so viele andere Pianisten. Aus dem Radio habe ich mal 2 Stockhausen-Stücke mitgeschnitten, die er zwischen Brahms und der Hammerklaviersonate bei den Salzburger Festspielen 1984 vorgetragen hat. So umwerfend, aufrührerisch dynamisch und facettenreich hat man diese Stockhausen-Klavierstücke noch nie gehört!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo Holger,


    Pollini leidet wohl an einer sehr bekannten Alterserkrankung, und diese massive körperliche Einschränkung wird seinem Wirken ein Ende setzen.


    Eine Gesundheit bis ins hohe Alter wie Horowitz hat leider nicht jeder.


    Ich selbst mag Pollinis schlanken und schlackenfreien Stil besonders bei Beethoven op. 109-111, da paßt er für mich haargenau.


    Beste Grüße


    Karl

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  • Pollini leidet wohl an einer sehr bekannten Alterserkrankung, und diese massive körperliche Einschränkung wird seinem Wirken ein Ende setzen.

    Lieber Karl,


    oh Gott! Alexis Weissenberg hatte Parkinson, Vladimir Ashkenazy leidet unter Artrose, und Pollini? Da ist mir bisher nichts bekannt.

    Eine Gesundheit bis ins hohe Alter wie Horowitz hat leider nicht jeder.

    So gesund war Horowitz aber auch nicht. Er hatte ein Leben lang massive Probleme im Magen-Darmbereich.

    Ich selbst mag Pollinis schlanken und schlackenfreien Stil besonders bei Beethoven op. 109-111, da paßt er für mich haargenau.

    Schade, dass er die drei letzten Sonaten nicht nochmals aufgenommen hat. Besonders op. 109 bei Youtube finde ich wirklich beglückend. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Da muss man einfach sagen, lieber Alfred, dass das Buch von Kaiser hoffnungslos veraltet ist. Das Buch kennt nur den Beethoven des ganz, ganz jungen Pollini, noch bevor er irgend eine Plattenaufnahme machte. Gerade die "Appassionata" ist ein Pollini-Sternstunde, da wirkt das, was Kaiser schreibt, einfach nur befremdlich.


    Eigenartigerweise habe ich mir das auch gedacht. Und Kaiser war das sicher auch bewusst. Kaiser hatte ja nie im Sinn (er betont das in einem der Vorwörter ausdrücklich) eine "Enzyklopädie des Klavierspiels" zu verfassen, sondern eine (zum Zeitpunkt wo er es niederschrieb) Momentaufnahme des derzeitigen Status...


    Kommen wir zurück zu Pollini: Auch Arrau und Backhaus waren mal "junge Wilde", von Kempff ist mir ein Intewview in Erinnerung, wo er meinte, man könne Beethoven nicht mehr wie früher spielen, eine zeitgemäße Interpretation sei notwendig (damals muß er um die 50 gewesen sein)
    Wir haben heut vorzugseies altersmilde Herren in Erinnerung.


    Mir ist von einer Erkrankung Pollinis nichts bekannt, was aber natürlich nichts bedeuten muß


    Auf jeden Fall kann ich das Statement, für Aufnahmen sei es nun zu spät, nicht nachvollziehen - und andere scheinbar auch nicht:



    http://www.deutschlandfunk.de/…ml?dram:article_id=375564


    http://www.deutschlandfunk.de/…ml?dram:article_id=375564


    ..und für 2018 sind Konzerte im Wiener Musikverein geplant


    Es muß wesentlich leichter sein in einem Studio einzelnen Sätze eines Werkes aufzunehmen, als sich einem unerbittlich kritischem Publikum im Konzertsaal zu stellen, wo dann ein Kritiker, der sein Enkel sein könnte mit dem Seziermesser jeden Ton zerlegt und auf Anzeichen von Morbidität geradezu achtet.
    Wenn Pollini also WOLLTE, könnte er offensichtlich noch Aufnahmen machen - aber er will eben nicht.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Schade, dass er die drei letzten Sonaten nicht nochmals aufgenommen hat. Besonders op. 109 bei Youtube finde ich wirklich beglückend. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


    Hallo Holger, wenn wir das mal wüssten! Einzig Pollini selbst und die DG wissen, was an unveröffentlichten Aufnahmen im Archiv schlummert, entweder vom Künstler (noch) nicht freigegeben, oder für eine spätere VÖ aufgehoben.
    Viele Grüße, Accuphan

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Gibt es irgendwo einen Hinweis, der besagt. daß er nicht mehr aufnimmt ? Er ist 75 .
    Paul Badura Skoda ist 90 und nimmt immer noch auf.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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