Hallo,
06.08.
Angela Hewitt, Klavier, spielt im Kuppelsaal der Orangerie:
Bach – Englische Suite Nr. 6 BWV 811
Die Pianistin aus Kanada gilt als eine der besten Bachinterpreten – ein durchsichtiger Klang im Kuppelsaal, bei aller Schwierigkeit der Komposition.
Ravel – Valses nobles et sentimentales
Der 2. Satz „Asses lent“ hat mich sehr angesprochen und auch die, meine ich, wunderbare Interpretation – diese Musik ohne große Akkorde, so „hingetupft".
Und wie verschieden doch ein Walzer sein und klingen kann, wenn es so hervorragend interpretiert wird
Bach – Chromatische Fantasie und Fuge BWV 903
Das ganze Werk steht in g-Moll – der letzte Akkord der Fantasie wechselt völlig unvermutet in Dur – und wie Hewitt diesen Wechsel unvermutet, aber dennoch behutsam vollzieht ist sehr bewegend: Wenn dann dieser leichte, frohe Klang den Kuppelsaal der Orangerie erfüllt, ist auch dies auch ein Zeichen der hervorragenden Akustik.
Ravel Le Tombeau de Couperin
Auch hier der 2. Satz „Fugue“; dieser leichte, durchsichtige, wesenlose Klang, wie ein Schmetterling, der für das menschliches Auge so unbeschwert dahin zieht. Die Wiederentdeckung der franz. Musik des 18. Jahrhunderts war auch der Anlass für Ravel, dieses Werk zu komponieren – die Tanzrhythmen sind für mich nicht sofort erkennbar.
Sonderbar: Bei „Le Tombeau…“ kommt mir Fr. Poulenc „ Suite francaise d’apres Claude Gervaise“ in der Klavierfassung in den Sinn.
07.08.
Joachim Pliquett, Trompete (keine Bachtrompete) und Arvid Gast, Orgel spielen in der gotischen St. Johannis-Kirche:
J. J. Mouret (1682-1738), „Sinfonies de Fanfares für Trompete und Orgel“
Bach, „Nun Lob, mein Seel, den Herren“ Choralbearbeitung aus BWV 167 für Trompete und Orgel
Bach, Präludium und Fuge BWV 541 für Orgel
P. Baldassari (1690-1768), Sonate für Trompete und Orgel F-Dur
Bach, „Erbarm dich mein, o Herre Gott“, Choralbearbeitung BWV 72 für Trompete und Orgel
Bach, Toccata, Adagio und Fuge BWV 564 für Orgel
Gottfried Müller (1914-1993), „Rufe in der Nacht“, Sequenz für Trompete solo
Hier erklang mehrmals Teil eines Themas aus einem anderen Werk, das mir gut bekannt vorkam, aber der Name? - und nach dem Konzert war auch das Thema aus meinem Gehirn verschwunden.
Widor, Finale aus der Orgelsymphonie Nr. 6 op. 42 – hier leider keine Cavaille-Coll-Orgel.
Andres Chailleux (1904), “Morceau de Concours“ für Trompete und Orgel
Es gibt natürlich auch neben „Güttler“ ganz ausgezeichnete Trompeter und beide Musiker hatten sich gut aufeinander eingespielt und den Kirchenraum zum Klingen gebracht.
08.08.
Ian Bostridge, Tenor, Stefan Dohr, Horn und das „Ensemble Resonanz“ spielen in der gotischen St. Johanniskirche:
George Benjamin (1960), Bearbeitung für Orchester (mit Horn) eines Kanons und Fuge aus Bachs „Kunst der Fuge“ BWV 1080
Nach ca. 1 Min. war ich total verwirrt „so ein undurchsichtiges Klanggeflecht, was ist Horn, was Bassgeige – so überakustisch schien mir der Kirchenraum doch nicht“. Ich war dann sehr erleichtert, als im nachfolgenden Werk durch eine andere Aufstellung der Instrumentalisten der Klang ein ganz anderer, ganz hervorragender war.
Bach, Kantate BWV 82 „Ich habe **genung“, für Tenor und Instrumente.
Ja, „nur“ Instrumente/alisten (und ohne Dirigent), kein Orchester, auch kein „Kleines“. Anfangs war ich unschlüssig, wer mich mehr beeindruckt, Bostrdige oder Ensemble Resonanz aus Hamburg, 10 (?) Musiker (eine Säule versperrte mir die Totale) – so einen einheitlichen Streicherklang habe ich noch nie gehört – da waren keine einzelnen Instrumente zu hören –das waren Akkord- und Harmonikfolgen in einem homophonen Gesamtklang – ein Erlebnis! Zum Glück stand Bostridge rechts, sodass ich ihn ständig sehen konnte, was auch den Klangeindruck verstärkte und mich dann doch Bostridge mehr beeindruckte ohne den Instrumentalisten irgendetwas wegnehmen zu wollen. Ich habe Bostridge zum Jahrtausendwechsel als Liedinterpret kennen und schätzen gelernt – sein damals mehr jugendlicher Stimmschmelz ist nun einer vollausgebildeten Tenorstimme gewichen. Es war sehr beeindruckend, mit welchem interpretatorischen Einsatz Bostridge die Kantate gestaltet hat und bei „ich freue mich auf meinen Tod“ kommt dann noch mehr Emotion. Er kann nach wie vor mit einem sehr warmen Stimmeinsatz glänzen (und ob das P. Schreier besser gesungen hätte?)
**es ist kein Tippfehler
Nach der Pause wurde des Geburtstags von B. Britten gedacht, der sich in diesem Jahr im Nov. zum 100. Mal jährt.
Britten, Prelude and Fuge op. 29 für 18 Streicher.
Ein sehr gut hörbares Werk und Ensemble Resonanz wurde nicht nur um 2 Celli und einen Contrabass erweitert, was in der Kirchenakustik zu einem Klangerlebnis führte.
Britten, Serenade op. 31 für Tenor, Horn und Streicher.
1. Prologue
(solo horn)
2. Pastoral
The day’sgrown old; the fainting sun
Has but a little way to run,
And yet his steeds, with all his skill,
Scarce lug the chariot down the hill.
The shadows now so long do grow,
That brambles like tall cedars show;
Mole hills seem mountains, and the ant
Appears a monstrous elephant.
A very little, little flock
Shades thrice the ground that it would stock;
Whilst the small stripling following them
Appears a mighty Polypheme.
And now on benches all are sat,
In the cool air to sit and chat,
Till Phoebus, dipping in the west,
Shall lead the world the way to rest.
Charles Cotton (1630-1687)
3. Nocturne
The splendour falls on castle walls
And snowy summits old in story:
The long light shakes across the lakes,
And the wild cataract leaps in glory:
Blow, bugle, blow, set the wild echoes flying,
Bugle blow; answer, echoes, dying, dying, dying.
O hark, O hear! how thin and clear,
And thinner, clearer, farther going!
O sweet and far from cliff and scar
The horns of Elfland faintly blowing!
Blow, let us hear the purple glens replying:
Blow, bugle; answer, echoes, dying, dying, dying.
O love, they die in yon rich sky,
They faint on hill or field or river:
Our echoes roll from soul to soul,
And grow for ever and for ever.
Blow, bugle, blow, set the wild echoes flying,
And answer, echoes, answer, dying, dying, dying.
Alfred, Lord Tennyson (1809-1892)
4. Elegy
O Rose, thou art sick!
The invisible worm,
That flies in the night
In the howling storm,
Has found out thy bed
Of crimson joy:
And his dark secret love
Does thy life destroy.
William Blake (1757-1827)
5. Dirge
This ae nighte, this ae nighte,
Every nighte and alle,
Fire and fleet and candle‑lighte,
And Christe receive thy saule.
When thou from hence away art past,
Every nighte and alle,
To Whinny‑muir thou com’st at last;
And Christe receive thy saule.
If ever thou gavest hosen and shoon,
Every nighte and alle,
Sit thee down and put them on;
And Christe receive thy saule.
If hosen and shoon thou ne’er gav’st nane
Every nighte and alle,
The whinnes sall prick thee to the bare bane;
And Christe receive thy saule.
From Whinny‑muir when thou may’st pass,
Every nighte and alle,
To Brig o’ Dread thou com’st at last;
And Christe receive thy saule.
From Brig o’ Dread when thou may’st pass,
Every nighte and alle,
To Purgatory fire thou com’st at last;
And Christe receive thy saule.
If ever thou gavest meat or drink,
Every nighte and alle,
The fire sall never make thee shrink;
And Christe receive thy saule.
If meat or drink thou ne’er gav’st nane,
Every nighte and alle,
The fire will burn thee to the bare bane;
And Christe receive thy saule.
This ae nighte, this ae nighte,
Every nighte and alle,
Fire and fleet and candle‑lighte,
And Christe receive thy saule.
Lyke Wake Dirge, Anonymous (15th century)
6. Hymn
Queen and huntress, chaste and fair,
Now the sun is laid to sleep,
Seated in thy silver chair,
State in wonted manner keep:
Hesperus entreats thy light,
Goddess excellently bright.
Earth, let not thy envious shade
Dare itself to interpose;
Cynthia’s shining orb was made
Heav’n to clear when day did close:
Bless us then with wishèd sight,
Goddess excellently bright.
Lay thy bow of pearl apart,
And thy crystal shining quiver;
Give unto the flying hart
Space to breathe, how short so-ever:
Thou that mak’st a day of night,
Goddess excellently bright.
Ben Jonson (1572-1637)
7. Sonnet
O soft embalmer of the still midnight,
Shutting, with careful fingers and benign,
Our gloom‑pleas’d eyes, embower’d from the light,
Enshaded in forgetfulness divine:
O soothest Sleep! if so it please thee, close,
In midst of this thine hymn my willing eyes.
Or wait the “Amen” ere thy poppy throws
Around my bed its lulling charities.
Then save me, or the passèd day will shine
Upon my pillow, breeding many woes,
Save me from curious conscience, that still lords
Its strength for darkness, burrowing like a mole;
Turn the key deftly in the oilèd wards,
And seal the hushèd casket of my Soul.
John Keats (1795-1821)
8. Epilogue
(solo horn - off stage)
Bostridge sang ohne Noten, in seiner Muttersprache und mit einer warmen, aber auch wandlungsfähigen Stimme (3. Satz!). Die Musik war textbedingt sehr unterschiedlich in Melodie, Harmonik, Orchestrierung, Dynamik, Tempo und hat mich sehr angesprochen – auch ohne Text – deren Verständlichkeit wegen der englischen Sprache für mich eingeschränkt war. Der Hornist Stefan Dohr hat mit Bostridges Stimme ausgezeichnet harmoniert (aber nicht nur mit der Stimme) und konnte bei den Solostellen mit ausgefeilter Technik brillieren; das Ensemble Resonanz ist auch in dieser Musikrichtung sehr gut zuhause, hat mit viel Verve gespielt und alle Musiker haben sich hörbar gut aufeinander eingestellt. Im 3. Satz Nocturne kommt auch die heitere Seite des Werkes zu Gehör, dabei habe ich manche Stellen im Orchesterklang und Rhythmus ausgemacht, die mich erinnert an „Orchesterführer für junge Leute“. (Viele Komponisten haben eben doch ganz individuelle musikalische Eigenheiten, die immer wieder „herauskommen“ und „das muss doch …sein“ ermöglichen. Den „Orchesterführer…“ habe ich auf LP noch unter dem Dirigat von Britten.) Als es um die Konzertzugabe ging, erläuterte Stefan Dohr, dass die Besetzung ja ungewöhnlich sei und man kein geeignetes Stück gefunden habe, weswegen der 3. Satz wiederholt wurde (sehr zu meiner Freude).
(Es gibt auf YouTube das Werk mit P. Schreier zu hören – leider nicht mit der m. E. hier sehr viel geeigneteren Stimme von Bostridge.)
10.08.
Tabea Zimmermann, Viola, spielt im Kuppelsaal der Orangerie:
Hindemith, Sonate op. 25 Nr. 1
Das Motiv des 1.Satzes wird sehr oft (20/30 Mal?) wiederholt, sodass es sich (für die Zeitdauer des Werkes) sehr einprägt. Die Vortragsvorschrift für den 3. Satz habe ich so noch nie gelesen: „Rasendes Zeitmaß. Wild. Tonschönheit ist Nebensache“ - ich hatte mich auf Einiges eingestellt – und wurde von Tabea Zimmermann „bitter enttäuscht“ – sie kann gar nicht in Tonunschönheit spielen. Allerdings geht die Spielbarkeit des Satzes wohl schon an die Grenzen des Machbaren. Zitat Hindemiths aus dem Booklet: „Es wird sich erweisen müssen ob unsere heutige Musik, darunter auch die meinige, fähig ist weiterzubestehen.“
Bach, Sonate BWV 1001
Die Sonate steht im Original Violine, für die Viola wird sie eine Quinte tiefer transponiert. Im 3. Satz, Siciliana, lässt Frau Zimmermann Bach so richtig zum Schwingen kommen.
Reger, Suite op. 131d Nr. 2
Leider habe ich die Entstehungszeiten dieser Suite und Hindemiths Sonate op. 25 Nr. 1 nicht gefunden und nur aus den Lebenszeiten ist kein Rückschluss möglich – Reger ist hier schon noch mehr der Spätromantik verhaftet im Vergleich zu Hindemith.
Bach, Suite BWV 1011
Im Original für Cello und wird für die Viola eine Oktave höher transponiert. Aus dem Booklet: Bach erleichtert den Cellisten (auch der Bratschistin?) die Doppelgriffe, in dem die 4. Saite von „a“ auf „g“ umgestimmt wird.
Es ist eine Suite im franz. Stil, mit den Sätzen /Tänzen „Allemande, Courante, Sarabande, Gavotte I und II und Gique“
Hindemith, Sonate op. 31 Nr. 4
Hindemith-Zitat aus dem Booklet:
„Wenn man zu einem Schneider geht, will man nicht sein Bild oder seine Photographie, sondern einen gut gemachten Anzug. Wenn sich jemand mit mir beschäftigen will, soll er meine Werke ansehen.“ Was ich „leider“ nicht konnte und für mich auch eine bemerkenswerte Äußerung zu Musikhören ist. Der 3. Satz ist ein Thema mit Variationen – „Schnelle Viertel, Langsam, Ziemlich lebhaft“ - was für mich auch ohne Noten hörbar war.
Viele Grüße
zweiterbass