Pierre Boulez als Dirigent

  • Ich fände es äußerst interessant, wenn man die Janácek-Diskussion hier ausgliederte und einen eigenen Thread eröffnete ("Unklare Stellen bei Janácek" oder so ähnlich). Hier findet die Stellungnahmen dazu nämlich kein Mensch mehr. Und außerdem wäre es einmal ein nicht werkbezogener Thread zu Janácek.

  • Pierre Boulez habe ich lange Zeit gemieden. Die Attribute des kühlen, unsentimentalen Technokraten wirkten abschreckend. Da er zudem als der Antipart zu meinem bevorzugten Wagner-Dirigenten Knappertsbusch immer wieder auftauchte, meinte ich mir eine eingehendere Beschäftigung mit ihm ersparen zu können, in der Annahme, es würde mir ja sowieso nicht gefallen.


    Doch war dieser Schluß wohl doch etwas voreilig.


    Vor kurzem konnte ich in seinen "Ring" aus Bayreuth von 1976 (richtig gelesen, der Stereo(!)-Mitschnitt des Premierenjahres, nicht die DVD-Serie ohne Publikum von 1979/80) hineinhören, und ich muß ehrlich sagen, daß mir das Dirigat ungemein gefällt. Von den angeblichen Spannungen zwischen Dirigent und Orchester höre zumindest ich nichts. Es klingt für mich wie aus einem Guß. Sehr detailreich, man hört jedes Instrument. Die übrigens sehr gute Tonqualität trägt sicher ihren Teil dazu bei. Gefiel mir weit besser als der etwas "kapellmeisterliche" Bayreuther "Ring" unter Horst Stein, den ich in verschiedenen Einzelaufnahmen besitze ("Rheingold" 1974, "Walküre" 1973, "Siegfried" 1973, "Götterdämmerung" 1972). Die Unmutsbekundungen des Publikums dürften sich eher auf die streitbare Inszenierung bezogen haben denn auf das Dirigat.


    Zur Sängerbesetzung will ich nur soviel sagen (da eigentlich im falschen Thread), daß das "besser ist als erwartet". Gwyneth Jones ist für mich eine sehr achtbare Brünnhilde, René Kollo ein toller Siegfried in der gleichnamigen Oper, Jess Thomas als "Götterdämmerung"-Siegfried erstaunlich gut (gefühlt besser als bei Maazel 1969), der junge Peter Hofmann ein mitreißender Siegmund, Sir Donald McIntyre ein überaus hörenswerter Wotan (erinnert etwas an Thomas Stewart), Zoltán Kélemen ein guter Neidlinger-Nachfolger, von Matti Salminen als grandiosem Fasolt und Hunding sowie Heinz Zednik als sensationellem Mime ganz zu schweigen. Einzig Karl Ridderbusch wird der Rolle des Hagen 1976 m. E. nicht mehr ganz gerecht. Er klingt angeschlagen, allerdings noch akzeptabel.


    Um zu Boulez zurückzukehren: Sein Mahler scheint auch sehr hörenswert zu sein. Habe mal in die 3. und 8. Symphonie reingehört.


    LG
    Joseph
    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph, wie kommt man denn zu diesem Mitschnitt von 1976?

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Hallo Melot,


    fand ich zufälligerweise auf der von s.bummer empfohlenen Seite mit vielen Rundfunk-Mitschnitten, die man sonst kaum mehr ergattern kann:


    Konkret (etwas runtergehen):


    "http://www.todoperaweb.com.ar/musica_1079.html"


    LG

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Danke für den Hinweis, Joseph, das ist ja fantastisch, so viele Live-Aufnahmen!
    Gleich mal schauen, ob von Boulez noch mehr dabei ist, das mich interessiert.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Pierre Boulez, dem ich meine erste Gesamtaufnahme des Rings:



    zu verdanken habe, damals noch als CD-Ausgabe,wurde am 26. März 1925 geboren.


    Er feiert heute seinen 90. Geburtstag.


    Bonne aniversaire!


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Pierre Boulez hat mir Mahler erschlossen und hätte es auch mit Strauss gemacht, wenn er denn mehr eingespielt hätte von dem.
    Aber so ist es leider nur bei dieser Aufnahme geblieben:



    Eine schlanke, auf jedes Detail achtende und extrem Struktur betonende Interpretation, bar jeglichen Bombastes und Effekthascherei. Oder kurz gesagt, ein Strauß in klarstem Hochdeutsch.


    Schade, dass Boulez nur diese eine Aufnahme eines Strauss-Werkes gemacht hat, hätte mir dieser nüchtern-sachliche Ansatz auch andere Strauss-Werke näher gebracht.


    John Doe

  • Täusche ich mich, oder hat Boulez weder Bruckner noch Schostakowitsch eingespielt?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Täusche ich mich, oder hat Boulez weder Bruckner noch Schostakowitsch eingespielt?


    Bruckner durchaus, bei Schostakowitsch bin ich überfragt.



    Es gibt noch einen Mitschnitt der 5. Symphonie mit dem Chicago Symphony Orchestra von Oktober 2000. Beide Aufnahmen sind m. E. sehr hörenswert. Gerade bei der Fünften und Achten würde ich kaum an Boulez denken, aber man wird doch immer wieder überrascht.


    Laut abruckner.com gibt es noch die 7. und 9. Symphonie mit den Wiener Philharmonikern (2005 bzw. 2001), letztere auch mit dem Los Angeles Philharmonic (2003).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Bruckner durchaus, bei Schostakowitsch bin ich überfragt.



    Es gibt noch einen Mitschnitt der 5. Symphonie mit dem Chicago Symphony Orchestra von Oktober 2000. Beide Aufnahmen sind m. E. sehr hörenswert. Gerade bei der Fünften und Achten würde ich kaum an Boulez denken, aber man wird doch immer wieder überrascht.


    Ah, danke! - Die hatte ich übersehen.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Der Baden-Badener Franzose Pierre Boulez gleicht einer betagten wertvollen Medaille mit zwei voneinander sehr verschiedenen Seiten, von denen mich die eine, "dunkle", aber ihm selbst wohl wichtigere Seite nicht im geringsten interessiert - und ich habe dem Komponisten Boulez durchaus "einige wenige Hör-Chancen" gegeben.


    Über die "helle" Seite aber, die auf mich einen betörenden Reiz auszuüben vermag, lohnt es sich wirklich, auf TAMINO ein paar Worte zu verlieren.
    Das Stilverständnis von Boulez, dem Dirigenten, ist sensationell zu nennen. Ich möchte ihn darin mit dem fast auf den Tag 1 Dekade älteren, kürzlichen Jubilar Swjatoslaw Richter in einem Atemzug erwähnen. Auch Pierre Boulez war und ist in der Lage, (nahezu) jedem bedeutenderen Schöpfer der Ernsten Musik, vom Barock bis in die jüngste Moderne, gerecht zu werden und nach Art eines (musikalischen) Chamäleons die (Klang-)Farbe immer stilgerecht zu wechseln.
    Wenn meine Wenigkeit als bekennender, nicht konvertierbarer Tonalist schon eine Schönberg-Aufnahme empfehlen will, dann muss interpretatorisch wirklich eine Menge Positives passiert sein.
    Denn von Arnold Schönberg wertschätze ich - es lässt sich nun mal nicht ändern oder leugnen - jedenfalls bis jetzt genau zwei Zeugnisse seines Schaffens: Das eine, mir weitaus liebere, ist seine honorige und vollauf gelungene Orchester-Bearbeitung des 1. Klavierquartetts g-moll von Brahms - und das zweite ist sein frühes, gerade noch tonales Eigenwerk "Verklärte Nacht" op. 4. Über den Rest von Schönberg dürfte meines Erachtens der Mantel des Schweigens gebreitet werden, ohne dass mir irgendetwas fehlen würde.


    Wie aber Pierre Boulez das Opus 4 Schönbergs dirigiert, ist in meinen - so empfindsamen wie geschulten - Ohren außerordentlich beeindruckend.
    Es müsste Referenzstatus haben, was 2013 als CD "Pierre Boulez conducts Arnold Schönberg", offenbar als Remastering alter Analog-Aufnahmen von 1974 bis 1983, von Sony Classical veröffentlicht wurde.


  • In den Nachrichten kam gerade die Mitteilung, dass der Dirigent und Komponist Pierre Boulez bereits am Dienstag in Baden-Baden im Alter von 90 Jahren verstorben ist.


    Einer der wichtigsten Musiker des 20. und 21. Jahrhunderts ist damit von uns gegangen.


    Ich werde seiner gedenken. R.I.P.

  • Pierre Boulez gesamtes Deutschen Grammophon & Philips Vermächtnis erscheint demnächst als Komplettschau.

    Das Besondere hierbei, abgesehen von den 82 CDs, werden auch 4 Blu-rays mit dem sogannten "Jahrhundertring - Zum 100-jährigen Bestehen der Bayreuther Festspiele" von Patrice Chereau enthalten sein.

    Eine gerechtfertigte Würdigung wie ich finde.



    199,99€/ 28.01.22


    • Bela Bartok: 4 Orchesterstücke; Konzert für Orchester; Tanzsuite; 2 Bilder; Ungarische Skizzen; Divertimento; Der wunderbare Mandarin; Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug, Celesta; Cantata profana; Der hölzerne Prinz; Klavierkonzerte Nr. 1-3; Konzert für 2 Klaviere; Violinkonzerte Nr. 1 & 2; Violakonzert; Rhapsodien Nr. 1 & 2 für Violine & Orchester; Herzog Blaubarts Burg

      +Alban Berg: Kammerkonzert; Lulu-Suite; Lulu (Gesamtaufnahme)

      +Hector Berlioz: Symphonie fantastique; Tristia; Romeo e Juliette; Les Nuits d'Ete

      +Harrison Birtwistle: Theseus Game; Earth Dances; Tragoedia; 5 Distances; 3 Settings of Celan; The Triumph of Time

      +Pierre Boulez: Notations; Structures Livre II; explosante-fixe; Le Marteau sans maitre; Derives 1 & 2; Pli selon pli; Repons; Dialogue de l'ombre double; Sur Incises; Messagesquisse; Anthemes 2

      +Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8

      +Claude Debussy: Prelude a l'apres-midi d'un faune; Images; Printemps; Nocturnes; Premiere Rhapsodie; Jeux; La Mer; Danses

      +György Ligeti: Kammerkonzert; Ramifications; Aventures; Nouvelles Aventures; Klavierkonzert; Cellokonzert; Violinkonzert

      +Franz Liszt: Klavierkonzerte Nr. 1 & 2; Consolation Nr. 3; Valse oubliee

      +Gustav Mahler: Symphonien Nr. 1-10 (Nr. 6 in zwei Einspielungen); Des Knaben Wunderhorn; Lieder eines fahrenden Gesellen; Rückert-Lieder; Kindertotenlieder; Das Lied von der Erde; Totenfeier

      +Olivier Messiaen: Poemes pour Mi; Le Reveil des oiseaux; Sept Haikai; Chronochromie; La Ville d'en haut; Et expecto resurrectionem mortuorum

      +Maurice Ravel: Ma Mere l'oye; Une Barque sur l'ocean; Alborada del gracioso; Rhapsodie espagnole; Bolero; Daphnis et Chloe; La Valse; Klavierkonzert; Klavierkonzert für die linke Hand; Sheherazade; Le Tombeau de Couperin; Pavane pour une infante

      +Arnold Schönberg: Pelleas und Melisande; Klavierkonzert; Pierrot lunaire; Herzgewächse; Ode to Napoleon Buonaparte

      +Alexandre Scriabin: Le Poeme de l'extase; Klavierkonzert; Prometheus

      +Richard Strauss: Also sprach Zarathustra

      +Igor Strawinsky: Scherzo fantastique; Le Roi des etoiles; Le Chant du Rossignol; L'Histoire du Soldat; Der Feuervogel; Feu d'artifice; 4 Etudes; Petruschka; Le Sacre du Printemps; Symphonie für Bläser; Psalmensymphonie; Ebony Concerto; Concertino; 8 Instrumental Miniatures; Dumbarton Oaks; Doppelkanon; Lieder

      +Karol Szymanowski: Violinkonzert Nr. 1; Symphonie Nr. 3 "Lied der Nacht"

      +Edgar Varese: Ameriques; Arcana; Deserts; Ionisation

      +Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen; Parsifal

      +Anton Webern: Symphonie op. 21; Stücke für Orchester op. 6 Nr. 1-6; 5 Sätze op. 5; Passacaglia; Kantaten Nr. 1 & 2 op. 29 & 31; Das Augenlicht op. 26 für Chor & Orchester; 5 Orchesterstücke; 3 Orchesterlieder; Variationen für Orchester op. 30; Konzert op. 24; Quartett op. 22; Klavierquintett op. posth.; 5 Orchesterstücke op. 10; Lieder opp. 8, 13, 14, 18, 19; 5 Geistliche Lieder op. 15; 6 Kanons op. 16; 3 Volkstexte op. 17; Entflieht auf leichten Kähnen op. 2

      +Johann Sebastian Bach / Anton Webern: Ricercata

      +Franz Schubert / Anton Webern: Deutsche Tänze D. 820

      +Interviews: Pierre Boulez über Debussy, Mahler & Weber

      +4 Blu-ray - Wagner: Der Ring des Nibelungen (Eine Produktion der Bayreuther Festspiele / Regie: Patrice Chereau / Gwyneth Jones, Jeannine Altmeyer, Norma Sharp, Ortrun Wenkel, Hanna Schwarz, Peter Hofmann, Siegfried Jerusalem, Donald McIntyre, Heinz Zednik, Matti Salminen, Orchester der Bayreuther Festspiele, Pierre Boulez)