Widerstand gegen das Regietheater wächst unaufhörlich - ist das Ende nah?

  • Wenn sich etwas verändern soll, dann kann dies nur aus dem Kunstbetrieb heraus geschehen - und nicht von außen. Schon gar nicht seitens der Politik. Und es muss auch eine Einsicht geben, dass sich etwas verändern möge. Theater müssen für die hohen Subventionen keine Rechenschaft ablegen. Es gibt zumindest in Deutschland kein Gesetzt, keine Verordnung, die das verlangen. Die Freiheit der Kunst steht nicht unter so genanntem Gesetzesvorbehalt. Soll das wirklich geändert werden?

    Es ist nicht ganz so einfach, wie du das hier darstellst. Jedes Theater hat Träger (z.B. Stadt, Landkreis, Bundesland u.a.), die viele Millionen Euro in das Theater investieren, darüber aber auch Aufsicht führen, was am Theater mit dem Geld gemacht wird, die sitzen dann z.B. im Aufsichtsrat - und der Intendant bzw. (je nach Struktur) die Geschäftsleitung muss Auskunft darüber abgeben, was mit diesem Geld künstlerisch geleistet wurde, was künstlerisch geplant ist, wie die Akzeptanz beim Publikum ist. Auch wenn sich diese Aufsichtsgremien aus künstlerischen Dinge weitgehend(!) heraushalten (ob das gut ist oder nicht, kann man ebenfalls differenziert betrachten), sind Dinge wie Publikumsresonanz oder Auslastung nicht so unwichtg, wie du das hier darstellst. Wenn ein Theater 80% Auslastung hat, hat die künstlerische Leitung es natürlich wesentlich einfacher, ihr künstlerisches Konzept gegenüber den Trägern zu verkaufen und durchzusetzen, als wenn die Auslastung nur bei 50% oder gar darunter liegt. Dann verstärkt sich bei den Trägern natürlich der Verdacht, dass die zur Verfüfung gestellten Gelder nicht optimal eingesetzt werden, wenn die dafür angebotene Kunst das Publikum gar nicht erreicht.
    Und das wirkt sich natürlich auch auf die Kunst aus: Wenn eine "Zauberflöten"-Inszenierung beim Publikum beliebt und ständig ausverkauft ist, und vielleicht noch eine italienische Oper dazu, dann kann sich die Theaterleitung in dieser Spielzeit auch eine Rarität wie "Hans Heiling" leisten, der so und so nicht ausverkauft sein wird, im Umfeld von einigen anderen sehr gut ausgelasteten Produktionen die Gesamtauslastung aber nicht zu weit nach unten drückt. Ist die "Zauberflöte" aber so inszeniert, dass kaum einer reingehen will (zum Beispiel: Neuenfels, Komische Oper, schnell wieder verschwunden, weil es auch wenig Sinn macht, gerade dieses Stück so zu inszenieren, dass es für Kinder und Jugendliche völlig ungeeignet ist), dann hat das natürlich große Auswirkungen auf die Gesamtauslastung und das Theater kommt in Rechtfertigungszwang gegenüber den Trägern. Die Kunst an deutschen Theatern ist also nicht so unabhängig, wie du das glaubst. Die Freiheit der Kunst endet spätestens dann im konkreten Einzelfall, wenn ein Theater leer gespielt ist und aus diesem Grund geschlossen wird.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Dass es Einflussnahmen gibt - und diese sind es - geht ja gelegentlich auch durch die Presse. Dass in einigen Provinzen Theater den jeweiligen Fürsten ein Dorn im Augen sind, das hat in Deutschland Tradition. Wenn es denn überall so wäre wie Du schreibst, dann gäbe es ja gar kein Problem. Nur frage ich mich, wie es dann zu derartig verhunzten Aufführungen kommen kann? Wie reihenweise sündhaft teure Ausstattungen einfach entsorgt werden können? War halt ein Irrtum? ;) Vielleicht hat sich ja Oper ganz und gar überlebt. Man wird sehen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Vielleicht hat sich ja Oper ganz und gar überlebt. Man wird sehen.

    Nur weil Theorie und Praxis nicht immer dasselbe bedeuten und die jetzigen Strukturen sicherlich nicht für alle Ewigkeiten in Stein gemeißelt sind, sehe ich für die Kunstgattung Oper dennoch nicht so schwarz! :)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Das Problem ist einfach, das viele Regisseure Wagner und grade die Deutsche romamtische Oper nicht ernst nehmen. Bei Wagner haben viele Angst das wenn Sie sie so inszenieren wie es Wagner wollte, das sie dann auch in die rechte Ecke gedraengt werden.An der Rheinoper hatten wir eine sehr schoene Inszenierung des Freischuetzes mit richtiger Wolfsschlucht, ich glaub die Inszenierung war von Otto Schenk.

  • Aber, lieber Freund, das wirst Du doch nicht wollen. Geld gibt's nur, wenn der Saal voll ist? Das wäre das Ende einer freien Kunst in einer freien Gesellschaft.


    Mein lieber Freund Rheingold1876,


    doch ich meine es ganz ernsthaft, dass öffentliche Subventionen auch für Kulturträger an Wirtschaftlichkeit und ein Leistungsprinzip gekoppelt sein müssen. Sonst sind die Kulturetats immer die ersten, die schon bei leichten Wolken am Konjunkturhimmel gekürzt werden. Was wir Kulturschaffende den Politikern klarmachen müssen ist, dass Kultur Lebensqualität ist und heute und in Zukunft noch viel stärker im Wettbewerb der Regionen und Städte eine entscheidende Rolle bei den Standortvorteilen spielen wird. Nun kommt jedoch das Entscheidende - das von Stimmenliebhaber bereits treffend dargestellt wurde - Betrachtung und Berücksichtigung von wirtschaftlichen Überlegungen sollte und darf niemals heißen: Eingriff und Beschränkung der künstlerischen Freiheit. Die Verantwortlichen müssen ihr Programm völlig autark gestalten können, nur insgesamt muss es so konzipiert sein, dass es die Publikumserwartungen erfüllt und ausreichende Auslastung und Einspielergebnisse bringt. Ich bin seit über 50 Jahren mit in der Programmverantwortung für das Heilbronner Sinfonie Orchester, das wegen chronischer Unterfinanzierung durch die öffentliche Hand existenziell auf hohe Einspielergebnisse angewiesen ist. In der Regel sind es 50% des Etats. Und wir müssen unseren Hintern heben und ständig um Sponsoren werben. Wir machen nun bei Gott kein konservatives Programm oder Wunschkonzerte. Aber wir bieten einen spannenden Mix, der bei unserem Publikum ankommt. Das Rezept ist, unbekanntere Werke mit Erfolgsgaranten geschickt zu kombinieren. Ergebnis unserer publikumsgerechten Programmpolitik ist seit vielen Jahren rund 1400 - 1500 Abonnenten und durchschnittlich 1700 - 1800 Besucher. Damit haben wir die stärkste Aboreihe in Baden-Württemberg. Neue Musik überlassen wir gerne den Staats- und Rundfunkorchestern, denn wie ausgeführt: Wir bieten das, was bei unserem Publikum ankommt und können uns seit 66 Jahren immer mit ausgeglichenen Etats finanzieren. Ich bin lebenslang ein geradezu fanatischer Musikfreund. Würde ich in einem politischen oder kommunalen Entscheidungsgremium sitzen, würde ich - trotz aller Liebe zur Musik - genau diese Überlegungen zur Messlatte meiner Entscheidungen machen.


    Herzlichst
    Operus


    Übrigens hätte ich Dich gerne einmal mit langen Haaren gesehen -"Wie sich die Bilder gleichen" - bei uns war es in den wilden Jahren die Elvis-Masche mit gegelten Haaren und Schmalz-Locke.

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Nach der kürzlichen Freischütz-Blamage wurde in Köln jetzt erneut eine Oper, nämlich "Der Liebestrank" total versemmelt.
    Der Kölner Stadt-Anzeiger schreibt heute dazu unter dem Titel "Putzmann trifft Powerfrau":
    "Es mag ja sein,, dass heute hochmögende Damen ihren Masseur oder Fahrer heiraten. Aber dass Nemorino, der in ihrer Getränkefirma als Putzmann wirkt, diese überhaupt auf seinem Beutezettel hat, ist so unrealistisch, dass es fast peinlich wirkt (bei Donizetti besteht dieses soziale Gefälle nicht, beide, Adina und ihr Verehrer, sind Bauern). Außerdem hat Jeongki Cho als Nemorin den depressiven Appeal eine eingedrückten Coladose - da kommt gar nichts rüber. Schließlich die Humorschiene: Ist das lustig (von Wahrscheinlichkeit gar nicht zu reden), wenn die Mitarbeiter der Chefin an die Wäsche gehen? Wenn die Machos aus Belcores Truppe den Frauen von hinten zwischen die Beine langen? Oder sich bis auf die Unterhosen entblättern, um ihre Bodies vorzuführen. Nein, das alles ist ziemlich vorhersehbar, abgeschmackt und fade.....Selbst die Klobürsten-Attacken der Rivalinnen gehen nicht über ein mittleres Belustigungsniveau hinaus, und auch die Anreicherung und Auflockerung des Ganzen mit Revue- und Köln-bezogenen Video-Elementen aus "Adina TV" kann nur graduell den Eindruck mildern, dass Mottl (Anmerkung: der Regisseur) der Zugang zum Geist dieser Oper letztlich versperrt blieb."


    Köln scheint immer noch nicht gelernt zu haben.



    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Übrigens, Gerhard, Deinen Beitrag zu "Wilhelm Tell" im Opernführer musst du demnächst neu schreiben. Melchthal wird nämlich nicht von Gesslers Leuten. sondern von Tell höchstpersönlich umgebracht. Nachzulesen hier:


    http://www.bayerische.staatsop…ranstaltungen~inhalt.html


    Jedenfalls hat das Genie von Regisseur weder das Libretto noch gar dass Schauspiel von Schiller je gelesen.


    Viele Grüße


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Zitat

    Zitat von Mme.Cortese: Hier hast du die Illustration dazu:

    Ja, ja, auf welch niedriges Niveau ist die Kölner Oper inzwischen gekommen!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Wobei der Liebestrank aber auch schwierig zu inszenieren ist, weil er eine Mischung aus Opera buffa und aber auch sehr sentimal ist. Betont man das komische in der Inszenierung wird man dem anderen Aspekt nicht gerecht und umgekehrt. In den letzten Jahren habe ich keine vernünftige Inszenierung des Liebestrankes gesehen. Immer wieder gerne schaue ich mir die MEt DVD mit Pavarotti Kathreen Battle und Enzo Dara an. Das Kölner Publikum ist mit normalen Maßstäben nicht zu messen und man kann es eigentlich mit fast allem erheitern :) . Aber in einer Kritik habe ich auch gelesen das sich das Premierenpublikum in Köln wohl ziemlich gelangweilt haben soll. Vielleicht hätten die Höhner auftreten sollen :) .

  • Wobei der Liebestrank aber auch schwierig zu inszenieren ist, weil er eine Mischung aus Opera buffa und aber auch sehr sentimal ist.

    "Der Liebestrank" ist schlicht und ergreifend eine Opera semiseria.


    Wenn alle Opern, die ernst und heiter sind, schwer zu inszenieren wären, wäre die Liste aber lang:
    die Big-5 von Mozart, "Meistersinger", "Falstaff", "Schicchi", "Rosenkavalier", "Ariadne", Das schlaue Füchslein" und und und...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Zitat von Lutgra: Dem Publikum scheint es aber mehrheitlich gefallen zu haben, sind wir hier zu elitär

    Lieber Lutgra,


    Elitär ist sicherlich das Premierenpublikum, aber in einem anderen Sinne. Frage dich mal, wie viele zu einer solchen Premiere gehen, die sich zeigen müssen oder die ihre Festtagsklamotten ausführen müssen, aber von dem, was sie zu sehen bekommen, gar keine Ahnung haben. Diejenigen, die sich mit der Oper, in die sie gehen, auseinandergesetzt haben, sind - zumindest am Premierenabend - wohl in der Minderzahl und die Kenner waren dann auch wohl diejenigen, die der Regie die Buhs gespendet haben.
    Musikalisch mag die Inszenierung ja einige Meriten gehabt haben, auch wenn Orchestergraben und Bühne - wie die Presse schreibt - häufig nicht miteinander harmoniert haben. Und eine miserable Inszenierung darf nicht zu Lasten des Applauses für die Sänger gehen.
    Dem Kölner Publikum kannst du aber auch alles Mögliche vorsetzen, sogar im Opernhaus einen Männergesangverein, der ihm eine eigen erfundene Handlung zu einem verrückten Mix aus Opern-, Operetten- und Schlagermelodien vorsetzt. Das sogenannte "Divertissementchen" zur Karnevalszeit ist immer ausverkauft und Karten so gut wie nicht zu haben. Der Kölner liebt eben den Klamauk.
    Ich betrachte mich nicht als elitär, aber ich liebe die Oper und beschäftige mich mit ihr. Und als ernsthafter Opernliebhaber ist mir ein solcher Klamauk - und da weiß ich mich in großer Gesellschaft - einfach zuwider.
    Schwierig zu inszenieren?? Da muss ich ein wenig lachen. Dass gute Regisseure damit keine Schwierigkeiten haben, haben Beispiele aus der Vergangenheit zur Genüge gezeigt. Wer es als ausgebildeter Regisseur nicht versteht, der soll's auch lassen!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Dem Kölner Publikum kannst du aber auch alles Mögliche vorsetzen, sogar im Opernhaus einen Männergesangverein, der ihm eine eigen erfundene Handlung zu einem verrückten Mix aus Opern-, Operetten- und Schlagermelodien vorsetzt. Das sogenannte "Divertissementchen" zur Karnevalszeit ist immer ausverkauft und Karten so gut wie nicht zu haben. Der Kölner liebt eben den Klamauk.


    Die rheinische Nachbarstadt Düsseldorf ist auch Karnevalshochburg. Als geborener Düsseldorfer liebe ich demnach Schlagermelodien und bevorzuge den Klamauk. :D


    Die Argumentation (ein klassischer Syllogismus :) ):


    1. Obersatz: Die RT-Regisseure sind inkompetent und werden deshalb vom Opern-kundigen Publikum abgelehnt.
    2. Untersatz: Sollte es das Publikum einmal wagen, beim RT-Theater Beifall zu klatschen, so ist dieses Publikum so inkompetent wie das ganze RT-Theater.
    3. Conclusio: Nur die RT-Gegner sind überhaupt ein kompetentes Opernpublikum und haben in allen Fragen grundsätzlich immer Recht und können durch welche Publikumsreaktionen auch immer niemals widerlegt werden.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Elitär ist sicherlich das Premierenpublikum, aber in einem anderen Sinne. Frage dich mal, wie viele zu einer solchen Premiere gehen, die sich zeigen müssen oder die ihre Festtagsklamotten ausführen müssen, aber von dem, was sie zu sehen bekommen, gar keine Ahnung haben. Diejenigen, die sich mit der Oper, in die sie gehen, auseinandergesetzt haben, sind - zumindest am Premierenabend - wohl in der Minderzahl und die Kenner waren dann auch wohl diejenigen, die der Regie die Buhs gespendet haben.


    Ach, lieber Gerhard, ich würde das Publikum erst einmal grundsätzlich ernst nehmen - weil es aus Menschen besteht. In der Regel kauft es seine Karten wie Du und ich auch, und wenn es dazu noch gut und festlich gewandet geht, soll es mir sehr Recht sein. Premieren waren seit jeher auch gesellschaftliche Ereignisse. Was sollte daran falsch sein? Woher willst Du wissen, wer denn nun Ahnung hat im Publikum von Oper und wer nicht? Was verstehst Du überhaupt darunter? Müssen denn alle auf dem Stand sein wie Du? Sicher möchte ein Teil des Publikum einfach einen schönen Abend haben und sich gut unterhalten lassen. Das ist doch völlig in Ordnung. Zum Glück muss man beim Erwerb einer Opernkarte keine Eignungsprüfung ablegen. ;) Für elitär halte ich, wenn man aus einer Annahme und Mutmaßung Schlüsse zieht, die auch falsch sein können. Und woraus wäre zu schließen, dass Kenner die Buhs von sich geben? Ich weiß über Oper auch ein klein wenig Bescheid und habe noch nie in meinem Leben ein solches Buh, das ja einem Muh nicht unähnlich ist, von mir gegeben. Weil ich das als ordinär empfinde. Meine gute Erziehung und das, was ich für Anstand halte, verbieten es mir. Nach meiner Beobachtung haben meist dieselben Besucher den Drang, mit entsprechenden Rufen auf sich aufmerksam machen zu müssen. Sei's drum. Ich haben es auch erlebt, das nach einer wirklich betörend gesungenen Arie von Florez gebuht wurde.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Zitat

    Zitat von Rheingold: Müssen denn alle auf dem Stand sein wie Du?

    Lieber Rheingold,


    so weit ist das auch wieder nicht her, ich glaube kaum, dass ich mich mit deinen Kenntnissen messen kann.
    Ich habe im Leben - schon aus finanziellen Gründen - sicher seltener als du die Chance gehabt, Opern live zu erleben. Ursprünglich habe ich mich an das Radio gehalten, später gab es auch ab und zu mal etwas im Fernsehen, das bei mir erst sehr spät in Haus kam. Dann hatten wir jahrelang hier ein Abonnement mit 5 bis 6 Vorstellungen im Jahr, bis jene unsäglichen Verunstaltungen der Oper Mode wurden. Über die nähere Umgebung bin ich selten hinausgekommen. Viermal war ich in den 70er bzw. 80er Jahren bei den Bregenzer Festspielen und einmal in Verona. In die großen Opernhäuser der Welt bin ich nicht gekommen, außer zu einem Ballett in der Wiener Staatsoper. Und heute, wo ich mir vielleicht ab und zu eine Aufführung in einem größeren Opernhaus leisten könnte, gibt es ja kaum noch etwas Gescheites zu sehen. Wie schon an anderer Stelle gesagt, hört bei mir auch das Auge mit, denn Oper ist für mich ein Gesamtkunstwerk aus Bild und Ton. Und die streben ja heute weitgehend völlig auseinander. Also muss ich mich heute auf die DVD beschränken, die wenigstens von einem größeren Teil der Werke auch noch vernünftige Inszenierungen anbietet.
    Aber ich habe mich nicht nur mit den bekannten Opern auseinander gesetzt, sondern immer wieder - soweit es in meinen Möglichkeiten lag - auch Neues, Unbekanntes kennen zu lernen versucht und mir die nötigen Unterlagen dazu an Land gezogen.
    Aber darum geht es hier nicht: Eine Oper wie "Der Liebestrank" dürfte doch jedem echten Opernfreund und -kenner bekannt sein und diesem müssen doch bei dem Klamauk, den man in Köln daraus gemacht hat (Man schaue sich dazu auch einmal das Video an!), der so unglaubwürdig wie irgend möglich ist und bei dem dann - anders geht es wohl heute nicht mehr?? - die Mitarbeiter der Firma der Chefin an die Wäsche gehen und die Truppen Belcores den Weibern, die teilweise in Badeanzüge gekleidet sind (wo gibt's das in einer Getränkefabrik, oder werden die Getränke aufgewertet, wenn diese Weiber darin baden?) zwischen die Beine greifen und noch viele unrealistische Dämlichkeiten mehr, die Haare zu Berge stehen. Das führt mich eben zu dem Schluss, dass Leute, die hier auch noch der Regie applaudieren, von Oper wenig verstehen.
    Heitere, gut ausgespielte Komödie ja, widerlicher Klamauk nein!


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Zitat

    1. Obersatz: Die RT-Regisseure sind inkompetent und werden deshalb vom Opern-kundigen Publikum abgelehnt.
    2. Untersatz: Sollte es das Publikum einmal wagen, beim RT-Theater Beifall zu klatschen, so ist dieses Publikum so inkompetent wie das ganze RT-Theater.
    3. Conclusio: Nur die RT-Gegner sind überhaupt ein kompetentes Opernpublikum und haben in allen Fragen grundsätzlich immer Recht und können durch welche Publikumsreaktionen auch immer niemals widerlegt werden.


    zu 1) Inkompetent ist nicht das richtige Wort, wenngleich es oft zutreffen wird. RT_Regisseure sind Feinde der klassischen Gesellschaftsordnung und sind daher bestrebt das traditionelle Opernpublikum zu vergraulen und seiner Privilegien zu berauben, bzw durch ein Publikum des Mittelmaßes zu ersetzen.


    zu 2)Prinzipiell ist das nicht ganz unrichtig, man hat hier einem Publikum Zugang gewährt, welche überhaupt nicht in ein Opernhaus gehört, zahlreiche Benimm- und Bekleidungs- Regeln und die gesellschaftliche Ordnung an sich in Frage gestellt.
    Es ist das gleiche Publikum, welches an Stelle von Kammgarnanzügen Jeans und T-Shirts trägt, welches start Haute Cuisine Fast Food zu sich nimmt und welche an stelle von Champagner Coca Cola trinkt. Das ist natürlich überspitzt formuliert- trifft aber den Kern der Sache.


    zu 3)RT Gegener - oder nennen wir es besser "bürgerlich-Konservative Publikum" wissen, was da im Libretto steht, und daß dies quasi das sprachliche Inszenierungs-Kochrezept von ewigem Gültigkeitswert ist. Wer beim RT Theater klatscht... tja - das kan verschieden Gründe haben, dennRT-Theater hat einerseits als verbindendes Ganze die Tendenz die alten Strukturen zu verfälschen, bzw zu zerstören - andrerseits doch verschiedene Ausdrucksformen.


    So kann ein gesellschaftlich linksorientiertes Publikum deshalb klatschen, weil es eine Gesellschaft und ihre Werte in den Dreck gezogen sieht zu der ihm der Zugang bisher versagt war - und es auch in alle Ewigkeit bleiben wird.


    Oder aber, ein primitiv- kindlich naives Publikum - applaudiert, weil eine Inszenierung ihr Disneyland vorgaukelt, die einzige "Kunstform" die sie je verstanden haben - Hier ist die neue Inszenierung aus Bregenz ein gutes Beispiel.


    Insofern kann man die Ausführungen - wenngleich ironisch gemeint - doch als realistisch sehen.
    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • bzw durch ein Publikum des Mittelmaßes zu ersetzen.

    man hat hier einem Publikum Zugang gewährt, welche überhaupt nicht in ein Opernhaus gehört, zahlreiche Benimm- und Bekleidungs- Regeln und die gesellschaftliche Ordnung an sich in Frage gestellt.

    So kann ein gesellschaftlich linksorientiertes Publikum deshalb klatschen, weil es eine Gesellschaft und ihre Werte in den Dreck gezogen sieht zu der ihm der Zugang bisher versagt war - und es auch in alle Ewigkeit bleiben wird.

    Sorry, aber wenn ich so etwas lese, wird mir echt übel...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat

    Zitat von Alfred Schmidt: Oder aber, ein primitiv- kindlich naives Publikum - applaudiert, weil eine Inszenierung ihr Disneyland vorgaukelt, die einzige "Kunstform" die sie je verstanden haben - Hier ist die neue Inszenierung aus Bregenz ein gutes Beispiel.

    Lieber Alfred,


    diese Meinung teile ich voll und ganz; ich hatte ähnliche Gedanken, als ich die Bregenzer Inszenierung sah. Ich habe diese, nachdem ich mir den ersten Akt angeschaut habe, abgeschaltet, weil mir das alles wirklich zu albern war. Die Zeiten, in denen es in Bregenz - zumindest auf der Seebühne - noch gescheite Inszenierungen gab, scheinen auch vorüber.
    In Bezug auf die Kleiderordnung teile ich deine Ansicht nicht ganz. Mögen auch manche die Nase rümpfen, wenn heute Leute in sauberen Jeans (Ich selbst trage zumindest diese Blaumänner nicht, aber ich brauche auch keinen vornehmen Sonntagsanzug) in die Oper gehen. Die Oper dient doch nicht dazu, die noblen Klamotten vorzuführen. Seien wir froh, dass auch junge Leute, die sich nicht unbedingt an die Kleiderordnung der "gehobenen" oder sich zumindest "gehoben" wähnenden Gesellschaft tragen, noch in die Oper gehen. Ich habe bemerkt, wie viele junge Leute die Oper intensiv, manchmal sogar mit Textbuch und kleiner Taschenlampe, verfolgten, während man bei der "gehobeneren" Gesellschaft manchmal den Eindruck hatte, dass diese ihre "Pflichtübung" absaß. Im Gespräch habe ich sogar manchmal festgestellt, dass diese zwar von einigen gängigen Werken (wie "Die Zauberflöte") einen gewissen Eindruck hatten, aber von Werken, die noch einigermaßen bekannt sein sollten (wie "Andrea Chenier") noch nie etwas gehört hatten, und diese Vorstellung im Abonnement (Ihnen kam es nicht auf weggeworfenes Geld an) versäumt hätten, wenn ich sie nicht in der vorausgehenden Vorstellung eine sehr bekannten Oper darüber aufgeklärt hätte.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Sorry, aber wenn ich so etwas lese, wird mir echt übel...

    Ich hingegen finde den Sachverhalt sehr zutreffend und offen benannt. Übelkeit erregt bei mir der Zustand der Regie in der Münchner Oper.


    Felix Austria, wo ein Otti Schenk noch eine neue Produktion an der Wiener Staatsoper macht.

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  • Ich hingegen finde den Sachverhalt sehr zutreffend und offen benannt. [...]


    Ja genau! - Vielleicht sollte man jemandem wie mir (gesamtschulsozialisiert, regelmäßig ohne Anzug in Oper und Konzert und zudem noch interessiert an gutem Regietheater) einfach den Opernbesuch verbieten, oder besser noch mich gleich wegsperren!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Was für Proleten tragen denn "Kammgarnanzug" in der Oper? Frack und Zylinder, wenn ich bitten darf! Monokel nach Belieben :angel:

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Nicht alle Premierenbesucher sind ellitär. An der Rheinoper haben wir einen kleinen Kreis von Leuten die in die Prenieren gehen und dann auch in die Folgevorstellungen um zum einen zu sehen wie sich die Sänger entwickeln und zum anderen um die Inszeneirung besser zu verstehen, da man von einem Mal sehen nicht alles mitbekommt. In DUisburg und Düsseldorf besuchen sehr viele junge Leute die Premieren und die l und es gibt altersmäßig eine sehr gute Mischung. Wer sich für elitär hält der geht heute Abend nach Düsseldorf in die Oper für alle. Dort kann man seine Gardrobe und Freundin auszuführen und es werden nur Häppchen serviert und man muss sich keine ganze Oper anschauen. Darauf verzichte ich dankend, wenn man bedenkt das die billigste Karte 49 Euro in Düsseldorf im dritten Rang kostet und das nur weil Jose Cura u.a. ein " Stargast " ist. Die meisten Premirenbesucher sehen aus als ob sie zur Beerdigung gehen würden. Ich ziehe immer Hemd, Krawatte , Stoffhose und Sakko zur Premiere ein und meine damit gut gekleidet zu sein.

  • Sorry, aber wenn ich so etwas lese, wird mir echt übel...

    Mir wird zwar nicht übel, aber ich frage mich, wie ein intelligenter Mensch, der Alfred zweifellos ist, solche Thesen vertreten kann, ohne vor Scham im Boden zu versinken.


    Davon abgesehen sind die Behauptungen schlicht falsch - nach einer Spielzeit in München, in der ich regelmäßig sowohl Premieren als auch Repertoire-Vorstellungen besucht habe, kann ich mit Gewissheit sagen, dass es keinerlei Korrelation zwischen der Art der Inszenierung und dem Publikum gibt. Bei der "Frau ohne Schatten"-Premiere beispielsweise, eine Regietheater-Inszenierung par excellence (wenn auch keine besonders gute nach meiner Meinung), war der Smoking unter den Herren weit verbreitet. Und die bessere Münchner Gesellschaft hat bestimmt nicht deswegen enthusiastisch geklatscht, weil das Geschehen auf der Bühne ihre Gesellschaftsordnung in Frage gestellt hätte oder ihnen ein Disneyland vorgegaukelt worden wäre. Mich erinnert übrigens eher eine Inszenierung wie Schenks "Füchslein" in Wien an Disneyland :P .

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Mir wird zwar nicht übel, aber ich frage mich, wie ein intelligenter Mensch, der Alfred zweifellos ist, solche Thesen vertreten kann, ohne vor Scham im Boden zu versinken.


    Davon abgesehen sind die Behauptungen schlicht falsch - nach einer Spielzeit in München, in der ich regelmäßig sowohl Premieren als auch Repertoire-Vorstellungen besucht habe, kann ich mit Gewissheit sagen, dass es keinerlei Korrelation zwischen der Art der Inszenierung und dem Publikum gibt. Bei der "Frau ohne Schatten"-Premiere beispielsweise, eine Regietheater-Inszenierung par excellence (wenn auch keine besonders gute nach meiner Meinung), war der Smoking unter den Herren weit verbreitet. Und die bessere Münchner Gesellschaft hat bestimmt nicht deswegen enthusiastisch geklatscht, weil das Geschehen auf der Bühne ihre Gesellschaftsordnung in Frage gestellt hätte oder ihnen ein Disneyland vorgegaukelt worden wäre. Mich erinnert übrigens eher eine Inszenierung wie Schenks "Füchslein" in Wien an Disneyland :P .

    Der Smoking ist bei den Opernpremieren in München in der Tat weit verbreitet. Der wird bei Premieren auch getragen, wenn - wie in der "Macbeth"-Inszenierung von Martin Kušej die Hexen andeutungsweise auf die Totenköpfe urinieren oder in seiner "Rusalka"-Inszenierung der Wassermann mit Plastiksackerl und ungewaschenem Feinripp herumschlürft. Was sagt uns das...Der Münchner ist eher bürgerlich und gutmütig, wenn er seine Sängerstars kriegt, dann passt das schon. Da kann der "Trovatore" noch so beschissen inszeniert sein, wenn der Kaufmann und die Harteros singt, ist seine Welt in Ordnung. Heranwachsende und Jugendliche wird man mit diesem Ekel-Trash nicht mehr begeistern können, den gibt es eh überall in Film, DVD und Internet.


    Die "Frau ohne Schatten" wurde zurecht wegen Petrenko bejubelt, den die Münchner ins Herz geschlossen haben. Die Inszenierung war eher orientierungslos


    Meine Abo-Nachbarin, mittlerweile 84 Jahre, hat wegen der Inszenierungen aufgegeben. Irgendwann wurde ihr der Mist zuviel, mit dem man von der Bühne aus zugeschüttet wird. Mit Bachler als Intendant hat sich die Situation nochmals deutlich verschlechtert.

  • Lieber Merlin,


    du hast vollkommen Recht. Es ist eigentlich paradox, Smoking oder Abendkleid anzuziehen, wenn man von der Bühne her mit Dreck beworfen wird.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Hallo, Gerhard,


    gerade in diesem Fall sollte man durch seine Kleidung demonstrieren, daß man als Person und als Mitglied einer bestimmten Gesellschaftsklasse (wertfrei ausgedrückt!) den von der Bühne her zugeworfenen Fehdehandschuh nicht aufnimmt.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • So ist es. Der Anzug ist die Ritterrüstung des 21. Jahrhunderts. Die Contenance bewahren, auch wenn auf der Bühne der Wahnsinn tobt....

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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