Konzerte und Bekleidungsvorschriften

  • Also ich habe es schon mehrmals erlebt, dass Menschen in offensichtlicher Arbeitskleidung im KOnzert erschienen, also so was wie Malerhose oder Blaumann. Es erschien mir so, als seien sie nach der Arbeit in aller Eile zum Theater gehastet, um Musik zu erleben.
    Ich fand das wirklich gut, so stelle ich mir Liebe zur Musik in Reinkultur vor. (und es hat auch was schön sozialistisches, finde ich).


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Klaus 2:


    Ohne sozialistisch werden zu wollen, wohl aber deren Idiologie zum Großteil zu folgen, darf ich kundtun, dass ich über Jahrzehnte im Berufsleben tätig war und fast jeden dritten Tag nach getaner Arbeit auf den Opernstehplatz zueilte. Da gab es keine Lackaffen, sondern musikbegeisterte Menschen so wie mich in einfacher Straßenbekleidung. Hauptsache, wir gingen mit der Musik und Bühne leidenschaftlich mit und genossen freudvoll die dargebotenen Aufführungen. Und das war und ist ja die Hauptsache!


    Mich irritiert immer wieder, wenn z.B. in einer Winterreise der Sänger in Frack und Mascherl auf dem Podium steht ...


    Natürlich kleidete ich mich schon festlicher, wenn ich auf Sitzplatz war, im allgemeinen aber habe ich den Eindruck, dass Menschen in legerer Kleidung den Darbietungen intensiver und emotionsvoller folgen als die von mir so bezeichneten "Lackaffen", die in den Pausen ihr Sektglas mit gespreiztem kleinem Finger in Händen halten und mit Ihresgleichen Small talk über Gott und die finanzielle Lage ihrer Unternehmen abhalten.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Alles eine Zeitfrage. Wenn ich in den 60-er Jahren zum Tanz oder gar in eine Bar wollte, war ohne Schlips nichts drin. Jeans o.Ä bedeutete draußen bleiben. Mancher Einlasser hatte schlips parat, die ausgeliehen wurden. Zum Tanz gehen war eben etwas anderes als zur Arbeit zu gehen!!


    Das alles ist lockerer geworden, sicher auch durch die in meinen Augen unselige (ich bin Atheist) Generation der 68-er, die alles traditionelle, überlieferte in die Ecke stellte und sogar in Erziehungsfragen Wege beschritt, die sie jetzt selbst nicht mehr verstehen und vielleicht anbetrachts des Ergebnisses sogar verurteilen. Das betraf auch Kleiderordnungen (siehe Joschka Fischer bei seinem Amtsantritt als Grüner Minister).


    Aber viele haben sich traditionelle, einem bestimmten Niveau entsprechende Konventionen bewahrt. Dazu gehört auch das Ausgehen. Zum Tanz gehe ich heute nicht mehr, aber ich unterscheide in meiner Kleidung wohl, ob ich zur Arbeit gehe (oder bis vor 3 Jahren gegangen bin) oder zu einem besonderen Anlaß unterwegs bin. Das kann sein ein schönes Abendessen mit meiner Frau, ist aber auf jeden Fall ein Theater- oder Konzertbesuch. Das ist für mich nichts Alltägliches, das ist etwas Besonderes. Entsprechend ziehe ich entweder einen Sakko an, in der Oper öfter und im Konzert immer den schwarzen bzw. dunklen Anzug mit Schlips oder Krawatte. Bei einem Oper Air zählt diese Konvention allerdings nicht! Eigentlich gibt es doch nichts schöneres als dem Einheitstrott zu entfliehen, und dazu gehört, daß sich meine Frau noch schöner macht als sie eigentlich schon ist und auch ich mich etwas anders anziehe. Sich mit Klunkern zu behängen, das gehört nicht dazu.


    Jedenfalls ärgere ich mich auch darüber, wenn in der Oper oder im Konzert selbst in unserem kleinen Theater jemand rumläuft, von dem man glaubt, er sei ein Gammler. Das finde ich eine Nichtachtung der Institution Theater, aber auch der anderen Besucher.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Es scheint so, als würden die meisten hier doch zumindest ein Sakko/Jackett als Standard ansehen. Die Farben sind überwiegend dunkel, meistens schwarz. Die Kombination mit Jeans ist heute ja auch nichts Außergewöhnliches mehr, auch wenn sie an sich ein Stilbruch ist.


    Seltener sieht man ja weiße bzw. cremfarbene Jacketts. Laut Wikipedia werden diese eher "in südlichen Ländern, auf Schiffsreisen und bei Anlässen im Freien" verwendet und passen wohl generell eher zu einer Matinee.


    Bei besonders festlichen Opernbesuchen bietet sich anstatt der normalen Krawatte ja auch das Plastron mit Krawattennadel an. Manschettenknöpfe verleihen dem Ganzen natürlich noch einen weiteren Hauch von Eleganz.


    Wie handhabt ihr es denn bei Matineen, also Veranstaltungen am Vor- oder Nachmittag? Ist die Farbwahl eine andere, kommt ihr schlichter als abends?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Damit nicht mein Lieblingsthread über das Regietheather durch Themenabweichung aus dem Gleis kommt - habe ich das allzeit beliebte Sommerthema "Konzerte und Bekleidungsvorschriften" - es gilt ja natürlich auch für Opernbesuche (Auf Wunsch kann der Titel modifiziert werden) wieder ausgegraben - und bitte die Bekleidungsdiskussion hier fortzusetzen.


    Mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Es ist schon interessant, wie sehr sich die Mode innerhalb eines Jahrhunderts ändern kann. 1914 wurde eigentlich nur der Frack als angemessen für den Operabend angesehen. Seinen kleinen Bruder, den Smoking, gab es zwar bereits, aber der galt für solche Anlässe noch als "underdressed". Das änderte sich nach dem Ersten Weltkrieg allmählich, der Smoking etablierte sich zunehmend, besonders in Amerika. Nach 1945 war der Frack eindeutig auf dem Rückzug, wurde zunehmend nur mehr bei Premieren und sonstigen Großereignissen getragen. Der Smoking übernahm fast vollständig seine Funktionen und gilt heute de facto als der nobelste Abendanzug für Herren im Opernhaus (ich rede nicht von diversen Bällen). Teilweise wird auch das weiße Dinnerjacket zum Smoking getragen, was noch immer einen exklusiven Look verleiht, wenn auch ursprünglich eher für Veranstaltungen im Freien konzipiert. Wir sprachen hier vom "großen Gesellschaftsanzug" (Frack) und vom "kleinen Gesellschaftsanzug" (Smoking), also richtigen Abendanzügen. Mittlerweile ist auch der Smoking fast nur noch bei Premieren in größerer Zahl zu sehen, was ich persönlich bedauere. Von extravaganten Accessoires wie der Chemisette ganz zu schweigen. Offensichtlich ist den meisten Leuten gar nicht mehr klar, dass nur Frack und Smoking Abendanzüge sind.


    Bei Matineen wurden natürlich auch schon früher keine Abendanzüge getragen. Tagesanzüge domieren heutzutage aber auch das Herrenbild am Abend. Das Plastron ist fast ausgestorben, die Fliege sieht man relativ selten. Es domieren (meist langweilige) Krawatten, ein richtiger Einheitsbrei. Den Cutaway hat man wohl bald ein Jahrhundert nicht mehr im Konzerthaus gesehen, ebenso historisch dürfte der Stresemann sein. Das "No Go" vom schwarzen Tagesanzug stellt mittlerweile absurderweise den als klassisch angesehenen Anzug per se dar; natürlich taugt ein solcher eigentlich nur für Beerdigungen oder für Mafiosi. Ansonsten sind die Sakkos grau, braun und dunkelblau; andere Farben sind selten. Tweed oder Kammgarn sind auch schon rar. Wer trägt überhaupt noch Dreiteiler, also Anzüge mit Weste? Allenfalls ältere Herrschaften.


    Halten wir fest: Heute dominiert bei der Anzugswahl der Herren das völlig deplacierte Schwarz (das eben nur für Abendanzüge passend ist, nicht für Tagesanzüge) und andere dunkle Farbtöne. Viele sehen so aus, als trügen sie ihren alten Konfirmationsanzug. Zu lange oder zu kurze Ärmel sind noch das kleinste Übel; schlimmer wiegen die in schätzungsweise 50 Prozent der Fälle zu breiten Schultern. Mich erinnern diese 08/15-Polyester-Anzüge, praktisch ausschließlich Zweiteiler, immer an "Bankster" und "Manager". Mit Stilempfinden hat das nichts mehr zu tun. Das geübte Auge entdeckt natürlich schnell, wer auch heutzutage noch über Geschmack verfügt, da man die Ausnahmen zählen kann. Schade auch, dass der Hut beinahe ausgestorben ist. Bis in die 60er Jahre hinein das absolute Muss für jeden Gentleman, heute als vorgestrig verpöhnt. O tempora, o mores.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,


    von Königin Viktoria ist der Spruch überliefert, daß man mit seiner Kleidung zeige, wie man von seiner Umgebung wahrgenommen und eingeschätzt werden möchte.
    Damit ist eigentlich schon alles gesagt.
    Zu allen beruflichen und privaten Gegebenheiten gibt es durchaus einen allgemein anerkannten Dresscode; ob man ihn beachtet oder nicht bleibt einem jeden unbenommen. Er oder sie muß dann allerdings ggf. damit rechnen, daß er/sie von Kreisen, die diesen Dresscode noch als verbindlich anerkennen, entsprechend eingeschätzt wird, was allerdings dem/der Betreffenden vermutlich herzlich gleichgültig sein dürfte.
    Auf das Opern- oder Konzerterlebnis bezogen erachte ich es als selbstverständlich, das Außergewöhnliche eines Kunstereignisses durch dem Anlass angemessene Kleidung zu würdigen, was nach meiner Meinung beim Herren einen gedeckten (bitte anständig sitzenden!) Straßenanzug, bei der Dame z.B. ein Kostüm bzw. einen farblich nicht zu auffälligen Hosenanzug bedeutet, wenn es um eine "Standardvorstellung" geht, bei Premieren bitte Smoking und Abendkleid.
    Solche Kleidung drückt Respekt gegenüber den anderen Konzertbesuchern, den Künstlern und nicht zuletzt dem Werk und seinem Schöpfer gegenüber aus.


    Da ich hier ohnehin als "elitär" verschrien bin, scheue ich mich nicht, dies einmal klar auszudrücken.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Hallo, Joseph,


    ich kann Deinen Ausführungen nur voll zustimmen!
    Der Cut gilt als "Frack des Tages" und ist daher für Abendveranstraltungen ungeeignet; er kommt nur noch bei diplomatische Anlässen oder Hochzeiten/Taufen zum Einsatz.
    Der "Stresemann" ist -außer im politisch/diplomatischen Umfeld- als festliche Bekleidung ausgestorben.
    Früher haben sich noch die Minister zum Empfang ihrer Ernennungsurkunden beim Bundespräsidenten entsprechend gekleidet; sieh Dir jetzt die entsprechenden Inaugurationsphotos vor dem Bellevue an, und Du siehst, wie es heutzutage zugeht.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Wenn ich das so lese, wundere ich mich nicht mehr, dass Opernhäuser Schwierigkeiten haben, neues Publikum zu gewinnen...


    Wie ja hier aufgezeigt wurden, sind Bekleidungskonventionen keine in Stein gegossenen Gesetze, sondern ständigen Änderungen unterworfen. Und was in einem bestimmten Kontext als angemessene Kleidung gilt, bestimmen auch nicht einzelne, selbst ernannte Geschmacksrichter, sondern es ist ein gesellschaftlicher Konsens. Und zum Glück leben wir in einer so liberalen Zeit, dass man selbst in einem eher konservativen Haus wie der Bayerischen Staatsoper nicht schief angeschaut wird, wenn man etwas legerer gekleidet zu einer Vorstellung erscheint. Ich selbst bin durchaus konservativ in dem Sinne, dass ich eine feierliche Kleidung schätze, die das Besondere eines Opernbesuches oder gar einer Premiere betont. Und ich empfinde es als angenehm, dass diese Sichtweise in München deutlich stärker ausgeprägt ist als in Berlin. Aber ich würde nie die Nase rümpfen oder den Verfall aller guten Sinne beklagen, wenn jemand in Jeans und Sportsakko in die Oper kommt. Im Zweifelsfalle ist mir ein echter Opern-Liebhaber und -Kenner in Jeans zehnmal lieber als Besucher, die Oper nur als gesellschaftliches Ereignis betrachten und ihre soeben in der Maximilanstraße erworbene Edel-Garderobe zur Schau stellen und dann während der Vorstellung ständig auf die Uhr schauen, weil sie sich langweilen und die nächste Pause nicht erwarten können.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Als ich 1998 zum ersten Mal die Salzburger Festspiele besucht habe und eine Karte für einen konzertanten "Parsifal" mit Domingo hatte, bemerkte ich, dass ich meinen Schlips (zu schwarzem Anzug und weißem Hemd) vergessen hatte. Ich war echt in Panik und begab mich früh zum Einlass, um nötigenfalls noch einen nachkaufen zu können. Die Antwort des Einlassdienstes auf meine Frage, ob ich denn auch ohne Schlips reinkomme, war:


    "Uns genügt es eigentlich, wenn Sie eine gültige Eintrittskarte haben."


    Ich war nicht nur erleichtert, sondern habe mich seitdem diesbezüglich daran und an nichts anderem orientiert. Und solange der Saal bei der Vorstellung angedunkelt ist, ist es mir auch völlig schnurz, was die anderen Besucher anhaben, wobei eine Dame in Nerz mit Stola sicherlich mindestens ebenso albern aussehen kann wie jemand in abgewetzter Jeans...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Zitat

    Und zum Glück leben wir in einer so liberalen Zeit

    Ob das wirklich ein Glück ist, das sei mal dahingestellt.
    Dann bin ich auf einen interessanten Passus in einem Beitrag von WSchenk gestoßen:



    Zitat

    Ja genau! - Vielleicht sollte man jemandem wie mir (gesamtschulsozialisiert, regelmäßig ohne Anzug in Oper und Konzert und zudem noch interessiert an gutem Regietheater).....

    Zunächst einmal musste ich nachsehen was "Gesamtschule" denn nun genau bedeutet. Ich habe mein Unwissen darüber auf mein Alter geschoben - bin aber bald darauf bei Wikipedia belehrt worden, daß es in Österreich - von privaten Schulmodellen abgesehen - so etwas gar nicht wirklich gibt.
    Und die Chancen, daß es bei uns derlei wirklich geben wird, schätze ich für die nächsten Jahre gering ein, denn wer es sich nur einigermaßen leisten kann, der schickt seine Kinder auf ein Gymnasium. Das war in meiner Jugend eher nicht der Fall, denn die damals sogenannte Hauptschule (das Niveau war merklich höher als heute) wurde in einen A und einen B Klassenzug getreten, wobei das Niveau des A-Zuges idealerweise so war, dass man von dort auch aufs Gymnasium wechseln konnte - und generell die besseren Lehrplätze und Berufschancen hatte.


    Ich frage mich, ob jemand sich so über die "liberale Zeit" gefreut hätte, wenn er beispielsweise Absolvent des renommierten "Sacre Coeur" gewesen wäre? Wer dort erzogen wird - hat - so will ich meinen - ein weniger liberales Weltbild, als hier im Forum (beinahe dogmatisch? ;) ) propagiert wird.


    Hier die Hausordnung - und darin enthalten - damit wir beim Thema bleiben - die Bekleidungsvorschriften.


    http://www.sacre-coeur.at/Mittelschule/PDF/Hausordnung.aspx


    Freundliche Grüße aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Bertarido,


    auch wenn wir in einer liberalen Zeit leben, wie du schreibst, heißt das noch lange nicht, dass jeder in Kleidungsfragen eine völlige Indifferenz an den Tag legen muss. Mir gefällt es und ich finde es angemessen, wenn es bei einer Oper auch im Publikum elegant und festlich zugeht. Das ist der Würdigung dieser Königin der Musikformen angemessen. Es drückt auch den Unterschied zum Fußballplatz oder zur Kneipe aus. Ich würde eher von einer nivellierenden als von einer liberalen Zeit sprechen, dass man das Konstatieren solcher Unterschiede erklären und rechtfertigen muss. In Reiseführern für viele Länder steht der Hinweis, dass es die jeweils Einheimischen nicht gern sehen, wenn man in Sandalen und Shorts die Kirchen und Museen besucht. Warum kann man den gleichen Anspruch nicht hier und bei der Oper haben?



    Herzliche Grüße


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Lieber Bertarido,


    auch wenn wir in einer liberalen Zeit leben, wie du schreibst, heißt das noch lange nicht, dass jeder in Kleidungsfragen eine völlige Indifferenz an den Tag legen muss. Mir gefällt es und ich finde es angemessen, wenn es bei einer Oper auch im Publikum elegant und festlich zugeht. Das ist der Würdigung dieser Königin der Musikformen angemessen. Es drückt auch den Unterschied zum Fußballplatz oder zur Kneipe aus. Ich würde eher von einer nivellierenden als von einer liberalen Zeit sprechen, dass man das Konstatieren solcher Unterschiede erklären und rechtfertigen muss. In Reiseführern für viele Länder steht der Hinweis, dass es die jeweils Einheimischen nicht gern sehen, wenn man in Sandalen und Shorts die Kirchen und Museen besucht. Warum kann man den gleichen Anspruch nicht hier und bei der Oper haben?


    Mir gefällt es auch, wenn ein Opern-Publikum elegant und festlich gekleidet ist. Und ich wäre auch dafür, einem Besucher in Shorts und Sandalen den Einlass zu verweigern, weil ich kaum glaube, dass er nicht über lange Hosen und halbwegs ansehliche Schuhe verfügt und seine Kleidung damit ein Zeichen von Respektlosigkeit oder zumindest Nachlässigkeit ist, die man nicht tolerieren sollte. Aber soll das auch schon gelten, wenn jemand Jeans und Sakko trägt? Gefällt mir auch nicht besonders, aber was ist, wenn er sich keinen Anzug leisten kann? Soll man ihn deswegen nicht in die Oper lassen? Wollen wir nicht alle, dass auch jüngere Menschen in die Oper gehen, die als Studenten vielleicht ein preiswertes Ticket bekommen haben, aber sich keinen Anzug eigens dafür leisten können? Und wollen wir nicht auch, dass Angehörige "niedrigerer" Gesellschaftsschichten den Zugang in die Oper finden? Nun, Alfred und Sympathisanten vielleicht nicht, ich aber schon. Soll man dann die Barrieren, die ohnehin bei einer solch elitären Kunstform bestehen, noch durch übertriebene Kleidungsvorschriften erhöhen? So sehr ich Ästhet bin und mich über elegant gekleidete Menschen freue: hier überwiegen dann in der Abwägung doch die andere Aspekte.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Die Oper in Odessa ( die ich im Herbst besuchen will - ein wunderschöner Bau - und die gänzlich frei von RT ist ;) ),hat auf ihrer Bestellseite einen Hinweis darauf, dass adäquate Kleidung (was die auch immer darunter verstehen mögen) Voraussetzung für den Einlass ist. So etwas gibt es also noch.


    Smoking trage ich nur noch auf Festspielen. Selbst bei Premieren ist man in Leipzig damit völlig "overdressed". Und bei den kurzen Pausen dort kann man eigentlich auch nicht von einem "gesellschaftlichen Ereignis" sprechen. Man mag die Änderung oder meinetwegen den Verfall der Kleidungskultur beklagen - zu ändern ist das nicht. Und im Grunde sind mir die vielen jungen Leute, die man jetzt (wieder?) in der Oper sieht lieb und teuer, auch wenn sie in ihrem "look" kommen und - ihren - Stil (!) haben.


    Das ist allemal besser als "gewollt und nicht gekonnt": zB Männer in dunklen Anzügen ersichtlich schlechter Qualität, die entsprechend "sitzen", mit zu kurz oder zu lang gebundener hässlicher, ungeschickt geknoteter Krawatte, zu kurzen Socken und geknöpften statt Umschlagmanschetten.


    Ich bin lebenserfahren genug, um Menschen nicht nach ihrem Äusseren zu beurteilen. Albern finde ich, wenn ich Männer meines Alters in Jeans und Lederjacke in der Oper sehe (wie jüngst in der Premiere der "Frau o. Sch.")


    Wer Männer mit Kleidungskultur sehen will, kann sich in den meisten Häusern an die Homosexuellen halten, die zumindest in Leipzig eine große Gruppe des Stammpublikums stellen. Das ist die Gruppe der mit Abstand gepflegtesten, bestgekleideten und kultiviertesten Leute. IdR auch sehr kenntnisreiche echte "Opernfans", mit denen man sehr interessante Gespräche führen kann.

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Zitat

    Wer Männer mit Kleidungskultur sehen will, kann sich in den meisten Häusern an die Homosexuellen halten, die zumindest in Leipzig eine große Gruppe des Stammpublikums stellen. Das ist die Gruppe der mit Abstand gepflegtesten, bestgekleideten und kultiviertesten Leute. IdR auch sehr kenntnisreiche echte "Opernfans", mit denen man sehr interessante Gespräche führen kann.


    Das ist nicht nur in Leipzig so .....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich bin in der für mich komfortablen Situation, kein Haus, kein Auto und kein Motorboot zu besitzen, deshalb fällt dieser und jener Euro für den Schneider ab. Kleidung, wie angemessen die auch jeder findet für sich, gilt doch zunächst immer der eigenen Person, dem eigenen Selbstwertgefühl. Man sollte auch immer gut zu sich selbst sein. Erst in zweiter Linie verbinde ich damit ein Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit und in Gesellschaft. Also ist es mir grundsätzlich egal, wer wie wo auftritt. Ich kann es ohnehin nicht ändern, schon gar nicht durch das eigene Beispiel – was auch vermessen wäre. Mit dem Untergang bzw. Verschwinden des klassischen Bürgertums hat sich auch die Kleiderordnung auf allen Ebenen drastisch geändert. Für mich versuche ich zwar, gegenzuhalten, selbst auf die Gefahr hin, etwas aus der Zeit zu fallen. Mehr ist nicht möglich. Eben habe ich mal in das Berliner Waldbühnenkonzert hineingesehen, das von Gustavo Dudamel in seinem sehr schlecht sitzenden Anzug geleitet wird. Der Verfall in diesem Bereich, um den es hier ja auch in erster Linie geht, beginnt also nicht im Publikum der Opernhäuser, sondern auf dem Podium bzw. im Orchestergraben. Du meine Güte, was dort oben inzwischen nicht alles getragen wird. Mir scheint, Karajan hat damit angefangen. Mit einiger Wehmut denke ich an Knappertsbusch zurück, den vielleicht bestgekleideten deutschen Dirigenten. Er musizierte wie er aussah. Da muss es einen Zusammenhang geben. Wie immer sich der Maestro auf Fotos oder im Film zeigt, jedes Detail stimmt – bis zur Chatelaine. Der ist mein Vorbild. Ich lebe in Berlin, das nie wirklich elegant gewesen ist, heute schon gar nicht mehr. Dafür ist die Mischung, auch durch die vielen Zuwanderer zu kräftig. Das ist nun einmal so, dass muss man akzeptieren. Wer hier gesteigerten Wert auf sein Äußeres legt, ist schnell auf verlorenem Posten. Da braucht es sehr viel Selbstbewusstsein. Die Eliten von heute gehen auf in diesem babylonischen Gemisch. Auch die Politik, hier bekanntlich sehr stark konzentriert, ist nur noch an den Marken ihrer Autos zu erkennen. An nichts anderem. Ein Blick ins höchste Haus des Landes offenbart schlechten Geschmack in höchster Konzentration. Die einzigen Männer mit Format sind noch die Saaldiener, die fürderhin Frack tragen. Jeder also nach seiner Fa­çon – das gilt auch für die Mode. Obwohl ich mich daran stoße, halte ich diese Vielfalt dennoch für eine große demokratische Errungenschaft. Es kann ja nicht falsch sein, wenn nicht allein Kleider die Leute machen.


    Beste Grüße von Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie schon an anderer Stelle gesagt, stört es mich keineswegs, wenn jemand mit sauberen und nicht verschlissenen oder gar durchlöcherten Jeans neben mir sitzt, obwohl ich selbst Jeans eher als Arbeitskleidung ansehe und auch sonst nicht trage, geschweige denn zu einem solchen Anlass. Früher ging ich auch immer in dunklem Anzug, weißem Hemd und Krawatte in die Oper oder ins Konzert. Dieser Zwang ist (und ich sage glücklicherweise) heute überholt. Ich gehe heute auch schon mal in einer Kombination, sauberem Hemd, aber im Sommer auch mit offenem Kragen ins Konzert. Und für das, was uns heute auf der Opernbühne so alles angeboten wird, würde ich es sogar (selbst bei der Premiere) als völlig inadäquat ansehen, dazu überhaupt eine festliche Kleidung anzuziehen. In eine Premiere würde ich mich ohnehin nicht wagen wollen, weil man das selten im Voraus weiß, welch ein Unsinn einen heutzutage erwartet.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Ich habe Konzertkleidung - vorzugsweise in meiner Jugend, als ich noch schlank war - niemals als Zwang empfunden.
    Mir machte es geradezu Spaß mich herauszuputzen, wobei es keine sklavische Etikette gab. Dunkle Anzüge waren fast immer richtig, aber es gab auch Zeiten, wo andere Moden mit einflossen, beispielsweise im Sommer bei Nachmittagsvorstellungen im Theater Helle Anzüge mit Gilet. Oder aber Anzüge aus weinrotem oder mitternachtsblauem Samt und dazu passender schwarzer (?) Samtmasche. Heute würde das natürlich nicht mehr passen - zumindest wäre es auffällig.
    Man mag mit entgegenhalten, dies sei ja nicht der Hauptaspekt eines Konzert- Opern - oder Theaterbesuchs.
    Das ist zwar richtig - aber es spielen eben stets mehrere Aspekte für einen geglückten Abend eine Rolle.
    Es hat sich in meinem späteren Leben ergeben, daß ich aus Zeitmangel - ich hatte die Karten überraschend geschenkt bekommen, hatte keine Gelegenheit zum Umziehen -aus meiner Sicht "unpassend" gekleidet war, wenn ich ein Konzert etc besuchte. Ich fühlte mich jedesmal wie ein Aussätziger - geächtet vom restlichen Teil des Publikums....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo,


    die Bemerkungen von Rheingold zum Outfit mancher Dirigenten oder anderer Musiker sind leider oft zutreffend. Allerdings fand ich, daß Karajan zwar - insbesondere in seinen letzten Lebensjahren - unkonventionell, aber stets elegant gekleidet war; soweit ich weiß, konnte er nur in relativ legerer Bekleidung seine massiven Rückenschmerzen auf dem Podium überhaupt ertragen.


    Wie ernst man in früheren Jahren seine Berufsbekleidung nahm, zeigt das Beispiel Gustav Mahlers. Dieser war privat - zumindest bis Alma dies abstellte - eher bescheiden gekleidet, ließ aber seine Fräcke bei den teuersten Schneidern arbeiten und wechselte z.B. beim Tristan nach jedem Aufzug seinen Frack, um nicht in durch Schwitzen evtl. unansehnlich gewordener Kleidung aufzutreten. Auch auf Konzertreisen hatte er daher immer mehrere Fräcke im Gepäck. Dies war für ihn - wie er einmal ausdrückte - ein selbstverständlicher Ausdruck seines Respektes für das Werk und auch sein Publikum.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Zitat

    Zitat von Misha: Auch einen Schimpansen kann man in einen Smoking stecken - er bleibt ein Affe.

    Lieber Misha,


    ein italienisches Sprichwort sagt: Scimmia rimane scimmia, anche vestita di seta (Affe bleibt Affe, auch wenn er in Seide gekleidet ist). Wir haben hier das beste Beispiel in unmittelbarer Nähe. Leute, die immer hochherrschaftlich gekleidet sind, vor allem, wenn sie dreimal wöchentlich mit ihrer Staatskarosse zum Gottesdienst ihrer Sekte losfahren. Was da aber herauskommt, wenn sie den Mund aufmachen, kann man gar nicht schildern. Sie sind hier überall unbeliebt, weil sie sich aufdrängen, ständig neugierig sind und sich mit ihren dummen Redensarten in alle möglichen Angelegenheiten der Nachbarn einmischen wollen. Sie wurden schon von manchem zurechtgewiesen, was sie aber nicht kapieren. Sie werden hier spöttisch "Baron und Baronin" genannt.
    Also - wie du schon sagst - die Kleider machen wirklich noch keine Leute. Und ich schätze manchen "einfachen" Menschen, der sich bescheiden gibt, mehr als Leute, die nur hochherrschaftlich tun.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

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  • Klassische Herrenmode — Eine sartoriale Kurzeinführung


    Im Folgenden möchte ich den Versuch unternehmen, hier knapp und möglichst verständlich eine kurze Einführung in die klassische Herrenmode zu geben. In diesem Forum bedarf es dazu womöglich einer gewissen Rechtfertigung. Gewissermaßen sind klassische Konzerte und Opernbesuche ein letztes Rückzugsgebiet der klassischen Herrenmode geworden, eine Entwicklung, die so vor einigen Jahrzehnten wohl kaum für möglich gehalten worden wäre. Die Gründe hierfür zu eruieren, würde in Romanlänge ausarten, daher möchte ich das Thema nur anreißen. Zwischen etwa 1960 und 1970 wurde allmählich eine Entwicklung eingeleitet, die dazu führte, dass das alltägliche Tragen eines Anzugs außerhalb der beruflichen Erfordernisse sukzessive im Rückzug begriffen war. Interessanterweise erfolgte diese Entwicklung im Ursprungsland der klassischen Herrenmode, in England, in deutlich abgemilderter Form, was man auf das dort viel ausgeprägter ausgebildete Klassensystem zurückführen könnte. In Deutschland und — etwas weniger ausgeprägt — Österreich ist ein sartoriales Grundverständnis bei Männern heutzutage jedenfalls (euphemistisch ausgedrückt) nur mehr begrenzt vorhanden. Dabei war Deutschland früher neben England und Italien durchaus eine "stilbildende" Nation. Hiervon kann im 21. Jahrhundert in Hinblick auf die klassische Herrenmode nicht mehr die Rede sein. Während englische Schneiderkunst noch heute das A und O im Bezug auf konservative Herrengarderobe darstellt und italienische Schneider mit betont sportlicheren und jugendlicheren Schnitten gewissermaßen das Pedant verkörpern, dominiert im deutschsprachigen Raum hinsichtlich Herrenbekleidung längst ein fragwürdiger Geschmacksbegriff.



    Klassische Abendgarderobe (ab 18 Uhr)


    Frack (großer Gesellschaftsanzug, white tie, cravate blanche)



    Präsident Dwight D. Eisenhower und Kronprinz Akihito von Japan


    Einführung:


    Der Frack ist in aller Regel schwarz (seltener auch mitternachtsblau) und besteht aus einem Jackett mit knielangen "Schwalbenschwänzen" (Rücken). Vorne ist das Jackett taillenkurz und wird grundsätzlich offen getragen. Steigende Revers mit glänzendem Seidensatin oder gerippter Seide sind unabdingbar. Die Hose hat niemals Umschläge und keine Bundfalten und verfügt über zwei (!) Seidenbänder (Galons). Die Frackhose wird niemals mit Gürtel, sondern immer mit Hosenträgern getragen. Das Frackhemd verfügt über eine gestärkte Piquébrust und klassischerweise kragenlos, was abnehmbare Kragen ermöglicht. Fast ausschließlich wird ein sog. "Vatermörder"-Kragen mit Kläppchen verwendet; der um 1900 populäre imperiale Kragen (stehend, ohne Kläppchen) ist praktisch ausgestorben. Die Manschetten sind einfach und nicht umgeschlagen und werden mit Manschettenknöpfen geschlossen. Die Hemdknöpfe sind denselben stilistisch anzupassen. Die Frackweste ist weiß und in der Regel mit steigendem Revers ausgestattet. Sie darf ein- oder zweireihig sein und besitzt oftmals kein Rückenteil, sondern wird mit Taillenriemen hinten zusammengehalten. Schwarze Frackwesten sind mittlerweile ausgestorben. Ein Kummerbund zum Frack ist genauso deplaciert wie das Tragen gar keiner Weste. Die Schleife muss definitiv weiß sein und sollte nie vorgebunden sein. Die einzige mögliche Kopfbedeckung ist der schwarze Zylinder. Optional können ein weißer Seidenschal und weiße Glaceehandschuhe getragen werden. Eine Armbanduhr ist zu vermeiden; in jedem Falle ist eine Taschenuhr vorzuziehen. Als Schuhe sind schwarze Oxfords oder (konservativer) Opernpumps möglich.


    Heutige Verwendungsgebiete:


    Mittlerweile ist das Einsatzgebiet für den Frack stark eingeschränkt. Für große Bälle stellt er allerdings noch heute eine mögliche bzw. notwendige (Wiener Opernball) Option dar. Ansonsten wurde der Frack weitestgehend vom Smoking verdrängt.


    Smoking (kleiner Gesellschaftsanzug, black tie, cravate noire)



    David Suchet als Hercule Poirot


    Einführung:


    Ursprünglich wurde das Jackett aus Samt gefertigt und hatte neben Schwarz auch andere Farbtöne (z. B. Weinrot, Tannengrün, Dunkelblau). Im Englischen bezeichnet man mit smoking jacket noch heute ausschließlich diese Samtjacketts, die nach dem Dinner zum Rauchen angezogen wurde. Der heute klassische Smoking wird in England als dinner jacket und in Amerika als tuxedo bezeichnet. Das Smokingjackett ist entweder ein- oder zweireihig und verfügt üblicherweise über keine Rückenschlitze (zwei seitliche Rückenschlitze sind indes möglich, ein mittiger unpassend). In nahezu allen Fällen ist die Farbe schwarz, optional mitternachtsblau. Klassischerweise hat das Smokingjackett nur einen einzigen Schließknopf und verfügt entweder über ein steigendes Revers oder aber über einen Schalkragen, die mit Seidensatin oder gerippter Seide besetzt sind. Ein fallendes Revers ist zwar möglich, aber deutlich informeller. Die Taschen verfügen traditionellerweise über keine Klappen (Paspeltaschen). Im Sommer, im Freien oder auf Schiffsreisen kann das Smokingjackett auch weiß oder cremefarben sein. Die Smokinghose besitzt keine Aufschläge und hat einen (!) Galonstreifen aus Seide. Sie wird niemals mit Gürtel, sondern mit Hosenträgern getragen. Das Smokinghemd ist in seiner konservativsten Form mit dem Frackhemd identisch (siehe oben). Es muss indes keine gestärkte Hemdbrust haben und darf auch einen Umlegekragen besitzen. Plissee, Biesen oder Rüschen sind möglich. Die Schleife ist stets schwarz (im höchsten Falle dunkelrot). Das Tragen einer Krawatte gilt als Fauxpas. Es wird eine schwarze ein- oder zweireihige Weste oder ein schwarzer Kummerbund getragen. Weiße Westen sind noch förmlicher und nähern den Smoking dem Frack an. Am informellsten ist der komplette Verzicht auf Weste oder Kummerbund. Zweireiher werden, da stets geschlossen, indes generell ohne diese getragen. Die formellste Variante des Smoking stellt ein einreihiges Jackett mit steigendem Revers, einem Schließknopf und ohne Rückenschlitze, kombiniert mit einer weißen (!) Weste (wie beim Frack) und gestärktem Hemd mit "Vatermörder"-Kragen, dar. Nahezu ausschließlich werden schwarze Oxford-Schuhe zum Smoking getragen; Opernpumps sind die erzkonservativste Möglichkeit. Als Hut fungiert die Melone oder der Homburg.


    Heutige Verwendungsgebiete:


    Der Smoking hat den Platz des Fracks nahezu vollständig eingenommen. Bis auf extrem förmliche Bälle wird er mittlerweile als gleichberechtigt betrachtet. Er bietet sich für jeden feierlichen Abendanlass an und ist — entgegen anders lautender Legendenbildung — am Abend niemals overdressed. Ein gewöhnlicher Tagesanzug ist abends vielmehr im Grunde genommen underdressed.



    Klassische Tagesgarderobe (bis 18 Uhr)


    Gehrock (frock coat)



    Premierminister David Lloyd George nebst Gattin


    Einführung:


    Traditionell stellt der Gehrock die formellste Herrentagesbekleidung dar. Allerdings wurde er bereits im Laufe der 1920er Jahre de facto vom seinerzeit informelleren Cut verdrängt. Nach dem Tode des in Kleidungsfragen traditionellen britischen Königs Georg V. (1936) verschwand der Gehrock auch dort offiziell aus der Hoftracht.


    Heutige Verwendungsgebiete:


    Heutzutage praktisch ausgestorben.


    Cut (großer Gesellschaftsanzug, morning tailcoat, cutaway)



    Der Duke of Windsor nebst Gattin


    Einführung:


    Der Cut entwickelte sich aus dem Gehrock heraus und verdrängte diesen ab etwa 1900 sukzessive als formellste Tagesbekleidung. Er stellt das tageszeitliche Gegenstück zum Frack dar und hat seinen Namen den den abgeschnittenen Ecken des Gehrocks (cutaway). Das Jackett ist schwarz, anthrazit oder grau, wobei ersteres am formellsten ist. Es verfügt in jedem Fall über steigendes Revers und nur einen Schließknopf. Die Hose ist schwarz-grau gestreift. Die Weste, ein- oder zweireihig, ist schwarz, anthrazit, grau oder in einem dezenten Gelbton (buff). Das Hemd verfügt in der Regel über einen Umlegekragen, "Vatermörder" ist allerdings erlaubt. Schwarze Oxford-Schuhe stellen die einzige adäquate Option dar. Im Allgemeinen wird eine graue, silbergraue oder schwarze Krawatte, zu festlichen Anlässen auch ein Plastron getragen; Fliege ist möglich, aber unüblich. Gamaschen sind erlaubt. Ein komplett hellgrauer Cut gilt als etwas informeller als eine Kombination. Einziger möglicher Hut ist der Zylinder.


    Heutige Verwendungsgebiete:


    Sehr förmliche Feierlichkeiten vor 18 Uhr, Hochzeiten, Staatsbegräbnisse.


    Stresemann (kleiner Gesellschaftsanzug, black lounge, stroller)



    Premierminister Sir Winston Churchill


    Einführung:


    Der im deutschsprachigen Raum nach dem kurzzeitigen Reichskanzler und langjährigen Reichsaußenminister Gustav Stresemann als "Stresemann" bezeichnete Anzug ist das tageszeitliche Pedant zum Smoking. Seine genaue Entstehungszeit liegt im Dunkeln. Jedenfalls kombinierte Stresemann anlässlich der Verhandlungen in Locarno (1925) den Cut mit einem normalen Sakko, weil er es leid war, zwischen Büro und öffentlichen Auftritten (im Reichstag war seinerzeit der Cut noch Pflicht) den kompletten Anzug wechseln zu müssen. Deswegen unterscheidet sich der Stresemann bis auf das Jackett nicht vom Cut. In den Vereinigten Staaten wird dieser Anzug stroller genannt, in England black lounge. Es ist wahrscheinlich, dass sich Stresemann amerikanischer Vorbilder bediente. Wie der Cut verfügt der Stresemann-Anzug also über eine schwarz-grau gestreifte Hose und eine schwarze, anthrazitfarbene oder graue Weste. Das Jackett ist schwarz (am förmlichsten), anthrazit oder dunkelgrau und in der Regel einreihig (Zweireiher sind indes erlaubt). Klassischerweise besitzt das Jackett ein steigendes Revers und keine Rückenschlitze. Üblicherweise ist die Krawattenfarbe grau oder schwarz; eine Fliege ist möglich. Das Hemd hat nahezu ausschließlich einen Umlegekragen. Schwarze Oxfords komplettieren das Bild.


    Heutige Verwendungsgebiete:


    Förmliche tageszeitliche Veranstaltungen, Hochzeiten, Begräbnisse. Anders als der Smoking den Frack, konnte der Stresemann den Cut nur zeitweise zurückdrängen. Bis in die 1960er Jahre hinein war er in der frühen Bundesrepublik Deutschland der typische Anzug für Staatsempfänge ("Bonner Anzug") und wurde u. a. von Konrad Adenauer und Theodor Heuss getragen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões