Das äußerliche Erscheinungsbild eines Opernsängers- berechtigte Forderung oder unrealistisches Wunschdenken

  • "Zitat Dr. Pingel"Für Mimi musste sich Anna Netrebko auf 100 Kilo hinauffressen,





    Wollte sie mit Pavarotti oder Botha auftreten?



    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Vielleicht etwas überspitzt und auch ein bisschen gemein, aber darob nicht weniger schlüssig wäre es, hier das vom regietheatergeplagten Teil der Menschheit so gern angeführte Argument der Werktreue einzustreuen.


    Warum ein Holländer im Fitnesstudio nicht, eine Caballe als Violetta hingegen schon funktionieren soll, bedürfte durchaus einer Erklärung...

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Ganz abgesehen davon, dass sich auch hier etliches geändert hat (eine Caballé als Violetta wäre heute wohl ein no go), darf wohl die stimmliche Fähigkeit nicht ausser Acht gelassen werden. Auch eine füllige Person kann durchaus durch entsprechende Stimmfärbung eine Partie glaubhaft machen.

  • Eine Caballé darf nicht, ein Botha aber schon (dick sein)? Einen Pavarotti würde ich dankbar annehmen. Denn was zählt, sind vor allem die stimmlichen und künstlerischen Voraussetzungen.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Einen Pavarotti würde ich dankbar annehmen.
    Denn was zählt, sind vor allem die stimmlichen und künstlerischen Voraussetzungen.


    Mein lieber Fritz
    Wie recht Du wieder hast. Besser kann man das nicht sagen!
    Liebe Grüße ins schöne Wien
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • eine Caballe als Violetta hingegen schon funktionieren soll, bedürfte durchaus einer Erklärung...


    Ganz einfach, weil wir hier auf der Opernbühne und weder im Film, noch im Schauspiel sind. Dort lassen sich Rollen auch vom Äußeren idealerweise wunschgemäß besetzen. Hier aber geht es ums "Singen" und das steht primär im Vordergrund. Da bilden eine hervorragende Stimme, passendes Alter, gepaart mit einem blendenden Aussehen und einer Traumfigur eher selten eine Einheit. Nicht jedem war es vergönnt in seinen Glanzzeiten so hervorragend auszusehen wie z. B. Bonisolli, Corelli oder auch Orofino und dabei noch hervorragend zu singen.
    Ich habe gestern abend eine herrliche Traviata im TV mit sehr guten Sängern erlebt. Wäre diese Traviata mit Personen als Film besetzt worden, hätte der Bariton überhaupt keine Chance gehabt. Er war nämlich als Vater von Alfredo deutlich erkennbar nur unwesentlich älter als der Sohn. Konnte nie der "wirkliche" Vater sein. Und die Violetta wäre aufgrund einer nicht vorhandenen schlanken Traumfigur wahrscheinlich auch nicht besetzt worden. Hier bedarf es eben doch einer Fantasie und gewissen Zugeständnissen.
    Und man muß sich da wohl auch selbst fragen, was ist mir lieber - ein äußerlich authentisch aussehender Hungerhaken als Rodolfo mit einer mickrigen Stimme, oder ein Tenor, zwar mit deutlichem Übergewicht, der einen aber darstellerisch und vor allem stimmlich vom Sitz reißt. Mir ist Letzterer wesentlich lieber. Ich weiß da von einem...
    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Lieber Crissy,


    wie recht du hast. Für mich ist viel wichtiger, dass die Oper authentisch ist. Ob die Darstellerfigur nun den Idealmaßen entspricht, spielt für mich nur eine geringe Nebenrolle. Wissen wir genau, wie die authentischen Figuren ausgesehen haben?
    Natürlich ist es schön, wenn die Darsteller jugendlicher Rollen eine passende Figur haben, soweit sie auch passend singen können. Aber solche Figuren wie Caballé, Pavarotti oder heute Botha stören mich nicht. Botha hat mich in der scheußlichen Inszenierung des Parzifal in Salzburg gestört, wo er zu all dem Unsinn, der da geschah, auch noch in dieses grün-braune Jackett gesteckt war, was ihn da noch scheußlicher wirken ließ. In der stimmigen Inszenierung der Meistersinger aus Wien hat er mich überhaupt nicht gestört (auch wenn man sich - auch das ist persönlicher Geschmack - einen jugendlichen Stolzing etwas anders vorstellt). Die Illusion, in der richtigen Oper zu sein, wird nicht durch die Proportionen der Sänger, sondern durch die scheußliche Verzerrung durch die modische Regie genommen. Eine meiner Lieblingsinszenierungen ist ein Don Carlo aus der Mailänder Scala mit Pavarotti. Ich habe während der ganzen Oper keinen Augenblick die Idee gehabt, dass Pavarotti den Carlo nicht verkörpert. Und das Alter anzudeuten, wie z.B. in der Traviata, die du gestern gesehen hast, und die ich selbst vor noch nicht allzu langer Zeit gesehen habe, da kann der Maskenbildner sehr viel tun.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Wie schon öfters erwähnt, sollten sängerisches Können und rollendeckende Bühnenpräsenz bei der Auswahl von Opernsängern an erster Stelle stehen.
    Doch möchte ich weder den Gesang der Wale noch der dürren Hungerhaken auf einer Opernbühne erleben. Augen und Ohren wollen gleichermaßen zu ihrem Recht kommen.


    Und weil Luciano Pavarotti hier oft als das Maß aller Dinge vergöttert wird: Er hatte viele glorreiche Jahre als Primus inter pares unter den Operntenören weltweit. Seine Auftritte der letzten Jahre jedoch erweckten nur noch Mitleid. Auch das darf mal ausgesprochen werden.


    Andersdenkende dürfen nun ihre Pfeile aus den Köchern holen. Wir haben schließlich 1. Advent.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Ich erinnere mich noch an ein sehr lustiges Inverview mit Roberto Alagna. Dort erzähle er wie er Angela Gheorghiu kennenglernt hat. Das war in London bei ihrer Proben zu La Traviata gewesen. Und als er sie gehört hat, hat er gedacht das eine Frau die so eine Stimme hat auch eine große Oberweite haben muss. Und schon war sein Interesse geweckt :) . Frau Nebtreko gefällt mir auch wesentlich besser, seitdem sie etwas fülliger geworden ist. Ich habe aber auch nichts gegen Sängerinnen wie Frau Blythe oder Herrn Botha die sich denke ich mal bewusst sind das sie nicht die Optimalmaße haben. Was habe ich von einem jungen gut aussehenden Tenor der seine Rolle ohne Leidenschaft singt.

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  • Er hatte viele glorreiche Jahre als Primus inter pares unter den Operntenören weltweit. Seine Auftritte der letzten Jahre jedoch erweckten nur noch Mitleid. Auch das darf mal ausgesprochen werden.
    Andersdenkende dürfen nun ihre Pfeile aus den Köchern holen.

    Selbstverständlich darf das ausgesprochen werden und da muß man auch keine Pfeile aus dem Köcher holen, lieber Siegfried. Denn leider hast Du recht. Wie so manch anderer, hat es Pavarotti nicht fertiggebracht, auf dem Höhepunkt seiner unglaublichen, einmaligen Karriere abzutreten. Und er hat sich selbst damit leider sein eigenes Denkmal etwas zerstört. Da ich merke, daß Du mehr oder weniger mich damit indirekt ansprichst, möchte ich Dir aber sagen, da habe ich mich früher schon in unserem Forum dazu mehrmals kritisch geäußert. Ich habe z. B. berichtet, daß ich Pavarotti bei vielleicht einem seiner letzten Live- Auftritte im TV in einer Sendung mit Carreras gesehen habe. Es war nur noch peinlich, denn beide konnten nicht mehr singen, trafen oft die Töne nicht und waren nicht mal mehr ein Schatten ihrer selbst. Mir trieb es damals die Tränen in die Augen.

    Und weil Luciano Pavarotti hier oft als das Maß aller Dinge vergöttert wird...

    ... will ich passend in die Weihnachtszeit eine Aufnahme aus besseren Zeiten reinstellen. Und da gebe ich gerne zu, hier wird er von mir vergöttert, welch unglaublich stimmlicher Wohlklang:


    Jegliches hat seine Zeit...

  • Zitat

    Zitat von Siegfried: Und weil Luciano Pavarotti hier oft als das Maß aller Dinge vergöttert wird: Er hatte viele glorreiche Jahre als Primus inter pares unter den Operntenören weltweit. Seine Auftritte der letzten Jahre jedoch erweckten nur noch Mitleid. Auch das darf mal ausgesprochen werden.

    Lieber Siegfried,


    das gebe ich dir vollkommen recht. Ich habe Pavarotti in einigen Rollen sehr geschätzt, aber vergöttert habe ich ihn nie. Von den drei Tenören, die ich erstmals überhaupt gesehen habe, als sie gemeinsam 1990 in den Caracalla-Thermen auftraten (bis dahin hatte ich sie lediglich gehört), hat mir persönlich immer noch Domingo am meisten zugesagt, aber auch der ist mir nicht zum Idol geworden. Das Gehabe von Pavarotti in solchen konzertanten Auftritten (mit dem Taschentüchlein) gefiel mir ebenso wenig. Worin er mir stimmlich sehr gut gefällt, sind seine (leicht melancholischen) neapolitanischen Lieder.
    Ich habe meine Pfeile also auch nicht angespitzt.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Vor zwei Jahrzehnten soll Domingo mal geäussert haben, dass er es unaesthteisch findet, wenn Sänger über 50 auf der Bühne stehen würden ( in den vergangenen Jahren scheint er seine Ansicht revidiert zu haben).
    Dürfte ich diesbezüglich auch noch auf den meines Erachten grössten Tenor des Faches lyrico leggero hinweisen:
    Auch mit über 60 hat Alfredo Kraus einen Werther, Roméo, Hoffman, der bis anhin auch nicht annähernd erreicht wurde, auf der Bühne erreicht. Gut man muss einräumen, dass er mit seinem Körper und seiner Stimme ebenso diszipliniert umging. ( Leider gelang dies keinem seiner damaligen Kollegen.)

  • Sicher waren in vergangenen Jahrhunderten - womit ich allerdings diese meine, in denen nicht mehr Herren die Damenpartien sangen - die Mitwirkenden nicht immer so, wie die Rezipienten (Kritiker, Zuhörer) sich das vorgestellt haben.
    Denn immerhin hatten die Komponisten für die Hauptpartien ihrer Werke oft sehr wohl bestimmte Personen im Auge; ob diese dann immer, rein äußerlich natürlich, das Wohlwollen ihres Publikums hatten: das wissen wir wohl kaum mehr.


    Fazit: eine eigentlich überflüssige Diskussion. Denn jeder ist, wie er ist, was auch für jeden Sänger oder Instrumentalisten gilt ... und das unterscheidet sich dann auch noch von Jahrhundert zu Jahrhundert - bzw. von Generation zu Generation. ;)

  • Das Problem besteht ja nicht darin, ob jemand gut aussieht und/oder Idealmaße hat. Solche Sänger/Instrumentalisten hat es immer gegeben, und ganz sicher hat ihr Aussehen auch einiges zur Karriere beigetragen. Aber entscheidend - und das ist der Hauptgegensatz zu heute - waren trotzdem immer noch die stimmlichen/ instrumentalistischen Qualitäten. Franco Corellis Aussehen hat sicher mitgeholfen, dass er, er der erst mit 30 Jahren überhaupt richtig in den Operngesang einstieg, dann eine so schnelle und steile Karriere machen konnte, aber ohne seine überragenden stimmlichen Qualtiäten wäre das trotzdem ganz sicher nichts geworden. Aussehen war ein zusätzlicher Vorteil, aber nicht die Voraussetzung. Heute hingegen können stimmliche/fachliche Mängel durch das Aussehen ausgeglichen werden, und das ist es, was so unangenehm auffällt und was der Artikel auch betont. Aus diesem Grund gibt es so viele Durchschnittskünstler, die aber nett aussehen und von einer visuell betonten, oberflächlichen Medienwelt in den Himmel gelobt werden. Dass der Nackt-Fetisch einiger verdrehter "Regisseure" natürlich auch dazu beiträgt, dass vor allem Sänger, die hüllenlos aufzutreten bereit sind, besonders gefördert werden, ist Teil dieser unseligen Entwicklung.
    Nein, ein Pavarotti, aber auch ein Caruso, Gigli, Björling, eine Montserrat Caballè, Jessye Norman oder Grace Bumbry würden heute keine Karriere mehr machen, und das ist bestimmt kein Fortschritt, sondern eine sehr traurige Bilanz.

    "Tatsachen sind die wilden Bestien im intellektuellen Gelände." (Oliver Wendell Holmes, 1809-94)

  • Zitat

    m.joho: Auch mit über 60 hat Alfredo Kraus einen Werther, Roméo, Hoffman, der bis anhin auch nicht annähernd erreicht wurde, auf der Bühne erreicht. Gut man muss einräumen, dass er mit seinem Körper und seiner Stimme ebenso diszipliniert umging. ( Leider gelang dies keinem seiner damaligen Kollegen.)

    Hallo, Marcel!


    Da hast du 100% Recht. Auch ich bin bis zum heutigen Tag ein großer Bewunderer der Stimme von Alfredo Kraus. Aber auch Nicolai Gedda möchte ich hier mit einbeziehen.

    W.S.

  • Lieber Wolfgang,
    Leider konnte ich den Stimmmvirtuose Gedda, in diesem Alter nur noch in (eindrücklichen!) Konzerten erleben, da er sich von der Bühne zurückgezogen hatte. Auch er fehlt....